Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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»Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Stär­ke­re von uns Bei­den –: du kennst mei­nen ab­gründ­li­chen Ge­dan­ken nicht! Den – könn­test du nicht tra­gen!« –

Da ge­sch­ah, was mich leich­ter mach­te: denn der Zwerg sprang mir von der Schul­ter, der Neu­gie­ri­ge! Und er hock­te sich auf einen Stein vor mich hin. Es war aber ge­ra­de da ein Thor­weg, wo wir hiel­ten.

»Sie­he die­sen Thor­weg! Zwerg! sprach ich wei­ter: der hat zwei Ge­sich­ter. Zwei Wege kom­men hier zu­sam­men: die gieng noch Nie­mand zu Ende.

Die­se lan­ge Gas­se zu­rück: die währt eine Ewig­keit. Und jene lan­ge Gas­se hin­aus – das ist eine and­re Ewig­keit.

Sie wi­der­spre­chen sich, die­se Wege; sie stos­sen sich ge­ra­de vor den Kopf: – und hier, an die­sem Thor­we­ge, ist es, wo sie zu­sam­men kom­men. Der Name des Thor­wegs steht oben ge­schrie­ben: »Au­gen­blick«.

Aber wer Ei­nen von ih­nen wei­ter gien­ge – und im­mer wei­ter und im­mer fer­ner: glaubst du, Zwerg, dass die­se Wege sich ewig wi­der­spre­chen?« –

»Al­les Gera­de lügt, mur­mel­te ver­ächt­lich der Zwerg. Alle Wahr­heit ist krumm, die Zeit sel­ber ist ein Kreis.«

»Du Geist der Schwe­re! sprach ich zür­nend, ma­che dir es nicht zu leicht! Oder ich las­se dich hocken, wo du hockst, Lahm­fuss, – und ich trug dich hoch!

Sie­he, sprach ich wei­ter, die­sen Au­gen­blick! Von die­sem Thor­we­ge Au­gen­blick läuft eine lan­ge ewi­ge Gas­se rück­wärts hin­ter uns liegt eine Ewig­keit.

Muss nicht, was lau­fen kann von al­len Din­gen, schon ein­mal die­se Gas­se ge­lau­fen sein? Muss nicht, was ge­schehn kann von al­len Din­gen, schon ein­mal ge­schehn, gethan, vor­über­ge­lau­fen sein?

Und wenn Al­les schon da­ge­we­sen ist: was hältst du Zwerg von die­sem Au­gen­blick? Muss auch die­ser Thor­weg nicht schon – da­ge­we­sen sein?

Und sind nicht sol­cher­maas­sen fest alle Din­ge ver­kno­tet, dass die­ser Au­gen­blick al­le kom­men­den Din­ge nach sich zieht? Al­so – – sich sel­ber noch?

Denn, was lau­fen kann von al­len Din­gen: auch in die­ser lan­gen Gas­se hin­aus – muss es ein­mal noch lau­fen! –

Und die­se lang­sa­me Spin­ne, die im Mond­schei­ne kriecht, und die­ser Mond­schein sel­ber, und ich und du im Thor­we­ge, zu­sam­men flüs­ternd, von ewi­gen Din­gen flüs­ternd – müs­sen wir nicht Alle schon da­ge­we­sen sein?

– und wie­der­kom­men und in je­ner an­de­ren Gas­se lau­fen, hin­aus, vor uns, in die­ser lan­gen schau­ri­gen Gas­se – müs­sen wir nicht ewig wie­der­kom­men? –«

Also re­de­te ich, und im­mer lei­ser: denn ich fürch­te­te mich vor mei­nen eig­nen Ge­dan­ken und Hin­ter­ge­dan­ken. Da, plötz­lich, hör­te ich einen Hund nahe heu­len.

Hör­te ich je­mals einen Hund so heu­len? Mein Ge­dan­ke lief zu­rück. Ja! Als ich Kind war, in ferns­ter Kind­heit:

– da hör­te ich einen Hund so heu­len. Und sah ihn auch, ge­sträubt, den Kopf nach Oben, zit­ternd, in stills­ter Mit­ter­nacht, wo auch Hun­de an Ge­s­pens­ter glau­ben:

– also dass es mich er­barm­te. Eben näm­lich gieng der vol­le Mond, todt­schweig­sam, über das Haus, eben stand er still, eine run­de Gluth, – still auf fla­chem Da­che, gleich als auf frem­dem Ei­gent­hu­me: –

darob ent­setz­te sich da­mals der Hund: denn Hun­de glau­ben an Die­be und Ge­s­pens­ter. Und als ich wie­der so heu­len hör­te, da er­barm­te es mich aber­mals.

Wo­hin war jetzt Zwerg? und Thor­weg? Und Spin­ne? Und al­les Flüs­tern? Träum­te ich denn? Wach­te ich auf? Zwi­schen wil­den Klip­pen stand ich mit Ei­nem Male, al­lein, öde, im ödes­ten Mond­schei­ne.

A­ber da lag ein Men­sch! Und da! Der Hund, sprin­gend, ge­sträubt, win­selnd, – jetzt sah er mich kom­men – da heul­te er wie­der, da schrie er: – hör­te ich je einen Hund so Hül­fe schrein?

Und, wahr­lich, was ich sah, des­glei­chen sah ich nie. Ei­nen jun­gen Hir­ten sah ich, sich win­dend, wür­gend, zu­ckend, ver­zerr­ten Ant­lit­zes, dem eine schwar­ze schwe­re Schlan­ge aus dem Mun­de hieng.

Sah ich je so viel Ekel und blei­ches Grau­en auf Ei­nem Ant­lit­ze? Er hat­te wohl ge­schla­fen? Da kroch ihm die Schlan­ge in den Sch­lund – da biss sie sich fest.

Mei­ne Hand riss die Schlan­ge und riss: – um­sonst! sie riss die Schlan­ge nicht aus dem Sch­lun­de. Da schrie es aus mir: »Beiss zu! Beiss zu!

Den Kopf ab! Beiss zu!« – so schrie es aus mir, mein Grau­en, mein Hass, mein Ekel, mein Er­bar­men, all mein Gu­tes und Schlim­mes schrie mit Ei­nem Schrei aus mir. –

Ihr Küh­nen um mich! Ihr Su­cher, Ver­su­cher, und wer von euch mit lis­ti­gen Se­geln sich in un­er­forsch­te Mee­re ein­schiff­te! Ihr Räth­sel-Fro­hen!

So rat­het mir doch das Räth­sel, das ich da­mals schau­te, so deu­tet mir doch das Ge­sicht des Ein­sams­ten!

Denn ein Ge­sicht war’s und ein Vor­her­sehn: – was sah ich da­mals im Gleich­nis­se? Und wer ist, der einst noch kom­men muss?

Wer ist der Hirt, dem also die Schlan­ge in den Sch­lund kroch? Wer ist der Mensch, dem also al­les Schwers­te, Schwär­zes­te in den Sch­lund krie­chen wird?

– Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth; er biss mit gu­tem Bis­se! Weit weg spie er den Kopf der Schlan­ge –: und sprang em­por. –

Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, – ein Ver­wan­del­ter, ein Um­leuch­te­ter, wel­cher lach­te ! Nie­mals noch auf Er­den lach­te je ein Mensch, wie er lach­te!

Oh mei­ne Brü­der, ich hör­te ein La­chen, das kei­nes Men­schen La­chen war, – – und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehn­sucht, die nim­mer stil­le wird.

Mei­ne Sehn­sucht nach die­sem La­chen frisst an mir: oh wie er­tra­ge ich noch zu le­ben! Und wie er­trü­ge ich’s, jetzt zu ster­ben! –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von der Seligkeit wider Willen

Mit sol­chen Räth­seln und Bit­ter­nis­sen im Her­zen fuhr Za­ra­thustra über das Meer. Als er aber vier Ta­ge­rei­sen fern war von den glück­se­li­gen In­seln und von sei­nen Freun­den, da hat­te er al­len sei­nen Schmerz über­wun­den –: sieg­reich und mit fes­ten Füs­sen stand er wie­der auf sei­nem Schick­sal. Und da­mals re­de­te Za­ra­thustra also zu sei­nem frohlo­cken­den Ge­wis­sen:

Al­lein bin ich wie­der und will es sein, al­lein mit rei­nem Him­mel und frei­em Mee­re; und wie­der ist Nach­mit­tag um mich.

Des Nach­mit­tags fand ich zum ers­ten Male einst mei­ne Freun­de, des Nach­mit­tags auch zum an­de­ren Male: – zur Stun­de, da al­les Licht stil­ler wird.

Denn was von Glück noch un­ter­wegs ist zwi­schen Him­mel und Erde, das sucht sich nun zur Her­ber­ge noch eine lich­te See­le: vor Glück ist al­les Licht jetzt stil­ler wor­den.

Oh Nach­mit­tag mei­nes Le­bens! Einst stieg auch mein Glück zu Tha­le, dass es sich eine Her­ber­ge su­che: da fand es die­se off­nen gast­freund­li­chen See­len.

Oh Nach­mit­tag mei­nes Le­bens! Was gab ich nicht hin, dass ich Eins hät­te: die­se le­ben­di­ge Pflan­zung mei­ner Ge­dan­ken und diess Mor­gen­licht mei­ner höchs­ten Hoff­nung!

Ge­fähr­ten such­te einst der Schaf­fen­de und Kin­der sei­ner Hoff­nung: und sie­he, es fand sich, dass er sie nicht fin­den kön­ne, es sei denn, er schaf­fe sie sel­ber erst.

Also bin ich mit­ten in mei­nem Wer­ke, zu mei­nen Kin­dern ge­hend und von ih­nen keh­rend: um sei­ner Kin­der wil­len muss Za­ra­thustra sich selbst vollen­den.

Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo gros­se Lie­be zu sich sel­ber ist, da ist sie der Schwan­ger­schaft Wahr­zei­chen: so fand ich’s.

Noch grü­nen mir mei­ne Kin­der in ih­rem ers­ten Früh­lin­ge, nahe bei ein­an­der ste­hend und ge­mein­sam von Win­den ge­schüt­telt, die Bäu­me mei­nes Gar­tens und bes­ten Erd­reichs.

»Und wahr­lich! Wo sol­che Bäu­me bei ein­an­der stehn, da sin­d glück­se­li­ge In­seln!

Aber einst­mals will ich sie aus­he­ben und einen je­den für sich al­lein stel­len: dass er Ein­sam­keit ler­ne und Trotz und Vor­sicht.

Knor­rig und ge­krümmt und mit bieg­sa­mer Här­te soll er mir dann am Mee­re da­stehn, ein le­ben­di­ger Leucht­thurm un­be­sieg­ba­ren Le­bens.

Dort, wo die Stür­me hin­ab in’s Meer stür­zen, und des Ge­birgs Rüs­sel Was­ser trinkt, da soll ein je­der ein­mal sei­ne Tag- und Nacht­wa­chen ha­ben, zu sei­ner Prü­fung und Er­kennt­niss.

Er­kannt und ge­prüft soll er wer­den, dar­auf, ob er mei­ner Art und Ab­kunft ist, – ob er ei­nes lan­gen Wil­lens Herr sei, schweig­sam, auch wenn er re­det, und nach­ge­bend also, dass er im Ge­ben nimm­t: –

– dass er einst mein Ge­fähr­te wer­de und ein Mit­schaf­fen­der und Mit­fei­ern­der Za­ra­thustra’s –: ein Sol­cher, der mir mei­nen Wil­len auf mei­ne Ta­feln schreibt: zu al­ler Din­ge vol­ler­er Vollen­dung.

Und um sei­net­wil­len und sei­nes Glei­chen muss ich sel­ber mich vollen­den: dar­um wei­che ich jetzt mei­nem Glücke aus und bie­te mich al­lem Un­glücke an – zu mei­ner letz­ten Prü­fung und Er­kennt­niss.

Und wahr­lich, Zeit war’s, dass ich gieng; und des Wan­de­rers Schat­ten und die längs­te Wei­le und die stills­te Stun­de – alle re­de­ten mir zu: »es ist höchs­te Zeit!«

Der Wind blies mir durch­’s Schlüs­sel­loch und sag­te »Komm!« Die Thür sprang mir lis­tig auf und sag­te »Geh!«

Aber ich lag an­ge­ket­tet an die Lie­be zu mei­nen Kin­dern: das Be­geh­ren leg­te mir die­se Sch­lin­ge, das Be­geh­ren nach Lie­be, dass ich mei­ner Kin­der Beu­te wür­de und mich an sie ver­lö­re.

 

Be­geh­ren – das heisst mir schon: mich ver­lo­ren ha­ben. Ich habe euch, mei­ne Kin­der! In die­sem Ha­ben soll Al­les Si­cher­heit und Nichts Be­geh­ren sein.

Aber brü­tend lag die Son­ne mei­ner Lie­be auf mir, im eig­nen Saf­te koch­te Za­ra­thustra, – da flo­gen Schat­ten und Zwei­fel über mich weg.

Nach Frost und Win­ter ge­lüs­te­te mich schon: »oh dass Frost und Win­ter mich wie­der knacken und knir­schen mach­ten!« seufz­te ich: – da stie­gen ei­si­ge Ne­bel aus mir auf.

Mei­ne Ver­gan­gen­heit brach ihm Grä­ber, manch le­ben­dig be­grab­ner Schmerz wach­te auf –: aus­ge­schla­fen hat­te er sich nur, ver­steckt in Lei­chen-Ge­wän­der.

Also rief mir Al­les in Zei­chen zu: »es ist Zeit!« – Aber ich – hör­te nicht: bis end­lich mein Ab­grund sich rühr­te und mein Ge­dan­ke mich biss.

Ach, ab­gründ­li­cher Ge­dan­ke, der du mein Ge­dan­ke bist! Wann fin­de ich die Stär­ke, dich gra­ben zu hö­ren und nicht mehr zu zit­tern?

Bis zur Keh­le hin­auf klopft mir das Herz, wenn ich dich gra­ben höre! Dein Schwei­gen noch will mich wür­gen, du ab­gründ­lich Schwei­gen­der!

Noch wag­te ich nie­mals, dich her­auf zu ru­fen: ge­nug schon, dass ich dich mit mir – trug! Noch war ich nicht stark ge­nug zum letz­ten Lö­wen-Über­mu­the und –Muthwil­len.

Ge­nug des Furcht­ba­ren war mir im­mer schon dei­ne Schwe­re: aber einst soll ich noch die Stär­ke fin­den und die Lö­wen-Stim­me, die dich her­auf ruft!

Wenn ich mich des­sen erst über­wun­den habe, dann will ich mich auch des Grös­se­ren noch über­win­den; und ein Sieg soll mei­ner Vollen­dung Sie­gel sein! –

In­zwi­schen trei­be ich noch auf un­ge­wis­sen Mee­ren; der Zu­fall schmei­chelt mir, der glatt­zün­gi­ge; vor­wärts und rück­wärts schaue ich –, noch schaue ich kein Ende.

Noch kam mir die Stun­de mei­nes letz­ten Kamp­fes nicht, – oder kommt sie wohl mir eben? Wahr­lich, mit tücki­scher Schön­heit schaut mich rings Meer und Le­ben an!

Oh Nach­mit­tag mei­nes Le­bens! Oh Glück vor Abend! Oh Ha­fen auf ho­her See! Oh Frie­de im Un­ge­wis­sen! Wie miss­traue ich euch Al­len!

Wahr­lich, miss­trau­isch bin ich ge­gen eure tücki­sche Schön­heit! Dem Lie­ben­den glei­che ich, der all­zu­samm­te­nem Lä­cheln miss­traut.

Wie er die Ge­lieb­tes­te vor sich her stösst, zärt­lich noch in sei­ner Här­te, der Ei­fer­süch­ti­ge –, also stos­se ich die­se se­li­ge Stun­de vor mir her.

Hin­weg mit dir, du se­li­ge Stun­de! Mit dir kam mir eine Se­lig­keit wi­der Wil­len! Wil­lig zu mei­nem tiefs­ten Schmer­ze ste­he ich hier: – zur Un­zeit kamst du!

Hin­weg mit dir, du se­li­ge Stun­de! Lie­ber nimm Her­ber­ge dort – bei mei­nen Kin­dern! Eile! und seg­ne sie vor Abend noch mit mei­nem Glücke!

Da naht schon der Abend: die Son­ne sinkt. Da­hin – mein Glück! –

Also sprach Za­ra­thustra. Und er war­te­te auf sein Un­glück die gan­ze Nacht: aber er war­te­te um­sonst. Die Nacht blieb hell und still, und das Glück sel­ber kam ihm im­mer nä­her und nä­her. Ge­gen Mor­gen aber lach­te Za­ra­thustra zu sei­nem Her­zen und sag­te spöt­tisch: »das Glück läuft mir nach. Das kommt da­von, dass ich nicht den Wei­bern nach­lau­fe. Das Glück aber ist ein Weib.«

Vor Sonnen-Aufgang

Oh Him­mel über mir, du Rei­ner! Tie­fer! Du Licht-Ab­grund! Dich schau­end schau­de­re ich vor gött­li­chen Be­gier­den.

In dei­ne Höhe mich zu wer­fen – das ist mei­ne Tie­fe! In dei­ne Rein­heit mich zu ber­gen – das ist mei­ne Un­schuld!

Den Gott ver­hüllt sei­ne Schön­heit: so ver­birgst du dei­ne Ster­ne. Du re­dest nicht: so kün­dest du mir dei­ne Weis­heit.

Stumm über brau­sen­dem Mee­re bist du heut mir auf­ge­gan­gen, dei­ne Lie­be und dei­ne Scham re­det Of­fen­ba­rung zu mei­ner brau­sen­den See­le.

Dass du schön zu mir kamst, ver­hüllt in dei­ne Schön­heit, dass du stumm zu mir sprichst, of­fen­bar in dei­ner Weis­heit:

Oh wie er­rie­the ich nicht al­les Scham­haf­te dei­ner See­le! Vor der Son­ne kamst du zu mir, dem Ein­sams­ten.

Wir sind Freun­de von An­be­ginn: uns ist Gram und Grau­en und Grund ge­mein­sam; noch die Son­ne ist uns ge­mein­sam.

Wir re­den nicht zu ein­an­der, weil wir zu Vie­les wis­sen –: wir schwei­gen uns an, wir lä­cheln uns un­ser Wis­sen zu.

Bist du nicht das Licht zu mei­nem Feu­er? Hast du nicht die Schwes­ter-See­le zu mei­ner Ein­sicht?

Zu­sam­men lern­ten wir Al­les; zu­sam­men lern­ten wir über uns zu uns sel­ber auf­stei­gen und wol­ken­los lä­cheln: –

– wol­ken­los hin­ab lä­cheln aus lich­ten Au­gen und aus mei­len­wei­ter Fer­ne, wenn un­ter uns Zwang und Zweck und Schuld wie Re­gen damp­fen.

Und wan­der­te ich al­lein: wes hun­ger­te mei­ne See­le in Näch­ten und Irr-Pfa­den? Und stieg ich Ber­ge, wen such­te ich je, wenn nicht dich, auf Ber­gen?

Und all mein Wan­dern und Berg­stei­gen: eine Noth war’s nur und ein Be­helf des Un­be­hol­fe­nen: – f­lie­gen al­lein will mein gan­zer Wil­le, in dich hin­ein flie­gen!

Und wen hass­te ich mehr, als zie­hen­de Wol­ken und Al­les, was dich be­fleckt? Und mei­nen eig­nen Hass hass­te ich noch, weil er dich be­fleck­te!

Den zie­hen­den Wol­ken bin ich gram, die­sen schlei­chen­den Raub-Kat­zen: sie neh­men dir und mir, was uns ge­mein ist, – das un­ge­heu­re un­be­grenz­te Ja- und Amen-sa­gen.

Die­sen Mitt­lern und Mi­schern sind wir gram, den zie­hen­den Wol­ken: die­sen Halb- und Hal­ben, wel­che we­der seg­nen lern­ten, noch von Grund aus flu­chen.

Lie­ber will ich noch un­ter ver­schloss­nem Him­mel in der Ton­ne sit­zen, lie­ber ohne Him­mel im Ab­grund sit­zen, als dich, Licht-Him­mel, mit Zieh-Wol­ken be­fleckt sehn!

Und oft ge­lüs­te­te mich, sie mit zackich­ten Blitz-Gold­dräh­ten fest­zu­hef­ten, dass ich, gleich dem Don­ner, auf ih­rem Kes­sel-Bau­che die Pau­ke schlü­ge: –

– ein zor­ni­ger Pau­ken­schlä­ger, weil sie mir dein Ja! und Amen! rau­ben, du Him­mel über mir, du Rei­ner! Lich­ter! Du Licht-Ab­grund! – weil sie dir mein Ja! und Amen! rau­ben.

Denn lie­ber noch will ich Lärm und Don­ner und Wet­ter-Flü­che, als die­se be­däch­ti­ge zwei­feln­de Kat­zen-Ruhe; und auch un­ter Men­schen has­se ich am bes­ten alle Lei­se­tre­ter und Halb- und Hal­ben und zwei­feln­de, zö­gern­de Zieh-Wol­ken.

Und »wer nicht seg­nen kann, der soll flu­chen ler­nen!« – die­se hel­le Leh­re fiel mir aus hel­lem Him­mel, die­ser Stern steht auch noch in schwar­zen Näch­ten an mei­nem Him­mel.

Ich aber bin ein Seg­nen­der und ein Ja-sa­ger, wenn du nur um mich bist, du Rei­ner! Lich­ter! Du Licht-Ab­grund! – in alle Ab­grün­de tra­ge ich da noch mein seg­nen­des Ja-sa­gen.

Zum Seg­nen­den bin ich wor­den und zum Ja-sa­gen­den: und dazu rang ich lan­ge und war ein Rin­ger, dass ich einst die Hän­de frei be­käme zum Seg­nen.

Das aber ist mein Seg­nen: über jed­we­dem Ding als sein ei­ge­ner Him­mel stehn, als sein run­des Dach, sei­ne azur­ne Glo­cke und ewi­ge Si­cher­heit: und se­lig ist, wer also seg­net!

Denn alle Din­ge sind ge­tauft am Bor­ne der Ewig­keit und jen­seits von Gut und Böse; Gut und Böse sel­ber aber sind nur Zwi­schen­schat­ten und feuch­te Trüb­sa­le und Zieh-Wol­ken.

Wahr­lich, ein Seg­nen ist es und kein Läs­tern, wenn ich leh­re: »über al­len Din­gen steht der Him­mel Zu­fall, der Him­mel Un­schuld, der Him­mel Ohn­ge­fähr, der Him­mel Über­muth.«

»Von Ohn­ge­fähr« – das ist der äl­tes­te Adel der Welt, den gab ich al­len Din­gen zu­rück, ich er­lös­te sie von der Knecht­schaft un­ter dem Zwe­cke.

Die­se Frei­heit und Him­mels-Hei­ter­keit stell­te ich gleich azur­ner Glo­cke über alle Din­ge, als ich lehr­te, dass über ih­nen und durch sie kein »ewi­ger Wil­le« – will.

Die­sen Über­muth und die­se Narr­heit stell­te ich an die Stel­le je­nes Wil­lens, als ich lehr­te: »bei Al­lem ist Eins un­mög­lich – Ver­nünf­tig­keit!«

Ein We­nig Ver­nunft zwar, ein Same der Weis­heit zer­streut von Stern zu Stern, – die­ser Sau­er­teig ist al­len Din­gen ein­ge­mischt: um der Narr­heit wil­len ist Weis­heit al­len Din­gen ein­ge­mischt!

Ein We­nig Weis­heit ist schon mög­lich; aber die­se se­li­ge Si­cher­heit fand ich an al­len Din­gen: dass sie lie­ber noch auf den Füs­sen des Zu­falls – tan­zen.

Oh Him­mel über mir, du Rei­ner! Ho­her! Das ist mir nun dei­ne Rein­heit, dass es kei­ne ewi­ge Ver­nunft-Spin­ne und –Spin­nen­net­ze giebt: –

– dass du mir ein Tanz­bo­den bist für gött­li­che Zu­fäl­le, dass du mir ein Göt­ter­tisch bist für gött­li­che Wür­fel und Wür­fel­spie­ler! –

Doch du er­rö­thest? Sprach ich Unaus­sprech­ba­res? Läs­ter­te ich, in­dem ich dich seg­nen woll­te?

Oder ist es die Scham zu Zwei­en, wel­che dich er­rö­then mach­te? – Heis­sest du mich gehn und schwei­gen, weil nun – der Tag kommt?

Die Welt ist tief –: und tiefer als je der Tag ge­dacht hat. Nicht Al­les darf vor dem Tage Wor­te ha­ben. Aber der Tag kommt: so schei­den wir nun!

Oh Him­mel über mir, du Scham­haf­ter! Glü­hen­der! Oh du mein Glück vor Son­nen-Auf­gang! Der Tag kommt: so schei­den wir nun! –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von der verkleinernden Tugend
1

Als Za­ra­thustra wie­der auf dem fes­ten Lan­de war, gieng er nicht stracks auf sein Ge­bir­ge und sei­ne Höh­le los, son­dern that vie­le Wege und Fra­gen und er­kun­de­te diess und das, also, dass er von sich sel­ber im Scher­ze sag­te: »sie­he einen Fluss, der in vie­len Win­dun­gen zu­rück zur Quel­le fliesst!« Denn er woll­te in Er­fah­rung brin­gen, was sich in­zwi­schen mit dem Men­schen zu­ge­tra­gen habe: ob er grös­ser oder klei­ner ge­wor­den sei. Und ein Mal sah er eine Rei­he neu­er Häu­ser; da wun­der­te er sich und sag­te:

Was be­deu­ten die­se Häu­ser? Wahr­lich, kei­ne gros­se See­le stell­te sie hin, sich zum Gleich­nis­se!

Nahm wohl ein blö­des Kind sie aus sei­ner Spiel­schach­tel? Dass doch ein an­de­res Kind sie wie­der in sei­ne Schach­tel thä­te!

Und die­se Stu­ben und Kam­mern: kön­nen Män­ner da aus- und ein­ge­hen? Ge­macht dün­ken sie mich für Sei­den-Pup­pen; oder für Nasch­kat­zen, die auch wohl an sich na­schen las­sen.

Und Za­ra­thustra blieb stehn und dach­te nach. End­lich sag­te er be­trübt: »Es ist Al­les klei­ner ge­wor­den!«

Über­all sehe ich nied­ri­ge­re Tho­re: wer mei­ner Art ist, geht da wohl noch hin­durch, aber – er muss sich bücken!

Oh wann kom­me ich wie­der in mei­ne Hei­mat, wo ich mich nicht mehr bücken muss – nicht mehr bücken muss vor den Klei­nen!« – Und Za­ra­thustra seufz­te und blick­te in die Fer­ne. –

Des­sel­bi­gen Ta­ges aber re­de­te er sei­ne Rede über die ver­klei­nern­de Tu­gend.