*
183.
Der Symbolismus des Christentums ruht auf dem jüdischen, der auch schon die ganze Realität (Historie, Natur) in eine heilige Unnatürlichkeit und Unrealität aufgelöst hatte … der die wirkliche Geschichte nicht mehr sehen wollte –, der sich für den natürlichen Erfolg nicht mehr interessirte –
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184.
Die Juden machen den Versuch, sich durchzusetzen, nachdem ihnen zwei Kasten, die der Krieger und die der Ackerbauer, verloren gegangen sind;
sie sind in diesem Sinne die »Verschnittenen«: sie haben den Priester – und dann sofort den Tschandala…
Wie billig kommt es bei ihnen zu einem Bruch, zu einem Aufstand des Tschandala: der Ursprung des Christenthums.
Damit, daß sie den Krieger nur als ihren Herrn kannten, brachten sie in ihre Religion die Feindschaft gegen den Vornehmen, gegen den Edlen, Stolzen, gegen die Macht, gegen die herrschenden Stände –: sie sind Entrüstungs-Pessimisten…
Damit schufen sie eine wichtige neue Position: der Priester an der Spitze der Tschandala’s, – gegen die vornehmen Stände …
Das Christenthum zog die letzte Consequenz dieser Bewegung: auch im jüdischen Priesterthum empfand es noch die Kaste, den Privilegirten, den Vornehmen – es strich den Priester aus –
Der Christ ist der Tschandala, der den Priester ablehnt … der Tschandala, der sich selbst erlöst…
Deshalb ist die französische Revolution die Tochter und Fortsetzerin des Christenthums … sie hat den Instinkt gegen die Kaste, gegen die Vornehmen, gegen die letzten Privilegien – –
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185.
Das »christliche Ideal«: jüdisch klug in Scene gesetzt. Die psychologischen Grundtriebe, seine »Natur«:
der Aufstand gegen die herrschende geistliche Macht; Versuch, die Tugenden, unter denen das Glück der Niedrigsten möglich ist, zum richterlichen Ideal aller Werthe zu machen, – es Gott zu heißen: der Erhaltungs-Instinkt der lebensärmsten Schichten;
die absolute Enthaltung von Krieg und Widerstand aus dem Ideal zu rechtfertigen, – insgleichen den Gehorsam;
die Liebe unter einander, als Folge der Liebe zu Gott.
Kunstgriff: alle natürlichen *mobilia ableugnen* und umkehren in’s Geistlich-Jenseitige …
die Tugend und deren Verehrung ganz und gar für sich ausnützen, schrittweise sie allem Nicht-Christlichen absprechen.
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186.
Die tiefe Verachtung, mit der der Christ in der vornehm gebliebenen antiken Welt behandelt wurde, gehört ebendahin, wohin heute noch die Instinkt-Abneigung gegen den Juden gehört: es ist der Haß der freien und selbstbewußten Stände gegen Die, welche sich durchdrücken und schüchterne, linkische Gebärden mit einem unsinnigen Selbstgefühl verbinden.
Das neue Testament ist das Evangelium einer gänzlich unvornehmen Art Mensch; ihr Anspruch, mehr Werth zu haben, ja allen Werth zu haben, hat in der That etwas Empörendes, – auch heute noch.
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187.
Wie wenig liegt am Gegenstand! Der Geist ist es, der lebendig macht! Welche kranke und verstockte Luft mitten aus all dem aufgeregten Gerede von »Erlösung«, Liebe, Seligkeit, Glaube, Wahrheit, »ewigem Leben«! Man nehme einmal ein eigentlich heidnisches Buch dagegen, z. B. Petronius, wo im Grunde Nichts gethan, gesagt, gewollt und geschätzt wird, was nicht, nach einem christlich-muckerischen Werthmaaß, Sünde, selbst Todsünde ist. Und trotzdem: welches Wohlgefühl in der reineren Luft, der überlegenen Geistigkeit des schnelleren Schrittes, der freigewordenen und überschüssigen zukunftsgewissen Kraft! Im ganzen neuen Testament kommt keine einzige bouffonnerie vor: aber damit ist ein Buch widerlegt…
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188.
Die tiefe Unwürdigkeit, mit der alles Leben außerhalb des christlichen beurtheilt wird: es genügt ihnen nicht, ihre eigentlichen Gegner sich gemein zu denken, sie brauchen nichts weniger als eine Gesammtverleumdung von Allem, was nicht sie sind… Mit der Arroganz der Heiligkeit verträgt sich auf’s Beste eine niederträchtige und verschmitzte Seele: Zeugniß die ersten Christen.
Die Zukunft: sie lassen es sich tüchtig bezahlen… Es ist die unsauberste Art Geist, die es giebt. Das ganze Leben Christi wird so dargestellt, daß er den Weissagungen zum Recht verhilft: er handelt so, damit sie Recht bekommen…
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189.
Die lügnerische Auslegung der Worte, Gebärden und Zustände Sterbender: da wird z.B. die Furcht vor dem Tode mit der Furcht vor dem »Nach-dem-Tode« grundsätzlich verwechselt …
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190.
Auch die Christen haben es gemacht wie die Juden und Das, was sie als Existenzbedingung und Neuerung empfanden, ihrem Meister in den Mund gelegt und sein Leben damit inkrustirt. Insgleichen haben sie die ganze Spruchweisheit ihm zurückgegeben –: kurz, ihr thatsächliches Leben und Treiben als einen Gehorsam dargestellt und dadurch für ihre Propaganda geheiligt.
Woran Alles hängt, das ergiebt sich bei Paulus: es ist wenig. Das Andere ist die Ausgestaltung eines Typus von Heiligen, aus Dem, was ihnen als heilig galt.
Die ganze »Wunderlehre«, eingerechnet die Auferstehung, ist eine Consequenz der Selbstverherrlichung der Gemeinde, welche Das, was sie sich selber zutraute, in höherem Grade ihrem Meister zutraute (resp. aus ihm ihre Kraft ableitete…).
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191.
Die Christen haben niemals die Handlungen prakticirt, welche ihnen Jesus vorgeschrieben hat, und das unverschämte Gerede von der »Rechtfertigung durch den Glauben« und dessen oberster und einziger Bedeutsamkeit ist nur die Folge davon, daß die Kirche nicht den Muth, noch den Willen hatte, sich zu den Werken zu bekennen, welche Jesus forderte.
Der Buddhist handelt anders als der Nichtbuddhist! der Christ handelt wie alle Welt und hat ein Christenthum der Ceremonien und der Stimmungen.
Die tiefe und verächtliche Verlogenheit des Christenthums in Europa –: wir werden wirklich die Verachtung der Araber, Hindu’s, Chinesen… Man höre die Reden des ersten deutschen Staatsmannes über Das, was jetzt 40 Jahre Europa eigentlich beschäftigt hat…
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192.
»Glaube« oder »Werte«? – Aber daß zum »Werke«, zur Gewohnheit bestimmter Werke sich eine bestimmte Wertschätzung und endlich Gesinnung hinzuerzeugt, ist ebenso natürlich, als es unnatürlich ist, daß aus einer bloßen Wertschätzung »Werke« hervorgehn. Man muß sich üben, nicht in der Verstärkung von Werthgefühlen, sondern im Thun; man muß erst Etwas können… Der christliche Dilettantismus Luther’s. Der Glaube ist eine Eselsbrücke. Der Hintergrund ist eine tiefe Überzeugung Luther’s und seines Gleichen von ihrer Unfähigkeit zu christlichen Werken, eine persönliche Thatsache, verhüllt unter einem extremen Mißtrauen darüber, ob nicht überhaupt jedwedes Thun Sünde und vom Teufel ist: sodaß der Werth der Existenz auf einzelne hochgespannte Zustände der Unthätigkeit fällt (Gebet, Effusion u.s.w.). – Zuletzt hätte er Recht: die Instinkte, welche sich im ganzen Thun der Reformatoren ausdrücken, sind die brutalsten, die es giebt. Nur in der absoluten Wegwendung von sich, in der Versenkung in den Gegensatz, nur als Illusion (»Glaube«) war ihnen das Dasein auszuhalten.
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193.
– »Was thun, um zu glauben?« – eine absurde Frage. Was im Christentum fehlt, das ist die Enthaltung von Alledem, was Christus befohlen hat zu thun.
Es ist das mesquine Leben, aber mit einem Auge der Verachtung interpretirt.
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194.
Der Eintritt in das wahre Leben– man rettet sein persönliches Leben vom Tode, indem man das allgemeine Leben lebt –
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195.
Das »Christenthum« ist etwas Grundverschiedenes von Dem geworden, was sein Stifter that und wollte. Es ist die große antiheidnische Bewegung des Alterthums, formulirt mit Benutzung von Leben, Lehre und »Worten« des Stifters des Christenthums, aber in einer absolut willkürlichen Interpretation nach dem Schema grundverschiedener Bedürfnisse: übersetzt in die Sprache aller schon bestehenden unterirdischen Religionen –
Es ist die Heraufkunft des Pessimismus (– während Jesus den Frieden und das Glück der Lämmer bringen wollte): und zwar des Pessimismus der Schwachen, der Unterlegenen, der Leidenden, der Unterdrückten.
Ihr Todfeind ist 1) die Macht in Charakter, Geist und Geschmack; die »Weltlichkeit«: 2) das classische »Glück«, die vornehme Leichtfertigkeit und Skepsis, der harte Stolz, die exzentrische Ausschweifung und die kühle Selbstgenügsamkeit des Weisen, das griechische Raffinement in Gebärde, Wort und Form. Ihr Todfeind ist der Römer ebensosehr als der Grieche.
Versuch des Antiheidenthums, sich philosophisch zu begründen und möglich zu machen: Witterung für die zweideutigen Figuren der alten Cultur, vor Allem für Plato, diesen Antihellenen und Semiten von Instinkt… Insgleichen für den Stoicismus, der wesentlich das Werk von Semiten ist (– die »Würde« als Strenge, Gesetz, die Tugend als Größe, Selbstverantwortung, Autorität, als höchste Personal-Souveränetät – das ist semitisch. Der Stoiker ist ein arabischer Scheich in griechische Windeln und Begriffe gewickelt).
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196.
Das Christenthum nimmt den Kampf nur auf, der schon gegen das classische Ideal, gegen die vornehme Religion bestand. Thatsächlich ist diese ganze Umbildung eine Übersetzung in die Bedürfnisse und das Verständniß-Niveau der damaligen religiösen Masse: jener Masse, welche an Isis, Mithras, Dionysos, die »große Mutter« glaubte und welche von einer Religion verlangte: 1) die Jenseits-Hoffnung, 2) die blutige Phantasmagone des Opferthiers (das Mysterium), 3) die erlösende That, die heilige Legende, 4) den Asketismus, die Weltverneinung, die abergläubische »Reinigung«, 5) die Hierarchie, eine Form der Gemeindebildung. Kurz: das Christenthum paßt sich an das schon bestehende, überall eingewachsene Anti-Heidenthum an, an die Culte, welche von Epikur bekämpft worden sind … genauer, an die Religionen der niederen Masse, der Frauen, der Sklaven, der nicht-vornehmen Stände.
Wir haben also als Mißverständniß:
1. die Unsterblichkeit der Person;
2. die angebliche andere Welt; 3. die Absurdität des Strafbegriffs und Sühnebegriffs im Centrum der Daseins-Interpretation; 4. die Entgöttlichung des Menschen statt seiner Vergöttlichung, die Aufreißung der tiefsten Kluft, über die nur das Wunder, nur die Prostration der tiefsten Selbstverachtung hinweghilft; 5. die ganze Welt der verdorbenen Imagination und des krankhaften Affekts, statt der liebevollen, einfältigen Praxis, statt eines auf Erden erreichbaren buddhistischen Glückes; 6. eine kirchliche Ordnung mit Priesterschaft, Theologie, Cultus, Sacrament; kurz, alles Das, was Jesus von Nazareth bekämpft hatte; 7. das Wunder in Allem und Jedem, der Aberglaube: während gerade das Auszeichnende des Judenthums und des ältesten Christenthums sein Widerwille gegen das Wunder ist, seine relative Rationalität.
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197.
Die psychologische Voraussetzung: die Unwissenheit und Uncultur, die Ignoranz, die jede Scham verlernt hat: man denke sich diese unverschämten Heiligen mitten in Athen;
der jüdische »Auserwählten-Instinkt: sie nehmen alle Tugenden ohne Weiteres für sich in Anspruch und rechnen den Rest der Welt als ihren Gegensatz; tiefes Zeichen der Gemeinheit der Seele;
der vollkommene Mangel an wirklichen Zielen, an wirklichen Aufgaben, zu denen man andere Tugenden als die der Mucker braucht, – der Staat nahm ihnen diese Arbeit ab: das unverschämte Volk that trotzdem, als ob sie ihn nicht nöthig hätten.
»So ihr nicht werdet wie die Kinder –«: oh wie fern wir von dieser psychologischen Naivetät sind!
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198.
Der Stifter des Christenthums hat es büßen müssen, daß er sich an die niedrigste Schicht der jüdischen Gesellschaft und Intelligenz gewendet hat. Sie hat ihn nach dem Geiste concipirt, den sie begriff … Es ist eine wahre Schande, eine Heilsgeschichte, einen persönlichen Gott, einen persönlichen Erlöser, eine persönliche Unsterblichkeit herausfabricirt zu haben und die ganze Mesquinerie der »Person« und der »Historie« übrig behalten zu haben aus einer Lehre, die allem Persönlichen und Historischen die Realität bestreitet …
Die Heils-Legende an Stelle der symbolischen Jetzt- und Allzeit, des Hier und Überall; das Mirakel an Stelle des psychologischen Symbols.
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199.
Nichts ist weniger unschuldig als das neue Testament. Man weiß, auf welchem Boden es gewachsen ist. Dies Volk, mit einem unerbittlichen Willen zu sich selbst, das sich, nachdem es jeden natürlichen Halt verloren und sein Recht auf Dasein längst eingebüßt hatte, dennoch durchzusetzen wußte und dazu nöthig hatte, sich ganz und gar auf unnatürliche, rein imaginäre Voraussetzungen (als auserwähltes Volk, als Gemeinde der Heiligen, als Volk der Verheißung, als »Kirche«) aufzubauen: dies Volk handhabte die pia fraus mit einer Vollendung, mit einem Grad »guten Gewissens«, daß man nicht vorsichtig genug sein kann, wenn es Moral predigt. Wenn Juden als die Unschuld selber auftreten, da ist die Gefahr groß geworden: man soll seinen kleinen Fond Verstand, Mißtrauen, Bosheit immer in der Hand haben, wenn man das neue Testament liest.
Leute niedrigster Herkunft, zum Theil Gesindel, die Ausgestoßenen nicht nur der guten, sondern auch der achtbaren Gesellschaft, abseits selbst vom Geruche der Cultur aufgewachsen, ohne Zucht, ohne Wissen, ohne jede Ahnung davon, daß es in geistigen Dingen Gewissen geben könnte, eben – Juden: instinktiv klug, mit allen abergläubischen Voraussetzungen, mit der Unwissenheit selbst, einen Vorzug, eine Verführung zu schaffen.
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200.
Ich betrachte das Christenthum als die verhängnißvollste Lüge der Verführung, die es bisher gegeben hat, als die große unheilige Lüge: ich ziehe seinen Nachwuchs und Ausschlag von Ideal noch unter allen sonstigen Verkleidungen heraus, ich wehre alle Halb- und Dreiviertels-Stellungen zu ihm ab, – ich zwinge zum Krieg mit ihm.
Die Kleine-Leute-Moralität als Maaß der Dinge: das ist die ekelhafteste Entartung, welche die Cultur bisher aufzuweisen hat. Und diese Art Ideal als »Gott« hängen bleibend über der Menschheit!!
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201.
Wenn man auch noch so bescheiden in seinem Anspruch auf intellektuelle Sauberkeit ist, man kann nicht verhindern, bei der Berührung mit dem neuen Testament etwas wie ein unaussprechliches Mißbehagen zu empfinden: denn die zügellose Frechheit des Mitredenwollens Unberufenster über die großen Probleme, ja ihr Anspruch auf Richterthum in solchen Dingen übersteigt jedes Maaß. Die unverschämte Leichtfertigkeit, mit der hier von den unzugänglichsten Problemen (Leben, Welt, Gott, Zweck des Lebens) geredet wird, wie als ob sie keine Probleme wären, sondern einfach Sachen, die diese kleinen Mucker wissen!
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202.
Dies war die verhängnißvollste Art Größenwahn, die bisher auf Erden dagewesen ist: – wenn diese verlogenen kleinen Mißgeburten von Muckern anfangen, die Worte »Gott«, »jüngstes Gericht«, »Wahrheit«, »Liebe«, »Weisheit«, »heiliger Geist« für sich in Anspruch zu nehmen und sich damit gegen »die Welt« abzugrenzen, wenn diese Art Mensch anfängt, die Werthe nach sich umzudrehen, wie als ob sie der Sinn, das Salz, das Maaß und Gewicht vom ganzen Rest wären: so sollte man ihnen Irrenhäuser bauen und Nichts weiter thun. Daß man sie verfolgte, das war eine antike Dummheit großen Stils: damit nahm man sie zu ernst, damit machte man aus ihnen einen Ernst.
Das ganze Verhängnis; war dadurch ermöglicht, daß schon eine verwandte Art von Größenwahn in der Welt war, der jüdische (– nachdem einmal die Kluft zwischen den Juden und den Christen-Juden aufgerissen, mußten die Christen-Juden die Procedur der Selbsterhaltung, welche der jüdische Instinkt erfunden hatte, nochmals und in einer letzten Steigerung zu ihrer Selbsterhaltung anwenden –); andererseits dadurch, daß die griechische Philosophie der Moral Alles gethan hatte, um einen Moral-Fanatismus selbst unter Griechen und Römern vorzubereiten und schmackhaft zu machen … Plato, die große Zwischenbrücke der Verderbniß, der zuerst die Natur in der Moral nicht verstehen wollte, der bereits die griechischen Götter mit seinem Begriff »gut« entwerthet hatte, der bereits jüdisch – angemuckert war (– in Ägypten?).
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203.
Diese kleinen Heerdenthier-Tugenden führen ganz und gar nicht zum »ewigen Leben«: sie dergestalt in Scene setzen, und sich mit ihnen, mag sehr klug sein, aber für Den, der hier noch seine Augen auf hat, bleibt es trotzalledem das lächerlichste aller Schauspiele. Man verdient ganz und gar nicht ein Vorrecht auf Erden und im Himmel, wenn man es zur Vollkommenheit einer kleinen, lieben Schafsmäßigkeit gebracht hat; man bleibt damit, günstigen Falls, immer bloß ein kleines, liebes, absurdes Schaf mit Hörnern – vorausgesetzt, daß man nicht vor Eitelkeit platzt und durch richterliche Attitüden skandalisirt.
Die ungeheure Farben-Verklärung, mit der hier die kleinen Tugenden illuminirt werben – wie als Widerglanz göttlicher Qualitäten!
Die natürliche Absicht und Nützlichkeit jeder Tugend grundsätzlich verschwiegen; sie ist nur in Hinsicht auf ein göttliches Gebot, ein göttliches Vorbild werthvoll, nur in Hinsicht auf jenseitige und geistliche Güter. (Prachtvoll: als ob sich’s um’s »Heil der Seele« handelte: aber es war ein Mittel, um es hier mit möglichst viel schönen Gefühlen »auszuhalten«.)
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204.
Das Gesetz, die gründlich realistische Formulirung gewisser Erhaltungsbedingungen einer Gemeinde, verbietet gewisse Handlungen in einer bestimmten Richtung, namentlich insofern sie gegen die Gemeinde sich wenden: sie verbietet nicht die Gesinnung, aus der diese Handlungen fließen, – denn sie hat dieselben Handlungen in einer anderen Richtung nöthig, nämlich gegen die Feinde der Gemeinschaft. Nun tritt der Moral-Idealist auf und sagt »Gott stehet das Herz an: die Handlung selbst ist noch Nichts; man muß die feindliche Gesinnung ausrotten, aus der sie fließt …« Darüber lacht man in normalen Verhältnissen; nur in jenen Ausnahmefällen, wo eine Gemeinschaft absolut außerhalb der Nöthigung lebt, Krieg für ihre Existenz zu führen, hat man überhaupt das Ohr für solche Dinge. Man läßt eine Gesinnung fahren, deren Nützlichkeit nicht mehr abzusehen ist.
Dies war z. B. beim Auftreten Buddha’s der Fall, innerhalb einer sehr friedlichen und selbst geistig übermüdeten Gesellschaft.
Dies war insgleichen bei der ersten Christengemeinde (auch Judengemeinde) der Fall, deren Voraussetzung die absolut unpolitische jüdische Gesellschaft ist. Das Christenthum konnte nur auf dem Boden des Judenthums wachsen, d. h. innerhalb eines Volkes, das politisch schon Verzicht geleistet hatte und eine Art Parasiten-Dasein innerhalb der römischen Ordnung der Dinge lebte. Das Christenthum ist um einen Schritt weiter: man darf sich noch viel mehr »entmannen«, – die Umstände erlauben es. – Man treibt die Natur aus der Moral heraus, wenn man sagt »liebet eure Feinde«: denn nun ist die Natur »du sollst deinen Nächsten lieben, deinen Feind hassen« in dem Gesetz (im Instinkt) sinnlos geworden: nun muß auch die Liebe zu dem Nächsten sich erst neu begründen (als eine Art Liebe zu Gott). Überall Gott hineingesteckt und die Nützlichkeit herausgezogen; überall geleugnet, woher eigentlich alle Moral stammt: die Naturwürdigung, welche eben in der Anerkennung einer Natur-Moral liegt, in Grund und Boden vernichtet …
Woher kommt der Verführungsreiz eines solchen entmannten Menschheits-Ideals? Warum degoutirt es nicht, wie uns etwa die Vorstellung des Kastraten degoutirt? … Eben hier liegt die Antwort: die Stimme des Castraten degoutirt uns auch nicht, trotz der grausamen Verstümmelung, welche die Bedingung ist: sie ist süßer geworden … Eben damit, daß der Tugend die »männlichen Glieder« ausgeschnitten sind, ist ein femininischer Stimmklang in die Tugend gebracht, den sie vorher nicht hatte.
Denken wir andererseits an die furchtbare Härte, Gefahr und Unberechenbarkeit, die ein Leben der männlichen Tugenden mit sich bringt – das Leben eines Corsen heute noch oder das der heidnischen Araber (welches bis auf die Einzelheiten dem Leben der Corsen gleich ist: die Lieder könnten von Corsen gedichtet sein) – so begreift man, wie gerade die robusteste Art Mensch von diesem wollüstigen Klang der »Güte«, der »Reinheit« fascinirt und erschüttert wird … Eine Hirtenweise … ein Idyll … der »gute Mensch«: dergleichen wirkt am stärksten in Zeiten, wo die Tragödie durch die Gassen läuft.
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Hiermit haben wir aber auch erkannt, inwiefern der »Idealist« (– Ideal-Castrat) auch aus einer ganz bestimmten Wirklichkeit herausgeht und nicht bloß ein Phantast ist … Er ist gerade zur Erkenntniß gekommen, daß für seine Art Realität eine solche grobe Vorschrift des Verbotes bestimmter Handlungen keinen Sinn hat (weil der Instinkt gerade zu diesen Handlungen geschwächt ist, durch langen Mangel an Übung, an Nöthigung zur Übung). Der Castratist formulirt eine Summe von neuen Erhaltungsbedingungen für Menschen einer ganz bestimmten Species: darin ist er Realist. Die Mittel zu seiner Legislatur sind die gleichen, wie für die älteren Legislaturen: der Appell an alle Art Autorität, an »Gott«, die Benutzung des Begriffs »Schuld und Strafe«, – d. h. er macht sich den ganzen Zubehör des älteren Ideals zu nutz: nur in einer neuen Ausdeutung, die Strafe z. B. innerlicher gemacht (etwa als Gewissensbiß).
In praxi geht diese Species Mensch zu Grunde, sobald die Ausnahmebedingungen ihrer Existenz aufhören – eine Art Tahiti und Inselglück, wie es das Leben der kleinen Juden in der Provinz war. Ihre einzige natürliche Gegnerschaft ist der Boden, aus dem sie wuchsen: gegen ihn haben sie nöthig zu kämpfen, gegen ihn müssen sie die Offensiv- und Defensiv-Affekte wieder wachsen lassen: ihre Gegner sind die Anhänger des alten Ideals (– diese Species Feindschaft ist großartig durch Paulus im Verhältnis zum Jüdischen vertreten, durch Luther im Verhältnis zum priesterlich-asketischen Ideal). Die mildeste Form dieser Gegnerschaft ist sicherlich die der ersten Buddhisten: vielleicht ist auf Nichts mehr Arbeit verwendet worden, als die feindseligen Gefühle zu entmuthigen und schwach zu machen. Der Kampf gegen das Ressentiment erscheint fast als erste Aufgabe des Buddhisten: erst damit ist der Frieden der Seele verbürgt. Sich loslösen, aber ohne Rancune: das setzt allerdings eine erstaunlich gemilderte und süß gewordene Menschlichkeit voraus, – Heilige …
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Die Klugheit des Moral-Castratismus. – Wie führt man Krieg gegen die männlichen Affekte und Werthungen? Man hat keine physischen Gewaltmittel, man kann nur einen Krieg der List, der Verzauberung, der Lüge, kurz »des Geistes« führen.
Erstes Recept: man nimmt die Tugend überhaupt für sein Ideal in Anspruch; man negirt das ältere Ideal bis zum Gegensatz zu allem Ideal. Dazu gehört eine Kunst der Verleumdung.
Zweites Recept: man setzt seinen Typus als Werthmaaß überhaupt an; man projicirt ihn in die Dinge hinter die Dinge, hinter das Geschick der Dinge – als Gott.
Drittes Recept: man setzt die Gegner seines Ideals als Gegner Gottes an; man erfindet sich das Recht zum großen Pathos, zur Macht, zu fluchen und zu segnen.
Viertes Recept: man leitet alles Leiden, alles Unheimliche, Furchtbare und Verhängnißvolle des Daseins aus der Gegnerschaft gegen sein Ideal ab: – alles Leiden folgt als Strafe, und selbst bei den Anhängern (– es sei denn, daß es eine Prüfung ist u. s. w.).
Fünftes Recept: man geht so weit, die Natur als Gegensatz zum eignen Ideal zu fassen: man betrachtet es als eine große Geduldsprobe, als eine Art Martyrium, so lange im Natürlichen auszuhalten; man übt sich auf den dédain, in der Mienen und Manieren in Hinsicht auf alle »natürlichen Dinge« ein.
Sechstes Recept: der Sieg der Widernatur, des idealen Castratismus, der Sieg der Welt des Reinen, Guten, Sündlosen, Seligen wird projicirt in die Zukunft, als Ende, Finale, große Hoffnung, als »Kommen des Reiches Gottes«.
– – Ich hoffe, man kann über diese Emporschraubung einer kleinen Species zum absoluten Werthmaß der Dinge noch lachen? …
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205.
Ich liebe es durchaus nicht an jenem Jesus von Nazareth oder an seinem Apostel Paulus, daß sie den kleinen Leuten so viel in den Kopf gesetzt haben, als ob es Etwas auf sich habe mit ihren bescheidenen Tugenden. Man hat es zu theuer bezahlen müssen: denn sie haben die werthvolleren Qualitäten von Tugend und Mensch in Verruf gebracht, sie haben das schlechte Gewissen und das Selbstgefühl der vornehmen Seele gegen einander gesetzt, sie haben die tapfern, großmüthigen, verwegenen, excessiven Neigungen der starken Seele irregeleitet, bis zur Selbstzerstörung …
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206.
Im neuen Testament, speciell in den Evangelien höre ich durchaus nichts »Göttliches« reden: vielmehr eine indirekte Form der abgründlichsten Verleumdungs- und Vernichtungswuth – eine der unehrlichsten Formen des Hasses. Es fehlt alle Kenntniß der Eigenschaften einer höheren Natur. Ungescheuter Mißbrauch aller Art Biedermännerei; der ganze Schatz von Sprüchwörtern ist ausgenützt und angemaaßt; war es nöthig, daß ein Gott kommt, um jenen Zöllnern zu sagen u. s. w. –
Nichts ist gewöhnlicher als dieser Kampf gegen die Pharisäer mit Hülfe einer absurden und unpraktischen Moral-Scheinbarkeit; an solchem tour de force hat das Volk immer sein Vergnügen gehabt. Vorwurf der »Heuchelei«! aus diesem Munde! Nichts ist gewöhnlicher als diese Behandlung der Gegner – ein Indicium verfänglichster Art für Vornehmheit oder nicht …
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207.
Das ursprüngliche Christenthum ist Abolition des Staates: es verbietet den Eid, den Kriegsdienst, die Gerichtshöfe, die Selbstvertheidigung und Vertheidigung irgend eines Ganzen, den Unterschied zwischen Volksgenossen und Fremden; insgleichen die Ständeordnung.
Das Vorbild Christi: er widerstrebt nicht Denen, die ihm Übles thun; er vertheidigt sich nicht; er thut mehr: er »reicht die linke Wange« (auf die Frage »bist du Christus?« antwortet er »und von nun an werdet ihr sehen des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels«). Er verbietet, daß seine Jünger ihn vertheidigen; er macht aufmerksam, daß er Hülfe haben könnte, aber nicht will.
Das Christenthum ist auch Abolition der Gesellschaft: es bevorzugt alles von ihr Geringgeschätzte, es wächst heraus aus den Verrufenen und Verurtheilten, den Aussätzigen jeder Art, den »Sündern«, den »Zöllnern«, den Prostituirten, dem dümmsten Volk (den »Fischern«); es verschmäht die Reichen, die Gelehrten, die Vornehmen, die Tugendhaften, die »Correcten« …
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208.
Der Krieg gegen die Vornehmen und Mächtigen, wie er im neuen Testament geführt wird, ist ein Krieg wie der des Reineke und mit gleichen Mitteln: nur immer in priesterlicher Salbung und in entschiedener Ablehnung, um seine eigne Schlauheit zu wissen.