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Der Wagehals

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17. Kapitel

Ein Grauen war dem starken Mann in die Seele getreten, als der Kopf des Wilderers nach vorn hinuntersank und der schwere Körper ohne die geringste Bewegung liegenblieb, denn er mußte in diesem Augenblick annehmen, daß er den Mann durch seinen Schuß getötet hatte. Gleichzeitig kam ihm zum Bewußtsein, daß der Schuß durchaus überflüssig gewesen war . . . ein Anruf hätte genügt. Wenn Naujoks sah, daß seitwärts von ihm ein zweiter Beamter mit der gespannten Büchse im Anschlag stand, dann hätte er sich ruhig in sein Mißgeschick ergeben . . .

Er wollte sein Gewissen damit beruhigen, daß er sich sagte, er hätte, als der Schuß des Naujoks krachte, unwillkürlich losgedrückt. Vor der Welt und vor dem Gericht, das den Vorfall untersuchen mußte, würde er völlig gerechtfertigt dastehen, denn der Wilddieb hatte sich zur Wehr gesetzt und auf einen Beamten geschossen. Aber vor seinem Gewissen bestand er nicht. Das sagte ihm, daß er unrecht gehandelt hatte. Weshalb hatte er nach dem Kopf gezielt? Um den Wilddieb kampfunfähig zu machen oder am Entlaufen zu hindern, hätte ein Schuß ins Bein genügt.

Er bog sich zu ihm hinunter und drehte ihn auf den Rücken. Die Kugel hatte dem Kerl die Nase durchschlagen. Wie ein Stein fiel es ihm vom Herzen.

»Ist der Kerl tot?« fragte Mooslehner, der atemlos angelaufen kam. »Nein? Schade! Nante, Mensch, Freund, Bruder, wie soll ich dir danken?«

»Wofür?« erwiderte Nante ruhig.

»Na, in solchem Augenblick konntest du doch wohl daran denken, was zwischen uns steht . . .«

Schnabel fühlte, wie ihm das Blut zu Kopf strömte. »Ach, laß das, Karl, ich habe in diesem Augenblick wirklich nicht daran gedacht. Es war doch einfach meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit . . . Nein!« rief er und sah Mooslehner fest an. »Nein, Karl, ich will nicht von dir Dank entgegennehmen, während ich mich in meinem Herzen schuldig fühle. Karl, ich habe mehr als zehn Minuten hinter jenem Strauch gestanden . . . dort am Wiesenrand. Ich sah euch beide . . . Dort habe ich mit sehr bösen Gedanken gestanden und habe erst geschossen, als ich sah, daß du dem Kerl so unvorsichtig deine linke Körperhälfte zeigtest. Hätte er dich totgeschossen, dann hätte ich dich auf dem Gewissen. So, nun habe ich dir die volle Wahrheit gesagt, und nun überlasse ich dir das Weitere. Ich habe es verdient, wenn ich den grünen Rock ausziehen muß . . .«

Er wankte zur Seite, lehnte sich an die Eiche und schlug die Hände vors Gesicht. Ein lautloses Schluchzen erschütterte seinen Körper . . . Langsam legte Mooslehner sein Gewehr auf die Wiese, dann ging er zu ihm und legte ihm den Arm um die Schulter. »Nante, für böse Gedanken kann kein Mensch, die kommen und gehen, ohne daß man ihnen gebieten kann. Nicht die Gedanken sind es, nach denen man gerichtet werden kann, sondern die Taten.«

»Ja, danach sollt ihr mich richten,« stöhnte Schnabel, »daß ich eine Ewigkeit dagestanden habe, ohne dich aus der Todesgefahr zu befreien.«

Mooslehner lief es eiskalt über den Rücken . . . Wenn er selbst jetzt dort an der Buche kalt und steif läge. Und gleichzeitig stieg ihm die Frage auf, was er wohl getan haben würde, wenn Nante an seiner Stelle gestanden hätte. »Nante, Bruder, du mußt dich nicht mit solchen dummen Gedanken plagen. Du hast sie doch überwunden. Dein Schuß hat mich gerettet. Damit hast du doch gezeigt, daß du die Versuchung von dir gewiesen hast . . . Es kommt doch nur darauf an, wie ich mich zu deinem Geständnis stelle . . . und da sage ich dir aus vollem Herzen, Nante, ich verzeihe dir, wenn dir das Beruhigung schafft. Und nun laß dir nochmals Dank sagen.«

Nante hob langsam den Kopf. »Karl, ist das dein Ernst? Willst du wirklich mein Freund bleiben und mir die Hand geben?«

»Hier hast du sie . . .«

Mit festem Druck nahm Nante die Hand des Freundes. »Ich danke dir, Karl. Dann wollen wir aber auch alles zwischen uns beseitigen, was wieder zwischen uns treten könnte. Ich räume dir das Feld bei Wera . . . Es wird mir sehr schwer, aber du wirst sehen, daß ich mein Wort halte.«

»Nein, mein lieber Nante, das Opfer kann ich nicht von dir verlangen. Ich habe die Überzeugung, daß ich Wera ziemlich gleichgültig bin, daß sie dich bevorzugt. Da würde mir dein Verzicht doch nichts helfen. Und vielleicht sitzen wir beide schon auf dem Pfropfen, und der Assessor ist der Glückliche.«

»Das habe ich mir auch schon gedacht, Karl. Die Wera verliebt sich nicht mehr wie ein junges Mädchen. Die rechnet mit dem Verstand, und wenn der Assessor Ernst macht, dann fallen wir beide hinten 'runter . . . Zum Deuwel, wo ist der Kerl, der Naujoks, geblieben?« Er war ganz unwillkürlich hinter der Eiche hervorgetreten, und sein Blick war auf die leere Stelle gefallen, wo Naujots gelegen hatte . . .

Der alte Wilddieb war in dem Augenblick, als Nante sich seiner Verzweiflung überließ, aus der Betäubung erwacht. Mit der Hand hatte er nach der Nase gefaßt, wo er einen kleinen Schmerz verspürte. Der Schädel brummte ihm, weil die Kugel nicht nur den Nasenknorpel durchschlagen, sondern auch das Nasenbein geschrammt hatte. Trotzdem begann sein Gehirn sofort zu arbeiten.

Er drehte sich wieder auf den Bauch. Von den Forstbeamten sah er nur den halben Körper. Sofort griff er zur Büchse . . . dabei kam ihm zum Bewußtsein, daß sie nicht geladen war . . . Und ohne Geräusch würde das nicht abgehen, wenn er sie zu laden versuchte . . . Jetzt hörte er Mooslehner sprechen, also stand noch ein zweiter hinter dem Baum. Ohne sich zu besinnen, schob er sich auf dem Bauch rückwärts . . . zehn Meter, aber in der Richtung, in der ihm die Eiche Deckung gab . . . Dann richtete er sich auf, schlich mit langen, unhörbaren Schritten davon. Jetzt verschwand er im Graben und lief gebückt bis zum Waldrand.

Dort blieb er stehen und lud die Büchse. In ihm lochte und gärte es . . . Die beiden Grünröcke standen im hellen Mondschein in Schußweite von ihm auf der Wiese wie zwei Scheiben. Er konnte sie beide umlegen, wenn sie sich bloß ein Stück von der Eiche entfernten. Einen abschießen, wenn es dem zweiten gelingen konnte, hinter der Eiche Schutz zu suchen, hatte keinen Zweck. Er backte das Gewehr an und strich an der dicken Kiefer, hinter der er stand, an und lauerte.

Er war schon in Versuchung, abzudrücken, als Schnabel sich zehn Schritt von der Eiche entfernte. Er verfolgte die Spur, die der Wilddieb bei seinem Rutschen hinterlassen hatte . . . Wenn er jetzt den Mooslehner aufs Korn nahm, dann gelang es Schnabel nicht mehr, hinter die Eiche zu flüchten . . . Da schien es ihm, als wenn die Kiefer, an der er lehnte, zu schwanken begann. Er hörte ein Singen und Summen in seinen Ohren . . . Bewußtlos sank er hinter dem Baum zusammen.

In demselben Augenblick wie Nante hatte auch Mooslehner das Verschwinden des Wilddiebes bemerkt. »Da soll gleich das heilige Kreuzmillionenschockschwerenotdonnerwetter« – das Kraftwort hatte er vom Forstmeister gelernt – »dreinschlagen! Da, das ist 'ne schöne Bescherung, Nante.«

»Ja, Karl, und das fällt auch auf mein Schuldkonto. Wenn ich sofort den Kerl angerufen hätte und ihn mit vorgehaltener Büchse gezwungen hätte, sich zu ergeben, dann wäre auch das nicht passiert.«

»Ach, laß doch diese dummen Geschichten endlich ruhen. Bist du sicher, daß es der Naujoks war?«

»Aber Karl, solch einen großen Kerl haben wir in der ganzen Umgegend nicht.«

»Na, dann heißt es im Trab zu ihm nach Hause . . . Was war das?«

»Ich habe nichts gehört«, versicherte Nante.

»Es hörte sich so an wie ein Knacken und Scharren.«

»Irgendein Tier, das vor uns ausgerückt ist. Ich halte es auch für überflüssig, uns jetzt noch den Weg nach Wersmeninken zu machen. So klug ist der doch auch, daß er jetzt nicht nach Hause geht und sich ins Bett legt. Der sucht sich doch irgendwo einen Schlupfwinkel bei Verwandten . . . Und wenn er sich wieder ausgeleckt hat und zum Vorschein kommt, dann fassen wir ihn.«

»Oder wir lassen ihn laufen und halten das Maul. Wir haben bei diesem Vorfall nicht sehr gut abgeschnitten, mein lieber Nante . . . Wie sollen wir das dem Alten erklären, daß der Kerl zwei Schritt vor uns angeschossen liegt und sich doch aus dem Staube machen kann. Ich denke, wir gehen ruhig nach Haus und halten reinen Mund.«

»Das sagst du so, Karl; aber wenn einer von den Kollegen die Schüsse gehört hat und meldet?«

»Das fehlt bloß noch . . . Nein, du hast recht, wir müssen dem Alten soviel erzählen, wie nötig ist. Dir ist übel geworden vor Hunger und Aufregung, und du hast dich an die Eiche gelehnt . . . ich habe dich halten müssen. Dabei hat sich der Naujoks fortgeschlichen. Wir konnten nicht ahnen, daß er so schnell aus seiner Betäubung erwachen würde. Wenn wir den Alten bitten, uns nicht zu verraten . . .«

»Na ja, das wollen wir tun, aber nun komm. Ich habe mächtigen Hunger.«

Schweigend schritten sie zum Waldrand.

»Wenn der Kerl nach dieser Seite gelaufen wäre, hätte er uns abschießen können wie zwei Rehböcke«, meinte Mooslehner. Ein tiefes Stöhnen unterbrach ihn. Blitzschnell rissen beide Grünröcke die Büchsen von der Schulter. Da, jetzt wieder das tiefe Grunzen, Stöhnen . . . Jetzt sprang Nante ohne Besinnen durch das dichte Unterholz. »Hier liegt er, Karl, der Naujoks.«

Eiskalt lief es ihm über den Rücken.

Was Mooslehner eben gesagt hatte, war nur zu richtig. Da lag der Wilddieb auf einen Haufen zusammengesunken und neben ihm die geladene und gespannte Büchse. Hinter der Kiefer hatte er im Anschlag gestanden . . . Jetzt wußte Mooslehner sich das Geräusch zu erklären, das er vorher gehört hatte . . . Während Schnabel die Büchse aufnahm und entlud, band Mooslehner dem bewußtlosen Wilddieb die Hände zusammen. Dann rüttelte er ihn.

Mit blödem Ausdruck blinzelte Naujoks die beiden Grünröcke an. »Guten Abend, was wünschen Sie von mir?«

»Verstellen Sie sich nicht und stehen Sie auf. Sie müssen mit uns nach der Oberförsterei gehen.«

 

Stöhnend ließ der Wilddieb den Kopf sinken.

»Das kann doch nur Verstellung sein«, meinte Nante. »Fass' an, Karl, wir wollen ihn erst einmal auf die Beine stellen.«

»Wart' mal, Nante, ich habe im Rucksack noch einen Schluck.« Er nahm die Flasche und setzte sie dem Wilddieb an den Mund. »Das schmeckt, Naujoks, nicht wahr? Nun reißen Sie sich zusammen und kommen Sie mit, den kurzen Weg zur Oberförsterei werden Sie zu Fuß machen können. Im Notfall führen wir Sie.«

Jetzt erst war Naujoks zum vollen Bewußtsein gekommen. Mit weitaufgerissenen Augen, die in dem geschwärzten Gesicht merkwürdig leuchteten, sah er Mooslehner an. Sein Arm hob sich krampfhaft und zerrte an der Fessel.

»Sie werden sich schon in Ihr Schicksal ergeben müssen. Ein zweites Mal lassen wir Sie nicht mehr aus den Fingern«, rief Mooslehner .»Nante, fass' an, er muß marschieren.«

Mit einem Ruck hoben sie den schweren Mann auf und stellten ihn auf die Beine. Er schwankte wie ein Betrunkener.

»Verstellen Sie sich nicht, Sie müssen vorwärts.«

Stolpernd ging Naujoks zwischen ihnen. Manchmal schwankte er so stark zur Seite, daß er beinahe seine beiden Begleiter umriß.

»Ich bin wirklich schwitzig geworden von dem Schleppen«, rief Nante, als sie den Wilddieb auf der Veranda der Oberförsterei auf einen Stuhl niederließen. Dann lief er an das Schlafzimmer des Forstmeisters und klopfte an.

»Wer ist da?«

»Mooslehner und Schnabel, wir haben den Naujoks erwischt.«

»Den Naujoks? Einen Augenblick, ich komme gleich« . . . Fünf Minuten später schloß der alte Herr die Haustür auf, er war in voller Uniform. »Bringen Sie ihn in die Amtsstube. So . . . kann der Kerl nicht stehen? Was hat er da an der Nase?«

»Einen kleinen Streifschuß, Herr Forstmeister.«

»Na, das werden wir ja alles erfahren; Schnabel, setzen Sie sich und schreiben Sie das Protokoll. Makunischken, den soundsovielten . . . Vor dem Unterzeichneten erschienen . . . und gaben folgendes zu Protokoll: Gestern abend . . . Nun diktieren Sie, Mooslehner.«

Ruhig und klar bis in alle Einzelheiten gab Karl seine Aussage ab, die vom Forstmeister Wort für Wort wiederholt und Nante in die Feder diktiert wurde. Naujoks saß in sich zusammengesunken, den Kopf auf der Brust, auf einem Stuhl. Manchmal wankte er so, daß Mooslehner ihn halten mußte.

Nun mußte Schnabel seine Aussage machen, während Mooslehner das Schreiben übernahm. Er sagte ruhig aus bis zu der Stelle, wo er sein Eingreifen schildern mußte. Da stockte er . . . »Ich war so erregt und erhitzt von dem schnellen Laufen,« sagte Mooslehner laut und schrieb es nieder, »daß ich mich einige Augenblicke sammeln mußte.«

»Jawohl, so war es«, bekräftigte Nante, tief aufatmend. »Da sah ich, wie Naujoks seine Büchse hob. Nun hielt ich einen Anruf für aussichtslos und schoß.«

»Jawohl . . .«

»Als ich bei dem Wilddieb, der still liegen blieb, ankam und ihn umdrehte, erschrak ich so sehr, daß mir ganz übel wurde.«

»Jawohl . . .«

»Ich lehnte mich an die Eiche. Mein Kollege Mooslehner faßte mich um und sprach mir ermunternd zu.«

»Jawohl . . .«

»Diesen kurzen Augenblick benutzte Naujoks, der erwacht war, und schlich sich fort.«

»Jawohl, Herr Forstmeister . . .«

»Nach längerem Suchen . . .«

»Nein, Herr Forstmeister,« rief Nante, »wir waren so verblüfft, daß wir uns nur darüber unterhielten, ob wir nach Wersmeninken nachgehen sollten. Da wir es für aussichtslos hielten, beschlossen wir, nach Hause zu gehen. Am Waldrand fanden wir Naujoks bewußtlos.«

»Na, dann schreiben Sie, wie es richtig ist. So, und nun lesen Sie das Protokoll vor. Naujoks, hören Sie? Sie müssen es unterschreiben oder vorher Ihre Einwendungen machen.«

Er trat zu dem Mann und schüttelte ihn. Dann nahm er die Lampe vom Tisch und leuchtete ihm ins Gesicht.

»Ein ganz geringer Blutverlust. Aber es kann eine Gehirnerschütterung gegeben haben. Ich möchte die Verantwortung nicht übernehmen, daß der Mann länger als irgend nötig ohne ärztliche Behandlung bleibt. Schnabel, wecken Sie den Jons und lassen Sie anspannen. Einer von Ihnen muß noch heute mit Naujoks nach Pillkallen ins Krankenhaus fahren. Ich werde sofort den Aufnahmeschein schreiben. Und sorgen Sie dafür, daß er sofort vom Arzt untersucht wird.«

»Na, dann werde ich schon fahren,« meinte Mooslehner resigniert, »sonst kommt uns Schnabel vor Hunger um.«

»Das war eine Reihe von glücklichen und unglücklichen Zufällen, meine Herren«, sagte der Forstmeister zu den beiden Grünröcken, als Schnabel zurückgekehrt war. »Aber das muß ich Ihnen erklären: mit Ruhm haben Sie sich dabei nicht bekleckert. Ihr Mitgefühl für den Kollegen in allen Ehren, lieber Mooslehner, aber erst kommt die Pflicht und dann das Vergnügen. Guten Morgen, meine Herren.«

18. Kapitel

Der Forstmeister war ein glücklicher und sehr aufmerksamer Bräutigam. An jedem Nachmittag fuhr er nach Weschkallen. Seine Braut gefiel ihm mit jedem Tage mehr. Sie war so weich, so schmiegsam und so zärtlich. Jeden Augenblick des Alleinseins nahm sie wahr, sich auf sein Knie zu setzen und ihn abzuküssen . . . Dem alten Herrn gefiel das sehr gut.

Einmal gleich zu Anfang hatte er ihr gesagt: »Aber, Madelinchen, wir sind doch ein Paar vernünftige Leute! Wenn Tante Georginne uns überrascht! Was soll sie von uns denken?«

»Daß ich dich von Herzen liebe, du alter Brummbär.« Dann knutschte sie ein Tränchen ab und fuhr fort: »Hast du denn so wenig Selbstbewußtsein? Meine ganzen Empfindungen fliegen dir entgegen . . . Mein erster Mann hat mir auch ganz gut gefallen, aber auch weiter nichts. Ich habe ihn aus klugen Erwägungen genommen. Aber was sollte mich jetzt bestimmen? Möchtest du mir das mal sagen? Ich habe reichlich genug zum Leben, auch ohne Tante Georginne zu beerben.«

»Ich wage noch immer nicht, an das große, berauschende Glück zu glauben, Madelinchen.«

»Ach, daran sind bloß die dummen Romanschreiber schuld. Wenn bei denen ein Mann vierzig Jahre alt ist, dann ist er ein alter Herr, der eine große Dummheit begeht, wenn er sich ein junges Weib nimmt. Ich meine, jeder Mensch ist so alt, wie er sich fühlt.«

Der Forstmeister nickte lebhaft. »Das Wort unterschreibe ich . . . Du hast mir aus der Seele gesprochen, Kind. Ich muß in fröhlicher Gesellschaft manchmal an mich halten, um nicht aus tiefster Brust einen alten Studentenkantus anzustimmen.«

»Ich singe mit«, rief Madeline und warf sich an seine Brust . . .

Schrader hatte sofort an seinen Freund, den Forstrat, geschrieben und ihm mitgeteilt, daß er sich wieder zu verheiraten gedenke. Er hatte wegen eines längeren Urlaubs zur Hochzeitsreise angefragt und gebeten, sein Gesuch, das nach Feststellung des Hochzeitstermins abgehen würde, zu befürworten. Umgehend erhielt er ein herzliches Glückwunschschreiben.

Weshalb sollte er noch länger mit der Hochzeit warten? Der Termin wurde festgesetzt, und drei Tage später hing er mit Madeline vor seinem eigenen Hause im Kasten. Nie hatte er dem alten schwarzen, mit Draht vergitterten Kasten einen Blick geschenkt. Jetzt ging er selbst hinaus vor die Tür und las den Text des Schriftstückes . . . Von der Kanzel sollte er in abgekürztem Verfahren nur einmal für dreimal fallen. Er wollte nur eine stille Hochzeit mit einem Frühstück für die Trauzeugen. Aber darauf ging Georginne nicht ein. Das wäre ihre Sache, und sie wolle auch ihre Freude daran haben . . .

Eines Tages, als der Forstmeister eben den Wagen befohlen hatte, um nach Weschkallen zu fahren, fuhr ein Wagen vor. Eine Minute später erschien Abromeitene und brachte in ihrem Schürzenzipfel eine große Visitenkarte. Er las: »Roman von Zaleski, K. K. Rittmeister der Garde-Landwehr-Kavallerie.«

»Laß den Herrn eintreten.«

»Was verschafft mir die Ehre?«

Herr von Zaleski war eingetreten und hatte eine tadellose Verbeugung gemacht. »Ich wollte dem Herrn Forstmeister meine gehorsamste Aufwartung machen. Bei der engen Freundschaft, die jetzt unsere Herrscher und Heere verbindet, habe ich es für meine Pflicht gehalten, weil ich gerade in Ihrem Machtbereich weile, Ihnen meine Verehrung zu Füßen zu legen. Bitt' schön zu entschuldigen. Ich bin auch ein leidenschaftlicher Jäger und liebe die grüne Farbe.«

Mit einer Handbewegung wies Schrader auf einen Sessel und nahm dem Gast gegenüber Platz. »Sehr verbunden, Herr Rittmeister. Wenn ich fragen darf, was hat Sie in unsere Gegend geführt?«

»Oh, das tut nichts zur Sache, aber im Vertrauen . . . bitt' schön, Herr Forstmeister, eine sehr wichtige Mission, die sich gegen unseren gemeinsamen Gegner Rußland richtet.«

Der Forstmeister neigte das Haupt, als wenn ihn diese Erklärung befriedigte. »Und Sie sind, wie Sie sagen, leidenschaftlicher Jäger?«

»Sehr passioniert, Herr Forstmeister.«

»Dann werden Sie wohl nicht auf Ihre Rechnung kommen, Herr Rittmeister. Ich lege mir selbst, obwohl ich auch sehr passioniert bin, im Abschuß Beschränkungen auf, um den Forstbeamten, die ihre Haut bei der Beschützung des Wildes zu Markte tragen, das Vergnügen nicht zu verkümmern.«

»Das bedaure ich, Herr Forstmeister, sonst hätte ich mir die Bitte nicht erlaubt.«

»Ganz ausgeschlossen, Herr Rittmeister . . .« Schrader erhob sich. »Ich bedaure sehr, daß Sie sich vergeblich bemüht haben, aber ich kann wirklich keine Ausnahme machen.«

Herr von Zaleski hatte sich auch erhoben. »Bitte vielmals um Entschuldigung. Habe die Ehre, Herr Forstmeister.«

Mit einer stummen Verbeugung geleitete ihn der alte Herr zur Tür . . .

Am anderen Tage, kurz vor Mittag, erschien der Assessor in der Oberförsterei. »Wissen Sie, Herr Forstmeister, wer mich gestern besucht hat? Der Rittmeister von Zaleski. Ein ganz famoser Kerl. Wir haben in Erinnerungen geschwelgt. Wir haben ein Schock gemeinsame Bekannte, über deren Befinden er mir genaue Auskunft geben konnte.«

»Sie haben ihn schon vorher persönlich gekannt?«

»Nein, Herr Forstmeister, das nicht . . . aber er ist bei mir hinreichend legitimiert durch einen Gruß, den er mir überbrachte . . . und ich entsinne mich auch, seinen Namen öfter in Wien gehört zu haben. Ein glänzender Reiter und ein passionierter Jäger . . . Uralter Lechenadel übrigens. Von Ihnen sprach er mit der größten Hochachtung, Sie haben ihm außerordentlich gefallen.«

Der Alte griente etwas. »Sehr schmeichelhaft – Sie werden vermutlich den Verkehr fortsetzen?«

»Wenn Herr Forstmeister keine Bedenken dagegen haben?«

»Bedenken? Lieber Herr Assessor, Sie übernehmen doch gewissermaßen die Garantie. Also wenn Sie ihn nächstens zum Scheibenschießen einladen, ich habe nichts dagegen. Wollen Sie auf das Glück des Topfes zum Mittagessen bei mir bleiben? Ich weiß selbst nicht, was es gibt.«

»Sehr erfreut, Herr Forstmeister, nehme mit Dank an.«

»Na, dann kommen Sie 'rüber in meine Wohnung.«

»Ich wollte Ihnen noch etwas im tiefsten Vertrauen sagen«, fuhr der Forstmeister im Wohnzimmer fort. »Die Enkelin unseres Freundes Krummhaar wird, wie mir der Alte sagt, jetzt sehr eifrig von den jungen Grünröcken umworben. Der jungen Frau ist das peinlich. Sie ist, wie ich Ihnen unter strengster Diskretion mitteile, nicht Witwe . . . Ihr Mann lebt. Er ist wegen politischer Umtriebe in Haft und wahrscheinlich nach Sibirien gebracht.«

Der Assessor wechselte einen Augenblick die Farbe. »Oh, Herr Forstmeister, das tut mir sehr leid. Das ist ein sehr schweres Schicksal, das die verdüsterte Stimmung der Dame hinreichend erklärt, über die ich mir schon den Kopf zerbrochen habe. Aber ich bin Ihnen sehr dankbar für die Mitteilung. Ich habe sehr gute Beziehungen zu den hohen und höchsten Beamten in Rußland. Es wird mir ohne Zweifel gelingen, über das Schicksal des Herrn Nekrassow, so heißt er wohl, Auskunft zu erhalten. Vielleicht kann ich auch eine Milderung seiner Strafe herbeiführen. Ich will nicht zuviel versprechen, aber ich werde jedenfalls alles aufbieten, um der Dame beizustehen.«

Der Forstmeister hatte Mühe, sein Erstaunen zu verbergen. Er hatte nicht erwartet, daß der Assessor diese Eröffnung, die doch alle seine Hoffnungen zerstören mußte, in dieser Weise aufnehmen würde. Oder waren seine Absichten derart, daß er sie durch tätige Anteilnahme an dem Geschick der jungen Frau zu fördern gedachte? Und noch etwas anderes war möglich, daß er durch seine Bemühungen die Gewißheit zu erlangen hoffte, daß die junge Frau wirklich das war, wofür sie sich ausgegeben hatte, eine Witwe.

Gegen Abend kam Herr von Sperling in das Forsthaus. Seine beiden Rivalen waren unsichtbar. Mooslehner kam nur zu den Mahlzeiten und entfernte sich sofort nach dem Essen. Schnabel ließ sich überhaupt nicht mehr blicken. Der Hegemeister saß an seinem Schreibtisch. »Nehmen Sie Platz, Herr Assessor. Ich bin gleich fertig . . . Mit dem Schreibwerk wird es immer schlimmer. Nächstens kommen wir Grünröcke überhaupt nicht mehr in den Wald, sondern werden an den Schreibtisch angeschmiedet, wenn nicht jeder Förster seinen Forstschreiber bekommt.«

 

»Bitte sich gar nicht stören zu lassen, Herr Hegemeister, ich habe schon Unterhaltung.« Er hob den kleinen Buben, der durch die Tür hereingestürmt kam, auf seinen Arm, setzte sich mit ihm und nahm ihn auf den Schoß. Der kleine Bursche begann sofort seine Taschen zu untersuchen, in denen sich immer ein Leckerbissen für ihn befand.

»So, nun bin ich fertig«, rief der Hegemeister und warf die Feder hin. »Wenn ich den Kerl mal erwische, der das Schreiben erfunden hat . . . Na, wie weit sind Sie mit Ihrer Klupperei, Herr Assessor?«

»Ich habe heute das zweite Jagen angefangen, aber da wird es nicht so schnell vorwärtsgehen, denn der Bestand ist zu ungleich.«

»Ja, ja, das glaube ich Ihnen. Das Jagen war mein Schmerzenskind. Dreimal ist die Nonne drin gewesen, dreimal mußte ich nachpflanzen . . . Wie ist es, wollen Sie zum Abendbrot bei uns bleiben?«

»Ich danke sehr, bin nur auf einen Sprung zu Ihnen gekommen, um Ihnen meine Hilfe anzubieten . . . Herr Forstmeister hat mir Mitteilung gemacht von dem traurigen Geschick, das ihre Frau Enkeltochter getroffen hat. Ich habe sehr gute Beziehungen in Rußland, und wo sie nicht ganz hinlangen, könnte ich mir durch gewichtige Fürsprache die Beziehungen schaffen. Ich hoffe, daß es mir gelingen wird, zunächst den Verbleib des Herrn Nekrassow festzustellen. Mehr kann ich augenblicklich nicht versprechen, aber das glaube ich bestimmt erreichen zu können.«

»Herr Assessor, wenn Ihnen das gelingen würde!« Er lief zur Küchentür, öffnete sie und rief hinaus: »Wera, komm mal 'rein, der Herr Assessor will mit dir sprechen.«

Die junge Frau, die am Herd stand, wies achselzuckend auf ihren sehr schlichten Hausrock. »Ich kann jetzt nicht, Großvater.«

Nun trat der alte Herr in die Küche und zog die Tür hinter sich zu: »Kind, mach' keine Umstände. Du weißt gar nicht, was dir Gutes bevorsteht.«

Mit einer jähen Wendung drehte Wera sich um. »Aber Großvater, doch nicht jetzt um diese Zeit . . . und hast du ihm nicht gesagt . . .«

Der alte Herr lachte laut auf. »Ihr Weiber seid euch doch alle gleich. Der erste Gedanke ist immer an die Hochzeit . . . Nein, Kind, es ist etwas, was dich zunächst noch viel mehr angeht. Der Assessor hat sehr gute Beziehungen in Rußland, er will zunächst ausfindig machen, wo dein Mann steckt.«

Die junge Frau war vor Schreck zwei Schritte zurückgetreten, bis ihr Rücken an die Wand stieß. Beide Hände hatte sie an das Herz gepreßt.

»Kind, Wera, was ist dir?«

»Gar nichts, Großvater . . . das kam bloß ein bißchen zu plötzlich.«

»Na ja . . . das begreife ich vollkommen, aber nun laß mal die Braterei und zieh' dich schnell an, wenn du nicht in diesem Kleid 'reinkommen willst. Du mußt doch dem Assessor alles ausführlich und streng wahrheitsgemäß erzählen. Ich möchte es bei dieser Gelegenheit auch hören . . .«

Die junge Frau hatte ihre Erregung ziemlich bemeistert. »Ach Gott, Großvater, das eilt doch nicht so . . . Heute kann ich das nicht . . . Das würde mich zu sehr aufregen. Sag' dem Herrn Assessor meinen herzlichsten Dank . . . In den nächsten Tagen. Ich muß mir das alles auch erst im Gedächtnis zurechtlegen.«

Der alte Herr ärgerte sich sichtlich über diese Antwort. »Ach was, nimm dich zusammen. Du bist doch keine Marzipanpuppe . . . Der Mann will seinen Einfluß für dich aufbieten, und du hältst es nicht einmal für nötig, ihm dafür zu danken.«

»O doch, Großvater . . . Ich kann bloß im Augenblick nicht . . .«

»Merkwürdig! Die ganze Zeit hast du dein Schicksal geduldig und gefaßt getragen, und nun mit einemmal, wo sich der erste Hoffnungsschimmer zeigt, gerätst du außer Rand und Band.«

Er trat näher an sie heran und dämpfte seine Stimme. »Mir ist fast so, als wenn es dir gar nicht recht ist, daß der Assessor dir über das Schicksal deines Mannes Gewißheit verschaffen will.«

»Großvater, quäle mich doch nicht so . . .« Sie warf sich an seine Brust und barg aufschluchzend ihren Kopf an seiner Schulter.

»Die verdammten Weibertränen, daß die so locker sitzen . . . Na, nun nimm dich mal zusammen, mein Kind. Ich wußte ja nicht, daß es dich so aufregt . . . Nun sei doch bloß vernünftig. Ich werde dem Assessor sagen, daß wir in den nächsten Tagen darauf zurückkommen werden.« Er führte sie zur Bank, schöpfte aus dem Eimer ein Glas Wasser und reichte es ihr. »Ich muß jetzt 'reingehen, was wird der Mann sich denken?«

»Ich bitte sehr um Entschuldigung, Herr Assessor. Aber meine Enkeltochter hat sich bei der freudigen Nachricht so aufgeregt, daß sie mir beinahe umgefallen wäre. Ich habe gar nicht geahnt, daß sie ihren Mann so lieb hat . . . Sie läßt Ihnen vielmals danken und wird in den nächsten Tagen Ihnen nähere Mitteilung machen.«

»Na, dann will ich nicht weiter stören, Herr Hegemeister.«

»Nochmals vielen Dank, Herr Assessor . . . Wovon die Weiber bloß die Nerven kriegen? Ich werde daraus nicht klug« . . .

Der Assessor war, als er seinem Feenpalast zuging, in der Stimmung, mit Gott und aller Welt zu hadern. Er hatte so viele kluge und schöne Frauen in seinem Leben kennengelernt und nie Feuer gefangen. Manchmal hatte es in seinem Herzen ein kleines Strohfeuer gegeben, das nach kurzer Zeit verflackerte . . . Nun mußte ihn ausgerechnet in der litauischen Heide ein junges Weib aus dem Gleichgewicht bringen. Er befahl das Auto, aß schnell und ohne Appetit Abendbrot und fuhr nach Wartenburg. Dort würde er sicherlich ein paar Sumpfhühner finden, mit denen er sich bis zur Bewußtlosigkeit betrinken konnte . . .