KüstenSaat

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Was nun?

Samstag, am frühen Morgen auf dem Gestüt

Dass er die Stuten nicht sofort besamen konnte, machte Ole van Leeuwen rasend. Die restliche Nacht, an Schlaf war nicht zu denken, hatte er sich den Kopf zermartert, was er wohl tun und wie er in Erfahrung bringen könnte, welches der Röhrchen das richtige war. Auch hoffte er, dass die Qualität des teuren Spermas nicht leiden würde.

Drei Dinge gingen ihm außerdem nicht aus dem Kopf. Zum einen dieser Zettel mit dem Autokennzeichen – es handelte sich um ein Kennzeichen aus Hannover. Dann dachte er an die erwähnte „Überbringerin“. Also war es eine Frau, die den Code kannte. Die musste doch zu finden sein. Außerdem wunderte er sich, dass er bei dem Russen kein Handy gefunden hatte. Irgendwann war er dann doch eingeschlafen und fuhr nach einer kurzen Tiefschlafphase wieder hoch. Nun saß er kerzengerade im Bett. „Peer! Peer! Das Schwein! Er musste sich das Handy geschnappt haben. Klar, was denn sonst?“ Ole fiel es wie Schuppen von den Augen. „Ich bring ihn um!“

Mit beiden Beinen sprang der Mann aus dem Bett und lief durch das dunkle Haus. Ich bring ihn um, tobte er innerlich, aber zuerst muss er das verdammte Handy rausrücken.

Mit weit ausholenden Schritten lief er über den Hof auf die Stallungen zu, über denen sich das kleine Appartement von seinem Stallburschen Peer befand. Ein Zimmer mit Küche und Schlafgelegenheit, mehr nicht. Dusche und Toilette musste der Mitarbeiter von Ole neben dem Reitstall benutzen.

Wortlos stampfte er die Holztreppe hinauf, riss Peers Zimmertür auf, schlug nach rechts auf den Lichtschalter und zerrte den Mann aus dem Bett. Ohne ein Wort zu sagen, schlug er ihn mitten ins Gesicht. Einmal, zweimal, schüttelte ihn und schrie dann: „Wo ist es? Gib es her, wo ist das verdammte Handy?“

Peer, der – die vielen leeren Bierflaschen auf dem Tisch erklärten, warum – im Tiefschlaf gelegen hatte, wusste nicht, wie ihm geschah. Mit blutender Nase, einen Schneidezahn ausspuckend, stammelte er nur: „Was …, was ist?“

„Das Handy des Russen!“, schrie Ole nochmals.

Peer torkelte durch den kleinen Raum zu der Kommode, zog eine Schublade heraus, griff hinein, hob eine Waffe heraus, die er auf den überraschten Ole richtete.

„Das reicht, das reicht nun endlich, du Menschenschinder. Ich bring dich um und rolle dich als Käse zurück nach Holland!“, stammelte er Blut spuckend.

„Du hast es nicht anders verdient, du …“, doch zu mehr kam er nicht. Ole, außer sich vor Wut, holte aus, schlug ihm die Waffe aus der Hand und bückte sich sofort danach. Dann hielt er sie Peer an den Kopf und flüsterte: „Das Handy. Her damit. Jetzt sofort!“

Von Peer war nur noch ein Wimmern zu hören.

„Hier, unter der Matratze!“ Mit der Hand zeigte er auf sein Bett.

„Wehe, wenn du mich wieder verarschst, ich drücke ab, das schwöre ich dir.“ Die Waffe noch immer auf Peer gerichtet, riss Ole die Matte aus dem Bett und tatsächlich, dort lag das Handy.

„Dein Glück, Alter. Darüber reden wir später und das wird kein angenehmes Gespräch, glaube mir.“

Die Waffe in der einen, das Handy in der anderen Hand, verließ er Peers Zimmer.

Der ließ sich stöhnend niedersinken und murmelte: „Das wirst du mir büßen, du verdammter holländischer Käskopp, das wirst du mir so was von büßen, Alter.“ Irgendwann schlief er auf der Matratze mitten im Zimmer noch mal ein.

Das Handy des Russen war gesperrt. Klar. Wie sollte es auch anders sein. Irgendwie würde er es knacken müssen, denn darauf war sicher ein Hinweis auf diese Frau zu finden. Aber auch über das Kennzeichen wollte er es versuchen – nur wie?

Willkürlich und planlos versuchte er, das Handy mit drei Versuchen zu entsperren. Als dann ein rotes Warndreieck aufblinkte, warf er das Gerät genervt in die Ecke.

Das Autokennzeichen sah er nun als seine einzige Chance. Ole versuchte logisch zu denken. Die Kisten mit Sperma und Beschleuniger kamen von der IMG. Wenn es wirklich das Kennzeichen des Wagens dieser Frau war, dann musste sie ja wohl zu dem Pharmakonzern gehören, über den der Kontakt zum Sperma und auch zu den Beschleunigern lief. Vielleicht hatte der Russe ihr aufgelauert und anhand des Kennzeichens erkannt. Ja, so konnte, so musste es gewesen sein.

„Wenn ich dort anrufe“, überlegte er, „müsste es doch möglich sein, den Namen der Fahrerin dieses Wagens zu erfahren. Einen Versuch ist es wert.“

Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es dazu noch zu früh war. Eine Stunde Schlaf konnte er sich noch gönnen. Ole schloss die Augen. Der neue Tag würde mehr Erkenntnis bringen.

Wolfsgefahr am Deich

Samstag, später Nachmittag

Als Hajo die Deichauffahrt zu Omas und Tant’ Fienchens Haus nahm, sah er durch die geöffnete Gartentür, dass Tomke mit einem Fernglas im Garten stand und das dahinter liegende Feld beobachtete. Was gab es da wohl zu sehen? Die beiden Männer stiegen aus dem Wagen. Carsten, der mit seiner Familie in der anderen Hälfte des Doppelhauses wohnte, wollte das Gebäude auf der rückwärtigen Seite umrunden, aber dazu kam er nicht.

Marie, seine Tochter, kam mit ihrem kleinen Bruder im Schlepptau durch den Garten gelaufen und rief aufgeregt: „Papa, du glaubst nicht, was passiert ist!“

„Glaubste nich!“, kam das Echo in Person des kleinen Felix, der seiner großen Schwester immer alles nachplapperte.

„Hier sind Wölfe im Feld und Tant’ Fienchen ist fast gestorben, weil …“

„Fast tetorben!“, bestätigte Felix mit großen Augen.

„… weil die ganz nah am Haus waren. Fienchen hat sich mächtig erschreckt!“

„Mächtig gescheckt!“, quäkte nun Felix.

„Felix, Mann, halt doch mal die Klappe und quatsch mir nicht alles nach!“ Marie war aufgeregt und gleichzeitig genervt von ihrem kleinen Bruder.

Den aber kümmerte das nicht.

„Quatsch nich, quatsch nich, quatsch nich …,“ wiederholte der kleine Mann nun ständig.

Marie aber nahm ihren Vater bei der Hand und zerrte ihn hinters Haus. Dort saßen Oma Jettchen, Tant’ Fienchen und Michaela. Alle hatten sie, wie Tomke in einiger Entfernung auch, den Blick auf das Feld gerichtet und unterhielten sich aufgeregt. Auch ein Mann saß, wenn auch mit etwas Abstand, bei den Frauen, den Carsten erst erkannte, als dieser sich umdrehte. Simon Weil, der Schafzüchter, saß dort bei den Frauen hinterm Haus. Was wollte der denn hier?

Zum weiteren Nachdenken kam Carsten allerdings nicht, denn Marie zog ihn zur Deichkante und zeigte über das Feld.

„Da, da draußen sind Wölfe. Mensch, Papa, echte Wölfe. Das ist so spannend. Aber warum Fienchen so ’ne Angst hat, verstehe ich nicht.“

„Tehe nich!“, kam es von Felix, der ihnen gefolgt war.

Carsten nahm seinen Sohn auf den Arm und beobachtete das Feld, aber einen Wolf oder gar Wölfe konnte er nicht erkennen.

„Papa!“, flüsterte nun Marie und schaute Richtung Haus. „Der Mann, der bei Oma und Tant’ Fienchen sitzt, hat was von abschießen gesagt, der spinnt doch. Das lassen wir nicht zu, oder?“ Carsten schüttelte den Kopf. Felix tat es ihm nach.

Inzwischen war auch Michaela aufgestanden und hatte sich zu ihrem Mann gestellt. „Hallo, Schatz, erkennst du was?“, wollte sie wissen.

„Nein, ich kann nichts sehen. Ihr?“ Carsten gab seiner Frau einen Kuss. „Hallo erst mal, Michaela, was ist das denn für eine Aufregung bei euch? Alles wegen eines Wolfes? Könnte es nicht auch ein Schäferhund gewesen sein? Du weißt doch, dass manche Leute ihre Hunde zum Kacken in die freie Natur schicken, das spart schwarze Beutel.“

Michaela zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung, ich habe ja auch nichts gesehen, aber Oma und Tant’ Fienchen behaupten steif und fest, dass da draußen Wölfe herumlaufen.“

„Na ja, wenn die das sagen …!“ Carsten schaute sich um.

„Ist ja die reinste Vollversammlung hier. Und was macht der Schafzüchter in der Runde?“

„Jettchen hat im Anzeiger gelesen, dass er eine Initiative gegen den Wolf ins Leben gerufen hat. Dem Mann wurden wohl schon einige Schafe gerissen. Er ist nicht nur Schafzüchter und im Verband der Schafzüchter tätig, er ist auch deren Wolfsbeauftragter, wie er sagt. Was das zu bedeuten hat, weiß ich nicht. Jettchen meinte, der könne vielleicht was ausrichten, schließlich seien das gefährliche Biester – und man könne sich nicht mehr vors Haus trauen.“

„Hinters Haus, wenn schon!“, mischte sich nun Tomke ein, die zu ihnen getreten war.

Marie war da ganz anderer Meinung. „Wisst ihr was?“, meldete sie sich nun, „ich werde der Sache mal auf den Grund gehen. Ich weiß genau, dass Wölfe geschützt sind, das haben wir in der Schule durchgenommen.“

Und lauter verkündete sie, die Stimme Richtung Simon Weil gerichtet: „Und wer auf Wölfe schießt, bekommt es mit mir zu tun. Ich schau gleich mal im Internet nach, was zu tun ist.“

Hajo, der sich alles schweigend angehört und angesehen hatte, meinte nun: „Würdet ihr uns mal aufklären, was sich hier wirklich zugetragen hat?“

Tomke nickte und beschloss: „Lasst uns doch ins Haus gehen, dann sollen die beiden alten Mädels erzählen, was passiert ist.“

Marie aber entschied: „Ich komme nach, will erst mal sehen, ob ich den Wolf im Feld auftreiben kann.“

„Wie bitte?“ Michaela war ob der Gedanken ihrer Tochter entsetzt.

„Nix da, du kommst mit!“ Und zu ihrem Mann gerichtet, meinte sie: „Ideen hat das Kind!“ Schließlich einigte man sich darauf, dass sie nach Hause gehen durfte, um dort im Internet über die Wölfe zu recherchieren. Oma Jettchen flüsterte ihr augenzwinkernd zu: „Später gibt’s noch was zum Essen, komm doch mit deinem Schreibgerät nachher wieder rüber.“

„Haferflockenpampe?“, fragte Marie und leckte sich mit der Zunge über die Lippen.

 

„Wenn’s sein muss, auch das!“, resignierte Oma Jettchen. Was das Kind an dieser Haferflocken-Zucker-Milch-

Mischung so liebte, verstand sie nicht.

Die beiden alten Ostfriesinnen erzählten, noch immer hinterm Haus stehend und mit großen Gesten auf das Feld zeigend, nun auch Carsten und Hajo, was ihnen am Morgen widerfahren war.

Omas Wolfsbegegnung erwies sich als wesentlich harmloser als die von Fienchen. Ihr standen nämlich, als sie mit ihren Putzutensilien das Haus am Morgen durch die Hintertür verlassen hatte, direkt hinterm Haus zwei Wölfe Aug’ in Aug’ gegenüber. Es war wohl Fienchens gellender Schrei, der die beiden vertrieben hatte. Der Schreck allerdings saß der alten Frau noch in den Knochen, und bei den Erzählungen griff sie sich immer wieder an die Herzgegend. Oma Jettchen machte sich Sorgen um ihre Schwester. Stockend, den Blick immer wieder auf Fienchen gerichtet, berichtete sie von den unheimlichen Geräuschen in der Nacht, die sie sich erst dann, als die Wölfe aufgetaucht waren, erklären konnte.

Man rätselte nun gemeinsam, was zu tun sei. Simon Weil, der auf radikalen Maßnahmen bestand, hatte sich inzwischen verabschiedet. Alle anderen beschlossen, erst einmal abzuwarten, wie sich die Sache entwickeln würde. Schließlich, so hieß es in Fachkreisen, würden Wölfe nicht gegen Menschen gehen.

Sie zogen sich endlich ins Haus zurück, draußen war es nun doch empfindlich frisch geworden.

Oma zauberte eine Suppe aus dem Tiefkühler auf den Tisch. Nun saßen alle gemeinsam bei dampfender KäseLauch-Suppe und Bier aus dem „Stamm“ um den großen, alten Küchentisch und ließen es sich schmecken. Marie, die ja weiterhin jegliches Fleisch ablehnte, und Felix, der seiner Schwester alles nachtat, hatten jeder eine große Schüssel Haferflocken mit Milch und Zucker bekommen, womit Oma Jettchen die beiden mehr als glücklich gemacht hatte.

Auch hier im Haus der beiden alten Ostfriesinnen war Corona ein Thema, aber sie lehnten Masken im Familienkreis ab, zum anderen bestanden sie darauf, weiterhin Kontakte zu pflegen. Tomke versuchte zwar, sie zu überzeugen, gab es dann aber irgendwann auf.

„Ich kann morgen schon an Altersschwäche sterben oder der Wolf frisst mich“, behauptete Oma Jettchen, „da möchte ich euch bitte schön heute um mich haben, und damit basta. Außerdem will ich in eure Gesichter sehen und nicht in Schnutenpullis.“

Tomke allerdings bestand darauf, dass sie ihre Einkäufe übernehmen wollte.

Mit dieser Regelung gaben sie sich zufrieden. Etwas anderes hätten die beiden alten Damen auch nicht akzeptiert.

Oma und Tant’ Fienchen hatten sich inzwischen zur Nachtruhe begeben, Michaela hatte die Kinder ebenfalls zu Bett gebracht, nun saßen sie zu viert noch in der Stube von Carstens und Michaelas Haus.

Man war sich einig, dass die Geschichte mit den Wölfen zwar beobachtet werden müsse, aber allzu große Sorgen, so wie die beiden Frauen nebenan, machten sich die vier nicht.

Am nächsten Morgen allerdings geschah etwas, das sie ihre Meinung ändern ließ.

Zuvor auf dem Pferdehof

Samstagmorgen

Nach wenigen Stunden Schlaf erwachte Peer mit schmerzendem Körper auf der Matratze. Es dauerte einen kurzen Moment, bis die Erinnerung an den Vorfall in der späten Nacht zurückkam, doch dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und Wut stieg in dem Mann hoch. Er würde es seinem Chef heimzahlen, ja, das wollte er. Und Peer grübelte, wie er es anstellen könnte. Die Reste des Russen fielen ihm ein. Wenn er die …? Als sich die Rachegedanken in seinem Kopf festgesetzt hatten, erfasste ein böses Funkeln seine Augen. Ja, das wäre eine gelungene Genugtuung.

Auf dem Weg zum Stall – Peer musste schließlich die Tiere versorgen – kam er an dem Raum mit der verborgenen Tür vorbei. Sich vorsichtig umschauend, entriegelte er das versteckte Schloss und schlüpfte hinein. Jetzt nur nicht gesehen werden. Peer zog sich die Ärmel seiner Jacke über die Hände, holte das Gewehr, mit dem er den Russen erschossen hatte, aus dem Schrank und wischte es fein säuberlich ab. Nichts, aber auch gar nichts durfte von ihm daran gefunden werden. Schon gar keine Fingerabdrücke. Aber etwas von Ole würde man daran finden, beschloss er und überlegte, wie er am geschicktesten vorgehen könnte. Dann zog er die große Plastikplane aus der Ecke und schob sie ein wenig auf. Aus dem Sack darunter kam ihm schon ein übler Geruch entgegen. Der Geruch von Blut und Gewebe war fast unerträglich.

Ja, die Überreste des Russen stanken schon gewaltig, er musste ihn nun schnellstens vergraben.

Eigentlich war es verwunderlich, dass die Schweine, die sonst als Allesfresser außer Knochen keinen Rest übrig ließen, in der Nacht nur die Hälfte des Russen gefressen hatten. „Nun“, so überlegte er, „das lag vielleicht daran, dass es mitten in der Nacht gewesen war. Tagsüber würde das mit Sicherheit nicht passieren.“ Peer schloss den Sack etwas fester zu, deckte die Plane ordentlich darüber, legte ein paar Steine obenauf und verließ den Raum. Kommende Nacht wollte er den Russen auf dem Gelände vergraben, und er wusste auch schon wo. Jetzt musste er es nur noch schaffen, etwas DNA von seinem Chef zu bekommen und dass der das Gewehr anfasste und somit seine Fingerabdrücke darauf platzierte. Peer wusste allerdings noch nicht, wie das gelingen könnte.

Jetzt aber wollte er sich um die Tiere kümmern, alles sollte so unauffällig laufen wie immer, schließlich durfte er nicht auffallen. Er vergewisserte sich nach allen Seiten, verließ dann den versteckten Raum und schloss ihn ab. Dann machte er sich gut gelaunt und leise pfeifend auf den Weg zu den Tieren. Sein Körper schmerzte nun gar nicht mehr so stark wie noch vor ein paar Minuten. Selbst pfeifen konnte er schon wieder, wobei es sich wegen des fehlenden Zahnes heute anders anhörte als sonst. Rache war besser als jede Schmerztablette.

Konzentriert versorgte er die Tiere. Die drei Stuten, mit denen sein Chef so viel vorhatte, wie auch die drei anderen Pferde, die hier untergestellt waren, warteten schon ungeduldig auf ihn. Auch wenn Peer oft ein gewalttätiger Mensch war, es ihm nichts ausmachte, einen Menschen zu töten, so waren ihm Tiere sehr wichtig. Vor allem aber seine drei Rassemädels, wie er die Stuten liebevoll nannte.

Nacheinander holte er Chloe, Salome und Saskia aus ihren Boxen. Begrüßte jede Einzelne mit leisen Worten, klopfte ihnen sanft den Hals und führte sie an der langen Leine über den Hof hinüber zum Tagesgatter. Die drei Stuten hatten hier ihren eigenen Auslauf, streng voneinander getrennt.

Jede bekam das auf sie zugeschnittene Futter und frisches Wasser. Die drei mussten für die Besamung gut vorbereitet sein. Striegeln war für später angesagt, jetzt musste er erst den Stall säubern.

Aus dem Nachbarstall, in dem die fünfzehn Pensionspferde untergebracht waren, hörte er Stimmen. Die Mädels kamen samstags immer schon sehr früh raus zu ihren Lieblingen, um nach getaner Arbeit auszureiten. Auch heute hatte man sie nicht abhalten können, obwohl sich durch die Pandemie einiges geändert hatte. Um diese Pferde dort würde er sich nicht kümmern müssen.

Peer arbeitete heute Morgen nicht ganz so konzentriert wie üblich. Die letzten Tage, vor allem die Nächte, gingen ihm durch den Kopf. Was hatte er nicht schon alles für den Holländer getan, vieles davon hart an der Grenze eines Verbrechens. Nun war er für ihn sogar zum Mörder geworden. Das alles im Grunde nur, weil er für sich keine Alternative sah. Wer würde ihn denn schon einstellen?

Peer hatte keinen Beruf gelernt, etliche Jahre auf der Straße gelebt, hier in Deutschland, aber auch viele Jahre drüben in Holland. Dort war er dann auch an Ole van Leeuwen geraten.

Peer dachte an die Nacht vor einigen Jahren, als er wieder einmal vollgedröhnt am Strand in …, ja, wo war das noch gleich? Irgendwo an der holländischen Nordseeküste. Er hatte sich wie immer auf seine Art Geld beschafft, um sich mit Drogen einzudecken, und war mit einem Vorrat für mehr als zwei Wochen Richtung Strand getrampt. Eines Nachts war er dann, noch total berauscht, am Strand aufgewacht und glaubte an Halluzinationen, als er bemerkte, dass Pferde dicht neben seinem Kopf vorbeihetzten. Im fahlen Licht des Mondes musste er dann aber feststellen, dass es tatsächlich so war. Noch total benommen, hatte er sich dann aufgerappelt und war beinahe in ein galoppierendes Pferd gelaufen. Pferd und Reiter bemerkten ihn erst im allerletzten Moment und konnten ihm gerade noch ausweichen. Das Pferd scheute und warf seinen Reiter ab. Peer griff damals geistesgegenwärtig nach dem Halfter des davonlaufenden Pferdes und konnte es beruhigen.

Der Reiter war Ole van Leeuwen, der, wie sich herausstellte, nachts am Strand die Qualität einiger Pferde testete.

Zuerst war Ole fürchterlich wütend, bemerkte aber, dass Peer eine Gabe hatte, mit Pferden umzugehen. Eine Gabe, von der Peer selbst nicht wusste, dass er sie besaß.

Damals arbeitete Ole van Leeuwen noch in Holland, musste kurz darauf aber, da man ihn des Pferdedopings und anderer Straftaten anklagen wollte, ganz schnell das Land verlassen.

Danach hatte er sich einen Hof in Ostfriesland gepachtet und trieb sein Spiel dort weiter.

So kam es dann, dass Ole Peer fragte, ob er nicht als Pferdeknecht bei ihm arbeiten wolle, ihm dafür zwar nur einen Hungerlohn, aber ein Dach über dem Kopf angeboten hatte. Peer wusste, dass ihn das damals gerettet hatte, sonst wäre er heute sicher nicht mehr am Leben. Er war Ole dafür sehr dankbar und hatte deshalb wohl auch ganz oft für ihn die Drecksarbeit übernommen, Straftaten begangen oder die seines Chefs vertuscht. Aber alle Dankbarkeit kannte auch ihre Grenzen und Peer beschloss: Bis hierhin und nicht weiter! Er bereute sehr, nun auch zum Mörder geworden zu sein. Außerdem, die Geschehnisse der letzten Nacht, Oles Schläge, seine Drohungen, waren zu viel.

„Das bekommst du zurück, Ole van Leeuwen, das schwöre ich dir!“, murmelte der Mann, während er die Pferdeboxen säuberte.

Peer wusste, dass er es sehr schlau angehen musste, wenn er den Holländer drankriegen wollte. „Alles muss gut durchdacht sein, aber ich habe ja Zeit.“ Der Mann erinnerte sich an etwas, das seine Mutter immer sagte, wenn sein Vater sie wieder einmal verprügelt hatte: „Peer, mein Sohn, die Rache ist mein. Glaube mir, eines Tages bekommt er alles zurück. Die Rache ist ein zartes Pflänzchen, das gehegt und gepflegt werden muss, bis es zu einem großen und kräftigen Baum herangewachsen ist. Nur dann kann sie wirken und all dem ein Ende setzen. Man hat nur eine Chance, aber die muss passen.“ Und irgendwie hatten sich Mutters Worte ja auch erfüllt, denn eines Tages lag sein Vater tot im Bett. Herzversagen stand auf dem Totenschein des Arztes.

Peer wollte von seiner Mutter nie wissen, ob das wirklich so gewesen ist.

Daran wollte er sich halten. Planen, wachsen lassen und dann endgültig zuschlagen.

Zuerst musste er sich etwas einfallen lassen, wie er Ole dazu bekommen konnte, das Gewehr anzufassen. Natürlich war das schwierig und auch gefährlich. Andernfalls würde er Fasern eines Kleidungsstückes von Ole daran anbringen. Ich muss nachdenken, ich muss ganz genau nachdenken, überlegte er und stellte den Besen zur Seite.

Die Boxen waren sauber.

Als er den Stall verließ, sah er Ole über den Hof auf sich zukommen. Was würde jetzt wohl passieren? Er hatte ihm in der Nacht ja angedroht, dass die Sache noch nicht ausgestanden sei.

Peer ballte die Faust in der Tasche.

Aber Ole sagte nichts dazu, sondern blaffte ihn an:

„Bist du mit den Pferden fertig? Dann geh gleich rüber zu den Schweinen und sieh zu, dass sie versorgt werden. Ausmisten und füttern, und dass mir da keine Überreste vom Russen rumliegen. Du weißt, dass die Viecher oft die Knochen liegen lassen. Was ist mit den Pensions­pferden?“, setzte er dann nach. „Haben die Gören die Sache im Griff?“

Peer brummte etwas Unverständliches und machte sich auf den Weg. Ole verstand es nicht, es war ihm aber auch egal, er hatte ganz andere Sorgen.

Er musste die im Beipackschreiben erwähnte Frau finden, sonst war all das, was er in den letzten Wochen und Monaten auf den Weg gebracht hatte, vergeblich.

Er dachte mit Schrecken an die Araber, die keinen Spaß verstanden, sollte er nicht liefern.

In der letzten Nacht war er dann, entgegen jeder Absprache, zu dem Entschluss gekommen, seinen Kontaktmann bei der IMG anzurufen. Der musste ihm den Kontakt zu dieser Frau herstellen. Eine andere Chance gab es nicht. Sollte das nicht klappen, wäre wirklich alles umsonst gewesen. „Hoffentlich ist die Handynummer noch aktiv“, überlegte er.

 

Ole ärgerte sich, dass er den Russen zu früh hatte erschießen lassen, aber die zehntausend Euro konnte er anderweitig viel besser brauchen. Nun ist es zu spät, wusste er.

Verärgert lief er ins Haus und ließ sich im Büro auf den Schreibtischstuhl fallen. Mürrisch zog er eine Schreibtischschublade auf und tastete mit den Fingerspitzen den oberen Teil der Lade ab. Dort klebte ein Haftzettel mit der Telefonnummer seines Kontaktmannes.

Dann griff er sich das Handy und wählte die Nummer.

Nach Ende des Gesprächs lehnte er sich zufrieden zurück. Ole überlegte, wie er es am besten anfangen könnte, die Frau, deren Namen er inzwischen kannte und von der er wusste, dass sie hier in Ostfriesland unterwegs war, aufzutreiben.

Natürlich war sein Kontaktmann nicht erfreut gewesen, von ihm zu hören, gab ihm dann aber nach langer Diskussion die gewünschte Auskunft.

Nach ein paar weiteren Telefonaten stand Ole van Leeuwen auf, griff sich seinen Autoschlüssel vom Schreibtisch und verließ das Haus.

Auf dem Weg zum Auto schaute er in den Stall zu seinem Stallburschen und rief ihm zu, dass er für den Rest des Tages unterwegs sei und Peer sich um alles auf dem Hof kümmern solle. „Schau auch rüber zu den Pensionspferden, ich will keinen Ärger mit den Einstellern haben“, ordnete er an und setzte nach:

„Und bau keinen Scheiß, du weißt, wir haben noch eine Rechnung offen!“ Dann knallte er die Tür zu und lief zu seinem Wagen.

Ole dachte nach: Das muss einfach klappen, ich habe den Namen der Frau, weiß, wo ungefähr sie sich aufhält. Mit ein wenig Glück und Rumfragen dort in der Gegend sollte sie doch zu finden sein.

Und Ole war sich sicher, dass er kurzen Prozess mit ihr machen würde, für Diskussionen und Rumgezicke hatte er einfach keine Zeit.

Wenn das nicht klappte, war seine einzige Option, die Araber zu bescheißen, dann allerdings musste er von hier abhauen und ganz weit weggehen, um seiner Verfolgung zu entgehen.

Nachdem Ole vom Hof gefahren war, beschloss Peer, nun erst einmal zu frühstücken. Er selbst hatte nichts Essbares in seiner kleinen Küche, aber im Kühlschrank von Ole würde sich sicher etwas finden lassen.

Eine Stunde später begab er sich wieder an die Arbeit und war damit bis in den Abend beschäftigt. Es gab einfach zu viel zu tun für einen allein hier auf dem Gestüt. Die Einstellpferde standen zwar wieder in ihren Boxen, die Mädels hatten wie immer gute Arbeit geleistet, aber was sonst noch auf dem Hof anfiel, war reichlich. Eine zweite Kraft auf dem Hof müsste her, machte er sich Gedanken, aber dazu fehlte Ole wohl wieder einmal das Geld.

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