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III

Von Renan's drei ersten Dramen dürfte das gedankenreichste und tiefsinnigste denn doch „Der Priester in Nemi“ sein.

Die Fabel knüpft an eine Erzählung vom Tempel der Diana am Ufer des Nemi-Sees an, dessen Priester, um gesetzlich angestellt zu werden, (nach Strabo) seinen Vorgänger erschlagen haben soll. Renan denkt sich einen Priester im grauen Alterthum in Nemi, einen aufgeklärten Mann, der seinen Vorgänger nicht hat tödten wollen, sondern eine veraltete, vernunftwidrige Religion zu reformiren gedenkt, und zeigt nun, was die Folgen davon seien, ein Fünkchen Vernunft ins Menschenleben einführen zu wollen.

Es hat das eine doppelte Folge. Erstens fordert der Haufe, der sich nie eher zufrieden gibt, als bis glücklich eine Unthat verübt worden, einen regelrechten Verbrecher und Mörder zum Priester.

Zweitens kommt der freisinnige Priester sehr bald zu der Einsicht, dass er mit seinen guten Absichten mehr Uebles als Gutes gestiftet habe, indem er Vorurtheile antastete, auf welchen das Selbstbewusstsein seiner Landsleute beruhte. Man greift ihn als Feind der Religion an, er selbst aber ist religiöser als sie, die im Namen der Religion ihn bekämpfen. In der „Marseillaise“ stehen die bekannten Zeilen:

 
Liberté, liberté chérie,
Combat avec tes défenseurs!
 

Er kehrt in seiner Anrufung den Ausdruck um: Heilige Ueberlieferung der Vorzeit! Streite an der Seite derer, die dir widersprechen!

In Wirklichkeit ist der Priester zu Nemi nur der leicht umgewandelte Prospero. Allein er steht in einem neuen Verhältnisse zum Weibe. Sie ist nicht mehr die strahlende Courtisane, sie ist hier die von Gott (das heisst vom Priester) begeisterte Sibylle, die den Tempeldienst versieht. Carmenta ist der ewigen Jungfräulichkeit geopfert worden und leidet darunter, sie, die geschaffen, die Füsse ihres Messias zu salben und zu küssen.

„Vater“, spricht sie zu ihm, „wenn ich bei dir bin und deine Worte höre, so fühle ich, dass das Leben darin ist, obgleich ich dich nicht immer verstehe. Da bin ich denn zu jedem Opfer bereit und nehme mein Schicksal hin, so hart es ist. Doch, hält dein Blick mich nicht länger aufrecht, so falle ich zusammen“. Antistius antwortet ihr als wahrer Priester, dass das Weib den Mann, der Mann Gott lieben solle, und dass die Sendboten Gottes mehr geliebt werden sollen und müssen, als sie lieben.

Carmenta ist das den Genius des Mannes bewundernde Weib, während Imperia und Brunissende die blos fungirende Weiblichkeit repräsentirten, die vom Manne bewundert wird.

Nemi gehört zu Albalonga, das eine alte Kultur besitzt. Gegenüber liegen die sieben kahlen Hügel, auf welchen sich in Kurzem das junge, rohe kräftige Rom erheben wird. (Es wird hier auf das Verhältniss zwischen Frankreich und Deutschland angespielt.)

Carmenta prophezeit, dass eine Zeit kommen werde, da alle Welt Latein spricht. Sie prophezeit Rom eine ungeheure Zukunft, eine weit längere, als sie Albalonga beschieden sei. Sie prophezeit, dass eine neue Religion von Osten kommen und sich Europa unterwerfen werde.

Man betrachtet sie als halb verrückt und ihren Meister, der ihr solches in den Mund lege, als einen Landesverräther. Nein, da ist Tertius ein weit besserer Patriot. Er leugnet unbedingt, dass Rom eine Zukunft habe, nimmt Alles, was nur ehrenvoll für Albalonga, als gegeben an und will von nichts wissen, was nicht ursprünglich und authentisch Albalongisch.

Die echten Patrioten seines Schlages reizen zu einem unnöthigen und wahnwitzigen Kriege gegen Rom auf, den zu hintertreiben Antistius vergebens Alles aufbietet. Um den Sieg zu erlangen, bringen die Vaterlandsfreunde ihm eine Schaar junger Männer, die er auf ihren Wunsch den Göttern opfern soll. Allein der Priester weiss, dass der Glaube an Götter eine Lästerung Gottes, der Glaube an Gott eine Lästerung des Göttlichen sei. Er will die Gefangenen nicht opfern. Er spricht, ungefähr wie Jesaia lange vor ihm: „Seid gerecht, lasst Güte und Vernunft eure höchsten Götter sein!“ Die Patrioten erwidern, nicht dazu brauchten sie einen Priester, nicht dazu einen Tempel, um solche Wahrheiten verkündet zu hören. Sie hassen und verachten ihn als Gottesleugner und Schwächling.

Und des Antistius Widerstand ist fruchtlos. Andere rechtgläubige, conservative und verschmitzte Tempeldiener werden hinter seinem Rücken die Gefangenen dennoch ermorden, und nicht einmal diese selbst, vorbereitet wie sie auf den Tod waren, sind ihm für ihre vorläufige Befreiung im geringsten dankbar. Auch sie finden ihn halbverrückt und verleugnen ihn. Selbst die, welche er befreit, wissen ihm keinen Dank. Wohl mag er sich fragen, ob es der Mühe werth sei, sich für eine Brut zu opfern, die so tief steht und so unabwendbar der Unwahrheit geweiht ist. Er fühlt, dass geistige Einsamkeit das Los derer ist, die durch Geist oder Gemüth die Menge überragen.

Schlimmer für ihn ist jedoch die Einsicht, zu der er gelangt, dass die Anderen zum Theile Recht haben. Er begreift, dass er die Widerstandskraft seines Vaterlandes schwächt, wenn er über Rom die Wahrheit sagt, den Glauben an den Nationalgott zerstört und mit den barbarischen Bräuchen bricht, an denen sein Volk noch hängt.

Ja, nicht einmal seiner eigenen geistigen Befreiung kann er so recht froh werden. Anfangs empfand er sie als eine grosse Erleichterung, dann aber erkannte er, dass die Menschheit enger Gedanken bedürfe. Jeder Einzelne will seinen Gott haben, einen Gott, mit dem er schwatzen kann. Zuletzt hält Antistius sich kaum für berechtigt, etwas zu sagen oder zu thun, was sein Volk daran hindern könnte, zu siegen. Und doch summt es ihm im Ohr: Wehe der siegreichen Nation: Niemand ist dem Fortschritte feindlicher als sie. Dem Siege folgt stets die Reaction. Der Sieger ist der schlimmste Herr von allen.

Die Mächtigen im Staate beschliessen den Untergang des Priesters; nur über Art und Weise desselben herrscht Uneinigkeit. Man schlägt vor, einen Mörder für Geld zu dingen. – „Ganz unnöthig“, erklärt der typische Edelmann des Stückes. „Er wird auch so ermordet. Wenn es irgend ein Verbrechen oder eine Gemeinheit zu begehen gilt, findet sich immer Jemand, der sich gratis dazu hergibt“. Und er fügt hinzu: „Man ist im Allgemeinen der Ansicht, jede Niederträchtigkeit sei irgendwie bezahlt oder belohnt worden: Is fecit cui prodest. O Himmel, welch ein Irrthum!“ Mit anderen Worten: Niemand hat einen Nutzen davon. Alle leiden darunter. Und dennoch geschieht es.

Da kommt der Herold und verkündet: „Rom ist gegründet!“ Romulus hat seinen Bruder ermordet. Jede Stadt wird durch Brudermord errichtet. Der Fortschritt hier auf Erden beruht auf dem Hasse feindlicher Brüder. Alles, was Antistius vorhergesehen, wird nun in Erfüllung gehen, die Barbarei in Rom ihre Fortsetzung finden. Das Drama aber schliesst mit dem Ausspruche eines israelitischen Propheten (Jeremias 51, 58): „Die Völker mühen sich für nichts; die Mühe von Nationen geht im Feuer auf“.

1886 endlich schrieb Renan seine letzte, durchaus anders geartete dramatische Arbeit, die einzige, die kein reines Ideendrama ist, sondern sich der Art der gewöhnlichen Schauspiele nähert: „Die Aebtissin von Jouarre“, die ungeheures Aufsehen machte und gleich das erste Jahr einige zwanzig Auflagen erlebte – nicht um ihrer Vorzüge willen, sondern in Folge des Hallohs, mit dem ein Theil der Presse sie begrüsste und als unsittliches Werk, als eine Schande für den Autor stempelte. Dieses Drama allein spielt zu einem bestimmten historischen Zeitpunkte, während der Revolution, und hat eine einfache, nicht hochfliegende Idee, das Recht der Liebe, sich in ausserordentlichen Fällen über die von der Gesellschaft gezogenen, unter gewöhnlichen Verhältnissen nützlichen Schranken hinwegzusetzen.

Zwei zum Tode Verurtheilte begegnen sich im Gefängnisse des Collége Plessis, ein Edelmann und eine sehr vornehme Dame, die Aebtissin von Jouarre. Er liebte sie schon lange, sie aber war, wiewohl sie die Ideen des Zeitalters völlig theilt, durch ihr geistliches Gelübde gebunden. Nun überredet er sie, ihm anzugehören. Sie verbringen miteinander die letzte Nacht, die sie noch zu leben haben. Der Aussicht auf den nahen Tod gegenüber gelten die Bande, durch die sie gebunden wären, nicht mehr. Er allein aber wird hingerichtet. Ein junger Offizier, der sie in ihrer stolzen Schönheit vor dem Revolutions-Tribunal gesehen, setzt es durch, dass ihr Name aus der Liste der zum Tode Verurtheilten gestrichen wird, und am nächsten Morgen holt der Karren nur ihren Freund ab. In ihrer Verzweiflung fleht sie um den Tod, ja macht sogar einen fruchtlosen Selbstmordversuch.

Diese drei ersten Acte, die von der grossen italienischen Schauspielerin Eleonora Duse aufgeführt worden sind, bilden den eigentlichen Inhalt des Stückes. Daran schliessen sich noch zwei weitere, in welchen Julie, ihre sogenannte Schande mit Stolz tragend, einsam mit dem kleinen Mädchen lebt, das sie zur Welt gebracht hat, sich übrigens allseits mit Wohlwollen begegnet, von ihrem Bruder hochgehalten und bewundert sieht. Nach Jahren heirathet sie den Offizier, der ihr seinerzeit das Leben rettete und nun einer der Generale Bonaparte's ist. Das Stück schliesst mit der Einführung des Concordats, das sie ihres geistlichen Gelübdes entbindet.

An der Handlung selbst ist, wie man sieht, wenig oder nichts, das Anstoss geben könnte. Die Personen sind ohne Ausnahme höhere Menschen, hocherhaben über alle gewöhnlichen Standpunkte oder Triebe. In der Vorrede aber stand ein kühner Satz: „Ich denke mir oft, wenn die Menschheit die sichere Gewahr dafür erhielte, dass die Welt in zwei, drei Tagen zu Grunde gehen werde, so würde die Liebe von allen Seiten mit einer Art von Raserei losbrechen. Alles wäre dann gestattet. Nichts hätte Folgen. Da wollte die Welt einen Liebestrank trinken, dass sie stürbe in einem Wonnerausch“.

Daraus war allerdings deutlich zu ersehen, dass Renan auf die Entsagung um ihrer selbst willen keinerlei Gewicht legte. Journalisten, die vorher seine Anschauungen über das Verhältniss der beiden Geschlechter nicht beachtet hatten, wurde nun sein Grundgedanke klar, dass eines Jeden Pflichten und Tugenden durch die Forderungen bestimmt werden, die in seiner Natur liegen. Sie fanden den Gedanken haarsträubend oder stellten sich so.

 

Und doch ist dieser Gedanke so einfach, so ganz danach angethan, Billigung zu finden.

Es war für den heiligen Franciscus keine Pflicht, ein Denker zu sein.

Es wäre kein Gewinn gewesen, wenn Raffael ein ehrbares Leben geführt hätte.

Es war für Goethe eine Pflicht, der Rücksicht auf seine Kunst jede andere zu opfern.

Mit anderen Worten: Die das Gesetz übertretende Unregelmässigkeit des Künstlers kann höhere Moral sein. Die selbstsüchtige Bedachtnahme des Genies, Alles, was nur in seiner Macht liegt, auszurichten, kann höchste Pflicht sein. Die sittliche Ueberlegenheit des Heiligen ist in ihrer Art Genie.

Ausschlaggebend ist nur, dass ein Franciscus, ein Raffael, ein Goethe hervorgebracht werden. Der grosse Mensch ist vorläufig das Ziel der Natur und des Menschenlebens, weil durch die grossen Menschen Existenz und Herrschaft des höchsten Wesens, das, was man in alten Tagen „das Reich Gottes“ nannte, vorbereitet wird. Wenn dereinst die wissenschaftliche Allmacht in den Händen guter und gerechter Wesen vereinigt sein wird, dann endlich wird Gott allmächtig und allgütig geworden sein.

Bis dahin müssen die Menschen sich gleichsam in einer Hierarchie fühlen. Der geringere Geist muss das Leben des höheren mitleben. Wie die Gefährten Alexanders des Grossen von Alexander lebten, so muss die grosse Menge stets durch Stellvertreter denken und zum Theil auch geniessen. Sie ist darum nicht unglücklich. Eine Stufenleiter ist es. Der höhere Geist lebt das Leben der höchsten Geister.

IV

Renan ist kein wirklicher Dramatiker und hat sich auch nie dafür ausgegeben. Seinen Schauspielen fehlt knappe, geschlossene Form, seinem Dialoge Kraft, seinen Personen in der Regel Leben. Seine Frauengestalten: Imperia, Brunissende, Carmenta, die Aebtissin, sind indess interessante Grundrisse (die Courtisane – die Sibylle – die stolze, edle Weltdame). Nur eine Gestalt hat er jedoch, als der Lyriker, der er ist, mit Sorgfalt und Liebe ausgeführt, seine eigene, die Prospero-Figur, die in drei verschiedenen Schauspielen wiederkehrt, den Seher, den höheren Menschen, in dem die Zukunft keimt und reift.

Renan's „Caliban“ erinnert ein wenig an „Die gottlose Comödie“ des polnischen Dichters Krasinski, in welcher die plumpe Demokratie in ähnlicher Weise personificirt ist. Der Geist aber, der in jener Dichtung herrscht, ist veraltet, ist der eines halb gläubigen, halb zweifelnden Katholicismus.

Vergleicht man Renan's Schauspiel mit dem Shakespeare's, das er nach einem Zeitraume von dreihundert Jahren fortzusetzen versuchte, so sieht man bei dem Vergleiche recht deutlich, wie gross die Ueberlegenheit der Renaissance in künstlerischer, die unseres Zeitalters in wissenschaftlicher Beziehung ist. Renan's Gestalten sind Schatten gegen die Shakespeare's; Shakespeare's Ideen aber sind naiv gegen die Renan's.

Stellt man endlich im Geiste einen Augenblick wirklich moderne Schauspiele wie die von Ibsen denen von Renan gegenüber, so ist der Gegensatz nicht allein wiederum der zwischen eigentlichen Dichterwerken und einfach Ideen entwickelnden Dialogen, sondern jener zwischen einer bis zur Spitzfindigkeit scharfsinnigen Seelenkunde und der Fähigkeit zu grossen Ausblicken über die Vergangenheit und Zukunft der Menschheit. Der psychologischen Einsicht Ibsen's entspricht bei Renan die weltüberschauende Uebersicht. Beide sehen sie schwarz, ohne deshalb Pessimisten genannt werden zu wollen oder mit Recht genannt werden zu können.

Bei Ibsen ist die Technik die eines Meisters; bei Renan kann kaum von etwas wie Technik die Rede sein, so nachlässig ist das rein Dramatische behandelt. Dafür aber auch wieder kein Einprägen eines Charakterzuges, nie das Gehämmer auf eine und dieselbe Wendung („die compacte Majorität“, das „Spannende“), zu welchem sich derjenige genöthigt sieht, der für ein Theater-Publikum schreibt. Bedarf dieses doch immer einer groben Deutlichkeit um zu verstehen.

Es ist in diesen Schauspielen wie überhaupt bei Renan der Stil ein vollendeter, zugleich melodisch und von Rhetorik chemisch rein. Hier sind alle Gedanken leicht hingeworfen, wie man Seifenblasen aus einer thönernen Pfeife bläst und sich damit vergnügt, die Sonne auf ihrer leichten Kugel- und Erdballform spielen zu sehen.

Nichts ist hier massiv, Alles wie im Gespräche von einem geistvollen Manne dargelegt, der mancherlei ernst, mehrerlei noch im Scherz zu sagen versteht, es ebenso versteht, sich selbst so entgegenzutreten, dass der Zuhörer sich dieser Mühe ganz und gar überhoben sieht. Hier ist nichts dogmatisch, nichts vierschrötig. Nirgends ein Keulenschlag nach dem Falter Wahrheit.

Alles löst sich in feine Uebergänge und Abschattungen auf. Kurz, eine flüchtige und vornehme Kunst dies, Phantasmagorien einer überaus feinen Laterna magica – die lang die Menschheit erfreute, nun aber für immer erloschen ist.

Gustave Flaubert.
(1881.)

Gustave Flaubert wurde 1821 in Rouen geboren. Als er 1880 durch einen plötzlichen Tod daselbst verschied, hinterliess er die europäische Dichtkunst nicht in dem Zustand, in welchem er sie vorgefunden hatte – kein Künstler kann als solcher sich einen bessern Nachruhm wünschen. Die Arbeit seines Lebens bezeichnet einen Schritt in der Geschichte des Romans.

Er war ein Prosaschriftsteller ersten Ranges, einige Jahre hindurch wohl der erste Frankreichs. Seine Stärke als Prosaist beruhte auf einer künstlerischen und litterarischen Gewissenhaftigkeit, die sich bis zur Genialität erhob. Er wurde ein grosser Künstler, weil er keine Mühe scheute, weder wenn er sich zum Schreiben vorbereitete, noch wenn er schrieb, sondern Beobachtungen und Aufklärungen mit der Sorgfalt eines blossen Gelehrten sammelte und seinen Stoff mit der Leidenschaft eines blossen Formanbeters plastisch und harmonisch zu gestalten strebte. Er wurde ein Meister des modernen Romans, weil er die Selbstüberwindung hatte, nur wahre seelische Vorgänge darstellen zu wollen und allen Effecten der dichterischen Beredsamkeit, allen pathetischen oder dramatischen Momenten, welche auf Kosten der Wahrheit schön oder interessant erscheinen, aus dem Wege ging. Sein Name ist mit künstlerischem Ernst und litterarischer Strenge gleichbedeutend.

Er war nicht ein Gelehrter, der zugleich Dichter war oder in dem Verlauf seines Lebens Dichter wurde; seine dichterische Arbeit als solche ist auf eindringlichen, langsam gewonnenen Vorstudien begründet. Seine Bücher haben nichts Jugendliches oder Flatterhaftes, nichts Lächelndes oder Gewandtes. Diese Bücher sind Resultate der langsamen und späten Reife. Er debutirte erst, als er 35 Jahre alt war, und hinterliess, obwohl er der Litteratur alle seine Zeit gewidmet hatte, in seinem 59. Jahre nur sieben Werke24.

Er war eine tief ursprüngliche, aber keine elementarische Natur. Seine Originalität beruhte darauf, dass in seinem Gemüthe zwei geistige Strömungen zusammenliefen und einen neuen Born bildeten. Er erhielt in seiner Jugend gleichzeitig oder fast gleichzeitig zwei Impulse, welche die Laufbahn seines Geistes bestimmten.

Die erste Strömung, die ihn erreichte, war die romantisch-beschreibende Richtung in der Litteratur, die Chateaubriand entstammt, der lyrisch bewegte und farbenprächtige Stil, der in „Atala“ und „Les Martyrs“ die Franzosen zum ersten Male bezauberte und später in Victor Hugo's „Les Orientales“ und „Notre Dame de Paris“, einen noch viel festeren und mächtigeren Rhythmus und eine weit überlegene malerische Kraft gewann. Flaubert war, wie alle Dichter und die meisten Menschen, als Jüngling lyrisch gestimmt gewesen. Seine, nie gedruckten, lyrischen Versuche wurden durch die geschichtliche Entwickelung der französischen Poesie farbenschillernde melancholisch-religiöse Huldigungen der Schönheit. Der zweite Strom, der in sein Inneres hineingeleitet wurde, war die Richtung der Romane Balzac's auf das Moderne, ihr Sinn für das Hässliche und Brutale als charakteristisch, ihr leidenschaftlicher Hang zur Wirklichkeit und ihre Treue der Beobachtung.

Indem diese zwei Flüsse bei ihm zusammenströmten und nach Verlauf einiger Zeit sich mit einander mischten, erhielten sie eine neue Farbe und einen neuen Namen.

Er hatte als Jüngling für die Schubladen seines Schreibtisches viel descriptive und pathetische Lyrik in Hugo's, Gautier's und Byron's Stil geschrieben; aber in der richtigen Empfindung, dass seine Ursprünglichkeit sich nicht in dieser Richtung geltend machen könne, und dass man auf diesem Gebiet überhaupt nicht mehr ursprünglich zu sein vermöge, hielt er seine Productionen zurück und fand sich darein, für unbegabt, jedenfalls für unfruchtbar angesehen zu werden. Er schrieb ungefähr zur selben Zeit Versuche entgegengesetzter Art; er pflegte eine komische Tragödie über die Kuhpocken zu nennen; aber auch diese Versuche gab er nicht heraus. Erst da Chateaubriand und Balzac in seinem Gemüth eine neue poetische Form erzeugt hatten, fühlte er sich seiner Originalität gewiss und trat öffentlich auf.

I

Selbst denen, die wenig oder nichts von Flaubert gelesen haben, ist es bekannt, dass er im Jahre 1856 mit einem Roman „Madame Bovary“ ein ausserordentliches Aufsehen in Paris und bald darauf in Europa machte. Ein thörichter Process – der Staatsanwalt klagte den Verfasser unsittlicher Tendenzen an – und eine entschiedene Freisprechung durch die Jury vermochte nur wenig die Aufmerksamkeit zu vermehren, die das eigenthümliche neue Talent schon an und für sich erregte. Das Buch erschien, wie alle neuen Anfänge in der Litteratur, sonderbar und anstössig. Es war ein Zeichen des Widerspruchs. Man verglich es mit den Dichtungen einer älteren Zeit und sagte sich: Ist dies Poesie? Es erinnerte manch' Einen mehr an Chirurgie, Anatomie. Noch weit später hiess es in litterarischen Kreisen in Paris, wo man einem früheren Begriff von Poesie treu blieb: „Wir bedanken uns für die Skelette des Herrn Flaubert“. Der Verfasser wurde Ultrarealist genannt, man fand in seinem Roman nur die unbarmherzige, unerbittliche Physiologie des Alltäglichen in dessen trauriger Hässlichkeit.

Man übersah im ersten Augenblick, dass ab und zu diesem Physiologen ein zwar durchaus unpersönlicher, aber bildlicher, farbenreicher Ausdruck entschlüpfte, der von einer ganz andern Welt als derjenigen des Romans Botschaft zu bringen schien. Das halbgebildete Publikum merkte nicht, dass diese Schilderung platter Provinzverhältnisse und Provinzunglücksfälle, erbärmlicher Irrthümer und eines elenden Todes in einem Stil vorlag, der zugleich klar wie eine Spiegelfläche und dem Ohre musikalisch wohlthuend war. Es lag ein Lyriker unter dem Buche begraben, und bisweilen schlug ein Flammenwort aus dem Grabe empor.

Es war eben der Zeitpunkt, wo die Generation, die zwischen 1820 und 1830 geboren war, sich der Herrschaft in der Litteratur bemächtigte und ihr physiognomisches Gepräge in einer mit kalter Energie durchgeführten Analyse des Wirklichen offenbarte. Die neue Generation wandte sich von dem philosophischen Idealismus und der Romantik ab und schwang mit wahrem Enthusiasmus das Seccirmesser. In demselben Jahre, wo „Madame Bovary“ erschien, anatomirte Taine in seinem Werk „Les philosophes français du 19me siècle“ die herrschende spiritualistische Lehre, vernichtete Cousin als Denker und erklärte, ohne die Romantiker zu bekämpfen, mit kühler Gleichgültigkeit, dass Hugo und Lamartine schon Classiker seien, die von der Jugend eher aus Neugier, als aus Sympathie gelesen würden, und die ihr so ferne standen, wie Shakespeare und Racine. Sie seien „bewunderungswürdige und ehrwürdige Ueberreste eines Zeitalters, das gross war und nicht mehr existire“. Sein Zeitgenosse Sarcey schrieb nicht viel später im „Figaro“ jenen von Banville, dem Zögling der grossen Romantiker, vielbesungenen und vielverspotteten Artikel, der in den Worten gipfelte: „Vorwärts, meine Freunde! Nieder mit der Romantik! Hoch Voltaire und die Normalschule!“25 In der dramatischen Poesie schien die Opposition gegen die Romantik mit der kleinen unfruchtbaren École de bon sens gescheitert; Ponsard und seine Geistesverwandten hatten lange nicht das halten können, was man sich von ihnen versprach. Aber neuere realistische Dramatiker schlossen sich eben zu jenem Zeitpunkt ihnen an. Augier, der seine ersten Poesien Ponsard gewidmet hatte und der anfangs der sentimental-bürgerlichen Richtung desselben gefolgt war, betrat 1855 eine neue Bahn drastischer Schilderung der unmittelbaren Gegenwart. Der kühnere, derbere Dumas hatte ihm eben den Weg gezeigt, und bei diesem fängt trotz aller Pietät für die Generation, der sein Vater angehörte, die directe und treffende Verspottung der romantischen Ideale an; man sehe die Rollen de Nanjac's in „Le Demi-monde“, de Montègre's in „L'ami des femmes“. Das Wort, das Montègre durch die Ueberlegenheit de Ryon's in Verwirrung gebracht, demselben erwidert: „Vous êtes un physiologiste, Monsieur“, war in Wirklichkeit die einzige Antwort, welche die ältere Generation der Kritik der jüngeren entgegenzustellen hatte.

 

Augier ist 1820, Dumas 1824, Sarcey und Taine sind 1828 geboren. Der Dichter Madame Bovary's, der 1821 das Licht der Welt erblickte, hatte augenscheinlich unter seinen nächsten Zeitgenossen Verwandte. Er war von ihnen durch seine geheime unerschütterliche Treue gegen die Ideale des vorigen Geschlechts verschieden. Aber er machte den Angriff auf die Karikaturen jener Ideale so rücksichtslos mit, dass man ihn ohne Weiteres zu der Gruppe der Antiromantiker rechnete.

Und doch erinnert er durch seine Härte und Kälte fast noch mehr an den in der vorigen Generation alleinstehenden Mérimée, ja er schien Vielen nur ein schwererer, breiterer Mérimée. Denn was an ihm zuerst auffiel, das war der kaltblütige Dichter, und diese zwei Bestimmungen: kaltblütig und Dichter, die sich bisher ausgeschlossen hatten, waren nur bei Mérimée vereint erschienen.

Ein näheres Studium würde doch erwiesen haben, dass die Kaltblütigkeit Mérimée's ganz andersartig war als diejenige Flaubert's. Mérimée behandelte romantische Stoffe in einem unromantischen, trockenen und knappen Stil. Sein Ton und sein Stil stimmten überein, denn der Ton war ironisch und der Stil bildlos und kalt. Mit Stil und Ton stand aber die Wildheit, die barbarische Leidenschaftlichkeit der Gegenstände in Widerspruch.

Bei Flaubert dagegen stimmte der Stoff und der Ton überein; denn er stellte mit unendlich überlegener Ironie das Leere und Thörichte dar. Aber mit dem Stoff und dem Ton stand der Stil in Widerspruch. Derselbe war nicht wie bei Mérimée rationell und mager; er war farbenstrahlend und harmonisch. Der Dichter breitete den goldgewirkten Schleier dieses Stils über all' das Platte und Traurige aus, das er erzählte. Wenn man das Buch laut vorlas, erstaunte man über die Musik dieser Prosa. Der Stil enthielt tausend melodische Geheimnisse; er ironisirte über die menschliche Schwäche, das ohnmächtige Sehnen und Trachten, den Selbstbetrug und die Selbstzufriedenheit mit einem Accompagnement von Orgelmusik. Während der Chirurg im Texte, ohne Theilnahme an den Tag zu legen, zerfleischte und zerriss, schluchzte ein schönheitsliebender Lyriker in der Begleitung. Schlug man eine solche Seite auf, in der ein Dorfapotheker sein halbwissenschaftliches Geplauder vortrug, in der eine Diligencetour geschildert oder eine alte Mütze beschrieben wurde, so war sie, stilistisch betrachtet, durch die Frische der Ausdrücke und durch den soliden Satzbau farbig und dauerhaft wie ein Mosaik-Gemälde. So fest war jeder Absatz zusammengeschrieben, dass Flaubert selbst die Empfindung hatte, man könne nirgends zwei Worte wegnehmen, ohne dass, rhythmisch gesprochen, die ganze Seite zusammenfalle. Die sichere Feinheit der Bilder, der Erzklang der Wortverbindungen, die rollende Breite der Prosarhythmen gaben der Erzählungsweise eine erstaunliche, bald malerische, bald komische Kraft.

Es lag augenscheinlich in seinem Naturell etwas eigenthümlich Doppeltes. Sein Wesen bestand aus zwei Elementen, die sich vervollständigten: ein brennender Hass gegen Dummheit und eine unbegrenzte Liebe zur Kunst.

Jener Hass fühlte sich, wie oft der Hass, unwiderstehlich von seinem Gegenstand angezogen. Die Dummheit in all' ihren Formen als Thorheit, Albernheit, Aberglaube, Dünkel, Spiessbürgerlichkeit zog ihn magnetisch an, reizte und inspirirte ihn. Er musste sie Zug für Zug malen, fand sie an und für sich unterhaltend, selbst wo Andere sie nicht interessant oder komisch finden konnten. Er legte förmliche Sammlungen von Dummheiten an, bewahrte sinnlose Processeinlagen, abgeschmackte Illustrationen haufenweise auf, besass eine Sammlung schlechter Verse, die nur von Aerzten geschrieben waren; jedes Zeugniss der menschlichen Dummheit als solches war ihm von Werth. Er hat in seinen Werken auch nichts anderes gethan, als mit Meisterhand der menschlichen Beschränktheit und Verblendung, unserm Unglück, insofern es auf unserer Dummheit beruht, Denkmäler zu setzen. Ich fürchte fast, dass die Weltgeschichte ihm die Geschichte der menschlichen Dummheit war. Sein Glaube an den Fortschritt des Geschlechts war äusserst schwankend. Der Haufe, sogar das lesende Publikum war ihm „der ewige Dummkopf, der man genannt wird.“ Wollte man eine Bezeichnung dieser Seite seines Wesens haben und ihn absolut mit einem jener so beliebten, ihm so verhassten Worte auf „ist“ stempeln, so wäre er nicht mit vollem Recht Pessimist, nicht einmal Nihilist zu nennen; Imbecillist würde das Wort sein.

Dieser unablässigen Verfolgung der Dummheit, deren erbitterter Charakter sich hinter seiner unpersönlichen Form verbarg, entsprach nun, wie gesagt, eine leidenschaftliche Liebe zur Litteratur, die ihm die Schönheit und die Harmonie bedeutete, die ihm die höchste Kunst vertrat und die er mit einem Streben nach Vollkommenheit pflegte, das ihn erst lange stumm, dann spät zum Meister und dann wieder früh unfruchtbar machte. Er litt, wenn er das Alltägliche vorführte, selbst am meisten darunter, suchte deswegen durch die Kunst der Behandlung den Stoff zu heben, und da ihm die wichtigste Eigenschaft des Schriftstellers die Plastik war, strebte er vor allem nach Anschaulichkeit. Er hat es gelegentlich selbst gesagt, und man empfindet es, wenn man ihn durch seinen Stil studirt.

Schon in seinem ersten Werk traten alle Vorzüge dieses Stils hervor.

Man lese die Stelle nach, wo in „Madame Bovary“ Emma, noch unverheirathet, Bovary nach seinem ärztlichen Besuch bei ihrem Vater zur Thür hinaus folgt: „Sie begleitete ihn immer bis zur ersten Stufe der Freitreppe. Wenn sein Pferd noch nicht vorgeführt war, blieb sie da. Man hatte sich Adieu gesagt, man sprach nicht mehr; die frische Luft umgab sie, hob die flaumweichen Haare ihres Nackens oder schlug die Bänder ihrer Schürze, die sich wie Fähnlein wickelten und wanden, um ihre Hüften. Ein Mal, als es Thauwetter war, sickerte das Wasser von der Rinde der Bäume im Hof und der Schnee schmolz auf den Dächern der Gebäude. Sie stand auf der Schwelle; sie ging zurück, ihren Sonnenschirm zu holen, spannte ihn auf. Der Schirm, der von grünblauer Seide war und durch den die Sonne schien, erhellte mit beweglichen Reflexen die weisse Haut ihres Gesichts. Sie lächelte unter ihm, von den lauen Lüften umspielt; und man hörte die Regentropfen, einen nach dem andern, auf das gespannte Zeug fallen“.

Eine so geringfügige Sache wie dies gewöhnliche Abschiednehmen wird durch die liebevolle Sorgfalt der Schilderung interessant, und der reguläre Abschied erhält individuelles Leben durch die Hervorhebung eines einzelnen Tages, an dem übrigens nichts passirt. Die Genauigkeit, mit welcher die alltägliche Situation dargestellt ist, verwandelt sie zu einem Gemälde hohen Ranges, das zugleich das Sichtbare und das Hörbare, zugleich das Tableau und die Bewegung wiedergibt.

Oder man erinnere sich der Stelle, wo Emma nach ihrer Verheirathung zum ersten Mal verliebt wird:

„Emma wurde mager, ihre Wangen bleich; ihr Gesicht verlängerte sich. Mit ihrem schwarzen, in breiten, glatten Streifen gescheitelten Haar, ihren grossen Augen, ihrer geraden Nase, ihrem Vogelgang und immer schweigsam, wie sie war, schien sie das Dasein zu durchschreiten fast ohne es zu berühren und an der Stirn das undeutliche Gepräge irgend einer erhabenen Vorherbestimmung zu tragen. Sie war so traurig und so ruhig, zugleich so milde und so zurückhaltend, dass man sich in ihrer Nähe von einem eisigen Zauber ergriffen fühlte, wie man in Kirchen zittert, wo der Duft der Blumen sich mit der Kälte des Marmors vermischt“.

24Die Titel sind: Madame Bovary, Salammbô, L'éducation sentimentale, La Tentation de Saint-Antoine, Le Candidat, Trois Contes, Bouvard et Pécuchet.
25Man sehe Th. de Banville: Odes funambulesques: Villanelle des pauvres housseurs und zwei Triolette. Die Normalschule ist die höhere Unterrichtsanstalt für Lehrer, aus der Taine, About und Sarcey gleichzeitig hervorgingen.