Das Geheimnis der Letzten

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„Man muss das Rad etwas beseelen“, sagte Franz, „dann ist das Fahren gar nicht so geisttötend. Ich fuhr heute geradeaus in die Sonne.“

„Sie fuhren …? Ei, sie fuhren geradeaus in die Sonne?“ Mit wirrer Kopfbewegung hob er die verhangenen Augen gegen das matte Licht des Fensters: „Sie fuhren …? Nein, was sie doch für ein glücklicher Mensch sind! Sie fuhren geradeaus in die Sonne? Ich habe zu so etwas keine Zeit! Ich muss es noch einmal sagen: Ich habe absolut keine Zeit zu solchen Sonnenfahrten! Ich“ – und nun lächelte er, als legte er mit Galgenhumor ein betrübendes Bekenntnis ab – „ich habe heute Zinsen eingetrieben“ – mit einer bitteren Freude betonte er den Gegensatz – „Häuserreparaturen beaufsichtigt und mich um Mieter für zwei Wohnungen bemüht, die mir schon allzulange leer standen. Ich habe ein halbes Dutzend Mahnbriefe an faule Schuldner geschrieben, Prozessgeschichten abgewickelt, Landverkauf geordnet. Nein, was war es heute nicht wieder alles! Sehen Sie, da ist mir leider keine Zeit geblieben zu solchen Vergnügungen, wie Sie sie da auf Ihrem beseelten Rade genossen haben!“

Franz wollte antworten. Er wollte entgegnen, dass ihn die Sorge hierher getrieben habe.

Er griff nach der Rechnung.

Aber der reiche, schwachsichtige Winkels hielt diesen Griff für eine Gebärde des Beleidigtseins. Schnell sprang er auf ihn zu, legte ihm die dicke, weiße Hand auf die Brust, gerade dahin, wo die Rechnung knitterte, und hub an: „Nein, nein, es ist gut, dass Sie auf diese Weise mal hierhergekommen sind! Sie wissen ja gar nicht, was das für mich bedeutet! Wie Sie mich damit bereichern! Wenn man so vereinsamt ist, wie ich es bin! Wenn man niemanden hat, dem man sein Inneres offenbaren kann! O ich sage Ihnen, immer dieser erbärmliche Erwerb! Immer in der Abwehr gegen Abscheulichkeiten! Ja, unglaublich, gegen welche Abscheulichkeiten! Betrug, Unterschlagungen, Hintergehungen Veruntreuungen! Begangen von Leuten, denen sie jahrelang blindes Vertrauen geschenkt haben! Und Sie kommen durch dieselben Leute um Ihr Geld!“

Gerade brachte das Mädchen den Wein und die Gläser.

Das brachte den reichen Winkels wieder zu sich.

„Lassen Sie einmal sehen, Käthe, ob es der richtige ist!“ fragte er plötzlich gesammelt, hielt die Flasche, als ob er jetzt ganz gut sähe, ins letzte Licht des Tages, schickte mit einem knappen Wort das Mädchen fort und begann trotz der Dämmerung mit gewandter Hand die Gläser zu füllen, dabei redend: „… ja, was wollte ich doch sagen?“ Auch das zweite Glas füllte er. „Ja, … na, was wollte ich doch sagen …? Da sehen Sie!“– entsetzt stieß er die Flasche auf den Tisch – „Da sehen Sie! So verlässt mich mein Gedächtnis oft vollständig! Ich sage Ihnen: Ich werde total aufgerieben in diesem Kampf! Mein Kopf ist wirr“ – schlenkernd fingerten die Hände über die Glatze hin – „mein Kopf ist … ja, ich weiß überhaupt manchmal nicht mehr, ob ich noch einen Kopf habe, sehen Sie …“ Blöde hielt er das dunkelrote Gesicht vor Franzens Augen, als offenbare er die unglücklichste Geistesleere, dann senkte sich das Gesicht und wurde dabei misstrauisch matt. „Aber wir haben ja noch nicht getrunken!“ belebte er sich im nächsten Augenblick. „Zu Ihrem Wohl! Dass Sie noch viele – Sonnenfahrten machen! So wie heute!“ Die kupfern glänzenden Wangen versuchten ein aufgeräumtes Lächeln, aber es blieb ärmlich.

Das Glas hinstellend, befühlte er jetzt ängstlich die gerötete Stirn und redete: „Eigentlich sollte ich ja keinen Wein trinken … Sie sind doch auch gegen den Alkohol, nicht wahr? Man muss vom sozialethischen sowohl als vom sozialhygienischen Standpunkt aus absolut …“ Und nun hielt er eine lange Rede gegen jeglichen Alkoholgenuss und trank dazwischen. Ebenso absolut sprach er gegen die Unsitte des Rauchens, aber auf seinem Schreibtisch sah Franz eine mit Aschenhäufchen bedeckte messingene Rauchschale blinken. Schließlich kam er auf die rohe Abscheulichkeit des Mordens unserer lieben Mitgeschöpfe, der Tiere, zu sprechen. „Der Metzger, die Jagd!“ ereiferte er sich. „Nur dass der Mensch lüstern fressen kann! Es ist unerhört! Sie enthalten sich doch auch des Fleischgenusses?“

Franz besah den beleibten Mann, der im Hinschwinden des Abendlichts mehr und mehr zum Schatten wurde, und sprach: „Soviel wie möglich. Ich möchte Herr über jedes Bedürfnis werden, das mir den Weg zum Leben versperrt.“

„O …“ machte Winkels – und der Ton war halb für, halb gegen den Radikalismus – „da müssen Sie unsere gesamten Verhältnisse umändern!“ Und nun beschrieb er sehr gut die soziale Lage und Frage, die „blinde“ Hetze nach Macht und Mammon, den brutalen Materialismus den allgemeinen Raub und Betrug, die „Scheußlichkeiten“, die er selbst hatte erleben müssen, und schloss, indem er sich den Kopf hielt: „Sehen Sie, da müsste ein Feuer angezündet werden auf Erden, ein Feuer, wie heißt es doch gleich in der Bibel? Ein Feuer … ‚was wollte ich lieber, denn es brennete schon?‘“ Bewegt tastete er nach dem Glase und trank. „Ein neues Gewissen“, fuhr er fort. „Ein neues Gewissen auf Grund der alten Evangelien! Endlich einmal hilfsbereites, ernsthaft praktisches Christentum! Beileibe keine Dogmen mehr, aber die Ethik Jesu modern-sozial praktiziert! Modern-sozial! sage ich. Sehen Sie, ich habe damit begonnen“ – er redete leiser – „ich habe nahezu meinen gesamten liegenden Grundbesitz parzelliert. Ich will Einfamilienhäuser bauen lassen. Billig und hübsch. Meine Mitmenschen sollen heraus ins Grüne. Die öde Großstadt, die hohen Mieten für lichtlose Wohnungen, das alles soll aufhören. Jeder soll im eigenen Heim auf eigenem Grund und Boden wohnen, glücklich und frei. Was ich bei diesem Unternehmen verdiene, werde ich zu weiteren humanitär-sozialen Zwecken verwenden“. Alles an ihm war jetzt Energie und Leben.

„Und wieviel wird das sein?“ fragte Franz plötzlich.

Die Lebendigkeit des beweglichen Schattens hörte auf.

„Das wird … Ich habe mir die Sache auf rund fünfzigtausend Mark berechnet“, hörte Franz den reichen Winkels leise sage.

„Und was wollen Sie denn mit den fünfzigtausend Mark anfangen?“ fragte Franz, sich höher reckend.

„Was ich damit anfangen will …?“ Die Stimme klang ganz verändert hart und misstrauisch. „Nun, ich habe es Ihnen ja bereits gesagt: In neue soziale Unternehmungen werde ich sie stecken.“

„Um weitere fünfzig- oder hunderttausend Mark zu verdienen?“ fragte Franz kalt.

„Warum nicht?“

„Wozu?“

„Wozu?“ Der immer plumper gewordene Schatten krümmte sich jetzt, wand sich. „Nun, wozu man schließlich überhaupt Geld verdient: um leben zu können! Aber, was wollen Sie?“ schrie er ins Dunkel.

„Sie können noch immer nicht leben?“ fragte Franz ruhig. „Dann werden Sie auch mit den weiteren hunderttausend Mark nicht leben können.“

„Ja, es tut mir leid“, rief der Schatten aus. „Aber was meinen sie denn, was ich jetzt besitze? Wir haben keine Kinder! Wir haben niemanden, der im Alter für uns sorgt. Meine Verhältnisse zwingen mich zum Verdienen.“

Franz stand auf. Mit dem Fuße stieß er den Sessel beiseite. „Ihre Verhältnisse …? Ihre Verhältnisse, das sind Sie selber! Die Verhältnisse, das ist unsere Einbildung, unsere Kleingläubigkeit unsere Furcht! Der armselige Wahn, dass man ohne dies und jenes nicht leben könne! Der elende Aberglaube, dass unser Glück von äußeren Dingen komme! Unsere Verhältnisse, das sind unsere verrückten Bedürfnisse! Das ist das erbärmliche kleine Leben, das wir ächzend nachschleppen! Das ist das gezwungene Dasein, das unsere Seele ruiniert und traurig oder wild macht! Das ist die lumpige Angst, die Jesus meinte, als er sagte: ‚In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!‘“

Der reiche Mann setzte sich.

„Nun“, sagte er nach einer Weile, „ich kann Ihnen sagen: Sie werden mit diesen Anschauungen nicht durchs Leben kommen!“

„Wenn ich nichts anderes wollte als durchs Leben kommen“, antwortete Franz, „dann ja! Aber ich will zum Leben kommen, und wenn ich dies Leben, das Sie meinen, gleich dabei verlöre. Denn das Leben, das Sie leben, ist gar kein Leben; das wissen Sie selbst: Das ist der Tod! Was verliert man am Toten? Das wahre Leben hat, wer sprechen kann: ‚Und nehmen sie uns den Leib, Gut, Ehr' Kind und Weib, lass fahren dahin, sie haben kein Gewinn! Das Reich muss uns doch bleiben!‘“

„Das ist heilloser Wahn und schwärmerischer Fanatismus“, sagte der Schatten im Sessel.

„Nein, das ist alleiniges Heil, alleinige Liebe, alleiniger Reichtum“, sagte Franz, der inzwischen aufgestanden war.

„Wir sind nicht da zu behaglicher Seligkeit“, tönte es vom Sessel her. „Wir sollen auf dem schmalen Weg im Schweiße unseres Angesichts unser Brot verdienen.“

„Ganz recht: unser tägliches, von Gott geschenktes Brot! Das soll jedem werden und wird jedem, der aus Gott lebt. Aber nicht noch drei Häuser dazu, ein Landgut und in einigen Monaten an die hunderttausend Mark im Wucher mit einem Stück Erde! Denn damit vermehrt man nur den Fluch der Sünde und bringt Schweiß auf sein eigenes und der Menschen Angesicht, den Gott nie gewollt.“

„Nun, wenn Sie das Wucher nennen …! Ich sage Ihnen: Ohne Planen und Wagen mit Geld gäbe es überhaupt keine Kultur noch Fortschritt!“

„Ich kenne nur einen Fortschritt: unser Fortschreiten in der Vollendung zu Gott. Schließlich mag auf diesem Wege auch die europäisch – amerikanische Kultur liegen; es ist möglich. Mir aber scheint sie eher ein Umweg, ja ein Irrweg zu sein als ein Weg zu Gott.“

„Und draußen am Tore steht Ihr modernes Rad!“

„Gut! Nur etwas bleibt sonderbar: Alle Welt hofft durch Kulturarbeit, durch Technik und Fortschritt Zeit und damit ein intensiveres Leben zu gewinnen, das dem wahren Leben immer näher komme. Und in Wahrheit verlieren die Menschen immer mehr Zeit und Kraft an Dinge, die zum wahren Leben gar nicht nötig sind, sondern vom wahren Leben wegführen und uns um das wahre Gedeihen und den Frieden unserer Seele betrügen. Man redet von sich steigerndem Wohlstand, und immer weniger Menschen fühlen sich recht wohl. Welch ein Unsinn ist das doch!“

 

Der reiche Mann antwortete nicht gleich. „Sie mögen in manchem recht haben“, begann er nach einer Weile. „Man müsste also mehr Zeit gewinnen, den inneren Menschen zu pflegen. Das ist ja eigentlich ganz meine Ansicht.“

„Ja, und bei wem dieser ,innere Mensch’ wirklich Christus heißt, der hat mehr als Zeit und kulturelle Randverzierung, der hat ewiges Leben gewonnen und hat damit aufgehört, das Verlangen nach äußerem Reichtum zu pflegen.“

„Nun, und ich sage Ihnen“, schrie jetzt Winkels, „Armut ist noch lange keine Tugend!“

„Nein, die äußere Armut ist so wenig eine Tugend wie die innere. Es gibt nur einen Reichtum: Gott in Christus! Wer den hat, kann äußerlich arm oder reich sein; aber letzteres wird er schwer werden, wenn er von jedem Überfluss den Mangel anderer stillt.“

„Nun“, versuchte Winkels, „Sie können heute auf Erden anfangen, was Sie wollen, es wird zum Geschäft! Und selbst wenn Jesus heute auf die Erde käme … sehen Sie, wenn er Einfluss gewinnen, sich durchsetzen wollte, müsste er Besitz haben.“

„Und ich sage Ihnen, er könnte niemals mehr Einfluss ausüben, als er bereits im Einssein mit dem Vater ausgeübt hat, und niemals mehr siegen, als er bereits durch seinen Geist gesiegt hat, und niemals mehr besitzen, als er bereits seit Ewigkeit besitzt. Und er ist immer auf Erden! Und wer in ihm lebt, ist immer im Himmel! Wer aber in ihm frei und reich werden will, der muss sich selbst und diese Welt erst einmal um Christi willen verlieren, um diese Welt und sich selbst in Christus furchtlos unverlierbar zu besitzen. Jedes andere Leben und jeder andere Besitz ist Wahn und Angst und Schein. Man kann nicht Gott dienen und dem Mammon!“

Der reiche Mann stand auf und wanderte lautlos über den Teppich. Das letzte Leuchten des Tages ging hinter ihm her und malte eben noch erkennbar seine gebeugte Gestalt. Müde blieb er stehen, und es schien, sein Haupt sinke immer noch tiefer. Aber auch Franz beugte sich allmählich in ein tiefes Schämen, als hätte er mit jedem Wort, das er gesprochen, gesündigt. Es wurde ganz still.

„Ich bin nun so viel älter als sie und kenne doch das Leben“, begann der reiche Mann endlich wieder, aber seine Worte hoben sich jetzt so seltsam aus der Stille, so rein und unverhüllt, als entstiegen sie einem Bade – „und alles, was Sie da gesagt haben, habe ich einmal gewollt, glauben Sie es mir! Und ich wünsche es noch heute: mehr Himmel und mehr Liebe! – Aber das Leben hat mir die Hoffnung genommen. Ich habe keinen Glauben mehr, weder an solchen Himmel noch an diese Liebe! Sehen sie, ich hatte damals mein Geschäft begonnen mit dem Grundsatz, nicht mehr erwerben zu wollen, als mir für ein einfaches Leben für mich und die Meinen – denn damals hoffte ich noch auf Kinder – nötig schien. Aber man will sich auch nicht von der Brutalität der Welt besiegen und als ein Schwächling im Erwerbskampf vom Tische stoßen lassen. Man möchte doch nicht zurückbleiben und zu den Letzten gehören. Denn man weiß doch, die Träume von Licht und Reinheit bringen nichts ein. Also stellen Sie sich, wie Sie wollen: Sie müssen planen und erwerben! Es bleibt Ihnen einfach nichts anderes übrig! Aber nachher packt Sie die Freude am Erwerb. Sie greifen zu. Mit dem Erwerb steigern sich die Bedürfnisse, das ist wahr, und mit den Bedürfnissen die Sorgen um den Erwerb, das ist auch wahr. Und damit die Verpflichtungen zu weiterem, immer rücksichtsloserem Kampfe. Sie werden nüchtern, ganz nüchtern.

Das heißt: Sie werden skrupellos und innerlich hart und rüde. Aber Ihr Ansehen in der Welt steigt, denn Sie haben es bereits zu etwas gebracht. Und Sie wollen sich doch nun auch weiter in der Welt sehen lassen. Also müssen Sie den errungenen Platz behaupten. Und Sie betrachten nun das ganze Leben vom Standpunkt eines tüchtigen Geschäftsmannes aus. – Zudem: Wir bekamen keine Kinder. Mir fehlte die Erwärmung durch die Liebe. Da wurde mir das Geschäft alles. Die Furcht vor Verarmung durch Verluste, vor Not im Alter nahm mir die letzte Sorglosigkeit, die letzte Freude. Da packt Sie der Kampf, nimmt Sie und trägt Sie fort in ein Dickicht, das keinen Ausweg hat. Da sitzt Ihre Seele drin, und es schlägt über ihr zusammen. Und dann sind Sie reich! Das heißt: Sie haben Geld, Häuser, Land, Luxus, Wohlleben, Ansehen. Und bezahlten dafür pünktlich mit der Gesundheit Ihres Leibes und Ihrer Seele. Und das Schlimmste ist, wenn sie dann einer vergangenen Sehnsucht Raum geben. Sie quälen sich mit der Unschuld der reinen, schlichten Himmelsdinge. Aber das ist alles! Die Fähigkeit, die Kraft zu einem reinen, schlichten Leben ist mittlerweile dahin. Sie wünschen ihn wieder, den Glauben an Reinheit und sch1ichtes Himmelsglück, aber Ihre ‚Nüchternheit‘ umbellt sie wie ein gemeiner Gassenhund: Es ist vergebens! – Ich muss hinaus! Ich muss planen, erwerben, gewinnen! Ich bin schon zu einsam, sehen Sie! Ich kann nicht mehr anders! Ich bin ein armer Mann! Das alles hier ringsumher, das lässt mich kalt! Das ist mir nichts! Das widert mich an! Ich bin einer von den armen Reichen! Ich kann wohl sagen: Je reicher ich geworden bin, desto ärmer bin ich geworden! Sehen Sie – das ist mein Leben!“

Mit beiden Händen am Kopf wandte er sich dem nun völlig lichtlosen Fenster zu. Unheimlich lag die Dunkelheit im Zimmer wie ein schwarzes Tier. Als bewache sie lauernd und sprungbereit das Leben des reichen Mannes, den armen Schatten mit den verzweifelten Händen vor dem lichtlosen Fenster.

Plötzlich wandte sich der reiche Winkels um und sagte: „Entschuldigen Sie, dass Sie mich so sahen! Das ist noch keinem zuteil geworden. Ich möchte jedoch nicht, dass die Leute davon erführen. Und nun machen Sie mir die Freude und bleiben Sie bei uns zum Abendessen! Es muss ja schrecklich spät geworden sein. Ich werde sofort Licht machen. Also Sie bleiben?“ Es war wieder ganz die alte, glatte, vorsichtig verbindliche Stimme.

„Ich kann nicht!“ stieß Franz gegen den Schatten und vertrat ihm den Weg zum Licht. „Bitte, kein Licht! Ich sehe sehr gut! Ich muss gehen! Sofort! Aber ich komme wieder! Ich verspreche es Ihnen! Recht bald! Sobald ich kann!“

Schaudernd entrang er sich einer heißen Hand, war aus dem Zimmer, griff nach seinem Hut, nach der Türklinke, stürzte hinaus nach dem Rade, suchte die Lampe zu entflammen; sein erregter Atem verlöschte das Streichholz, ein zweites brach unter der Hast seiner Hand, ein drittes brannte.

Eine zeitlose Sekunde starrte er in die wachsende goldene Flamme der kleinen Öllampe wie in eine nun ganz beruhigende, himmelslichte Offenbarung.

Plötzlich, schnell wie ein Fliehender, wie ein Geretteter löste er das Rad vom Zaune, öffnete hastig und doch leise, als könnte doch noch ein Ruf, ein Laut vom Hause her ihn bannen, das Tor und eilte hinaus auf die dunkle Landstraße. Genugsam zeigte das Licht den Weg; dem goldigen Strahlenspiel folgend, enteilte er dem leise geschlossenen Tor.

Das Rad sauste, die kleine Laterne wippte, klirrte. Der Staub des Weges kam ins Licht und warf sich gegen die schützende Scheibe. Aber das Flämmchen brannte, leuchtete über alle Gefahren hinaus, ein sicheres Licht auf dem Wege. Und der Weg kam und legte sich dem goldenen Licht zu Füßen, wurde hell und nun selbst golden, Stück um Stück, inmitten der Finsternis. Und das Rad begann im klingenden Lauf zu singen, leise erst, bebend und verstohlen, dann immer vernehmbarer, deutlicher, bestimmter, entschlossener, endlich, als stürmte ein Siegesgesang; und als der verklungen war, blieb ein mildes, inniges Singen, als klänge ein Loblied, als sänge eine alte Weise. Und Franz sah den Weg und sah das Licht und verstand das Klingen und vernahm die Rede und wiederholte sie mit seinem Munde, leise erst und dann immer gewisser und unter Tränen immer jubelnder: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“

Durch einen weiten Himmel fuhr er heim. –

Hanna lag im Fenster und sah ihn kommen.

Er nahm die Laterne vom Rade und stieg hinter ihrem goldigen Strahlenspiegel die Treppe hinauf. Denn obgleich die Treppe erleuchtet war, gab er doch das kleine Licht nicht preis.

„Du hast alles!“ jubelte die Frau, als sie ihn so auf halber Treppe mit dem brennenden Lämpchen zu sich emporsteigen sah. „Es ist dir geglückt! Ich sehe es an deinem Gesicht, an deinen Augen! Du hast alles!“

„Still!“ beruhigte er lächelnd seine Frau. „Ja, ich habe alles!“

Glückselig eilte sie voraus und hinauf wie ein unbändiges Kind. Weit, ganz weit riss sie die Stubentür auf. Ein ungewöhnlicher Glanz brach aus dem Zimmer. Staub- und schweißbedeckt kam Franz vor der Schwelle in den großen Lichtstrom. Das goldene Flämmchen seiner kleinen Laterne wurde plötzlich ganz arm und unbedeutend, ja beinahe dunkel. Erstaunt, ja erschreckt blieb er regungslos stehen; nur sein Atem keuchte. So sah er auf dem blendend weiß gedeckten Tisch zwei Lampen brennen, dazwischen einen Strauß schlichter Feldblumen, und um Strauß und Lampen festlich bereitet das Abendbrot.

„Weil es dir sicher schwer geworden ist“, sagte seine Hanna. „Oder …?“ Sie verstummte.

„Warum gehst du nicht hinein? Was ist dir?“ fragte sie endlich entsetzt.

Schweigend und immer noch zögernd trat Franz ins Zimmer. An den bebenden Lichtkreisen, die mit ihm die Schwelle passierten und in der Stube selbst kaum noch wahrzunehmen waren, ja beinahe wie Schattenringe hüpften, bemerkte er erst, wie die Hand zitterte, die das Lämpchen trug. Unsicher setzte er die kleine Laterne auf die dunkelste Ecke des Tisches und sich selbst auf den Stuhl.

„Hast du es bekommen und verloren?“ schrie die Frau. „So sprich doch!“

Gequält sah er über den festlichen Tisch hin und wieder zurück zu seinem Lämpchen.

„Da … sieh! Es leuchtet doch! Siehst du das Gold? Siehst du das Gold?“ Er zeigte auf die Tischdecke, wo tatsächlich die matten Strahlenkreise des kleinen Laternenlichts in warmer Goldfarbe spielten.

„Um Gottes willen, Franz … !“ Sie meinte nicht anders, als sei er des verlorenen Geldes wegen wahnsinnig geworden.

Nun lächelte er und zog sie an sich. „Da setz dich hin!“ bat er. Und sie hing ihm an Augen und Mund und setzte sich wie ein Kind.

„Ich wollte dir eigentlich eine Geschichte erzählen von einem ganz armen Manne, von diesem Lämpchen und von mir. Ja, ich hatte sie mir schon mit großer Freude zurechtgelegt, diese Geschichte. Aber als ich vor dieser Schwelle hier mein Licht so erbleichen sah, wollte meine Freude schier sterben. Schon glaubte ich, ich hätte ja doch wieder alles verkehrt gemacht, alles wieder dir und unseren Kindern zum Schaden. Aber … da sah ich plötzlich das Gold wieder, das Gold da von dem Lämpchen, dasselbe Gold, das mir in der dunklen Nacht draußen geleuchtet hat auf dem Wege …“

Sie wollte schon wieder unruhig werden; aber er hielt sie fest und beschwichtigte: „Bleib still!“ Aber damit sprang er selber hoch, schaute ihr in die Augen und rief: „Denn ich habe ja nicht gelogen! Ich habe ja dennoch alles, alles mitgebracht! Weit mehr als eine bezahlte Rechnung! Weit mehr als das Wohlwollen eines Menschen! Denn siehe, ich bin unselig, blind und arm gegangen, und ich komme selig und sehend und reich wieder! Ja, noch reicher und seliger als früher!“

Und wieder wollte sie unruhig werden. Aber nun fasste er ihre beiden Hände und erzählte: „Sieh, ich wollte ja alles recht vollbringen. Ich hatte schon die Rechnung in der Hand, um sie dem reichen Manne zu übergeben. Aber was der reiche Mann nachher zu mir sprach, und was ich zu ihm sprechen musste, das war zu ernst, zu ergreifend, zu heilig, Hanna! Dabei ließ sich keine Rechnung über gelieferte Brillen, Kneifer und Lorgnetten präsentieren. Das ging nicht, Hanna! Und sieh, zum

Schluss stand der reiche Mann so bettelarm vor mir, so bettelarm – ich werde es dir nachher noch im Einzelnen erzählen –, da konnte ich ihm erst recht keine Rechnung überreichen. Und ich war währenddem reich geworden! Alles war mir auf so wunderbare Weise wiedergegeben worden, was ich noch eine halbe Stunde vorher wie einen Ekel von mir werfen wollte. Da, liebe Hanna, fühlte ich mich so überreichlich bezahlt. Wie konnte ich da noch von einer Rechnung reden! Ich riss mich los von jedem weiteren Wort. Ich brannte inwendig. Ich warf mich hinaus in die Nacht. Ich lag auf meinem Rade und weinte vor unserem Gott. Mit diesem goldigen Lichte da auf meinem Wege fuhr ich durch ein endloses Reich des Glücks. Die Rechnung knitterte zwischen Rad und Brust, ich lachte darüber; ich ließ sie knittern. Nur einmal holte ich sie heraus, stieg ab und schrieb ein Gedicht darauf, das mir die Gnade unterwegs schenkte – ich werde es dir nachher als Festspruch vorlesen –, dann stieg ich singend wieder auf und fuhr zu dir. Und sieh, morgen schicken wir den armen Winkels eine neue Rechnung, und das Raubtier da unten bekommt sein Futter eben einige Tage später. Und nun fröhlich, Hanna! Was soll uns denn geschehen? Wer will uns arm machen? Wer unglücklich? Wer kann uns verderben? Sieh, der in uns ist, ist größer als der, der in der Welt ist!“

 

Und damit küsste er sie und dankte ihr.

Und Hanna sprach: „Wenn es so ist, dann ist es gut. Du hast dann das Beste wieder ins Haus gebracht: dich selbst!“

„Mehr als das, Hanna“, ergänzte er, „denn was wäre ich ohne den, der in mir ist? Und doch habe ich noch etwas mitgebracht. Etwas, womit die Kinder spielen können. Eine Geierfeder, die ich unterwegs fand und an den Hut steckte, weil ich wie ein Raubvogel werden wollte. Wir wollen sie den Kindern aufs Bett legen zur Morgenfreude. Wo ist denn mein Hut?“

Er suchte, fand den Hut, besah ihn rundum, aber die Geierfeder steckte nicht mehr darauf.

Er hatte sie unterwegs auf der Heimkehr durch den weiten Himmel verloren.

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