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Der Mann von Eisen

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15. Kapitel

Die ganze Nacht hindurch hatte Wolf an der Ausstattung und Versorgung des Verstecks gearbeitet … In einer Ecke hatte er alles aufgehäuft, was er vor einer etwaigen Zerstörung in Sicherheit bringen wollte. Silbersachen, alte Familienbilder, Kleider, Betten und alle möglichen Dinge, die ihm in die Hand fielen … Schließlich hatte er noch den Vorrat seines Weinkellers geborgen.

Der Morgen graute bereits, als er in sein Zimmer trat. In Kleidern warf er sich aufs Sofa, um noch ein paar Augen voll Schlaf zu nehmen. Aber schon nach einer Stunde wurde er durch Pferdegetrappel auf dem Hofe geweckt … Er sprang auf und eilte ans Fenster … Da hielt eine Schwadron Dragoner auf dem Hof … Er nahm seine Mütze und ging hinaus.

Die Offiziere waren eben damit beschäftigt, Patrouillen einzuteilen und abzuschicken…

Der Rittmeister von Perbandt kam auf ihn zu.

»Haben Sie eine leere Scheunendiele? Und etwas Stroh für meine Leute, damit sie sich für ein paar Stunden hinlegen und ausruhen können? Wir haben die ganze Nacht kein Auge zugetan … Auch Hafer und Heu für meine Pferde möchte ich haben … Und nun, guten Morgen, lieber Stutterheim … Wissen Sie schon was von den Russen?«

»Jawohl, Herr Rittmeister. Gestern Nachmittag sollen schon Kosaken in Preußischhöh gewesen sein … Wir glaubten durch den Fernsprecher zu hören, dass sie das Telefon zerstört haben.«

»Das werden sie wohl getan haben. Das würden wir auch tun, wo es nötig ist.«

»Darf ich bitten, einzutreten? Ich werde gleich für ein kräftiges Frühstück sorgen.«

»Wird mit Dank angenommen, lieber Stutterheim … Komisch, was, mir ist noch gar nicht nach Krieg zumute … Mir ist so, als wenn wir hier eine Übung im Gelände machen.«

»Wie lange dürfen wir hoffen, Sie hier zu behalten, Herr Rittmeister?«

Der Offizier zuckte die Achseln.

»Nix Genaues weiß man nicht … Ihnen kann ich es ja sagen … Ich habe den Befehl, im Verein mit dem Bataillon, das links von uns liegt, hierzubleiben und Patrouillen vorzuschicken, bis die Russen mit großer Übermacht ’ranrücken, dann gehen wir langsam zurück … Das kann morgen der Fall sein, vielleicht auch schon heute … Die Russen haben doch sicherlich uns gegenüber hinter der Grenze mindestens eine Division stehen … Na, werden wir leben, werden wir sehen…«

Er stand schnell auf.

»Ah, guten Morgen, gnädiges Fräulein.«

Christel stand frisch wie eine Rose im Morgentau vor den beiden Herren…

»Darf ich zum Frühstück bitten, Herr Rittmeister? Ich habe schon die anderen Herren auch bitten lassen.«

»Das geht ja fix hier in Dalkowen … Würden Sie auch imstande sein, meine Leute zu bewirten?«

»Sie erhalten eben schon frische Milch. Du hast doch nichts dagegen, Wolf, dass ich eigenmächtig das angeordnet habe? … Außerdem Brot und Butter. Das Schmieren können sie wohl selbst besorgen … Werden wir unsere Feldgrauen auch zu Mittag bewirten dürfen?«

»Wenn Sie dazu imstande sind, gnädiges Fräulein, nehmen wir es mit Dank an. Dann brauchen meine Leute nicht selbst abzukochen.«

»Wir haben eine genügend große Kochgelegenheit im Russenhause«, warf Wolf ein.

Gegen Mittag kam eine Patrouille zurück, die schon mit den Russen zusammengestoßen war… Die drei Dragoner hatten am Rande eines Wäldchens in Deckung gehalten und ausgespäht, als kaum zweihundert Meter vor ihnen auf einer Erdwelle etwa zwanzig Kosaken plötzlich auftauchten … Beim ersten Schuss hatten sie blitzschnell kehrtgemacht und waren davongesprengt…

Schon bei den ersten drei Schüssen war ein Kosak verwundet vom Pferd gefallen. Ein Kamerad hatte ihn auf seinen Gaul gehoben und mitgenommen … Von der nächsten Erdwelle hatten die Dragoner die Kosaken eifrig beschossen. Zwei von den Feinden waren gefallen.

Alle drei Pferde waren erbeutet worden. Unansehnliche, struppige Gäule, und klapperdürr … Auch eine Mütze, eine Nagaika und einen Karabiner hatten die Sieger aufgelesen und mitgebracht…

Lachend umstanden die Dragoner ihre Kameraden, die lebhaft das schnelle Ausreißen der Kosaken schilderten … Eine gehobene Stimmung herrschte unter den Feldgrauen auf dem Hofe … Die Offiziere, die nicht im Gelände waren, saßen auf der Veranda bei einem guten Glas Wein und einer Zigarre … Von Andreaswalde war die Meldung gekommen, dass eine Infanteriepatrouille eine ganze Schwadron Kosaken mit großem Erfolg beschossen und in die Flucht geschlagen hatte.

Nun gab’s täglich Plänkeleien zwischen den deutschen Patrouillen und den Kosaken. Sie schwärmten in Trupps von zwanzig, dreißig Mann überall umher, zerschnitten die Telefon- und Telegrafenleitungen und zündeten aus reinem Übermut in den Ortschaften einzelne Gehöfte an … Ausgebaute Höfe, Getreide- und Strohstoggen schienen sie grundsätzlich nicht zu verschonen. Sie waren zu ihren Brandstiftungen ohne Zweifel ausgerüstet, denn sie führten Streifen einer Zelluloidmasse bei sich, die, mit einem Streichhölzchen angezündet, jedes Gebäude unfehlbar in Brand steckte…

Am Tage sah man bald hier, bald dort schwarze Rauchwolken aufsteigen … Und nachts war der ganze Horizont im Süden und Südosten von Feuerscheinen erhellt.

Vor den deutschen Truppen hielten sie, obwohl sie stets in bedeutender Übermacht waren, niemals stand.

Unsere Feldgrauen schossen gut. Wenn die Entfernung nicht allzu groß war, holten sie mit ihren Kugeln stets ein halbes Dutzend und noch mehr aus dem Kosakenschwarm heraus … Die Russen schienen es zu fühlen, dass sie von uns keine Schonung zu erwarten hatten, denn ihre Verwundeten nahmen sie stets mit, nur die Toten ließen sie liegen. Aus den von ihnen heimgesuchten Ortschaften flüchteten die meisten Einwohner.

Fortwährend kamen Wagen mit Betten und Hausgerät hoch bepackt auf der Chaussee an Dalkowen vorüber. Auch die Kühe wurden mitgeführt … Grauenvolle Dinge erzählten die Flüchtlinge … Die Kosaken hatten Männer und Frauen und Kinder, die sie beim Einreiten in ein deutsches Dorf zufällig auf der Straße trafen, durch Lanzenstiche oder Säbelhiebe verwundet oder getötet … Sie hatten, wo sich ein neugieriges Gesicht am Fenster zeigte, hineingeschossen … Sie hatten Vieh und Pferde mitgenommen … Ja, an mehreren Stellen hatten sie Ställe mit dem darin befindlichen Vieh verbrannt…

In nicht ganz seltenen Fällen hatten die Leute aus törichter Neugier sich selbst in Gefahr gebracht. Trotz der Kosakenfurcht wurde noch überall auf den Feldern gearbeitet. Anstatt nun ruhig bei der Arbeit zu bleiben, liefen die Menschen auf den nächsten Berg, um sich die Russen anzusehen. Dann sprengten die Kosaken auf sie zu und stachen alle nieder, die sie einholen konnten.

Man wollte anfänglich nicht alles glauben, was die Flüchtlinge erzählten, wenn sie unter dem Schutz des deutschen Militärs in Dalkowen haltmachten, um ihr Vieh zu tränken und zu füttern, ehe sie weiterzogen.

Frau Stutterheim war der Ansicht, dass infolge der allgemeinen, durch den Krieg verursachten Erregung nicht nur vieles übertrieben, sondern auch manches erlogen würde … Aber eines Morgens kam ein Mann mit zwei Kindern zu Fuß anmarschiert und bat im Gutshause um etwas Nahrung. Die Tränen liefen ihm unaufhaltsam die Backen herunter, und dann erzählte er, dass seine Frau vor dem Hause von einem Kosaken einen Säbelhieb bekommen habe, der ihr den Kopf spaltete. Darauf sei seine Tochter, ein Kind von zwölf Jahren, hinzugesprungen. Auch sie hatte der Unhold mit einem Säbelhieb niedergestreckt. Dann die alte Mutter, die schreiend aus dem Hause hinstürzte, und dann noch den Vater, einen Mann von achtzig Jahren.

Auch die Nachrichten, die von anderen Stellen des gefährdeten Landstrichs an der Grenze allerdings recht spärlich einliefen, berichteten von ähnlichen Schandtaten der Russen. Von Raub und Mord, von Brand und Plünderung … Und überall waren Kosaken die Mordbrenner … Der Ingrimm, der auf deutscher Seite aufloderte, fand keine andere Bezeichnung als ‘die Hunde’, obwohl man damit nur den treuen Gefährten des Menschen beleidigte … Als man an den zahlreichen Schandtaten nicht mehr zweifeln konnte, machte Wolf noch einmal den Versuch, seine Mutter zur Flucht zu bewegen … Es konnte keinem Zweifel unterliegen, dass die Russen grundsätzlich jede Domäne und jedes Gut, sobald sie es ausgeplündert hatten, niederbrannten, während sie im Allgemeinen die Bauerndörfer verschonten. Frau Stutterheim weigerte sich nach wie vor, Dalkowen zu verlassen.

»Mutter«, sagte Wolf ernst, »die Verhältnisse liegen jetzt anders als vor acht Tagen. Jetzt können wir nicht mehr daran zweifeln, was uns bevorsteht, wenn wir schutzlos zurückbleiben … Du bist eine alte Frau, du musst wissen, was du tust, aber du hast kein Recht, Christels Leben oder noch mehr in Gefahr zu bringen … Du hast wohl auch nicht bedacht, dass du auch für mich durch dein Hierbleiben die Gefahr vergrößerst … Denn das sage ich dir: Ich springe jedem Russen an die Kehle, der dich oder Christel beleidigt. Selbst wenn ich weiß, dass ich dafür im nächsten Augenblick an die Mauer gestellt und erschossen werde.«

»Ich gehe nur von hier weg, wenn du mitkommst.«

»Das kann ich nicht, Mutter … Die Behörden verlangen, dass wir hier aushalten … Und sie haben recht, denn trotz aller Untaten verschonen die Russen doch meistens die Gebäude, wo die Bewohner drin geblieben sind, während sie jedes leerstehende Gehöft anscheinend grundsätzlich niederbrennen … Ich will auf die Menschen, die aus Angst fliehen, keinen Stein werfen, aber wer Mut hat, soll hierbleiben.«

»Und wir haben den Mut, nicht wahr, Christel?«

»Christel bitte ich ganz aus dem Spiel zu lassen … Darüber haben nur ganz allein ihre Eltern zu bestimmen … Und ich werde noch heute nach Andreaswalde rüberreiten, um zu veranlassen, dass Christel nach Hause geholt und mitgenommen wird, wenn ihre Eltern wegfahren…«

Er war am Nachmittag wirklich nach Andreaswalde geritten und kehrte erst abends zurück … Bei der Mutter ließ er sich nicht mehr sehen. Und als er am anderen Morgen zum Frühstück kam, hatte er eine kalte, undurchdringliche Miene aufgesetzt … Er sprach auch nur das Allernotwendigste, und auf die Frage der Mutter, ob Christel nach Hause müsse, hatte er nur ein hartes: ‘Nein!’

 

Die Tante hatte ihn auf seine dringenden Vorstellungen geantwortet, sie wolle sich die Sache überlegen, vorläufig sei doch noch keine Gefahr. Und Onkel, der still vor sich hin brütend in seinem Zimmer saß, hatte ihm endlich nach langem Drängen mit müder Stimme geantwortet: Er könne sich nicht darum kümmern … Wolf hatte den Eindruck mitgenommen, dass Christels Vater nicht mehr in vollem Besitz seiner Geisteskräfte sei.

Eine Stunde später trat Christel in sein Arbeitszimmer.

»Wolf, bist du mir böse? Weshalb erzählst du mir nicht, was meine Eltern gesagt haben?«

Sein Gesicht sah aus, als wenn es erstarrt wäre.

»Bedaure, Christel, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt. Ich kann es nicht hindern, dass du bei meiner Mutter bleibst … Im Übrigen stelle ich dir anheim, selbst deine Eltern zu befragen.«

»Das werde ich nicht tun … Ich werde mich sogar dagegen wehren, wenn sie mich mitnehmen wollen … Ich bleibe auf alle Fälle bei deiner Mutter. Bei dir ist es nur Halsstarrigkeit, dass du hier bleiben willst.«

»Du bist wenigstens, aufrichtig, Christel. Dann sage mir aber auch, weshalb die Mutter sich nicht in Sicherheit bringen will?«

»Ich denke, das könntest du wissen, Wölflein! Aus großer Liebe zu dir. Und da musst du als Sohn nachgeben, anstatt durch deinen Eigensinn das Leben deiner Mutter zu gefährden … Ich meine: Ein Menschenleben, das Leben einer geliebten Mutter, ist doch mehr wert, als das bisschen Hab’ und Gut, das du aller Wahrscheinlichkeit nach ersetzt bekommst, wenn es verloren geht.«

»Hältst du mich für so kleinlich, dass mich nur die Sorge um meinen Besitz hier fesselt? … Nein, Christel, ich muss hier festhalten und bewahren suchen, was in meinen Kräften steht, damit unsere Truppen, wenn sie die Russen zurückschlagen werden, hier noch was vorfinden, was sie sicher sehr brauchen werden.«

16. Kapitel

Ein warmer Sommerabend lag auf der Erde…

Die Offiziere saßen mit Wolf auf der Veranda und besprachen in froher Stimmung die Nachrichten, die mit einem Pack Zeitungen aus Königsberg gekommen waren. Das Eindringen der deutschen Truppen nach Kalisch und Czenstochau. Der Einmarsch in Belgien wurde mit klingenden Gläsern gefeiert … Auch den Dragonern waren die guten Nachrichten schon mitgeteilt worden. Man hörte sie auf dem Hof lachen und singen.

Ein musikalischer Gefreiter begleitete die Lieder auf einer großen Handharmonika, die wie eine Orgel klang.

Allmählich verstummte die Fröhlichkeit. Einer nach dem anderen verschwand, um sich in der Scheune auf dem Strohlager auszustrecken … Auch die Offiziere waren ebenso müde. Sie waren eben im Begriff, sich angekleidet auf ihr Lager zu werfen, als der Wachtmeister einen Jungen angeführt brachte, einen driftigen Schlingel von höchstens zwölf Jahren, der durchaus den Herrn Oberkommandierenden sprechen wollte … Der Junge führte sein Zweirad an der Hand. Rittmeister von Perbandt erhob sich.

»Was willst du, mein Junge?«

»Ach, Herr Offizier, ich bin gekommen, Ihnen zu erzählen. Heute Nachmittag kamen die Kosaken in unser Dorf und haben unser Dorf abgebrannt … Drei Menschen haben sie totgeschossen und mehr als zwanzig gefangen genommen … Auch meine Eltern und eine Schwester … Die haben sie alle weggebracht nach der Grenze zu. Wahrscheinlich bis nach Russland rein.«

»Wo ist das geschehen?«

»In Lisken, Herr Offizier.«

»Rittmeister bin ich, damit du es weißt.«

Einer der Offiziere hatte schon seine Karte vorgenommen und ausgebreitet … Ohne Scheu trat der Junge heran und wies mit dem Finger auf die Karte:

»Hier liegt unser Dorf, seitwärts von Bialla.«

»Junge, du kannst ja schon eine Karte lesen!«

»Na, Herr Rittmeister, ich gehe doch schon sechs Jahre in die Schule.«

»Na, und nun bist du hergekommen, um uns das zu melden?«

»Ee, nei, Herr Rittmeister, noch viel mehr … Die Russen sind des Abends nach Masten geritten. Da haben sie nicht weit von dem Wäldchen auf dem Stoppelfeld ein Lager aufgeschlagen.«

»So, so, kannst du mir vielleicht sagen, wie viel Mann es sind?«

»Es waren dreiundsechzig Mann, Herr Rittmeister. Drei Kosaken sind mit den Gefangenen zurückgeritten. Also sind noch sechzig Mann … Ich lag hinter einem Strauch und habe sie genau gezählt, als sie vorbeiritten … Dann holte ich mein Rad vom Feld, wo ich es versteckt hatte, und fuhr ihnen nach.«

»Das war aber tollkühn, mein Junge!«

»Ach wo, die Hunde waren ja schon halb betrunken, als sie von Lisken weg ritten … Sie nahmen aber noch einen Wagen mit, darauf haben sie aufgeladen ein ganzes Ohm Spiritus, ein Schwein, drei Hammel und so viel Brote, wie sie in den Häusern fanden … Gleich wie sie das Lager aufgeschlagen hatten, fingen sie auch schon an, Schnaps zu saufen … Und die Tiere haben sie geschlachtet und Fleisch gebraten.«

»Erzähl’ mir mal, wie sie das Lager aufgeschlagen haben.«

»Na, vier Mann haben mit dem Wagen Stroh aus Masten geholt, die anderen haben kleine Pfähle in einer Reihe eingeschlagen und die Pferde mit Halftern angebunden. Dann haben sie trockenes Holz armweise von einem Gehöft geholt und Eimer voll Wasser und haben die Pferde getränkt. Und andere haben Löcher gegraben und haben Feuer angemacht.«

»Junge, wie hast du das alles ausgekundschaftet?«

»Ich war über die Wiese ganz dicht bis an sie rangekrochen und lag hinter einem Weidenstrauch.«

»Und weshalb bist du nun hergekommen?«

Mit blitzenden Augen erwiderte der Junge:

»Ich habe mir so gedacht, wenn unsere Soldaten das wüssten, dann könnten sie sich fein ranschleichen und die Hunde alle totschießen.«

»Die Russen haben doch sicherlich ringsum Posten ausgeteilt?«

»Ach wo, Herr Rittmeister, nicht einen einzigen. Zweimal haben sie drei Mann weggeschickt, aber die kamen bald wieder. Da habe ich, als es dunkel wurde, mein Rad bis zur Chaussee geführt und dann heidi, los.«

»Sollten in Bialla keine Russen sein?« fragte der Rittmeister zu den anderen Offizieren umgewandt.

»Ach wo, Herr Rittmeister«, fiel der Junge ein.

»Ich bin ja doch durch Bialla gekommen und habe den Nachtwächter getroffen … Gestern war eine Kosakenpatrouille da, aber heute keine … Sie können mir wirklich glauben, ich führe sie bis dicht an die Russen ran, und dann können Sie vom Berg runter in die Hunde reinpfeffern.«

Eine Stunde später ritt Leutnant Lottermoser mit zwanzig Dragonern ab … Der Junge fuhr auf seinem Rad ihnen weit voraus. Der Mond, dessen erstes Viertel sich gerade vollendet hatte, stand hinter einem dichten Wolkenschleier am Himmel und spendete so viel Licht, dass die Dragoner Trab reiten konnten.

Vor dem großen Dorf Sulimmen wartete der Junge auf die Reiter.

»Ich bin schon hin und zurück durchgefahren. Alles in Ordnung, Herr Leutnant.«

Ebenso erwartete er die Dragoner vor der kleinen Stadt Bialla, deren wenige Straßen er schon abgefahren hatte … Eine halbe Stunde später stand er neben seinem Rad auf der Chaussee.

»Jetzt müssen wir hier abbiegen auf den Landweg, Herr· Leutnant.«

Der Morgen graute bereits, als die erste Salve der Dragoner krachte … Auf die kurze Entfernung von kaum hundert Meter hatte fast jeder Schuss getroffen. Die Russen sprangen auf und liefen wie Hammel, die an der Drehkrankheit leiden, schreiend und fluchend hin und her … Eins von den Pferden riss sich los und jagte davon …Wie die Toten hatten die Kosaken, sinnlos betrunken, in tiefstem Schlaf gelegen. Wie die Fliegen unter dem Schlag der Klatsche fielen sie unter dem Schnellfeuer der Dragoner … Zu zweien und dreien schwangen sie sich auf ein Pferd und verschwanden in der Dämmerung. Die meisten liefen zu Fuß weg, ohne Lanze und Karabiner. Ja, selbst den Säbel warfen sie weg, um schneller laufen zu können…

Mehr als dreißig Mann lagen tot oder schwer verwundet auf dem Felde.

Das war der Überfall bei Masten.

Der kleine Held kehrte mit den Dragonern nach Dalkowen zurück und blieb dort. Ein fixer Junge, der sich fortan als zu den Soldaten gehörig betrachtete und von ihnen verhätschelt wurde.

Am nächsten Tage traf eine Abteilung Feldartillerie in Andreaswalde und Dalkowen ein … Man plante auf deutscher Seite einen starken Schlag gegen die Russen, die jetzt täglich nicht nur die Stadt Bialla, sondern auch die großen Dörfer Sulimmen und Drygallen schwer heimsuchten … In Bialla hatten sie an einem Tage acht friedliche Einwohner erschossen. In den Dörfern eine Anzahl Gehöfte eingeäschert … Auf der Chaussee zwischen beiden Orten hatten sie zehn Gutsarbeiter der Domäne Drygallen, die mit vierzehn Pferden einen ganzen Dreschsatz nach dem Gut Kalischken transportierten, überfallen, Männer und Pferde niedergeschossen und die schweren Maschinen in den Chausseegraben gestürzt …

Früh am Morgen erschienen die Truppen in ansehnlicher Stärke vor Bialla. Die Russen hatten sich bis zum Dorfe Skodden zurückgezogen und den Rand eines bewaldeten Höhenzuges besetzt … Sie hatten auch eine Abteilung Artillerie, die aber auffallend schlecht schoss … Unsere Feldgrauen schossen besser.

Nach kurzer Zeit waren acht russische Geschütze total zertrümmert und ebenso viel wurden erbeutet, als die Füsiliere einen Sturmangriff auf die Höhen machten.

In wilder Flucht jagten die Russen zurück, von unseren Dragonern stark bedrängt und zusammengehauen…

Um fünf Uhr nachmittags zogen die Sieger wieder in Bialla ein … Die eroberten Kanonen wurden auf dem weiten Marktplatz aufgestellt. Alle Einwohner, Jung und Alt, strömten auf den Markt zusammen…

Die Militärkapelle des Infanterieregiments spielte ‘Nun danket alle Gott’, dann ‘Das Niederländische Dankgebet’, dann einen flotten Marsch und zuletzt ’Deutschland, Deutschland über alles’ … Das Lied sangen die Soldaten und alle Einwohner entblößten Hauptes mit. Dann begann ein geschäftiges Treiben. Alle holten herbei, was sie noch an Vorräten befassen, um die Sieger kräftig zu bewirten.

Das Gefecht hatte uns nur sieben Verwundete gekostet, von denen allerdings fünf in den nächsten Tagen ihren schweren Verletzungen erlagen. Sie wurden unter allgemeiner Teilnahme der Bevölkerung auf dem Friedhof der Stadt mit militärischen Ehren bestattet.

Ein Teil der deutschen Truppen blieb in Bialla stehen, die anderen zogen wieder in ihre alten Stellungen zurück und befestigten den Höhenrand, der eine gute Verteidigungslinie bot, weil davor ein großes Wiesengelände lag, dessen sumpfige Beschaffenheit den Feinden ein Vordringen zum mindesten sehr erschwerte.

Von den Infanterieoffizieren war nur Kurt Stutterheim leicht verwundet. Die feindliche Kugel hatte dicht über dem linken Ohr die Kopfhaut in einer Länge von etwa drei Zentimeter aufgerissen.

Trotz der Verwundung, die einen erheblichen Blutverlust verursachte, war Kurt an der Spitze seines Zuges geblieben und hatte mit seinen Füsilieren zwei russische Geschütze erobert … Erst nach Beendigung des Gefechtes hatte er sich von einem Sanitäter verbinden lassen … Alle Kameraden hatten ihn herzlich beglückwünscht, denn er hatte bei der Verwundung wirklich von Glück sagen können … Einen halben Zoll weiter nach der Kopfseite, dann lag er mit zertrümmertem Schädel irgendwo auf dem Schlachtfelde. Aber nun winkte ihm als einem der ersten seines Regiments das Eiserne Kreuz zum Lohn für seine Tapferkeit.

Frau Brettschneider stand mit ihren Töchtern vor der Tür des Gutshauses, um die Sieger mit einem Blumengruß zu empfangen. Als Kurt unter den Offizieren mit verbundenen! Kopf und ziemlich bleich angeschritten kam, schrie Hedwig laut auf:

»Kurt.«

Im nächsten! Augenblick flog sie, alles um sich vergessend, in seine geöffneten Arme, die sich um sie zusammenschlossen.

Die Kameraden traten zurück. Auf allen Gesichtern lag eine feierliche Rührung, denn da vor ihnen hatte ein übermächtiges Schicksal eben über die Zukunft zweier junger Menschen entschieden … Hatte zwei Herzen vor aller Augen fürs Leben zusammengefügt … Langsam löste sich Hedwig aus Kurts Armen, sah sich verlegen im Kreise um, dann flog sie ihrer Mutter an die Brust, die sich inzwischen von ihrer Überraschung erholt hatte und jetzt auch Kurt die Hand entgegenstreckte.

Nun begann ein Glückwünschen, bis der Oberstabsarzt sich ins Mittel legte und den glücklichen Bräutigam arretierte, um ihn ins Bett zu stecken.

Wolf war am Nachmittag, als der Kanonendonner aufgehört hatte, nach Bialla geritten und hatte die erhebende Siegesfeier auf dem Marktplatz miterlebt. Auch seinen Bruder hatte er gesehen und kurz gesprochen. Dann war er nach Hause geritten, um die Mutter von Kurts Verwundung zu benachrichtigen. Eine halbe Stunde später kam Frau Stutterheim in Wolfs Begleitung. Der Wagen hielt noch nicht, als auch schon Hedwig aus dem Hause gestürmt kam.

 

»Tante Mathilde, liebe Tante, weißt du noch nicht, wir haben uns verlobt! Ach, ich bin ja so unaussprechlich glücklich!«

»Ja, liebe Mathilde«, sagte Frau Brettschneider, die eben aus der Tür kam, »unsere Kinder haben sich zusammengefunden; vor allen Offizieren ist dieser Hitzkopf hier deinem Jungen um den Hals gefallen. Mathilde!« schrie Frau Brettschneider in demselben Augenblick, »Mathilde, was ist mit dir, du kannst ja mit einmal gehen?«

Frau Stutterheim hatte sich in ihrem Stuhl, den Wolf aus dem Wagen geschoben hatte, aufgerichtet und schritt ohne Hilfe auf die Freundin zu.

Wenige Minuten später saßen seine Mutter und seine Braut an Kurts Bett. Er lag still und bleich und von dem starken· Blutverlust etwas matt in halb sitzender Stellung. Aber aus den Augen strahlte ihm das Glück, und er hörte lächelnd zu, wie Hedwig in ihrer schelmischen Art, hinter der sich ihr Gemüt immer zu verstecken pflegte, der Mutter erzählte, wie Kurt sie am Abend des Mobilmachungstages mit Gretes Hilfe in das Wohnzimmer gelockt und dort überrumpelt hatte.