Za darmo

Herd und Schwert

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3. Kapitel

Es waren doch sehr, gemischte Gefühle, mit denen Kurt von Berg in Berlin den Zug bestieg, um nach Ostpreußen zu fahren. Seine Vorstellungen über Land und Leute an der russischen Grenze waren ungefähr dieselben, wie die aller Gebildeten. Litauer und Masuren stellte er sich als halbwilde Völkerschaften vor, etwa auf demselben Kulturzustand, wie den russischen Bauer, dessen Lebensinhalt darin besteht, dass er alles, was er einnimmt, möglichst schnell in Schnaps umsetzt.

Er hatte vor kurzem Gustav Freytags Soll und Haben gelesen und der Eindruck, den Anton Wohlfahrt seinerzeit von dem Landvolk in Polen erhalten hatte, drängte sich ihm ins Gedächtnis.

Er fuhr die Nacht hindurch und schlief bis Königsberg. Als er nach einer halben Stunde Aufenthalt weiterfuhr, am Pregel entlang nach Ostpreußen hinein, und von dem Fenster des Speisewagens beim Frühstücken die weite, flache Landschaft sah, auf der sich langgestreckte Flächen grüner Wintersaaten bis an den von Wald umrankten Horizont erstreckten, gewann er bald einen anderen Eindruck. Stattliche Gutsgehöfte, große freundliche Dörfer, Häuser, Scheunen und Ställe von Ziegeln erbaut und rot eingedeckt, lachten ihn aus dem Grün der Obstgärten an. Hin und wieder sah er ein Fuhrwerk mit stolzen, schönen Pferden, die vom Zug erschreckt kaum zu bändigen waren.

In Insterburg hatte er zwei Stunden Aufenthalt, die er dazu benutzte, einen Gang durch die Stadt zu tun. Er fand einen ansehnlichen Ort mit sauberen breiten Straßen, auf denen eine elektrische Bahn verkehrte, mit einem lebhaften Verkehr und zahlreichen Läden, deren Auslagen in den Schaufenstern auf eine sehr wohlhabende Umgegend schließen ließen. Von dort führte ihn die Bimmelbahn durch große Wälder, deren Bestand ihm Bewunderung abnötigte. Bald waren es dicke Kiefern und Eichen, bald stattliche Eichen und Buchen, die an seinem Blick vorüberflogen.

Dazwischen wieder Gutshöfe und langgestreckte Dörfer. Und der Zug hielt so oft auf kleinen Stationen, dass er sich auch einen Begriff von der Landbevölkerung machen konnte. Männer und Frauen unterschieden sich durch nichts von den Menschen, denen er in der Mark begegnet war.

Er hatte, als er seinen Entschluss gefasst und Urlaub erhalten hatte, an Tante Christine einen nicht gerade sehr langen Brief geschrieben, in dem er sich für die Unterstützungen, die er von ihr erhalten, bedankte und seine Ankunft meldete. Tag und Stunde seines Eintreffens hatte er der Gutsverwaltung telegrafisch angezeigt.

Der Zug hielt. Auf dem Bahnsteig stand ein alter Diener in Livree, der ohne zu fragen auf ihn zu kam, seinen Namen Jons nannte und ihm Handtasche und Geigenkasten abnahm. Gleichzeitig brachte auch schon der Bahnhofsvorsteher, an seiner roten Mütze kenntlich, dienstbeflissen den Koffer angetragen, den er aufgegeben hatte.

Von Jons geführt, schritt er um das Bahnhofsgebäude herum. Da stand ein leichter Jagdwagen mit zwei Braunen bespannt, deren Wert und Schönheit auch seinem ungeübten Auge auffiel. Ein Kutscher, den ein eisgrauer Vollbart zierte, griff grüßend an den betressten Zylinder, dessen Silberborte mit schwarzem Flor bedeckt war. Der Diener nahm vom Wagen einen geräumigen Reisepelz und hielt ihn ihm zum Einschlüpfen bereit.

»Hat der gnädige Herr noch Gepäck?«

Kurt schämte sich, als er diese Frage verneinen musste. Die Pferde zogen langsam an, dann ging es in schlankem Trab durch ein großes Dorf, dessen Einwohner alle vor den Türen standen und ihn respektvoll begrüßten.

Sie waren augenscheinlich alle von seiner Ankunft unterrichtet.

Im Vorbeifahren hatte er auf einer Tafel gelesen: Adlig Rittergut Berschkallen. Das waren also schon seine Leute, wie er lächelnd denken musste.

Dann bog der Wagen in einen von mannshoher Mauer umzogenen Park, und wenige Minuten später rasselten die Räder auf der gepflasterten Rampe eines zweistöckigen, schmucklosen, aber sehr ansehnlichen Gebäudes.

Ein Mädchen trat aus der Tür und knickste freundlich lächelnd, als er an ihr vorüber ins Haus trat. Eigenartige Gefühle waren es, die ihn beschlichen, als er, von dem Mädchen geführt, durch die Zimmer schritt.

Zuerst ein großes Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Geldspind und mindestens einem halben Dutzend schwerer Ledersessel. Dahinter ein kleines Eckzimmer, in dessen Kamin ein helles Feuer loderte. Daneben sein Schlafzimmer, mit solider Behaglichkeit eingerichtet. Alles, was er sah, machte den Eindruck alten gefestigten Reichtums. Eine kleine Klitsche war es sicherlich nicht, die ihm das Schicksal in den Schoß werfen wollte, sondern ein großer, reicher Herrensitz.

Sein ganzes Innere geriet in Aufruhr, als der Gedanke auf ihn einstürmte, dass er von Stund’ an über ein Stück Erde schreiten sollte, das ihm gehörte, oder aller Wahrscheinlichkeit nach gehören würde, und aus diesem Gedanken erwuchs der feste Vorsatz, den Besitz zu gewinnen und festzuhalten.

Kurt musste sich förmlich zusammenrucken, als der alte Diener mit seinem Koffer eintrat und ihn fragte, ob er dem gnädigen Herrn ein Bad bereiten sollte … wie es der gnädige Herr haben wollte, heiß oder lauwarm. Es fiel Kurt auf, dass der alte Mann ihn nicht Herr Assessor, sondern gnädiger Herr ansprach. Hatte die Tante ihn bereits dem Dienstpersonal gegenüber in diese Würde eingesetzt? Ganz mechanisch reichte er Jons den Kofferschlüssel und trat vor den Spiegelschrank, um einen Blick hineinzutun. Es kam ihm vor, als müsste er in diesem Moment ganz anders aussehen als sonst, wenn er um diese Zeit, manchmal noch mit einem Aktenstück unter dem Arm, durch die stillen Gassen des märkischen Städtchens zum Amtsgericht wanderte. Fast schien es ihm wunderbar, dass er keinen Unterschied entdecken konnte.

Vorerst musste er sich daran gewöhnen, dass der alte Mann ihn wie einen kleinen Jungen bediente. Er half ihm beim Auskleiden, dann verschwand er durch eine Tapetentür im Badezimmer und stellte das Wasser ab, das die Wanne bereits gefüllt hatte.

Zu gern hätte Kurt mit dem alten Diener, der sicherlich doch mit dem Hause verwachsen war, ein Gespräch angeknüpft, um ihn nach allem Möglichen zu fragen. Er unterließ es jedoch, um sich nicht eine Blöße zu geben und zu zeigen, wie wenig er von dem Hause wusste, in das ihn sein Schicksal geführt hatte. Beim Ankleiden trank er eine Tasse Kaffee und ein Gläschen Benediktiner, wobei er die Entdeckung machte, dass ein Wandschrank des Zimmers eine ganze Anzahl verschieden geformter Flaschen barg.

»Kann ich jetzt meine Tante sprechen?«

»Die gnädige Frau lässt bitten.«

Über die mit Jagdtrophäen geschmückte Diele, durch ein saalartiges Esszimmer, führte ihn Jons nach dem anderen Flügel des Schlosses, wie das Herrschaftshaus von den Leuten genannt wurde. Eine seine Nerven erregende Spannung überkam ihn auf dem kurzen Gange.

Nun öffnete Jons vor ihm leise die Tür, um ihn hindurch zu lassen und sie hinter ihm zu schließen. Überrascht blieb er auf der Schwelle stehen. Das Bild, das sich seinen Augen bot, machte einen tiefen Eindruck auf ihn.

In einem Fahrstuhl saß eine stattliche alte Dame. Das frische Gesicht von einer Fülle weißer Haare umrahmt, die noch kein Häubchen duldeten. Von dem Gesicht, das noch jetzt schön genannt werden musste, strahlte ihm eine herzgewinnende Freundlichkeit und eine Freudigkeit entgegen, dass er mit schnellen Schriften auf sie zu eilte und sich über die beiden Hände beugte, die sich ihm entgegenstreckten.

»Tante Christine!«

Seine Stimme hatte den aus tiefer Brust kommenden Herzenslaut gefunden.

»Mein lieber Junge,« sagte die alte Dame leise, und ihre Hand fuhr sanft über sein volles Haar. Ihre Augen, aus denen helle Freude leuchtete, verrieten nicht im Geringsten, dass sie nichts mehr wahrnahmen, als einen dunklen Schatten. Schnell holte er einen Stuhl und setzte sich neben sie. Tante Christine fasste seine Hand und hielt sie fest.

»Ich danke dir, dass du gekommen bist … Ist dir der Entschluss schwer gefallen?«

Mit einem aufrichtigen Lachen antwortete er:

»Ja, Tante, es ist mir nicht ganz leicht geworden.«

»Du hast wohl erwartet, eine alte, verbitterte, griesgrämige Frau zu finden, die dich unter ihre Fuchtel nehmen würde?«

»Griesgrämig und verbittert? Nein, Tante, ich hatte doch schon genug Beweise des Gegenteils. Offen gesagt, ich habe mich nur vor der ländlichen Einsamkeit gefürchtet. Sieh mal, ich bin in der Stadt aufgewachsen und nie aufs Land hinausgekommen.«

»Mein lieber Kurt, wer hinreichend Arbeit hat, kennt Einsamkeit und Langeweile nicht.«

Ihre Stimme war bei diesen Worten ernst geworden, dann zog aber wieder ein mildes Lächeln über ihr Gesicht.

»Du brauchst aber auch hier die Freuden der Geselligkeit nicht zu vermissen. Du findest junge lebensfrohe Nachbarn. Du hast auf Berschkallen selbst eine sehr gute Jagd. Du wirst überall zur Jagd eingeladen.«

»Ach, Tante, ich habe noch kein Gewehr in der Hand gehabt, und zuerst und vor allen Dingen muss ich doch die Landwirtschaft lernen.«

»Willst du es wirklich?«

»Ja, Tante, das ist mein fester Entschluss, und ich will mir Mühe geben. Ich will mich doch nicht hier als Drohne füttern lassen.«

»Nein, mein Junge, die Absicht hatte ich allerdings nicht. Aber stell’ dir deine Aufgabe nicht zu schwer vor. Mein alter Oberinspektor Grundmoser ist ein treuer und sehr zuverlässiger Mensch, der dich ganz allmählich in deinen Beruf einführen wird.«

Kurt nickte eifrig.

»Du behältst natürlich die Leitung in der Hand und bestimmst, was ich zuerst lernen soll … die Viehzucht, oder?«

Er sah, wie Tante Christine über seinen Eifer lächelte und hielt inne.

»Nein, mein Junge, du sollst nicht bei mir und Grundmoser als Eleve eintreten. Du bist hier jetzt schon der Herr. Das Schriftstück, das dich dazu einsetzt, findest du in deinem Zimmer im Geldschrank. Hier sind die Schlüssel dazu. Du sollst und brauchst dich nicht um Kleinigkeiten zu kümmern, das besorgt Grundmoser mit seinen Inspektoren. Und im Notfall, wenn eine wichtige Entscheidung an dich herantritt, wirst du mich bereit finden, dir jeden Rat zu erteilen, den du verlangst. Ich will nach 30 Jahren schwerer Arbeit Ruhe und Stille haben.«

 

Kurt sah erstaunt, ja fassungslos die Dame an. Er glaubte, nicht recht gehört zu haben.

Er war schon in diesem Augenblick hier Herr und Besitzer des Gutes? Die alte Dame fühlte, was ihn bewegte. Ganz leise sprach sie weiter:

»Du musst auch mit der Möglichkeit rechnen, dass ich mal ganz plötzlich die letzte Fahrt zum Gottesacker antrete. Ja, mein Junge, ich leide an einer sehr schweren heimtückischen Krankheit, an der Gicht. Sie hat mir bereits das Augenlicht und den Gebrauch meiner Füße geraubt. Jetzt ist sie nach dem Oberkörper emporgestiegen, und dann pflegt es manchmal sehr rasch zu Ende zu gehen.«

Kurt schwieg erschüttert und beugte sich über die Hand der tapferen Frau, die so ergeben von ihrem schweren Leiden und ihrem Ende sprechen konnte. Sie legte ihm wieder die Hand auf das Haupt.

»Ich glaube zu wissen, Kurt, dass du verständig genug sein wirst, dich der Leitung Grundmosers anzuvertrauen Er ist nicht mehr der Jüngste, aber er wird noch einige Jahre vorhalten und bei dir bleiben, bis du selbst im Stande bist, Berschkallen zu bewirtschaften. Du vergibst dir nichts, wenn du ihn wie einen guten, treuen Freund behandelst.«

»Darauf kannst du dich verlassen, Tante. Das, wird mir schon die Ehrfurcht gebieten, die ich vor dem, was du geschaffen hast, empfinde.«

Über das Gesicht der alten Dame huschte ein Lächeln.

»Das hast du sehr schön gesagt, mein Junge. Aber Grundmoser wird dir schon sagen, wo die Ehrfurcht aufhören muss, weil der Fortschritt der Landwirtschaft eine Neuerung verlangt.«

Nach einer kleinen Pause fing Tante Christine von ihrem Leben und von ihrem verstorbenen Gatten an zu erzählen. Aus ihren Worten sprach eine milde Abgeklärtheit, die über den Dingen steht und deshalb mit gütigem Verstehen urteilt. Es war, als wenn sie mit sich selbst spräche. Zuletzt schwieg sie eine Weile, in Erinnerung versunken. Dann sagte sie mit fester Stimme:

»So, mein lieber Junge, nun lass’ mich allein. Lass’ dir Grundmoser holen und besprich dich mit ihm. Ist es dir recht, dass ich alle Beamten heute zu Mittag eingeladen habe, damit du sie gleich kennen lernst und sie dich auch?«

»Selbstverständlich, liebste Tante. Sei mir nicht böse, dass ich dir noch nicht so gedankt habe, wie ich es müsste. Es ist zu viel, was auf mich einstürmt Ich kann es ja noch nicht fassen.«

Er beugte sich nieder, um ihre Hände zu küssen. Da nahm sie sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf Stirn und Mund.

»Ich verstehe dich, man muss sich auch an das Glück gewöhnen, hoffentlich wird es dir nicht zu schwer fallen,« fügte sie mit einem schalkhaften Lächeln hinzu.

… Kurt zitterten die Hände, als er den Geldschrank in seinem Arbeitszimmer aufschloss und das Dokument herausnahm, das ihn aus einem armen Assessor zu einem reichen Großgrundbesitzer machte. Als Jurist sah er auf den ersten Blick, dass es eine Schenkungsurkunde, nicht etwa ein Testament war, das erst nach dem Tode der Tante in Kraft getreten wäre.

Er schloss die Augen und lehnte sich in den Sessel zurück. Es kam ihm dabei das Gelüst an, von seiner Macht sofort Gebrauch zu machen und sich ein Frühstück zu bestellen.

Doch ehe er den Entschluss ausführen konnte, trat Jons ein und meldete:

»Das Frühstück ist aufgetragen.«

Kurt lachte laut auf. Es kam ihm vor, als wäre er in einen Prinz verzaubert, dem eine höhere Gewalt jeden Wunsch erfüllte, kaum dass er ihn gedacht hatte. Wenn er nur nicht aus dieser Verzauberung unsanft in die Wirklichkeit zurückversetzt würde. Dann lachte er wieder, als er das Dokument zurücklegte und im Schrank verschloss.

Auch nach Grundmoser brauchte er nicht zu schicken. Der Graubart erwartete ihn schon und begrüßte seinen neuen Herrn zurückhaltend und ehrerbietig. Kurt schüttelte ihm sofort kräftig die Hand und bat ihn, Rücksicht darauf zu nehmen, dass er von der Landwirtschaft nichts, aber auch nicht das Geringste verstehe.

»Das werden wir schon kriegen«, erwiderte der Graubart gleichmütig. »Wir sind mit der Aussaat durch und die stille Zeit für uns Landwirte hat begonnen.«

»Wie stehen die Saaten, Herr Inspektor«, fragte Kurt, um doch etwas zu fragen.

Grundmoser schmunzelte.

»Sie werden ja selbst sehen. Ich denke, wenn es Ihnen recht ist, lassen wir uns gleich nach Mittag den Jagdwagen anspannen und fahren das Gut ab. Vormittags kann ich Ihnen noch die Ställe zeigen.«

Dem neuen Besitzer von Berschkallen schwirrte der Kopf von all den Namen, die er in den Ställen hörte und las. Jedes Pferd, jeder Bulle, jede Kuh hatte einen Namen, der auf einer Tafel über ihren Köpfen verzeichnet war. Dann kamen die Beamten zur Mittagstafel. Ein verwitterter, knorriger Grünrock, der Förster mit seinem Hilfsjäger, der Brennereiführer, der Molkereiverwalter, der Ziegeleimeister, der Hofverwalter und noch einige junge Inspektoren.

Kurt fühlte sich unter all den Männern wie ein junger Hund, der ins Wasser geworfen wird und schwimmen soll. Aber er schwamm, und Grundmoser half ihm dabei. Er sprach nicht von der Landwirtschaft, sondern von dem seligen gnädigen Herrn und erzählte von dem großen Begräbnis. Wie der alte Herr Braczko aus Keimkallen drei Nächte beim toten Freunde die Leichenwache gehalten, dabei Rotspohn getrunken und dem Verstorbenen im Sarge zugeprostet habe. Bald nach 1 Uhr sei er jede Nacht sanft eingeschlummert, dann habe ihn Jons unter den Arm genommen und auf einer Liege zur Ruhe gebracht.

4. Kapitel

Schneller, als er selbst gedacht hatte, fand sich Kurt in die Rolle des Gutsherrn. Eine Stunde, nachdem ihn Grundmoser durch die Hälfte der Begüterung gefahren hatte, denn in den paar Stunden war es nicht möglich, das ganze Gut zu besichtigen, trat er wieder bei seinem Herrn ein, blieb an der Tür stehen und sagte in einem von der bisherigen derben Vertraulichkeit völlig abstechenden Ton:

»Wir haben heute mit zehn Gespannen auf den Schlag 4 nach der Keimkaller Grenze Dung gefahren. Sechs Gespanne haben Getreide zur Bahn gebracht, ein Gespann …«

Kurt drehte sich lachend in seinem Stuhl um:

»Aber lieber Herr Grundmoser, weshalb erzählen Sie mir das? Kommen Sie lieber her und setzen Sie sich zu mir. Ich habe, offen gestanden, immer um diese Zeit einen bescheidenen Dämmerschoppen eingenommen und wäre nicht unglücklich darüber, wenn die Beherrscherin der Küche ein paar Fläschchen Bier im Hause hätte.«

Grundmoser verbeugte sich schmunzelnd und trat näher, nachdem er durch einen Druck auf die elektrische Klingel Jons herbeigerufen hatte.

»Was befehlen der gnädige Herr. Pilsener Urquell oder Münchener Hofbräu? Es ist beides frisch angesteckt.«

Die Frage kam dem Gutsherrn so komisch vor, dass er den alten Diener erst einen Augenblick verdutzt ansah und dann laut auflachte.

»Frisch angesteckt?«

»Aber ja doch,« erwiderte Grundmoser. »Die Herrschaft braucht doch kein Flaschenbier zu trinken.«

Kurt kam die Sache so unbegreiflich vor, dass er aufstand und Jons folgte. Er fand im Korridor hinter der Diele eine Kammer und darin zwei in Eis gepackte Fässer, die an zwei Stahlflaschen mit Kohlensäure angeschlossen waren. Kopfschüttelnd kehrte er auf seinen Platz zurück. Das war eine angenehme Überraschung, aber sie bestätigte ihm nur die Tatsache, dass man sich auch hier an der russischen Grenze mit allen Annehmlichkeiten des Lebens umgeben kann, wenn man nur das nötige Kleingeld besitzt.

Bei dem Gedanken, wie sich sein Leben wohl in dem einsamen Gutshause gestalten werde, hatte er mit einem gelinden Schauer auch an die magere Beleuchtung mit Petroleum oder im besten Falle mit Spiritusglühlicht gedacht. Auch darin hatte er sich geirrt. Denn überall im Hause gab es elektrisches Licht.

Nach dem Abendbrot ließ er bei seiner Tante anfragen, ob er ihr gute Nacht wünschen dürfe. Sie empfing ihn für ein paar Minuten, bloß um ihn zu fragen, ob er sich schon etwas mit seinem Schicksal ausgesöhnt habe.

»Ach, Tante,« rief er aus, »mir kommt alles, wie ein schöner Traum vor.«

»Aus dem du jeden Morgen neu gestärkt zur Wirklichkeit erwachen wirst. Schlaf wohl, mein Junge.«

»Das wünsche ich dir auch, liebe Tante.«

»Ach, mein Junge, die Nacht ist für mich nicht der schönere Teil des Tages … Dann regen sich bei mir die Schmerzen, erst gegen Morgen pflege ich ein paar Stunden Schlaf zu finden … Vergiss nicht, was du heute Nacht träumst,« rief sie ihm nach, als er sich zur Tür wandte.

An einem der nächsten Abende nahm er seine geliebte Geige aus dem Kasten und spielte in seinem Arbeitszimmer auf und ab gehend im Dunkeln … Und er war ein Meister auf seinem Instrument, der zur Not mit dieser Kunst sich hätte sein Brot verdienen können. Ohne dass er es merkte, wurde die Tür zur Diele leise geöffnet. Er wusste nicht, dass die alte Dame auch die anderen Zimmertüren hatte öffnen lassen und mit stiller Freude seinem Spiel lauschte. In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte sie viel musiziert, aber schon seit Jahren stand der prächtige Flügel im Musikzimmer unbenutzt.

Am nächsten Tage sagte ihm die Tante, welchen Genuss und welche Freude er ihr durch sein Spiel bereitet habe. Seitdem spielte er in dem großen Speisezimmer, das näher an ihrem Schlafzimmer lag, und kein Abend verging, wo er nicht sein Instrument zur Hand genommen hätte. Ihm selbst bereitete es die größte Freude, dass er durch sein Spiel seiner Wohltäterin einen Genuss verschaffen konnte.

Allmählich entwickelten sich auch seine gesellschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarn.

Er hatte auf den Rat der Tante auf den Nachbargütern Antrittsbesuche gemacht. Zuerst lernte er den Jugendfreund seines verstorbenen Onkels, den alten Herrn Braczko auf Keimkallen kennen, der ihm bereits am nächsten Tage einen Gegenbesuch machte, aber nicht zur Visitenzeit. Nein, der alte Herr kam nach dem Abendbrot, wie er es früher jeden zweiten Tag zu tun gewohnt war. Er hatte selbst den Platz vor dem Kamin auf der Diele dazu gewählt und erzählte ihm bei mehreren Flaschen Rotwein viel von seinem verstorbenen Freunde.

Als Kurt nach einigen Stunden seine Müdigkeit nicht unterdrücken konnte, hatte der alte Herr ihm freundlich zugenickt und ihm den Rat gegeben, sich hinzulegen, er selbst würde gerne noch ein Stündchen sich in die Erinnerungen an vergangene Tage vertiefen. Kurt wollte aber nicht so unhöflich sein, seinen Gast allein zu lassen und war schließlich in seinem Sessel sanft eingeschlafen. Er war jetzt immer abends so schrecklich müde und schlief fest und traumlos, bis Jons am Morgen zur festgesetzten Stunde mit der Meldung in sein Zimmer trat, dass das Bad gerüstet sei.

Dann hatte Kurt Braczkos Neffen, Paul, kennen gelernt, der ein Nebengut seines Onkels bewirtschaftete. Der junge Hüne hatte ihn mit offenen Armen aufgenommen und festgehalten, so dass er erst gegen Abend von seinem Besuch zurückkehrte.

Auf den Rat der Tante hatte er auch die verwitwete Frau Strawischke auf Schorellen besucht, deren Hauptreichtum in sechs hübschen Töchtern bestand, von denen die jüngste erst 16 und die älteste erst 21 war. Wie die Orgelpfeifen standen sie nebeneinander.

Und er hatte ein paar sehr angenehme Stunden verlebt, bei einem guten Frühstück, wie es auf dem Lande so üblich ist. Und die frischen Mädel hatten in ungezwungener Natürlichkeit mit ihm geplaudert, wie alte gute Bekannte.

Als im November das schlechte Wetter mit Wind und Regen einsetzte, bekam er die Tante tagelang nicht zu Gesicht. Sie lag, von Schmerzen geplagt, zu Bett und ließ ihm sagen, wenn er sich anmeldete, sie wollte sich ihm in dieser Verfassung nicht zeigen. Dann spielte er ihr jeden Abend etwas vor und länger, als er es sonst zu tun pflegte.

Und wieder eines Morgens stand Jons an seinem Bett und meldete mit bebender Stimme, während ihm die Tränen über die Backen liefen:

»Die gnädige Frau sind heute Nacht sanft entschlafen.«

Es war Kurt, als wenn ihm die Mutter zum zweiten Mal gestorben wäre. Noch nie hatte er sich so verlassen und einsam gefühlt, selbst nicht, als seine leibliche Mutter kurz nach dem Vater gestorben war.

 

Wieder wurde es ein großes Begräbnis.

Dies Mal kamen viele Menschen nicht bloß aus Neugier, sondern aus ehrlicher Teilnahme, um der Frau, die weit und breit Liebe und Achtung sich erworben, die letzte Ehre zu erweisen.

Und viele von denen, die ihrem Neffen und Erben auf dem Kirchhof die Hand drückten, fanden ein Wort der richtigen Anerkennung für die seltene Frau, ein Wort, das in seinem Herzen lauten Widerhall fand.

Der neue Gutsherr kannte die wenigsten seiner Gäste, hatte aber für jeden ein freundliches Wort, hoffte mit jedem in guter, freundlicher Nachbarschaft zu leben und gewann sich die Anerkennung aller durch sein liebenswürdiges Wesen. Namentlich waren es die Damen, die sich schon am Kaffeetisch sehr anerkennend über ihn aussprachen, und unter ihnen waren es insbesondere die Mütter heranwachsender und herangewachsener Töchter, die mit Befriedigung wahrgenommen hatten, dass an des jungen Gutsherrn Hand kein Verlobungsring, geschweige denn ein Ehering steckte. In jedem Falle aber hoffte und vermutete man, dass jetzt eine neue Zeit für Berschkallen beginnen würde, eine Zeit solider Festlichkeiten und regen Verkehrs, wobei man seine Tochter herausstellen konnte.

Namentlich Frau Strawischke malte sich in Anbetracht dessen, dass sie gleich sechs ganz wunderhübsche Töchter ins Treffen führen konnte, die Zukunft sehr rosig aus, und sie konnte es wahrhaftig brauchen, denn auf Strawischken war es an allem schon recht knapp geworden, vor allem aber am Gelde.

Natürlich hatte Kurt von Berg keine Ahnung von den Plänen, die für und gegen ihn da geschmiedet wurden, und er musste laut auflachen, als der alte Braczko ihm auf die Schulter klopfte und in seiner angeheitert vertraulichen Art sagte:

»Nachbar, nehmen Sie sich in Acht. Es wird, wenn nicht alle Zeichen trügen, schon gegen Sie mobil gemacht und alle unsere Gluckhennen da« – und er zeigte auf die Damen hinüber – »sind schon drauf und dran, ihre Küchlein auf Sie loszulassen.«

»Glauben Sie?« hatte Herr von Berg gefragt, und lächelnd zu den Damen hinübergesehen. »Aber wenn auch, mich bringt’s in keine Gefahr, denn ich bin ein eingefleischter Junggeselle.«

Da aber hatte Braczko mit einem Auge gezwinkert und gesagt:

»Nein, nein, glaube ich nicht: die eingefleischtesten Junggesellen sind immer wir verheirateten Leute«, und damit war er gegangen und hatte zu den vielen anderen, die er schon hinter die Binde gegossen hatte, noch einen genommen.

Sein Neffe aber, der Paul, hatte ihm zugedroht und gesagt:

»Onkel Braczko, gib Acht, dass du deinen Lötkolben nicht zu tief in das Glas steckst, sonst zischt es, so glüht er schon wieder.«

»Du verdammter, nichtsnutziger Bengel du!« drohte ihm der Alte, stieß aber gleich darauf mit ihm an und leerte wieder sein Glas.

Der neue Gutsherr unterhielt sich indessen in recht ernstem Gespräche mit dem Herrn Pastor, erkundigte sich eingehend nach den Beziehungen zwischen Gutsherrschaft und Kirche und zeigte namentlich ein reges Interesse für die Schulverhältnisse.

Dadurch gewann er sich natürlich auch die rückhaltlose Anerkennung dieses echten Seelsorgers der Gemeinde.

Am eingehendsten aber sprach er mit dem alten Gutsinspektor von Keimkallen, der nicht genug hervorheben konnte, was für Verdienste sich die eben Verstorbene um Hebung und Vergrößerung und Abrundung des Gutes erworben hatte.

»So einen Mann, wie die Frau, bekommen wir im Leben nicht wieder,« sagte er. »Freilich ist aber noch immer sehr viel zu tun und viel zu verbessern. Vor allem aber steckt ein verdammter, ekliger Dorn noch im Fleisch Ihres Gutes.«

»Und der ist?« fragte der Gutsherr.

»Der Mertinatsche Besitz. Na, Sie werden das ja selbst schon gesehen haben, wie Sie auf dem Gute hier Umschau hielten. Viel hat Frau von Rosen ja schon an sich gebracht, denn die Mertinat hat vieles, nur das Wirtschaften, das hat sie gar nicht verstanden. Die drei Margellen aber, die jetzt darauf sitzen, die halten an dem bisschen fest und lassen nicht locker, so wie mein Hund nicht locker lässt, wenn er einen Schinkenknochen im Maule hat.«

»Und Sie halten das Einverleiben des Mertinatschen Besitzes in Berschkallen für wünschenswert?«

»Für eine Notwendigkeit, Herr von Berg. Für eine Lebensfrage für Sie. Aber Sie haben ja selbst Ihre Augen, Sie werden ja sehen.«

Er sah es auch wirklich.

So überraschend gut ihm das, unter der Leitung seiner Tante zu einem Mustergute gewordene Berschkallen, in allen seinen Teilen gefiel, so wenig entzückt war er von dem ganz unmotivierten Hineintragen fremden Besitzes in den seinen.

Grundmoser war natürlich derselben Ansicht, die sich übrigens jedem von selbst aufdrängte.

»Über kurz oder lang müssen die ollen Margellen die Sache ja doch hergeben. Lange können sie ja nicht mehr machen. Das Gut trägt ja nichts, sondern es frisst. Dass sie raus müssen, ist also, so traurig es für sie ja auch sein mag, nur eine Frage der Zeit. Uns kann es aber nicht gleichgültig sein, in wessen Hände es fällt. Wir müssen’s bekommen. Jeder Dritte würde horrende Preise verlangen, oder womöglich, uns zum Possen, eine Fabrik oder eine Schneidemühle mit rauchendem Schlot hinsetzen, mitten in unser eigenes Herz.«

»Das darf natürlich in gar keinem Falle geschehen. Der ganze Besitz würde ja dadurch entwertet. Was ist aber dabei zu tun? Kann man ihnen denn nicht einen vernünftigen Preis dafür anbieten?«

»Sie nehmen keinen, nicht wenn man ihnen das Zehnfache bietet, und so bleibt nur ein Mittel: ausräuchern.«

»Wie meinen Sie das?«

»Na, einfach unter der Hand weg die Hypotheken zusammenkaufen und warten, bis sie fällig werden, oder die Zinsen nicht mehr gezahlt werden können.«

»Steht es denn wirklich so schlecht um die drei Damen?«

»Schlecht ist gar kein Wort mehr dafür, und darum hat sich ja die selige, gnädige Frau auch so geärgert.«

Natürlich befolgte Herr von Berg den Rat seines alten, erfahrenen Inspektors. Die Hypotheken waren bald alle in seiner Hand, die erste sowohl wie die zweite und dritte.

Wenn er aber darauf gerechnet hatte, dass die Damen, wie er sie nannte, mit der Bezahlung der Zinsen im Rückstande blieben, so irrte er sich sehr. Mit einer ganz regelmäßigen Pünktlichkeit ging das Geld ein, und er rechnete es sich schon aus, dass, wenn es so weiterging, die Mertinats weiter zahlen würden, so lange auch nur ein Atemzug in ihrem Leibe und die letzte Faser Fleisch an ihren Knochen war.

Ganz gegen seinen Willen rang ihm diese geradezu verzweifelte Hartnäckigkeit, mit der sie sich durchkämpften, ein Gefühl der Bewunderung ab, und eines Tages sagte er auch seinem Inspektor: »Die alten Damen flößen mir tatsächlich Respekt ein, Grundmoser, Ihnen nicht?«

»Welche alten Damen?« fragte der, wie aus den Wolken gefallen.

»Na, die ollen Margellen, wie Sie sie nennen, die Mertinats.«

Da lachte aber der Inspektor hellauf, trotz seines Respekts vor dem Herrn.

»Alte Damen?« rief er. »Wenn Sie sie nur sehen würden! Ganz junge Dinger sind’s, aber sie schlagen sich durch wie alte Kriegsveteranen, und namentlich die eine, die ficht und kämpft wie eine Katze.«

»Jung also sind sie, Grundmoser?« fragte Herr von Berg, der maßlos erstaunt war, denn das gab jeder Sache ein ganz anderes Gesicht.

»Ganz jung. Die älteste wird, na was wird sie sein? Wenn’s hoch kommt, ihre vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahr, und die jüngste und gerade die ärgste ist noch nicht einmal flügge, mit ihren sechzehn oder siebzehn Jahren. Unser Förster aber, glaub’ ich, kennt die Jüngste am besten.«

»Wie ist das zu verstehen? Wie meinen Sie das?«

»Na, man redet nicht gern davon, aber schließlich muss es Ihnen ja doch endlich gesagt werden, wenn Sie auch noch kein Interesse an der Jagd haben. Die Jüngste, – ein Racker! Na, wenn Sie die einmal kennen lernen! – Die treibt’s doch schon ein bisschen zu arg. Die hat nämlich die Forstmeisterei drüben unter sich, wie sie’s nennt. Stolziert in ihrem Forstanzug herum und ist ohne Flinte überhaupt im Wald nicht zu treffen. Schießt übrigens wie der Deuwel. Aber … hm … wie soll ich’s sagen? Sie beschränkt sich nicht auf das Wild aus dem eigenen Grund und Boden, sondern hat auch schon manch einen unserer Hasen und unserer Fasanen abgeschossen.«

»Seht mal an,« sagte Kurt von Berg, um nur etwas zu sagen.