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Das Gleichniss ist neu, ist treffend und kurz. Man spürt hier den Dichter in dem Erzähler.

Man spürt ihn noch deutlicher, wenn fortgefahren wird:

„Die Damen der Stadt bewunderten ihren wirthschaftlichen Sinn, die Patienten ihre Höflichkeit, die Armen ihre Wohlthätigkeit. Aber sie war voll Begierden, voll Wuth und Hass. Dies Kleid mit den geraden Falten verbarg ein verwirrtes Herz und diese so keuschen Lippen erzählten nicht seine Qual. Sie war in Léon verliebt … Sie erkundigte sich nach jedem seiner Schritte; sie spähte sein Gesicht aus; sie erfand eine ganze Geschichte, um zu einem Besuch seines Zimmers einen Vorwand zu haben. Sie schätzte die Frau des Apothekers glücklich, weil sie unter Einem Dach mit ihm schlief; und ihre Gedanken schlugen immerfort auf das Haus nieder wie die Tauben des „Goldenen Löwen“, die stetig dahin flogen, um in dem Wasser der Dachrinnen ihre rosigen Füsse und weissen Flügel zu netzen“.

Dies ist nicht ein schlagendes Gleichniss im allgemeinen, sondern ein Gleichniss, das einem Umstand in dem Dorf, das Emma bewohnt, entlehnt ist. So lebhaft steht dieses Dorf dem Erzähler vor Augen.

Bisweilen sammelt er eine ganze Beschreibung in einem dichterischen Machtwort. So an der Stelle, wo die alte Dienstmagd auftritt, die in der Versammlung des landwirthschaftlichen Vereins aufgerufen wird, um für den treuen Dienst von 54 Jahren in Einem Hof eine silberne Medaille im Werth von 25 Francs zu empfangen.

Katharina Niçaise Elisabeth Leroux, ein kleines altes Weib, das in ihren armen Kleidern zusammenzuschrumpfen scheint, erzeigt sich auf der Erhöhung. Man sieht ihr hageres, in Runzeln zusammengefaltetes Gesicht in der Haube und ihre langen Hände mit knotigen Gelenken, welche der Staub der Scheunen, das Wollenfett und die Potasche der Wäschereien mit einer solchen Kruste überzogen haben, dass sie, obwohl mit klarem Wasser abgespült, schmutzig scheinen und nicht mehr ganz geschlossen werden können, sondern gleichsam um Zeugniss so vieler erlittener Strapazen zu tragen, offen verbleiben. Wir sehen die nonnenartige Steifheit ihres Ausdrucks, die thierische Stummheit ihres blassen Blicks, ihre Unbeweglichkeit aus Verwirrung über das ungewohnte Schauspiel der Fahnen, der Trommeln und der decorirten Herren im schwarzen Frack. Dann fasst Flaubert das Bild in diese Worte zusammen:

„So stand vor diesen behäbigen Spiessbürgern dies halbe Jahrhundert der Sclaverei“.

So kleinlich genau die Beschreibung ist, so gross und stilvoll ist der sammelnde Ausdruck. Man fühlt es recht wohl, dass für diesen Schriftsteller die Kunst zu schreiben die höchste von allen war.

Nicht allein, dass ihm selbst das Schreiben sein unbedingter und einziger Beruf war; man begeht auch keine grosse Uebertreibung, wenn man sagt, dass seine Weltanschauung auf den Gedanken hinauslief: Die Welt ist da, um beschrieben zu werden.

Er hat einmal dieser seiner Ansicht in einer absolut bezeichnenden Wendung Ausdruck gegeben. Er richtet, an die Freundschaft anspielend, die ihn mit Louis Bouilhet verband, in der Vorrede zu den hinterlassenen Gedichten desselben, an die Jugend folgende Worte:

„Und da man bei jeder Gelegenheit eine Moral verlangt, so ist hier die meine:

Gibt es noch irgendwo zwei junge Leute, die ihre Sonntage damit verbringen, in Gemeinschaft die Dichter zu lesen; die sich gegenseitig ihre Versuche, ihre Pläne, Gleichnisse, die ihnen eingefallen sind, einen Satz, ein gelungenes Wort mittheilen und die, obwohl sonst gegen das Urtheil der Anderen gleichgültig, diese Leidenschaft mit jungfräulicher Schamhaftigkeit verbergen, so gebe ich ihnen den folgenden Rath:

Geht Schulter an Schulter in den Wäldern, sagt einander Verse vor, nehmt in Eure Seele den Saft der Bäume und die Ewigkeit der Meisterwerke auf, verliert Euch in weltgeschichtliche Träume, gebt Euch dem Eindruck des Erhabenen hin … wenn Ihr dann so weit gekommen seid, dass Ihr in den Begebenheiten der Welt, so bald Ihr sie wahrnehmt, nur eine Illusion seht, die zu beschreiben ist, und das so unbedingt, dass Alles, Eure eigene Existenz mit einbegriffen, Euch keinen andern Nutzen zu haben scheint, und Ihr um dieses Berufes willen zu jeglichem Opfer entschlossen seid, so tretet auf, gebt Bücher heraus!“

Selten hat ein Schriftsteller, ohne es direct zu wollen, seine Eigenthümlichkeit schärfer gezeichnet. Er hat sein Leben der Bestimmung gewidmet, Illusionen zu beschreiben. Ich weiss sehr wohl, dass seine Meinung nur die ist, für den wahren Schriftsteller sei alles, was geschehe, Bild, bloss durch die Kunst festzuhaltendes Trugbild. Man kann aber zwanglos seinen Worten den weiteren Sinn geben, dass das Leben überhaupt am wahrsten unter dem Gesichtspunkte einander ablösender Trugbilder aufzufassen sei, und dann passt der Satz genau auf ihn selbst. Man gehe in Gedanken seine Stoffe durch, von den ersten unweltlichen und weltlichen Träumen, durch welche Emma Bovary aus der Leere der Provinz und der Plattheit ihrer Ehe sich zu erheben strebt, bis zu den einander jagenden Wüstenhallucinationen des heiligen Antonius – was sind sie ihm anders gewesen, als Illusionen zum Beschreiben!

Die Illusion hat das doppelte Wesen in sich, das dem Naturell Flaubert's entspricht. Das Trugbild ist, von seiner Eigenschaft als Blendwerk abgesehen, schön, es hat Farbe und Duft, es erfüllt das Gemüth und theilt ihm ein potenzirtes Leben mit. So beschaffen reizte es den Schönheitsanbeter in Flaubert. Aber die Illusion ist ferner hohl und leer, oft thöricht, nicht selten geradezu lächerlich; so aufgefasst fesselte sie den Realisten in Flaubert, den Mann, dessen Blick das Seelenleben durchschaute, der die Wirklichkeit in ihre einfachsten Elementen aufzulösen eine Befriedigung fand und dessen mächtige Hand die Luftschlösser zu Dunst zusammenpresste.

II

Wie war er so geworden, wie wir ihn in seinem ersten Roman kennen lernen?

Sein Vater war ein bekannter Chirurg in Rouen, ein streng rechtschaffener, gutherziger Mann, der den Sohn gut und frei erzog. Dass sein erstes Heim das Haus eines Arztes war, das empfindet man in seinen Büchern. Er studirte selbst eine Zeit lang Medicin, später die Rechtswissenschaft, warf sich aber schon in der Schule mit Leidenschaft auf die Litteratur und begegnete sich in dieser Schwärmerei mit seinem Halbbruder, dem Dichter Louis Bouilhet. Es finden sich ohne Zweifel selbstbiographische Elemente in der Schilderung der Freundschaft zwischen Frédéric und Deslauriers in seinem Roman „L'éducation sentimentale“. Flaubert kam wie Frédéric, neunzehn Jahre alt, nach Paris, um zu studiren. Sein Vater kaufte das Landhaus Croisset bei Rouen, das er später erbte; er verbrachte sein Leben abwechselnd in Rouen und Paris, ein Leben, in welchem nur zwei äussere Begebenheiten vorkommen, eine Reise nach dem Orient, die er dreissig Jahre alt unternahm und eine spätere nach Nordafrika, die der Ausführung „Salammbô's“ voranging. In Rouen schloss er sich gern Monate lang ein, um zu studiren und zu schreiben; in Paris suchte er vorzugsweise Zerstreuung. Er war in seiner Jugend ausdauernd in seiner Arbeit und gewaltsam in seinen Vergnügungen.

Er hatte das Temperament, das seinem Aeussern entsprach. Ich habe ihn nur flüchtig gesehen. Aber man vergisst nicht diesen grossäugigen, blauäugigen Herkules mit der röthlichen Gesichtsfarbe, der hohen, kahlen Stirn und dem langen Schnurrbart, der den grossen Mund, die mächtigen Kiefer bedeckte. Er trug den Kopf hoch, ein wenig zurückgeworfen, der Bauch trat etwas hervor; er ging zwar ungern, aber liebte sonst heftige Bewegungen und schlug mit den Armen aus, wenn er ungeheure Paradoxen mit donnernder Stimme herausschleuderte. Er war wie alle polternden Riesen gutmüthig. Sein Zorn – sagt einer seiner Freunde – kochte über und fiel wie Milch.

Er war ja zu der Zeit aufgewachsen, da die französische Romantik in ihrem Flor stand, er hatte sein erstes Gepräge in der romantischen Schule empfangen und er behielt Spuren davon, nicht nur in seinem Stil und in seiner an Théophile Gautier's „truculente“ Redeweise erinnernden Art gegen die Bourgeois zu schimpfen; sondern sogar in seiner Manier sich anzuziehen. Er trug gern grosse breitschattige Hüte, grosscarrirte Beinkleider und Röcke, die eng an die Taille schlossen, ging im Sommer in seiner Wohnung in weiten, weiss- und rothgestreiften Hosen und in einer Art Jacke, die ihm Aehnlichkeit mit einem Türken gab. Es ging unter seinen Freunden das Gerücht, dass Bürgersleute in Rouen, die Sonntags Landpartien machten, ihren Kindern das Versprechen gaben: „Wenn Ihr artig seid, sollt Ihr Herrn Flaubert in seinem Garten zu sehen bekommen“.

Ich sagte, dass einige Reisen die Hauptbegebenheiten seines Lebens waren. Die Frauen haben weniger Platz darin eingenommen, als in dem Leben der meisten Andern. Er hatte, als er zwanzig Jahre alt war, sie als Troubadour geliebt. Damals ging er wiederholt zwei Meilen, um einen Neufundländer, den eine Dame zu liebkosen pflegte, an der Schnauze zu küssen. Später gewöhnte er sich an eine derbere Anschauungsweise und Praxis in Sachen der Erotik. Er war ein Freund von Anekdoten und Geschichten in Rabelais' Manier und erfasste in seinen Büchern mit vollständig so harten Händen die erotische Illusion wie alle die andern. Nichts desto weniger gab es in diesem Punkt, wie in so vielen andern in dem Wesen Flaubert's, eine bleibende Zweiheit. Er, der alte Junggeselle, der leidenschaftliche Tabakraucher, der nur mit Männern vertraut verkehrte und in keiner andern Frauengesellschaft, als derjenigen hübscher und nicht strenger Damen sich wohl befand, hatte, augenscheinlich sowohl in Folge persönlicher Erfahrung wie kraft einer allgemeinen Ueberzeugung, dass alles Wesentliche dem Menschen misslingt, den Glauben, dass es das Natürliche, so zu sagen, Regelmässige für den Mann sei, eine einzige grosse Liebesleidenschaft, die nie befriedigt werde, sein Leben hindurch zu hegen. In guter Uebereinstimmung hiermit heisst es in einem Brief aus Flaubert's letzten Lebensjahren, scherzhaft aber zugleich wehmüthig wahr: „Wir armen Arbeiter der Litteratur! warum verweigert man uns, was man so bereitwillig allen Spiessbürgern einräumt? Sie haben Herz! aber wir, nie und nimmer! So wiederhole ich Ihnen denn nochmals, dass ich eine unverstandene Seele bin, die letzte Grisette, der einzig Ueberlebende aus der alten Race der Troubadoure“.

 

Trotz alledem pflegte diese „unverstandene Seele“ sich nicht an die Frauen zu wenden, um Verständniss zu suchen. Er fürchtete die Liebe wie eine Gefahr und Last. Nur die Freundschaft war ihm eine Religion und unter seinen Freunden stand ihm Niemand so nahe, wie jener erste und bleibende Freund Bouilhet.

Ich weiss nicht recht, ob es Zeiten gegeben hat, die unabhängigen Geistern günstig gesinnt waren. Aber so viel ist gewiss, dass diese zwei jungen Männer, die in das Leben hinaustraten, als die Bourgeoisie unter Ludwig Philipp die Herrschaft errungen und ihren poetischen Ausdruck theils in der schwächlichen und rechtschaffenen École du bon sens, theils in den Lustspielen Scribe's erhalten hatte, die Zeit, die zu erleben sie das Schicksal hatten, die schlimmste von allen fanden. Die Romantik hatte sich überlebt und ihr eigenes Zerrbild geliefert. Ueberall war es guter Ton, den gesunden Verstand zu preisen und die Poesie zu verspotten. Begeisterung und Leidenschaft waren alte Moden und als solche lächerlich. Alles, was nicht mittelmässig war, wurde langweilig befunden. Die zwei Jünglinge fassten ihr Zeitalter als das der Mediokratie, der Mittelmässigkeitsherrschaft auf; sie sahen die siegreiche Mittelmässigkeit wie eine ungeheure, schwarze Wasserhose alles an sich saugen und mit sich fortwirbeln.

Das gab ihnen beiden einen Fond von Trübsinn und tiefem Ernst, eine Unterströmung von Menschenverachtung, eine Empfindung geistiger Isolirtheit und dadurch einen Hang zur Production unpersönlicher, untheilnehmender Art.

III

Aus dieser Stimmung heraus war es, dass Flaubert im reifern Mannesalter sich endlich entschloss, als Schriftsteller aufzutreten und „Madame Bovary“ schrieb. Es schlug eine eisige Kälte aus diesem Buche heraus; es war, als hätte der Verfasser endlich einmal die Wahrheit aus dem tiefen, kalten Brunnen, in welchem sie gelegen hatte, heraufgewunden und als stände sie jetzt auf ihrem Fussgestell frierend da und brächte das ganze kalte Schaudern des Abgrundes mit sich herauf. Ein sonderbares Buch, ohne irgend eine Art von Zärtlichkeit für seinen Gegenstand geschrieben. Andere hatten das Stillleben des Landes und der Provinz mit Wehmuth, mit Humor oder doch mit dem Idealisiren geschildert, das eine Betrachtung aus der Entfernung mit sich zu führen pflegt. Er sah es ohne Mitgefühl, stellte es so geistlos dar, wie es war. Seine Landschaften waren ohne sogenannte Poesie, nur kurz und vollständig geschildert. Er begnügte sich in seiner strengen Meisterschaft damit, die Hauptlinien und Hauptfarben zu geben, aber diese zeichneten und malten die Landschaft ganz. Und er hatte eben so wenig ein zärtliches Gefühl für seine Hauptperson – eine seltene Erscheinung bei einem Dichter, wenn diese Hauptperson wie hier eine junge und schöne sinnlich-reizende Frau ist, die in Sehnen, Schmachten und sinnlich-geistigen Begierden lebt, fehlt, und enttäuscht wird, verdirbt und zu Grunde geht, ohne eigentlich jemals unter das Niveau ihrer Umgebungen zu sinken. Aber jeder Traum, jede Hoffnung, jedes Blendwerk, jede naive und ungesunde Begierde, die durch ihr Gehirn ging, war untersucht und an das Licht gezogen, ohne Gemüthserregung, ja mit überschwebender Ironie. Es gab kaum eine Phase ihres Daseins, wo sie nicht lächerlich oder moralisch widerwärtig erschien, und erst, wo sie einen grässlichen Tod stirbt, trat die gedämpfte Ironie ganz zurück, und sie verschied zwar nicht als ein Gegenstand des Mitleids, aber doch auch nicht als ein Gegenstand der Verachtung.

Anscheinend war der Dichter sogar bei der Schilderung des Schreckens ihrer Todesstunde völlig kalt gewesen. Dass dieser Schein täuschte, beweist ein Brief von ihm, der sich in dem Werke „De l'intelligence“ von Taine (I, 94) findet: „Als ich die Vergiftung Emma Bovary's schrieb, hatte ich so ganz den Arsenikgeschmack im Munde, war so vollständig selbst vergiftet, dass ich zwei Tage nach einander nichts verdauen konnte, ja nach dem Mittagessen mich übergab“. Das seelische und körperliche Ergriffensein des Verfassers wurde im Roman durch die vollendete Selbstbeherrschung während der Ausführung verdeckt.

Es kam in dem ganzen Buch keine Persönlichkeit vor, mit welcher der Dichter etwas gemein hatte, keine, die er gedacht werden konnte in noch so geringem Grad zu sein oder sein zu wollen; die Personen waren alle ohne Ausnahme gewöhnlich, unschön, lasterhaft oder bedauernswürdig. Und er hielt sie auf diesem Punkte fest. Die junge Frau hat z. B. trotz ihrer gefährlichen Instincte in ihrer Sehnsucht nach dem Schönen, ihrem Bedürfniss des Idealen und ihrem lange anhaltenden Glauben an die Romantik der Liebe Eigenschaften, die – ein wenig anders oder doch schonender dargestellt – sie selbst in ihren Verirrungen hätten adeln können; was hätte George Sand nicht aus ihr gemacht! Aber Flaubert will eben nicht in die alten Spuren zurückfallen, und er beraubt geflissentlich die sogenannten schönen oder süssen Sünden jeglicher Poesie. Der betrogene Ehemann hat ebenfalls, trotz seiner Unfähigkeit als Arzt und seiner Plumpheit als Mensch, durch seine Güte, seine Geduld, seine Ehrenhaftigkeit und seine treue Bewunderung für Emma Elemente in sich, die unter anderen Umständen rührend gewirkt hätten; und er entfaltet bei ihrem Tode Eigenschaften, eine innige Anhänglichkeit, ein Selbstvergessen, die durch einen kleinen Druck von dem Finger des Dichters sich bedeutend oder doch Achtung gebietend hätten ausnehmen können. Aber der Dichter will dem Thon diesen kleinen Druck nicht geben, er hält aus Wahrheitsliebe die Gestalt beständig innerhalb der Grenze, die ihm die richtige scheint, lässt Bovary von Anfang bis zum Schluss ein gutmüthiger und würdeloser, unfähiger und unappetitlicher armer Teufel sein.

Es findet sich im Roman eine einzige, einigermassen sympathische Person, der kleine Apothekerjunge Justin, der aus der Entfernung Emma anbetet; und es gibt einen Augenblick nach ihrem Tode, wo der Dichter ihn fast idealisiren zu wollen scheint. Als alle fort sind, kommt er zu ihrem Grabe und es heisst:

„Auf dem Grabe zwischen den Tannen kniete ein weinendes Kind und seine Brust, die vor Schluchzen zu brechen drohte, stöhnte in dem Schatten unter dem Druck eines unermesslichen Schmerzes, der milder als der Mond und unergründlicher als die Nacht war“.

Man wundert sich, dass diese Zeilen Flaubert zum Verfasser haben. Aber dann wird fortgefahren: „Plötzlich knackte das Gitterthor. Es war der Todtengräber Lestiboudois; er kam um sein Grabscheit zu suchen, das er vorhin vergessen hatte. Er erkannte Justin, als dieser über die Mauer zurückkletterte und wusste jetzt, wer der Uebelthäter war, der ihm seine Kartoffeln stahl“.

Dieser Satz war der einzige, der aus der ersten Lectüre „Madame Bovary's“ nach zehn Jahren in meinem Gedächtniss geblieben war, und es ist ein bewunderungswürdiger Satz; er ist nicht willkürlich ironisch in Heine's Art; die Ironie ist hier Tiefsinn, das Werk eines allseitigen Geistes. Es ist natürlich, dass Justin beim Tode der angebeteten Dame innig und poetisch fühlt und es ist nicht minder natürlich, dass er früher Kartoffeln gestohlen hat und dass der Todtengräber durch geniale Intuition in dem Umstand, dass er über die Kirchhofsmauer steigt, ein Indicium seines Kartoffeldiebstahls sieht. Aber dass Flaubert zugleich diese beide Sachen, diese beiden Seiten des Lebens vor Augen hat, das ist ein Zeugniss seiner geistigen Stärke und einer Ueberlegenheit über den Stoff, die mir bewusst nie früher in dieser Form hervorgetreten ist.

Die künstlerische Ironie ist hier auch ganz anders unpersönlich, unzufällig und wahr, als bei Mérimée. Sie ist nur eine stereoskopische Anschauungsweise, die der Wirklichkeit Relief gibt, sie rund und frei hinstellt.

Es ist kein Wunder, dass man in dem Werke zuerst nichts anderes als diese Betrachtungsart und die Wirklichkeitstreue, die ihr Erzeugniss war, entdeckte. Wenn man von der kurzen Zeit absieht, wo die ganz einfältige Auffassung von Flaubert als einem unsittlichen Schriftsteller sich breit machte, so war die Vorstellung von ihm, die durchdrang, die: er sei, was man einen Realisten nannte. Er copire das Unbedeutende und das Wichtige mit derselben Gewissenhaftigkeit, nur mit einer Vorliebe für das Gewöhnliche und sittlich Abstossende; Alles stehe bei ihm in einem Plan, kräftig aber hart. Die Bewunderer des Buches fanden den Vortrag desselben merkwürdig; die Unwilligen meinten, die Art Flaubert's sei photographisch, nicht künstlerisch. Man erwartete oder fürchtete von seiner Hand neue Madame Bovary's.

Aber man wartete vergeblich; denn er liess nichts von sich hören. Die Jahre gingen hin und er war stumm. Endlich nach Verlauf von sieben Jahren trat er aufs neue mit einem Roman auf und die Lesewelt gab laut ihr Erstaunen kund. Man fand sich hier weit entfernt von den Dörfern der Normandie und dem neunzehnten Jahrhundert. Man fand den verschwundenen Verfasser „Madame Bovary's“ auf den Ruinen des alten Karthago wieder. Er stellte in „Salammbô“ nicht anderes und geringeres als Karthago zur Zeit Hamilcar's dar; eine Stadt und eine Civilisation, von der man fast nichts Zuverlässiges wusste, einen Krieg zwischen Karthago und den Miethstruppen der Stadt, der nicht einmal ein weltgeschichtliches oder sogenannt ideelles Interesse darbot. Einen Pariser Ehebruchsroman hatte man erwartet und erhielt jetzt statt seiner altpunische Cultur, Tanitscultus und Molochsanbetung, Belagerungen und Kämpfe, Schrecken ohne Zahl und Mass, den Hungertod eines ganzen Heeres und das langsame Martyrium eines gefangenen Libyschen Häuptlings.

Und das Sonderbarste war, dass all' dieses, über welches Niemand etwas wusste und das Niemand controlliren konnte, diese ganze ausgestorbene, wild barbarische Welt mit einer Anschaulichkeit und kleinlicher Genauigkeit hervortrat, die in nichts hinter derjenigen „Madame Bovary's“ zurückstand. Man entdeckte, dass die Methode, von der Beschaffenheit des Stoffes unabhängig, diesem colossalen und fremden, wie dem früheren alltäglichen Gegenstand gegenüber dieselbe war. Er hatte dem Publikum einen Possen gespielt, ihm auf durchschlagende Weise gezeigt, wie wenig es ihn verstanden hatte. Wenn Jemand ihn für einen an die Scholle gebundenen Realisten gehalten hatte, so konnte er jetzt lernen, wie Flaubert sich in den Sonnenländern zu Hause fühlte. Wenn Jemand gemeint hatte, dass ein kleinbürgerliches Leben in seiner Hässlichkeit und seiner Komik ihn zu fesseln vermöge, dass sein Talent holländischer Natur sei, so musste er jetzt entdecken, dass Flaubert die Schwärmereien seiner Jugend mit den Männern von 1830 getheilt hatte und dass er, ganz wie sie, sich von primitiven Leidenschaften und barbarischen Sitten angezogen fühlte. Doch bis zu welchem Grade Flaubert in Wirklichkeit die Sympathien und Naivetäten der Erzromantiker theilte, ahnten selbst nach „Salammbô“ die wenigsten. Die Sonne Afrika's und das Leben des Morgenlandes waren ihm durch Byron und Victor Hugo geheiligt und seine persönlichen Eindrücke hatten die poetischen nur befestigt. Der Kaffeegeruch gab ihm Hallucinationen von wandernden Karawanen und er verzehrte die abscheulichsten Gerichte mit einer religiösen Empfindung, wenn sie einen exotischen Namen hatten.

Flaubert hatte sein Aeusserstes gethan, um etwas hervorzubringen, das dem alten Karthago ähnlich sei. Er war aber Künstler genug um zu wissen, dass es nicht auf die äussere Wahrheit, sondern auf die innere, die man Wahrscheinlichkeit nennt, ankäme. Seine Schilderung kam Vielen unbedingt überzeugend vor; ein Zweifel an ihrer Uebereinstimmung mit der längst entschwundenen Wirklichkeit wurde von dem ersten Kritiker Frankreichs einmal in meiner Gegenwart mit einem einfachen „Ich glaube, dass sie wahr ist“ beantwortet. Aber den Zweiflern trat Flaubert offen und kühn in seiner Zurückweisung eines Angriffs von Sainte-Beuve mit den Worten entgegen: „Es handelt sich hier nicht um die Wahrheit. Ich kehre mich den Teufel um die Archäologie. Wenn die Farbe nicht Eine ist, wenn die Einzelheiten nicht übereinstimmen, wenn die Sitten nicht aus der Religion und die Begebenheiten sich nicht aus den Leidenschaften herleiten lassen, wenn die Charaktere nicht gehalten sind, wenn die Costüme nicht den Gewohnheiten und die Gebäude nicht dem Klima entsprechen, so ist mein Buch allerdings unwahr. Wenn nicht, nicht“.

Diese Aeusserung trifft den Nagel auf den Kopf; man fühlt das gute Gewissen des Meisters und die Autorität, die es ihm verleiht, in diesen Worten. Sein Werk war nicht, wie so viele späteren archäologischen Romane, eine Maskerade, bei der moderne Empfindungen und Lebensansichten in antiken Anzügen auftreten; nein, alles war hier aus einem Stück, hatte dasselbe wilde und fürchterliche Gepräge. Liebe, Schlauheit, Rachsucht, Religiosität, Charakterstärke, alles war unmodern.

 

Die Wahrheitsliebe des Dichters war hier augenscheinlich eben so innig und heftig wie in dem ersten Roman. Nur wurde es lächerlich, diesem Sieg über Tod und Vergangenheit gegenüber wider das Photographiren Flaubert's zu reden. Es liess sich also von diesem Buche aus ein richtigerer Gesichtspunkt für den Realismus des vorigen gewinnen. Dass Flaubert nicht zu den Copisten des zufällig Wirklichen gehörte, wurde klar. Man sah, dass seine Genauigkeit der Beschreibungen und Angaben in einer eigenthümlichen Präcision der Einbildungskraft wurzelte. Er hatte augenscheinlich in gleich hohem Grade die beiden Elemente, die das Wesen des Künstlers ausmachen, die Beobachtungsgabe und die Gestaltungskraft. Er hatte den Hang und die Fähigkeit zum Naturstudium und zum historischen Studium, das forschende Auge, dem kein Verhältniss zwischen den Einzelnheiten entschlüpft. Hier vom Photographiren zu sprechen, war unmöglich. Denn Studium ist etwas Actives, Feuriges, ist Blick für das Wesentliche; Photographiren dagegen ist etwas Passives, Maschinenartiges, und gleichgültig gegen den Unterschied zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem. Und Flaubert hatte ferner das Temperament des Künstlers, jene Gemüthsstimmung, die all das durch Beobachtung und Studium Gewonnene durchglüht und ausmünzt, und sich in diesem Prägen als Stil offenbart. Denn was ist Stil anders als der sinnliche Ausschlag des Temperaments, als das Mittel, durch welches der Schriftsteller das Auge des Lesers zwingt, so zu sehen, wie er gesehen hat! Der Stil macht den Unterschied aus zwischen der künstlerisch wahrheitsgetreuen Zeichnung und der gelungenen Photographie, und der Stil war allgegenwärtig bei Flaubert.

Kaum hatte er für irgend ein Werk seine Beobachtungen, seine Vorstudien gesammelt, als sie auch schon aufhörten, ihn als solche zu interessiren. Jetzt galt es, dies Buch in einer vollendeten Sprache zu schreiben. Und die Sprache wurde Alles und die Aufzeichnungen zum Buch schwanden zum Gleichgültigen, unbedingt Untergeordneten hin. Dass er genau und zuverlässig sei, pflegte er zu sagen, das sei kein Verdienst, nur einfache Rechtschaffenheit, die der Autor dem Publikum schulde, aber an und für sich habe die Wahrhaftigkeit nichts mit der Kunst zu thun; nein, donnerte er und schlug mit dem Arm aus, die einzige wichtige und ewige Sache unter der Sonne sei ein wohlgeformter Satz, ein Satz, der Hand und Fuss habe, der mit dem vorhergehenden und dem nachfolgenden zusammenhänge und der das Ohr erfreue, wenn man sich selbst ihn vorlese. So schrieb er ein kleines Stück jeden Tag, oft nur ein Paar Zeilen, wog jedes Wort, um Wiederholungen, Reimen, Härten zu entgehen, verfolgte ein wiederholtes Wort in einer Entfernung von dreissig, vierzig Zeilen, ja vertrug nicht einmal die Wiederholung derselben Silbe in einem Satz. Oft ärgerte ihn ein Buchstabe; er suchte Worte, wo dieser sich nicht fand, bisweilen ging er auf Jagd nach „r's“, wenn er einen rollenden Laut brauchte. Dann las er sich das Geschriebene laut vor, sang es mit seiner Stentorstimme hinaus, dass die Leute auf dem Wege vor seinem Hause stille standen. Viele nannten ihn den Advokaten, und glaubten, dass er sich auf Gerichtsreden einübe.

Er erlitt Qualen während dieses seines Strebens nach Vollkommenheit. Es waren die Geburtsqualen, die jeder Schriftsteller kennt, aber die seinigen waren so schmerzlich, dass er aufspringen und schreien, sich Dummkopf! Idiot! schelten konnte; denn kaum war ein Zweifel überwunden, als auch schon ein anderer erstand. An seinem Schreibtisch sass er wie magnetisirt, in stille Erwägung vertieft und versunken. Turgenjew, sein treuer und naher Freund, der ihn oft sah, erklärte, dass es rührend sei, ihn, den ungeduldigsten, so geduldig in dem Kampf mit der Sprache zu sehen. Er hatte einen Tag ununterbrochen an einer einzigen Seite seines letzten Romans gearbeitet, ging aus um zu essen, wollte, Abends zurückgekehrt, sich in seinem Bett an der Lektüre seiner Seite erbauen, fand sie aber schlecht, sprang – ein hoher Fünfziger wie er war – aus dem Bette heraus, fing in blossem Hemd an, die Seite umzuschreiben und schrieb sie die ganze Nacht hindurch um und wieder um, theils an seinem Tisch, theils, wenn die Kälte ihn davon vertrieb, im Bett.

Wie hat er seine Sprache geliebt und verflucht! Ist es nicht bezeichnend, dass er in „Madame Bovary“ nur an einer einzigen Stelle sich vergisst und in seinem eigenen Namen spricht, und das zwar, wo er in Folge der blasirten Gleichgültigkeit Raoul's gegen die Liebeserklärungen Emma's, die gewöhnlich lauteten und doch einer echten Leidenschaft entsprangen, fast entrüstet ausruft: „Als ob nicht das Vollgefühl der Seele bisweilen sich in den leersten Gleichnissen ergiesse, als ob Jemand das genaue Mass seiner Bedürfnisse, seiner Vorstellungen oder seiner Leiden anzugeben vermöge, da doch die menschliche Sprache nur ein geborstener Kessel ist, an dem wir Melodien hämmern, die so lauten, als spielten wir auf zu einem Bärentanz, wenn es unser Wunsch ist, durch sie die Sterne zu rühren“.

Eine solche Klage in einem solchen Mund ist dennoch, was sie dem menschlichen Worte zu sein abspricht, ein Mass für das schmerzliche Streben des grossen Stilisten nach künstlerischer Vollendung.

Wenn ein solches Streben sich einmal in einer Kunst gezeigt hat, kann es nicht aussterben. Kein in der Kunst Eingeweihter, der nach Flaubert geschrieben hat und der sein schriftstellerisches Ideal verstand, hat mit gutem Gewissen bedeutend oder wesentlich geringere Ansprüche an sich selbst stellen können als die seinigen waren. Deshalb sind die Freunde, die Geistesverwandten, die Schüler Flaubert's die strengsten und originellsten Stilisten unseres Jahrhunderts.

Nicht dass Flaubert selbst der Originalität des Stils theoretisch günstig war. Er glaubte naiv an einen einzigen idealen, unbedingt richtigen Stil. Er nannte diesen Stil, den er zu verwirklichen suchte, den ganz unpersönlichen, weil derselbe nichts war als ein Ausdruck seiner eigenen Persönlichkeit, die ihm in dem Geschriebenen nicht auffiel.

Guy de Maupassant hat witzig gesagt, dass das abgedroschene Wort: „Der Stil ist der Mann“, von ihm sich umkehren liesse: „Er war jener Mann, welcher der Stil war“. Er war so zu sagen der personificirte Stil. Es ist keine unwesentliche oder gleichgültige Sache, dass der Schriftsteller, der vor allen andern die moderne Richtung und die moderne Formel der französischen Litteratur vertritt, weit davon entfernt, ein Nachahmer des zufälligen Wirklichen oder (wie der Vorwurf gewöhnlich lautet) ein Photograph zu sein, umgekehrt der Künstler ohne Tadel war.