Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt

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Anaxagoras

(*um 500 v. Chr. Klazomenai/Kleinasien,

† um 425 Lampsakos)

Empedokles

(um 485 v. Chr, Akragas [heute Agrigento], † um 425)

In Milet, wo seinerzeit allem Anschein nach eine erste Philosophenschule bestand, wurde auch der aus dem nahen Klazomenai stammende Anaxagoras stark durch die Lehren von Ana­ximandros und Anaximenes beeinflusst und kam dann um das Jahr 480 in das noch altgläubige Athen, wo er mit seinen die Welt entmythologisierenden aufklärerischen Lehren rasch bedeutende Männer wie Perikles und Euripides zu Freunden und Anhängern gewann. Um das Jahr 430 v. Chr. wurde er jedoch gerade wegen dieser Lehren der Gottlosigkeit (Götterleugnung) angeklagt – wie später Sokrates. Allein das Eingreifen von Perikles bewahrte ihn vor der Todesstrafe. Er musste allerdings Athen verlassen und begab sich nach Lampsakos am Hellespont, wo er nach wenigen Jahren hoch geachtet verstarb.

Empedokles, dessen Wanderleben als Redner, Arzt, Sühnepriester und ›Magier‹ ihn durch Sizilien und die Peloponnes führte, war wie Pythagoras eine jener frühen, offenbar vom Orient her beeinflussten mystischen Gestalten, die heilend, ordnend und schlichtend durch die Lande zogen, scheinbar mit übernatürlichen Kräften über die Elemente und Geister ausgerüstet – wie sich Empedokles durchaus auch selber sah – und von ihren Anhängern abgöttisch verehrt, weshalb sie schnell von vielen Legenden umrankt waren. Empedokles war die wohl profilierteste dieser widersprüchlichen Persönlichkeiten. Er bediente sich für die ›Verkündung‹ seiner Erkenntnisse und Lehren auch hexametrischer Lehrgedichte in der gebundenen Sprache des Epos, die auch wie Ilias und Odyssee von Rhapsoden vorgetragen und so verbreitet wurden. Aus umfangreichen Fragmenten sind noch zwei seiner großartigen Dichtungen in groben Umrissen bekannt, von denen die später ›Über die Natur‹ benannte seine Naturlehre enthielt.

Beide unternahmen gleichzeitig mit den Atomisten Leukippos und Demokritos die drei älteren Versuche, das allein erkennbare unveränderliche Sein der Ontologie des aus Elea stammenden Parmenides mit der von den milesischen Naturphilosophen erkannten Veränderlichkeit aller natürlichen Dinge in Einklang zu bringen, wonach, wie Herakleitos pointiert formulierte, ein Ding etwas ist (eine Eigenschaft hat: groß, bunt, hart usw.) und im nächsten Augenblick dies nicht (mehr) ist. Solches Loslösen der Kopula ›ist‹ aus dem Satzverband, das ihr ohne das Prädikativum den Sinn einer Aussage schon selber beimisst, so dass dasselbe ist und nicht ist, führte Parmenides zu einer strengen Scheidung von Sein und Nicht-Sein: Das Sein (oder das Seiende) selbst sei der gewohnten sinnlichen Erfahrbarkeit entrückt, sei nicht-gegenwärtig, anderswo als das sinnlich Erfahrbare; es sei als Nicht-Gegenwärtiges nur durch die Fähigkeit zu erfassen, die Fernes vergegenwärtigen kann, durch die Vorstellungskraft, das Denken. Da Gleiches Gleiches erkenne, seien erkennendes Subjekt und erkanntes Objekt, seien Denken und Sein identisch; und da es nicht unterschiedliches Denken gebe, sei auch das Sein (das Seiende) ein einheitliches und unterschiedsloses, das Eine, das keiner Veränderung (Bewegung), keinem Entstehen und Vergehen ausgesetzt sein könne. Das Nicht-Seiende wäre das Körperlose und Leere. Da das Sein sowohl das Volle als auch das Reale sei, könne ein Leeres nicht sein; das Sein sei dagegen das alles Ausfüllende und damit die alles umfassende (sphärische) Einheit. Allein diese Gemeinschaft alles Seienden sei denkbar, und damit auch erkennbar, nur von ihm ließen sich aufgrund seiner Unveränderlichkeit allgemein gültige, ›wahre‹ Aussagen treffen. Einzeldinge können nicht gedacht werden. Ihre sinnlich wahrnehmbare Vielheit und Gesondertheit rühre von der Trennung durch die nicht reale Leere her; folglich seien sowohl ihre Vielheit als auch ihre Bewegung und Veränderlichkeit nicht-seiend, und deren scheinbare Erfahrbarkeit beruhte auf bloßem Trug und Schein, man könne etwas über sie meinen, aber nicht denken und wissen. – Diese zwei ›Welten‹ bilden dann auch die Grundlage für die Ideenlehre eines Platon.

Unter dem Einfluss dieser Ontologie musste die Veränderlichkeit der wahrnehmbaren natürlichen Welt relativiert werden, um ihr ›Sein‹ im Sinne von ›Existenz‹ zu wahren, und dazu bedurfte es einer Vervielfältigung dieses parmenideischen Seienden, um die Veränderlichkeit dieser Welt im Sinne des Parmedides als scheinbar erklären zu können: Es gebe keine Veränderung, kein Entstehen oder Vergehen; was so erscheint, sei bloße Mischung und Trennung von unveränderlichem Seienden in Form von notwendig gleichartigen Partikeln.

Empedokles legte vier unveränderliche ›Wurzelkräfte‹, die späteren Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, als materielles Sein zugrunde, ergänzt durch die verbindende ›Liebe‹ und den trennenden ›Streit‹ als bewegende Kräfte. Diese ließen aus der ursprünglich gleichmäßigen Verteilung der Elemente innerhalb des ›Sphairos‹ (wie bei Parmenides) den Kosmos entstehen und bewirkten an den Grenzen zwischen Erdscheibe und Luft/Feuer-Reich ein ständiges vermeintliches ›Entstehen‹ und ›Vergehen‹. Die einzelnen Partikel mischten sich mechanisch, wenn sie in ihren äußeren Formen zu- und ineinander passten, doch weitgehend zufällig und ohne Plan. Eine Teleologie fehlt noch gänzlich: In der stufenweisen Entwicklung der Lebewesen seien vielmehr die anfänglichen, zufällig zusammengekommenen Miss- und Mischgestalten im Kampf ums Dasein den tauglicheren Formen der Lebewesen mit zueinander passenden Organen unterlegen gewesen.

Diese erste Elementenlehre, die auf die Folgezeit besonders mit ihrer Vierzahl unterschiedlicher Partikel starken Einfluss ausübte, ist verbunden mit einer umfassenden naturphilosophischen Theo­rie, der Porenlehre, mit deren Hilfe es Empedokles gelang, zahlreiche Erscheinungen und Wirkungen einheitlich zu erklären: Alle Partikel besäßen Poren, die ineinander passten oder nicht, die Gänge offen ließen (Durchsichtigkeit) usw. Die fünf Wahrnehmungsarten konnten so erstmals auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden: Wie beim Tasten und Schmecken müsste auch für die anderen Sinne ein Kontakt zwischen Wahrgenommenem und den Sinnen stattfinden. Er denkt dabei an feine Ausflüsse der wahrgenommenen Dinge, die genau in die Poren der entsprechenden Sinnesorgane passen. Treffe Passendes aufeinander, so werde wahrgenommen. Das Blut bilde die harmonischste Mischung und reflektiere die Wahrnehmungen als Denkorgan.

Anaxagoras erklärt die Veränderlichkeit der Natur mit der Annahme, dass alle Dinge und Stoffe bereits in allem vorhanden seien, so dass nichts neu ›entstehe‹: Wachse ein Lebewesen nach Aufnahme von Nahrung, bildeten sich also aus dieser organische Stoffe wie Fleisch und Knochen, so müssten solche Knochen- und Fleischteilchen, da Veränderungen nicht möglich wären, bereits in der Nahrung enthalten gewesen sein. Auch diese Idee wird konsequent zu Ende gedacht: Alle Stoffe seien in unendlich kleinen gleichartigen Teilchen von unendlicher Anzahl, die Aristoteles später ›Homoiomerien‹ nannte, in jedem noch so kleinen Stückchen Materie enthalten. Welche Teilchenart überwiege, als das erscheine uns ein Ding oder Stoff. Entstehen und Vergehen werden als Zusammen- und Auseinandertreten vorwiegend gleichartiger Teilchen gedeutet. Ursprünglich seien sämtliche Teilchen, zu einer notwendig qualitätslosen Masse gemischt, gleichmäßig verteilt gewesen. Von dem neben dem Stoff bestehenden ›Geist‹ in Bewegung gesetzt, sei es allmählich zu einer Scheidung gekommen. Verwandtes strebte zueinander und vergrößerte, selbst bewegt, den allgemeinen Wirbel, in dessen Mitte sich schließlich die flache Erdscheibe aussonderte, wie ein Deckel von der Luft getragen. Der Wirbel der feurig-ätherischen Luft habe der festen Erde dann Felsmassen entrissen, emporgetragen und teilweise zum Glühen gebracht. Dies seien die leuchtenden Gestirne, während andere, dunkle Massen in den unteren Himmelsregio­nen herumwirbelten, uns mit Ausnahme des Mondes, der das Sonnenlicht reflektiere, unsichtbar – Anaxagoras erkannte erstmals die Bedeutung der Stellung des Mondes zur Sonne für die Phasenbildung und deutete die Helligkeitsunterschiede als Berge und Täler auf dem bewohnten Mond; auch das Entstehen von Sonnen- und Mondfinsternissen erklärte er richtig. Das Entstehen einer Leere sei gar nicht möglich, weil Winde als Wärme und Volumen ausgleichende Luftströmungen fungierten, und dass die Sonnenwärme die Luft ständig in Bewegung halte, zeigten ja die sogenannten Sonnenstäubchen. Sie habe auch die Feuchtigkeit der Erde auf die jetzigen Meere reduziert, und die Intensität ihrer Rückstrahlung von der Erde bewirke die verschiedenen Wolkenhöhen: Der Niederschlag besonders hoher Wolken, die aufgrund starker Rückstrahlung in kalte Regionen gehoben würden, gefriere dort zu Hagel. Den Regenbogen erklärte er als Reflex des Sonnenlichtes an einer Wolke, und die Nilschwelle führte er auf sommerliche Schneeschmelzen im Quellgebiet zurück. Das erste Leben auf der Erde sei aus in der Luft enthaltenen Keimen entstanden. Nachdem die Erde belebt worden sei, habe der ganze Kosmos sich nach Süden geneigt, so dass der Himmelsäquator jetzt schräg zum Horizont stehe.

Noch stärkeren Einfluss als dieses uns heute als eigenartige Mischung von richtigen Ahnungen und falschen Vorstellungen erscheinende physikalische Weltbild übte der erstmals streng durchgeführte Dualismus von Geist und Stoff auf die großen attischen Philosophen Platon und Aristoteles und damit auf die Folgezeit aus: Die Materie sei selbst unbewegt, der unabhängig neben ihr bestehende Geist der Welt (und der Lebewesen) verursache erst die Bewegung und das daraus resultierende Entstehen und Vergehen. Hiermit war die spätere Antinomie Kraft–Stoff vorbereitet, und Platon und Aristoteles warfen Anaxagoras nur vor, nicht die von ihnen gezogenen Konsequenzen aus diesem weltbewegenden Geist gezogen zu haben, insofern er ihm nur den ersten Anstoß zur Bewegung ausführen ließ, um das natürliche Geschehen dann ›mechanisch‹ ablaufen zu lassen.

 

Atomisten

Leukippos

(* um 480 v. Chr. Milet, † um 420),

Demokritos

(* um 460 v.Chr. Abdera, † um 370)

Epikuros

(* 10. Gamelion 341 v. Chr. Samos, † 270 Athen)

Auch Leukippos hatte aus politischen Gründen seine kleinasiatische Heimat verlassen und war in den Westen gezogen. In Elea war er dann Schüler Zenons, des Nachfolgers von Parmenides, und hatte hier nach den heimischen Eindrücken milesischer Naturauffassung Einblicke in die ihr widersprechende eleatische Ontologie erhalten. Anders als Anaxagoras und Empedokles versuchte er, diesen Widerspruch durch seine Idee einer Atomi­s­tik zu überbrücken. Nach 450 begab er sich in das thrakische Abdera und gründete dort eine eigene Schule. Sein bedeutend­ster Schüler wurde hier Demokritos, der in einer Fülle nicht mehr erhaltener Schriften die Atomistik auf alle damaligen Gebiete der Wissenschaft ausdehnte und damit trotz der Ablehnung durch die von Platon und Aristoteles geprägte spätere Naturwissenschaft starken Einfluss auf deren Denken ausübte. Die Einwände, die besonders Aristoteles gegen die Atomistik vorbrachte, versuchte dann Epikuros, der 327 bis 324 in Teos demokritische Philosophie und anschließend während seiner Militärzeit in Athen bei Aristoteles studiert hatte, mit seiner Modifizierung zu entkräften. Seine ab 321 in Kolophon entwickelte Philosophie lehrte er in Mytilene und Lampsakos, bevor er in Athen im Jahre 307/06 auf einem großen Gartengrundstück eine eigene Schule gründete – die dritte nach der Akademie Platons und dem Peripatos Ari­stoteles’, der um 300 als vierte länger bestehende Schulgründung hier die der Stoa folgen sollte. – Es hängt sicherlich mit der scharfen Ablehnung durch die einflussreichsten griechischen, später auch christlichen Philosophen zusammen, dass bis auf drei Briefe, in denen Epikuros seine Philosophie Epikureerzirkeln erläutert, aus den Schriften der Atomisten nur Bruchstücke aus Zitaten bei späteren Autoren erhalten sind. Der epikureischen Form der Atomistik ist allerdings auch ein vollständig erhaltenes, lateinisches hexame­trisches Lehrgedicht in mehreren Büchern des Epikureers Lu­krez (Titus Lucretius Carus) mit dem Titel ›De rerum natura‹ gewidmet, das posthum im Jahre 54 v. Chr. von Cicero herausgegeben wurde.

Leukippos scheint direkt durch die scharfsinnigen Paradoxien Zenons gegen die Vielheit und Bewegung der Dinge und den Raum zu der Annahme von nicht weiter unterteilbaren klein­sten Teilchen geführt worden zu sein: Ohne ein dazwischen tretendes Leeres sei eine Zerlegung eines Körpers nicht möglich. Eine Zweiteilung von Körpern bis ins Unendliche (wie bei Ana­xagoras) setze deshalb voraus, dass die Körper auch bis ins Unendliche kleinste Hohlräume enthielten, ja schließlich nur aus Hohlräumen bestünden – also seien die Teilbarkeit und somit die Vielheit sowie als Voraussetzung dafür die Leere nichtseiend, hatte Zenon mit Parmenides geschlossen; also muss die Teilbarkeit eine untere Grenze haben, schloss dagegen Leukippos. Die Teilchen der Materie, durch die ein Körper stofflich und raumerfüllend ist, müssten folglich vollkommen frei von irgendwelchen Hohlräumen, also ganz ›voll‹ sein. Was aber überhaupt keine Leere enthält, ist unteilbar, griechisch ›atomos‹, und damit in jeder Hinsicht unverletzlich, also auch unveränderlich. Diese ›Atome‹ müssen aber als Seiende im Sinne des Parmenides auch unentstanden, einheitlich und – jetzt, als Kunstgriff: wegen ihrer Kleinheit – nur denkbar sein. Da Veränderung auf örtlicher Bewegung beruhe, komme ihnen als einzige Eigenschaft diese Bewegung zu; um sich als unveränderlich Raumerfüllendes bewegen zu können, bedürfe es des Platzes, des Nicht-Erfüllten, der Leere, des unbegrenzten leeren Raumes, in dem die deshalb unendlich vielen Atome jeweils unendlich vieler verschiedener Formen sich ungeregelt bewegen, sich anstoßen und dann wirbelnd zusammenballen, um sich durch stärkere äußere Einflüsse wieder zu entwirren. Nicht nur einzelne Dinge, sondern ganze Welten, unendlich an Zahl und Unterschieden, entstünden und vergingen so überall. Die Kohäsion wird neben der Wirbelbewegung durch mechanisches Ineinandergreifen dazu geeigneter Atomformen (Haken, Ösen und dergleichen) gedeutet. Aber nicht nur in der Form unterschieden sich die Atome, wie die Buchstaben A und N, sondern auch die Lage (wie N und Z) und die Gruppierung (AN/NA) führe zu anderen Gesamtformen und Wirkungen – erst Demokritos, aus dessen Schriften die Lehren des Leukippos in erster Linie bekannt wurden, scheint als vierten Unterschied die Größe hinzugefügt zu haben; denn er lässt auch Atome weit über der Sichtbarkeitsgrenze zu, etwa einatomige Gestirne.

Aus solchen verschieden gestalteten, verschieden zueinander gelagerten und verschieden gruppierten, unteilbaren und qualitativ nicht unterschiedenen, von sich aus immer bewegten, unvergänglichen und unveränderlichen kleinsten vollen Teilchen bestünden alle sichtbaren und nicht sichtbaren Körper, auf ihnen beruhten all ihre scheinbaren Eigenschaften und deren Wahrnehmbarkeit (als Folge von atomaren Ausflüssen der Dinge, beim Sehen von kleinen ›Bildchen‹) – wie aus denselben Buchstaben die verschiedensten Texte unterschiedlicher literarischer Gattungen und Wirkungen entstünden. Ihre qualitativen und quantitativen Veränderungen seien scheinbar und beruhten auf solchen der Gruppierung und Lage der Atome oder auf einem Eindringen neuer Atome, die den alten Atomverband aber auch sprengen könnten. Die Formen müssen also so beschaffen sein, dass sie bei der Zusammenballung mehr oder weniger große Hohlräume lassen, wie sie auch zwischen den diskreten Dingen bestehen.

Die ältere antike Atomistik konnte so zwar alle Dinge und Erscheinungen irgendwie deuten, aber nicht erklären, wie es zu diesen Dingen und Vorgängen kommt, da die Bewegungen ausdrücklich auf Zufall beruhen sollten; es fehlte ihr ein Prinzip, das immer wieder gleichartige Dinge entstehen lassen würde. Ein zweiter Grund für die generelle Nichtanerkennung der Ato­mistik in Antike und Mittelalter war der Widerspruch, dass sowohl das Seiende, die Atome, als auch das Nicht-Seiende im Sinne des Parmenides, die Leere, als gleichermaßen seiend, als existent gedacht werden mussten. Epikuros vermochte zwar später einzelne Einwände auszuräumen, konnte aber diese beiden fundamentalen auch nicht entkräften, so dass die Atomistik naturwissenschaftliche Bedeutung erst wieder als Modifizierung der ›minima naturalia‹-Lehre des Aristoteles erhalten sollte, die zu den neuzeitlichen Ansätzen einer Atomtheorie bei Da­niel Sennert und Robert Boyle führte, zumal Pierre Gassendi bereits bei seiner Neuerschließung der epikureischen Schriften einen starken Einwand des christlichen Mittelalters entkräftete, indem er die Atome als von Gott erschaffen statt als ewig und ungeworden deklarierte.

Ein starkes Kriterium für die Ablehnung insbesondere auch durch die christlichen Philosophen und Naturwissenschaftler des Mittelalters und der frühen Neuzeit war aber die ausdrückliche Leugnung jeden Gottes und der Hedonismus bei Epikuros: Das Sein sei nicht transzendent hinter oder über den Dingen, sondern in ihnen, es bestehe in und aus den Atomen und stehe nicht im Gegensatz, sondern in Relation zum Werden; folglich könne dem Sein oder einem Seienden, das in die Ursache-Wirkung-Relation der Atomwirbel einbezogen sei, keine absolute Geltung zukommen, und gebe es keine außermenschlichen Normen und Rechte. Selbst die – als Konzession an die Tradition – menschengestaltigen Götter bestünden aus Atomballungen; sie seien zwar unvergänglich, könnten aber gerade wegen ihrer Unveränderlichkeit niemals Ursache für irgendein Geschehen sein. Sie stünden außerhalb dieser Welt und könnten von dieser auch nicht erreicht werden. Es gebe aber auch keine absolut gültige Aufgabe für den Menschen; die Erkenntnis von Naturvorgängen habe vielmehr ihren relativen Wert allein darin, den Menschen frei von Schmerz, äußerer Unruhe und Götterfurcht zu machen, ihm zu innerer Ruhe zu verhelfen. Diese Forderung nach Befreiung und Abschirmung gibt der Philosophie von Epikuros den Charakter einer Heilsbotschaft, die einerseits stärker als der naturkundliche Unterbau in Hellenismus und Spätantike wirkte und zur Entstehung kleiner sich nach außen abschließender Epikureerzirkel führte, die – wie das Beispiel des Lukrez zeigt – auch die Physik pflegten, andererseits aber Außenstehenden die unverstandene ganze Philosophie suspekt erscheinen ließ. Besonders die frühen Kirchenväter machten die Epikureer zum Inbegriff eines unmoralischen und gottlosen Lebens.

Auch der Atomismus selbst unterscheidet sich bei Epikuros in einigen Punkten aufgrund der Berücksichtigung zwischenzeitlicher Einwände von dem älteren: Die Zahl der Formen der Atome ist nicht mehr unbegrenzt; für Größe und Gestalt gelten vielmehr Ausschlussprinzipien. Die ursprüngliche Atombewegung verläuft nicht vollkommen ungeordnet nach allen Seiten, sondern einheitlich von oben nach unten: Zufällige Abweichungen von dieser Richtung führten zu zusätzlichen Stoßbewegungen, woraus Wirbel entstünden, die eine Weltbildung einleiteten. Die Erkenntnistheorie ist im Anschluss an Empedokles und die älteren Atomisten und im bewussten Gegensatz zu Platon und Aristoteles rein materialistisch: Jede Erkenntnis beruhe auf Wahrnehmung, und alle Wahrnehmungen seien wahr – Irrtümer beruhten auf falschen Schlüssen und Urteilen –; denn sie entstünden durch atomistisch-materielle Bildchen (›eidola‹), welche von allen Dingen ausgestoßen und durch die passenden Poren in den Sinnesorganen zur menschlichen Seele dringen würden.

Aristoteles

(* 384 v. Chr. Stageira [Halbinsel Chalkidike],

† 322 Chalkis [Insel Euböa]).

Der wohl bedeutendste, zumindest einflussreichste Philosoph und Naturforscher des Abendlandes Aristoteles, der die ihm vorliegenden Gedankengebäude unter neuen Gesichtspunkten zusammenfasste und in sein System integrierte, entstammte einer alten Arztfamilie; der Vater Nikomachos war Leibarzt des makedonischen Königs Amyntas. Für denselben Beruf bestimmt, ging Aristoteles nach Athen und trat mit 17 Jahren in die platonische Akademie ein, der er zwanzig Jahre als Schüler und Lehrer angehörte. Er hatte sich in dieser Zeit offensichtlich auch schon so weit von den Grundlehren Platons entfernt, dass dieser, um den Bestand seiner Schule und Lehre bedacht, nicht ihm, dem begabtesten seiner Schüler, die erhoffte Nachfolge in der Leitung der Akademie übertrug. Aristoteles folgte deshalb 347 dem Angebot eines ehemaligen Mitschülers nach Assos, verlegte aber bereits 345 seinen Wohnsitz nach Mytilene auf Lesbos, der Heimat des Theophrastos, mit dem er hier hauptsächlich Material für die gemeinsamen biologischen Forschungen sammelte. Im Jahre 342 folgte er einem Ruf Philipps II. von Makedonien an den Hof in Pella und wirkte hier als Erzieher des Prinzen Alexander, der nach der Ermordung Philipps 336 König von Makedonien wurde. Aristoteles war sicherlich ein Gegner der nun verstärkt einsetzenden Großmachtpolitik Makedoniens, besonders aber des orientalischen Gepränges, mit dem Alexander der Grosse sich umgab und das ihm viele Feinde in Griechenland schuf; und auch dem Plan einer Hellenisierung des gesamten Ostens stand Aristoteles ablehnend gegenüber. So folgte er auch 334 nicht dem Zuge Alexanders, sondern begab sich nach Athen, um hier mit Unterstützung des makedonischen Statthalters Antipater eine eigene Schule, das Lykeion, später auch ›Peripatos‹ genannt, neben der Akademie zu gründen, eine straff organisierte Unterrichts-, besonders aber Forschungsstätte. Wegen seiner engen Beziehungen zum makedonischen Königshof wurde Aristoteles nach Bekanntwerden des Todes von Alexander (323) besonders von national und altgläubig eingestellten Kreisen Athens angefeindet. Einem gegen ihn angestrengten Prozess wegen angeblicher Gotteslästerung entzog er sich rechtzeitig durch die Übersiedlung auf das Landgut seiner Mutter in Chalkis, »um den Athenern nicht Gelegenheit zu geben, sich ein zweites Mal an der Philosophie zu versündigen«, wie er in Anspielung auf den Sokrates-Prozess und dessen Ausgang meinte. Hier erkrankte er jedoch bald an einem Magenleiden und starb nach wenigen Monaten. Die Nachfolge in der Leitung des Peripatos hatte er zuvor seinem Freund und Schüler Theophrastos übertragen.

Aristoteles hat eine Fülle von Schriften zu fast allen Bereichen damaliger Wissenschaft hinterlassen. Während jedoch die zur Veröffentlichung bestimmten kleineren Werke allgemein philosophischen Inhaltes verlorengingen und nur aus Fragmenten bekannt sind, ist ein großer Teil seiner mehr oder weniger abschließend redigierten Vorlesungsskripte (und -nachschriften) erhalten – genau umgekehrt wie bei Platon. Wenn auch die antiken Aristoteles-Bibliographien sehr viel mehr Schriften nennen, so reichte doch die im ersten vorchristlichen Jahrhundert von dem damals führenden Peripatetiker Andronikos von Rhodos in der auch überlieferten Form zusammengestellte Ausgabe der Hauptwerke aus, eine die stoische Philosophie und Naturwissenschaft zurückdrängende Aristoteles-Renaissance einzuleiten, welche die Naturwissenschaften und, neben dem Neuplatonismus, auch die abendländische und arabische Philosophie der Folgezeit bis tief in die Neuzeit und teilweise bis in die Gegenwart beeinfluss­te und zeitweilig beherrschte. Da allein die logischen Schriften von Anicius Manlius Torquatus Severinus Boethius ins Lateinische übersetzt und kommentiert wurden, sind insbesondere die naturwissenschaftlichen Schriften außerhalb des griechisch sprechenden Ostreiches (Byzanz) im lateinischen Mittelalter erst wieder seit der Übersetzertätigkeit des 12. Jahrhunderts über die arabisch-lateinische Traditionskette bekannt geworden, in der griechischen Originalfassung meist sogar erst seit der Untergangszeit des Byzantinischen Reiches. Trotz neuplatonischer, averroistischer, thomistischer und allgemein scholastischer Verfremdungen blieben die aristotelischen Lehren, die man seit dem 16. Jahrhundert wieder in ihrer Ursprünglichkeit erfassen wollte, Richtschnur und Leitbild naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Denkens, bis sie Stück für Stück durch andere Ideen ersetzt wurden.

 

Im Gegensatz zu Platon entnahm Aristoteles seine Prinzipien dem unmittelbaren Erfahrungsbereich, dem für ihn aber neben der sinnlich wahrnehmbaren Welt gleichberechtigt auch der Bereich der Sprache und Logik angehörte. Sinnliche Erfahrung, Sprache, Denkinhalte und Sein bildeten dieselbe Erkenntnisstufe und seien aufeinander abbildbar. Das Sein sei somit auf das ­sinnlich Erfahrbare und daraus Ableitbare beschränkt; es sei dieses oder sei in ihm. Platons neben der wahrnehmbaren (Schein-)Welt getrennt existierenden, allein seienden ›Ideen‹ werden von ihm deshalb ebenso abgelehnt wie dessen mathematische Struktur des Seins. Mathematik sei allein denkbar und trage als andere Seinsform zur Erkenntnis der Zustände und Vorgänge der Natur und insbesondere der materiellen Natur nichts bei. Sie diene ­allein der Beschreibung bestimmter nebensächlicher (ak­zidenteller), nicht das Wesen der Dinge betreffender Phänomene, nicht aber der Begründung und Erfassung der Dinge und Vorgänge selbst, ihres ›Wesens‹, was auch für Platon schon die alleinige Auf­gabe einer Wissenschaft ausgemacht hatte. Naturwissenschaft geht deshalb für Aristoteles nicht nur empirisch vor und prüft ihre teilweise auch deduktiv oder in einem anderen Bereich (Sprache) induktiv gewonnenen Ergebnisse an der sinnlichen Erfahrung, sondern ist daneben notwendig rein qualitativ. – Der Gegensatz von ›natürlich‹ und ›künstlich‹, in der Sophistik entstanden, erfährt durch Platon und Aristoteles eine naturphilosophische Begründung. Greift der Mensch danach gewaltsam (›künstlich‹) in den Ablauf der Natur ein, so stört er das natürliche Verhalten der Dinge und betrachtet dann nicht die Natur, sondern ›Kunst‹ – nur innerhalb dieser ›Kunst‹ (= Technik) ist für Aristoteles deshalb so etwas wie ein ›künstliches‹ Experiment angebracht. Auch die mathematischen Wissenschaften galten als solche ›Künste‹ (›Freie Künste‹: Arithmetik, Geometrie, Harmonielehre, Astronomie, von Boethius als Quadrivium zusammengefasst; ›mechanische Künste‹), so dass auch die Betrachtung und Erfassung ›gewaltsamer‹ Bewegungen mathematisch erfolgen konnte: Des Aristoteles ›dynamisches Grundgesetz‹ bringt so Weg, Zeit und ›Kraft‹ bei gewaltsamen Bewegungen, für die ein ständiger äußerer Antrieb nötig sei, in Beziehung; seine Übertragung auf widernatürliche Bewegungen mittels ›mechanischer‹ Geräte, die jeweils aus geradlinigen resultierende Kreisbewegungen bewirken, macht Aristoteles zum Begründer der Mechanik auf dynamischer Grundlage – was Galileo Galilei später neben der Statik des Archimedes wieder aufnahm, nur dass dieser dann solche Bewegungen auch als ›natürliche‹ deutete. Den ständigen Antrieb erklärte Aristoteles bei der Wurfbewegung mit einer sukzessiven Übertragung der bewegenden Kraft auf das Medium (Luft); aus der Kritik hieran entstand bei dem im 6. Jahrhundert in Alexandria wirkenden neuplatonischen Aristoteles-Kommentator Ioannes Philoponos die Impetustheorie, die schon bei Aristoteles selbst in den ›Quaestiones mechanicae‹ anklingt. In dieser Schrift, die ihm später zu unrecht abgesprochen wurde, behandelte er die Wirkweise von einfachen Maschinen mittels eines ›Prinzips der ungleichen konzentrischen Kreise‹, auf die sie alle reduziert werden (Flaschenzug und Schraube sind ihm noch unbekannt).

Aus der Beschränkung auf diese Sehweise und die Beschreibung der Aristoteles als akzidentell geltenden Eigenschaften sollte in der Neuzeit unsere Naturwissenschaft entstehen; die Naturwissenschaft des Aristoteles dagegen betrachtete allein ›natürliche‹ Vorgänge und Zustände, die ›Natur‹ der Dinge: Jede Art von Bewegung oder Veränderung (qualitative, quantitative, örtliche) erfolgt durch den natürlichen oder gewaltsamen Wechsel einer akzidentellen Eigenschaft an einem Bleibenden (›sub­stratum‹, ›subjectum‹) innerhalb eines Gegensatzpaares (schwarz/weiß, warm/ kalt, oben/unten usw.). Ortsbewegung etwa ist so der Wechsel eines Ortes A in den Ort B ohne sonstige Veränderung des Bewegten; auch hier werden nur die Endzustände betrachtet, nicht der Bewegungsvorgang als solcher (Kinematik), was auf den Einfluss der eleatischen Ontologie eines Parmenides zurückzuführen ist. Die neue Eigenschaft muss in dem Gegensatzpaar potentiell bereits angelegt sein, sie wird nur aktualisiert (wirklich). Erfolge eine Veränderung von Natur aus – für ›natürliche‹ Bewegungen sei der Antrieb in dem Ding selbst –, so bestehe sie in der Verwirklichung der naturgemäßen Anlagen, des eigentlichen Zweckes (griechisch ›telos‹), von Aristoteles ›Entelechie‹ genannt. Dagegen gerichtete gewaltsame Veränderungen bedürften deshalb eines ständigen Einwirkens von außen, nach dessen Aufhören das Ding seiner ›Entelechie‹ wieder zustrebe. – Für alle Dinge, Zustände und Vorgänge seien jeweils vier Prinzipien, Ursachen, verantwortlich, die ›causa materialis‹ (Stoff), ›causa formalis‹ (Form, Gestalt, Seele, bestehend aus den wesensgemäßen, essentiellen Eigenschaften), ›causa movens‹ (Antrieb) und ›causa finalis‹ (Zweck, Sinn) – die moderne ›kausale‹ Betrachtungsweise beschränkt sich im Anschluss an Immanuel Kant auf die ›causa movens‹ –, wobei die vorletzte gewaltsam beeinflusst werden könne, ohne das Ding selbst zu verändern. Eine gewaltsame Veränderung einer der anderen ›causae‹ habe jedoch eine Wandlung des Dinges selbst zur Folge, es vergehe und entstehe als ein neues, anderes. So erklären sich die Umwandlung und der Kreislauf der vier irdischen ›Elemente‹ aufgrund des Umschlags einer essentiel­len Eigenschaft, warm in kalt, trocken in feucht und umgekehrt: Erde (trocken und kalt), Wasser (feucht und kalt), Luft (feucht und warm), Feuer (trocken und warm), und aus der empirisch gewonnenen Zweizahl der Gegensatzpaare die Vierzahl der ›Elemente‹, wie sie Empedokles vorgegeben hatte. – Das dem Wechsel dieser Elemente zugrundeliegende, für Aristoteles aber nie als solches aktualisierte Bleibende, die für die Aufnahme von wesensbestimmenden Eigenschaften empfängliche ›prima materia‹ (eigenschaftslose Urmaterie), sollte zur naturphilosophischen Voraussetzung der späteren Mutationstheorie der Alchemie werden.