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Der Wagehals

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19. Kapitel

Täglich hatte Krummhaar seine Enkelin gedrängt, ihm alles von ihrem Manne zu erzählen oder wenigstens Namen und Datum seiner Verhaftung aufzuschreiben. Damals vor zweieinhalb Jahren, als Wera bleich, verhärmt und verstört mit dem kleinen Jungen aus Rußland zu ihm gekommen war, hatte er sich mit der nackten Tatsache begnügt, daß ihr Mann bei dem Aufstand in LivIand von einer Bande Aufrührer ermordet worden sei. Ganz kurz hatte sie ihm nur mitgeteilt, wie und wo sie ihn kennengelernt habe. Sie behauptete auch, es seinerzeit ihm geschrieben zu haben. Der Brief mochte wohl verlorengegangen sein.

Um sie nicht zu quälen, hatte er sie mit Fragen verschont. Dann war das stille Werben Mooslehners immer deutlicher geworden. Und eines Tages hatte Wera ihren Großvater durch die Mitteilung überrascht, daß sie nicht Witwe sei, sondern daß ihr Mann in einem russischen Gefängnis stecke. Sie hatte hinzugefügt, er könne es Mooslehner mitteilen, damit er sich nicht weiter bemühe.

Jedenfalls wurde der alte Hegemeister aus seiner Enkelin nicht klug . . . Weshalb ergriff sie nicht mit Freuden die Gelegenheit, wenigstens Nachricht über den Aufenthalt und das Befinden ihres Mannes zu bekommen? War er ihr gleichgültig geworden, oder fürchtete sie sich vor der Gewißheit? Das war ihm ein Rätsel. Brummend ging er umher. Es sei doch zum mindesten unhöflich gegen den Mann, der sich ihretwegen bemühen wolle. Er wollte einen Druck auf sie ausüben und brachte deshalb die Sache mittags in Mooslehners Gegenwart zur Sprache. Da stand Wera mit Tränen in den Augen auf und ging hinaus.

»Verstehen Sie das? Ich nicht.«

»O ja, Herr Hegemeister, das verstehe ich. Sie fürchtet sich vor der Entscheidung ihres Schicksals, die ihrem Leben eine ganz andere Wendung geben könnte. Sie müssen ihr langsam Mut einsprechen.«

Krummhaar zuckte mit einer komischen Grimasse die Achseln: »Was soll denn daraus werden? Wollen Sie in ewiger Unruhe hinter ihr herlaufen? Das wäre nicht nach meinem Geschmack.«

Schweigend reichte Mooslehner dem alten Herrn die Hand. Erst später kam ihm zum Bewußtsein, daß der alte Herr mit seiner Aufforderung seine Werbung um Wera nicht nur gebilligt, sondern ermuntert hatte.

Der Assessor erschien nach einigen Tagen auch wieder. Er wehrte die Entschuldigung des Hegemeisters, daß seine Enkelin noch nicht Zeit gefunden habe, sich mit seinem Vorschlag zu beschäftigen, höflich ab. Er wäre jederzeit bereit, seinen Vorschlag auszuführen. Er wolle sich aber nicht aufdrängen . . .

Tage und Wochen vergingen, bis die Angelegenheit eingeschlafen war. Eines Tages kam Erna in die Försterei. »Onkel Adam, ich komme, dich etwas zu bitten. Die Erdbeeren fangen an zu reifen. Auf der neuen Schonung vom vorigen Jahr ist alles dick voll. Aber wir bekommen nichts davon. Vom ersten Sonnenstrahl an ist die ganze Schonung voll von Weibern und Kindern, und alles wird nach der Stadt geschleppt. Man bekommt nicht mal welche zu kaufen.«

»Ja, mein Kind, da mußt du dich an den Forstmeister wenden, der gibt die Beerenzettel aus.«

»Ach, Onkel Adam, du weißt ja, wie der Onkel Ottomar ist. Dem können die Weiber auf der Nase 'rumtanzen, dann sagt er noch nichts. Ich habe schon mit der Abromeitene gesprochen, die ist auch ganz verzweifelt . . . Auf dem Tisch soll es sein, aber getan wird dafür nichts.« Sie schmiegte sich an ihn und streichelte ihm die Backen. »Bitte, bitte, Onkel Adam, du bist der einzige, der noch Rat schaffen kann. Wenn du die Bande aufschreibst und anzeigst?«

»Ich habe ja auch sonst nichts zu tun, als mich als Vogelscheuche auf die Schonung zu stellen. Und das würde auch nicht viel helfen. Na, wart' mal, mir wird vielleicht was einfallen . . . Wie geht es deinem Schatz?«

Erna sah ihn mit leuchtenden Augen an. »Liest du denn gar nicht die Zeitung, Onkel Adam? Da steht doch fast jeden Tag etwas von ihm drin. Er ist doch jeden Tag in der Luft und hat bis jetzt sechs neue Rekorde aufgestellt.«

»Na, puppert dir nicht manchmal das Herzchen, wenn du daran denkst?«

Sie nickte eifrig. »O ja, Onkel, das puppert manchmal wie ein Pferdefuß in der Westentasche. Aber man gewöhnt sich daran . . . Ach, und wie stolz ich auf meinen Walter bin, das kann ich dir gar nicht sagen. Weißt du, Onkel, man muß sich bloß durchsetzen . . . Du solltest mal hören, wie meine Mutter jetzt von dem zukünftigen Schwiegersohn spricht. Sie bläst sich ordentlich auf, wenn jemand nach ihm fragt . . . Und erst die Tante Tinchen.«

»Wie geht es denn der Liesbeth, weshalb läßt die sich gar nicht sehen?«

Erna bog sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Die kämpft mit ihrem Herzen.«

»Ach nee, weshalb denn?«

»Ich will es dir verraten, aber du darfst es nicht weitererzählen.«

»Ich weitererzählen? Ein Karpfen ist ein altes Waschweib gegen mich.«

»Na, dann hör' zu. Sie war doch, als Walter bei uns war, so sehr gegen das Fliegen. Jetzt schwärmt sie davon. Weißt du, weshalb? Weil der Reichenbach auch fliegt. Er ist doch Walters ständiger Begleiter. Und nun liebt sie unglücklich. Sie hat dem Reichenbach mal gesagt, zum Fliegen wären Schlosserjungen gut genug, und jetzt schickt er ihr fast täglich eine Ansichtskarte mit der Unterschrift ›Der Schlosserjunge v. R.‹ Sie ärgert sich angeblich über jede solche Postkarte, aber wenn sie mal ausbleibt, dann kommt sie sofort zu mir gelaufen, ob ich nicht von Walter Nachricht habe. Sie schlägt auf den Sack und meint den Esel.«

»Der Vergleich ist zwar nicht schön, aber die Tatsache ist sehr interessant. Und was sagen die Alten dazu?«

»Das kannst du dir doch denken! Den Onkel in Starrischken läßt der Neid auf den Dietrichswalder Schwiegersohn nicht schlafen. Aber ich bin nicht so abgünstig wie Liesbeth. Walter wird nächstens auf ein paar Tage zu Besuch kommen, und ich habe ihm geschrieben, er soll Reichenbach mitbringen, hier müßte ein zerbrochenes Herz wieder geleimt werden.«

»Du kleiner Racker, du . . . Dafür kannst du sofort einen schönen Kuß haben.«

Gegen Abend kam der Hegemeister von einem Gang durch den Wald nach Hause zurück. Das Abendbrot wartete schon auf ihn. Mooslehner erschien still und zurückhaltend . . . Wera ebenfalls mit Duldermiene. Bloß der kleine Bube und Krummhaar waren in fröhlicher Stimmung.

»Wera, sind die Leute beim Abendbrot? Na, dann geh' mal nach der Küche und laß beim Zurückkommen die Tür halboffen. Und verderbt mir nicht das Konzept, wenn ich nachher etwas erzählen werde.«

»Ja, Kinder,« begann er nach einer Weile mit aufgeregter Stimme, »denkt euch mal, was mir passiert ist. Ihr erinnert euch doch an das alte Bettelweib, das im vergangenen Winter im Wald erfroren gefunden wurde?«

»Ja, Großvater . . .«

»Nun, ich sag' euch, die Alte spukt . . . Ihr braucht mich gar nicht so verwundert anzusehen, ich weiß schon, was ich sage. Sie findet keine Ruhe im Grabe, weil sie nicht ordnungsmäßig beerdigt ist. Ich habe sie schon einmal in der Dämmerung von weitem gesehen.«

»Das wird eine Beerenleserin gewesen sein.«

»Das habe ich mir zuerst auch gesagt. Aber nein, heute habe ich sie ganz dicht und ganz genau gesehen. Ich bin doch nicht im geringsten abergläubisch, und ich habe mich noch immer auf meine Augen verlassen können . . . Auf zwanzig Schritt ist sie an mir vorbeigegangen.«

»Woran hast du sie denn erkannt?«

»Na, wenn ein altes Weib seinen Kopf nicht auf den Schultern, sondern in den Händen trägt, dann wird man doch wissen, was es ist? Ganz langsam ging sie über die neue Schonung nach Jagen vierzehn auf den Kirchhof zu. Mit einemmal war sie in die Erde gesunken. Mich kriegen keine zehn Pferde mehr in die Gegend dorthin.«

Das Geklapper der Löffel in der Küche hatte aufgehört . . . Als Wera eine Viertelstunde später das Dienstmädchen rief, damit sie den Tisch abräumte, war es weg . . . ins Dorf, die große Neuigkeit zu verkünden. Am nächsten Tage waren noch ein paar Weiber aus Starrischken und Weschkallen, zu denen die Spukgeschichte noch nicht gedrungen war, auf der Schonung. Am dritten Tage ließen sich keine mehr blicken. Die schönsten Erdbeeren reiften in Massen auf der Schonung, und Onkel Adam bekam von Erna den angelobten Kuß.

Der Forstmeister lachte herzlich, als ihm Nante erzählte, wodurch der Hegemeister die Weiber von der Schonung vertrieben hatte. Aber Abromeitene war nicht zu bewegen, auf die Schonung zu gehen. Sie glaubte steif und fest an das spukende Weib, denn es wurde nun täglich von irgendeinem Menschen gesehen. Da war ihre Nichte Katinka doch schon aufgeklärter . . . Zur Vorsicht bat sie aber doch Herrn Forstaufseher Schnabel um seine Begleitung.

Nante hatte sich noch nicht in der Försterei blicken lassen, und er schien sich auch bereits getröstet zu haben. Seine Zuneigung zu dem weiblichen Geschlecht wurde augenscheinlich weniger durch das Herz als durch den Magen beeinflußt, denn Katinta futterte ihn mit Liebe und Sorgfalt – sie hatte für ihn zwei neue Mahlzeiten eingeführt. Nach dem großen Frühstück erhielt er noch ein kleines Mittag, und nach dem Abendbrot fand er auf seinem Zimmer einen gehäuften Teller belegter Brote. Mit Schrecken dachte er daran, daß dieses gute Leben unter dem neuen Regiment aufhören könnte. Er wußte nicht, daß der Forstmeister in seiner Herzensgüte auch dafür schon gesorgt hatte.

Der alte Herr hatte sich in der kurzen Brautzeit noch verjüngt. Er studierte jetzt eifrig Landkarten und Reisehandbücher, denn seine zweite Ehe sollte ihm auch den großen Wunsch seines Lebens, eine Reise nach Italien und weiter mit einem Vergnügungsdampfer durch das Mittelländische Meer, erfüllen. Den Abschied von seinem Witwerstand wollte er noch durch ein großes Fest auf dem Scheibenstand feiern.

Der Assessor führte in dieser Zeit ein sehr lockeres Leben. Entweder fuhr er gegen Abend nach Wartenburg, oder das Auto brachte seine Gäste zu ihm, und auch Herr von Zaleski war häufig sein Gast. Ja, der Assessor war schon mehrere Male bei ihm in Serbenten gewesen und hatte sich großartig amüsiert. Die Cousine Fedora war eine vorzügliche Gesellschafterin. Sie spielte vorzüglich Klavier, sie sang zur Laute schwermütige Polenlieder, deren Text der Assessor glücklicherweise nicht verstand, und sie hielt auch am Spieltisch tapfer mit . . .

 

Da es nur ein Herrenfest sein sollte, erschienen die Grünröcke ohne ihre besseren Hälften. Auch Herr von Zaleski war mit Zustimmung des Forstmeisters durch den Assessor eingeladen worden. Für die Forstbeamten hatte der Forstmeister eine Anzahl wertvoller Preise gestiftet, die anderen Teilnehmer mußten sich mit einem kleineren oder größeren Eichenkranz begnügen.

Bald nach Mittag begann es auf allen Ständen zu knallen. Der Forstmeister immer mitten zwischen seinen Grünröcken, seelenvergnügt . . . und er war noch immer der beste Schütze von allen. Nur Krummhaar und Mooslehner hielten ihm Widerpart.

Der Baron hatte eine gute Mauserbüchse und eine sehr kostbare englische Doppelflinte mitgebracht. Er schoß mit beiden gleichgut . . . Das offizielle Preisschießen war um die Vesperzeit beendet. Die Beamten taten sich nun auf zwei Ständen zusammen und schossen um den Einsatz von fünfzig Pfennigen, aus dem drei Geldpreise gemacht wurden.

Der Forstmeister, der Assessor, die beiden Gutsbesitzer und Herr von Zaleski schossen nach dem Waldhasen, der auf ihren Wunsch ein ganz höllisches Tempo einschlagen mußte. Die größte Schwierigkeit lag jedoch darin, daß man nach dem ersten Auftauchen nie wußte, ob er rechts oder links vom Schützen wieder auftauchen würde. Und da auch noch die Schneisen durch einige Büsche künstlich verengert worden waren, hatte man meist nur den Bruchteil einer Sekunde, um den Schuß hinzuwerfen.

Auch Mooslehner schoß hier mit . . . Den Einsatz hatte der Assessor geleistet . . . Beim ersten Rennen schieden die beiden Gutsbesitzer aus. Jetzt begann ein hartnäckiges Ringen. Jeder hatte drei Treffer mit drei Schuß.

»Ich schlage vor, den Einsatz auf hundert Mark zu erhöhen«, rief der Baron.

Der Assessor stimmte sofort zu, so daß sich der Forstmeister nicht ausschließen konnte. Wieder blieb der Kampf unentschieden. Der Baron legte mit gleichgültiger Miene wieder einen blauen Lappen auf den Tisch. Der Assessor auch.

Lachend gestand der Forstmeister, daß er kein Geld mehr bei sich habe. Die beiden Gutsbesitzer halfen ihm sofort aus. Diesmal fiel Mooslehner ab. Es wurde nochmals zugesetzt und noch zweimal . . .

Der Forstmeister ärgerte sich. Es war ihm nicht recht, daß aus dem harmlosen Wettkampf ein scharfes Spiel mit so hohem Einsatze gemacht worden war, nicht etwa wegen des Geldes, sondern wegen des schlechten Beispiels.

Der Baron legte vor, nachdem er sich völlige Ruhe ausgebeten hatte. Sein seines Ohr unterschied an dem leisen Klirren des Drahtes, wo der Hase auftauchen könnte. Vier Treffer hatte er schon zu verzeichnen, beim fünften Schuß wurde er nicht fertig, er hatte den Hasen auf der anderen Seite erwartet.

Schrader hatte seine Ruhe wiedergefunden. Mit unerschütterlicher Sicherheit warf er Schuß um Schuß hin . . .

»Nehmen Sie das Geld an sich, Mooslehner, wir schicken es morgen an den Verein Waldheil für die Waisenkinder der Forstbeamten.«

»Halt,« rief Herr von Zaleski dazwischen, »ich bitte um Revanche, ich halte die ganze Summe.«

Dem Forstmeister stieg das Blut zu Kopf . . . aber er verneigte sich.

»Aber Stechen ohne Zusatz.«

Auf den anderen Ständen war es still geworden. Im Kreise standen die Grünröcke um die beiden Kämpfer. Diesmal verpaßte der Baron bereits den zweiten Hasen . . . den vierten auch . . . Ohne eine Miene zu verziehen, zahlte er den Einsatz auf den Tisch, während der alte Herr alle fünf Hasen zur Strecke brachte. Wie aus einem Munde, ohne jede Verabredung, riefen die Grünröcke: »Unser lieber Herr Forstmeister . . . Hurra, Hurra, Hurra!«

Und dann kam Krummhaar und hängte seinem alten Freunde den größten Eichenkranz um . . .

20. Kapitel

Weschkalene und Frau Madeline waren gegen Abend in die Oberförsterei gekommen, um bei der Zurüstung des Festmahles zu helfen. Es dämmerte bereits, als die Gesellschaft vom Scheibenstand kam. Vorn in der Mitte der Forstmeister und dicht um ihn seine Grünröcke, wie seine Brüder und Söhne. Da war nicht einer, dessen Herz nicht vor Stolz über den »Alten« geschwellt war, der die Ehre der grünen Farbe so glanzvoll gegen den Fremdling verteidigt hatte. Herr von Zaleski hatte es mit richtigem Takt vorgezogen, nach Hause zu fahren . . .

Auf der Veranda stand Frau Madeline. Vor Stolz und Liebe erglühend, breitete sie die Arme aus und warf sich ihrem Verlobten an die Brust. Die Grünrocke legten salutierend die Hand an den Hut und standen unbeweglich, bis der etwas sehr längliche Kuß sein Ende erreicht hatte. Da kam von weit her aus dem Park glockenrein auf Jägerhorn geblasen das Signal »Halali!« Schnabel war es, der sich diese Überraschung ausgedacht hatte . . . Gedämpft kam vom nahen Waldrand das Echo zurück und dann von fernher noch einmal.

Nach einer kurzen Pause setzte das Horn wieder ein:

»Der Mond ist aufgegangen, Die goldnen Sternlein prangen Am Himmel still und klar. Der Wald steht schwarz und schweiget, Und aus den Wiesen steiget Der weiße Nebel wunderbar.«

Die Grünröcke hatten ihre Hüte abgenommen. Über dem Waldrand stieg als riesengroße kupferrote Scheibe der Mond empor. Von der Wiese her ertönte das unermüdliche Schnarren des Wachtelkönigs. Aus dem nahen Getreide kam der silbern klingende Lockruf der Wachtel: »Pick wer wick . . . pick wer wick . . .«

»Der Gottesdienst der Grünröcke«, flüsterte der Forstmeister seiner Braut ins Ohr. Unbemerkt hob sie seine Hand, um sie zu küssen.

Es war ein wirklich frohes Festmahl und Madeline die Königin des Festes. Um sie herum schwirrten die lauten Reden, und das dritte Wort war immer »der Alte«. Sie lachte still in sich hinein. »Der Alte« hatte sie doch alle ausgehauen! »Weißt du, beim vorletzten Gang, da hatte ich einmal Angst für den Alten. Er hatte den Hasen von rechts erwartet. Aber wie er so im letzten Augenblick 'rumfuhr und den Schuß nach links hinschmiß.«

»Und die Seelenruhe«, erwiderte der andere.

»Das war nur äußerlich . . . Ich sah, wie er ein paarmal die Daumen einkniff.«

»Ja, das ist sein altes Mittel. Sowie er einmal im Ärger Donnerwetter gesagt hat, kneift er gleich die Daumen ein, und dann ist er in der nächsten Minute wie umgewandelt.«

Nante bekam heute keinen Reisbrei. Er konnte in allen Gerichten nach Herzenslust schwelgen. Als die Tafel aufgehoben wurde, zogen die beiden Damen sich zurück und fuhren bald darauf ab. Die Grünröcke scharten sich enger um den Tisch. Die Jagdgeschichten begannen . . .

»Wissen Sie auch, daß Schnabel durch sein schönes Blasen einmal beinahe den Forstversorgungsschein verloren hat?« fragte der Forstmeister.

»Erzählen . . . erzählen . . .« rief's von allen Seiten.

Nante kratzte sich verlegen hinter dem Ohr. »Na ja . . . das kam so. Ich mußte immer mit dem Kallweit, dem jüngsten Bruder unseres Kollegen hier, beim Bataillon Patrouille gehen. Beim letzten Manöver, das wir mitmachten, heißt es auf einmal: der Kaiser wird kommen.«

»Nun ging alles wie auf Drähten. Am letzten Tage machte die rote Armee gegen uns einen weiten Umgehungsmarsch. Natürlich mußten wir Jäger an die Tete . . . und wir beide im Trab über die Spitze hinaus ins Vorgelände. ›Weißt was,‹ sagt der Kallweit zu mir, ›was sollen wir wie die Hunde laufen. Dort auf dem Berg steht 'ne Windmühle, da können wir 'rauf, stecken den Kopf aus der Luke und besehen uns die ganze Gegend.‹«

»Wie wir an die Mühle kommen, springt der Müller uns entgegen. ›Nein, Kinder,‹ sagt er, ›ist das eine Freude, wieder einmal einen grünen Rock zu sehen, ich habe ja auch bei dem Bataillon gestanden. Nun kommt 'rein zu mir‹ . . . Geht nicht, sag' ich, wir sind im Dienst. ›Ach, sei doch kein Frosch. Mein Gesell wird schon aufpassen‹ . . . Na, wir gehen denn auch zu ihm 'rein, er fährt auf, was er im Hause hat . . . wir essen und trinken, daß es bloß so kracht.«

»Kann ich mir lebhaft denken,« rief Kallweit, »mein Bruder schlägt auch 'ne gute Klinge.«

Ohne ihn zu beachten fuhr Schnabel fort: »Mit einemmal kriegt der Müller mein Horn am Hirschfänger zu sehen. ›Was,‹ schreit er, ›ihr müßt jetzt auch blasen?‹ Selbstverständlich, sage ich . . . alle Signale, wie der gelernte Hornist. ›Na, denn mal los‹, sagt er. Ich muß wohl schon einen ordentlichen Zacken weg gehabt haben, denn ich stelle mich ans Fenster, damit es in der Stube nicht so dröhnen soll und blas, was mir gleich in den Sinn kam: ›das Ganze halt!‹«

»Mit einemmal wird draußen das Signal wiederholt von der Avantgarde der roten Armee, die uns schon beinahe umzingelt hatte . . . Das Signal geht weiter . . . Ich werde mit einem Male nüchtern. Mensch, Kallweit, sag' ich, nun aber marsch zurück. Der Müller sagt, ›Kinder, ich verlaß euch nicht‹ . . . Wie wir zum Bataillon kommen, ist schon der Kommandierende da mit einem hochroten, dicken Kopf, denn wer sollte außer ihm ›das Ganze halt‹ blasen lassen? Das konnte doch nur der Kaiser gewesen sein.«

»›Wer hat hier ›Halt‹ geblasen?‹ schreit er uns an. Ich trete vor, der Kallweit auch. Da springt auch der Müller vor und ruft: ›Nein, Herr Exzellenz, ich habe geblasen, ich bin ein alter Jäger, ich habe bloß mal das Horn probieren wollen‹ . . . Der Baubau dreht sich um zu unserem Major: ›Lassen Sie die Kerle abführen, das weitere wird sich finden.‹ Es fand sich auch. Vierzehn Tage streng und ade Forstversorgungsschein.«

»Ich war schon halb verhungert, als der Major eines Tages in meine Zelle tritt. ›Schnabel,‹ sagt er, ›danken Sie Ihrem Schöpfer, daß der Inspekteur der Jäger und Schützen von der Geschichte gehört und sehr darüber gelacht hat. Sie behalten den Forstversorgungsschein.‹ Ein Kommißbrot wäre mir jetzt lieber, platzte ich 'raus . . . ›Das sollen Sie auch haben,‹ lachte der Major, ›ich habe vergessen, an Ihr Eßbedürfnis zu denken.‹ Aber die vierzehn Tage mußten wir abreißen.«

+++

Weschkalene hatte es sich nicht nehmen lassen, eine echt litauische Bauernhochzeit mit vollem Glanz auszurüsten. Schon am Tage des Polterabends erschienen von nah und fern die eingeladenen Familien mit Kind und Kegel . . . Am Hochzeitstage noch viel mehr . . . Der Polterabend wurde nach alter Weise mit Aufführungen aller Art gefeiert. Erna erschien als Flugzeug mit zwei mächtigen Flügeln an den Armen und bot sich dem Brautpaar als neumodische Hochzeitskutsche an, auf der man direkt in den Himmel fliegen kann.

Ein Dutzend Paare in litauischer Tracht führte einen Reigen auf. Kleine Mädchen und Knaben sagten Gedichte auf. Währenddessen donnerte es unaufhörlich gegen die Haustür. Weiß Gott, wo all die alten Töpfe und Schüsseln herkamen, die bei dieser Gelegenheit ihr Ende fanden . . . Im Garten war ein Tanzplatz gedielt und überdacht. Da drehte sich das junge Volk im Kreise.

Am anderen Vormittag fuhr das Brautpaar nach Starrischken, um sich von dem stellvertretenden Standesbeamten trauen zu lassen. Die Kirchentrauung fand erst am Nachmittag in Lasdehnen statt. Auf dem Hofe ordnete sich der Zug. An der Spitze dreißig berittene junge Burschen auf Pferden, deren Mähnen und Schweife mit grün-weiß-roten Bändern durchflochten waren. Auch die Reiter trugen Schärpen in denselben Farben und Sträuße am Hut. Sie schossen unaufhörlich aus Pistolen und Gewehren . . . Dahinter in geschlossener Glaskutsche, sechs stolze Trakehner davor, das Brautpaar.

Von weit und breit war alles zur Kirche nach Lasdehnen gekommen. Ein so schönes Brautpaar hatte man lange nicht gesehen, das war die allgemeine Meinung. Der Forstmeister in seinem dunkelgrünen, goldgestickten Waffenrock, den altertümlichen Hut mit Waldhorn und Gamsbart auf dem Kopf, die Braut in schwerseidenem Kleid, dessen Schleppe von sechs weißgekleideten Mädchen getragen wurde. Sie trug nach litauischer Sitte den Rautenkranz über dem Schleier . . .

Gleich nach dem Hochzeitsmahl fuhr das junge Paar zur Bahn . . . Jetzt begann erst das Fest, das sieben Tage und Nachte ohne Unterbrechung dauerte. Wer das Bedürfnis nach Ruhe verspürte, verkrümelte sich für ein paar Stunden, um neu gestärkt wiederzukehren. Aber bei der großen Zahl der Gäste war es nicht zu merken, daß ein Teil fehlte . . . Für die jungen Männer war in Starrischken der Saal mit Streu und Decken belegt. Für die jungen Mädchen war die gleiche Unterkunft in Dietrichswalde hergerichtet. Die älteren verheirateten Frauen fanden ein Bett. Die gebrauchten Bezüge wurden sofort durch neue ersetzt.

Weschkalene hatte sich die größte Musikkapelle, die es in der Provinz gab, aus Goldap kommen lassen. Aber obwohl von den zweiundvierzig Mann nur immer sechs gleichzeitig spielten, waren sie am Schluß des Festes am Rande ihrer Kräfte.

 

In einer Gartenlaube hatten sich am Hochzeitstage nachmittags vier Mann zum Boston niedergelassen. Und die Partie erlosch nicht bis zum Schluß . . . Für jeden, der zu ruhen wünschte, fand sich ein Ersatzmann.

Am letzten Tage wurde Madelines Brautschatz in feierlichem Zuge nach ihrem neuen Heim gebracht. Ein hochgetürmter Leiterwagen . . . Hoch oben darauf eine kunstvolle und reichgeschnitzte Wiege . . . ein uraltes Erbstück, in dem schon Georginnes Großmutter ihre ersten Lebenstage verbracht hatte.

Der Assessor schwamm die ganzen Tage vergnügt wie ein Hecht in dem Strom mit. Er hatte auf Ernas Veranlassung Adusche Steputat als Brautjungfer und Tischdame erhalten und widmete sich ihr mit verdächtigem Eifer. Am zweiten Tage kamen Walter Daumlehner und Guido von Reichenbach an. Sie wurden mit in den Trubel gerissen. Und sie ließen sich gern mitreißen, denn die beiden Mädel, Erna und Liesbeth, sahen in der litauischen Tracht, die sie auf Georginnes Wunsch angelegt hatten, zum Anbeißen aus. Walter versicherte seiner Braut einmal über das andere, daß er sich jetzt zum zweiten Male in sie verliebt hätte, und jetzt noch viel heftiger als beim ersten Male.

Und etwas Ähnliches mochte wohl Reichenbach empfinden, der nicht von Liesbeths Seite wich. Ihre stolze, stattliche Figur kam in dem Kostüm zur vollen Geltung. Ihr schwarzes, reiches Haar trug sie entweder in Zöpfen geflochten, die ihr wie ein Diadem auf dem Kopf lagen, oder sie ließ die Zöpfe frei hängen.

Und am dritten Tage trat das von den Bekannten längst erwartete Ereignis ein. Liesbeth von Grumkow und Guido von Reichenbach tauchten Arm in Arm aus dem abgelegenen Teil des Gartens auf und stellten sich als Verlobte vor . . . Da Liesbeths Eltern sich gerade in einer Schlafpause zu Hause befanden, konnte Georginne nichts weiter tun, als die Tatsache der Verlobung nach einem Tusch der Musik bekanntzugeben. Sie wurde übrigens einige Stunden später von Liesbeths Eltern rückhaltlos anerkannt.

Von dem jungen Ehepaar liefen täglich eine Depesche und ein paar Postkarten ein. Dann bliesen die Musikanten einen Tusch und Georginne gab den Inhalt der Gesellschaft bekannt. Gleichzeitig wurde damit die Ankündigung verbunden, daß ein frischer Braten . . . natürlich stets in sechsfacher Auflage . . . und heiße Kartoffeln aufgetragen seien. Wer Hunger hatte, stand auf und ging zu dem Trampeltisch . . . Nur zwei Briefe behielt sie für sich, zwei lange Briefe »von ihren Kindern«.

Wie eine Königin ging Weschkalene umher. Sie war überall und nirgends. Sie sorgte dafür, daß die dreißig fremden Kutscher und die fünfzig Dienstmädchen nicht nur ihr Essen bekamen, sondern sich auch betätigten. Sechs, sieben Fuhrwerke standen immer angespannt vor der Rampe, um die müden Gäste zu ihren Schlafstellen zu befördern . . . In die Hunderte ging die Zahl der zwei- und vierbeinigen Kreaturen, die dieser Hochzeit zum Opfer fielen. Täglich kam eine Sendung frischer Fische aus Königsberg als Eilgut an, täglich wurden Berge von Kuchen gebacken. Nie fehlte auch nur das Geringste. Im Gegenteil, es war alles im Überfluß vorhanden.

Mit wunden Lippen und schmerzenden Fingerspitzen fuhren die Musikanten am letzten Tage heim. Ihr Meister war noch von der Soldatenhochzeit her ein intimer Freund des Hegemeisters . . . »Wißt ihr was, Kinder, wir wollen noch meinem alten Adam ein Ständchen bringen.« Er suchte sich sechs Mann aus. Der Wagen hielt vor dem Hoftor. Leise schlichen sie sich in den dämmrigen Flur und legten los . . . Schon nach den ersten Takten wurde die Tür aufgerissen. »Ihr verdammten Blechpuster, werdet ihr wohl aufhören! Das ist ja nicht zum Aushalten! Hier habt ihr einen Achtehalber, kauft euch einen Schnaps dafür und schmiert eure Gurgeln ein.«

»Ja, Adam, jeder gibt, so gut er kann«, rief der Kapellmeister.

»Ach, du bist's, Dicker . . . Na, dann kommt 'rein, Kinder, ich nehme es für genossen an. Wollt ihr was trinken? Nein . . . na, ich nehme es euch nicht übel. Ich kann auch bloß kaum noch jappen. Herrschaften, das war doch mal 'ne Hochzeit nach dem alten Stil.«

Er nahm seinen alten Freund beiseite . . . »Sag' mal, Dicker, hast du nicht etwas gehört? Ich habe eine unklare Erinnerung, als wenn ich gestern etwas angestellt hätte.«

»Nein, ich habe nichts gehört . . . Was sollte es denn sein?«

Der Hegemeister strich sich mit der Hand sanft über den schmerzenden Schädel.

»Mir ist so, als wenn ich gestern nacht ein weibliches Wesen im Arm gehabt und gehörig abgeknutscht hätte.«

»Alle Achtung, Adam . . . bei deinen siebzig Jahren. Hat sie denn den Notruf erhoben?«

»Ach, wo denkst du hin? Ich habe so eine unbestimmte Ahnung, als wenn das die Georginne gewesen wäre . . . Es ist nicht unmöglich, daß ich ihr einen Heiratsantrag gemacht habe. Aber Genaues weiß ich nicht.«

»Na, dann wart' mal ruhig ab. Wenn sie die Sache ernsthaft nimmt, wird sie sich schon melden.«