Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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VOM FALL GALILEI ZUM SKANDAL

Auch die ebenfalls in italienischer Sprache abgefassten »Discorsi« wurden erst 250 Jahre später, Ende des 19. Jahrhunderts, nun längst teilweise Allgemeingut der Wissenschaft, ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel »Unterredung und mathematische Demonstration über zwei neue Wissenszweige die Mechanik und die Fallgesetze betreffend« 1890 in Leipzig veröffentlicht. Wurde da erst, Ende des 19. Jahrhunderts und dann vehement im 20., der »Fall Galilei« zum »Skandal«? Mit endlosen historischen Kontroversen und einigen öffentlichkeitswirksamen Werken in Literatur, Filmen und Hörspielen. Deren berühmtestes Stück, »Leben des Galilei«, schrieb Bertolt Brecht 1938 im dänischen Exil. Damit rückte er, ganz aktuell, die kirchliche Inquisition in die Nähe des Nazi-Regimes mit Gestapo und Konzentrationslager, aber auch der stalinistischen Sowjet-Diktatur mit Schauprozessen und unmenschlichem Gulag. Beidem war zweifellos Galileis Villa-Arrest vorzuziehen, meinte Brecht. Ihm schwante, dass als Resultat wissenschaftlichen Bemühens nun auch die Atombombe drohe, ungebremster Forscherdrang werde die Selbstvernichtung der Menschheit ermöglichen.

VERMINTES GELÄNDE

Was es mit all dem auf sich hat, wollen wir zum 450. Geburtstag Galileis genauer wissen und klarer im Überblick durchschauen. So wie er in Physik und Astronomie ungeachtet der Vor-Urteile und Vor-Antworten alles gründlicher untersucht hat. Allerdings: Wir betreten hinreichend vermintes Gelände. Der Autor und die Leser. Alle, die sich Galileo Galilei nähern wollen. Einem – wir bekräftigen es noch einmal – wahrhaft Großen der europäischen Naturwissenschaft, einem Bedeutenden der abendländischen Geistesgeschichte. Der allerdings auch – das sei ebenfalls unumwunden festgestellt – ein Umstrittener ist, weil er selbst voll Ehrgeiz zu heftigem Streit und Konkurrenzkampf bereit war, im Bemühen um neue Erkenntnisse, im Kampf um die »richtige« Wahrheit, mit Kollegen und mit der damaligen »Obrigkeit«, der Kirche. Einer, der bis heute von anhimmelnden wie abschätzigen Urteilen umgeben ist. Der von Mythen und Legenden umschleiert ist, von demütigen Entschuldigungen mehrerer Päpste rehabilitiert, und immer noch ein Stachel des Ungeklärten im scheinbar längst Bekannten zu sein scheint. Der Publizist Ingo Langner etwa hat dies in einem Gespräch mit dem ehemaligen Chef-Historiker des Vatikans, Kardinal Walter Brandmüller, noch einmal herausgearbeitet (»Der Fall Galilei und andere Irrtümer. Macht, Glaube und Wissenschaft«, Augsburg 2006).

Galilei – ein Streitfall, auch nach Jahrhunderten. Und das ist gut so. Diesen Skandal wollen wir darstellen. Das ist spannend und ganz modern. Mit Entrüstung, Empörung, Verdammung und der umsichtigen Suche nach einem fairen Urteil. Dazu ist die Veröffentlichung des geistespolitischen Hauptwerks von 1630/32, des »Dialogs über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme«, und des erzwungenen Widerrufs im Juni 1633 außerordentlich hilfreich.

Es lohnt sich dabei, den vollständigen schwierigen Text dieser Abschwörung aufmerksam zu lesen. Denn es fällt sofort auf, dass er für den kurzen Sachverhalt ungewöhnlich lang ist. Galilei (vorher): »Die Erde dreht sich.« Galilei (nachher): »Doch nicht.«

Stattdessen präsentiert das Dokument verschraubte überlange Sätze, in denen Galilei etwa sagt: »Wenn Ihr meint, dass das, was ich am Himmel gesehen habe, dem kirchlichen Glauben widerspricht, dann will ich Euch als gläubiger Christ und guter Katholik nicht widersprechen und mir in meinem Alter weitere Unannehmlichkeiten ersparen. Also unterschreibe ich.« Und sinngemäß murmelte er: »Ihr seid schlechte Theologen und ich bleibe ein guter Naturwissenschaftler.« Was beides richtig war.

DAS DOKUMENT DER ABSCHWÖRUNG

Der vollständige Wortlaut des Dokuments (nach der Übersetzung von Emil Strauss, 1891, aus dem italienisch-lateinischen Original):

»Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzio Galilei aus Florenz, siebenzig Jahre alt, persönlich vor Gericht gestellt und kniend vor Euren Eminenzen, den Hochwürdigsten Herren Kardinälen General-Inquisitoren gegen die ketzerische Bosheit in der ganzen christlichen Welt, vor meinen Augen habend die hochheiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre, schwöre, dass ich immer geglaubt habe, jetzt glaube und mit Gottes Hülfe in Zukunft glauben werde alles, was die heilige katholische und apostolische Römische Kirche für wahr hält, predigt und lehrt.

Da ich aber, – nachdem mir von diesem heiligen Officium der gerichtliche Befehl verkündet worden, ich müsse die falsche Meinung, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege, ganz aufgegeben und dürfe diese falsche Lehre nicht für wahr halten, verteidigen, noch in irgendwelcher Weise lehren, weder mündlich noch schriftlich, und nachdem mir eröffnet worden, dass diese Lehre der Heiligen Schrift widerspreche, – ein Buch geschrieben und in Druck gegeben, in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine Widerlegung derselben beizufügen, und da ich mich dadurch diesem heiligen Officium der Ketzerei stark verdächtig gemacht habe –, nämlich (verdächtig) für wahr gehalten und geglaubt zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege: – darum, da ich wünsche, Euren Eminenzen und jedem Christgläubigen diesen gegen mich mit Recht gefassten Verdacht zu benehmen, schwöre ich ab, verfluche und verwünsche ich mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben besagte Irrtümer und Ketzereien und überhaupt allen und jeden anderen der besagten heiligen Kirche widersprechenden Irrtum und Sektiererglauben.

Und ich schwöre, dass ich in Zukunft niemals mehr etwas sagen oder mündlich oder schriftlich behaupten will, woraus man einen ähnlichen Verdacht gegen mich schöpfen könnte, und dass ich, wenn ich irgendeinen Ketzer oder der Ketzerei Verdächtigen kennenlerne, denselben diesem heiligen Officium oder dem Inquisitor und Ordinarius des Ortes, wo ich mich befinde, denunzieren will.

Ich schwöre auch und verspreche, alle Bußen pünktlich zu erfüllen und zu beobachten, welche mir von diesem heiligen Officium sind aufgelegt worden oder werden aufgelegt werden. Und sollte ich, was Gott verhüten wolle, irgendeiner meiner besagten Versprechungen, Beteuerungen oder Schwüre zuwiderhandeln, so unterwerfe ich mich allen Strafen und Züchtigungen, welche durch die heiligen Canones und andere allgemeine und besondere Konstitutionen gegen solche, die sich in solcher Weise vergehen, festgesetzt und promulgiert worden sind. So wahr mir Gott helfe und diese seine heiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre.

Ich, besagter Galileo Galilei, habe abgeschworen, geschworen und versprochen und mich verpflichtet wie vorstehend, und zur Beglaubigung habe ich diese Urkunde meiner Abschwörung, die ich Wort für Wort verlesen, eigenhändig unterschrieben. Rom im Kloster der Minerva am 22. Juni 1633.

Ich, Galileo Galilei, habe abgeschworen wie vorstehend, mit eigener Hand.«

DER HISTORISCHE FALL UND SEINE SKANDALISIERUNG

Zuerst war es nur ein Gefühl: Da stimmt etwas nicht. Das stellt sich ein, wenn ein Sachverhalt befremdlich wirkt oder eine Person aus dem Gleichgewicht gerät, wenn die Proportionen von Ursache und Wirkung, von Missetat und Empörung, Heldentat und Begeisterung verrutschen. Alle Welt kennt, heute mehr denn je, den Unterschied zwischen der Wirklichkeit und der öffentlichen Meinung darüber, einem Sachverhalt und dem Bericht davon, einer Person und ihrem äußeren Ansehen. Was in der modernen Gesellschaft auf die Schnelle Werbeagenturen, PR-Leute und auch Journalisten für Politiker, Schauspieler oder Unternehmen positiv besorgen, was negativ an Untaten und Übeltätern beschwichtigt wird, bewirken für die Vergangenheit lange Prozesse einer geschichtlichen Meinungsbildung. Viel spielt dabei mit, viele sind daran beteiligt, eine Gestalt der (Zeit-)Geschichte für das öffentliche Interesse darzustellen. So wächst das Image aus dem Historischen heraus. Historiker und Journalisten können sich dann auch bemühen, den Prozess in Rückabwicklung umzukehren, um vom (zeit-)geschichtlichen Schein zum Sein, zur Wahrheit (?) zu gelangen, kurz ein faires – überraschend positives oder negatives – Urteil fällen zu können.

So erging es mir. Die Merkwürdigkeiten, die sich bei langjährigen Studien und aktuellen journalistischen Arbeiten ergaben, konzentrierten sich – wie bereits angedeutet – zur Hauptfrage: Wie und wann wurde aus dem »Fall Galilei« des 17. Jahrhunderts, der – alles zusammengenommen – Kirchengeschichte, Wissenschaft, die Profanhistorie Europas mäßig bewegte, ein »Skandal Galilei«, der die Kirche bis in ihre Grundfesten erschütterte? Da war deutlich: Mit den bisherigen Urteilen konnte ich mich nicht mehr begnügen, nicht als Journalist, der multi-dimensional politisch wahrnimmt, nicht als Historiker, der sich nicht auf archivierte Dokumente beschränken, nicht als Theologe, der stets nach klügeren Argumenten ausschauen darf.

Das hat jedoch wenig mit dem historischen »Fall Galilei« zu tun. Der ist glasklar. Der ungerecht Behandelte ist Galileo Galilei, Opfer eines falschen Prozesses, einer verqueren Justiz. Die Schurken sind die römischen Kirchenführer, die Inquisitoren, Papst und Kardinäle dazu. In den kirchlichen Prozessen von 1616 und 1633 vertrat die Römische Inquisition, gedeckt von den Päpsten, Paul V. und Urban VIII., sowie den maßgeblichen Kardinälen die falsche Behauptung, die Erde stehe still und die Sonne bewege sich, und zwang Galilei zum Widerruf.

 

Wenn in strittigen Fällen und bei umstrittenen Personen gern Friedrich Schiller (1759–1805) zitiert wird – »von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte« –, so trifft das für Galilei gerade nicht zu. Schiller, nicht nur Dichter, sondern auch guter Historiker, münzt das Wort auf Wallenstein, den kaiserlichen Feldherrn im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) – der von 1583 bis 1634 lebte, also ein Zeitgenosse Galileis war. Mit der Warnung, bei geschichtlichen Wertungen »nicht betrüglich den Schein der Wahrheit zu unterschieben«. Doch was er über Wallenstein bemerkt, gilt gerade nicht für Galilei, weil dessen Charakter ganz gleichgültig ist. Doch umso mehr für die Kirche.

CURRICULUM UND KARRIERE

Kurz die Fakten: Galileo Galilei wird am 14. Februar 1564 in Pisa (Großherzogtum Toskana unter den Medici) geboren, in einer nicht wohlhabenden, doch auskömmlich lebenden, bildungsnahen Familie. Mit zehn Jahren kommt er nach Florenz, mit 17 wieder nach Pisa, an die Universität. Es zeigt sich seine Begabung für Mathematik, Geometrie und Physik, so sehr, dass er deren Lehre und Forschung aufnimmt, zuerst in Pisa, dann, ab 1592 (bis 1610) in Padua (Republik Venedig). Als Vater von Virginia (geb. 1600; später Ordensschwester Maria Celeste), Livia (geb. 1601; Schwester Arcangela) und Vincenzio (geb. 1606) und mäßig bezahlter Professor will er Erfolg, will alles verbessern, sein Einkommen, die Lebensverhältnisse, die Forschungsumstände und Ergebnisse, seine wissenschaftliche Anerkennung; das hing alles zusammen. 1610, mit nun schon 46 Jahren, veröffentlicht er das Werk, »Sidereus Nuncius« (»Nachricht von neuen Sternen«; herausgegeben und eingeleitet von Hans Blumenberg. 2. Auflage, 2002), das Ergebnis seiner genauen Beobachtungen der Himmelskörper mit einem (in Holland zuerst bekannten) Fernrohr. Der Durchbruch! Er ist nun berühmt und wird von Cosimo II. de’ Medici, seinem ehemaligen Schüler, zum Hofmathematiker, Philosophen und ersten Mathematikprofessor in Pisa ohne Lehrverpflichtung, mit der Freiheit zu forschen, ernannt und 1611 ehrenvoll in die wissenschaftlich renommierte römische »Accademia dei Lincei« aufgenommen. So weit, so gut.

GOETHE – 200 JAHRE SPÄTER

Das findet auch Goethe. Knapp urteilt er, in der »Geschichte der Farbenlehre, 17. Jahrhundert« (1810): »Galilei bildete sich unter günstigen Umständen und genoss die erste Zeit seines Lebens des wünschenswertesten Glückes. Er kam wie ein tüchtiger Schnitter zur reichlichsten Ernte und säumte nicht bei seinem Tagewerk. Die Fernröhre hatte einen neuen Himmel aufgetan. Viele neue Eigenschaften der Naturwesen, die uns mehr oder weniger sichtbar und greifbar umgeben, wurden entdeckt, und nach allen Seiten zu konnte der heitere mächtige Geist Eroberungen machen. Und so ist der größte Teil seines Lebens eine Reihe von herrlichen glänzenden Wirkungen.«

Doch leider, so Goethe weiter: »Leider trübte sich der Himmel für ihn gegen das Ende. Er wird ein Opfer jenes edlen Strebens, mit welchem der Mensch seine Überzeugungen andern mitzuteilen gedrängt wird. Man pflegt zu sagen, des Menschen Wille sei sein Himmelreich; noch mehr aber findet er seine Seligkeit in seinen Meinungen, im Erkannten und Anerkannten. Vom großen Sinne des Kopernikanischen Systems durchdrungen, enthält sich Galilei nicht, diese von der Kirche, von der Schule verworfne Lehre, wenigstens indirekt, zu bestätigen und auszubreiten; und beschließt sein Leben in einem traurigen Halbmärtyrertum.« (Goethe, »Geschichte der Farbenlehre, 17. Jahrhundert«.)

Das ist, um 1810, mit olympischer Souveränität betrachtet. Und vom hohen vatikanischen Palast aus? Zwei Jahrhunderte früher? Nach 1610, als Päpste und Kardinäle schon Vieles über Erde und Sonne wussten oder ahnten, nur nicht, wie diese Mutmaßungen mit dem allgemeinen christlichen Glauben zu vereinbaren seien. Blöd und verbohrt war sie nicht, die römische Kirchenführung in Humanismus, Renaissance und nun im Barock. Aber was dachte sie, als sich der Wandel eines Weltbildes vollzog? Der vom geo- zum heliozentrischen System, der untrennbar mit Nikolaus Kopernikus verbunden ist. Als die Erde aus der Mitte des Universums herausflog, und die Sonne zum Zentrum wurde. Genau das hatte Kopernikus, 1473 geboren, eigentlich Arzt, nur in seiner Freizeit Mathematiker und Astronom, in seinem – Papst Paul III. gewidmeten und mit finanzieller Unterstützung katholischer Kirchenfürsten 1543 gedruckten – Werk »De Revolutionibus Orbium Coelestium« (»Über die Umschwünge der himmlischen Kreise«) als Theorie aufgestellt und war dann friedlich am 24. Mai 1543 gestorben.

OHNE GRUNDSATZENTSCHEIDUNG ÜBER ERDE UND SONNE

Als Theorie aufgestellt. Für die Christenheit bestand deshalb offenbar kein dringender Handlungsbedarf. Bisher verließen sich die meisten Menschen auf ihre sinnliche Wahrnehmung vom Auf- und Niedergang der Sonne, von Ost und West, und Süd und Nord. Die Klugen verwiesen auf Aristoteles (384–322 v. Chr.) und Ptolemäus (100–160 n. Chr.). Mit Ausnahmen, gewiss, wie dem genialen deutschen Universalgelehrten und Kardinal Nikolaus (Cusanus) (geb. 1401 in Kues an der Mosel, gestorben 1464) oder dem Astronom Regiomontanus (dem Unterfranken Hans Müller; 1436–1476).

Die neugierigen Seefahrer im Süden und Südwesten Europas warteten auch nicht eine höchste (päpstliche) Grundsatzentscheidung über Erde und Sonne ab, sondern fuhren von den Küsten Portugals und Spaniens aufs offene Meer hinaus, »über der Mütze nur die Sterne …« Ohne Furcht, von einer Scheibe zu fallen. Die Kugelgestalt der Erde war schon lange favorisiert; nur war dies schwierig, auf einer Karte darzustellen; leichter schien, sie platt zu zeichnen; mit Jerusalem, dem Ort Jesu Christi, in der Mitte.

Im 15./16. Jahrhundert drängen sich deshalb die kühnen (süd-katholischen) Entdecker.

• Heinrich der Seefahrer (1394–1460), ein portugiesischer Königssohn, der Infante Dom Henrique de Avis, organisiert in Konkurrenz zu den Arabern die Erkundung Westafrikas, u. a.

• Cristoforo Colombo (Kolumbus) aus Genua (um 1451–1506) stößt 1492 am anderen westlichen Ende des Atlantiks auf Inseln, sich in »West-Indien« wähnend.

• Amerigo Vespucci aus Florenz (um 1451–1512), auch Berichterstatter seiner Seefahrten (an der Ostküste Südamerikas, u. a.), erkennt in dieser Neuen Welt einen eigenen Kontinent und leiht ihm seinen Namen.

• Vasco da Gama (um 1469–1524), wird zum portugiesischen »Admiral des Indischen Meeres« ernannt, weil er den Seeweg um Afrika, um das Kap der Guten Hoffnung, nach Asien eröffnete.

• Ferdinand Magellan (1480–1521) beginnt als Portugiese in spanischen Diensten die erste Weltumseglung (1519–1522), die trotz seines Todes auf den Philippinen erfolgreich beendet wird, wenn auch nur mit 18 Männern (7,6 Prozent) der ursprünglichen Besatzung (237 Mann).

Das war alles vor Kopernikus. Auf das »System« – ob Erde oder Sonne im Mittelpunkt der Welt – kam es den Seefahrern nicht an, wenn nur nautisches Wissen und Mannesmut zu einem Ziel führten.

GROSSE REVOLUTIONÄRE

Währenddessen geschah im Abendland selbst Großes, Revolutionäres:

• Gutenberg (Johannes Gensfleisch aus Mainz; um 1400–1468), als »Mann des Jahrtausends« geehrt, stellt mit beweglichen Metalllettern und der Presse ein maschinelles Drucksystem zusammen und macht so den Massendruck von Büchern, zuerst der Bibel, dann auch polemischer Propaganda, möglich.

• Martin Luther (1483–1546) aus dem mitteldeutschen Eisleben treibt mit der Berufung auf die von ihm ins Deutsche übersetzten Heiligen Schriften die Reform der Kirche voran, löst den Glauben der Christen von der Bindung an den Papst und dessen Ablass-System und bewirkt in dieser Reformation die Spaltung der Christenheit im Abendland. (Kopernikus’ Werk nimmt er ablehnend zur Kenntnis; s. u.)

• Leonardo da Vinci (1452–1519) aus der Toskana tritt nicht nur als großartiger Künstler hervor, sondern sucht als Universalgelehrter, seiner Zeit weit voraus, in technischen Visionen das Leben der Menschen zu erleichtern.

• Michelangelo Buonarroti (1475–1564) aus der Toskana schafft als Maler, Bildhauer und Architekt unvergleichliche Werke, ein wahrer »Künstler des Jahrtausends«. In der Sixtinischen Kapelle im Vatikan malt er im wortwörtlichen Verständnis der Berichte der Bibel von der Schöpfung der Welt in sieben Tagen (1508–1511) bis zum Jüngsten Gericht mit der Wiederkunft Christi (1534–1541) grandiose Fresken, die seitdem als bildliche »Summa« des christlichen Glaubens bewundert werden. Ein Missverständnis?

Michelangelo stirbt am 18. Februar 1564, im Alter von fast 89 Jahren, in Rom. Vier Tage zuvor wird Galileo Galilei geboren, am 26. April desselben Jahres William Shakespeare getauft, der als Dichter christlich, doch unkirchlich war. 1564 sterben der Schweizer Reformator Johannes Calvin (geb. 1509) und Ferdinand I., Kaiser des deutschen Heiligen Römischen Reiches (geb. 1503), Bruder Karls V., des Kaisers und Königs zwischen 1516 und 1556, »in dessen Reich die Sonne nicht unterging«. Genug Personen, um eine Wende zu markieren.

GEGENREFORM ZUR BIBELAUSLEGUNG

Die nunmehr nur noch Römisch-Katholische Kirche unter dem Papst hatte ein Jahr zuvor, 1563, in Trient nach 18 Jahren ein Konzil abgeschlossen und das Programm einer »Gegenreformation« verabschiedet. Päpste und Bischöfe machten sich daran, die katholische Kirchenreform durchzusetzen. Dazu sollte auch das Dekret vom 8. April 1546 dienen, gerichtet gegen den deutschen Reformator, der am 18. Februar desselben Jahres gestorben war und gegen dessen Ideen, die sich auch in Italien ausbreiteten:

»Überdies beschließt ›das Konzil‹, zur Bezähmung mutwilliger Geister, dass niemand sich erkühnen soll, auf sein Verständnis gestützt, in Sachen des Glaubens und der zur Erbauung der christlichen Lehre gehörigen Sitten, die Heilige Schrift nach seinem Sinne zu missdeuten, wider denjenigen Sinn, den die heilige Mutter Kirche bewahrt hat und bewahrt, oder auch wider die einmütige Übereinstimmung der Väter, dieselbe Heilige Schrift auszulegen, auch wenn solche Auslegungen zu keiner Zeit jemals zur Veröffentlichung vorgesehen sein sollten. Der Kirche allein steht es zu, über den wahren Sinn und die Auslegung der Heiligen Schriften zu urteilen. Zuwiderhandelnde sollen durch die Ordinarien angezeigt und mit den vom Rechte verordneten Strafen bestraft werden.«

Da die Bibel, so überlegten die Konzilsväter, nicht immer aus sich selbst verständlich sei, so könne ihre Auslegung nicht dem Belieben der einzelnen überlassen werden; dafür bedürfe es einer Autorität. Das Lutherische, »Allein die Schrift«, so hieß es, sei trügerisch und werde bei solcher Freiheit von jedem Prediger missbraucht; deshalb müsse es durch die Tradition und die Vollmacht eines Lehramtes ergänzt, wenn notwendig, korrigiert und bestimmt werden. Dieses Dekret sollte Jahrzehnte später Galilei zu spüren bekommen.

Weil aber auch nach Auffassung der römischen Kirchenführer die Bibel nicht lehre, was am, sondern nur im Himmel geschehe, gründete Papst Gregor XIII. (1572–1585) eine Sternwarte im Vatikan und ließ dazu im Jahr 1578 über den Palästen, einem heutigen Museumstrakt, den »Turm der Winde« (Torre di Venti) errichten. Auch dorthin führte mich Pater Metzler, der Leiter des Geheimarchivs, auf steilen Treppen und erläuterte mir dann – nachdem wir die Aussicht ringsum auf den Vatikanstaat mit den Gärten und auf Rom mit einem grauen Himmel darüber bewundert hatten –, wie merkwürdig es zugeht in der Geschichte der Welt und der Kirche: