Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Von den Abtrünnigen
1

Ach, liegt Al­les schon welk und grau, was noch jüngst auf die­ser Wie­se grün und bunt stand? Und wie vie­len Ho­nig der Hoff­nung trug ich von hier in mei­ne Bie­nen­kör­be!

Die­se jun­gen Her­zen sind alle schon alt ge­wor­den, – und nicht alt ein­mal! nur müde, ge­mein, be­quem: – sie heis­sen es »Wir sind wie­der fromm ge­wor­den.«

Noch jüngst sah ich sie in der Frü­he auf tap­fe­ren Füs­sen hin­aus­lau­fen: aber ihre Füs­se der Er­kennt­niss wur­den müde, und nun ver­leum­den sie auch noch ihre Mor­gen-Tap­fer­keit!

Wahr­lich, Man­cher von ih­nen hob einst die Bei­ne wie ein Tän­zer, ihm wink­te das La­chen in mei­ner Weis­heit: – da be­sann er sich. Eben sah ich ihn krumm – zum Kreu­ze krie­chen.

Um Licht und Frei­heit flat­ter­ten sie einst gleich Mücken und jun­gen Dich­tern. Ein We­nig äl­ter, ein We­nig käl­ter: und schon sind sie Dunk­ler und Munk­ler und Ofen­ho­cker.

Ver­zag­te ih­nen wohl das Herz darob, dass mich die Ein­sam­keit ver­schlang gleich ei­nem Wall­fi­sche? Lausch­te ihr Ohr wohl sehn­süch­tig-lan­ge um­sonst nach mir und mei­nen Trom­pe­ten- und He­rolds-Ru­fen?

– Ach! Im­mer sind ih­rer nur We­ni­ge, de­ren Herz einen lan­gen Muth und Über­muth hat; und sol­chen bleibt auch der Geist ge­duld­sam. Der Rest aber ist fei­ge.

Der Rest: das sind im­mer die Al­ler­meis­ten, der All­tag, der Über­fluss, die Viel-zu-Vie­len – die­se alle sind fei­ge! –

Wer mei­ner Art ist, dem wer­den auch die Er­leb­nis­se mei­ner Art über den Weg lau­fen: also, dass sei­ne ers­ten Ge­sel­len Leich­na­me und Pos­sen­reis­ser sein müs­sen.

Sei­ne zwei­ten Ge­sel­len aber – die wer­den sich sei­ne Gläu­bi­gen heis­sen: ein le­ben­di­ger Schwarm, viel Lie­be, viel Thor­heit, viel un­bär­ti­ge Ver­eh­rung.

An die­se Gläu­bi­gen soll Der nicht sein Herz bin­den, wer mei­ner Art un­ter Men­schen ist; an die­se Len­ze und bun­te Wie­sen soll Der nicht glau­ben, wer die flüch­tig-fei­ge Men­schen­art kennt!

Könn­ten sie an­ders, so wür­den sie auch an­ders wol­len. Halb- und Hal­be ver­der­ben al­les Gan­ze. Dass Blät­ter welk wer­den, – was ist da zu kla­gen!

Lass sie fah­ren und fal­len, oh Za­ra­thustra, und kla­ge nicht! Lie­ber noch bla­se mit ra­scheln­den Win­den un­ter sie, –

– bla­se un­ter die­se Blät­ter, oh Za­ra­thustra: dass al­les Wel­ke schnel­ler noch von dir da­von­lau­fen! –

2

»Wir sind wie­der fromm ge­wor­den« – so be­ken­nen die­se Ab­trün­ni­gen; und Man­che von ih­nen sind noch zu fei­ge, also zu be­ken­nen.

De­nen sehe ich in’s Auge, – de­nen sage ich es in’s Ge­sicht und in die Rö­the ih­rer Wan­gen: ihr seid Sol­che, wel­che wie­der be­ten!

Es ist aber eine Schmach, zu be­ten! Nicht für Alle, aber für dich und mich und wer auch im Kop­fe sein Ge­wis­sen hat. Für dich ist es eine Schmach, zu be­ten!

Du weisst es wohl: dein fei­ger Teu­fel in dir, der ger­ne Hän­de-fal­ten und Hän­de-in-den-Schooss-le­gen und es be­que­mer ha­ben möch­te: – die­ser fei­ge Teu­fel re­det dir zu »es gieb­t einen Gott!«

Da­mit aber ge­hörst du zur licht­scheu­en Art, de­nen Licht nim­mer Ruhe lässt; nun musst du täg­lich dei­nen Kopf tiefer in Nacht und Dunst ste­cken!

Und wahr­lich, du wähl­test die Stun­de gut: denn eben wie­der flie­gen die Nacht­vö­gel aus. Die Stun­de kam al­lem licht­scheu­en Vol­ke, die Abend- und Fei­er­stun­de, wo es nicht – »fei­ert.«

Ich höre und rie­che es: es kam ihre Stun­de für Jagd und Um­zug, nicht zwar für eine wil­de Jagd, son­dern für eine zah­me lah­me schnüf­feln­de Lei­se­tre­ter- und Lei­se­be­ter-Jagd, –

– für eine Jagd auf see­len­vol­le Duck­mäu­ser: alle Her­zens- Mau­se­fal­len sind jetzt wie­der auf­ge­stellt! Und wo ich einen Vor­hang auf­he­be, da kommt ein Nacht­fal­ter­chen her­aus­ge­stürzt.

Hock­te es da wohl zu­sam­men mit ei­nem an­dern Nacht­fal­ter­chen? Denn über­all rie­che ich klei­ne ver­kroch­ne Ge­mein­den; und wo es Käm­mer­lein giebt, da giebt es neue Bet-Brü­der drin und den Dunst von Bet-Brü­dern.

Sie sit­zen lan­ge Aben­de bei ein­an­der und spre­chen: las­set uns wie­der wer­den wie die Kind­lein und »lie­ber Gott« sa­gen!« – an Mund und Ma­gen ver­dor­ben durch die from­men Zucker­bä­cker.

Oder sie se­hen lan­ge Aben­de ei­ner lis­ti­gen lau­ern­den Kreuz­spin­ne zu, wel­che den Spin­nen sel­ber Klug­heit pre­digt und also lehrt: »un­ter Kreu­zen ist gut spin­nen!«

Oder sie sit­zen Tags über mit An­gel­ruthen an Sümp­fen und glau­ben sich tie­f da­mit; aber wer dort fischt, wo es kei­ne Fi­sche giebt, den heis­se ich noch nicht ein­mal ober­fläch­lich!

Oder sie ler­nen fromm-froh die Har­fe schla­gen bei ei­nem Lie­der-Dich­ter, der sich gern jun­gen Weib­chen in’s Herz harf­nen möch­te: – denn er wur­de der al­ten Weib­chen müde und ih­res Lob­prei­sens.

Oder sie ler­nen gru­seln bei ei­nem ge­lehr­ten Halb-Tol­len, der in dunklen Zim­mern war­tet, dass ihm die Geis­ter kom­men – und der Geist ganz da­von­läuft!

Oder sie hor­chen ei­nem al­ten um­ge­trieb­nen Schnurr- und Knurr­pfei­fer zu, der trü­ben Win­den die Trüb­sal der Töne ablern­te; nun pfeift er nach dem Win­de und pre­digt in trü­ben Tö­nen Trüb­sal.

Und Ei­ni­ge von ih­nen sind so­gar Nacht­wäch­ter ge­wor­den: die ver­ste­hen jetzt in Hör­ner zu bla­sen und Nachts um­her­zu­gehn und alte Sa­chen auf­zu­we­cken, die lan­ge schon ein­ge­schla­fen sind.

Fünf Wor­te von al­ten Sa­chen hör­te ich ges­tern Nachts an der Gar­ten-Mau­er: die ka­men von sol­chen al­ten be­trüb­ten trock­nen Nacht­wäch­tern.

»Für einen Va­ter sorgt er nicht ge­nug um sei­ne Kin­der: Men­schen-Vä­ter thun diess bes­ser!« –

»Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um sei­ne Kin­der« – also ant­wor­te­te der an­de­re Nacht­wäch­ter.

»Hat er denn Kin­der? Nie­mand kann’s be­wei­sen, wenn er’s sel­ber nicht be­weist! Ich woll­te längst, er be­wie­se es ein­mal gründ­lich.«

»Be­wei­sen? Als ob Der je Et­was be­wie­sen hät­te! Be­wei­sen fällt ihm schwer; er hält gros­se Stücke dar­auf, dass man ihm glaubt.«

»Ja! Ja! Der Glau­be macht ihn se­lig, der Glau­be an ihn. Das ist so die Art al­ter Leu­te! So geht’s uns auch!« –

– Also spra­chen zu ein­an­der die zwei al­ten Nacht­wäch­ter und Licht­scheu­chen, und tu­te­ten dar­auf be­trübt in ihre Hör­ner: so ge­sch­ah’s ges­tern Nachts an der Gar­ten-Mau­er.

Mir aber wand sich das Herz vor La­chen und woll­te bre­chen und wuss­te nicht, wo­hin? und sank in’s Zwerch­fell.

Wahr­lich, das wird noch mein Tod sein, dass ich vor La­chen er­sti­cke, wenn ich Esel be­trun­ken sehe und Nacht­wäch­ter also an Gott zwei­feln höre.

Ist es denn nicht lan­ge vor­bei auch für alle sol­che Zwei­fel? Wer darf noch sol­che alte ein­ge­schlaf­ne licht­scheue Sa­chen auf­we­cken!

Mit den al­ten Göt­tern gieng es ja lan­ge schon zu Ende: – und wahr­lich, ein gu­tes fröh­li­ches Göt­ter-Ende hat­ten sie!

Sie »däm­mer­ten« sich nicht zu Tode, – das lügt man wohl! Viel­mehr: sie ha­ben sich sel­ber ein­mal zu Tode – ge­lacht !

Das ge­sch­ah, als das gott­lo­ses­te Wort von ei­nem Got­te sel­ber aus­gieng, – das Wort: »Es ist Ein Gott! Du sollst kei­nen an­dern Gott ha­ben ne­ben mir!« –

– ein al­ter Grimm-Bart von Gott, ein ei­fer­süch­ti­ger ver­gass sich also:

Und alle Göt­ter lach­ten da­mals und wa­ckel­ten auf ih­ren Stüh­len und rie­fen: »Ist das nicht eben Gött­lich­keit, dass es Göt­ter, aber kei­nen Gott giebt?«

Wer Ohren hat, der höre. –

Also re­de­te Za­ra­thustra in der Stadt, die er lieb­te und wel­che zu­be­nannt ist die bun­te Kuh.’ Von hier näm­lich hat­te er nur noch zwei Tage zu ge­hen, dass er wie­der in sei­ne Höh­le käme und zu sei­nen Thie­ren; sei­ne See­le aber frohlock­te be­stän­dig ob der Nähe sei­ner Heim­kehr. –

Die Heimkehr

Oh Ein­sam­keit! Du mei­ne Hei­mat Ein­sam­keit! Zu lan­ge leb­te ich wild in wil­der Frem­de, als dass ich nicht mit Thrä­nen zu dir heim­kehr­te!

Nun dro­he mir nur mit dem Fin­ger, wie Müt­ter drohn, nein lächle mir zu, wie Müt­ter lä­cheln, nun sprich nur: »Und wer war das, der wie ein Sturm­wind einst von mir da­v­on­stürm­te? –

»- der schei­dend rief: zu lan­ge sass ich bei der Ein­sam­keit, da ver­lern­te ich das Schwei­gen! D a s – lern­test du nun wohl?

»Oh Za­ra­thustra, Al­les weiss ich: und dass du un­ter den Vie­len ver­las­se­ner warst, du Ei­ner, als je bei mir!

»Ein An­de­res ist Ver­las­sen­heit, ein An­de­res Ein­sam­keit: Das – lern­test du nun! Und dass du un­ter Men­schen im­mer wild und fremd sein wirst:

»-Wild und fremd auch noch, wenn sie dich lie­ben: denn zu­erst von Al­lem wol­len sie ge­schont sein!

»Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hau­se; hier kannst du Al­les hin­aus­re­den und alle Grün­de aus­schüt­ten, Nichts schämt sich hier ver­steck­ter, ver­stock­ter Ge­füh­le.

»Hier kom­men alle Din­ge lieb­ko­send zu dei­ner Rede und schmei­cheln dir: denn sie wol­len auf dei­nem Rücken rei­ten. Auf je­dem Gleich­niss rei­test du hier zu je­der Wahr­heit.

»Auf­recht und auf­rich­tig darfst du hier zu al­len Din­gen re­den: und wahr­lich, wie Lob klingt es ih­ren Ohren, dass Ei­ner mit al­len Din­gen – ge­ra­de re­det!

»Ein An­de­res aber ist Ver­las­sen­sein. Denn, weisst du noch, oh Za­ra­thustra? Als da­mals dein Vo­gel über dir schrie, als du im Wal­de stan­dest, un­schlüs­sig, wo­hin? un­kun­dig, ei­nem Leich­nam nahe: –

 

»- als du sprachst: mö­gen mich mei­ne Thie­re füh­ren! Ge­fähr­li­cher fand ich’s un­ter Men­schen, als un­ter Thie­ren: – Das war Ver­las­sen­heit!

»Und weisst du noch, oh Za­ra­thustra? Als du auf dei­ner In­sel sas­sest, un­ter lee­ren Ei­mern ein Brun­nen Weins, ge­bend und aus­ge­bend, un­ter Durs­ti­gen schen­kend und aus­schen­kend:

»- bis du end­lich durs­tig al­lein un­ter Trun­ke­nen sas­sest und nächt­lich klag­test »ist Neh­men nicht se­li­ger als Ge­ben? Und Steh­len noch se­li­ger als Neh­men?« – Das war Ver­las­sen­heit!

»Und weisst du noch, oh Za­ra­thustra? Als dei­ne stills­te Stun­de kam und dich von dir sel­ber fort­trieb, als sie mit bö­sem Flüs­tern sprach: Sprich und zer­brich!« –

»- als sie dir all dein War­ten und Schwei­gen leid mach­te und dei­nen de­müthi­gen Muth ent­muthig­te: Das war Ver­las­sen­heit!« –

Oh Ein­sam­keit! Du mei­ne Hei­mat Ein­sam­keit! Wie se­lig und zärt­lich re­det dei­ne Stim­me zu mir!

Wir fra­gen ein­an­der nicht, wir kla­gen ein­an­der nicht, wir ge­hen of­fen mit ein­an­der durch off­ne Thü­ren.

Denn of­fen ist es bei dir und hell; und auch die Stun­den lau­fen hier auf leich­teren Füs­sen. Im Dunklen näm­lich trägt man schwe­rer an der Zeit, als im Lich­te.

Hier sprin­gen mir al­les Seins Wor­te und Wort-Schrei­ne auf: al­les Sein will hier Wort wer­den, al­les Wer­den will hier von mir re­den ler­nen.

Da un­ten aber – da ist al­les Re­den um­sonst! Da ist Ver­ges­sen und Vor­über­gehn die bes­te Weis­heit: Das – lern­te ich nun!

Wer Al­les bei den Men­schen be­grei­fen woll­te, der müss­te Al­les an­grei­fen. Aber dazu habe ich zu rein­li­che Hän­de.

Ich mag schon ih­ren Athem nicht ein­ath­men; ach, dass ich so lan­ge un­ter ih­rem Lärm und üb­lem Athem leb­te!

Oh se­li­ge Stil­le um mich! Oh rei­ne Gerü­che um mich! Oh wie aus tiefer Brust die­se Stil­le rei­nen Athem holt! Oh wie sie horcht, die­se se­li­ge Stil­le!

Aber da un­ten – da re­det Al­les, da wird Al­les über­hört. Man mag sei­ne Weis­heit mit Glo­cken ein­läu­ten: die Krä­mer auf dem Mark­te wer­den sie mit Pfen­ni­gen über­klin­geln!

Al­les bei ih­nen re­det, Nie­mand weiss mehr zu ver­stehn. Al­les fällt in’s Was­ser, Nichts fällt mehr in tie­fe Brun­nen.

Al­les bei ih­nen re­det, Nichts ge­räth mehr und kommt zu Ende. Al­les ga­ckert, aber wer will noch still auf dem Nes­te sit­zen und Eier brü­ten?

Al­les bei ih­nen re­det, Al­les wird zer­re­det. Und was ges­tern noch zu hart war für die Zeit sel­ber und ih­ren Zahn: heu­te hängt es zer­schabt und zer­nagt aus den Mäu­lern der Heu­ti­gen.

Al­les bei ih­nen re­det, Al­les wird ver­rat­hen. Und was einst Ge­heim­niss hiess und Heim­lich­keit tiefer See­len, heu­te ge­hört es den Gas­sen-Trom­pe­tern und an­dern Schmet­ter­lin­gen.

Oh Men­schen­we­sen, du wun­der­li­ches! Du Lärm auf dunklen Gas­sen! Nun liegst du wie­der hin­ter mir: – mei­ne gröss­te Ge­fahr liegt hin­ter mir!

Im Scho­nen und Mit­lei­den lag im­mer mei­ne gröss­te Ge­fahr; und al­les Men­schen­we­sen will ge­schont und ge­lit­ten sein.

Mit ver­hal­te­nen Wahr­hei­ten, mit Nar­ren­hand und ver­narr­tem Her­zen und reich an klei­nen Lü­gen des Mit­lei­dens: – also leb­te ich im­mer un­ter Men­schen.

Ver­klei­det sass ich un­ter ih­nen, be­reit, mich zu ver­ken­nen, dass ich sie er­trü­ge, und gern mir zu­re­dend »du Narr, du kennst die Men­schen nicht!«

Man ver­lernt die Men­schen, wenn man un­ter Men­schen lebt: zu viel Vor­der­grund ist an al­len Men­schen, – was sol­len da weit­sich­ti­ge, weit-süch­ti­ge Au­gen!

Und wenn sie mich ver­kann­ten: ich Narr schon­te sie darob mehr, als mich: ge­wohnt zur Här­te ge­gen mich und oft noch an mir sel­ber mich rä­chend für die­se Scho­nung.

Zer­sto­chen von gif­ti­gen Flie­gen und aus­ge­höhlt, dem Stei­ne gleich, von vie­len Trop­fen Bos­heit, so sass ich un­ter ih­nen und re­de­te mir noch zu: »un­schul­dig ist al­les Klei­ne an sei­ner Klein­heit!«

Son­der­lich Die, wel­che sich »die Gu­ten« heis­sen, fand ich als die gif­tigs­ten Flie­gen: sie ste­chen in al­ler Un­schuld, sie lü­gen in al­ler Un­schuld; wie ver­möch­ten sie, ge­gen mich – ge­recht zu sein!

Wer un­ter den Gu­ten lebt, den lehrt Mit­leid lü­gen. Mit­leid macht dump­fe Luft al­len frei­en See­len. Die Dumm­heit der Gu­ten näm­lich ist un­er­gründ­lich.

Mich sel­ber ver­ber­gen und mei­nen Reicht­hum – das lern­te ich da un­ten: denn je­den fand ich noch arm am Geis­te. Das war der Lug mei­nes Mit­lei­dens, dass ich bei je­dem wuss­te,

– dass ich je­dem es an­sah und an­roch, was ihm Geis­tes ge­nug und was ihm schon Geis­tes zu­viel war!

Ihre stei­fen Wei­sen: ich hiess sie wei­se, nicht steif, – so lern­te ich Wor­te ver­schlu­cken. Ihre Tod­ten­grä­ber: ich hiess sie For­scher und Prü­fer, – so lern­te ich Wor­te ver­tau­schen.

Die Tod­ten­grä­ber gra­ben sich Krank­hei­ten an. Un­ter al­tem Schutte ruhn schlim­me Düns­te. Man soll den Mo­rast nicht auf­rüh­ren. Man soll auf Ber­gen le­ben.

Mit se­li­gen Nüs­tern ath­me ich wie­der Ber­ges-Frei­heit! Er­löst ist end­lich mei­ne Nase vom Ge­ruch al­les Men­schen­we­sens!

Von schar­fen Lüf­ten ge­kit­zelt, wie von schäu­men­den Wei­nen, niest mei­ne See­le, – niest und ju­belt sich zu: Ge­sund­heit!

Also sprach Za­ra­thustra.

Von den drei Bösen
1

Im Traum, im letz­ten Mor­gen­trau­me stand ich heut auf ei­nem Vor­ge­bir­ge, – jen­seits der Welt, hielt eine Wage und wo­g die Welt.

Oh dass zu früh mir die Mor­gen­rö­the kam: die glüh­te mich wach, die Ei­fer­süch­ti­ge! Ei­fer­süch­tig ist sie im­mer auf mei­ne Mor­gen­traum-Glu­then.

Mess­bar für Den, der Zeit hat, wäg­bar für einen gu­ten Wä­ger, er­flieg­bar für star­ke Fit­ti­ge, er­ra­th­bar für gött­li­che Nüs­se­knacker: also fand mein Traum die Welt: –

Mein Traum, ein küh­ner Seg­ler, halb Schiff, halb Winds­braut, gleich Schmet­ter­lin­gen schweig­sam, un­ge­dul­dig gleich Edel­fal­ken: wie hat­te er doch zum Welt-Wä­gen heu­te Ge­duld und Wei­le!

Sprach ihm heim­lich wohl mei­ne Weis­heit zu, mei­ne la­chen­de wa­che Tags-Weis­heit, wel­che über alle »un­end­li­che Wel­ten« spot­tet? Denn sie spricht: »wo Kraft ist, wird auch die Zahl Meis­te­rin: die hat mehr Kraft.«

Wie si­cher schau­te mein Traum auf die­se end­li­che Welt, nicht neu­gie­rig, nicht alt­gie­rig, nicht fürch­tend, nicht bit­tend: –

– als ob ein vol­ler Ap­fel sich mei­ner Hand böte, ein rei­fer Gold­ap­fel, mit kühl-sanf­ter samm­te­ner Haut: – so bot sich mir die Welt: –

– als ob ein Baum mir win­ke, ein breitäs­ti­ger, stark­wil­li­ger, ge­krümmt zur Leh­ne und noch zum Fuss­brett für den Weg­mü­den: so stand die Welt auf mei­nem Vor­ge­bir­ge: –

– als ob zier­li­che Hän­de mir einen Schrein ent­ge­gentrü­gen, – einen Schrein of­fen für das Ent­zücken scham­haf­ter ver­eh­ren­der Au­gen: also bot sich mir heu­te die Welt ent­ge­gen: –

– nicht Räth­sel ge­nug, um Men­schen-Lie­be da­von zu scheu­chen, nicht Lö­sung ge­nug, um Men­schen-Weis­heit ein­zu­schlä­fern: – ein mensch­lich gu­tes Ding war mir heut die Welt, der man so Bö­ses nach­re­det!

Wie dan­ke ich es mei­nem Mor­gen­traum, dass ich also in der Frü­he heut die Welt wog! Als ein mensch­lich gu­tes Ding kam er zu mir, die­ser Traum und Her­zen­strös­ter!

Und dass ich’s ihm gleich thue am Tage und sein Bes­tes ihm nach- und abler­ne: will ich jetzt die drei bö­ses­ten Din­ge auf die Wage thun und mensch­lich gut ab­wä­gen. –

Wer da seg­nen lehr­te, der lehr­te auch flu­chen: wel­ches sind in der Welt die drei best­ver­fluch­ten Din­ge? Die­se will ich auf die Wage thun.

Wol­lust, Herrsch­sucht, Selbst­sucht: die­se Drei wur­den bis­her am bes­ten ver­flucht und am schlimms­ten be­leu- und be­lü­gen­mun­det, – die­se Drei will ich mensch­lich gut ab­wä­gen.

Wohl­auf! Hier ist mein Vor­ge­birg und da das Meer: das wälzt sich zu mir her­an, zot­te­lig, schmeich­le­risch, das ge­treue alte hun­dert­köp­fi­ge Hunds-Un­get­hüm, das ich lie­be.

Wohl­auf! Hier will ich die Wage hal­ten über ge­wälz­tem Mee­re: und auch einen Zeu­gen wäh­le ich, dass er zu­se­he, – dich, du Ein­sied­ler-Baum, dich stark­duf­ti­gen, breit­ge­wölb­ten, den ich lie­be! –

Auf wel­cher Brücke geht zum Der­einst das Jetzt? Nach wel­chem Zwan­ge zwingt das Hohe sich zum Nie­de­ren? Und was heisst auch das Höchs­te noch – hin­auf­wach­sen? –

Nun steht die Wage gleich und still: drei schwe­re Fra­gen warf ich hin­ein, drei schwe­re Ant­wor­ten trägt die and­re Wag­scha­le.

2

Wol­lust: al­len buss­hem­di­gen Leib-Veräch­tern ihr Sta­chel und Pfahl, und als »Welt« ver­flucht bei al­len Hin­ter­welt­lern: denn sie höhnt und narrt alle Wirr- und Irr-Leh­rer.

Wol­lust: dem Ge­sin­del das lang­sa­me Feu­er, auf dem es ver­brannt wird; al­lem wur­mich­ten Hol­ze, al­len stin­ken­den Lum­pen der be­rei­te Brunst- und Bro­del-Ofen.

Wol­lust: für die frei­en Her­zen un­schul­dig und frei, das Gar­ten-Glück der Erde, al­ler Zu­kunft Dan­kes-Über­schwang an das Jetzt.

Wol­lust: nur dem Wel­ken ein süss­lich Gift, für die Lö­wen-Wil­li­gen aber die gros­se Herz­stär­kung, und der ehr­fürch­tig ge­schon­te Wein der Wei­ne.

Wol­lust: das gros­se Gleich­niss-Glück für hö­he­res Glück und höchs­te Hoff­nung. Vie­lem näm­lich ist Ehe ver­heis­sen und mehr als Ehe, –

– Vie­lem, das frem­der sich ist, als Mann und Weib: – und wer be­griff es ganz, wie frem­d sich Mann und Weib sind!

Wol­lust: – doch ich will Zäu­ne um mei­ne Ge­dan­ken ha­ben und auch noch um mei­ne Wor­te: dass mir nicht in mei­ne Gär­ten die Schwei­ne und Schwär­mer bre­chen! –

Herrsch­sucht: die Glüh-Geis­sel der här­tes­ten Her­zens­har­ten; die grau­se Mar­ter, die sich dem Grau­sams­ten sel­ber auf­spart; die düstre Flam­me le­ben­di­ger Schei­ter­hau­fen.

Herrsch­sucht: die bos­haf­te Brem­se, die den ei­tels­ten Völ­kern auf­ge­setzt wird; die Ver­höh­ne­rin al­ler un­ge­wis­sen Tu­gend; die auf je­dem Ros­se und je­dem Stol­ze rei­tet.

Herrsch­sucht: das Erd­be­ben, das al­les Mor­sche und Höh­lich­te bricht und auf­bricht; die rol­len­de grol­len­de stra­fen­de Zer­bre­che­rin über­tünch­ter Grä­ber; das blit­zen­de Fra­ge­zei­chen ne­ben vor­zei­ti­gen Ant­wor­ten.

Herrsch­sucht: vor de­ren Blick der Mensch kriecht und duckt und fröhnt und nied­ri­ger wird als Schlan­ge und Schwein: – bis end­lich die gros­se Ver­ach­tung aus ihm auf­schreie –,

Herrsch­sucht: die furcht­ba­re Leh­re­rin der gros­sen Ver­ach­tung, wel­che Städ­ten und Rei­chen in’s Ant­litz pre­digt »hin­weg mit dir!« – bis es aus ih­nen sel­ber auf­schreie »hin­weg mit mir

Herrsch­sucht: die aber lo­ckend auch zu Rei­nen und Ein­sa­men und hin­auf zu selbst­ge­nug­sa­men Hö­hen steigt, glü­hend gleich ei­ner Lie­be, wel­che pur­pur­ne Se­lig­kei­ten lo­ckend an Er­den­him­mel malt.

Herrsch­sucht: doch wer hies­se es Sucht, wenn das Hohe hin­ab nach Macht ge­lüs­tet! Wahr­lich, nichts Sie­ches und Süch­ti­ges ist an sol­chem Ge­lüs­ten und Nie­der­stei­gen!

Dass die ein­sa­me Höhe sich nicht ewig ver­ein­sa­me und selbst be­gnü­ge; dass der Berg zu Tha­le kom­me und die Win­de der Höhe zu den Nie­de­run­gen: –

Oh wer fän­de den rech­ten Tauf- und Tu­gend­na­men für sol­che Sehn­sucht! »Schen­ken­de Tu­gend« – so nann­te das Un­nenn­ba­re einst Za­ra­thustra.

Und da­mals ge­sch­ah es auch, – und wahr­lich, es ge­sch­ah zum ers­ten Male! – dass sein Wort die Selbst­sucht se­lig pries, die hei­le, ge­sun­de Selbst­sucht, die aus mäch­ti­ger See­le quillt: –

– aus mäch­ti­ger See­le, zu wel­cher der hohe Leib ge­hört, der schö­ne, sieg­haf­te, er­quick­li­che, um den her­um jed­we­des Ding Spie­gel wird:

– der ge­schmei­di­ge über­re­den­de Leib, der Tän­zer, des­sen Gleich­niss und Aus­zug die selbst-lus­ti­ge See­le ist. Sol­cher Lei­ber und See­len Selbst-Lust heisst sich sel­ber: »Tu­gend.«

 

Mit ih­ren Wor­ten von Gut und Schlecht schirmt sich sol­che Selbst-Lust wie mit hei­li­gen Hai­nen; mit den Na­men ih­res Glücks bannt sie von sich al­les Verächt­li­che.

Von sich weg bannt sie al­les Fei­ge; sie spricht: Schlecht – das ist fei­ge! Verächt­lich dünkt ihr der im­mer Sor­gen­de, Seuf­zen­de, Kläg­li­che und wer auch die kleins­ten Vort­hei­le auf­liest.

Sie ver­ach­tet auch alle weh­se­li­ge Weis­heit: denn, wahr­lich, es giebt auch Weis­heit, die im Dunklen blüht, eine Nacht­schat­ten-Weis­heit: als wel­che im­mer seufzt: »Al­les ist ei­tel!«

Das scheue Miss­trau­en gilt ihr ge­ring, und Je­der, wer Schwü­re statt Bli­cke und Hän­de will: auch alle all­zu miss­traui­sche Weis­heit, – denn sol­che ist fei­ger See­len Art.

Ge­rin­ger noch gilt ihr der Schnell-Ge­fäl­li­ge, der Hün­di­sche, der gleich auf dem Rücken liegt, der De­müthi­ge; und auch Weis­heit giebt es, die de­müthig und hün­disch und fromm und schnell­ge­fäl­lig ist.

Ver­hasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich weh­ren will, wer gif­ti­gen Spei­chel und böse Bli­cke hin­un­ter­schluckt, der All-zu-Ge­dul­di­ge, Al­les-Dul­der, All­ge­nüg­sa­me: das näm­lich ist die knech­ti­sche Art.

Ob Ei­ner vor Göt­tern und gött­li­chen Fuss­trit­ten knech­tisch ist, ob vor Men­schen und blö­den Men­schen-Mei­nun­gen: al­le Knechts-Art speit sie an, die­se se­li­ge Selbst­sucht!

Schlecht: so bei­sst sie Al­les, was ge­knickt und knicke­risch-knech­tisch ist, un­freie Zwin­ker-Au­gen, ge­druck­te Her­zen, und jene falsche nach­ge­ben­de Art, wel­che mit brei­ten fei­gen Lip­pen küsst.

Und Af­ter-Weis­heit: so heisst sie Al­les, was Knech­te und Grei­se und Müde wit­zeln; und son­der­lich die gan­ze schlim­me aber­wit­zi­ge, über­wit­zi­ge Pries­ter-Narr­heit!

Die Af­ter-Wei­sen aber, alle die Pries­ter, Welt­mü­den und wes­sen See­le von Weibs- und Knechts­art ist, – oh wie hat ihr Spiel von je­her der Selbst­sucht übel mit­ge­spielt!

Und Das ge­ra­de soll­te Tu­gend sein und Tu­gend heis­sen, dass man der Selbst­sucht übel mit­spie­le! Und »selbst­los« – so wünsch­ten sich sel­ber mit gu­tem Grun­de alle die­se welt­mü­den Feig­lin­ge und Kreuz­spin­nen!

Aber de­nen Al­len kommt nun der Tag, die Wand­lung, das Richt­schwert, der gros­se Mit­tag : da soll Vie­les of­fen­bar wer­den!

Und wer das Ich heil und hei­lig spricht und die Selbst­sucht se­lig, wahr­lich, der spricht auch, was er weiss, ein Weis­sa­ger: »Sie­he, er kommt, er ist nahe, der gros­se Mit­tag

Also sprach Za­ra­thustra.