Das Intrigenlabyrinth

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So glücklich und perfekt war Joys Leben vor der schrecklichen Vergewaltigung gewesen. Die paar Minuten hatten ihr ganzes Leben, Denken und Fühlen auf den Kopf gestellt. Es passte nichts mehr! Die von ihrer Mutter über Jahre hinweg eingetrichterten Sätze, die sie irgendwo in ihrem Kopf in einer geheimen Ecke verstaut hatte, krochen wie Schlangen langsam, aber stetig in den Vordergrund ihres Denkens. „Männer sind alle Schweine! Männer sind alle Schweine! Männer sind alle Schweine!“, hämmerte es in ihrem Kopf pausenlos immer lauter und lauter. Sie hatte recht – Mama hatte ja so recht! Sie fühlte sich so schmutzig, so benutzt, so enttäuscht! Dieser Mann, den sie in Gedanken immer „Papa“ genannt hatte, hatte sie tatsächlich vergewaltigt. Er hatte ihr Leben innerhalb von Minuten zerstört – er hatte sie zerstört. Sie konnte es nicht glauben. Wie kann ein Mensch sich so lange, so gut verstellen? Sie sah Jens’ Gesicht deutlich vor sich – sein warmes und so fröhliches, mitreißendes Lachen verwandelte sich vor ihren Augen in ein dreckiges, böses, verzerrtes und vor allem spöttisches Lachen. „Jetzt, jetzt habe ich dich wirklich vergewaltigt!“ Daraus konnte sie ja nur schließen, dass er sie in Gedanken schon tausendmal vergewaltigt hatte. Wie widerlich, er hatte sie in Gedanken ausgezogen, während sie zusammen mit der Familie zu Abend aßen oder einen lustigen Spieleabend verbrachten oder sich zusammen einen Film anschauten oder, oder! In wie vielen Situationen hatte er gelacht und den fröhlichen Papa gegeben und sie währenddessen in Gedanken vergewaltigt?!

Joys Hass wuchs unbeschreiblich mit jedem Tag, der verging. Die Worte ihrer Mutter wurden immer bedeutungsvoller und auch die für sie damals ungerechtfertigten Vorwürfe gegen den Rest der Familie Dornbach brachten sie in der jetzigen Situation dazu, darüber nachzudenken. War Magdalena nicht wirklich ein verzogenes, arrogantes, egoistisches Wesen? Für Joy war sie immer nur selbstbewusst gewesen, dagegen konnte man doch nichts sagen.

Celine wollte nur so viele Kinder, weil sie keinen Bock auf Arbeit hatte! Bis vor Kurzem war Celine für Joy der Inbegriff der perfekten Mutter gewesen. Ihre Erziehung bestand aus der genau richtigen Portionierung von Strenge, Liebe, Nachsichtigkeit, Verständnis, Mitgefühl, Konsequenz und Nachhaltigkeit.

Oma Margot war eine oberflächliche Witzfigur, für die das ganze Leben eine Party war. Für Joy war sie die liebenswerteste Omi gewesen, die man sich nur vorstellen konnte. Margot zeigte immer großes Interesse an ihrem Leben. Sie wollte immer alle Einzelheiten wissen – Schule? Freunde? Gefühle? Sorgen? Einfach alles! Für Schulprojekte lieferte sie immer die besten Ideen. Sie war unglaublich kreativ. Ja, sie machte alles mit Humor und mischte allem Spaß bei … Aber kann jemand, der so viel Anteilnahme zeigt, einfach nur oberflächlich sein?

Jonas hatte einen bösen Blick – das hatte Clara gleich erkannt. Joy fand, dass Jonas einfach ein kleiner, niedlicher Streber mit etwas zu wenig Humor war. Er war der Dornbach, der den Finger am häufigsten erhob und zur Vernunft mahnte, wenn wieder einmal alle zu ausgelassen wurden.

Marilena war für Clara ein unerzogenes, freches Ding, mit dem sie noch ihr blaues Wunder erleben würden. Für Joy war Marilena die kleine, kesse, nervende Schwester, die nur Quatsch im Kopf hatte.

Aber jetzt, da sie so einsam und verzweifelt vor der Hütte saß und über alle Dornbachs nachdachte, musste sie ihrer Mutter recht geben. Die Meinung zu jedem Einzelnen tendierte jetzt mehr und mehr in Richtung der Aussagen ihrer Mutter. Was passierte da gerade in ihrem Kopf? Warum war all das Zeug, das ihre Mutter ihr über Jahre hinweg immer wieder gebetsmühlenartig vorgetragen hatte, so präsent und plötzlich so wahr? Es hatte mehr Gewicht als die vielen schönen Jahre mit Dornbachs. Wie konnte ein Mensch in so kurzer Zeit seine Meinung so radikal ändern? Dass sie Jens verfluchte, war vollkommen klar! Aber dass sie die anderen Dornbachs plötzlich ebenfalls verachtete, sogar zu hassen begann, das war für sie nicht nachvollziehbar. Aber es waren Gefühle, die sie überkamen, und diesen Gefühlen war mit Vernunft nicht beizukommen. Magdalena war arrogant, Jonas hatte einen bösen Blick, Marilena war frech und ungezogen, Omi – nein, Margot war oberflächlich und Celine war faul und lag ihrem Mann auf der Tasche! Ja, so war das und nicht anders! Joy hatte auch immer im Haushalt geholfen, die Hasenställe ausgemistet und allen Kindern jahrelang kostenlosen Nachhilfeunterricht gegeben. Wenn die Dornbachkinder etwas nicht machen wollten, übernahm sie es freiwillig. Wenn sie so darüber nachdachte, hatten sie sie ganz schön ausgenutzt.

Jeder Tag in der Hütte vergrößerte den Hass und es wuchs eine unglaubliche Rachsucht in ihr. Sie würde es den Dornbachs heimzahlen. Für alles sollten sie büßen! Jeder Einzelne sollte seine Rechnung bekommen und treffen würde jeder Racheakt auch Jens – tief ins Herz. Das war das Wichtigste! Es musste Jens wehtun – er sollte hilflos zuschauen müssen, wie seine Familie litt! Eine größere Strafe konnte es für ihn nicht geben. Weder eine Gefängnisstrafe noch eine Trennung von Celine würden ihn so schmerzen wie das, was sie sich ausdenken würde.

Als Joy das Gefühl hatte, perfekte Pläne geschmiedet zu haben, überkam sie ein Gefühl der Zufriedenheit – der Tag war gekommen, es war an der Zeit, wieder nach Hause zu gehen und die Rachemaschine in Bewegung zu setzen.

Jetzt saß sie inmitten der Familie Dornbach – nur Jens fehlte – und bei ihrer Mama, die nicht aufhören konnte zu weinen. Sie hielt sie ganz fest im Arm und entschuldigte sich immer und immer wieder. Auch die anderen weinten, aber Joy glaubte natürlich, genau zu erkennen, dass das nur gespielt war. Nur Mamas Tränen waren echt!

Joy versuchte wortreich zu erklären, dass sie einfach eine Auszeit gebraucht habe. Der Grund sei vor allem Lars gewesen, weil der sie so unter Druck gesetzt habe, miteinander zu schlafen. Sie fühle sich aber überhaupt noch nicht bereit dazu! Sie erzählte und schmückte aus, ja sie wunderte sich selbst über ihre Kreativität. Am Ende waren alle einfach nur froh, dass sie heil und wieder zu Hause war.

Am nächsten Tag, einem Montag, nahm Joy wieder ihr ganz normales Leben auf. In der Schule suchte sie sofort nach Lars, der sie wie ein Gespenst anstarrte: „Wo warst du, Joy, ich bin fast gestorben vor Angst!“

„Ich habe eine Auszeit gebraucht, ich musste nachdenken. Vor allem über uns. Ich bin noch nicht bereit, mit dir zu schlafen, und du hast nicht wirklich Verständnis. Du unterstellst mir, dass ich dich nicht liebe. Das hat so keinen Sinn, ich möchte dir sagen, dass ich Schluss mache. Such dir bitte eine andere, die bereit ist für das, was dir sooo wichtig ist!“

„Du übertreibst jetzt aber ganz schön, ich habe dich weder bedrängt noch unter Druck gesetzt. Und es ist für mich auch kein Problem zu warten, bis du so weit bist. So wichtig ist das für mich nicht.“

Joy spürte, wie sie ganz gegen ihren Willen Herzklopfen bekam und erschrocken feststellen musste: Ich bin sehr verliebt in Lars. Aber als der den Arm um sie legte und sie küssen wollte, brannte ihre Batterie mit einem Schlag durch und sie schlug nach ihm. „Lass die Finger von mir, du Schwein!“

Lars starrte sie dermaßen entsetzt und erschrocken an, dass Joy sofort ein schlechtes Gewissen bekam. Ehe sie reagieren konnte, drehte Lars sich um und rannte fast in Richtung Schulgebäude. Vielleicht war das der beste und einfachste Weg für Lars, mit dieser Situation zurechtzukommen. Wut auf Joy würde ihm helfen, schnell über das Aus ihrer Beziehung hinwegzukommen. Magdalena bestand darauf, dass Joy gegen siebzehn Uhr zu ihnen kommen sollte.

„Ich weiß nicht, ich möchte meine Mutter nicht schon wieder alleine lassen.“

„Ach bitte, bitte, du bist ja heute Mittag mit ihr zusammen und wir – nein, ich möchte nichts verraten. Bitte, bitte komm einfach! Du musst!“

Ja, genau das war das verwöhnte Gör, von dem Mama gesprochen hatte. Aber gut, sie wollte die erste Begegnung mit Jens hinter sich bringen. Das würde für ihn sicher eine hohe Belastungsprobe – oder wusste er vielleicht gar nichts mehr von der Vergewaltigung? Doch, natürlich, warum sonst hätte er sie gestern vor dem Eintreffen seiner Familie sprechen wollen und war nicht selbst mitgekommen? Also sagte Joy fröhlich: „Na gut, ich komme, ich liege aber nicht falsch, wenn ich von einer Überraschung ausgehe?“

Magdalena schubste sie und sagte: „Du alte Spielverderberin!“

Punkt siebzehn Uhr wollte Joy an der Tür klingeln, aber sie bekam einen schlimmen Schweißausbruch und zitterte am ganzen Leib. Damit hatte sie nun gar nicht gerechnet. Noch ehe sie überlegen konnte, was sie tun sollte, wurde die Haustür aufgerissen und alle stürzten auf sie zu: „Hallo, Ausreißerin – komm rein!“

Sie wurde gewaltsam hineingezogen und fand sich direkt vor Jens wieder. Ihr wurde furchtbar übel – sie war sich hundertprozentig sicher, ohnmächtig zu werden. Bevor das passieren konnte, wurde sie von Magdalena zu einem Stuhl gezogen und in Sitzposition gedrückt.

„Wir sind uns einig, dass wir uns noch nie in unserem Leben so schlecht und hilflos wie in den letzten zwei Wochen gefühlt haben. Wir hatten eine unglaubliche Angst um dich. Du hast uns so sehr gefehlt, Joy. Du wirst deshalb heute zu einem offiziellen Dornbachfamilienmitglied gekürt. Dies ist deine Adoptionsparty! Du gehörst für immer zu uns!“

Was fröhlich und lieb gemeint war, wandelte sich in Joys Ohren in: „Vergiss deine armselige, traurige Mutter – du hast doch uns, du gehörst zu uns!“ Mama hatte schon wieder recht gehabt. Sie wollten ihr Joy ganz entfremden und wegnehmen. Sie mussten ständig unter Beweis stellen, wie toll Joy es doch bei ihnen hatte. Verdammte Bande – euch werde ich es schon noch zeigen.

 

Nach außen hin hatte sie sich schnell wieder im Griff, denn sie wusste, nur so konnte ihr Plan wirklich gelingen. Sie musste mitspielen. Sie wollte ganz nah an den Dornbachs dranbleiben. Sie mussten ihr blind vertrauen.

Den ganzen Abend warf sie immer und immer wieder verstohlene Blicke zu Jens, schaffte es auch, ihm ins Gesicht zu lachen. Es gab auch einen Versuch von Jens, sie allein in der Küche zu sprechen, doch sie machte sich so schnell aus dem Staub, dass er nichts dagegen tun konnte. Dann aber drehte sie sich noch einmal um und flüsterte Jens zu: „Komm nicht auf die Idee, mir etwas anzutun! Ich habe alles genau aufgeschrieben und wenn mir etwas passieren sollte, wird dieser Brief alles erklären!“ Weg war sie! Jens stand mit offenem Mund da und dachte: An so was hätte ich im Traum nicht gedacht.

Es wurde für alle, außer für Joy und Jens, ein fantastischer Abend und sie waren so stolz auf die gelungene Überraschungsparty und die genialen Ideen wie einen nachgemachten Ausweis mit dem Namen Joy Dornbach, eine Eintragung im Familienstammbuch sowie Joys Name an der Türklingel. Joy fand sie alle nur zum Kotzen arrogant. Dieser Abend hatte sie mehr als überzeugt davon, dass sie auf dem richtigen Weg war.

3

Jens wusste nicht, wie ihm geschah. Er versuchte in der darauffolgenden Zeit zu verstehen, was Joy da spielte. Er konnte es aber beim besten Willen nicht nachvollziehen. Sie musste ihn doch hassen und verachten. Sie stand aber vor ihm, lächelte ihn an und scherzte mit ihm. Das einzig Auffällige war, dass sie streng darauf achtete, niemals mit ihm allein zu sein. Und das gelang ihr sehr gut. Er ging aber durch die Hölle. Jeden Tag aufs Neue hatte er Angst vor der großen Beichte. Aber je mehr Zeit verging, desto ruhiger wurde er. Nein, die Schuld lastete nicht leichter auf seinen Schultern, aber er begann so langsam an das unglaublich große Glück zu glauben – was er sich niemals, auch nicht in den kühnsten Träumen, zu erhoffen gewagt hatte –, dass Joy nichts von dem Vorfall sagen würde, weil sie die Freundschaft der anderen Dornbachs nicht verlieren wollte. Oder Joy hat diesen Vorfall, wie Jens es schon öfter über Vergewaltigungs- beziehungsweise Überfallopfer gelesen hatte, zum Eigenschutz in ihr Unterbewusstsein verdrängt. Er beruhigte sich nach und nach. Die panische Angst ließ nach – aber nicht die Scham, das Schuldgefühl und auch die Albträume ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Er nahm sich fest vor, ein Leben lang für Joy zu sorgen und für sie da zu sein, egal was auf sie zukommen sollte. Er wollte immer ihr unsichtbarer Schutzengel sein, das war das Einzige, was er in Zukunft für sie tun konnte – ihr das Leben zu erleichtern, wenn es problematisch wurde.

Im Büro funktionierte Jens wie ein Schweizer Uhrwerk. Er konnte sich immer wieder nur über sich wundern. Er hatte keine Rachepläne gegen Charlene und er musste zugeben, dass sie ihre Sache verdammt gut machte. Ihm gegenüber verhielt sie sich sehr sachlich und bezog ihn wirklich in alles mit ein. Sie schien ihm blind zu vertrauen beziehungsweise vertraute sie seiner Angst vor der Filmvorführung, die sie sicher für Celine veranstalten würde, wenn er sich auch nur das Geringste erlauben sollte. Sie hatte ihn auch darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie diesen Film selbstverständlich auch gut verpackt bei einem Notar deponiert hatte, für den Fall, dass ihr etwas zustoßen sollte. Also machte es auch keinen Sinn, sich Gedanken darüber zu machen, wie er sie ins Jenseits befördern könnte. Die Schuld für sein eigenes Fehlverhalten beschäftigte und lähmte ihn ohnehin so gewaltig, dass er keine Energie übrig hatte, um Rachepläne zu schmieden.

Außerdem war es tatsächlich so, wie er es in seinem fingierten Statement für Celine vorgetragen hatte – er hätte überhaupt keine Zeit mehr für seine Familie gehabt. Das betonte er in Gesprächen mit Celine immer wieder. Trotzdem vermutete Celine oft: „Ja, du hast ja recht und ich bin inzwischen auch dankbar und froh über deine mutige und großartige Entscheidung, nur hat es mich schon tief getroffen, dass du sie ganz allein getroffen hast, ohne auch nur einmal mit mir darüber zu reden. Das war hart für mich und ungewöhnlich für unsere Beziehung. Ich knabbere ehrlich gesagt auch immer noch sehr daran. Aber du bist im tiefsten Inneren unglücklich darüber – ich spür es doch! Unsere Beziehung hat sich so verändert. Ich habe deine Gier nach mir immer so genossen und daran schien sich auch niemals etwas zu ändern. Selbst nach drei Schwangerschaften hast du mir immer das Gefühl gegeben, eine magische sexuelle Anziehungskraft auf dich auszuüben – und du auf mich. Ich bin immer noch ganz verrückt nach deinem Köper, deinen Berührungen, deiner unbändigen Lust, mit mir zu schlafen, bei jeder Tages- und Nachtzeit und an allen nur denkbaren Orten. Keine Gelegenheit haben wir ausgelassen, es miteinander zu treiben, schmutzig, gierig, zärtlich, wild und leidenschaftlich. In der kleinsten Besenkammer, im Aufzug, hinter einem Busch, im See, auf der Toilette bei Partys … wie Teenager. Manchmal haben wir es nicht einmal geschafft, unsere Pizza aufzuessen, und währenddessen schon unter dem Tisch angefangen uns aufzugeilen. Du weißt genau, wo du hinfassen musst, um mich sofort in Fahrt zu bringen, ach was, ein Blick und dein freches Grinsen reichen schon aus. Oh Mann, da wird es mir schon ganz warm zwischen den Beinen. Ich dachte, daran würde sich niemals etwas ändern. Aber jetzt scheine ich dich nicht mehr zu interessieren. Du gehst mir regelrecht aus dem Weg. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich eine andere Frau hinter deinem Verhalten vermuten. Du hast dich verändert und ich glaube, dass dir eine böse, nervige innere Stimme unaufhörlich zuflüstert, dass es vielleicht doch ein Fehler war, auf die Beförderung zu verzichten. Stimmt doch, oder?“

Wenn Celine wüsste, was ihn in Wirklichkeit unglücklich machte – was ihm das kleine, fiese Männchen permanent ins Ohr flüsterte! Ja, verdammt, eine andere Frau hatte Schuld an seinem Verhalten – doch ganz sicher nicht, weil er sich verliebt hatte. Aber nein, dieses Leid musste er ganz alleine tragen. An dieser Entscheidung änderte sich nichts. Obwohl er wusste, dass ihm ein Geständnis eine riesige Last nehmen würde. Aber was würde er damit erreichen? Er wäre nicht mehr erpressbar – Celine würde ihn im schlimmsten Fall verlassen, die Kinder würden ihn verachten, die Schuld wegen Joy würde bleiben – aber es käme die Schuld dazu, so viele Menschen unglücklich gemacht zu haben! Es stand außer Frage – solange er darüber entscheiden konnte, würde er dieses dunkle Geheimnis mit sich herumschleppen. Er musste sein Verhalten gegenüber Celine wieder normalisieren – musste sich dazu zwingen. Das Wort „Sex“ hatte jetzt einfach eine weitere Bedeutung bekommen. Er konnte es nicht mehr nur mit Liebe, Sehnsucht, Gier und Spaß assoziieren, nein, das Wort bedeutete nun auch Erpressung, Verzicht, Verletzung, Vertrauensbruch und Enttäuschung. Vor allem bedeutete es auch, dass er seine Frau anlügen, verletzen und verunsichern musste. Das hatte sie nicht verdient – es brach ihm das Herz.

Er begann, regelmäßig Umschläge mit Geld an die Watermanns zu schicken. Jens wollte, dass ihr Leben etwas leichter wurde. Wie sich dann schnell herausstellte, verdächtigte Clara Joys Vater, der plötzlich so was wie ein Gewissen verspürte. Das war Jens mehr als recht. Clara gab das Geld immer an Joy weiter. Für sich wollte sie keinen Cent davon nutzen. Da hatte sie ihren Stolz. Joy freute sich tatsächlich sehr über diesen überraschenden Geldsegen und gönnte sich ab und zu etwas, in der Hauptsache aber zahlte sie das Geld auf ein Sparbuch ein, um ihr Studium zu finanzieren. Sie wusste ja auch nicht, wann ihr Erzeuger sein schlechtes Gewissen so weit beruhigt hatte, dass er den Geldregen wieder einstellte.

4

Die Tage und Wochen vergingen und für alle war alles so wie immer – nur für Joy nicht. Sie freute sich auf den ersten Schlag gegen die Dornbachs. Der war bis ins Detail geplant und sie hatte auch schon das besorgt, was sie unbedingt dazu benötigte. Es war ein genialer Plan! Leider musste sie sich noch etwas gedulden. Was ihr viel mehr Sorgen machte, war ihre körperliche Verfassung. Sie war ständig müde und ihr war fast permanent schlecht. Irgendetwas steckte ihr in den Knochen. Verdammt, das passte jetzt gar nicht. Auch den anderen fiel es auf, dass Joy schlecht aussah und sich auch ihr Wesen irgendwie verändert hatte. Sie war plötzlich launisch und stritt sich sehr oft mit Magdalena. Aber sie musste aufpassen, sich zusammenreißen. Magdalena durfte nicht böse auf sie sein – sonst könnte ihr Plan scheitern. Also nahm sie sich zusammen und kroch Magdalena, dieser widerwärtigen, verwöhnten Prinzessin, regelrecht hinten rein, damit sie nicht mehr beleidigt war. Es dauerte zwar etwas, aber es wurde alles wieder gut.

Nur an ihrem Zustand änderte sich nichts. Im Gegenteil, sie musste sich jetzt auch übergeben und ihre Brüste spannten. Schließlich bemerkte ihre Mama: „Joy, du gefällst mir gar nicht. Mit dir stimmt doch was nicht. Du veränderst dich gerade so extrem und dein Blick, dein Blick ist mir so fremd, so anders. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass du schwanger bist!“

Joy starrte ihre Mutter an, wurde kreidebleich und stürzte aus dem Zimmer. Clara rannte ihr nach und schrie sie an: „Sag, dass das nicht wahr ist, Joy! Du bist wie dein Vater, geh mir aus den Augen! Du hast alles kaputtgemacht. Von wegen Auszeit – rumgehurt hast du! Du hast zwei Wochen lang damit verbracht, dich mit irgendeinem Arsch zu vergnügen, während hier alle vor Angst fast gestorben sind. Deinem Freund erzählst du was von nicht bereit … Für wen warst du denn bereit? Geh mir aus den Augen, du Nutte!“

Es war die bittere Wahrheit. Sie war schwanger – es bestand kein Zweifel. Jetzt bekam sie auch noch ein Kind von diesem Monster! Schlimmer ging es ja wirklich nicht mehr! Alles hatte dieses Monster zerstört. Joys Hass gegen diesen Mann und diese Familie wuchs in diesen Tagen um ein Vielfaches. Es wurde ein gemeingefährlicher Hass. Vor allem die Enttäuschung und Wut ihrer Mutter wirkten wie ein Brandbeschleuniger. Sie wollte ihm wehtun, wollte ihn auf den Knien sehen. Sie wollte ihn vernichten.

„Ein Baby – ich muss abtreiben“, sagte Joy zu ihrem Spiegelbild. Es war ein Kind der Gewalt und des Hasses. Das wollte sie nicht haben. Seit drei Tagen lag sie in ihrem Bett. Sie hatte nichts mehr gegessen, kaum was getrunken und wollte auch keinen Menschen sehen. Ihre Mutter beachtete sie auch nicht! Sie brachte weder etwas zum Essen noch versuchte sie mit ihr zu reden. Joy hatte sich an diesen Zustand gewöhnt und erschreckte sich fast zu Tode, als Clara das Wort an sie richtete: „Denk nicht einmal darüber nach, so was wird nicht gemacht. Wir sind keine Mörder. Ein Kind ist immer Gottes Geschenk (aha, Schwester Barbaras Rede!) und wir müssen für unsere Fehler geradestehen, erst recht dann, wenn es um Vergnügen ging!“

Vergnügen?, hätte Joy ihr am liebsten ins Gesicht geschrien. Hast du Vergnügen gesagt?! Vielleicht hattest du bei meiner Zeugung Vergnügen, aber ich hatte keins. Ich hatte Panik – die nackte Angst saß mir im Nacken und von der menschlichen Enttäuschung will ich gar nicht reden! Aber Joy sagte nichts – sie sah ihre Mama an und diese nahm sie plötzlich einfach in den Arm.

„Ich lass dich nicht im Stich, auch ich bin nicht im Stich gelassen worden. Du musst mir auch nicht sagen, wer der Vater ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn du mir das Vertrauen entgegenbringen würdest, aber es ist okay für mich, wenn du es mir nicht sagen möchtest.“

„Bitte sieh es nicht als Nichtvertrauen, aber ich möchte über diese Sache nicht reden. Ich kann dir nur sagen, dass ich furchtbar enttäuscht und verletzt wurde! Bitte, bitte verlange von mir keine näheren Erklärungen!“ Joy dachte bei sich, dass sie eigentlich nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt hatte.

Clara verhielt sich ab diesem Moment großartig. Sie stellte ihre Tochter wieder auf die Beine, machte ihr Mut, hauchte wieder Leben in ihren Körper und brachte sie wieder zum Laufen. Und nach einem anständigen Essen lief Joy direkt zu Dornbachs, um ihnen von der Schwangerschaft zu erzählen. Auch hier war die Enttäuschung über ihr Verhalten sehr groß. Ihnen solche Sorgen zu machen, während sie sich amüsierte, das war schon ein starkes Ding! Joy interessierte sich aber nur für Jens’ Gesicht. Wie reagierte er? Selbstverständlich wurde er kreidebleich und musste sich augenblicklich setzen. Oh, wie schön – der Arme litt! In ein paar Monaten würde er also sein viertes Kind im Arm halten. Sie würde es ihm so oft wie möglich in den Arm drücken. Ja, sie wollte ihn quälen und es klappte wunderbar. Er sah aus, als ob seine ganze Familie bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Komisch, dass es keinem auffiel. Aber alle konzentrierten sich auf Joy, so hatte er Zeit, sich zusammenzureißen. Nur sein Teint wollte sich an diesem Abend nicht mehr erholen. Seine Haut war mausgrau, seine Augen mit Tränen gefüllt und er völlig in sich zusammengesackt. Ein herrlicher Anblick! Und was er in Zukunft noch alles zu ertragen hatte. Das Leben hält noch ein paar unangenehme Überraschungen für ihn bereit, ich verspreche es dir, Papa Jens!

 

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