Neue Arbeit kompakt

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Also dann:

Weiterdenken.

Keime pflegen.


Die Welt im 21. Jahrhundert

Wohin geht die Fahrt?

Hatten Sie auch schon einmal das Gefühl, dass etwas nicht stimmt damit, wie der Mensch auf der Erde lebt? Dass es nicht mehr lange gut gehen kann? Das es zur Katastrophe kommen wird, wenn sich nichts ändert?

Dass es Möglichkeiten geben sollte, glücklicher zu leben?

Frithjof Bergmann vergleicht dieses Gefühl mit dem der Insassen eines führerlosen Zuges, der seine Fahrt höchstwahrscheinlich anders beenden wird, als es Züge normalerweise tun.

Die Passagiere haben das Gefühl, dass der Zug nicht bremsen und im Zielbahnhof anhalten, sondern diesen deutlich verfehlen wird.

„Wir fühlen uns ohnmächtig, im Lauf der Dinge gefangen als Fahrgäste im Zug unseres Erdendaseins. Wir sehen eine Geschichte sich entfalten, der wir nicht entrinnen können. Die Situation ist unheilschwanger und wird immer erschreckender. Und was alles noch furchtbarer macht: Wir haben nicht die allerleiseste Ahnung, wie diese Fahrt anzuhalten oder umzukehren wäre. Natürlich laufen Leute gestikulierend und laut rufend durch die Waggons, aber jeder weiß mit schreckensstarrer Überzeugung, dass das nur ein Ablenkungsmanöver ist. Was früher oder später unausweichlich geschehen wird, geschehen muss, ist inzwischen allen klar geworden: Der Zug wird entgleisen, gegen eine Felswand prallen oder auf eine Brücke kippen und in die Tiefe stürzen.“

Mit anderen Worten: die Menschheit steuert ihrem Untergang entgegen. Gründe für apokalyptische Gefühle gibt es so viele wie Indizien, dass das Ende der Fahrt schneller kommen könnte, als man denkt. Für den Klimawandel gibt es deutliche Anzeichen. Möglicherweise werden Städte im Meer versinken, Stürme mit ungekannter Stärke über die Erde fegen, der Golfstrom wird den Wärmetod sterben und in Europa wird es kein gemäßigtes Klima mehr geben. Könnte aber auch sein, dass der Menschheit vorher das Öl ausgeht oder der Krieg ums Öl die Völker endgültig ins Unglück stürzt.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Teilung der Menschheit in Arme und Reiche die Erde mit Hass und Gewalt überzieht. Möglicherweise macht der weltweite Terrorismus das Leben aber zuvor schon wenig lebenswert.

Auch wenn ein von materiellen Sorgen relativ freies Leben noch eine Weile möglich sein sollte, verliert die westliche Zivilisation nach und nach ihre Werte, kommt eine über Jahrhunderte gewachsene Kultur an ihr Ende.

Der Kultur und der Wissenschaft gehen das Geld aus. Sie scheinen so wenig wert zu sein, dass sie immer weniger gefördert werden. Universitäten, Theater, Museen und Bibliotheken stehen reihenweise vor der Schließung. Der Einfluss von Künstlern und Intellektuellen als Vordenker gesellschaftlicher Entwicklungen schwindet. Stattdessen greift die Verdummung durch das Fernsehen, die Bestechlichkeit des Journalismus und die Prostitution der Politik gegenüber der Wirtschaft um sich.

Und auch die Manager in den Führungsetagen haben Angst. Ihre Angst ist nicht die vor der Katastrophe, davor, dass der Zug möglicherweise von der Brücke fällt oder gegen eine Felswand rast. Ihre Angst besteht darin, dass dem Zug der Antrieb fehlt, dass er einfach stehen bleibt. Die Angst vor dem Stillstand, vor dem Ende des Wachstums, vor dem unaufhaltsamen Niedergang der Marktwirtschaft führt dazu, dass sie versuchen, den Zug mit immer aberwitzigeren Methoden zu beschleunigen. Was am Ausgang der Fahrt überhaupt nichts ändert.

Noch mehr ins Grübeln kommen lässt einen der Umstand, dass es die absolute Mehrheit der Menschheit ist, die das Gefühl hat, so wie es läuft, läuft es verkehrt. Frithjof Bergmann stellt die verzweifelte Frage, warum all diese vielen Menschen nicht die Energie aufbringen, die Richtung zu ändern.

Ist die schweigende, tatenlose Mehrheit, die in einer somnambulen, komatösen Opposition lebt, nicht eine Beleidigung für den letzten Rest des uns verbliebenen gesunden Menschenverstands?

Gibt es denn überhaupt noch jemanden, der daran glaubt, dass wir als Gesamtzivilisation auf dem richtigen Weg sind? Dass es möglich und sinnvoll sein soll, dieses moderne, weiße industrielle Superunternehmen so weiterzuführen wie bisher.

Denkt man diese Problemlage zu Ende, kommt man unweigerlich zu der Frage, was uns in diese Situation gebracht hat, wo die Gründe für dieses tatenlose Abwarten zu suchen sind.

Das tote Gleis

Ende des Sozialismus = Ende der Hoffnung?

Frithjof Bergmann geht davon aus, dass das Ende des real existierenden Sozialismus nicht nur das Ende eines Systems war, das in der praktischen Umsetzung so viele Fehler gemacht hat, dass sein Scheitern fast unvermeidlich war. Vielmehr ist mit der Erkenntnis der praktischen Unrealisierbarkeit dieser Idee eine Lücke im utopischen Denken entstanden, derer man sich in den letzten fünfzehn Jahren weder vollständig bewusst geworden ist, noch hat jemand über die Konsequenzen dieses utopischen Defizits nachgedacht.

Auf der theoretischen Ebene ist der Sozialismus für mehrere Generationen die Hoffnung auf ein dem Menschen gemäßes Leben schlechthin gewesen. Millionen haben an diese Idee geglaubt und für ihre Realisierung gelitten und gekämpft.

Angesichts dieser Tatsache ist es nur äußerst schwer nachvollziehbar, dass diese Idee so sang- und klanglos untergegangen ist. Nicht nur der wahre Kern des Sozialismus – dass die Welt gerechter wäre, wenn es weniger Privateigentum gäbe, und der Reichtum der Erde an alle verteilt werden sollte – ist untergegangen. Auch die milderen, verdünnten, verwässerten Formen des Sozialismus, die nicht dafür plädierten, dem Treiben des Kapitalismus sofort per Revolution ein Ende zu setzen, sind seit 1989 schal und lahm geworden. All jene kaum noch links, allenfalls blassrosa zu nennenden Parteien mit sozialdemokratischem, liberalem, sozialem Anspruch haben ihre Identität und Zielsetzung verloren.

Allem, was eine ferne Verwandtschaft mit dem sozialistischen System hatte, haftet das Versagen und die Niederlage an.

An der nächsten Weiche

Licht am Ende des Tunnels: die andere Kultur

Obwohl Frithjof Bergmann keine gesellschaftliche Kraft sieht, die für einen ähnlich radikalen Neuentwurf des Zusammenlebens kämpft, wie es der Sozialismus gewesen ist, sieht er doch Tendenzen, die Grund zur Hoffnung geben.

Viele Menschen in der westlichen Welt lehnen den hemmungslosen Konsum ab, suchen nach neuen Formen des Zusammenlebens, sind offen für spirituelle Erfahrungen, haben ein ökologisches Bewusstsein ebenso wie eine starke Abneigung gegen Hierarchien und Autoritäten. Sie glauben, dass Krieg auf keinen Fall ein Mittel der Politik sein sollte.

Bergmann nennt das „die andere Kultur“.

Die andere Kultur

Diese andere Kultur ist in jedem Erdteil und jedem Land zu finden. Ihre Mitglieder erkennen sich meist wortlos. Es sind Menschen, die glauben, dass Wirtschaftswachstum um jeden Preis nicht alles sein kann und der daraus abgeleitete Konsumzwang nicht notwendigerweise glücklich macht. Menschen, die darüber nachdenken, wie der Mensch leben soll, und ihre Haltungen mehr oder weniger konsequent in ihr individuelles Leben integrieren.

Der Geist dieser anderen Kultur lebt in Büchern, Philosophien und im Theater, in Bildern und in Musik ebenso wie in Universitäten und Selbsthilfegruppen und Vereinen. Aber eben leider nicht in Parlamenten und ähnlichen gesetzgebenden Versammlungen. Dieser Geist fehlt meist in Wahlkämpfen und auf Gewerkschaftskongressen, in allen Bereichen der offiziellen Kultur.

Psychologie der Reisenden I

Apathie oder Auf-der-Lauer-Liegen?

Die ernüchternde Anfangsdiagnose von den Menschen im Zug, den Lemmingen, die nichts dagegen unternehmen, dass sie von einer unbekannten Kraft in den Abgrund gezogen werden, überdenkt Frithjof Bergmann noch einmal. Bei dem Versuch, die Schwingungen der gesellschaftlichen Befindlichkeiten genauer zu erspüren, kommt er zu dem Schluss, dass vielleicht doch nicht Apathie und Verzweiflung der Grund für die weit verbreitete politische Gleichgültigkeit sind, sondern eine Haltung des Abwartens. „Man liegt auf der Lauer und spart seine Kräfte für einen späteren Zeitpunkt. Die Zuginsassen haben den Blick fest auf Notbremse und Steuerung gerichtet. Sie halten nur still, weil sie warten.“

An späterer Stelle schreibt Bergmann:

„Irgendetwas müsste diesen Wartenden das Gefühl geben, dass es einen Plan gibt, dass konkrete Schritte möglich sind, dass es eine gangbare Leiter gibt, die Sprosse für Sprosse hinaufführt zu der Kultur, die sie sich wünschen. Wenn ein Zeichen davon am Horizont erschiene, dann würden sie ihre Apathie ausziehen wie Regenmäntel. Dann würden sie die Ärmel hochkrempeln und würden anfangen, an einer mehr Leben gebenden und das Leben stärkenden Welt zu arbeiten.“

Die Neue Arbeit setzt darauf, dass sich diejenigen, die zur anderen Kultur gehören, sich von der Idee der Neuen Arbeit inspirieren lassen. Die neue Arbeit und die andere Kultur könnten die Lücke füllen, die mit dem Tod der sozialistischen Idee entstanden ist.

Psychologie der Reisenden II

Was hindert uns daran, den Zug zu stoppen?

Welche Kräfte sind es, die den Zug in Richtung Abgrund lenken? Warum scheint die gegenwärtige Organisation des menschlichen Zusammenlebens auf der Erde so ohne Perspektive?

Bevor Frithjof Bergmann die Neue Arbeit als Ausweg aus der Misere entfaltet, führt er zur deutlicheren Abgrenzung noch einmal eine Analyse des Systems der Lohnarbeit durch.

Zunächst einmal sind es vier Faktoren, die den gegenwärtigen Zustand verursacht haben:

 

Erstens Arbeit ist alles

Arbeit ist zu etwas geworden, was Frithjof Bergmann einen „Omni-Wert“ nennt.

Arbeit hat für den modernen Menschen dieselbe Bedeutung wie einst die Büffel für die Indianer. Die Büffel wurden gegessen, die Häute zu Behausungen und Kleidungsstücken bearbeitet, die Knochen zu Werkzeugen. Der Büffel lieferte den Indianern alles, was sie brauchten. So geht es dem modernen Menschen mit der Arbeit. Außer dass er sie nicht jagen kann, sondern eher schicksalsmäßig zugeteilt bekommt. Arbeit beherrscht das ganze Leben.

Ohne Arbeit ist der Mensch nichts.

Arbeit sichert die menschliche Existenz. Arbeit ist gleichbedeutend mit Geld verdienen, ohne das man nicht leben kann. Aber nicht nur das. Sie sichert auch den sozialen Status und die Selbstachtung des Menschen. Ein Mensch ohne Arbeit ist nicht viel wert. Er fühlt sich nutzlos und überflüssig. Arbeit ist auch „alles“ in dem Sinne, dass sie viele andere Dinge verdrängt. Sie beansprucht Zeit, die für Familie und Freunde, zum Lesen, zum Musikhören und zum Nachdenken fehlt.

Zweitens Abschaffung der Arbeit durch Automatisierung

Der Prozess, der die Arbeit in der westlichen Zivilisation zum Omni-Wert gemacht hat, wird nun von der Automatisierung vollkommen unterlaufen. Automatisierung setzt Arbeitskräfte frei und macht damit die menschliche Arbeit zunehmend überflüssig. Einige Jahre gab es die Illusion, dass Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich diejenigen ersetzen könnten, die in der Industrie der Automatisierung zum Opfer gefallen sind. Aber diese Annahme hat sich schnell als Irrglaube herausgestellt. Es wird zunehmend selbstverständlich, dass ein Automat Fahrkarten verkauft und dass Bankgeschäfte per Internet erledigt werden. Das Resultat dieser Entwicklung ist eine paradoxe Situation: Es wird viel Energie und Intelligenz darauf verwandt, Arbeit abzuschaffen, jenes Gut, um das die gesamte menschliche Existenz eigentlich kreist.

Drittens Globalisierung

Industrialisierung und Automatisierung haben einen weltweiten Prozess in Gang gesetzt, der immer mehr Menschen nach Arbeit suchen lässt. Noch vor wenigen Jahrzehnten hat die Mehrzahl der Menschen auf dem gesamten Globus als Bauern in Dörfern gelebt und sie haben sich von dem Land ernährt, das sie als Bauern bestellt haben. Seitdem Agrarkonzerne das Land aufkaufen und Lebensmittel zu extrem niedrigen Preisen erzeugen können, haben immer mehr Bauern die Dörfer verlassen, weil der Acker sie nicht mehr ernährt. In Afrika, Asien und Südamerika sind riesige Wanderungsbewegungen im Gang. In letzter Zeit wird man sich im Westen der Problematik immer bewusster, die die sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen in China mit sich bringen.

Millionen und Abermillionen Menschen ziehen in die Städte, in denen sie bestimmt keine Arbeit finden werden. Sie werden nur den Gürtel der Slums um die Metropolen vergrößern. Dieser Prozess vollzieht sich weltweit. Mit der bäuerlichen Arbeit verschwindet auch eine Lebensform. Bisher gibt es keinen adäquaten Ersatz. Im Jahr 2007 werden erstmalig mehr Menschen in Städten als auf dem Land leben.

Viertens Wer entscheidet darüber, wie viel Arbeit es gibt?

Wer eigentlich hat diese Situation herbeigeführt, dass immer weniger Menschen sich durch Arbeit ernähren können? Will man diese Frage beantworten, kommt eine Macht ins Spiel, die weltweit von Politikern und von der Bevölkerung „die Wirtschaft“ genannt wird. Dieses mächtige gottgleiche Wesen macht uns alle zu Bittstellern. Diese Macht kann Arbeitsplätze verschwinden lassen oder erschaffen. Politiker bringen dieser Macht immer wieder Geschenke und Opfergaben in Form von Steuerersparnissen und Subventionen, damit so die geheimnisvollen Kräfte walten, die Arbeitsplätze schaffen können.

Summa summarum

Diese vier Faktoren halten uns in einem Würgegriff, sie haben unseren Verstand und unsere politische Vorstellungskraft lahmgelegt. Es ist erschütternd banal: Arbeitsplätze sind unser Ein und Alles, der „Omni-Wert“ eben. Durch Automatisierung und Globalisierung werden permanent Arbeitsplätze abgeschafft, Arbeit wird ein immer knapperes Gut. Der Hunger nach Arbeit lässt uns die Wirtschaft als Heilsbringer verehren und uns ihr gegenüber immer noch ergebener, noch unterwürfiger werden. Frithjof Bergmann nennt das die Kopplung von Business und Arbeitsplätzen. Wir glauben, dass es keine andere Möglichkeit gibt. Der Zug ist nach wie vor in voller Fahrt. Es gibt viele Probleme, für die niemand eine Lösung kennt.

Weiter Richtung Abgrund

➤ Arbeitsplätze um jeden Preis

Von allen Seiten ertönt der Ruf, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, und diese Forderung ist absolut und nicht verhandelbar. Pazifisten rufen die weißen Tauben zurück, wenn in ihrer Kleinstadt eine Munitionsfabrik aufmacht. Arbeitsplätze gehen über alles.

Was geschieht? Weitere Opfergaben werden der Wirtschaft dargebracht, denn ihre Gewinne müssen sich vergrößern, damit sie mehr Arbeitsplätze schaffen kann. Also nehmen die Politiker mit unsere Duldung Geld aus dem sozialen und kulturellen Bereich und spielen es der Wirtschaft in Form von Steuersenkungen zu. Die Wirtschaft wird immer mächtiger, und soziale und kulturelle Bewegungen ziehen sich in immer kleiner werdende Nischen zurück.

➤ Die Opfergaben gehen ins Leere

Dabei ist die Wirtschaft äußerst uneffizient in ihrer Fähigkeit, Arbeitsplätze zu schaffen. Unsere Opfergaben gehen ins Leere. Mit maximalem Aufwand wird ein minimales Ergebnis erzielt. Der Wirkungsgrad der Arbeitsplatzerzeugungsmaschine ist lächerlich klein. Jeder wirtschaftlich denkende Betrieb hätte sie längst ausgemustert.

Die Wirtschaft erobert immer mehr Bereiche, die einst unter kommunaler oder staatlicher Verwaltung standen, wie Krankenhäuser, Wasser- und Elektrizitätswerke, den sozialen Wohnungsbau, die Bahn und die Post.

Um den Kessel unter Dampf zu halten, werden in übertragenem Sinne die alten Familiengemälde, wertvolle Möbel, Bücher und das Klavier verheizt.

➤ Das Verhältnis von Wirtschaft und Ökologie

Irgendwann kollidieren die ökologischen Interessen mit denen der Wirtschaft. Egal ob es um die Qualität des Wassers, der Luft oder die Bewahrung der Schönheit eines Tales geht, meist kommt es schnell zum Entweder-oder zwischen Naturschützern und der Wirtschaft: Entweder lasst ihr Grünen von euren Ansprüchen oder wir gehen mit unseren Arbeitsplätzen woandershin. Dieses erpresserische Argument funktioniert in den allermeisten Fällen.

➤ In der Dritten Welt

Auch hier tut die Kopplung von Business und Arbeitsplätzen ihr Werk. Millionen von Menschen sind ohne Arbeit und leben in Slums, und die Regierungen betteln vor den Toren der Wirtschaft, sie möge zu ihnen kommen und sich dort ansiedeln.

Unter der „Dritten Welt“ versteht Frithjof Bergmann alle wirtschaftlich und sozial unterentwickelten Länder. Unter dem Aspekt der Verelendung können jedoch auch ohne weiteres die Armenviertel der Metropolen hinzugezählt werden. Gleich ob es sich dabei um die Slums von Rio de Janeiro oder die Elendsviertel von Los Angeles handelt.

➤ Verelendung

Es ist ein Charakteristikum unserer Zeit, dass immer mehr Menschen verelenden. Niemand kennt die exakte Zahl aller Slumbewohner, weil dort nicht gezählt wird.

Was uns aber berühren sollte, ist die Tatsache, das fast jede große Stadt gleichzeitig eine Stadt und ein Slum ist. Und die Slums wachsen ständig. Die Menschen leben dort beengt, zusammengekauert, mit einem Minimum an Wasser und unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen. Sie hausen ungenügend geschützt vor Hitze und Kälte unter Plastefolien oder Blechstücken. Schätzungsweise eine Milliarde Menschen leben so. Das sind mehr, als Europa Einwohner hat. Jedes Jahr nimmt ihre Zahl um 27 Millionen zu. In den Slums von Bombay leben schon heute mehr Menschen als in Norwegen.

Der Ort der Armut verschiebt sich vom Land in die Stadt. In einigen afrikanischen Ländern südlich der Sahara wie Tschad, Niger oder Sierra Leone ist die Not in der Stadt schon jetzt größer als auf dem Land. Das Gleiche gilt für Lateinamerika und die Karibik.

Das Ganze ist eine riesige soziale Zeitbombe. Es gibt bisher keine Maßnahmen, die gezeigt hätten, dass sie die Verelendung stoppen können. Wirtschaftswachstum und die dadurch erreichbare Zunahme an Arbeitsplätzen kann definitiv kein Gegenmittel für ein Problem dieses Ausmaßes sein. Dies alles läuft auf ein Schreckensszenarium hinaus: Der Graben zwischen Arm und Reich wird so tief, dass diejenigen, die über Wohlstand verfügen, in Schutzzonen leben, um sich vor den aufbegehrenden Besitzlosen zu sichern. Glücklich wird dabei niemand mehr, alle Betroffenen kämpfen nur noch ums Überleben und gegen die Bedrohung durch den jeweils anderen.

Darauf weist Frithjof Bergmann schon seit vielen Jahren hin.

Wie sehr er damit recht hat, zeigte sich im Herbst 2006, als es mitten in Europa einen Vorgeschmack auf diesen Kampf gab. Die zumeist jugendlichen Bewohner der Pariser Vorstädte revoltierten mehrere Tage und waren auch durch massiven Polizeieinsatz nicht unter Kontrolle zu bringen. Hier bekam eine westliche Industrienation erstmalig die Quittung für ihren Zynismus. Hier zeigte sich, dass Staatenlose, Flüchtlinge, Entwurzelte und Arbeitslose – alles Menschen, die von der Gesellschaft nicht gebraucht werden – nicht bereit sind, ihr Schicksal stumm zu erdulden.

Das Lohnarbeitssystem – ein Auslaufmodell

Wie funktioniert Lohnarbeit?

Jemand will etwas herstellen. Dazu braucht er Hilfe in Form menschlicher Arbeitskraft. Diese Arbeitskraft muss für ihn billiger oder effizienter sein als eine Maschine. Dadurch, dass die Arbeitskraft gekauft und genutzt wird, muss am Ende mehr Wert oder Bargeld herauskommen. So entstehen Arbeitsplätze.

Lohnarbeit reduziert den Menschen auf die jeweils gerade benötigte Arbeitskraft.

Wenn jemand eingestellt wird, um eine präzise definierte Aufgabe zu erfüllen, zum Beispiel Sand zu schaufeln oder Schrauben festzudrehen, ist es völlig uninteressant, ob derjenige auch noch gut singen und dichten kann.

Wie wird eigentlich aus Arbeit ein Arbeitsplatz?

Eigentlich ist nicht die Arbeit knapp, sondern die Arbeitsplätze sind es. Die Arbeit selbst ist unendlich, wie Frithjof Bergmann an späterer Stelle ausführt.

Wie nun wird aus Arbeit ein Arbeitsplatz?

Dadurch, dass man von jemandem an- oder eingestellt wird. Dass man etwas leistet, was für jemand anderen einen Wert hat, seine Macht und / oder seinen Reichtum vergrößert. Dafür wird der Arbeitnehmer bezahlt.

Das Problem der Arbeitsplatzknappheit besteht darin, dass die Arbeit sich am Ende für jemanden auszahlen muss, sie muss Wert für jemand anderen erzeugen.

Lohnarbeit?

Jahrhundertelang kam die Menschheit ohne sie aus

Die Menschheit hat den größten Teil ihrer Existenz ohne das Lohnarbeitssystem verbracht. Dieses System ist erst mit der Industrialisierung entstanden und ist historisch gesehen noch relativ jung. Zweihundert Jahre ist es alt – in der Menschheitsgeschichte sind das fünf Minuten. In der Geschichte der Arbeit ist es momentan das letzte Kapitel. Aber das heißt ja nicht, dass es dabei bleiben muss und nicht etwas kommen könnte, was das Lohnarbeitssystem ersetzt.

Mit der Lohnarbeit fing der Niedergang des ländlichen bäuerlichen Lebens an, einer Lebensform, in der das „für sich selbst Arbeiten“ dominierte. Wenn Frithjof Bergmann das Leben auf dem Land als Gegenbild zur industriellen Lohnarbeit sieht, interessiert ihn zunächst nicht, dass gerade auch auf dem Lande die Menschen jahrhundertelang in bitterster Armut, Unfreiheit und ausbeuterischen Verhältnissen gelebt haben. Die industrielle Revolution ist ihm Synonym für unmenschliche Arbeitsbedingungen, Elendsviertel, geringe Lebenserwartung und Kinderarbeit.

Diagnose: Das Lohnarbeitssystem ist krank und veraltet

Das Lohnarbeitssystem ist nicht nur krank, weil es innerhalb des Systems so viele Arbeitslose gibt, weil es also nicht funktioniert, weil es so viele Menschen ausschließt. Es ist auch krank, weil es nicht notwendig gut für diejenigen ist, die Arbeit haben.

Als die Lohnarbeit wie eine Rotte Wildschweine über das Dorfleben hereinbrach, brachte es Ausbeutung, Krankheit, Erschöpfung, Körper und Geist zermarternde Armut mit sich. Mühsam gelang es den Gewerkschaften, das System etwas menschenwürdiger zu gestalten, aber die Probleme liegen im System selbst, egal wie oft es sich reformiert.

Innerhalb des Lohnarbeitssystems geschieht immer wieder derselbe Fehler im Gewand eines fast unwillkürlichen Reflexes: Wenn die Arbeitsplätze knapp sind, soll die Konjunktur wieder mit allen Mitteln in Schwung gebracht werden. Unter diesem Druck überhitzt sich die Wirtschaft immer mehr. Die Folgen sind bekannt: zunehmende Arbeitslosigkeit, zunehmende Armut. Und der Teufelskreis beginnt von vorn. Die durchdrehenden Räder graben sich nur tiefer in den Sand.

 

Das System ist krank, weil es Armut und Arbeitslosigkeit erzeugt. Die Arbeitslosigkeit hat ein solches Ausmaß erreicht, das die wirklichen Dimensionen von keiner Statistik erfasst werden. Drei Viertel der Menschheit leben in der Dritten Welt. Und dort erzeugt das Lohnarbeitssystem nicht nur Arbeitslosigkeit, sondern auch Armut.

In der westlichen Welt werden diejenigen, die Arbeit haben, vor Stress und Existenzangst immer kränker und ihr Leben wird immer ärmer. Weil sie für fast nichts mehr Zeit haben außer für ihre Arbeit. Weil die Arbeit das Wichtigste ist, der Omni-Wert, um den sich alles dreht. Wer das Glück hat, erst mit über 65 in Rente zu gehen, fällt oft ins Nichts, weil er nichts mehr mit seinem Leben anzufangen weiß.

An dieser Stelle setzt seit einiger Zeit ein Irrglaube an, der einen fatalen Kreislauf in Gang setzt: Die Verfechter des Neoliberalismus glauben, dass in diesem System noch mehr Druck noch mehr Wachstum erzeugen und damit die Probleme lösen könnte. Dass sich die Räder der Wirtschaftsmaschinerie immer schneller drehen, hat jedoch bisher weder dazu geführt, dass mehr Menschen Arbeit haben, noch dazu, dass diejenigen, die arbeiten, mehr Freude an der Arbeit haben.

Die Lösung muss konsequenter und innovativer sein als die Formel vom Wachstum, das alle Probleme lösen würde.

Die Globalisierung ist gescheitert. Sie hat lediglich dazu geführt, das immer mehr Geld von unten nach oben verteilt worden ist, dazu, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden sind. Diese Entwicklung muss umgekehrt werden, führt sie sich doch ohnehin selbst ad absurdum, auch für diejenigen, die noch Arbeit haben. Wenn die Unternehmen die Löhne immer weiter drücken, wird es ohnehin bald niemanden mehr geben, der etwas kaufen kann.

Das Lohnarbeitssystem ist krank – weitere Symptome

Der staatlich geförderte Arbeits- und Weiterbildungsmarkt bewirkt gesamtgesellschaftlich gesehen nicht mehr, als dass er Tausende Arbeitslose aus der Statistik heraushält.

In der Kranken- und Altenpflege, bei der Kinderbetreuung und im Bildungssystem fehlen permanent Arbeitskräfte. Ein Ungleichgewicht, das im Lohnarbeitssystem begründet ist.

Das Lohnarbeitssystem führt zur Abwesenheit von Arbeit in der Jugend und im Alter und zu einem gnadenlosen Übermaß in den mittleren Jahren. Das sind biographische Schieflagen, die entweder durch ein Zuviel oder ein Zuwenig an Arbeit gekennzeichnet sind und in jedem Fall eine seelische Belastung für die Betroffenen darstellen.

Angesichts der Tatsache, dass die meisten im Lohnarbeitssystem gefangenen Menschen eine Arbeit verrichten, die weit unter ihren Fähigkeiten und Talenten liegt, scheint die Frage berechtigt, ob das Lohnarbeitssystem tatsächlich ein System der Arbeit ist oder ob es sich nicht eher um ein Instrument der politischen und sozialen Machtausübung handelt.

➤ Zustandsbeschreibung I :

Der arbeitende Mensch in der westlichen Welt

„Dass ein so großer Teil der gesamten Menschheit so große Schwierigkeiten hat, wirklich Mensch zu werden, dass so viele Menschen unglücklich und in sich zusammengesunken sind – schauen Sie in der U-Bahn doch nur einmal den an, der neben Ihnen sitzt –, dass sich große Teile der sogenannten ‚Massen‘ wahrlich in einem miserablen und deprimierenden geistigen und körperlichen Zustand befinden: das könnte man die große Enttäuschung, das herzzerreißend traurige Versagen einer langen Reihe frustrierender Bestrebungen nennen, die mit der Französischen Revolution begann. Die hochgestochenen, wellentanzenden, überschäumenden Hoffnungen, welche die Menschen damals geradezu trunken machten, stehen in erschreckendem Kontrast zu den Gesichtern mit dem trüben Blick, zu der Leblosigkeit und Geistlosigkeit, die die sogenannte Demokratie tatsächlich hervorgebracht hat. Und es sind die Gesichter der Pendler während ihres langen Wegs von zu Hause in die Arbeit und von der Arbeit wieder nach Hause, in denen sich diese Enttäuschung besonders unmissverständlich widerspiegelt. Es ist dieser Anblick, das Panoptikum dieser Amputationen, das den ersten Anstoß zur Entwicklung der Neuen Arbeit gab.“

➤ Zustandsbeschreibung II :

Der arbeitende Mensch in der Dritten Welt

Frithjof Bergmann hat seine Erfahrungen mit der Lohnarbeit in der Dritten Welt auf zahlreichen Reisen durch Städte, Vorstädte, Slums und ländliche Gebiete gesammelt. Er hat mit vielen Menschen über ihre Situation gesprochen und das Elend gesehen, das die Lohnarbeit dort erzeugt.

„Man kann dieses Elend auf jedem Bürgersteig, auf jedem Bahnhof und ganz gewiss in der Nähe eines jeden Hotels beobachten, sei es nun in Bombay, Moskau, Buenos Aires oder Mexiko City – oder natürlich auch in Detroit. Da sieht man Menschen herumlungern und warten. Sie stehen an einer Kreuzung und bieten jedem Autofahrer, der anhalten muss, Orangen an; sie postieren sich neben einer Tür und warten darauf, sie für jemanden aufzumachen; sie hocken vor einer kleinen Pyramide von Tomaten oder Mangos und verbringen den ganzen Tag damit, diese paar Früchte zu verhökern, die wahrscheinlich längst verdorben sind, bevor jemand sie kauft. Sie ‚arbeiten‘, manche sogar vermeintlich ‚für sich selbst‘ (d. h. als Unternehmer, als selbständige Geschäftsleute), andere natürlich, weil es ihr Job ist.

Fragen Sie den Taxifahrer, der da in einer langen Reihe klappriger Autos steht, wie lange er warten muss, wie viele Fahrten er an einem Tag bekommt! Fragen Sie die Trauben von Menschen, die an einem Bahnhof darauf warten, einen Koffer tragen zu können, wie viele Minuten am Tag der Einzelne tatsächlich ein Gepäckstück trägt! Und vergessen Sie nicht, dass viele dieser Menschen unlängst noch auf ihrem Bauernhof gearbeitet haben, man sieht es ihrem Körper und ihren Händen an. Was ist die ‚Arbeit‘, die sie jetzt tun, im Vergleich zu ihrer früheren Arbeit und, noch viel wichtiger, im Vergleich zu der Arbeit, die sie leisten könnten … wenn das Lohnarbeitssystem nicht so wäre, wie es ist? Nehmen Sie dies als ein Symbol, als eine Metapher, als eine Abbildung der Abwertung der Arbeit, die das Lohnarbeitssystem angerichtet hat.“

Fazit

Arbeit ist nicht mehr etwas, was gut für Menschen ist. Arbeit in ihrer heutigen Form demütigt den Menschen in erheblichem Maß. Mit dem Lohnarbeitssystem wird ein absurder Zustand am Leben erhalten, der den Menschen kleinmacht. Die Neue Arbeit ist eine Alternative zum Lohnarbeitssystem.

Die Neue Arbeit als Alternative zum Lohnarbeitssystem

Die Neue Arbeit versteht sich nun ganz entschieden als Alternative zum Lohnarbeitssystem. Da das Lohnarbeitssystem sich als völlig ineffizient und unproduktiv erweisen hat, auch nur eins der anstehenden Probleme annähernd zu lösen, muss es durch ein neues System abgelöst werden. Die Macht der Lohnarbeit über die Menschen, die Vergeudung menschlicher Fähigkeiten und Kreativität muss so schnell wie möglich beendet werden. Das geht nicht mit kosmetischen Korrekturen am Lohnarbeitssystem, etwa durch ergonomische Arbeitsplätze oder gewerkschaftlich erkämpfte Pausen. Dafür müssen die Grundstrukturen des Systems geändert werden. Das Ziel der Neuen Arbeit ist es, den Menschen ein freies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Ein alter Menschheitstraum, der schon die unterschiedlichsten Versuche der Realisierung erfahren hat. Mit der Neuen Arbeit soll dieser Traum nicht als Kampf oder mit einer Revolution gegen etwas durchgesetzt werden, sondern, ähnlich wie Ökologie und Feminismus, als allmählicher Bewusstseinsprozess, der immer mehr Niederschlag in der Realität findet, wahr werden. Die Schwierigkeiten auf dem Weg zum selbstbestimmten Leben, die in der eigenen Person liegen, hat Frithjof Bergmann mit der folgenden Parabel beschrieben.

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