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Der Mann von Eisen

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17. Kapitel

Nach der Schlappe, die sie bei Bialla erlitten hatten, waren die Russen aus dieser Gegend verschwunden. Aber durch die Erkundungsflüge unserer kühnen Flieger wusste man auf deutscher Seite, dass sie große Truppenmassen bei Suwalki sammelten. Jedenfalls, um einen Vorstoß gegen Lötzen zu machen, d. h. gegen den Engpass, der durch die masurischen Seen hindurchführt und durch die Festung Boyen gesperrt wird.

Der zweite Engpass, der sich bei Rudzanny unweit des Städtchens Johannisburg befindet, wurde auch bereits durch russische Truppenmassen bedroht, die sich unter dem Schutz der Festung Lonza am Ufer des Narev sammelten.

Die Offiziere der deutschen Regimenter, die in den beiden Gutshöfen lagen, waren sich nicht im Zweifel darüber, dass dieser Engpass, an dessen Befestigung mit fieberhafter Anstrengung gearbeitet wurde, unter allen Umständen und selbst mit den größten Opfern gehalten werden müsse … Schon in allernächster Zeit konnten sie erwarten, ebenfalls dorthin beordert zu werden.

Dann musste der ganze Landstrich von der Grenze bis zur Seenkette schutzlos den Russen preisgegeben werden.

Am Abend des 18. August kam der erwartete Befehl, der die Truppen schon vorbereitet fand. Zuerst brachen die Dragoner aus Dalkowen auf, die sich beim Abschied in rührender Weise für die gute Aufnahme bedankten, die sie alle in dem gastfreien Hause gefunden hatten … Dann marschierte die Infanterie ab, und hinterdrein folgte die Artillerie.

In Andreaswalde war alles zur sofortigen Abreise vorbereitet. Das größere Gepäck war schon einige Tage vorher in einem zweispännigen Wagen, der über Arys nach Styrlack fahren und dort die Gutsherrschaft erwarten sollte, fortgeschickt worden … Nur die nötigsten Sachen waren in dem Auto untergebracht, das schon wartend vor der Tür stand, als die Artillerie auf der Chaussee vorbeirasselte. In der Aufregung hatte man sich nicht um den Gutsherrn gekümmert … Als seine Gattin bei ihm eintrat, saß er im Schlafrock und Pantoffeln wie immer vor seinem Schreibtisch. Die Aufforderung, sich schnell Rock und Stiefel anzuziehen, ließ er unbeachtet. Da stürmte Grete mit den Sachen zu ihm herein. Schweigend ließ er sich von ihr ankleiden. Aber als sie ihn unter den Arm fasste, um ihn aus dem Zimmer zu führen, sträubte er sich und stieß ihre Hand zurück…

Vergebens bestürmte ihn sein Liebling. Er schüttelte nur den Kopf.

»Ich bleibe hier«, erklärte er mit leiser, aber ruhiger Stimme.

»Das geht doch nicht«, rief Frau Brettschneider in heller Verzweiflung. »Mann, begreifst du denn nicht, dass wir dich hier nicht allein zurücklassen können?«

»Ich bleibe hier, liebe Adele.«

»Na, nun sagt bloß, Kinder, was sollen wir mit dem Vater machen?«

»Wir müssen ihn ins Auto bringen, ob er will oder nicht«, erwiderte Hanna energisch… »Vater ist entschieden krank und weiß nicht, was er tut.«

»Ja, du hast recht, mein Kind. Ich werde den Chauffeur und Brinkmann bitten, uns zu helfen.«

Nun folgte eine traurige, unangenehme Szene. Die beiden Männer scheuten sich, ihren Herrn anzufassen, und versuchten, ihn durch Zureden zum Einsteigen zu bestimmen. Erst als die Gutsherrin es ihnen mit allem Nachdruck befahl und jede Verantwortung auf sich nehmen zu wollen erklärte, griffen sie zu … Der alte Herr sträubte sich, soviel er konnte, aber als er im Auto saß, schien er sich in sein Schicksal zu ergeben.

Die Szene hatte reichlich eine halbe Stunde gedauert. Mittlerweile war es dunkel geworden … Der Chauffeur steckte die Laternen an und drehte die Zündung an … Die Leute, die sich vor dem Gutshause versammelt hatten, zogen schweigend ihr Mützen. Der Wagen setzte sich in Bewegung und fuhr langsam über den Hof. Hinter dem Hoftor schrie eine barsche Stimme:

»Stoi

Ein Signalschuss knallte in die Luft … Sofort kamen von allen Seiten Reiter angesprengt, die den Wagen umringten. Der Chauffeur hatte, von dem Schuss eingeschüchtert, den Wagen auf der Stelle angehalten. Frau Brinkmann bog sich aus dem Fenster und schrie ihn an:

»Fahren Sie doch zu!«

Im nächsten Augenblick erschien im Lichtkreis der Laternen ein Offizier zu Pferde. Es war Graf Tolpiga…

Hanna hatte, als sie ihn erkannte, schutzsuchend Hedwigs Hand gefasst. Sie zitterte an allen Gliedern.

Den meisten Mut bewies Grete.

»Ach, Herr Graf«, rief sie ganz munter, »ein Glück, dass wir Sie treffen, befehlen Sie doch den Soldaten, dass sie uns den Weg freigeben, damit wir wegfahren können … Der Vater ist so krank, und Hanna ist eben ohnmächtig geworden.«

Tolpiga war vom Pferde gestiegen und an den Schlag getreten.

»Das kann ich nicht, mein kleines Fräulein … Aber fürchten Sie nichts, meine Damen, Sie stehen unter meinem Schutz … Ich habe nicht vergessen, dass ich in Ihrem Hause gelebt und Ihre Gastfreundschaft genossen habe … Sie müssen aber zurückkehren … Chauffeur, wenden Sie und fahren Sie vors Gutshaus zurück.«

Ein russisches Kommandowort … die Dragoner gaben den Weg frei … Der Chauffeur wendete und fuhr denselben Weg zurück … Vor dem Gutshause öffnete Tolpiga selbst den Schlag … Grete streckte ihm die Hand entgegen und schüttelte sie ihm wie einem alten Freunde. Dann bot der Graf der Gutsherrin und Hedwig die Hand zum Aussteigen.

»Ach, Brinkmann«, rief die Gutsherrin dem Inspektor zu, der an der Spitze der Gutsleute angegangen kam, »möchten Sie nicht sein bisschen helfen? Hanna ist ohnmächtig geworden.«

»Nicht nötig, gnädige Frau«, erwiderte Tolpiga, »wenn Sie gestatten, werde ich das gnädige Fräulein aus dem Wagen heben.«

Er schnallte seinen Säbel ab, nahm Hanna vorsichtig auf seine Arme und trug sie ins Gartenzimmer, wo er sie auf einen Diwan sanft niederlegte.

»Fräulein Hanna sieht nicht gut aus«, sagte er in bedauerndem Tone, »ist sie krank gewesen?«

»Ja, Herr Graf«, erwiderte die Mutter schnell.

»Ach, das tut mir sehr leid. Hoffentlich ist die Ohnmacht nicht der Vorbote einer neuen Krankheit.«

»Ach wo«, fiel Grete ein, »sie ist bloß sehr nervös und hat sich furchtbar erschreckt, als der Schuss krachte … Aber nun sagen Sie mal, Herr Graf, Sie sind doch ein Freund unseres Hauses, weshalb lassen Sie uns nicht abfahren?«

»Darüber wollte ich eben mit Ihnen sprechen … Das Auto muss ich beschlagnahmen, das ist meine Pflicht, die ich nicht verletzen darf.«

»Dann lassen Sie uns doch mit dem Kutschwagen wegfahren.«

»Das könnte ich zur Not verantworten … Ich möchte jedoch dringend davon abraten. Sie kommen nicht mehr durch, meine Damen … Unsere Truppen schwärmen überall umher … Sie können angehalten und nach Russland gebracht werden. Oder man nimmt Ihnen die Pferde weg und lässt Sie auf der Straße mit dem Wagen liegen.«

»Aber wenn Sie uns einen Schutzbrief mitgeben?« meinte Grete.

Der Graf zuckte die Achseln.

»Der würde Ihnen auch nichts helfen! Sie würden hundertmal angehalten werden und meistens von Soldaten, die entweder Geschriebenes nicht lesen können oder sich nicht daran kehren … Nein, meine Damen, glauben Sie mir, es ist das Beste, wenn Sie hierbleiben, wo Sie unter meinem Schutz stehen.«

Lächelnd fügte er hinzu:

»Es ist ja auch nicht ausgeschlossen, dass wir vor Ihren Truppen zurückgehen müssen und Sie von unserer Anwesenheit befreit werden.«

Frau Brettschneider, die sich mit Hedwig um Hanna bemüht hatte, trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand.

»Wir vertrauen uns Ihrem Schutz an, Herr Graf … Wenn unsere Länder auch miteinander im Krieg stehen…«

»Jawohl, gnädige Frau«, fiel Tolpiga ein, »unsere persönlichen Beziehungen brauchen darunter nicht zu leiden … Jetzt müssen mich die Damen für eine Stunde entschuldigen Wo finde ich Herrn Brettschneider?«

»Vater sitzt schon wieder ins seinem Zimmer am Schreibtisch«, erwiderte Grete, »aber er ist krank. Es ist besser, wenn Sie sich an Brinkmann wenden.«

Hanna lag mit geschlossenen Augen wach … Ihre Backen brannten wie Feuer. Als Tolpiga das Zimmer verlassen hatte, erhob sie sich und verlangte, zu Bett gebracht zu werden … Nur mit Mühe hielt sie sich aufrecht … Ihre Hände waren eiskalt und feucht.

Auf dem Hof herrschte heftiges Getümmel…

Ein Schwarm Kosaken kam angesprengt Ihr Führer wollte sich mit seinen Leuten in Andreaswalde einquartieren … Es gab einen lauten Wortwechsel, bei dem man Tolpigas Stimme deutlich heraushörte…

Endlich zogen die Kosaken ab … Dann wurde es stiller … Die russischen Dragoner hatten ihre Pferde getränkt und gefüttert. Ein Teil blieb in Alarmbereitschaft auf dem Hofe bei den Pferden, die anderen bezogen das Schnitterhaus, wo sie ein fettes Schwein und einen jungen Ochsen schlachteten und bis in die Nacht hinein schmorten und brieten.

Der Graf hatte auf eine Anfrage, ob er für sich und seine Offiziere noch etwas zu essen haben wollte, gedankt und sich nur einige Flaschen Wein ausgebeten.

Für die Sicherheit der Gutsinsassen hatte er in ausgiebiger Weise gesorgt … Vor jedem Eingang des Gutshauses stand ein Posten … Im Arbeitszimmer des Gutsherrn saß ein deutschsprechender Unteroffizier am Telefon … Die Offiziere hatten die Gesellschaftszimmer mit Beschlag belegt, die einen sehr unwohnlichen Eindruck machten, denn die Bilder waren von den Wänden genommen und fortgeschafft … Die kostbaren, mit Damast bezogenen Möbel waren mit Drellüberzügen bedeckt … Bis tief in die Nacht hinein bearbeitete ein Leutnant den kostbaren Flügel und sang auch dazu. Es herrschte ein fortwährendes Kommen und Gehen … Patrouillen ritten fort und kamen zurück…

Die Familie Brettschneider hatte sich nach oben, wo ihre Schlafzimmer lagen, zurückgezogen. Der Hausherr war bereits zu Bett gebracht worden … Grete allein war munter und guter Dinge.

»Ein Graf bleibt doch immer ein Graf«, plapperte sie, auf Hannas Bettkante sitzend, »wenn er bloß nicht weg maß. Dann sind wir aufgeschrieben. Morgen früh machen wir ihm ein feines Frühstück … Aber wer wird Mittag kochen?,«

 

Mit einem drolligen Blick musterte sie die Mutter und Hedwig, so dass sie trotz ihrer Traurigkeit lächeln mussten.

Als Grete früh am anderen Morgen unten erschien, war der Graf weg geritten und kam erst spät am Nachmittag zurück. Unbekümmert ging sie auf dem Hofe umher, besah sich die Soldatenpferde, die ihr wenig zu imponieren schienen, und sprach die Dragoner mit den russischen Brocken an, die sie von den Schnittern aufgeschnappt hatte … Dann überzeugte sie sich, was die Gutsleute taten, sah nach, ob das Vieh gefüttert war und ging durch die Meierei, wo einige Kannen Milch noch unverarbeitet standen. Schließlich traf sie Brinkmann, der ihr die Zustände in nicht sehr rosigem Licht schilderte. Die Mädchen und jungen Frauen hielten sich versteckt, nur die Männer waren zur Arbeit erschienen … Sie hatten am Vormittag die vier großen Reisewagen mit Roggen, Hafer und Weizen zu beladen, die dann nach der Grenze weggebracht werden sollten.

Als der Graf nachmittags nach Hause zurückkehrte, stand Grete, die ihn erwartet hatte, vor der Tür.

»Ihre Leute haben hier geräubert, während Sie weg waren, Herr Graf.«

»So, was haben sie denn getan?«

»Sie haben vier große Fuhren Getreide weggefahren.«

»Das werde ich dem Inspektor bescheinigen, mein kleines, verehrtes Fräulein. Dann bekommt Ihr Herr Vater es bezahlt.«

»Von Ihrer Regierung?… Das können wir ruhig in den Schornstein anschreiben … Nach dem Krieg wird Ihre Regierung kein Geld haben.«

Tolpiga lächelte belustigt.

»In sechs Wochen sind mir in Berlin.«

Grete schüttelte mit geringschätziger Miene den Kopf.

»Da sind Sie sehr auf dem Holzwege, Herr Graf … Erst bekommt Frankreich seine Wichse, wie sie die Belgier schon bekommen haben, und dann rechnen wir mit Ihnen ab.«

»Was sagen Sie von Belgien? Sind Ihre Truppen in Belgien?«

»Wissen Sie es wirklich nicht, dass wir Lüttich genommen haben … Namur belagern und dicht vor Brüssel stehen?«

»Ist das richtig?«

»Herr Graf«, erwiderte Grete in ehrlicher Entrüstung, »Unser Generalstab lügt nicht. Was der meldet, ist bis aufs Tüpfelchen wahr. Darauf können Sie Gift nehmen.«

Während sie sprachen, waren sie ins Esszimmer getreten, wo der Graf sich behaglich in einen Stuhl ausstreckte.

»Hat Ihr Generalstab auch gemeldet, dass die Franzosen mehrere große Siege im Elsass erfochten haben?«

»Siege? Siege, Herr Graf? Nein, Senge haben sie besehen, dass es nur so brauste. Wenn es Sie interessiert, bringe ich Ihnen die Zeitungen, die gestern Abend gekommen sind.«

»Ich bitte darum … Wie geht es Ihren Damen?«

»Danke, Herr Graf, Hanna ist noch etwas matt, aber sie hat sich schon von dem Schreck erholt.«

»Bitte den Damen meine Empfehlung zu bestellen … Ich komme eben aus Dalkowen, wo ich Gelegenheit hatte, Herrn Stutterheim einen kleinen Dienst zu erweisen.«

»Ach, erzählen Sie doch.«

»Abends, wenn mir Ihre Damen die Ehre ihrer Gegenwart schenken.«

18. Kapitel

In Dalkowen waren an demselben Vormittag etwa um 9 Uhr Kosaken auf dem Hof erschienen. Furchtlos war Wolf ihnen entgegengegangen. Er konnte so viel Russisch, dass er sich mit ihnen in ihrer Sprache verständigen konnte. An der Spitze ritt ein blutjunger Leutnant, der von ihm keine Notiz zu nehmen schien.

Dafür lenkte ein Kosak sein Pferd auf ihn zu und führte mit der Nagaika einen heftigen Schlag nach Wolf, der sich jedoch vorgesehen hatte und behände zur Seite gesprungen war.

»Bist du verrückt geworden?« schrie er den Kerl an. »Herr Leutnant haben Sie Räuber oder Soldaten unter sich? … Ist es bei Ihnen Sitte, wehrlose Menschen anzugreifen?«

Zu seiner Verwunderung erwiderte der Leutnant in fließendem Deutsch:

»Weshalb kommen Sie auf uns zu? Warten Sie doch, bis wir zu Ihnen kommen.«

Der junge Mensch schwang sich aus dem Sattel:

»Haben Sie Waffen bei sich?«

»Nein.«

Auf ein kurzes Kommandowort sprangen zwei Kosaken von den Pferden, befassten Wolf die Arme und begannen ihn zu untersuchen. Ein dritter trat hinzu und riss ihm die goldene Uhr aus der Tasche. Mit einem heftigen Ruck riss er ihm auch den Kettenring aus dem Knopfloch der Weste.

Wolf wurde totenbleich, aber er biss die Zähne zusammen und stand regungslos. Erst als die Kosaken ihn losließen, sagte er mit harter Stimme:

»Herr Leutnant, wollen Sie nicht bemerken, dass der Mann mir eben meine Uhr geraubt hat?«

Der junge Mensch, der sich eben eine Papiros angezündet hatte, näselte höhnisch:

»Es ist sehr unvorsichtig, im Krieg so offen eine goldene Uhr zu tragen … Meine Leute sind gewohnt, Beute zu machen … Haben Sie Gewehre im Hause?«

»Nein, meine Jagdgewehre habe ich weggeschickt.«

»Gut, wir werden suchen.«

Er begann langsam hin und her zu gehen, während fünf, sechs Mann in das Haus eindrangen.

»Würden Sie nicht die Güte haben, auch einzutreten?« fragte Wolf so höflich als es ihm möglich war. »Es sind zwei Damen im Hause, meine Mutter und ein junges Mädchen aus vornehmer Familie.«

»Ihre Schwester?«

»Nein.«

»Aha, Ihre Braut, nicht wahr?«

»Nein, Herr Leutnant. Es ist eine junge Dame aus dem Nachbargut, die sich der Pflege meiner Mutter widmet.«

»So, so, gut, dann wollen wir hineingehen … Bitte aber: Sie voraus.«

Unwillkürlich musste Wolf lächeln … Wie ein Blitz war in ihm der Gedanke vorübergehuscht, wenn er dies schmächtige, zierliche Bürschchen an den Kragen packen und ordentlich abschlackern könnte.

Frau Stutterheim und Christel befanden sich im Wohnzimmer. Mehr aus Gewohnheit als aus dem Bedürfnis zu arbeiten hatten sie eine Handarbeit vorgenommen … Als Wolf sich umwandte, um so etwas wie eine Vorstellung zu versuchen, hatte der Russe eine Browning in der Hand, den Finger am Abzug.

Das Blut stieg Wolf zu Kopf.

»Herr Leutnant, Sie sind in meinem Hause wirklich nicht von Gefahr bedroht.«

»Das nehme ich an … Die Waffe habe ich auch nicht zu meiner Verteidigung gezogen, sondern um Sie daran zu erinnern, dass Sie sich in meiner Macht befinden … Dass Sie gut daran tun, meine Fragen, die ich jetzt an Sie richten werde, ohne Zögern und richtig zu beantworten … Bitte, wo steht jetzt Ihr Militär?«

Wolf hatte die Arme gekreuzt und sich leicht an den Tisch gelehnt.

»Sie täuschen sich in der Wirkung Ihrer Waffe, Herr Leutnant … Auf meine Antworten hat sie nicht den geringsten Einfluss … Ich weiß nicht, wo unser Militär jetzt steht.«

»Bitte, strengen Sie Ihr Gedächtnis etwas an. Ihre Offiziere werden in Ihrer Gegenwart sich darüber unterhalten haben, wohin ihre Marschorder lautete…«

»Da sind Sie im Irrtum … Unsere Offiziere pflegen zu niemand über ihre Befehle zu sprechen.«

»Das ist eine schlechte Ausrede. Ich lasse Sie sofort füsilieren, wenn Sie nicht antworten.«

»Geben Sie sich keine Mühe«, erwiderte Wolf mit ruhiger Stimme, »ich lasse mich durch nichts einschüchtern … Ich werde Ihnen unter keinen Umständen die Frage beantworten, selbst wenn ich es könnte.«

Eine Weile stand der junge Offizier unschlüssig.

Wie erregt er war, konnte man an seinem Munde sehen. Bald biss er die Unterlippe, bald die Oberlippe mit den Zähnen … Endlich steckte er die Waffe ein.

»Gut, ich glaube Ihnen. Sie sind ein tapferer Mann.«

Die beiden Frauen hatten während dieser gefährlichen Unterredung kein Wort gesprochen … Christel war aufgestanden und hatte sich neben die Tante gestellt … Mit leuchtenden Augen sahen beide auf Wolf. Aus Christels Augen war noch mehr zu lesen: Heiße Angst und Liebe und stolze Bewunderung.

»Herr Gutsbesitzer«, begann der Russe wieder.

»Stutterheim ist mein Name.«

»Herr Stutterheim, Sie sind wohl tapfer, aber Sie sind nicht aufrichtig gewesen … Diese junge Dame Ist ohne Zweifel Ihre Braut.«

Christel stand da wie mit Blut übergossen…

Wolf lachte spitzbübisch. Zum ersten Mal seit langer Zeit lachte er aus vollem Herzen.

»Herr Leutnant Sie bringen die junge Dame ohne jede Veranlassung in Verlegenheit.«

Auch der Russe lächelte.

»Verzeihung, gnädiges Fräulein, dass ich eine Tatsache vorweggenommen habe, die noch nicht eingetreten ist.«

Er verbeugte sich vor den Damen und wandte sich an Wolf.

»Wollen Sie meinen Leuten verabfolgen, was wir für Menschen und Tiere brauchen?«

Gegen Mittag kam Wolf vom Hofe herein.

»Ein richtiger kleiner Junge, achtzehn Jahre alt … Zur Strafe zu den Kosaken versetzt … Wie ein Kind launisch, aufbrausend, dann wieder täppisch zutraulich.«

Er zog lachend seine Uhr aus der Hosentasche.

»Die habe ich mit zwei Talern glücklich wieder ausgelöst … Aber eine Plage wird das werden, Mutter. Und nun muss ich dir einen Irrtum abbitten … Ich habe geglaubt, hier durch meine Gegenwart Raub und Plünderung verhüten zu können … Kein Gedanke daran! Ganz sinnlos haben die Kerle die Lokomobile zertrümmert … Die Leute sind ohne Ursache, aus reinem Übermut mit der Knute geprügelt worden … Zwanzig Pferde haben sie mir ausgesucht und nach der Grenze weggebracht … ein Schwein und ein paar Hammel haben schon dran glauben müssen … Und das Schlimmste: der junge Mensch hat gar keine Autorität über seine Leute … Sie lachen ihn aus und tun, was sie wollen.«

»Was sollen wir nun tun? Sollen wir ihn zu Tisch bitten?« fragte die Mutter.

»Ach, kein Gedanke daran … Ich habe ihm den Saal angewiesen. Dort schickst du ihm das Essen hinein.«

Christel war bei Tisch sehr schweigsam und verlegen … Sie vermied beharrlich, Wolf anzusehen. Dafür sahen sich Mutter und Sohn öfter an. Dann lächelte Wolf und nickte seiner Mutter zu. Sie hatten sich gerade vom Tisch erhoben, als der Leutnant mit schnellen Schritten ins Zimmer trat, hinter ihm ein Kosak mit geladenem Karabiner in der Hand.

»Sie haben mich belogen, Herr Gutsbesitzer. In dem Wald an Ihrer Grenze sind deutsche Soldaten versteckt … Ich lasse Sie alle drei erschießen, wenn wir angegriffen werden … Stellen Sie drei Stühle an die Wand.«

»Was soll das heißen?« brauste Wolf auf.

»Keine Widerrede, ich lasse sofort schießen!«

Der Kosak schlug seinen Karabiner auf Wolf an.

»Herr Leutnant«, sagte Frau Stutterheim ruhig, »wir fügen uns Ihren Anordnungen.«

Hochaufgerichtet schritt sie auf einen Stuhl an der Wand zu und setzte sich … Wolf trug den zweiten für Christel und den dritten für sich heran.

»Sie dürfen nicht miteinander sprechen und dürfen sich nicht vom Platz rühren … Ich warne Sie … Die Posten hat den strengsten Befehl, sofort zu schießen.«

Achselzuckend sah Wolf die Mutter an. Sie nickte ihm beruhigend zu. Wie eine Bildsäule stand der Kosak, ein abschreckend hässlicher Mensch mit bösen Augen, vor ihnen.

Langsam rückte der Zeiger auf der Uhr vor … Die Gefangenen konnten sie nicht sehen, aber sie hörten sie ticken und die halben Stunden schlagen … Nun schlug die Uhr zwei … Eine Stunde also hatten sie schon gesessen.

Wolf fieberte vor Wut … Mahnend legte ihm die Mutter die Hand auf den Arm. Wie ein Hauch kam es von ihren Lippen:

»Rauch’.«

Nun fasste Wolf in seine Brusttasche, nahm seine Zigarrentasche heraus und reichte dem Russen eine Zigarre … Er streckte die rechte Hand aus, nahm die Zigarre und steckte sie zwischen die Knöpfe seines Rockes.

Als Wolf sich seine Zigarre angesteckt hatte, blies er behaglich den Rauch von sich und sagte auf Russisch:

»Brüderchen, kannst du mir nicht sagen, wie lange wir noch hier sitzen sollen?«

Statt zu antworten, stampfte der Kosak mit dem Fuß auf und hob drohend sein Gewehr.

Wieder verging eine Stunde. Frau Stutterheim hatte ihren Kopf zurückgelehnt und die Augen geschlossen … Das Stillsitzen auf dem unbequemen Stuhl strengte sie furchtbar an. Sie war ganz bleich geworden.

Christels Augen hingen in tiefer Besorgnis an ihrem Gesicht … Wolf hatte mit beiden Fäusten die Kante seines Sitzes umklammert, um sich zur Ruhe zu zwingen. Das Blut kochte in seinen Adern. Die Gedanken wirbelten ihm wild durch den Kopf.

Wenn er plötzlich aufsprang und dem Russen das Gewehr entriss, dann konnten die beiden Frauen Zeit gewinnen, aus dem Zimmer zu entkommen und das Versteck zu erreichen. Nur die Besorgnis, dass der Russe trotz der Überraschung das Gewehr abdrücken und eine der Frauen verwunden oder erschießen könnte, hielt ihn noch zurück.

Immer und immer wieder wälzte sich der Gedanke durch seinen Kopf, dass er vor Aufregung mit den Zähnen knirschte … Wenn er beim Aufspringen dem Russen das Gewehr sofort nach oben schlug … gleichzeitig musste ein Schlag ihn mit voller Kraft mitten ins Gesicht treffen und niederwerfen…

 

Wieder war eine halbe Stunde vergangen, da begann die Mutter auf dem Stuhl hin und her zu wanken. Halb bewusstlos flüsterte ihr Mund:

»Wasser.«

Ohne sich zu besinnen, sprang Christel auf, um von dem nahen Tisch Wasser zu holen.

»Stoi«, schrie der Russe und schlug auf sie an.

In demselben Augenblick stand Wolf mit einem mächtigen Satz vor ihm. Seine linke Hand fasste das Gewehr und drückte die Mündung nach oben. Ein Faustschlag, mit furchtbarer Kraft geführt, traf den Russen mitten zwischen die Augen auf die Nasenwurzel.

Wie vom Blitz getroffen, fiel der Kosak nach vorn über, aber dabei entlud sich das Gewehr, das Wolf festhielt…

Er warf es auf die Erde.

»Verschwindet in das Versteck«, rief er den Frauen zu. »Schnell.«

Er fasste die Mutter um und drängte sie zur Tür, die er hinter ihnen zuwarf und verschloss … Jetzt hatte er keine andere Aufgabe mehr, als so viel Zeit zu gewinnen, dass die beiden Frauen sich in Sicherheit bringen konnten.

Als er sich umwandte, stand der Leutnant, den Revolver in der Hand, auf der Schwelle.

»Was geht hier vor?«

Mit drohender Miene trat ihm Wolf entgegen.

»Das fragen Sie noch? Der Hund von Kosak hat auf das junge Mädchen geschossen … Sind das Menschen oder sind das Bestien?«

»Wo ist der Kosak?«

Wolf trat ein paar Schritte zurück und wies mit dem Fuß auf den Russen, der regungslos auf dem Gesicht lag.

»Ah, Sie haben ihn erschossen?«

»Nein, dazu hat meine Faust genügt, um ihn niederzuschlagen.«

»Sie gestehen also, dass Sie einen russischen Soldaten geschlagen haben?«

»Machen Sie keine überflüssigen Redensarten, junger Mann. Drehen Sie ihn lieber um und besehen Sie Ihn, dann werden Sie wissen, was ihm fehlt.«

Der Offizier ging mit vorgehaltenem Revolver rückwärts zur Tür … Hinter ihm schlug Wolf eine laute Lache auf. Jetzt schrie der Leutnant ein lautes Kommando aus dem anderen Zimmer durchs offene Fenster…

Fünf, sechs Kosaken kamen angelaufen, aber ohne Waffen.

Einen Augenblick schoss Wolf der Gedanke durch den Kopf, das Kosakengewehr zu nehmen und sich zu verteidigen. Aber was half es, wenn er noch einige ins Jenseits beförderte? Er ging zur Tür.

»Herr Leutnant, schicken Sie Ihre Leute weg … Sie übersehen die Tragweite Ihres Handelns nicht … Sie würden Ihren Namen für alle Ewigkeiten unauslöschlich besudeln, wenn Sie mich jetzt erschießen ließen. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod … Das könnten Sie wohl wissen … Ich spreche nur in Ihrem Interesse … Ein preußischer Offizier würde den Soldaten, der auf ein wehrloses Mädchen schießt, sofort an die Mauer stellen und demjenigen danken, der das Mädchen verteidigt hat.«

Ein schrilles Klingelzeichen tönte durch das Haus.

Der Russe sah sich unruhig um:

»Was bedeutet das?«

»Das will ich Ihnen sagen. Es ist für mich das Zeichen, dass meine Damen in Sicherheit und Ihrer Macht entrückt sind … Nun will ich deutsch mit Ihnen reden! Sie tragen einen deutschen Namen, wie ich erfahren habe, stammen also aus einer Familie, die früher mal deutsch gewesen ist … Jetzt ist dafür gesorgt, dass Ihr Name fortan in Deutschland mit Abscheu genannt werden wird … So, jetzt können Sie tun, was Sie nicht lassen können.«