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14. Die Lokomotive

Nunmehr haben wir die Straße kennen gelernt, die gebaut sein mußte, damit unser Schnellzug seine Fahrt vom Anhalter Bahnhof in Berlin nach München antreten konnte. Denn trotz der außerordentlichen Mühen und Anstrengungen, die man an die Herrichtung einer Eisenbahnstraße wendet, ist diese doch kein Selbstzweck. Sie stellt für sich nur ein ruhendes, nutzloses Gebilde dar. Und doch hat man allmählich die Erde mit einem dichten Netz dieser dürren, bräunlichen Dammstreifen überzogen – weil sie der Schemel sind für die Füße eines höheren.

Erst die schnelle Bewegung auf der gebahnten Straße füllt den Begriff „Eisenbahn“. Das an strotzendem Leben, behender Kraft und eindrucksvoller Wirkung reichste Gebilde, das je aus Menschenhand hervorging, ist es, das ganz allein die brausende Bewegung auf dem stählernen Pfad hervorruft.

Wir haben vorhin den zur Abfahrt fertigen Schnellzug betrachtet. Die Bahnhofshalle, in der er stand, das Gleis, auf dem seine Räder aufruhten, die großen D-Wagen selbst, sie alle waren nur unbeseelte Gebilde aus Holz und Eisen. Die Lokomotive allein ist im Bereich der Schienenwelt eine Persönlichkeit. Das atmende, pochende Leben erst, das in ihrem wohlgebildeten Leib eingeschlossen ist, bringt die herrliche Erscheinung des über die Schienen sausenden Zugs zustande, ihre Riesenkraft allein macht die lastenden Wagenburgen leicht beweglich.

Winden wir uns nunmehr durch das Gewühl, welches auf dem Steig des Anhalter Bahnhofs um den zur Fahrt nach Halle bereiten Schnellzug herrscht, und beschauen wir das ungeheure Pferd, das vor ihn gespannt ist.

Welch eine andere Maschine sehen wir hier vor uns, als die es gewesen, welche vor noch nicht 90 Jahren beim Wettkampf zu Rainhill von dem Meister Stephenson zum Sieg geführt wurde. Die „Rakete“ leistete zehn Pferdestärken. Unsere Schnellzuglokomotive vermag mehr zu leisten als 1200 Pferde. Im Kessel der „Rakete“ drückte der Dampf mit einer Pressung von 3,3 Kilogramm auf jedes Quadratzentimeter, und man fürchtete damals schon ein Zerspringen. Heute ist der Dampf im Kessel bis zu 16 Atmosphären angespannt. Das Gewicht der Maschinen ist von 8000 Kilogramm auf 120 000 Kilogramm gestiegen. Die Höchstgeschwindigkeit vor dem Zug, die damals 40 Kilometer in der Stunde betrug, ist auf 120 Kilometer angewachsen.

Die schöne Frances Anne Kemble, die mit Georg Stephenson auf der „Rakete“ mitfahren durfte, sprach in dem Brief, den sie über dieses Erlebnis an ihre Freundin schrieb, und der in Abschnitt 4 mitgeteilt wurde, von der „kleinen und munteren Maschine“, die nur „aus einem Kessel, einer Bank und einem Faß dahinter“ bestehe. „Ein einziger kleiner Stahlhebel,“ so bemerkte sie, „ist zur Lenkung des Ganzen vorhanden.“ Wer heute eine Fahrt auf der Lokomotive zu beschreiben hat, kommt mit so einfachen Wendungen den Tatsachen nicht mehr nahe. Die geistige Arbeit von vielen Geschlechtern der Eisenbahntechniker ist jetzt in dem Hebelgewirr der Lokomotive vereinigt. Sie ist weder klein noch munter, sondern riesenhaft gefügt und trägt den tiefen Ernst nutzbaren und unentbehrlichen Schaffens im Dienst der Menschheit auf dem kühnen Antlitz, das unsere durch ihren Anblick stark erregte Vorstellungskraft ihrem Körper anfügt. Die Schilderung ihres Baus und ihres Arbeitens läßt sich nicht mehr in ein paar Sätzen zusammenfassen.

Bevor wir diese Beschreibung beginnen, wollen wir noch einen Augenblick bei dem Namen verweilen, den die Maschine heute trägt, der aber zu Lebzeiten des Fräuleins Kemble noch nicht in der heutigen Art gebräuchlich war.

Es gibt nur sehr wenige Benennungen, die sich, allen Sprachgrenzen zum Trotz, so weit über die Erde verbreitet haben, wie das Wort „Lokomotive“. Es ist aus zwei lateinischen Worten gebildet, dem der klassischen Zeit entstammenden Wort locus = Ort und dem spät-lateinischen motivus = beweglich. In der Patentschrift, die Stephenson im Jahre 1815 einlieferte, spricht er von einer „construction of locomotive engines“. Der heutige Name wird hier als Eigenschaftswort gebraucht. Erst um 1840 fängt dieses, nach einem Aufsatz von Metzeltin in den „Hanomag-Nachrichten“, an, sich zum Hauptwort umzuwandeln. Von da an beginnt sein Siegeslauf durch die Länder zahlreicher Völker, gleichgültig ob sie eine romanische oder eine germanische Sprache reden. Der Engländer sagt heute „the locomotive“, der Franzose „la locomotive“, im italienischen heißt es „la locomotiva“, in Portugal „a locomotiva“; der Rumäne spricht von einer „locomotiva“, der Holländer sagt „de locomotief“, der Däne und Schwede „locomotivet“. Nur im Spanischen findet sich eine Abweichung; hier heißt es „la locomotora“.

Auch wir Deutschen haben uns dem allgemeinen Gebrauch in dieser Beziehung angeschlossen, was ja bei unserer bedauerlich leichten Hinneigung zu Fremdworten wahrlich kein Wunder ist. Die Bezeichnung „Lokomotive“ ist so tief in unseren Sprachschatz eingedrungen, daß bis zum heutigen Tag ein wirklich deutsches Ersatzwort hierfür fehlt. In Verdeutschungs-Wörterbüchern findet man wohl „Dampfwagen“ und „Dampfroß“ angegeben. Beide sind für den wirklichen Gebrauch nicht verwendbar. Das Wort „Dampfwagen“ ist durch die technische Sprachübung für eine besondere Gattung von Eisenbahnfahrzeugen belegt, nämlich für solche, bei denen die Dampfmaschine und der zur Aufnahme von Fahrgästen bestimmte Wagenkasten baulich zu einem untrennbaren Ganzen vereinigt sind. „Dampfroß“ ist eine ausschließlich in gehobener, dichterischer Sprache zulässige Wendung, und auch hier ist sie nicht gerade schön, weil der bildliche Vergleich, den sie ausdrückt, durch allzu häufige Benutzung bereits stark abgeblaßt ist.

Überhaupt kann heute keine Ersatzbildung, welche die Worte „Dampf“ oder auch „Feuer“ in sich schließt, also etwa „Feuerwagen“, mehr in Gebrauch genommen werden, da sie für die elektrische Lokomotive keinesfalls passend sein würde. Ob vorgeschlagene Neubildungen wie „Beweger“, „Treibling“ oder „Treibzeug“ sich jemals die deutsche Sprache werden erobern können, muß abgewartet werden. Wünschenswert bliebe es natürlich, daß unsere so überquellend reiche Muttersprache auch an dieser Stelle den eingedrungenen Fremdling erfolgreich vertriebe. Bemerkenswert ist noch der Hinweis von Metzeltin, daß einstmals in Deutschland ein Streit darüber getobt hat, ob man „die Lokomotive“ oder „das Lokomotiv“ sagen solle. Heute ist dieser Kampf ja vollständig zugunsten des weiblichen Geschlechts entschieden. Aber an der Bahnstrecke Salzburg-Hallein gibt es noch immer ein „Gasthaus zum Lokomotiv“. —

Wir haben uns die Erlaubnis erwirkt, in den Führerstand der Lokomotive hinaufsteigen zu dürfen. Sobald wir nach Überwindung der steilen Stufen auf der eisernen Plattform angelangt sind, blicken wir zuerst durch das länglich runde Fenster an der rechten Seite der vorderen Abschlußwand des Führerstands hinaus auf die Strecke.

Wie ganz anders stellt sich uns der Eisenbahnkörper jetzt dar, als wir ihn gewöhnlich, in unserer Eigenschaft als einfache Reisende, zu sehen gewohnt sind! Alles heitere gesellschaftliche Treiben, das wir eben noch am Zug beobachtet haben, ist verschwunden. Kalt und streng recken sich die Schienen über der mit größter Sauberkeit hingebreiteten Bettung aus. Man kann zwar, wenn man zur Seite blickt, die Bahnsteige auf der Ankunftsseite des Anhalter Bahnhofs sehen, aber diese haben plötzlich die hervortretende Bedeutung, welche sie für jeden Reisenden besitzen, vollständig verloren. Sie sind bescheidene Auswüchse am endlos sich ausreckenden Streckenkörper geworden.

Mit haarscharfer Deutlichkeit heben sich die Arme der Signale vom leuchtenden Sommerhimmel ab. Man begreift plötzlich, welche ungeheure Bedeutung diesen Zeichengebern innewohnen kann, wenn sie sinnvoll bedient und in ihren wechselnden Stellungen richtig verstanden werden. Zu den Füßen der Signalmaste wimmelt, wie das Unterholz im Hochwald, das Gestrüpp der Weichenlaternen mit ihren weißen Pfeilen, viereckigen und runden Scheiben. Die sanft geschwungenen Bogen der Weichen selbst durchschneiden die glatten Schienenstränge in einem tollen Durcheinander; sie bringen, so scheint es, Verwirrung in die geraden Geleise, so etwa wie ein ABC-Schütze die Sauberkeit der vorgezogenen Linien vernichtet, wenn er auf der Seite seines Schreibhefts Zeichenübungen anstellt. Aber wir wissen schon, daß die Anordnung jeder dieser vielen Dutzende von Weichenlagen genauester Überlegung entsprungen ist.

Weit mehr noch werden wir verwirrt, wenn wir uns nun im Führerstand selbst umblicken. Da sind massige und zierliche Hebel zu sehen, große und kleine Räder, Handgriffe, die hinauf, hinab, nach rechts oder nach links bewegt werden können, Zifferblätter, Klappen und allerhand Kurbeln. Nur wenige dieser Vorrichtungen sind bezeichnet, so daß wir uns vorläufig über ihre Wirksamkeit nicht klar werden können.

Aber jetzt hat der Aufsichtsbeamte draußen auf dem Bahnsteig das Zeichen zur Abfahrt gegeben, und wir haben nun Gelegenheit, den Lokomotivführer beim Bedienen einer großen Zahl dieser Hilfswerkzeuge zu beobachten. Während die Maschine anfährt, gibt er uns einige Erläuterungen.

Zunächst dreht er an einer blanken, mit einem breit gezahnten Rad versehenen Kurbel, die unter seinem Fenster angebracht ist. Es bewegt sich draußen eine Stange, die fast bis zur Vorderwand des Kessels reicht. Sie legt die Dampfsteuerung der Maschine durch Verstellen der Schieber so um, daß der nun alsbald in die Zylinder tretende Dampf die Lokomotive zum Vorwärtsfahren bringt. Bis dahin haben die Schieber in der Mitte, in Abschlußstellung, gestanden. Ein Drehen der Kurbel nach der anderen Seite hätte Rückwärtsfahrt verursacht. Sobald die richtige Schieberstellung erreicht ist, fällt ein kräftiger Daumen in eine Vertiefung des gezahnten Rads und hält Kurbel und Steuerungsstellung unverrückbar fest.

Durch Zug an einem kleinen Griff öffnet der Führer nun Ventile, die sich ganz vorn an den Zylindern befinden. Sofort tropft, was wir allerdings von unserem Stand aus nicht beobachten können, Wasser auf den Bahnkörper hinunter. Es ist der Niederschlag, der sich in den Zylindern beim Stillstand der Maschine aus dem erkalteten Dampf gebildet hat; dieser muß bei den ersten Kolbenhüben einen freien Ausweg finden, damit keine schädlichen Wasserschläge gegen die Zylinderwände entstehen.

 

Dann ist der große Augenblick gekommen, in dem der mächtigste, auch für das Auge stark vortretende, blanke Hebel in der Mitte des Führerstandes bewegt wird: der Regler. Er gibt dem im Kessel schon ungeduldig brausenden, hochgespannten Dampf den Weg zu den Zylindern frei. Erst zischt es aus den immer noch offenen Zylinderhähnen hinaus, dann läuft die Maschine, deren ungeheures Gewicht bisher wuchtig und anscheinend unverrückbar auf den Schienen geruht hat, langsam an, die Last der Wagen unwiderstehlich hinter sich her ziehend. Draußen auf dem Bahnsteig beginnt das Abschiedswinken, aber hier im Führerstand bemerken wir nichts davon. Der Führer hält den Reglerhebel fest gepackt und öffnet, indem er ihn auf einer kleinen kreisförmigen Gleitbahn verschiebt, das Dampfventil immer weiter. Dann schließt er die Zylinderhähne, das Zischen dort vorn hört auf, so daß man nun allein das Ausstoßen des von seiner Arbeit in den Zylindern kommenden Dampfs aus dem Blasrohr unter dem Schornstein hört. Noch einmal wird an dem Steuerungshebel gedreht, bis der daran angebrachte Zeiger auf einer Zahleneinteilung eine bestimmte Ziffer anzeigt. Jetzt ist die Steuerung in jene Stellung gebracht, die erfahrungsgemäß den geringsten Dampfverbrauch sicherstellt. Die Maschine befindet sich in voller Fahrt.

Mit der Tabakspfeife im Mund steht der Führer hinter seinem Fenster. Der Blick, der sich ihm von dort auf die Strecke öffnet, ist nicht völlig frei. Er kann das Gleis erst in einer Entfernung von mehreren Metern erblicken, denn zunächst streckt sich vor dem Fenster der mächtige Leib des Kessels aus, der alles unter ihm liegende zudeckt. Die Maschine wiegt sich bei dem Laufen über die Schienenstöße auf ihren Federn, und der Beschauer bemerkt auf einmal, wie richtig doch das abgegriffene Bildwort „Dampfroß“ den Eindruck der laufenden Maschine wiedergibt. Sie hüpft und springt wirklich wie ein Pferd, die Kesselwölbung gleicht dem Rücken eines Rosses, und die Mähne wird durch die wehenden, flatternden Wölkchen gebildet, die aus dem Schornstein dringen.

Jetzt sind es einzig die Signale, nach denen der Führer emsig späht. Sie allein können ihm durch ihre Stellung anzeigen, ob die Strecke für ihn frei ist, oder ob er anhalten soll. Hier und da nur wirft er einen Blick auf die Zifferblätter der zahlreichen Druckmesser, die vor seinen Augen angebracht sind und den Dampfdruck im Kessel, im Schieberkasten, die Luftpressung in dem großen Bremsbehälter sowie in der Bremsleitung anzeigen.

Für die Aufrechterhaltung des richtigen Kesseldrucks und der sonstigen für die Maschine vorgeschriebenen Ordnung hat sein Gefährte, der Heizer, zu sorgen. Dessen Hauptaugenmerk ist der richtigen Unterhaltung der Feuerung zugewendet. In kurzen Abständen öffnet er die Tür, und der Blick vermag nun in die lodernde Hölle dort drinnen zu spähen. Blendende Helligkeit bricht aus der schwarz umrahmten Öffnung heraus. Ein roter Vorhang ist aufgezogen, der alle Bauformen verdeckt. Schmale, schwarze Streifen, gebildet von den aus dem Brennstoff dringenden Dämpfen, ziehen sich hindurch. Knatternd und prasselnd pfeift die durch den Blasrohrzug von unten her angesaugte Luft durch die glühenden Kohlen.

In den Pausen aber zwischen den häufigen Versorgungen der Feuerung läßt der Heizer nicht ab, den Stand des Wassers in dem an den Kessel geschraubten Glasrohr zu beobachten. Sobald eine bestimmte Höhe unterschritten ist, setzt er geschwind die Pumpe in Bewegung, die nun neues Wasser aus dem Vorratsbehälter auf dem Tender in den Kessel wirft. Ununterbrochen bedient er die verschiedenen Griffe, deren Bedeutung wir aber erst nach genauerer Kenntnis des Lokomotivkörpers recht werden verstehen können.

Keinen Augenblick läßt die Aufmerksamkeit der beiden Männer nach, welche die Verantwortung für das Leben der vielen Reisenden dort drinnen in den Wagen tragen; unablässig ist der eine bemüht, sich von dem Zustand der Strecke, der andere von dem Wohlbefinden der ihm anvertrauten Maschine zu überzeugen.

Endlich kommen die gewölbten Kuppeln des Bahnhofs Halle in Sicht. Der Führer faßt einen Griff, an den er bisher noch nicht gerührt hat: das Führerbremsventil. Mit wohl abgewogenen Bewegungen des schwachen kleinen Hebels hemmt er langsam die Riesenwucht des mit einer Geschwindigkeit von hundert Kilometern dahinsausenden Zugs. Noch ein Zischen der gepreßten Luft, und die Wagenburg ist an der richtigen Stelle zum Halten gebracht. Die Stimmen vieler Menschen, die man nicht sieht, tönen aus der Ferne zum Führerstand hinauf, der solange ganz von hartem Dröhnen erfüllt gewesen ist. Aus der besonderen Welt, in der wir zwei Stunden lang geweilt haben, sind wir nun dem allgemeinen Leben wiedergegeben. Wir haben das ruhige, selbstbewußte Arbeiten der Lokomotivmannschaft im Gewirr der Hebel und Griffe beobachtet, ohne doch noch im entferntesten den Sinn all dieser Vorrichtungen zu begreifen. Deshalb beschließen wir, zunächst den Bau der Lokomotive näher kennen zu lernen. Hierzu haben wir beste Gelegenheit, da unsere Maschine nunmehr vom Zug abgekuppelt wird, um einer anderen mit noch unverbrauchter Kraft Platz zu machen.

Nachdem unsere Lokomotive auf ihrem Ruheplatz angelangt ist, umschreiten wir ihren Körper, um zunächst einmal dessen äußere Formen näher kennen zu lernen.

Fünf Hauptbauteile sind es, die das Auge eines sorgsamen Beobachters an der Lokomotive ohne große Mühe unterscheiden kann. Recht deutlich heben sich voneinander ab: der Kessel, der Rahmen, das Triebwerk, das Laufwerk und der Tender.

Wie eine große Kuppel einen mächtigen Hallenbau krönt und ihm seinen Ausdruck verleiht, so beherrscht der langgestreckte Rundkessel den Körper der Lokomotive. Neben seiner Größe verschwinden fast die Anbauten, die sich ihm vorn und hinten gesellen und heute untrennbar zu ihm gehören. Den hinteren Abschluß des Rundkessels bildet ein kleinerer, oben gleichfalls gerundeter, aber an seinem Fußende eckiger Kessel, in dem sich die Feuerkiste befindet. Vorn erblickt man eine Erweiterung der Rundung. Es ist die Rauchkammer, aus deren Wölbung der Schornstein nur noch zu einem kargen Teil heraussieht.

Nicht ohne Erstaunen wird man inne, daß die Kesselform heute noch ganz die gleiche ist wie bei Stephensons „Rakete“. Und das nicht nur im äußeren, sondern auch in dem ganzen inneren Aufbau. Neu hinzugekommen ist nur die Rauchkammer, die jener Ahne der Lokomotive noch gefehlt hat.

Auf dem Rücken des Rundkessels erblicken wir den Dampfdom, in welchem die Dampfzuführungsrohre für die Zylinder ihren Anfang nehmen, und eine zweite Erhebung: den Sandkasten.

Kantig springt unter dem Rundkessel die Grundveste hervor, die ihn trägt und unterstützt. Es ist dies der breit und wuchtig gefügte Lokomotivrahmen; er verleiht dem Ganzen Festigkeit und hartes Widerstandsvermögen.

An ihn gehängt ist das Triebwerk, bestehend aus den Zylindern und einem Gewimmel blanker Stangen. Die Zahl der Zylinder können wir von außen nicht mit Sicherheit erkennen. Nur zwei von ihnen werden ganz vorn als wohlgerundete, seitliche Schwellungen sichtbar. Wenn die Lokomotive noch mehr Zylinder besitzt, was bei den großen Schnellzugmaschinen heute stets der Fall ist, so bleiben diese dem Auge des Beschauers verborgen, da sie durch den Rahmen verdeckt werden.

Die Zylinder sind die Erzeuger der Antriebskraft für die ganze Maschine. Von hier geht der Antrieb für das Laufwerk aus, der durch die Triebstangen dorthin übermittelt wird.

In jedem der sorgfältig ausgebohrten Zylinder steckt ein genau abschließender, scheibenförmiger Kolben. Durch die beim Laufen der Maschine selbsttätig eintretende Bewegung der Steuerungsteile wird bewirkt, daß der Dampf bald vor, bald hinter die Kolbenscheibe tritt, so daß diese hin und her bewegt wird. Die gleiche Bewegung macht die Kolbenstange. Von ihrem in einer Geradführung gelagerten Ende geht die auch in der senkrechten Ebene bewegliche Pleuel- oder Schubstange aus, die mittels einer Kurbel an einer der Radachsen angreift. Auf diese Weise wird die hin und her gehende Bewegung der Kolben in eine drehende verwandelt.

Die Hauptkurbel ist durch weitere Stangen mit kleineren Kurbeln an jenen Achsen verbunden, die ferner noch angetrieben werden sollen. Dieses Gestänge zusammen mit dem vielfach gegliederten Antrieb der Steuerung bildet auf jeder Seite der Maschine die blanke Mannigfaltigkeit des Triebwerks.

Gleich den Zylindern sind auch die Achsen der Lokomotive in den Rahmen eingesetzt. Ihre Zahl wechselt bei den verschiedenen Maschinen-Gattungen sehr lebhaft. Auch die Größe der auf die Achsen gesteckten Räder ist außerordentlich mannigfaltig. Neben den angetriebenen Achsen findet man noch solche, an die keine Kuppelstangen angelenkt sind. Man nennt sie Laufachsen.

Der letzte der Hauptbauteile gehört nicht eigentlich mehr zum Lokomotivkörper selbst. Es ist ein selbständiges Fahrzeug, das durch eine schwere, sehr kurze Kupplung mit dem Maschinenwagen verbunden ist. Der Tender trägt den Mundvorrat für den immer gefräßigen Kessel: das Wasser in einem geschlossenen Behälter, die Kohle hoch aufgetürmt darüber. Der Kohlenvorrat ist durch eine zwischen Führerhaus und Tenderplattform gelegte Brücke für den Heizer ohne weiteres zugänglich, das Wasser wird durch bewegliche Rohre oder biegsame Schläuche hinübergesaugt.

Damit haben wir das Äußere der Lokomotive aufmerksamen Auges überblickt. Wir haben aber von ihrer Fügung jetzt noch nicht mehr erfahren als etwa von der des menschlichen Körpers, wenn wir nur die auf der Straße vorübergehenden, wohl angekleideten Bürger betrachten. Selbst viele wichtige Einzelheiten, die auch nach außen hervortreten, sind uns entgangen, und gar nichts wissen wir von den inneren Teilen.

Um zu erkennen, wie es möglich ist, daß auf so kargem Raum, wie er bei der Lokomotive trotz ihrer Riesenhaftigkeit nur zur Verfügung steht, so viel Kraft vereinigt sein kann, wie man imstande ist, die fast unzähligen Hilfsmittel für ihre ordnungsgemäße Unterhaltung so unterzubringen, daß auch die während der Fahrt nicht zugänglichen Maschinenteile ständig beeinflußt werden können, wie vier Hände von einem schmalen Bezirk aus die ganze gewaltige Bildung zu bändigen und den zahllosen Anforderungen entsprechend zu beeinflussen vermögen – um das zu erkennen, müssen wir auch in das Innere der Maschine hineinschauen. Das aber vermögen wir weder in der Bahnhofshalle, noch im Lokomotivschuppen zu tun; zu diesem Zweck müssen wir uns in die Fabrik begeben, wo der Bau aus seinen einzelnen Teilen langsam aufgeführt wird.

Der Stoff, welcher in der Lokomotiv-Maschine Arbeit leistet, wird in dem Dampfkessel erzeugt. Es sind für diesen Zweck der hintere Stehkessel mit der darin liegenden eigentlichen Feuerkiste und der daran sich anschließende Rundkessel zur Verfügung, durch den die heißen Feuergase ziehen. Die Gesamtheit der von diesen bestrichenen Flächen nennt man die Heizfläche; von ihrer Größe ist die Menge des in jeder Minute erzeugten Dampfs abhängig.

Die Ausgangsstelle für die Wärme, die notwendig ist, um das in den Kessel gefüllte Wasser in Dampf zu verwandeln, ist die Feuerung. Durch eine Öffnung in der hinteren Wand der Feuerkiste, die Feuertür, wird Kohle auf einen in den Boden der Feuerkiste eingesetzten Rost geworfen. Das Glühen der Kohlenschicht wird durch immer neue zwischen den Roststäben eintretende Luft unterhalten. Die Feuerung entwickelt eine Hitze von 1500 bis 1600 Grad.

Über die eigentliche Feuerkiste ist mit einem schmalen Abstand aller Wandungen eine zweite, an den Seiten gleichfalls ebene, oben jedoch gewölbte Schale gestülpt. Sie bildet die äußeren Wandungen des Stehkessels. Unten sind innerer Kistenkörper und Außenschale durch einen wagerechten Bodenring vereinigt. An diesem hängt der Aschkasten, in dem auch die durch den Rost fallenden glühenden Kohlestückchen aufgefangen werden, damit sie nicht auf die Strecke gelangen und die hölzernen Schwellen in Brand setzen. Der Aschkasten ist an den Seiten geschlossen, nach vorn und hinten dagegen offen. Durch Klappen, die vom Führerstand her zu bedienen sind, kann er nach Belieben auch hier abgeschlossen werden.

In dem Raum zwischen den inneren und äußeren Wänden des Stehkessels, der die Feuerung umschließt, befindet sich Wasser, damit auch schon hier die Hitze der entwickelten Feuergase ausgenutzt werden kann. Doch die Wassermenge, die man an dieser Stelle unterzubringen vermag, ist gering. Sie spielt im Gesamthaushalt des Kessels nur eine bescheidene Rolle.

 

Es ist sehr merkwürdig, daß sich die viereckige Form des Feuerungsraums, die Stephenson bei der „Rakete“ anwendete, bis zum heutigen Tag unverändert erhalten hat. Die Benennung „Feuerkiste“ ist sehr treffend, denn der Querschnitt ergibt ein richtiges, wenn auch an den Ecken abgerundetes Rechteck. Man hat bis jetzt für diesen Kesselteil keine bessere Form finden können, die Raum für den tiefliegenden Rost gewährt und zugleich den Übergang zu dem anstoßenden Rundkessel gestattet. Die geradwandige Kiste ist jedoch ziemlich die ungünstigste Form, um so hohen Kesseldrucken zu widerstehen, wie sie heute angewendet werden. Gehen wir doch bis zu Dampfpressungen von 16 Atmosphären hinauf, das heißt jedes Quadratzentimeter der Wände wird so stark gepreßt, als wenn es mit einem Gewicht von 16 Kilogramm belastet wäre.

Damit die geraden Wände des Stehkessels hiergegen genügenden Widerstand leisten können, ist die Einfügung sehr schwieriger Versteifungen zwischen ihnen notwendig gewesen. Man sorgt dafür, daß beide Wandungen, die vom pressenden Dampf in entgegengesetzter Richtung beansprucht werden, sich gegenseitig unterstützen. Diese Hilfshandlung wird erreicht durch das Einziehen von Stehbolzen an den Seiten, sowie von Decken- und Querankern unter der Wölbung des Stehkessels.

In geringen Abständen sind die beiden Stehkesselwandungen durchbohrt und die Löcher mit tiefgängigen Gewinden versehen. Kräftige Stangen, die an ihren Enden je ein entsprechendes Außengewinde tragen, werden hindurchgeschraubt und dann außen vernietet, so daß die beiden Wandungen unverrückbar gegeneinander versteift sind. Die Decken- und Queranker, die zum Teil noch durch aufgeschraubte Muttern gesichert sind, haben die gleiche Aufgabe zu erfüllen.

Bis zum Ausbruch des Weltkriegs wurden in Deutschland sowohl die Feuerkiste wie auch die Stehbolzen aus Kupfer hergestellt. Dieser Stoff ist bei uns stets sehr teuer gewesen, und man kann sich leicht denken, daß besonders zwingende Umstände vorgelegen haben müssen, damit man sich zum Verbrauch so großer Kupfermengen veranlaßt sah. Der Grund hierfür ist die geringe Empfindlichkeit von Kupfer gegen wechselnde Spannungen seines Gefüges.

Das Feuer brennt ja unter den Lokomotiven durchaus nicht immer. Zwischen den Arbeitszeiten, in denen mit aller Macht geheizt wird, liegen immer wieder Stunden, in denen nur ein schwaches Feuer unterhalten wird, und es kommen auch Zeiten, in denen dieses ganz erlischt, wie bei langen Betriebspausen, Untersuchungen und Ausbesserungsarbeiten. Durch die wechselnde Erhitzung und Abkühlung werden nun die Stoffe, die in unmittelbarer Nachbarschaft des Feuers liegen, durch die rasch aufeinanderfolgenden Dehnungen und Zusammenziehungen fortwährend hin und her gezerrt.

Man ist in Amerika schon seit vielen Jahrzehnten der Meinung gewesen, daß auch Eisen imstande ist, solchen Beanspruchungen genügenden Widerstand zu leisten, ohne zu reißen. In den Vereinigten Staaten hat man, obgleich dort Kupfer im eigenen Land reichlich zur Verfügung steht, schon seit Jahrzehnten eiserne Feuerkisten sowie Stehbolzen aus gleichem Stoff verwendet und damit gute Erfahrungen gemacht. Der Krieg hat auch uns dazu gezwungen, auf das Kupfer an dieser Stelle zu verzichten. Ein abschließendes Urteil über die Bewährung der eisernen Feuerkisten und Stehbolzen bei uns wird sich erst nach längerer Zeit fällen lassen.

Wenn wir nicht zu dem gleichen günstigen Ergebnis kommen sollten wie die Amerikaner, so kann das seinen Grund darin haben, daß drüben fast sämtliche Lokomotiven mit doppelter Mannschaft besetzt sind, sich also bis zum Eintritt größerer Schäden ununterbrochen im Dienst und demgemäß in gleicher Wärme befinden. Die Schwankungen sind deshalb im Betrieb der deutschen Bahnen mit ihrer zum Teil einfachen Lokomotivbesetzung und den daraus folgenden zahlreichen Ruhepausen der Maschinen sehr viel häufiger.

Jeder einzelne der Stehbolzen hat eine wichtige Sicherungsaufgabe zu erfüllen. Sie sind gerade in der Zahl eingezogen, die für die genügende Befestigung der Feuerkistenwände notwendig ist. Die fortwährenden Zerrungen bewirken jedoch ein verhältnismäßig nicht allzu seltenes Brechen der Stehbolzen. Es ist notwendig, daß dieses sofort kenntlich wird. Aus diesem Grund ist jeder der Stehbolzen in seiner Mittelachse von vorn und von hinten angebohrt. Tritt ein Bruch ein, der niemals in der Mitte des Bolzens, sondern stets am Ende der fest eingespannten Gewindestücke erfolgt, so dringt entweder aus der äußeren oder der inneren Bohrung sofort ein feiner Wasser- oder Dampfstrahl hervor. Die Lokomotivmannschaft weiß nun, daß ein neuer Stehbolzen eingezogen werden muß.

Der bei weitem größte Teil der von der Feuerung entwickelten Hitze wird aber erst in dem Rundkessel verwendet. An seinen Wandungen geben die heißen Gase den größten Teil ihrer Wärme ab. Damit die Berührungsflächen so ausgedehnt wie möglich sind, damit also eine möglichst große Wasserfläche durch die metallenen Wandungen hindurch von den Heizgasen erwärmt wird, ist der Wasserraum des Rundkessels von vielen wagerechten Rohren durchzogen. Jedes von ihnen bildet ein gasdurchströmtes Heizrohr.

Was hier zu höchst wirksamer Verwendung gelangt, ist der alte Boothsche Gedanke, der schon die „Rakete“ befähigt hat, alle ihre Gegner zu überwinden.

Die Heizrohre haben jedoch heute nicht mehr in allen Lagen gleichen Durchmesser, sondern sie sind bei den meisten der großen Maschinen oben weiter gehalten als unten; dies geschieht aus einem Grund, den wir noch kennen lernen werden. Die Rohre werden in senkrechten Reihen übereinander angeordnet, damit die sich entwickelnden Dampfblasen überall leicht aufsteigen können.

Auf seinem Rücken hat der Rundkessel noch eine hohe Ausbuchtung, die nach außen als Dom zutage tritt. An der höchsten Stelle des Doms liegt, wie wir schon gehört haben, die Dampfentnahmestelle, welche durch den Reglerhebel geöffnet und geschlossen werden kann. Diese Stellung für die Ausströmungsöffnung ist gewählt, weil man möglichst trocknen Dampf in die Zylinder leiten will. Die im ganzen Wasserraum des Kessels an den Wänden der Heizrohre sich entwickelnden Dampfblasen reißen ja immer etwas Wasser in feinsten Tröpfchen mit. Der Wasserreichtum des Dampfs wird immer geringer, je höher dieser aufsteigt. Außerdem sorgt auch ein in besonderer Weise durchbrochener Abschluß der Domausbuchtung nach unten zu für reichliche Abscheidung des Wassers.

Dieses will man von den Zylindern möglichst fernhalten, da ja nur der Dampf Arbeit leisten kann, Wasser jedoch toter Ballast ist. Den trockensten Dampf liefert eben die Kuppel des Doms. Um möglichst viel Dampf in geeigneter Form zur Verfügung zu haben, werden manche Lokomotiven auch mit zwei Domen ausgerüstet, die dann durch ein Rohr miteinander verbunden sind.

Die großen Rohre, die den Dampf vom Dom zu den Zylindern leiten und ihn von dort nach geleisteter Arbeit wieder abfließen lassen, führen durch die Rauchkammer. Diese wird heute breit ausladend und sehr tief gebaut, damit die glühenden Kohlestückchen, die von den Heizgasen durch die Kesselrohre mit hindurchgerissen werden, sich an der Vorderwand ablagern können. Der Schornstein ist aus dem gleichen Grund etwas nach hinten zurückgesetzt. Er steckt zum großen Teil im Innenraum der Rauchkammer, nur ein Stumpf seines kegelförmigen, nach oben breiter werdenden Baus schaut noch heraus, damit die Umgrenzung des lichten Raums nicht überschritten wird. Hierdurch bekommen unsere neuen großen Maschinen ihr geducktes Aussehen. Vor die untere Schornsteinmündung ist stets noch ein Funkenfänger gesetzt.

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