Handbuch Wandertourismus

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Einem weiteren „Zeitgeistklischee“ ist er beim Anteil junger Wanderer zwischen 14 und 29 Jahren auf der Spur. „Auch wenn Wanderklamotten nach wie vor weit über die Outdoorszene hinaus up to date sind, gehören die Stichworte ,Boom‘ und ,jung‘ mittlerweile in den Bereich der Legendenbildung.“ (a. a. O., S. 4) In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts konnten zahlreiche Untersuchungen eine „Wiederentdeckung“ des Wanderns in dem besagten Alter ausmachen, doch der Anteil wandernder junger Leute ging von 58 % (2001) stetig zurück auf 36 % (2015).

„Die Schrumpfungstendenz des Wandermarkts setzt sich also fort, obwohl dieser sich in den letzten Jahren auf der Angebotsseite mit diversen Qualitätsprodukten regelrecht neu erfunden hat.“ (a. a. O.)

Das Interesse an der Natur und ihre Wertschätzung haben nach Befragungen des Bundesamts für Naturschutz in den vergangenen Jahren abgenommen.

Tab. 2: Persönliche Bedeutung von Natur

Diesseitsparadies – Das Bundesamt für Naturschutz fragt in seinen „Naturbewusstseinsstudien“ seit 2009 nach der „persönlichen Bedeutung von Natur“.


jadavon ja, voll und ganz
„Ich versuche, so oft wie möglich in der Natur zu sein“75/75/8531/33/41
„Es macht mich glücklich, in der Natur zu sein“85/86/9141/41/52
„Natur bedeutet für mich Gesundheit und Erholung“91/93/9553/58/60
„Ich fühle mich mit Natur und Landschaft in meiner Region eng verbunden“ 81/81/8436/38/43
Quelle: BRÄMER (a. a. O., S. 5)Antwortquoten in % jeweils 2013/2011/2009

Entgegen dem Trend eines nachlassenden Interesses an der Natur und an der Bewegung in ihr sieht BRÄMER einen Gewinner: „Denn die gezielt qualitätsoptimierten und zertifizierten Wege haben meist Jahr um Jahr an Akzeptanz gewonnen. Insofern belegen auch die vorliegenden Daten einmal mehr die Notwendigkeit, sich engagiert dem Wettbewerb um die Publikumsgunst zu stellen.“ (a. a. O.)

Weitere Informationen über den „Homo migrans“, seine Verbreitung und sein artspezifisches Verhalten sind dem nachfolgenden → Kap. 2.2. zu entnehmen.

2.2 Wer wandert heutzutage wann und wo?

Zu Zahlen, Verteilung und Struktur der Wanderer liefert die vom BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND TECHNOLIGIE in Auftrag gegebene Studie (BMWI (2010)) relativ aktuelle Informationen, die die eingangs gestellte Frage beantworten können und damit auch Auskunft über grundlegende Aspekte des Wandermarkts in Deutschland geben können.

Bei der Gesamtnachfrage Wandern kam heraus: „Insgesamt können 56 % oder fast 40 Mio. Personen der deutschen Bevölkerung ab 16 Jahren als aktive Wanderer bezeichnet werden.“ (BMWI (2010), S. 24) In dieser Gesamtzahl der Befragten verbergen sich alle Wanderer mit sehr unterschiedlichem Drang ins Grüne: 15 % von ihnen gaben an, regelmäßig zu wandern, 23 % nur gelegentlich und 18 % eher selten – 44 % der Befragten haben mit Wandern nichts am Hut. Mit einem Wert von mehr oder weniger 56 % liegt die grundsätzliche Wanderintensität nach weiteren Studien und einem Blick wenige Jahre zurück konstant auf diesem Niveau. Wie oft die Wanderer im Laufe eines bestimmten Zeitabschnittes ihre Wanderschuhe schnüren, wurde ermittelt. Wiederum ausgehend von der Gesamtmenge aller Befragten, d. h. inklusive der erklärten Nicht-Wanderer, ist festzuhalten:


Abb. 1: Wanderhäufigkeit (vgl. BMWI (2010), S. 24)

Wie steht es um die Wanderintensität innerhalb verschiedener Altersgruppen? „Jüngere wie ältere Menschen wandern. Die Regelmäßigkeit der Aktivität Wandern ist allerdings stark vom Alter abhängig: Mit zunehmendem Alter steigt die Bereitschaft zu wandern deutlich an.“ (a. a. O., S. 25) Die stärksten Gruppen unter den regelmäßigen Wanderern sind in der Altersklasse 65 bis 74 Jahre mit 28,4 % zu finden, gefolgt von den 55- bis 64-Jährigen mit 19,1 %. Unter den jungen Leuten von 16 bis 24 Jahren geben gerade einmal 5,3 % an, regelmäßig zu wandern. Bei der Gruppe der gelegentlichen Wanderer liegen die prozentualen Anteile der einzelnen Lebensdekaden längst nicht so weit auseinander. Größere Unterschiede bzw. eine markante Abnahme finden sich bei denen, die eher selten wandern: Hier geht der Wert von 27,4 % bei der jüngsten Altersgruppe der Untersuchung stetig zurück bis auf die Gruppe der über 75-Jährigen, von der 9,2 % nur noch selten wandert. Unterschiede in der Wanderintensität zwischen Frauen und Männern konnten dagegen nicht festgestellt werden.

Interessant ist die Frage zum geographischen Aspekt der Wanderlust: Gibt es regionale Unterschiede? Da bei den Ergebnissen der oben zitierten Studie Personengruppen gefunden wurden, die so häufig wandern, dass es sich nicht ausschließlich um Urlaubsaktivitäten handeln kann, spielt der Aspekt Tagestourismus hier eine wichtige Rolle und das kann nun auch andere Wandergebiete betreffen als die „klassischen“ Wanderdestinationen. Oder es wäre auch eine grundlegende Überlegung, ob man in den entsprechenden Bundesländern Geld für Werbe- und Marketing-Aktionen ausgeben sollte, wenn dort die erklärten Nicht-Wanderer dominieren. Es gibt in Deutschland ein markantes Süd-Nord-Gefälle, was die Neigung zu wandern betrifft, das heißt die mit Abstand meisten Wandermuffel sind in den nördlichen Bundesländern zu finden. 66 % der Befragten in Schleswig-Holstein gaben an, nie zu wandern, in Hamburg und in Brandenburg liegt ihr Anteil auch noch deutlich über der 50-Prozent-Marke.

Als südlichstes Vorkommen von Nie-Wanderern (ca. 60 %) fällt das Saarland auf. Diese Tatsache überrascht, denn die Mittelgebirgsregionen gehören zu den beliebtesten Wanderregionen – nicht nur als Zielgebiete, sondern auch als Quellgebiete für den Wandertourismus. „Die höchsten Anteile aktiver Wanderer finden sich dagegen in den Mittelgebirgsregionen Deutschlands: Die Bevölkerungen von Thüringen und Sachsen weisen mit Abstand die größte Wanderintensität auf – rund 70 % der Bewohner zählen sich zu den aktiven Wanderern. Überdurchschnittlich hoch ist die Wanderintensität auch in den Stadtstaaten Berlin und Bremen (ca. 59 % bzw. 58 %).“ (a. a. O., S. 25) Bekanntermaßen sind es nicht bergige Landschaften, die hier zum Wandern motivieren könnten, sondern wohl eher der Drang „Aus grauer Städte Mauern zieh‘n wir durch Wald und Feld“.

Welche Vorlieben für Landschaftsformen die aktiven Wanderer allgemein oder auch nach den Herkunfts-Bundesländern haben, wurde in der Studie des Wirtschaftsministeriums ebenso ermittelt. Bei den Wanderpräferenzen steht das Mittelgebirge an erster Stelle, rund 40 % der Viel-Wanderer bevorzugen diese Regionen. An zweiter Stelle stehen mit rund 30 % in der Beliebtheitsskala das Flachland und die Küstenregionen. Abgeschlagen scheint das Hochgebirge, das nur 9 % der Wanderer als ihr bevorzugtes Gebiet bezeichnen. Das Gros der Hochgebirgsliebhaber kommt dagegen aus Regionen, die räumlich wie topographisch von den Alpen weiter entfernt liegen. „Die aktiven Wanderer aus Hamburg (ca. 18 %) und Mecklenburg-Vorpommern (16 %) zeigen mit Abstand die höchsten Präferenzen für das Hochgebirge als Landschaftsform zum Wandern – gefolgt von Sachsen, Saarland, Nordrhein-Westfalen und Berlin.“ (a. a. O., S. 26)

Bei den Bewohnern von Flachland- bzw. Mittelgebirgsregionen fällt auf, dass diese auch die Landschaftsformen, in denen sie leben, zum Wandern bevorzugen. Die aktiven Wanderer und Einwohner von Schleswig-Holstein, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg bevorzugen zu jeweils knapp über 50 % das platte Land, während es die Rheinland-Pfälzer zu ca. 52 %, Sachsen-Anhalter (ca. 54 %), Sachsen (sogar 63 %) und Thüringer (ca. 64 %) mit dem Mittelgebirge halten. Das größte landschaftliche Spektrum als Heimspiel haben die Bayern; für 45 % der Vielwanderer sind das Alpenvorland und das Allgäu die bevorzugten Wanderregionen. Die deutlichen Präferenzen für die Landschaften in der relativen Nähe sind wiederum ein Indiz dafür, dass der Wandertourismus als Tagestourismus oder in Form einer kurzen Reise, wie zum Beispiel eines Wochenendaufenthalts, eine nicht unbedeutende Rolle spielt.

Nach der alten Wandererregel „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“ ist ganzjährig Wandersaison. Natürlich möchte nicht jeder ständig seine Funktionskleidung auf Wasser abweisende oder wärmende Fähigkeiten testen, so dass es schon einen deutlichen Anstieg in der Zahl der Wanderungen im Sommer – mit einem Maximum im August und September – gibt. Aber auch in den Wintermonaten von November bis Februar zieht es noch gut 20 % der Wanderer in die Landschaft.


Abb. 2: Saisonalität der Aktivität Wandern; „In welchen Monaten sind Sie gewandert?“ (vgl. BMWI (2010), S. 24)

Zu den soziodemographischen Fakten, die charakteristisch für „die“ Wanderer, sprich: die aktiven Wanderer, sind, gehört ein höherer Bildungsgrad. „Mit zunehmender Wanderhäufigkeit und -intensität steigt der Anteil höherer Bildungsabschlüsse deutlich an. Der Anteil der Abiturienten erreicht bei den regelmäßig und gelegentlich wandernden Personen einen Wert von ca. 32 %, dagegen liegt dieser Anteil bei den Nicht-Wanderern bei nur ca. 15 %“ (a. a. O., S. 39). Die höheren Bildungsabschlüsse schlagen sich in entsprechenden Berufstätigkeiten nieder, so dass sich daraus ableiten lässt – und von den Untersuchungen bestätigt wird, dass das Einkommen von aktiven Wanderern höher liegt. „So verfügen rund 41 % der aktiven Wanderer über ein Haushaltsnettoeinkommen von mindestens 2.250 € – dieses Einkommensniveau erzielen nur ca. 26 % der Nicht-Wanderer.“ (a. a. O. 29) Damit sei deutlich der Fehlinterpretation widersprochen, wer wandere habe kein Geld für ein teureres Urlaubs- oder Freizeitvergnügen! Allein für die optimale Wanderausrüstung, wenn man nicht auf die Angebote bei Discountern zurückgreifen möchte, kann man – ohne rein modischen Trends nachzulaufen – ein ordentliches Sümmchen auf den Ladentisch legen! Einige Details um Ausgaben für die Ausrüstung und den Wirtschaftsfaktor Wandern sind in → Kap. 3.2 zu finden.

 

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass zwar in allen Bevölkerungsschichten gewandert wird, aber die Intensität des Wanderns vor allem durch die Faktoren Alter und Bildungsstand bestimmt wird. Dies gilt nicht nur für die höheren Altersklassen, sondern auch für die jüngeren: „Jüngere Personen mit höherer Schulbildung wandern wesentlich häufiger als gleichaltrige Personen mit geringerer Schulbildung. Dieser Zusammenhang wird mit zunehmendem Alter immer stärker.“ (a. a. O., S. 40)

Literatur

BRÄMER, R. (2015): Spazierwandern. Das kleine Wandererlebnis zwischendurch. Oder: Die anspruchsvolle Alternative für Spaziergänger. Wandern als Natur- und Selbsterfahrung. Wanderforschung.de 4/2015.

BRÄMER, R. (2015): Es gibt keinen neuen Wanderboom. Erst recht nicht unter jungen Zeitgenossen. Wanderforschung.de (4/2014, Stand 3/2015).

BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND TECHNOLOGIE (Hrsg.) (2010): Grundlagenuntersuchung Freizeit- und Urlaubsmarkt Wandern. Forschungsbericht Langfassung 2. Aufl., Berlin (auch als PDF unter www.bmwi.de).

DEUTSCHER TOURISMUSVERBAND (DTV)/DEUTSCHER WANDERVERBAND (DWV) (2002): Wanderbares Deutschland. Praxisleitfaden zur Förderung des Wandertourismus. 2. Aufl. Bonn/Meckenheim.

2.2.1 Schulwandern

Die Zukunft des Wanderns liegt unter anderem auch im Schulwandern, das die Wandervereine, allen voran ihr Zusammenschluss, der Deutsche Wanderverband (DWV), „entdeckt“ haben. Wenn auch „Wandertage“ bevorzugt in der Zeit vor Schuljahresende eine gewisse Tradition im deutschen Schulalltag haben – als Notlösung, wenn notenrelevante Leistungen nicht mehr gefragt sind und andere pädagogisch wertvolle Lernziele „entdeckt“ werden, so gilt es nun nach dem Vorbild der „Uteskole“ („Draußenschule“) in skandinavischen Ländern, einen Unterricht im Freien nicht nur zur Umweltbildung und direkten Begegnung mit der Natur mit allen Sinnen, sondern auch zur Weiterentwicklung von sozialen Kompetenzen zu fördern. Die Defizite einer modernen Kindheit im Kontakt mit der Natur (→ Kap. 7.2) können damit reduziert werden.

Das Schulwandern ist auch der Gegenstand eines bundesweiten Projekts, bei dem der DWV als Projektträger und die Johannes Gutenberg-Universität Mainz als wissenschaftlicher Projektpartner beteiligt sind und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und das Bundesamt für Naturschutz (BfN) für den Zeitraum vom 1.1.2014 bis 31.12.2016 insgesamt 996.850 Euro bereitstellen.

Das Projekt „Schulwandern – Draußen erleben. Vielfalt entdecken. Menschen bewegen“ aus dem Bundesprogramm Biologische Vielfalt hat sich zum Ziel gesetzt, „Lehrer und Lehrerinnen als auch Schüler und Schülerinnen stärker für die Bedeutung und Schutzwürdigkeit der biologischen Vielfalt zu sensibilisieren. Auf diese Weise sollen sie letztlich auch befähigt werden, gesellschaftliche Verantwortung für die biologische Vielfalt zu übernehmen, die auf eigener Natur-Erfahrung beruht.“ (http://www.biologischevielfalt.de/20143.html )

Im Förderzeitraum der Jahre 2014 bis 2016 werden Modellkonzepte entwickelt und an drei Grundschulen in Baden-Württemberg, Brandenburg und Rheinland-Pfalz bei regelmäßigen „Draußentagen“ praktisch umgesetzt, Erziehungswissenschaftler der Universität Mainz begleiten das Projekt wissenschaftlich (http://web5.werbeagentur-aufwind.com/dwv-microseiten//html/seiten/output_adb_ file.php?id=5015).

Für den Deutschen Wanderverband gehört die Förderung des Schulwanderns zum Alltagsgeschäft; er wirbt ganzjährig für „Wandertage biologische Vielfalt“, erstellt Bildungsmaterialien und bietet seit 2013 in Kooperation mit der Deutschen Wanderjugend (DWJ) auch Fortbildungen zum/zur zertifizierten Schulwanderführer/-in an. Inhalte dieser Ausbildung sind: „Pädagogische Grundlagen/Didaktik, Kinder- und Jugendwanderformen, Bildung für nachhaltige Entwicklung mit Schwerpunkt biologische Vielfalt, Organisation von Schulwanderungen, Orientierung im Gelände und rechtliche Rahmenbedingungen“ (www.schulwandern.de/text/143/de/schulwander-projekte.html). Diese Ausbildungen finden in Zusammenarbeit mit regionalen Wandervereinen, wie zum Beispiel dem Sauerländischen Gebirgsverein und seiner SGV-Wanderakademie oder der Heimat- und Wanderakademie Baden-Württemberg (→ Kap. 10.7) des Schwäbischer Albvereins, statt.

Zudem hat der DWV mit der Website www.schulwandern.de das erste Schulwanderportal für Lehrer, Umweltbildner, Multiplikatoren sowie Natur- und Umweltschutzverbände geschaffen.

Mit welchen Abneigungen sich Schüler auf eine Schulwanderung machen, mit welchen Aktionen man aber Jugendlichen auch zu Spaß an der Bewegung und Entdeckung der Natur verhelfen könnte – als Lehrer oder Touristiker ein attraktives Erlebnis bzw. Angebot gestalten könnte, dazu liefert ein Blick auf die Wandermotive und den altersspezifischen Wanderfrust (→ Kap. 2.3.1) nützliches Hintergrundwissen.

♦ Websites

▶ Deutscher Wanderverbands zum Schulwandern

www.schulwandern.de

www.schulwandern.de/text/112/de/schulwandern.html

www.schulwandern.de/text/143/de/schulwander-projekte.html

▶ Bundesamt für Naturschutz zum Schulwandern

www.biologischevielfalt.de/20143.html

▶ Flyer Schulwanderprojekt

web5.werbeagentur-aufwind.com/dwv-microseiten//html/seiten/ output_adb_file.php?id=5015

2.3 Was treibt die Wanderer in die Landschaft?
2.3.1 Motive

Die Vergleichbarkeit der drei zugrunde liegenden Studien (Profilstudie Wandern 2008, Grundlagenuntersuchung 2010 und Wanderstudie 2014) mag angesichts einer „wissenschaftlichen Goldwaage“ zu einigen Diskussionen Anlass geben, wie es BRÄMER auch formuliert (vgl. S. 2). Doch im Rahmen dieses Grundlagen vermittelnden und an den Bedürfnissen der Praxis orientierten Werkes sollen diese akademischen Reflexe ignoriert werden!

Welche für diese Zwecke hilfreichen Erkenntnisse und Trends rund um Wandermotive in Deutschland lassen sich aus diesen Zahlen herausholen? Mit deutlichem Abstand steht bei den befragten Personen der Wunsch, die Natur zu erleben, an erster Stelle. Ist es ein ernst zu nehmendes Zeichen, dass der Prozentsatz dieses führenden Motivs in der jüngsten Studie deutlich abgenommen hat? Nahezu gleichauf sind aktuell die verwandten Motive „sich bewegen, aktiv sein“ und „etwas für die Gesundheit tun“. Im Unterschied zu den älteren Untersuchungen überrascht, dass bei diesen allgemein im Trend liegenden wie durchaus „vernünftigen“ Bemühungen der Zeitgenossen im Bezug auf das Wandern jedoch deutliche Abstriche gemacht werden. „Eine Region zu erleben“ scheint per Pedes auch weniger gefragt zu sein.

Mit den Intentionen „Stress abbauen“, „frische Kraft sammeln“, „in Geselligkeit sein, Gemeinschaft erleben“, „zu sich selber finden“, „auf sich selbst zu besinnen“ sind in den tieferen Rängen der Skala die Gewinner der Wandermotive zu finden.

Tab. 3: Wandermotive im Vergleich


Rang18 ausgewählte Motive von 21RangDiff.%2014%2010%Diff.%2008
1die Natur erleben7587-12(88)
2sich bewegen, aktiv sein5772-15(52)
3etwas für die Gesundheit tun5665-9(70)
4eine Region erleben3854-16
5Stress abbauen+23138-7(53)
6den Alltag verbessern2533-8
7frische Kraft sammeln+12335-12
8neue Eindrücke gewinnen-32243-21
9etwas Neues entdecken2043-23
10Stille erleben1929-10(65)
11in Geselligkeit sein, Gemeinschaft erleben+11637-21(62/6)
12zu sich selber finden+31216-4(24)
13frei sein-21121-10
14aktiv Sport treiben921-12(18)
15sich auf sich selbst besinnen+1816-8
16viel erleben-3722-15
17Horizont erweitern, etwas für die Bildung tun517-12
18Religiöse/spirituelle Motive110
Quelle: Wandermotive im Zeitenwandel (2014) Schnitt-12

Bei einem Vergleich der Profilstudien Wandern der Jahre 2003, 2004, 2006 und 2008, die von ihrem methodischen Vorgehen, den zugrunde liegenden Fragen und Antwortvorgaben auch Veränderungen erfahren haben, kommt BRÄMER (a. a. O., S. 5) zu folgenden Erkenntnissen:

♦ Wissen

„Der Spitzenplatz des Naturerlebnisses in enger Verbindung mit natürlicher Stille – in deutlicher Abstufung zum Interesse an Flora und Fauna; der ökologisch nuancierte Wunsch nach unberührter Natur bzw. Wildnis fällt dagegen noch drastischer ab, auf etwas niedrigerem Niveau die Neugier auf unbekannte Regionen, ein nur mittlerer [sic!] Interesse an einer Einkehr unterwegs, das Bedürfnis zur selbstbesinnlichen Innenschau sowie der alternative Drang zu sportliche [sic!] Leistungen, beides auf mäßigem, extrem konstantem Niveau ein erstaunlich geringer Abenteuerwunsch.“

Eine eigenständige Untersuchung zu den Erwartungen, Meinungen und zum Verhalten Jugendlicher führte BRÄMER in der „Wanderstudie Jugend 07 Aus-Lauf-Modell?“ durch (http://wanderforschung.de/files/justu07kern1238952226.pdf). Die wichtigsten Ergebnisse sollen zum Verständnis, der sich oftmals weigernden Zielgruppe und als Hintergrundwissen für eventuelle Planungen kurz vorgestellt werden.

„Uncool“, „ätzend“ – die Aussicht auf eine Wanderung mit der Schulklasse oder einen Spaziergang wird von den meisten Jugendlichen mit dem gerade gültigen abwertenden Modewort quittiert. „Ich wandere gerne“ gaben gerade einmal 14 % der Befragten an, während 22 % behaupteten „ich gehe gerne spazieren“. Die scheinbare Scheu vor der Bewegung und ein weit verbreiteter Wanderfrust zeigen sich weniger bei anderen Fußaktivitäten, wie dem Trekking (machen 26 % gerne) und dem Joggen/Waldlauf, die von 41 % gerne praktiziert werden. Bei der Formulierung im Fragebogen „Durch die Gegend zu streifen“, äußerten 43 % ihre Zustimmung. Auf die Aussicht „mich frei bewegen zu können“ fuhren die befragten Jugendlichen dagegen ab, 84 % tun dies gerne.

Welche Aspekte bei einer Gruppen-/Schulwanderung lösen derartigen Frust aus, zählen zu den schlechten Erfahrungen, die dem Jugendlichen das Wandern bereits weitgehend verleidet haben? Die Hitliste aus der Wanderstudie Jugend 07 (a. a. O., S. 11) offenbart Folgendes:

 Langweilige Wege (69 % empfanden dies als Störfaktor)

 Belehrungen unterwegs (63 %)

 Handyverbot (58 %)

 Zwang zum Zusammenbleiben (52 %)

 Dauernd nur Gehen ist langweilig (50 %)

 Man bekommt so schnell Blasen (45 %)

 Lehrer dabei (43 %)

 Moralische Verhaltensregeln (43 %)

 Lehrer verläuft sich (41 %)

 

 Strecke meist zu lang, Tempo meist zu schnell (38 %)

 Zu anstrengend (31 %)

 Alkohol- und Zigarettenverbot (28 %)

 Man verläuft sich so leicht (18 %)

 Zu viele Mitschüler (16 %)

Wie es die Aspekte dieser Aufzählung zeigen, sind die Störfaktoren keineswegs als Naturgesetze vorgegeben, sondern es gibt reichlich Potenzial, aus dem Wanderfrust das eine oder andere Wandervergnügen für Jugendliche zu machen. Dass alleine das Vermeiden der Störfaktoren bzw. ihr Gegenteil zu einem Imagegewinns der Gruppen-/Schulwanderungen führt, sollte man jedoch auch nicht annehmen!

Wanderlust kann man jedoch auch bei Jugendlichen wecken und fördern. Was diese schwierige Zielgruppe in die Natur locken könnte, ist spätestens seit der Wanderstudie Jugend 07 auch kein Geheimnis mehr (a. a. O., S. 17 ff.). 71 % der befragten Jugendlichen nannten als Möglichkeit, Spaß an einer Klassen-/Wanderung zu haben, diese mitzuplanen. „Damit entgehen die Jugendlichen in der Tat der von ihnen so nachdrücklich kritisierten Bevormundung durch Erwachsene und greifen zugleich ein Kernmerkmal des Wandervogels auf. Man will, wie es dieser Alters- und Entwicklungsstufe angepasst ist, die Entdeckung der Umwelt möglichst in die eigene Hand nehmen und die Erlebnisse auf die Bedürfnisse der Gleichgesinnten zuschneiden.“ (a. a. O., S. 17) Wanderprofis wie Helikopter-Eltern mögen durchaus berechtigte Bedenken haben, ob diese Planungen allen Ansprüchen genügen können, aber es wäre pädagogisch entschieden wertvoller, den Jugendlichen einen Freiraum zu lassen und ihnen die Chance zu geben, eigene Erfahrungen – auch schlechte –, zu machen, ihre Grenzen kennenzulernen und am Abbau von Defiziten zu arbeiten. Von Pädagogen und anderen Erwachsenen mag dies viel Geduld verlangen, aber das wird ihnen wiederum auch nicht schaden.

Womit lassen sich die jungen Leute noch außer zum selbstbestimmten Wandern locken? BRÄMER fand unter dem Aspekt Landschaften, vor allem den Wunsch nach „unbekannten“ Landschaften (53 %) und den Drang „weg von der Zivilisation“ (47 %). Streng genommen ist das ein eher unrealistischer Wunsch, aber bei der weit verbreiteten Entfremdung von der Natur, lässt sich dieser schon in praktikabler Nähe und sicherlich das eine oder andere Mal von einer Haltstelle des ÖPNV aus ausleben! Bei den Wunsch-Wegen soll es abenteuerlich sein (66 %) oder gleich ohne Weg querfeldein (52 %) gehen. Die Nachfrage nach schmalen Wegen/Pfaden ist exakt gleich mit derjenigen nach befestigten Wegen (29 %). Bei einer jugendgerechten Tour spielen viele Pausen und ein Gehen ohne Hektik (54 %) sowie eine zünftige Mahlzeit unterwegs (42 %) eine große Rolle. Genauer nachgefragt, kam zum Vorschein, dass die Rast am Wasser 64 % bevorzugen würden, als zweiter idealer Rastplatz kam die Einkehr bei McDonald’s heraus. Der Filmkonsum schlägt sich auf die Vorstellung von der Orientierung im Gelände nieder, die Spaß machen würde. Mit Nachtsichtgerät würden sich 38 % gerne bei einer Nachtwanderung auf den Weg machen, 34 % fänden den Umgang mit Karte und Kompass spannend und 25 % möchten sich mit der GPS-Navigation in der Landschaft versuchen. Der Anteil derer, die es attraktiv finden, sich vom Smartphone per GPS leiten zu lassen, dürfte seit der Erhebung dieser Daten deutlich angestiegen sein.

In seinem Resümee stellt BRÄMER (vgl. a. a. O., S.21) die Frage, ob es angesichts der „nicht unerheblichen Attraktivitätsverluste nahezu aller Naturaktivitäten“ und der Hinwendung zu „technischen Lebensbegleitern“ nicht angebracht sei, dies zu akzeptieren, und darauf zu warten, dass diese jungen Leute später voll im stressigen Berufsleben stehend, auf Natur und „die entspannenden und erholsamen Kräfte des Wanderns“ angewiesen sein werden.

Inwieweit der Erwachsene, sei es als Elternteil oder Pädagoge, die moderne Entfremdung der Kinder und – in Fortsetzung – der Jugendlichen von der Natur (→ Kap. 7.2) mit den eigenen und gesellschaftlichen Werten in Einklang bringen kann oder hier Handlungsbedarf sieht, ist dessen Entscheidung, aber für Touristiker in Wanderdestinationen empfiehlt es sich auf alle Fälle, Strategien dagegen und Angebote dafür zu entwickeln, schließlich handelt es sich auch um die Gäste der Zukunft.

♦ Websites

▶ Profilstudien Wandern

www.wanderforschung.de/WF/wanderstudien/profilstudien-wandern-kurz.html

▶ Aktueller Vergleich der Wandermotive

www.wanderforschung.de/files/motivreihen_1406262147.pdf

▶ Jugendstudie 2007

wanderforschung.de/files/justu07kern1238952226.pdf