Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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2. Zur Geschichte des Christenthums

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158.

Man soll das Chris­tent­hum als his­to­ri­sche Rea­li­tät nicht mit je­ner Ei­nen Wur­zel ver­wech­seln, an wel­che es mit sei­nem Na­men er­in­nert: die an­dern Wur­zeln, aus de­nen es ge­wach­sen ist, sind bei Wei­tem mäch­ti­ger ge­we­sen. Es ist ein Miß­brauch ohne Glei­chen, wenn sol­che Ver­falls-Ge­bil­de und Miß­for­men, die »christ­li­che Kir­che«, »christ­li­cher Glau­be« und »christ­li­ches Le­ben« hei­ßen, sich mit je­nem hei­li­gen Na­men ab­zeich­nen. Was hat Chris­tus ver­neint? – Al­les, was heu­te christ­lich heißt.

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159.

Die gan­ze christ­li­che Leh­re von Dem, was ge­glaubt wer­den soll, die gan­ze christ­li­che »Wahr­heit« ist ei­tel Lug und Trug: und ge­nau das Ge­gen­stück von Dem, was den An­fang der christ­li­chen Be­we­gung ge­ge­ben hat.

Das ge­ra­de, was im kirch­li­chen Sinn das Christ­li­che ist, ist das An­ti­christ­li­che von vorn­her­ein: lau­ter Sa­chen und Per­so­nen statt der Sym­bo­le, lau­ter His­to­rie statt der ewi­gen That­sa­chen, lau­ter For­meln, Ri­ten, Dog­men statt ei­ner Pra­xis des Le­bens. Christ­lich ist die voll­kom­me­ne Gleich­gül­tig­keit ge­gen Dog­men, Cul­tus, Pries­ter, Kir­che, Theo­lo­gie.

Die Pra­xis des Chris­ten­tums ist kei­ne Phan­tas­te­rei, so we­nig die Pra­xis des Bud­dhis­mus sie ist: sie ist ein Mit­tel, glück­lich zu sein,

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160.

Je­sus geht di­rekt auf den Zu­stand los, das »Him­mel­reich« im Her­zen, und fin­det die Mit­tel nicht in der Ob­ser­vanz der jü­di­schen Kir­che –; er rech­net selbst die Rea­li­tät des Ju­dent­hums (sei­ne Nö­thi­gung, sich zu er­hal­ten) für Nichts; er ist rein in­ner­lich. –

Eben­so macht er sich Nichts aus den sämmt­li­chen gro­ben For­meln im Ver­kehr mit Gott: er wehrt sich ge­gen die gan­ze Buß- und Ver­söh­nungs-Leh­re; er zeigt, wie man le­ben muß, um sich als »ver­gött­licht« zu füh­len – und wie man nicht mit Buße und Zer­knir­schung über sei­ne Sün­den dazu kommt: »es liegt Nichts an Sün­de« ist sein Haup­turt­heil.

Sün­de, Buße, Ver­ge­bung, – das ge­hört Al­les nicht hier­her … das ist ein­ge­misch­tes Ju­dent­hum, oder es ist heid­nisch.

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161.

Das Him­mel­reich ist ein Zu­stand des Her­zens (– von den Kin­dern wird ge­sagt »denn ih­rer ist das Him­mel­reich«): Nichts, was »über der Erde« ist. Das Reich Got­tes »kommt« nicht chro­no­lo­gisch-his­to­risch, nicht nach dem Ka­len­der, Et­was, das ei­nes Ta­ges da wäre und Tags vor­her nicht: son­dern es ist eine »Sin­nes-Än­de­rung im Ein­zel­nen«, Et­was, das je­der­zeit kommt und je­der­zeit noch nicht da ist …

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162.

Der Schä­cher am Kreuz: – wenn der Ver­bre­cher selbst, der einen schmerz­haf­ten Tod lei­det, urt­heilt: »so, wie die­ser Je­sus, ohne Re­vol­te, ohne Feind­schaft, gü­tig, er­ge­ben, lei­det und stirbt, so al­lein ist es das Rech­te«, hat er das Evan­ge­li­um be­jaht: und da­mit ist er im Pa­ra­die­se

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163.

Je­sus ge­bie­tet: Man soll Dem, der böse ge­gen uns ist, we­der durch die That, noch im Her­zen Wi­der­stand leis­ten.

Man soll kei­nen Grund an­er­ken­nen, sich von sei­nem Wei­be zu schei­den.

Man soll kei­nen Un­ter­schied zwi­schen Frem­den und Ein­hei­mi­schen, Aus­län­dern und Volks­ge­nos­sen ma­chen.

Man soll sich ge­gen Nie­man­den er­zür­nen, man soll Nie­man­den ge­ring­schät­zen. Gebt Al­mo­sen im Ver­bor­ge­nen. Man soll nicht reich wer­den wol­len. Man soll nicht schwö­ren. Man soll nicht rich­ten. Man soll sich ver­söh­nen, man soll ver­ge­ben. Be­tet nicht öf­fent­lich.

Die »Se­lig­keit« ist nichts Ver­hei­ße­nes: sie ist da, wenn man so und so lebt und thut.

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164.

Spä­te­re Zutha­ten. – Die gan­ze Pro­phe­ten- und Wun­dert­hä­ter-At­ti­tü­de, der Zorn, das Her­auf­be­schwö­ren des Ge­richts ist eine ab­scheu­li­che Ver­derb­niß (z. B. Mar­cus 6, 11 Und Die, wel­che euch nicht auf­neh­men… ich sage euch: wahr­lich, es wird So­dom und Go­mor­rha u. s. w.). Der »Fei­gen­baum« (Matth. 21, 18): Als er aber des Mor­gens wie­der in die Stadt gieng, hun­ger­te ihn. Und er sah einen Fei­gen­baum am Wege und gieng hin und fand Nichts dar­an, denn al­lein Blät­ter, und sprach zu ihm: Nun wach­se auf dir hin­fort nim­mer­mehr Frucht! und der Fei­gen­baum ver­dorr­te als­bald.

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165.

Auf eine ganz ab­sur­de Wei­se ist die Lohn- und Straf-Leh­re hin­ein­ge­mengt: es ist Al­les da­mit ver­dor­ben.

Ins­glei­chen ist die Pra­xis der ers­ten ec­cle­sia mi­li­t­ans, des Apos­tels Pau­lus und sein Ver­hal­ten auf eine ganz ver­fäl­schen­de Wei­se als ge­bo­ten, als vor­aus fest­ge­setzt dar­ge­stellt – – – .

Die nach­träg­li­che Ver­herr­li­chung des that­säch­li­chen Le­bens und Leh­rens der ers­ten Chris­ten: wie als ob Al­les so vor­ge­schrie­ben und bloß be­folg­t wäre – –.

Nun gar die Er­fül­lung der Weis­sa­gun­gen: was ist da Al­les ge­fälscht und zu­recht ge­macht wor­den!

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166.

Je­sus stell­te ein wirk­li­ches Le­ben, ein Le­ben in der Wahr­heit je­nem ge­wöhn­li­chen Le­ben ge­gen­über: Nichts liegt ihm fer­ner, als der plum­pe Un­sinn ei­nes »ver­ewig­ten Pe­trus«, ei­ner ewi­gen Per­so­nal-Fort­dau­er. Was er be­kämpft, das ist die Wich­tigt­hue­rei der »Per­son«: wie kann er ge­ra­de die ver­ewi­gen wol­len?

Er be­kämpft ins­glei­chen die Hier­ar­chie in­ner­halb der Ge­mein­de: er ver­spricht nicht ir­gend eine Pro­por­ti­on von Lohn je nach der Leis­tung: wie kann er Stra­fe und Lohn im Jen­seits ge­meint ha­ben!

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167.

Das Chris­tent­hum ist ein nai­ver An­satz zu ei­ner bud­dhis­ti­schen Frie­dens­be­we­gung, mit­ten aus dem ei­gent­li­chen Her­de des Res­sen­ti­ments her­aus … aber durch Pau­lus zu ei­ner heid­nischen Mys­te­ri­en­leh­re um­ge­dreht, wel­che end­lich sich mit der gan­zen staat­li­chen Or­ga­ni­sa­tion ver­tra­gen lernt … und Krie­ge führt, ver­urt­heilt, fol­tert, schwört, haßt.

Pau­lus geht von dem Mys­te­ri­en-Be­dürf­niß der großen, re­li­gi­ös-er­reg­ten Men­ge aus: er sucht ein Op­fer, eine blu­ti­ge Phan­tas­ma­go­rie, die den Kampf aus­hält mit den Bil­dern der Ge­heim­cul­te: Gott am Kreu­ze, das Blut­trin­ken, die u­nio my­sti­ca, mit dem »Op­fer«.

Er sucht die For­texis­tenz (die se­li­ge, ent­sühn­te For­texis­tenz der Ein­zel­see­le) als Au­fer­ste­hung in Cau­sal­ver­bin­dung mit je­nem Op­fer zu brin­gen (nach dem Ty­pus des Dio­ny­sos, Mi­thras, Osi­ris).

Er hat nö­thig, den Be­griff Schuld und Sün­de in den Vor­der­grund zu brin­gen, nicht eine neue Pra­xis (wie sie Je­sus selbst zeig­te und lehr­te), son­dern einen neu­en Cul­tus, einen neu­en Glau­ben, einen Glau­ben an eine wun­der­glei­che Ver­wand­lung (»Er­lö­sung« durch den Glau­ben).

Er hat das große Be­dürf­niß der heid­nischen Wel­t ver­stan­den und aus den Tat­sa­chen vom Le­ben und Tode Chris­ti eine voll­kom­men will­kür­li­che Aus­wahl ge­macht, Al­les neu ac­cen­tu­irt, über­all das Schwer­ge­wicht ver­leg­t… er hat prin­ci­pi­ell das ur­sprüng­li­che Chris­tent­hum an­nul­lir­t

Das At­ten­tat auf Pries­ter und Theo­lo­gen mün­de­te, Dank dem Pau­lus, in eine neue Pries­ter­schaft und Theo­lo­gie – einen herr­schen­den Stand, auch eine Kir­che.

Das At­ten­tat auf die über­mä­ßi­ge Wich­tigt­hue­rei der »Per­son« mün­de­te in den Glau­ben an die »ewi­ge Per­son« (in die Sor­ge um’s »ewi­ge Heil« …), in die pa­ra­do­xes­te Über­trei­bung des Per­so­nal-Ego­is­mus.

Das ist der Hu­mor der Sa­che, ein tra­gi­scher Hu­mor: Pau­lus hat ge­ra­de Das im großen Sti­le wie­der auf­ge­rich­tet, was Chris­tus durch sein Le­ben an­nul­lirt hat­te. End­lich, als die Kir­che fer­tig ist, nimmt sie so­gar das Staats-Da­sein un­ter ihre Sank­ti­on.

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168.

– Die Kir­che ist ex­akt Das, wo­ge­gen Je­sus ge­pre­digt hat – und wo­ge­gen er sei­ne Jün­ger kämp­fen lehr­te –

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169.

Ein Gott für un­se­re Sün­den ge­stor­ben; eine Er­lö­sung durch den Glau­ben; eine Wie­der­au­fer­ste­hung nach dem Tode – das sind al­les Falsch­mün­ze­rei­en des ei­gent­li­chen Chris­tent­hums, für die man je­nen un­heil­vol­len Qu­er­kopf (Pau­lus) ver­ant­wort­lich ma­chen muß.

Das vor­bild­li­che Le­ben be­steht in der Lie­be und De­muth; in der Her­zens-Fül­le, wel­che auch den Nied­rigs­ten nicht aus­schließt; in der förm­li­chen Ver­zicht­leis­tung auf das Recht-be­hal­ten-wol­len, auf Vert­hei­di­gung, auf Sieg im Sin­ne des per­sön­li­chen Tri­um­phes; im Glau­ben an die Se­lig­keit hier, auf Er­den, trotz Noth, Wi­der­stand und Tod; in der Ver­söhn­lich­keit, in der Ab­we­sen­heit des Zor­nes, der Ver­ach­tung; nicht be­lohnt wer­den wol­len; Nie­man­dem sich ver­bun­den ha­ben; die geist­lich-geis­tigs­te Her­ren­lo­sig­keit; ein sehr stol­zes Le­ben un­ter dem Wil­len zum ar­men und die­nen­den Le­ben.

Nach­dem die Kir­che die gan­ze christ­li­che Pra­xis sich hat­te neh­men las­sen und ganz ei­gent­lich das Le­ben im Staa­te, jene Art Le­ben, wel­che Je­sus be­kämpft und ver­urt­heilt hat­te, sank­tio­nirt hat­te, muß­te sie den Sinn des Chris­tent­hums ir­gend­wo an­ders hin le­gen: in den Glau­ben an un­glaub­wür­di­ge Din­ge, in das Ce­re­mo­ni­ell von Ge­be­ten, An­be­tung, Fes­ten u. s. w. Der Be­griff »Sün­de«, »Ver­ge­bung«, »Stra­fe«, »Be­loh­nung« – Al­les ganz un­be­trächt­lich und fast aus­ge­schlos­sen vom ers­ten Chris­tent­hum – kommt setzt in den Vor­der­grund.

 

Ein schau­der­haf­ter Misch­masch von grie­chi­scher Phi­lo­so­phie und Ju­dent­hum: der As­ke­tis­mus; das be­stän­di­ge Rich­ten und Ver­urt­hei­len; die Rang­ord­nung u. s. w.

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170.

Das Chris­ten­tum hat von vorn­her­ein das Sym­bo­li­sche in Cru­di­tä­ten um­ge­setzt:

1. der Ge­gen­satz »wah­res Le­ben« und »falsches« Le­ben: miß­ver­stan­den als »Le­ben dies­seits« und »Le­ben jen­seits«;

2. der Be­griff »ewi­ges Le­ben« im Ge­gen­satz zum Per­so­nal-Le­ben der Ver­gäng­lich­keit als »Per­so­nal-Uns­terb­lich­keit«

3. die Ver­brü­de­rung durch ge­mein­sa­men Ge­nuß von Spei­se und Trank nach he­brä­isch-ara­bi­scher Ge­wohn­heit als »Wun­der der Trans­sub­stan­tia­ti­on«;

4. die »Au­fer­ste­hung –« als Ein­tritt in das »wah­re Le­ben«, als »wie­der­ge­bo­ren«; dar­aus: eine his­to­ri­sche Even­tua­li­tät, die ir­gend­wann nach dem Tode ein­tritt;

5. die Leh­re vom Men­schen­sohn als dem »Sohn Got­tes«, das Le­bens­ver­hält­nis zwi­schen Mensch und Gott; dar­aus: die »zwei­te Per­son der Gott­heit« – ge­ra­de das weg­ge­schafft: das Sohn­ver­hält­niß je­des Men­schen zu Gott, auch des nied­rigs­ten; 6. die Er­lö­sung durch den Glau­ben (näm­lich daß es kei­nen an­de­ren Weg zur Sohn­schaft Got­tes giebt als die von Chris­tus ge­lehr­te Pra­xis des Le­bens) um­ge­kehrt in den Glau­ben, daß man an ir­gend eine wun­der­ba­re Ab­zah­lung der Sün­de zu glau­ben habe, wel­che nicht durch den Men­schen, son­dern durch die That Chris­ti be­werk­stel­ligt ist:

Da­mit muß­te »Chris­tus am Kreu­ze« neu ge­deu­tet wer­den. Die­ser Tod war an sich durch­aus nicht die Haupt­sa­che … er war nur ein Zei­chen mehr, wie man sich ge­gen die Ob­rig­keit und Ge­set­ze der Welt zu ver­hal­ten habe – nicht sich weh­renDa­rin lag das Vor­bild.

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171.

Zur Psy­cho­lo­gie des Pau­lus. – Das Fak­tum ist der Tod Jesu. Dies bleibt aus­zu­le­gen … Daß es eine Wahr­heit und einen Irr­thum in der Aus­le­gung giebt, ist sol­chen Leu­ten gar nicht in den Sinn ge­kom­men: ei­nes Tags steigt ih­nen eine sub­li­me Mög­lich­keit in den Kopf »es könn­te die­ser Tod das und das be­deu­ten« – und so­fort ist er das! Eine Hy­po­the­se be­weist sich durch den sub­li­men Schwung, wel­chen sie ih­rem Ur­he­ber giebt …

»Der Be­weis der Kraft«: d. h. ein Ge­dan­ke wird durch sei­ne Wir­kung be­wie­sen, – (»an sei­nen Früch­ten«, wie die Bi­bel naiv sagt); was be­geis­tert, muß wahr sein, – wo­für man sein Blut läßt, muß wahr sein –

Hier wird über­all das plötz­li­che Macht­ge­fühl, das ein Ge­dan­ke in sei­nem Ur­he­ber er­regt, die­sem Ge­dan­ken als Wert­h zu­ge­rech­net: – und da man einen Ge­dan­ken gar nicht an­ders zu eh­ren weiß, als in­dem man ihn als wahr be­zeich­net, so ist das ers­te Prä­di­kat, das er zu sei­ner Ehre be­kommt, er sei wahr … Wie könn­te er sonst wir­ken? Er wird von ei­ner Macht ima­gi­nirt: ge­setzt sie wäre nicht real, so könn­te sie nicht wir­ken … Er wird als in­spir­ir­t auf­ge­faßt: die Wir­kung, die er aus­übt, hat Et­was von der Über­ge­walt ei­nes dä­mo­ni­schen Ein­flus­ses –

Ein Ge­dan­ke, dem ein sol­cher dé­ca­dent nicht Wi­der­stand zu leis­ten ver­mag, dem er vollends ver­fällt, ist als wahr »be­wie­sen«!!!

Alle die­se hei­li­gen Epi­lep­ti­ker und Ge­sich­te-Se­her be­sa­ßen nicht ein Tau­sends­tel von je­ner Recht­schaf­fen­heit der Selbst­kri­tik, mit der heu­te ein Phi­lo­lo­ge einen Text liest oder ein his­to­ri­sches Er­eigniß auf sei­ne Wahr­heit prüft … Es sind, im Ver­gleich zu uns, mo­ra­li­sche Cre­tins …

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172.

Daß es nicht dar­auf an­kommt, ob Et­was wahr ist, son­dern wie es wirk­t –: ab­so­lu­ter Man­gel an in­tel­lek­tu­el­ler Recht­schaf­fen­heit. Al­les ist gut, die Lüge, die Ver­leum­dung, die un­ver­schäm­tes­te Zu­recht­ma­chung, wenn es dient, je­nen Wär­me­grad zu er­hö­hen, – bis man »glaubt« –.

Eine förm­li­che Schu­le der Mit­tel der Ver­füh­rung zu ei­nem Glau­ben: prin­ci­pi­el­le Ver­ach­tung der Sphä­ren, wo­her der Wi­der­spruch kom­men könn­te (– der Ver­nunft, der Phi­lo­so­phie und Weis­heit, des Miß­trau­ens, der Vor­sicht); ein un­ver­schäm­tes Lo­ben und Ver­herr­li­chen der Leh­re un­ter be­stän­di­ger Be­ru­fung dar­auf, daß Gott es sei, der sie gebe, – daß der Apos­tel Nichts be­deu­te, – daß hier Nichts zu kri­ti­si­ren sei, son­dern nur zu glau­ben, an­zu­neh­men; daß es die au­ßer­or­dent­lichs­te Gna­de und Gunst sei, eine sol­che Er­lö­sungs­leh­re zu emp­fan­gen; daß die tiefs­te Dank­bar­keit und De­muth der Zu­stand sei, in dem man sie zu emp­fan­gen habe …

Es wird be­stän­dig spe­cu­lirt auf die Res­sen­ti­ments, wel­che die­se Nied­rig-Ge­stell­ten ge­gen Al­les, was in Ehren ist, emp­fin­den: daß man ih­nen die­se Leh­re als Ge­gen­satz-Leh­re ge­gen die Weis­heit der Welt, ge­gen die Macht der Welt dar­stellt, das ver­führt zu ihr. Sie über­re­det die Aus­ge­sto­ße­nen und Schlecht­weg­ge­kom­me­nen al­ler Art; sie ver­spricht die Se­lig­keit, den Vor­zug, das Pri­vi­le­gi­um den Un­schein­bars­ten und De­müthigs­ten; sie fa­na­ti­sirt die ar­men, klei­nen, thö­rich­ten Köp­fe zu ei­nem un­sin­ni­gen Dün­kel, wie als ob sie der Sinn und das Salz der Erde wä­ren –.

Das Al­les, noch­mals ge­sagt, kann man nicht tief ge­nug ver­ach­ten. Wir er­spa­ren uns die Kri­tik der Leh­re; es ge­nügt, die Mit­tel an­zu­sehn, de­ren sie sich be­dient, um zu wis­sen, wo­mit man es zu thun hat. Sie ac­cordir­te mit der Tu­gen­d, sie nahm die gan­ze Fas­ci­na­ti­ons-Kraft der Tu­gen­d scham­los für sich al­lein in An­spruch … sie ac­cordir­te mit der Macht des Pa­ra­do­xen, mit dem Be­dürf­niß al­ter Ci­vi­li­sa­tio­nen nach Pfef­fer und Wi­der­sinn; sie ver­blüff­te, sie em­pör­te, sie reiz­te auf zu Ver­fol­gung und zu Miß­hand­lung –.

Es ist ge­nau die­sel­be Art durch­dach­ter Nichts­wür­dig­keit, mit der die jü­di­sche Pries­ter­schaft ihre Macht fest­ge­stellt hat und die jü­di­sche Kir­che ge­schaf­fen wor­den ist …

Man soll un­ter­schei­den: 1) jene Wär­me der Lei­den­schaft »Lie­be« (auf dem Un­ter­grund ei­ner hit­zi­gen Sinn­lich­keit ru­hend); 2) das ab­so­lut Un­vor­neh­me des Chris­tent­hums: – die be­stän­di­ge Über­trei­bung, die Ge­schwät­zig­keit; – den Man­gel an küh­ler Geis­tig­keit und Iro­nie; – das Un­mi­li­tä­ri­sche in al­len In­stink­ten; – das pries­ter­li­che Vor­urt­heil ge­gen den männ­li­chen Stolz, ge­gen die Sinn­lich­keit, die Wis­sen­schaf­ten, die Küns­te.

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173.

Pau­lus: er sucht Macht ge­gen das re­gie­ren­de Ju­dent­hum, – sei­ne Be­we­gung ist zu schwach … Um­wer­thung des Be­grif­fes »Jude«: die »Ras­se« wird bei Sei­te gethan –: aber das hieß das Fun­da­ment ne­gi­ren. Der »Mär­ty­rer«, der »Fa­na­ti­ker«, der Werth al­les star­ken Glau­bens …

Das Chris­tent­hum ist die Ver­falls-For­m der al­ten Welt in tiefs­ter Ohn­macht, so­daß die kränks­ten und un­ge­sün­des­ten Schich­ten und Be­dürf­nis­se oben­auf kom­men.

Folg­lich muß­ten an­de­re In­stink­te in den Vor­der­grund tre­ten, um eine Ein­heit, eine sich weh­ren­de Macht zu schaf­fen –, kurz eine Art Noth­la­ge war nö­thig, wie jene, aus der die Ju­den ih­ren In­stinkt zur Selbs­t­er­hal­tung ge­nom­men hat­ten …

Un­schätz­bar sind hier­für die Chris­ten-Ver­fol­gun­gen – die Ge­mein­sam­keit in der Ge­fahr, die Mas­sen-Be­keh­run­gen als ein­zi­ges Mit­tel, den Pri­vat-Ver­fol­gun­gen ein Ende zu ma­chen (– er nimmt es folg­lich so leicht als mög­lich mit dem Be­griff »Be­keh­rung« –).

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174.

Das christ­lich-jü­di­sche Le­ben: hier über­wog nicht das Res­sen­ti­ment. Erst die großen Ver­fol­gun­gen mö­gen die Lei­den­schaft der­ge­stalt her­aus­ge­trie­ben ha­ben – so­wohl die Gluth der Lie­be, als die des Has­ses.

Wenn man für sei­nen Glau­ben sei­ne Liebs­ten ge­op­fert sieht, dann wird man ag­gres­si­v; man ver­dankt den Sieg des Chris­tent­hums sei­nen Ver­fol­gern.

Die As­ke­ti­k im Chris­tent­hum ist nicht spe­ci­fisch: das hat Scho­pen­hau­er miß­ver­stan­den: sie wächst nur in das Chris­tent­hum hin­ein: über­all dort, wo es auch ohne Chris­tent­hum As­ke­tik giebt.

Das hy­po­chon­dri­sche Chris­tent­hum, die Ge­wis­sens-Thier­quä­le­rei und -Fol­te­rung ist ins­glei­chen nur ei­nem ge­wis­sen Bo­den zu­ge­hö­rig, auf dem christ­li­che Wert­he Wur­zel ge­schla­gen ha­ben: es ist nicht das Chris­tent­hum selbst. Das Chris­tent­hum hat alle Art Krank­hei­ten mor­bi­der Bö­den in sich auf­ge­nom­men: man könn­te ihm ein­zig zum Vor­wurf ma­chen, daß es sich ge­gen kei­ne An­ste­ckung zu weh­ren wuß­te. Aber eben Das ist sein We­sen: Chris­tent­hum ist ein Ty­pus der dé­ca­dence.

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175.

Die Rea­li­tät, auf der das Chris­tent­hum sich auf­bau­en konn­te, war die klei­ne jü­di­sche Fa­mi­lie der Dias­po­ra, mit ih­rer Wär­me und Zärt­lich­keit, mit ih­rer im gan­zen rö­mi­schen Rei­che un­er­hör­ten und viel­leicht un­ver­stan­de­nen Be­reit­schaft zum Hel­fen, Ein­ste­hen für ein­an­der, mit ih­rem ver­bor­ge­nen und in De­muth ver­klei­de­ten Stolz der »Au­ser­wähl­ten«, mit ih­rem in­ner­lichs­ten Nein­sa­gen ohne Neid zu Al­lem, was oben­auf ist und was Glanz und Macht für sich hat. Das als Macht er­kannt zu ha­ben, die­sen se­li­gen Zu­stand als mit­t­heil­sam, ver­füh­re­risch, an­ste­ckend auch für Hei­den er­kannt zu ha­ben – ist das Ge­nie des Pau­lus: den Schatz von la­ten­ter Ener­gie, von klu­gem Glück aus­zunüt­zen zu ei­ner »jü­di­schen Kir­che freie­ren Be­kennt­nis­ses«, die gan­ze jü­di­sche Er­fah­rung und Meis­ter­schaft der Ge­mein­de-Selbs­t­er­hal­tung un­ter der Fremd­herr­schaft, auch die jü­di­sche Pro­pa­gan­da – das er­rieth er als sei­ne Auf­ga­be. Was er vor­fand, das war eben jene ab­so­lut un­po­li­ti­sche und ab­seits ge­stell­te Art klei­ner Leu­te: ihre Kunst, sich zu be­haup­ten und durch­zu­set­zen, in ei­ner An­zahl Tu­gen­den an­ge­züch­tet, wel­che den ein­zi­gen Sinn von Tu­gend aus­drück­ten (»Mit­tel der Er­hal­tung und Stei­ge­rung ei­ner be­stimm­ten Art Mensch«).

Aus der klei­nen jü­di­schen Ge­mein­de kommt das Prin­cip der Lie­be her: es ist eine lei­den­schaft­li­che­re See­le, die hier un­ter der Asche von De­muth und Arm­se­lig­keit glüht: so war es we­der grie­chisch, noch in­disch, noch gar ger­ma­nisch. Das Lied zu Ehren der Lie­be, wel­ches Pau­lus ge­dich­tet hat, ist nichts Christ­li­ches, son­dern ein jü­di­sches Auf­lo­dern der ewi­gen Flam­me, die se­mi­tisch ist. Wenn das Chris­tent­hum et­was We­sent­li­ches in psy­cho­lo­gi­scher Hin­sicht gethan hat, so ist es eine Er­hö­hung der Tem­pe­ra­tur der See­le bei je­nen käl­te­ren und vor­neh­me­ren Ras­sen, die da­mals oben­auf wa­ren; es war die Ent­de­ckung, daß das elen­des­te Le­ben reich und un­schätz­bar wer­den kann durch eine Tem­pe­ra­tur-Er­hö­hung…

Es ver­steht sich, daß eine sol­che Über­tra­gung nicht statt­fin­den konn­te in Hin­sicht auf die herr­schen­den Stän­de: die Ju­den und Chris­ten hat­ten die schlech­ten Ma­nie­ren ge­gen sich, – und was Stär­ke und Lei­den­schaft der See­le bei schlech­ten Ma­nie­ren ist, das wirkt ab­sto­ßend und bei­na­he Ekel er­re­gend (– ich se­he die­se schlech­ten Ma­nie­ren, wenn ich das neue Te­sta­ment lese). Man muß­te durch Nied­rig­keit und Noth mit dem hier re­den­den Ty­pus des nie­de­ren Vol­les ver­wandt sein, um das An­zie­hen­de zu emp­fin­den … Es ist eine Pro­be da­von, ob man et­was clas­si­schen Ge­schmack im Lei­be hat, wie man zum neu­en Te­sta­ment steht (vergl. Ta­ci­tus); wer da­von nicht re­vol­tirt ist, wer da­bei nicht ehr­lich und gründ­lich Et­was von foe­da su­pers­ti­tio emp­fin­det, Et­was, wo­von man die Hand zu­rück­zieht, wie um nicht sich zu be­schmut­zen: der weiß nicht, was clas­sisch ist. Man muß das »Kreuz« emp­fin­den wie Goe­the –

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176.

Re­ak­ti­on der klei­nen Leu­te: – Das höchs­te Ge­fühl der Macht giebt die Lie­be. Zu be­grei­fen, in­wie­fern hier nicht der Mensch über­haupt, son­dern eine Art Mensch re­det.

 

»Wir sind gött­lich in der Lie­be, wir wer­den Kin­der Got­tes’, Gott liebt uns und will gar Nichts von uns, als Lie­be«; das heißt: alle Moral, al­les Ge­hor­chen und Thun bringt nicht je­nes Ge­fühl von Macht und Frei­heit her­vor, wie es die Lie­be her­vor­bringt; – aus Lie­be thut man nichts Schlim­mes, man thut viel Mehr, als man aus Ge­hor­sam und Tu­gend thä­te.

Hier ist das He­er­den­glück, das Ge­mein­schafts-Ge­fühl im Gro­ßen und Klei­nen, das le­ben­di­ge Eins-Ge­fühl als Sum­me des Le­bens­ge­fühls emp­fun­den. Das Hel­fen und Sor­gen und Nüt­zen er­regt fort­wäh­rend das Ge­fühl der Macht; der sicht­ba­re Er­folg, der Aus­druck der Freu­de un­ter­streicht das Ge­fühl der Macht; der Stolz fehlt nicht, als Ge­mein­de, als Wohn­stät­te Got­tes, als »Au­ser­wähl­te«.

That­säch­lich hat der Mensch noch­mals eine Al­te­ra­ti­on der Per­sön­lich­keit er­lebt: dies­mal nann­te er sein Lie­bes­ge­fühl Gott. Man muß ein Er­wa­chen ei­nes sol­chen Ge­fühls sich den­ken, eine Art Ent­zücken, eine frem­de Rede, ein »Evan­ge­li­um«, – die­se Neu­heit war es, wel­che ihm nicht er­laub­te, sich die Lie­be zu­zu­rech­nen –: er mein­te, daß Gott vor ihm wand­le und in ihm le­ben­dig ge­wor­den sei. – »Gott kommt zu den Men­schen«, der »Nächs­te« wird trans­fi­gur­irt, in einen Gott (in­so­fern an ihm das Ge­fühl der Lie­be sich aus­löst). Je­sus ist der Nächs­te, so wie die­ser zur Gott­heit, zur Macht­ge­fühl er­re­gen­den Ur­sa­che um­ge­dacht wur­de.

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177.

Die Gläu­bi­gen sind sich be­wußt, dem Chris­tent­hum Unend­li­ches zu ver­dan­ken, und schlie­ßen folg­lich, daß des­sen Ur­he­ber eine Per­son­na­ge ers­ten Ran­ges sei … Die­ser Schluß ist falsch, aber er ist der ty­pi­sche Schluß der Ver­eh­ren­den. Ob­jek­tiv an­ge­sehn, wäre mög­lich, ers­tens, daß sie sich irr­ten über den Werth Des­sen, was sie dem Chris­tent­hum ver­dan­ken: Über­zeu­gun­gen be­wei­sen Nichts für Das, wo­von man über­zeugt ist, bei Re­li­gio­nen be­grün­den sie eher noch einen Ver­dacht da­ge­gen… Es wäre zwei­tens mög­lich, daß, was dem Chris­tent­hum ver­dankt wird, nicht sei­nem Ur­he­ber zu­ge­schrie­ben wer­den dürf­te, son­dern eben dem fer­ti­gen Ge­bil­de, dem Gan­zen, der Kir­che u. s. w. Der Be­griff »Ur­he­ber« ist so viel­deu­tig, daß er selbst die blo­ße Ge­le­gen­heits-Ur­sa­che für eine Be­we­gung be­deu­ten kann: man hat die Ge­stalt des Grün­ders in dem Maa­ße ver­grö­ßert, als die Kir­che wuchs; aber eben die­se Op­tik der Ver­eh­rung er­laubt den Schluß, daß ir­gend wann die­ser Grün­der et­was sehr Un­si­che­res und Un­fest­ge­stell­tes war, – am An­fang… Man den­ke, mit wel­cher Frei­heit Pau­lus das Per­so­nal-Pro­blem Je­sus be­han­delt, bei­na­he es­ka­mo­tirt –: Je­mand, der ge­stor­ben ist, den man nach sei­nem Tode wie­der ge­se­hen hat, Je­mand, der von den Ju­den zum Tode über­ant­wor­tet wur­de… Ein blo­ßes »Mo­tiv«: die Mu­sik macht er dann da­zu…

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178.

Ein Re­li­gi­ons­s­tif­ter kann un­be­deu­tend sein, – ein Streich­holz, Nichts mehr!

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179.

Zum psy­cho­lo­gi­schen Pro­blem des Chris­tent­hums. – Die trei­ben­de Kraft bleib­t : das Res­sen­ti­ment, der Volks­auf­stand, der Auf­stand der Schlecht­weg­ge­kom­me­nen. (Mit dem Bud­dhis­mus steht es an­ders: er ist nicht ge­bo­ren aus ei­ner Res­sen­ti­ments-Be­we­gung. Er be­kämpft das­sel­be, weil es zum Han­deln an­treibt).

Die­se Frie­den­s­par­tei be­greift, daß Ver­zicht­leis­ten auf Feind­se­lig­keit in Ge­dan­ken und That eine Un­ter­schei­dungs- und Er­hal­tungs­be­din­gung ist. Hie­rin liegt die psy­cho­lo­gi­sche Schwie­rig­keit, wel­che ver­hin­dert hat, daß man das Chris­tent­hum ver­stand: der Trieb, der es schuf, er­zwingt eine grund­sätz­li­che Be­kämp­fung sei­ner sel­ber.

Nur als Frie­dens- und Un­schuld­s­par­tei hat die­se Auf­stands­be­we­gung eine Mög­lich­keit auf Er­folg: sie muß sie­gen durch die ex­tre­me Mil­de, Sü­ßig­keit, Sanft­muth, ihr In­stinkt be­greift das –. Kunst­stück: den Trieb, des­sen Aus­druck man ist, leug­nen, ver­urt­hei­len, das Ge­gen­stück die­ses Trie­bes durch die That und das Wort be­stän­dig zur Schau tra­gen –.

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180.

Die an­geb­li­che Ju­gend. – Man be­trügt sich, wenn man hier von ei­nem nai­ven und jun­gen Volks-Da­sein träumt, das sich ge­gen eine alte Cul­tur ab­hebt; es geht der Aber­glau­be, als ob in die­sen Schich­ten des nie­ders­ten Vol­kes, wo das Chris­tent­hum wuchs und Wur­zeln schlug, die tiefe­re Quel­le des Le­bens wie­der em­por­ge­spru­delt sei: man ver­steht Nichts von der Psy­cho­lo­gie der Christ­lich­keit, wenn man sie als Aus­druck ei­ner neu her­auf­kom­men­den Volks-Ju­gend und Ras­sen-Ver­stär­kung nimmt. Viel­mehr: es ist eine ty­pi­sche dé­ca­dence-Form, die Moral-Ver­zärt­li­chung und Hys­te­rie in ei­ner müde und ziel­los ge­wor­de­nen, krank­haf­ten Misch­masch-Be­völ­ke­rung. Die­se wun­der­li­che Ge­sell­schaft, wel­che hier um die­sen Meis­ter der Volks-Ver­füh­rung sich zu­sam­men­fand, ge­hört ei­gent­lich sammt und son­ders in einen rus­si­schen Ro­man: alle Ner­ven­krank­hei­ten ge­ben sich bei ih­nen ein Ren­dez­vous … die Ab­we­sen­heit von Auf­ga­ben, der In­stinkt, daß Al­les ei­gent­lich am Ende sei, daß sich Nichts mehr loh­ne, die Zufrie­den­heit in ei­nem dol­ce far ni­en­te.

Die Macht und Zu­kunfts-Ge­wiß­heit des jü­di­schen In­stinkts, das Un­ge­heu­re sei­nes zä­hen Wil­lens zu Da­sein und Macht liegt in sei­ner herr­schen­den Klas­se; die Schich­ten, wel­che das jun­ge Chris­ten­tum em­por­hebt, sind durch Nichts schär­fer ge­zeich­net, als durch die In­stinkt- Er­mü­dung. Man hat es satt: das ist das Eine – und man ist zu­frie­den, bei sich, in sich, für sich – das ist das An­de­re.

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181.

Das Chris­tent­hum als e­man­ci­pir­tes Ju­dent­hum (in glei­cher Wei­se wie eine lo­kal und ras­sen­mä­ßig be­ding­te Vor­nehm­heit end­lich sich von die­sen Be­din­gun­gen eman­ci­pirt und nach ver­wand­ten Ele­men­ten su­chen geht …).

1) als Kir­che (Ge­mein­de) auf dem Bo­den des Staa­tes, als un­po­li­ti­sches Ge­bil­de;

2) als Le­ben, Zucht, Pra­xis, Le­bens­kunst;

3) als Re­li­gi­on der Sün­de (des Ver­ge­hens an Got­t als ein­zi­ger Art der Ver­ge­hung, als ein­zi­ger Ur­sa­che al­les Lei­dens über­haupt), mit ei­nem Uni­ver­sal­mit­tel ge­gen sie. Es giebt nur an Gott Sün­de; was ge­gen die Men­schen ge­fehlt ist, dar­über soll der Mensch nicht rich­ten, noch Re­chen­schaft for­dern, es sei denn im Na­men Got­tes. Ins­glei­chen alle Ge­bo­te (Lie­be): Al­les ist an­ge­knüpft an Gott, und um Got­tes Wil­len wird es am Men­schen gethan. Da­rin steckt eine hohe Klug­heit (– das Le­ben in großer Enge, wie bei den Es­ki­mos, ist nur er­träg­lich bei der fried­fer­tigs­ten und nach­sich­tigs­ten Ge­sin­nung: das jü­disch-christ­li­che Dog­ma wen­de­te sich ge­gen die Sün­de, zum Bes­ten des »Sün­ders« –).

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182.

Die jü­di­sche Pries­ter­schaft hat­te ver­stan­den, Al­les was sie be­an­spruch­te, als eine gött­li­che Sat­zung, als Fol­ge­leis­tung ge­gen ein Ge­bot Got­tes zu prä­sen­ti­ren … ins­glei­chen, was dazu diente, Is­rael zu er­hal­ten, sei­ne Exis­tenz- Er­mög­li­chung (z.B. eine Sum­me von Wer­ken: Be­schnei­dung, Op­fer­cult als Cen­trum des na­tio­na­len Be­wußt­seins) nicht als Na­tur, son­dern als »Gott« ein­zu­füh­ren. – Die­ser Pro­ceß setzt sich fort; in­ner­halb des Ju­dent­hums, wo die Not­wen­dig­keit der »Wer­ke« nicht emp­fun­den wur­de (näm­lich als Ab­schei­dung ge­gen Au­ßen), konn­te eine pries­ter­li­che Art Mensch con­ci­pirt wer­den, die sich ver­hält wie die »vor­neh­me Na­tur« zum Ari­sto­kra­ten; eine kas­ten­lo­se und gleich­sam spon­ta­ne Pries­ter­haf­tig­keit der See­le, wel­che nun, um ih­ren Ge­gen­satz scharf von sich ab­zu­he­ben, nicht auf die »Wer­ke«, son­dern die »Ge­sin­nung« den Werth leg­te…

Im Grun­de han­del­te es sich wie­der dar­um, eine be­stimm­te Art von See­le durch­zu­set­zen: gleich­sam ein Volks-Auf­stand in­ner­halb ei­nes pries­ter­li­chen Vol­kes, – eine pie­tis­ti­sche Be­we­gung von Un­ten (Sün­der, Zöll­ner, Wei­ber, Kran­ke). Je­sus von Na­za­reth war das Zei­chen, an dem sie sich er­kann­ten. Und wie­der, um an sich glau­ben zu kön­nen, brau­chen sie eine theo­lo­gi­sche Trans­fi­gu­ra­ti­on: nichts Ge­rin­ge­res als »der Sohn Got­tes« thut ih­nen noth, um sich Glau­ben zu schaf­fen… Und ge­nau so, wie die Pries­ter­schaft die gan­ze Ge­schich­te Is­raels ver­fälscht hat­te, so wur­de noch­mals der Ver­such ge­macht, über­haupt die Ge­schich­te der Mensch­heit hier um­zu­fäl­schen, da­mit das Chris­ten­tum als sein car­di­nals­tes Er­eigniß er­schei­nen kön­ne. Die­se Be­we­gung konn­te nur auf dem Bo­den des Ju­dent­hums ent­ste­hen: des­sen Haupt­t­hat war, Schuld und Un­glück zu ver­flech­ten und alle Schuld auf Schuld an Got­t zu re­du­ci­ren: da­von ist das Chris­ten­tum die zwei­te Po­tenz.