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Der Mann von Eisen

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19. Kapitel

Noch eine Minute zögerte der Leutnant, dann rief er den Kosaken, die vor dem Hause warteten, einen Befehl zu. Sie traten ein … Ein Unteroffizier stellte sich stramm und meldete:

»Dragoner kommen auf den Hof geritten. Ein Offizier mit acht Mann.«

»Schert euch zum Teufel«, schnauzte der Leutnant ihn an.

Draußen ertönte eine Stimme, die Wolf bekannt vorkam … Er trat einen Schritt vor. Tolpiga stand in der Tür.

»Herr Graf!«

»Jawohl, Herr Stutterheim … Ich komme, Ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen … Mir klebt die Zunge am Gaumen, denn ich habe seit vier Uhr morgens im Sattel gesessen … kann ich mir ein Glas Wein bei Ihnen ausbitten?«

»Gern, Herr Graf.«

Tolpiga sah sich nach den Kosaken um, die hastig durch die Tür davonstürmten.

»Was geht hier vor? Hat man Sie belästigt, Herr Stutterheim?«

»Bitte, lassen Sie es sich erst von Ihren Kameraden erzählen.«

Als Wolf nach einigen Minuten mit einer Flasche Mosel und zwei Gläsern zurückkam, stand der Leutnant mit einer Armsündermiene am Fenster … Der Rittmeister ging aufgeregt im Zimmer auf und ab.

»Nun erzählen Sie mir mal, was hier vorgegangen ist!«

Ganz ruhig erzählte Wolf, wie er in den letzten Stunden mit seiner Mutter und Christel behandelt worden war. Ohne jede Beschönigung berichtete er seinen Zusammenstoß mit dem Kosaken.

»Der Kerl liegt noch im Nebenzimmer.«

Tolpiga ging hinein und stieß den Kosaken mit dem Fuß an.

»Steh’ auf, du Schwein.«

Nun bückte sich Wolf und drehte den Kosaken auf den Rücken.

»Donnerwetter«, sagte der Graf, »Sie schlagen eine gute Faust…«

Dann rief er durch die Tür:

»Lassen Sie den Lümmel hier rausschaffen und schicken Sie in mein Quartier nach dem Stabsarzt … Und dann lassen Sie satteln. Sie können sich ein Quartier im nächsten Dorf suchen … Hier lege ich einen Zug Dragoner hinein.«

»Es ist ein Jammer mit den Kosaken«, sagte er zu Wolf, als der Leutnant das Zimmer verlassen hatte. »Sie sengen alles runter, und wir, die wir nach ihnen kommen, können auf freiem Feld biwakieren. Zum Glück haben wir jetzt in Andreaswalde eine gute Unterkunft gefunden.«

»Die Familie Brettschneider haben Sie aber nicht mehr vorgefunden?«

Der Graf lächelte.

»O doch, ich habe sie am Hoftor arretiert weil ich das Auto nicht entwischen lassen durfte … Da haben die Herrschaften es vorgezogen, in Andreaswalde zu bleiben … Darf ich fragen, wo Ihre Frau Mutter und Fräulein Christel sich in Sicherheit gebracht haben?«

Jetzt lächelte Wolf.

»Das möchte ich nicht verraten, Herr Graf, aber sie werden zum Vorschein kommen, wenn Ihre Dragoner hier einrücken … Ihren Leuten soll es hier an nichts fehlen.«

»Dann werde ich mir erlauben, sie morgen hier zu begrüßen.«

Frau Stutterheim hatte zum ersten Mal in ihrem Leben die Herrschaft über sich selbst verloren … Als Wolf sie zur Tür führte, drehte sich alles um sie in die Runde. Sie sah Wolf die Faust erheben, den Russen niederstürzen … Die Füße drohten ihr den Dienst zu versagen. Sie wäre umgesunken, wenn Christel sie nicht mit starken Armen gehalten hätte…

Die Angst verdoppelte ihre Kräfte … Halb sie tragend, führte sie die alte Dame bis zur Treppe, die zum Keller hinunterging. Dort legte sie sich ihre Arme über die Schultern und nahm sie Huckepack.

Die Last war groß, denn Frau Stutterheim war nicht nur stattlich, sondern auch ziemlich korpulent…

Aber Christel biss die Zähne zusammen und trat vorsichtig Stufe um Stufe abwärts … Eine Sekunde hielt sie an, um zu lauschen. Oben schien alles ruhig zu sein … Konnte Wolf nicht ihnen folgen? Jetzt war sie vor der Tür ihres Verstecks … Ihre tastende Hand fand in der Aufregung nicht die Stelle, auf die gedrückt werden musste … Endlich gab die Tür nach. Christel trat mit ihrer Last ein und stieß den schweren Riegel vor, der die Tür von innen sicherte … Dann tappte sie durch den dunklen Raum bis zum nächsten Bett und setzte Frau Stutterheim sanft nieder.

Bald hatten ihre tastenden Hände den Tisch, Licht und Streichhölzchen gefunden … Es wurde hell im Zimmer … Da stand auch eine Karaffe mit Wasser, das Wolf vorsorglich jeden Tag erneuert hatte … Behutsam richtete sie den Kopf der alten Dame auf und gab ihr zu trinken…

Nach einer Weile fragte Frau Stutterheim leise:

»Wo ist Wolf?«

»Er wird sich wohl in den Park gerettet haben, Tantchen. Es blieb oben alles still, als ich dich hinunterführte.«

»Sag’ doch richtig: hinuntertrug! Ich habe es wohl gefühlt, aber ich war wie gelähmt … Ach, mein Kind, ich vergehe um Angst um meinen Jungen!«

»Das darfst du nicht, Tantchen … Wir hätten Geschrei, Getümmel oder sogar schießen gehört, wenn er nicht in Sicherheit wäre … Ich meine, er ist durch das Fenster in den Garten gesprungen und durch den Park in den Wald gelaufen.«

»Das glaubst du doch selbst nicht, mein Kind.«

»Aber ja doch, Tantchen, ich bin fest davon überzeugt … Du kennst doch Wolf … Glaubst du, dass er sich ohne Gegenwehr ergeben hätte, wenn er nicht hätte fliehen können?,«

Nach einer Weile sagte Frau Stutterheim leise:

»Ach Gott, ich bin allein an dem Unglück schuld … Wenn ich nicht schwach geworden wäre, dann hätte die schreckliche Situation doch schließlich ein Ende erreicht.«

»Dann bin ich noch mehr schuld, Tantchen. Denn ich bin aufgesprungen, um Wasser zu holen … Um mich zu verteidigen, hat Wolf den Kosaken niedergeschlagen.«

»Mein Kind, das kam eins aus dem anderen. Die Hauptschuld trage ich, dass ich nicht nachgegeben und uns in Sicherheit gebracht habe.«

Christel war aufgestanden und hatte auf einen Knopf an der Wand gedrückt.

»Ich habe das Klingelzeichen gegeben, wie Wolf es anbefohlen hat … Wenn er es hört, dann weiß er wenigstens, dass wir in Sicherheit sind…«

Dann ging sie an den Tisch und entzündete die Spirituslampe, die für einen längeren Aufenthalt bereitstand.

»Soll ich dir ein Glas Wein geben, oder soll ich uns einen guten Kaffee kochen? Der wird uns beiden guttun.«

Während Christel einen Spirituskocher in Betrieb setzte, versank Frau Stutterheim in stilles Grübeln.

»Wo mag doch jetzt unser Kurt sein … Kaum ist der eine Schuss verheilt, da muss er schon wieder in den Kampf.«

»Tantchen, er ist doch freiwillig gegangen … Und weißt du, was ich meine: Die Wahrscheinlichkeit, dass er noch einmal verwundet wird, ist doch jetzt viel geringer.«

»Du liebes Kind, was du dir nicht alles ausdenkst, um mich zu trösten … Wenn wir uns bloß nicht in solcher Ungewissheit um unseren Wolf zersorgen müssten.«

»Tantchen, jetzt weiß ich ganz bestimmt, dass er sich in Sicherheit gebracht hat.«

»Wie kannst du das sagen, Christelchen?«

»Wir haben doch keinen Schuss gehört! … Ja, Tante, einen Schuss oder eine Salve hätten wir hier hören müssen.«

Auf Frau Stutterheims Gesicht erschien ein leiser Hoffnungsschimmer.

Währenddessen stellte Christel ihr einen Stuhl ans Bett und brachte den Kaffee, der angenehm duftete … Dann holte sie eine Tüte mit Keks aus dem Vorratsschrank…

»So, Tantchen, nun wollen wir trinken, und dann lese ich dir etwas vor … Auch damit hat uns Wolf versorgt.«

»Ach, mein Kind, ich habe an meinen Gedanken genug.«

»Die Gedanken sollst du gerade vergessen … Hier habe ich ein Buch, das du noch nicht kennst … Die Bernsteinhere … Das soll eine sehr prächtige und spannende Geschichte sein.«

Christel begann zu lesen … Aber von dem Buch huschten ihre Augen zur Tante hinüber und sahen, dass sie mit ihren Gedanken weit weg war … Sie hielt inne.

»Sehr schön, mein Kind, sehr schön.«

»Aber, Tantchen, du hast doch an ganz was anderes gedacht.«

»Ja, mein Kind, ich habe daran denken müssen, wenn Wolf in den Wald entkommen ist, ob er nicht die Unvorsichtigkeit begehen wird, in der Nacht zurückzukommen.«

»Das halte ich auch für wahrscheinlich … Aber du musst nicht so grübeln, und dir alles Mögliche ausdenken, was geschehen könnte. Wenn er kommt, ist er da. – Er ist da!« rief sie aufspringend, und drückte beide Hände an die Brust.

Dem ersten Schlag an die Tür folgte ein zweiter, ein dritter.

Wie der Blitz war Christel an der Tür und schob den Riegel zurück.

Mit heiterem Gesicht trat Wolf ein, stürzte zum Bett, kniete vor der Mutter nieder und barg den Kopf in ihrem Schoß. Eine Weile herrschte tiefe Stille m dem Raum … Dann flüsterte die Mutter:

»Christel, unser Wolf ist da.«

»Ja«, rief er aufstehend, »und die Kosaken sind fort.«

»Ein Wunder nach dem anderen, mein Sohn.«

»Und das dritte Wunder: Graf Tolpiga hat mich gerettet … Er kam gerade zur richtigen Zeit. Wenn er eine Viertelstunde später gekommen wäre … Na ja … Und du Christel, sagst gar nichts?«

»Was soll ich sagen, Wolf? … Ich freue mich … Ich freue mich sehr … Ja, Wolf, wir waren sehr verzagt.«

»Mutter, wie bist du die Treppe heruntergekommen?«

»Huckepack, auf Christels Rücken. Bis zum Bett hat sie mich getragen.«

»Christel, wie sollen wir dir das vergelten, was du an meiner Mutter getan hast?«

Er streckte ihr beide Hände entgegen.

»Ach Wolf, mach’ doch nicht so viel Geschichten davon … Du hast mehr für mich getan … Erzähl’ lieber, wie es dir ergangen ist.«

»Das ist bald erzählt … Ich hatte mit dem Leutnant eine sehr energische Auseinandersetzung … Ich war in solcher Aufregung, dass ich ihn ganz heftig anblies. Ich wollte bloß Zeit gewinnen, damit ihr euch in Sicherheit bringen konntet … Und hatte nur die Besorgnis, dass Mutter dir unterwegs zusammenbrechen könnte … Als ich das Klingelzeichen hörte, war ich beruhigt und stellte dem Jüngling vor, dass er seinen Namen besudeln würde, wenn er mich dafür erschießen ließe, dass ich euch gegen den Kosaken verteidigt habe … Gerade als er mich festnehmen lassen wollte, kam Tolpiga dazu … Was man auch sonst gegen ihn haben mag … Er hat sich in diesem Fall wie ein Kavalier benommen … Den Jüngling mit seinen Kosaken hat er einfach fortgejagt … Dafür belegt er Dalkowen mit einem Zug Dragonern … Er liegt in Andreaswalde im Quartier … Deine Angehörigen, Christel, sind auch noch dort … Sie haben so lange getrödelt, bis sie von den russischen Dragonern überrascht wurden … Doch nun will ich mal nach oben gehen, die Dragoner zu begrüßen, die wohl schon da sein werden … Dann komme ich euch holen.«

 

Eine Stunde später öffnete er die Tür, die Christel nicht mehr verriegelt hatte.

»Jetzt könnt ihr heraufkommen, die Luft ist rein … Der Dragonerleutnant ist auf Patrouille geritten, und vor jeder Haustür steht ein Posten, der keinen hereinlässt.«

Frau Stutterheim war doch noch sehr angegriffen.

Sie konnte sich nur mit Hilfe der beiden Kinder erheben. Die Treppe hinauf trug sie ihr Sohn … Aber sie lehnte es ab, sich zu Bett zu legen … Sie wollte noch mit den Kindern Abendbrot essen und den Offizier begrüßen, wenn er bis dahin zurückgekehrt sein sollte.

20. Kapitel

Die Russen hatten festgestellt, dass sich bis zum Spirding, der etwa anderthalb Meilen entfernt lag, keine deutschen Streitkräfte mehr befanden … Bialla war von ihnen besetzt … In Lyck lag ein ganzes Armeekorps mit dem Stab … Ebenso hatten sie die weiter nordöstlich gelegenen Städtchen des Grenzstrichs Marggrabowa, Goldap, Angerburg usw. bis nach Eydtkuhnen hinauf besetzt … Bei Gumbinnen hatte ein starkes Gefecht stattgefunden, bei dem die Russen zurückgeworfen wurden, aber trotzdem hatten sich die deutschen Truppen dort zurückgezogen.

Die russischen Dragoneroffiziere erzählten alles, was sie wussten, in Andreaswalde. Nach ihrer Darstellung waren die Deutschen bei Gumbinnen zurückgeschlagen und zogen sich auf Königsberg zurück. Die Russen waren guten Muts und in fröhlicher Stimmung. Sie ritten abends öfter nach Bialla oder nach Lyck, und wenn sie nachts zurückkamen, konnte man an ihrem lauten Benehmen erkennen, dass sie sehr energisch gefeiert hatten.

Der Verkehr mit den Gutsbewohnern verlief still und friedlich … Brinkmann brummte zwar, wenn er Tag für Tag Getreide und Fleisch liefern musste, aber er schickte sich in das Unvermeidliche. Er musste sogar dreschen lassen, und die Russen halfen ihm dabei. Was erdroschen wurde, ging sofort zu Wagen nach Russland, ohne dass er dafür eine Bescheinigung erhielt. Nur was für den Unterhalt der Truppen gebraucht wurde, bezahlte der Rittmeister mit Anweisungen auf die Intendantur, die sich in Lyck befand.

Die Damen des Hauses mussten regelmäßig zu den Mahlzeiten erscheinen. Der Graf hatte darum ‘gebeten’. Und als die Bitte nicht beachtet wurde, hatte er die Gutsherrin durch eine Ordonnanz rufen lassen und ihr unverblümt gesagt: er sei nicht gewohnt, zu bitten, wo er befehlen könnte.

Das erste Zusammentreffen bei Tisch verlief natürlich sehr frostig. Grete trug fast ganz allein die Kosten der Unterhaltung. Sie fragte die Offiziere nach neuen Nachrichten vom Kriegsschauplatz und bezweifelte in sehr energischer Weise die Richtigkeit ihrer Mitteilungen.

Sie brachte es aber so drollig heraus, dass die Offiziere darüber lachten und sich mit ihr neckten. Sie wäre jetzt schon russische Untertanin und werde es bleiben.

Allmählich wurde das Verhältnis besser. Auch die Mutter und Hedwig beteiligten sich an der Unterhaltung, nur Hanna blieb ernst und schweigsam. Der Graf bemühte sich sehr deutlich, aber in durchaus feiner Weise um sie. Er versuchte sie ins Gespräch zu ziehen, und was er erzählte, schien nur an sie gerichtet zu sein.

Den Obstgarten hatte er durch einen Posten geschützt, und täglich sorgte er dafür, dass der Gärtner den Damen frisches Obst und Blumen brachte…

Eines Abends, als man gerade bei Tisch saß, erschien Wolf in Andreaswalde … Ein deutscher Flieger war über Dalkowen gekommen und hatte etwas abgeworfen, was die Russen für eine Bombe hielten.

Da sie aber nicht explodierte, war Wolf hinausgegangen und hatte nach langem Suchen ein zusammengeschnürtes Paket Zeitungen gefunden, die ihm sehr große Freude bereiteten, denn man war seit mehr als acht Tagen von der Außenwelt vollkommen abgeschnitten.

Die Zeitungen enthielten so gute Nachrichten, dass er es sich nicht versagen konnte, sie den russischen Offizieren zu bringen … Natürlich haschte jeder nach einem Blatt. Mit triumphierender Stimme las Grete laut, was sie an Nachrichten fand: Brüssel war von unseren Truppen besetzt, die vierte, fünfte und sechste Armee hatten große Siege in Frankreich erfochten.

Die russischen Offiziere waren etwas betreten. Sie bezweifelten die Siegesnachrichten nicht, aber sie meinten, unser Vordringen in Frankreich würde bald durch ihre Übermacht wettgemacht werden.

Wolf erwiderte offen: Er erwarte das Gegenteil. Die russischen Heere hätten doch in Ostpreußen, von der Besetzung des schmalen Grenzstriches abgesehen, keine Erfolge erzielt.

»Wir haben jedenfalls noch nicht alle Truppen soweit herangezogen«, erwiderte ein Leutnant übermütig lachend. »Sie haben keine Ahnung von den gewaltigen Truppenmassen, die wir gegen Sie ins Feld führen … Wie eine Walze werden wir Ihre Heere zermalmen … Aber nicht hier. Wir brechen über Galizien durch nach Wien und über Posen nach Berlin. Da sind wir im Herzen Deutschlands … Hier brauchen wir Ihre Truppen nur im Schach zu halten.«

Noch eine Stunde blieb man in angeregter Unterhaltung beisammen, bis Tolpiga aufstand und das Auto bestellte, um nach Lyck zu fahren … Die Zeitungen steckte er ein, obwohl Wolf dagegen Einspruch erhob.

»Ihre Zeitungen verraten nichts«, meinte er lachend, »sie scheinen unter sehr strenger Zensur zu stehen.«

Am nächsten Tage war im Westen Kanonendonner zu hören, der sich wie das Grollen eines entfernten Gewitters anhörte … Es wehte ein frischer Westwind, sonst hätte man wahrscheinlich nichts vernommen … Auf jeden Fall musste die Schlacht mehrere Meilen entfernt sein. Auch nachts verstummte der Donner nicht … Am anderen Tage wurde er noch stärker … Man hatte den Eindruck, dass der Kampf an Heftigkeit zunahm. In dem dumpfen Grollen unterschied man ab und zu einige besonders starke Schläge. Ja, es schien, als ob der Kanonendonner näherkam.

Die russischen Dragoner hatten in der letzten Zeit ein sehr sorgloses Leben geführt. Die Pferde waren abgesattelt und standen in den Ställen. Die Mannschaften lagen zum Teil im Schnitterhaus, zum Teil auf der Scheunendiele.

Am Abend ordnete Tolpiga Alarmbereitschaft an … Die Pferde wurden gesattelt und auf dem Hof angepflockt … Die Dragoner hatten ihre Waffen angelegt … Patrouillen wurden nach Westen ausgeschickt.

Die Offiziere schwiegen sich aus. Es konnte aber keinem Zweifel unterliegen, dass nach Westen zu, an der Grenze, etwa südlich von Ortelsburg, eine gewaltige Schlacht im Gange war.

Am nächsten Morgen … auch die Nacht hindurch hatte es gebumst … herrschte stilles, diesiges Wetter … Der Kanonendonner schien jetzt mehr aus Südwesten zu kommen.

Ganz früh war Tolpiga auf den Hof gegangen … Er musterte noch einmal die Gutspferde und nahm, was halbwegs brauchbar schien. Dann ritt er nach Dalkowen und ließ sich auch dort die Pferde vorführen.

Wolf stand mit finsterer Miene dabei.

»Bedaure sehr, Herr Stutterheim«, sagte Tolpiga höflich, »ich führe nur aus, was mir befohlen ist.«

»Aber eine Bescheinigung werden Sie mir doch geben?«

»Ich habe keine Anweisung dazu!«

»Na, dann wird die Rechnung bei Friedensschluss beglichen werden, Herr Graf.«

Am Nachmittag ließ der Leutnant, der in Dalkowen einquartiert war, alles Getreide, was noch vorhanden war, aufladen und wegschaffen. An Vieh war schon wenig vorhanden … Jeden Tag schlachteten die Russen ein Schwein oder ein Rind oder ein paar Hammel … Sie nahmen nur die besten Fleischstücke, das andere ließen sie liegen … Das holten sich die Gutsleute, die auf diese Weise täglich frisches Fleisch im Überfluss hatten.

Am 30. August hatte Grete beim Mittag den Grafen auszufragen versucht, ob er nicht wüsste, wie die große, dreitägige Schlacht, deren Kanonendonner sie gehört hätten, ausgegangen wäre.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen« , erwiderte Tolpiga ernst.

»Dann werde ich es Ihnen sagen, Herr Graf! Ihre Truppen haben fürchterliche Prügel bekommen.«

»Woher wissen Sie das, kleines Fräulein?«

»Das lese ich Ihnen vom Gesicht ab. Sie wissen ganz genau, was sich dort abgespielt hat. Und wenn’s ein Sieg Ihrer Truppen wäre, hätten Sie ihn schon sehr energisch gefeiert.«

»Sie sind ja ganz gefährlich klug, Fräulein Gretchen.«

»Dazu gehört nicht viel Klugheit«, antwortete sie lachend. »Das fühlt doch ein Blinder mit dem Stock, dass Ihnen die Petersilie verhagelt ist … Und ich finde es nicht nett von Ihnen, dass Sie es uns nicht sagen wollen … Wir haben Ihnen doch alles mitgeteilt, was wir wussten … Wenn wir doch bald wieder eine Fliegerpost bekämen.«

Auch auf die Dragoner schien die Missstimmung ihrer Offiziere abzufärben. Sie benahmen sich nicht mehr so friedlich wie früher … Sie kamen in die Gutsküche und verlangten barsch, was sie brauchten … Die Posten vor dem Gutshause waren eingezogen worden … Zu den Mahlzeiten musste sich die Familie noch immer einfinden, aber man saß ziemlich schweigsam beieinander … Wie eine gereizte Stimmung lag es über der Tischgesellschaft.

Eines Tages, es war am 4. September, krachten bald nach Mittag vier, fünf Kanonenschüsse, die nicht sehr weit, etwa bei Bialla, gefallen sein konnten.

Fünf Minuten später saßen die Dragoner auf den Pferden und sprengten davon.

Die Gutsleute, Grete mitten unter ihnen, liefen auf die nächste Anhöhe, wo man die hoch auf einem Berge liegende Kirche von Drygallen sehen konnte. Man hörte nicht schießen, aber die Dragoner kamen auch nicht zurück.

Niemand wusste, wie das zu erklären war … War das blinder Lärm gewesen oder ein Signal, das die auf den Gutshöfen und Dörfern verteilten Truppen zusammenrief? Dann waren sicherlich irgendwo deutsche Truppen im Anmarsch.

Grete gab den Leuten ihre Meinung zum Besten, dass die Russen nach Westen zu eine große Schlacht verloren hätten und nun vor unseren Truppen zurückwichen … Sie redete sich so in Eifer, dass sie zurücklief, um es der Mutter und den Schwestern als Nachricht mitzuteilen.

Der Vater nahm an nichts mehr Anteil … Er stand manchmal auf, manchmal blieb er auch den ganzen Tag im Bett liegen … Er aß wenig, obwohl man ihm seine Lieblingsspeisen zubereitete … Frau Brettschneider war der Meinung, es sei ein melancholischer Zustand, eine Gemütskrankheit, gegen die sich nichts tun ließe.

Auch Wolf war draußen gewesen. Zu Fuß… seinen Potrimpos hatten die Russen genommen und vor einen Wagen gespannt, der Getreide wegfuhr … Auf dem Rückwege kehrte er in Andreaswalde ein … Frau Brettschneider legte ihm die Frage vor, ob es nicht ratsam wäre, zu fliehen … Er erwiderte, das wäre zu gefährlich. Der einzige Weg wäre doch nach Johannisburg zu, und da ständen aller Wahrscheinlichkeit nach noch die Russen.

»Womit sollen wir denn fliehen, Mutter«, rief Grete dazwischen. »Die fünf Gäule, die noch im Stall stehen, sind froh, dass sie das Leben haben. Zwei sind lahm, einer kann schon seit Jahren nicht mehr Trab gehen, und die beiden anderen gehören von Rechts wegen eigentlich schon dem Schinder.«

»Na, dann müssen wir schon durchhalten«, meinte Frau Brettschneider resigniert. »Wenn wir bloß jetzt nicht noch Kosaken als Einquartierung bekommen. Die fehlen uns gerade noch.«

»Das wollen wir nicht hoffen, Tante, ich habe von dem Gesindel gerade genug … Ich hoffe aber stark, dass die Russen westlich von uns eine Niederlage erlitten haben, und sich infolgedessen zurückziehen.«

»Siehst du, Wolf, das ist auch meine Meinung«, rief Grete erfreut aus. »Die Kanonenschüsse waren bloß ein Signal. Konntest du nicht aus deinem Fuchs nach Bialla zureiten und rekognoszieren?«

»Nein, das kann ich beim besten Willen nicht, Gretchen, mein Potrimpos ist leider schon auf dem Wege nach Russland, und wenn ich ihn auch hätte, würde ich mich sehr dafür bedanken, den Russen ohne Grund nahe zu kommen … Ich denke, wir tun am besten, ruhig abzuwarten, was das Schicksal über uns verhängen wird.«