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IV

Flaubert hat persönlich der Oeffentlichkeit nie das Geringste über sich selbst erzählt. Er hat über seine künstlerischen Principien dasselbe Schweigen wie über seine Privaterlebnisse bewahrt. Unter diesen Umständen muss man alle Wege, die offen stehen und die in sein Innerstes hineinführen können, prüfen, und als einer der nächsten und besten bietet sich das genaue Studium der Werke seines brüderlichen Freundes und Kampfgenossen Louis Bouilhet's dar. Die beiden Männer scheinen, oberflächlich betrachtet, sehr ungleich angelegt, wie ungleich begabt. Flaubert machte in der französischen Litteratur Epoche, Bouilhet war und blieb ein Dichter zweiten oder dritten Ranges; Flaubert war ein Romanschriftsteller, Bouilhet ein Lyriker und Dramatiker; aber diese Ungleichheit geht das Wesen der Halbbrüder wenig an. Sie hatten sich lieb, weil sie geistig nah verwandt waren; nicht ohne gültigen Grund hatte Flaubert Bouilhet sein erstes Buch und dieser jenem alle seine vorzüglichsten Productionen gewidmet. Ein aufmerksamer Vergleich zeigt so starke Analogien zwischen den Poesien Bouilhet's und den Prosawerken Flaubert's, dass er das Auge schärft für die mehr zurückgedrängten Eigenthümlichkeiten des grösseren der Brüder.

Eines der merkwürdigsten Gedichte Bouilhet's ist „Les fossiles“, das mit einem grossartigen Gemälde der vorsündfluthlichen Landschaften und des Thierlebens der Vorwelt beginnt, danach zugleich in poetischer Form und in wissenschaftlichem Geist die Entwicklungsgeschichte der Erde bis zum Auftreten des ersten Menschenpaares verfolgt und mit einer begeisterten Vision der Menschheit der Zukunft endet.

Man findet diese Vorliebe für das Colossale und wunderlich Ungeheure bei dem Dichter „Salammbô's“ wieder; man spürt in Flaubert's Ausgraben verschwundener Völkerschaften und Religionen denselben Hang zum Fossilen wie bei Bouilhet, und endlich zeigt sich deutlich bei Flaubert die hier und sonst überall bei dem Bruder sich offenbarende Neigung, Wissenschaft und Poesie zu einem Ganzen zu verschmelzen.

Wie Flaubert in classische und semitische Litteraturen sich vertiefte, studirte Bouilhet chinesisch und behandelte chinesische Motive und Stoffe in einer langen Reihe von Gedichten. Beide wollten durch diese Forschungen und die poetischen Versuche, die aus ihnen hervorgingen, einem Zeitalter, das ihnen zuwider war, entschlüpfen, und beide folgten unbewusst dem Beispiel Goethes. Aber beide befriedigten ausserdem hierdurch denselben Antrieb: ihrem Leser die Relativität aller Lebensformen zu zeigen, ihm den Hochmuth darüber, „wie herrlich weit wir es gebracht“, auszutreiben und ihm eine Ahnung beizubringen, dass unsere Cultur, nach Jahrtausenden ausgegraben und geschildert, sich wenig vernünftiger als die alte oder ferne ausnehmen würde.

Beide wollten die Vorwelt in ihrer historischen oder vorhistorischen Reinheit ohne störende moderne Zusätze hervortreten lassen, und scheuten vor keiner Schwierigkeit zurück. Als sei es an und für sich nicht schwer genug, die antediluvianische Welt mit ihrer sonderbaren Vegetation und formlos grossartigen Thiergestalten zu malen, hat Bouilhet sich jedes Ausdrucks beraubt, der an die modernen Ideen erinnern müsste. Er beschreibt die Pterodactylen, die Ichthyosauren und Plesiosauren, die Mammuths und Mastodonten ohne sie zu nennen; man kennt sie nur an ihrer Form, ihrer Gangart, ihrem Benehmen wieder. Ganz ähnlich hat Flaubert sich in „Salammbô“ jeder noch so fernen Anspielung auf die moderne Welt enthalten; der Dichter scheint dieselbe nicht zu kennen oder vergessen zu haben, dass sie existirt. Die künstlerische Objectivität fällt hier mit der wissenschaftlichen zusammen.

Und dieses ist bei beiden Dichtern die Hauptsache. Sie gehorchten, bewusst oder unbewusst, einer neuen Idee von dem Verhältniss der Poesie zur Wissenschaft. Sie haben das Ihrige beitragen wollen, eine Poesie zu schaffen, die ganz und gar auf wissenschaftlicher Grundlage aufgeführt sei.

Der höchste Ehrgeiz Bouilhet's war eingestandenermassen der, ein Gedicht zu schreiben, das die Resultate der modernen Wissenschaft zusammenfasse und für unsere Zeit sein könne, was das bewunderungswürdige Poem des Lucretius „De rerum natura“ für das Alterthum war. Flaubert hatte augenscheinlich einen ganz ähnlichen Traum. Aber der Wunsch wurde bei ihm durch seinen Hass gegen die menschliche Dummheit bestimmter ausgeprägt. Er verwirklichte ihn auf negative Weise und in zwei verschiedenen Formen, in seinem Werke: „Die Versuchung des heiligen Antonius“, in welchem er alle die religiösen und moralischen Systeme der Menschheit als wahnwitzige Hallucinationen des Einsiedlers Revue passiren liess, und in seiner letzten Erzählung „Bouvard und Pécuchet“, in welcher die zahllosen Irrthümer und Fehlgriffe zweier armer Dummköpfe dem Dichter Vorwand geben, eine Art Encyclopädie von all' den Gebieten des menschlichen Wissens zu liefern, an denen sie sich vergreifen. In der „Versuchung des heiligen Antonius“ gab er die Tragödie des Menschengeistes; der menschliche Geist offenbart sich hier in grossartig wüthender und klagender Tollheit, ein König Lear auf der Erdenhaide. In „Bouvard und Pécuchet“ zeichnete er die Caricatur, die naive Unwissenheit, die dilettantische Pfuscherei auf allen wissenschaftlichen und technischen Gebieten, in zwei alten lächerlichen Gesellen personificirt, denen er mit wilder Selbstironie manch einen Zug beilegte, der sein eigenes Zusammenleben mit Bouilhet characterisirte. Das Werk ist posthum und nur der erste Theil liegt vor (nur in annähernd vollendeter Gestalt); für Flaubert im höchsten Grade bezeichnend ist aber seine Absicht – um das Bild der universellen Dummheit vollständig zu machen – diesen Theil durch einen zweiten zu vervollständigen, in welchem die zwei armen Käuze, die als Schreiber ihre Carrière beginnen und beenden, den Einfall ausführen, die Eseleien all' der bekanntesten Schriftsteller (des Herrn Flaubert inclusive) abzuschreiben und in einem Band zu sammeln.

Sowohl Flaubert wie Bouilhet wurden also in ihrem Arbeiten von dem mächtigen Trieb angespornt, in der einen oder der anderen, positiven oder negativen Form Resultate moderner Wissenschaft in ihre Werke niederzulegen; von ihnen beiden gilt, was Flaubert über Bouilhet gesagt hat, dass der Grundgedanke, das geniale Element seines Geistes eine Art Naturalismus war, der an die Renaissance erinnert. Aber während Bouilhet in mittelmässigen und traditionell romantischen Dramen seine beste Kraft verpuffte, hat Flaubert in keiner einzigen Arbeit der Ueberlieferung gehuldigt, vielmehr immer ein wissenschaftliches Studium als Vorbereitung zu seiner Dichtung gemacht und nur bei ihm ist deswegen das Verhältniss zwischen Wissenschaft und Poesie der Nerv und das Hauptinteresse der Werke.

V

Es scheint fast, als ob in unsern Tagen die Zeit zu Ende geht, da der Romandichter sich eines schönen Tages vor einen Bogen weissen Papiers hinsetzte und die Ausführung seiner Dichtung begann.

Flaubert wenigstens hat eine Methode der poetischen Production eingeleitet, welche diese stark der wissenschaftlichen nähert. Er verbrachte, um eine einzelne Aufklärung mit Rücksicht auf seinen Stoff zu gewinnen, ganze Wochen in den Bibliotheken, er ging Kupferstiche haufenweise durch, um mit Costüm und Haltung einer früheren Generation in's Reine zu kommen. Er las als Vorstudium zu „Salammbô“ gegen hundert Bände alter und neuer Litteratur und unternahm darauf eine Reise nach Tunis, um die Landschaften und die Denkmäler des alten Karthago zu studiren. Ja, sogar um phantastische Landschaften, wie die in der „Legende von St. Julian“, zu malen, besuchte er Gegenden, die ihm ungefähr den Eindruck geben konnten, von dem er geträumt hatte.

Sobald er den Plan zu einem Buch auf's Papier gebracht hatte, fing für jedes Capitel besonders das Suchen nach Urkunden an; jedes hatte seine Mappe, die sich nach und nach füllte. Er ging die ganze Sammlung des „Charivari“ aus der Zeit Ludwig Philipp's durch, um den litterarischen Zigeuner Hussonet in „L'éducation sentimentale“ mit Witzen im Stil der damaligen Zeit zu versehen. Er studirte nicht weniger als 107 Werke, um die dreissig Seiten über den Ackerbau in „Bouvard und Pécuchet“ zu schreiben. Die Excerpte, die er für diesen letzten Roman gemacht hatte, würden gedruckt nicht weniger als fünf Octavbände bilden.

Augenscheinlich hat er während all' dieser Vorstudien bisweilen seinen Roman aus den Augen verloren und ist einfach darauf ausgegangen, seine Einsicht zu vermehren. Seine Lust Kenntnisse zu sammeln, war fast so lebhaft als die, seinen seelischen Gehalt auszuformen – oder richtiger, sie wurde es nach und nach.

Wenn man seine Werke in chronologischer Ordnung überschaut, findet man ein immer deutlicheres Verlegen des Schwerpunktes aus dem dichterischen in das wissenschaftliche Element; oder mit anderen Worten, aus dem menschlichen, psychischen Elemente in geschichtliche, technische, wissenschaftliche Aeusserlichkeiten, die einen unverdienten Platz einnehmen. Flaubert war immer Gefahr gelaufen, ein langweiliger Autor zu werden, und er wurde es immer mehr.

Er war von einer nach meiner Ansicht richtigen Empfindung ausgegangen, nämlich der, dass der Dichter in unseren Tagen kein blosser Unterhaltungsschriftsteller oder maître de plaisir sein könne. Er verstand dies aber so, dass das poetische Schiff ohne wissenschaftlichen Ballast leicht umzuschlagen in Gefahr komme. Und nach und nach, wie seine Entwickelung vorwärts schritt, ergriff ihn die Leidenschaft dafür, Schwierigkeiten zu überwinden: er wollte das Schwerste schleppen, die grössten Steine tragen, und er belastete allmälig das Schiff mit so vielen und grossen Steinen, dass es zu schwer wurde, zu tief ging und auf den Grund lief. Sein letzter Roman ist nur eine mühselig zusammengereihte Folge von Auszügen aus ein Paar Dutzend verschiedenen Wissenschaften, fast unleserlich als poetisches Werk, nur psychologisch bemerkenswerth als folgerichtiger und endgültiger Ausdruck einer grossen Persönlichkeit und einer irrthümlichen ästhetischen Ansicht.

 

Die allgemeine Richtung auf das Studium der Aeusserlichkeiten ist nicht Flaubert allein eigenthümlich; sie bezeichnet die ganze Gruppe von Geistern, der er angehört. Sie ging aus dem berechtigten Widerwillen gegen die rationalistische Auffassung des Menschen als abstractes Vernunftwesen und aus dem deterministischen Hang unseres Zeitalters hervor, das Seelenleben des Individuums aus klimatischen, völkerpsychologischen, physiologischen Bestimmungen erklären zu wollen. Man findet dies Streben verschieden nuancirt bei den bedeutendsten Zeitgenossen und Landsleuten Flaubert's, bei seinem Lehrer und Freund Théophile Gautier, bei Renan, bei Taine, bei den Brüdern Goncourt. Wie verschieden diese Geister auch sind, sie haben dies gemeinsame und sehr moderne Gepräge, und ausserdem fast alle noch die andere, nicht weniger moderne Eigenschaft, dass man in ihren künstlerisch ausgeführten Werken zu sehr die dahinter liegende Arbeit, die Mühe, mit der sie hervorgebracht wurden, verspürt, und bisweilen einen geradezu peinlichen Eindruck der Ueberladung hat. Renan, der eine Ausnahme zu bilden scheint, schildert nicht selten Sachen, die völlig ausserhalb des Rahmens liegen; Gautier ist wohl der einzige dieser grossen Künstler, aus dessen Geist Worte und Bilder zwanglos zu sprudeln scheinen, und selbst er liess selten das Wörterbuch und die Encyclopädie aus seiner Hand.

Bei Flaubert verdrängte nach und nach die Encyclopädie die Gemüthsbewegung. Gautier war mit den Jahren immer weniger Dichter und immer mehr malerischer Beschreiber geworden; Flaubert wurde mit den Jahren immer mehr ein Gelehrter und ein Sammler.

Werfen wir einen Blick über seine ganze Production von den ersten Anfängen bis zum Abschluss derselben, so sehen wir, wie das humane Element, das ursprünglich alles überrieselte und fruchtbar machte, nach und nach ebbt, sich zurückzieht und nur den trockenen, steinigen Boden historischer oder naturwissenschaftlicher Thatsachen hinterlässt.

In „Madame Bovary“ ist noch alles Leben. Die Beschreibungen sind selten und kurz. Sogar die Beschreibung Rouens, der Geburtsstadt des Verfassers, welche da vorkommt, wo Emma mit der Diligence von Yonville fährt um Léon zu treffen, ist in ganz wenigen Zeilen gegeben, und ausserdem durch die hinzugefügte Schilderung des Schwindels beseelt, der von diesen Tausenden zusammengehäufter Existenzen gegen Emma aufsteigt, als hätten alle diese Menschen ihr den Dampf der Leidenschaften, die sie bei ihnen vermuthete, entgegen gesandt. Die direkte Beschreibung der Stadt, das malerische Moment, ist hier ganz in Psychologie, in den Eindruck, den die grosse Stadt auf die Hauptperson macht, umgesetzt – was bei Flaubert immer seltener wird.

In „Salammbô“ musste sich das Studium und das bloss Descriptive nothwendigerweise stärker geltend machen. Es gibt grosse Partien in diesem Werk, in welchem man eher ein Stück alter Kriegsgeschichte, oder eine archäologische Abhandlung als einen Roman zu lesen glaubt und die deswegen ermüdend wirken. Aber „Salammbô“ war noch reich an allgemein menschlichen Motiven und Darstellungen. Man lese beispielsweise das Capitel durch, wo die Priester beschlossen haben, Moloch durch das Opfer des Erstgebornen jedes Hauses zu versöhnen, wo einige von ihnen an der Thür Hamilcar's anklopfen und dieser seinen Sohn, den kleinen Hannibal, aus ihrer Gewalt zu retten strebt. Die Stimmung, die Flaubert hier erzeugt hat, ist so wie sie in einer punischen Stadt gewesen sein muss, sobald ein solches Massenopfer angeordnet war, und der einzelne Vorgang hebt sich von dem Hintergrund dieser Stimmung unvergesslich hervor. Hamilcar stürzt in das Zimmer seiner Tochter hinein, erfasst mit der einen Hand Hannibal, mit der andern eine Schnur, die am Fussboden liegt, schnürt Hände und Füsse des Knaben zusammen, steckt ihm den Rest der Schnur als Knebel in den Mund und versteckt ihn unter einem Bett. Dann klatscht er in die Hände und verlangt ein Sklavenkind von 8 bis 9 Jahren mit schwarzen Haaren und hervortretender Stirn. Man bringt ihm ein armes, zugleich mageres und aufgedunsenes Kind, dessen Haut so grau wie der Lumpen um seine Lenden ist. Er verzweifelt; wie ist es möglich, dies Kind mit Hannibal zu verwechseln! Aber die Minuten sind theuer, und trotz seines Widerwillens fängt der stolze Suffet an, den elenden Sklavenjungen zu waschen, zu reiben und zu salben; er zieht ihm einen Purpur-Anzug an, befestigt denselben an seine Schulter mit Diamant-Agraffen, und das Kind lächelt, glücklich über all diese Pracht, und hüpft auf vor Freude. Er führt den Knaben mit sich fort. Da er aber unten im Hof mit verstelltem Schmerz ihn den Molochpriestern übergibt, zeigt sich hoch oben im dritten Stockwerk des Hauses zwischen den elfenbeinernen Pfeilern ein bleicher, ärmlich gekleideter, fürchterlich aussehender Mann mit ausgebreiteten Armen. „Mein Kind!“ ruft er. „Es ist der Pflegevater des Kindes“ beeilt sich Hamilcar zu sagen und stösst, wie um den Abschied zu kürzen, die Priester zum Thore hinaus. Als sie fort sind, sendet er dem Sklaven die besten Sachen aus der Küche, Fleisch, Bohnen und Eingemachtes; der Alte, der lange nichts gegessen hat, wirft sich darüber her und verschlingt es unter Thränen, und als Hamilcar Abends nach Hause kommt, sieht er im grossen Saal, wo das Mondlicht durch die Spalten der Kuppel hinabscheint, den Sklaven übersatt, halb berauscht, auf dem Marmor-Fussboden ausgestreckt, im tiefen Schlafe liegen. Er schaut ihn an und eine Art Mitleid ergreift ihn. Mit der Spitze seines Fusses schiebt er einen Teppich unter seinen Kopf.

Hier ist die allgemein menschliche Essenz aus einer specifisch karthaginiensischen Situation gezogen.

„Salammbô“ machte, wie schon angedeutet, ein nicht geringes Aufsehen, bereitete aber nichtsdestoweniger der Lesewelt und der Kritik eine Enttäuschung. Man theilte nicht die Vorliebe des Verfassers für das Ungeheure und Flammende, man arbeitete sich mit Mühe durch die Schilderung antiker Belagerungsmaschinen und Sturmböcke; man bat ihn, einen neuen roman de passion, eine Liebeserzählung zu schreiben.

Flaubert leistete endlich am Schluss des Jahres 1869 der Aufforderung Folge, indem er seinen Roman „L'education sentimentale“ herausgab, sein eigenthümlichstes und tiefstes Werk, das ganz durchfiel. Von jetzt an erlebte er nur litterarische Niederlagen. Die Gunst des Publikums, die durch „Salammbô“ erkaltet war, wich von diesem Zeitpunkt ab vollständig von ihm.

Das neue Buch war eine neue Art von Buch. Der fast unübersetzbare Titel (etwa „Die Erziehung des Herzens“) ist nicht correct; denn Niemand und Nichts wird hier erzogen; dennoch handelt der Roman von einem Gefühlsleben. Aber er behandelt eher die gradweise fortschreitende Abstumpfung und schliessliche Exstirpation der Liebesempfindung als irgend eine Entwickelung derselben. Das Buch könnte richtiger heissen: Die Liebesillusion und ihre Ausrottung. Es ist einer der Hauptversuche Flaubert's, das reine Nichts in Gestalt der puren Illusion aus all' dem Sehnen und Trachten des gewöhnlichen Menschenlebens heraus zu destilliren. In „Salammbô“ drehte sich Alles um einen heiligen Schleier der Göttin Tanit, Zaimpf genannt; dieser Schleier ist strahlend und leicht; die Stadt, von der er geraubt wird, verdirbt; der Mensch, der ihn trägt, ist so lange unverwundbar, aber wer sich darin gehüllt hat, muss zu Grunde gehen. Die Illusion ist wie dieser Schleier. Sie ist strahlend wie die Sonne und leicht wie die Luft, sie gibt die Sicherheit des Nachtwandlers, und sie verzehrt wie ein Nessushemd.

Ich sagte, dass Flaubert an eine das Leben hindurch dauernde, nie befriedigte Liebesleidenschaft glaubte. Eine solche ist es, die er in der Liebe Frédéric's zu Madame Arnoux dargestellt hat. Sie ist verschämt, unterdrückt, gebändigt; sie macht sich Luft in einigen unverständigen Aufopferungen für ihren Gemahl und in einigen halb ausgesprochenen platonischen Versicherungen gemeinsamer Sympathien; sie führen zu nichts, zu einem Versprechen, das zurückgenommen wird, zu einigen Versuchen, die fehl schlagen, und endlich, nach dem Verlauf von zwanzig Jahren, zu einem unfruchtbaren Geständniss und einer einzigen Umarmung, aus welcher der Liebhaber zurückschreckt, da die Geliebte unterdessen alt geworden ist und ihm mit ihren weissen Haaren Schrecken einflösst.

Das Eigenthümliche an diesem Roman ist, in noch weit mehr hervortretender Weise als bei „Madame Bovary“, dass er keinen Helden und übrigens ebenso wenig eine Heldin hat. In dem veralteten Ausdruck „Held“ liegt das ganze angeerbte Herkommen der altmodigen Poesie. Seit Jahrhunderten hatten die Schriftsteller mit einem Helden paradirt; er war stark und schön, gross in seinen Tugenden oder Lastern, ein Beispiel zur Nachahmung oder zur Abschreckung – hier ergriff der Dichter einen jungen Mann der Art, wie die meisten jungen Männer sind und zeigte, ohne Missbilligung oder Bedauern zu äussern, mit welchem Nichts sein Leben hinging und wie die Enttäuschungen auf ihn herab hagelten, nicht grosse, seltene Enttäuschungen – er erlebt überhaupt nichts Grosses und Seltenes – nein, die kleinen Enttäuschungen, die das Leben ausmachen. Eine lange Kette kleiner Enttäuschungen mit einzelnen grossen Enttäuschungen dazwischen, das ist für Flaubert die Definition des regulären Menschenlebens. Doch der Reiz des Buches beruht nicht hauptsächlich auf der durchgeführten melancholischen Grundstimmung. Der Hauptreiz ist für mich die Anmuth und die Keuschheit, mit der die Feder geführt ist, wo Frédéric's grosse Liebe geschildert wird.

Das tiefe Verständniss für die Schwärmerei des jungen Mannes weist auf Selbsterlebtes zurück. Nirgends hat Flaubert mehr direct aus seiner eigenen Seele geschrieben und weniger aus den fünf oder sechs künstlichen Seelen geschöpft, die er wie jede kritisch angelegte und kritisch schaffende Natur sich zu geben vermochte.

Frédéric liebt ohne Hintergedanken, ohne Hoffnung auf Gegenliebe, unbedingt, mit einem Gefühl, das der Dankbarkeit ähnlich ist; mit einem Bedürfniss sich hinzugeben und sich der Geliebten zu opfern, das um so viel stärker ist, weil es keine Besänftigung findet. Aber die Jahre gehen, und ein Gefühl ähnlicher Art entwickelt sich bei der geliebten Frau. Es ist unter ihnen eine ausgemachte Sache, dass sie sich nie angehören werden; aber ihr Geschmack, ihre Urtheile stimmen überein: „Oft brach der von ihnen, der dem Andern zuhörte, aus: Ich auch! und kurz danach kam der Andere an die Reihe zu sagen: Ich auch!“ Und sie träumen, dass wenn die Vorsehung gewollt hätte, wäre ihr Leben ein von Liebe allein erfülltes, „etwas Süsses, Glänzendes und Erhabenes wie das zitternde Blinken der Sterne“ geworden.

„Fast immer hielten sie sich in freier Luft in der Veranda auf, und die gelblichen Baumkronen des Herbstes breiteten sich vor ihnen ungleichförmig bis zum Rande des bleichen Himmels aus; oder sie sassen in einem Pavillon am Ende der Allee, dessen einziges Möbel ein mit grauer Leinwand überzogenes Canapé war. Schwarze Punkte befleckten den Spiegel; die Wände athmeten einen moderigen Geruch aus – und sie blieben da, von sich selbst, von Andern, gleichviel wovon, plaudernd in einem gegenseitigen Entzücken. Bisweilen sahen die Sonnenstrahlen, die sich durch die Persiennen von der Decke bis zum Fussboden den Weg bahnten, aus, wie die Saiten einer grossen Leier“.

Diese Leier – das war, glaub' ich, die alte, die echte; die Leier aus der Zeit der Troubadoure und aus der Jugend Flaubert's, und es scheint Einem, als habe er eben hier ihre Saiten geschlagen.

„L'éducation sentimentale“ erschien, als das Kaiserthum in die Epoche der letzten Krisen trat. Der Absatz war mässig. Alle Zeitungen erklärten das Buch für langweilig, ausserdem natürlich für unmoralisch. Am schmerzlichsten für Flaubert war das Schweigen, das folgte. Die Arbeit von sieben Jahren schien verloren.

Die Ursache war, dass er zu viel gearbeitet hatte. Er hatte um das Paris der Vierziger Jahre zu schildern, alte Bilder und alte Pläne studirt, verschwundene Strassen reconstruirt, mehrere Tausende von Zeitungen mit ihren Referaten über Clubreden und ihren Beschreibungen des Strassenlebens und der Strassenkämpfe durchforscht. Er wollte absolut ein genaues Zeitbild geben und machte zu Viel daraus. Der historische Apparat wirkt ermüdend. Sein Hass gegen die Dummheit führte ihn hier wie so oft zu weit. Es hatte schon in seiner Jugend zu den Belustigungen gehört, die er und Bouilhet gemeinsam trieben, so treue Copien wie möglich von offiziellen Reden im allgemeinen, von Gelegenheitsgedichten bei der Einweihung einer Glocke oder der Beerdigung eines Monarchen, von Festreden, Volksreden jeglicher Art zu schreiben. Man fand ganze Packete solcher Sachen nach Bouilhet's Tode. In „Madame Bovary“ hatte Flaubert sich damit belustigt, die ganze Rede des Bureauchefs bei der Ackerbau-Ausstellung mit ihrer bestellten Begeisterung und ihren stilistischen Naivetäten wiederzugeben; hier lieferte er in extenso und noch dazu spanisch eine von einem „Patrioten aus Barcelona“ im Jahre 1848 in einer Volksversammlung zu Paris gehaltene liberale Rede. Die Rede ist als Beispiel der reinen Freiheits- und Fortschrittsphrase unübertrefflich, aber sie und die ganze Versammlung, in der sie vorgetragen wird, haben zu wenig mit den Hauptpersonen zu thun. Das Zeitbild breitet sich zu sehr aus; hier wie in „Salammbô“ ist das Fussgestell zu gross für die Figuren geworden. Flaubert wird es ohne Zweifel selbst empfunden haben; denn schon während er an „Salammbô“ arbeitete, schrieb er missmuthig an einen Freund: „Das Studium des Costüms verleitet uns die Seele zu vergessen. Ich würde das halbe Ries Papier, das ich nun in fünf Monaten mit Aufzeichnungen gefüllt habe, dafür geben, um nur in drei Secunden von den Leidenschaften meiner Personen mich wirklich bewegt zu fühlen“. Aber er vermochte nicht die Schilderung der Umgebungen, der allgemeinen Stimmungen und Zustände gehörig zurück zu drängen. Man fühlt bei ihm, dass das Studium immer dichter in der Spur der Einbildungskraft, wie in der nordischen Mythologie das Ungeheuer Mondgarm in der des Mondes folgt, und wie der arme Mond immer näher daran ist, verschlungen zu werden.

 

Die drei Erzählungen: „Ein einfaches Herz“, „Die Legende von St. Julian, dem Gastfreien“ und „Herodias“, waren eine kleine Trilogie von Meisterwerken: eine Novelle der Gegenwart, eine Legende des Mittelalters und ein Gemälde aus dem Alterthum. „Herodias“ gab in dem Stil „Salammbô's“ ein düsteres, kräftiges Bild von Palästina zur Zeit Johannes des Täufers, aus welchem das neugierige und schlaffe Prassergesicht des Vitellius, in die gebrochenen Augen des abgehauenen Johanneskopfes hineinstierend, dem Leser entgegen leuchtet. „Die Legende von St. Julian“ ist das Muster einer Wiedergeburt des mittelalterlichen Geistes. Kein Mönch hat eine echtere christliche Legende geschrieben als dieser Atheist. Nichts kann strenger im Legendenstil sein als der Schluss von dem aussätzigen Bettler, der das letzte Stück Speck und den letzten Bissen Brod Julian's verzehrt, dessen Messer, Teller und Becher befleckt und der mit seinen unheimlichen Geschwüren zuletzt nicht nur auf Julian's Lager sich ausstreckt, sondern die Forderung an ihn stellt, er solle ihn mit seinem nackten Körper erwärmen. Da der ehemalige Prinz in der Demuth seines Herzens sich erniedrigt, dies zu thun, umarmt ihn der Aussätzige mit Kraft, und in demselben Augenblick verwandelt sich die Gestalt des Bettlers; die Augen werden sternenklar, sein Haar wird lang und leuchtend wie Sonnenstrahlen, sein Athem duftend wie Rosen; das Dach der Hütte fliegt ab, und Julian schwebt in den blauen Raum hinauf, Gesicht an Gesicht mit Unserm Herrn Jesus Christus, der ihn in den Himmel hinaufführt.

In „Ein einfaches Herz“ hat Flaubert so zu sagen die Geschichte des alten prämiirten Dienstmädchens aus „Madame Bovary“ erzählt. Es ist eine rührende Erzählung von einer alten, von Allen ausgenutzten und verlassenen Magd, die zuletzt die ganze Liebe ihres Herzens auf einen Papagei wirft; sie bewundert diesen Papagei über alles: er scheint ihr in ihrer Einfalt dem heiligen Geist als Taube auf dem Altargemälde der Dorfkirche ähnlich, und nach und nach füllt er in ihrem Bewusstsein den Platz des heiligen Geistes aus. Der Vogel stirbt und sie lässt ihn ausstopfen. Aber in ihrer Todesstunde sieht sie ihn riesengross mit ausgebreiteten Flügeln sie empfangen und in das Paradies hinauftragen. Dies ist die tief-wehmüthige Parodie des Schlusses der Legende. Hier wie dort Vision und Illusion; bei der Schwäche unseres Wesens, der Fähigkeit des Getäuschtwerdens und dem Bedürfniss des Trostes, ist – scheint Flaubert sagen zu wollen – uns im Versinken der eine Strohhalm so gut wie der andere.

Die drei Erzählungen hatten keinen Erfolg. In ihnen hatte das Studium noch einen Schritt vorwärts auf Kosten des Lebens gemacht. Hier waren erstens fast keine Gespräche, keine Repliken mehr, die Erzählungen waren eher Inhaltsangaben als Novellen; man fühlte, dass der Dichter begonnen hatte, die eigentlich poetische Gestaltung zu verschmähen. Ferner breitete sich die Gelehrsamkeit zu sehr aus. Ein erstaunliches Studium war z. B. in die Legende niedergelegt. Man ahnt, wie viele Legenden Flaubert gelesen hat, um den Charakter so genau wiedererzeugen zu können. Aber kein Versuch ist gemacht, die Resultate dieser Gelehrsamkeit in Perspective vor die Augen des modernen Lesers zu stellen. Es sind weder Wege noch Stege in den Urwald der Legendenwelt gehauen; er steht da festgewachsen und sperrt dem Blick die freie Bahn. Die Erzählung scheint nicht auf gewöhnliche moderne Leser, sondern auf solche des dreizehnten Jahrhunderts oder auf verfeinerte Kenner des unsrigen berechnet.