Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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Von der Menschen-Klugheit

Nicht die Höhe: der Ab­hang ist das Furcht­ba­re!

Der Ab­hang, wo der Blick hin­un­ter stürzt und die Hand hin­auf greift. Da schwin­delt dem Her­zen vor sei­nem dop­pel­ten Wil­len.

Ach, Freun­de, er­rat­het ihr wohl auch mei­nes Her­zens dop­pel­ten Wil­len?

Das, Das ist mein Ab­hang und mei­ne Ge­fahr, dass mein Blick in die Höhe stürzt, und dass mei­ne Hand sich hal­ten und stüt­zen möch­te – an der Tie­fe!

An den Men­schen klam­mert sich mein Wil­le, mit Ket­ten bin­de ich mich an den Men­schen, weil es mich hin­auf reisst zum Ober­menschen: denn da­hin will mein and­rer Wil­le.

Und da­zu lebe ich blind un­ter den Men­schen; gleich als ob ich sie nicht kenn­te: dass mei­ne Hand ih­ren Glau­ben an Fes­tes nicht ganz ver­lie­re.

Ich ken­ne euch Men­schen nicht: die­se Fins­ter­niss und Trös­tung ist oft um mich ge­brei­tet.

Ich sit­ze am Thor­we­ge für je­den Schelm und fra­ge: wer will mich be­trü­gen?

Das ist mei­ne ers­te Men­schen-Klug­heit, dass ich mich be­trü­gen las­se, um nicht auf der Hut zu sein vor Be­trü­gern.

Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Men­schen: wie könn­te mei­nem Bal­le der Mensch ein An­ker sein! Zu leicht ris­se es mich hin­auf und hin­weg!

Die­se Vor­se­hung ist über mei­nem Schick­sal, dass ich ohne Vor­sicht sein muss.

Und wer un­ter Men­schen nicht ver­schmach­ten will, muss ler­nen, aus al­len Glä­sern zu trin­ken; und wer un­ter Men­schen rein blei­ben will, muss ver­stehn, sich auch mit schmut­zi­gem Was­ser zu wa­schen.

Und also sprach ich oft mir zum Tros­te: »Wohl­an! Wohl­auf! Al­tes Herz! Ein Un­glück miss­rieth dir: ge­nies­se diess als dein – Glück!«

Diess aber ist mei­ne and­re Men­schen-Klug­heit: ich scho­ne die Eit­len mehr als die Stol­zen.

Ist nicht ver­letz­te Ei­tel­keit die Mut­ter al­ler Trau­er­spie­le? Wo aber Stolz ver­letzt wird, da wächst wohl et­was Bes­se­res noch, als Stolz ist.

Da­mit das Le­ben gut an­zu­schaun sei, muss sein Spiel gut ge­spielt wer­den: dazu aber be­darf es gu­ter Schau­spie­ler.

Gute Schau­spie­ler fand ich alle Eit­len: sie spie­len und wol­len, dass ih­nen gern zu­ge­schaut wer­de, – all ihr Geist ist bei die­sem Wil­len.

Sie füh­ren sich auf, sie er­fin­den sich; in ih­rer Nähe lie­be ich’s, dem Le­ben zu­zu­schaun, – es heilt von der Schwer­muth.

Da­rum scho­ne ich die Eit­len, weil sie mir Arz­te sind mei­ner Schwer­muth und mich am Men­schen fest hal­ten als an ei­nem Schau­spie­le.

Und dann: wer er­misst am Eit­len die gan­ze Tie­fe sei­ner Be­schei­den­heit! Ich bin ihm gut und mit­lei­dig ob sei­ner Be­schei­den­heit.

Von euch will er sei­nen Glau­ben an sich ler­nen; er nährt sich an eu­ren Bli­cken, er frisst das Lob aus eu­ren Hän­den.

Eu­ren Lü­gen glaubt er noch, wenn ihr gut über ihn lügt: denn im Tiefs­ten seufzt sein Herz: was bin ich

Und wenn das die rech­te Tu­gend ist, die nicht um sich sel­ber weiss: nun, der Eit­le weiss nicht um sei­ne Be­schei­den­heit! –

Das ist aber mei­ne drit­te Men­schen-Klug­heit, dass ich mir den An­blick der Bö­sen nicht ver­lei­den las­se durch eure Furcht­sam­keit.

Ich bin se­lig, die Wun­der zu sehn, wel­che heis­se Son­ne aus­brü­tet: Ti­ger und Pal­men und Klap­per­schlan­gen.

Auch un­ter Men­schen giebt es schö­ne Brut heis­ser Son­ne und viel Wun­der­wür­di­ges an den Bö­sen.

Zwar, wie eure Wei­ses­ten mir nicht gar so wei­se er­schie­nen: so fand ich auch der Men­schen Bos­heit un­ter ih­rem Rufe.

Und oft frag­te ich mit Kopf­schüt­teln: Wa­rum noch klap­pern, ihr Klap­per­schlan­gen?

Wahr­lich, es giebt auch für das Böse noch eine Zu­kunft! Und der heis­ses­te Sü­den ist noch nicht ent­deckt für den Men­schen.

Wie Man­ches heisst jetzt schon ärgs­te Bos­heit, was doch nur zwölf Schu­he breit und drei Mo­na­te lang ist! Einst aber wer­den grös­se­re Dra­chen zur Welt kom­men.

Denn dass dem Über­menschen sein Dra­che nicht feh­le, der Über-Dra­che, der sei­ner wür­dig ist: dazu muss viel heis­se Son­ne noch auf feuch­ten Ur­wald glü­hen!

Aus eu­ren Wild­kat­zen müs­sen erst Ti­ger ge­wor­den sein und aus eu­ren Gift­krö­ten Kro­ko­di­le: denn der gute Jä­ger soll eine gute Jagd ha­ben!

Und wahr­lich, ihr Gu­ten und Ge­rech­ten! An euch ist Viel zum La­chen und zu­mal eure Furcht vor dem, was bis­her »Teu­fel« hiess!

So fremd seid ihr dem Gros­sen mit eu­rer See­le, dass euch der Über­mensch furcht­bar sein wür­de in sei­ner Güte!

Und ihr Wei­sen und Wis­sen­den, ihr wür­det vor dem Son­nen­bran­de der Weis­heit flüch­ten, in dem der Über­mensch mit Lust sei­ne Nackt­heit ba­det!

Ihr höchs­ten Men­schen, de­nen mein Auge be­geg­ne­te! das ist mein Zwei­fel an euch und mein heim­li­ches La­chen: ich rat­he, ihr wür­det mei­nen Über­menschen – Teu­fel heis­sen!

Ach, ich ward die­ser Höchs­ten und Bes­ten müde: aus ih­rer »Höhe« ver­lang­te mich hin­auf, hin­aus, hin­weg zu dem Über­menschen!

Ein Grau­sen über­fiel mich, als ich die­se Bes­ten nackend sah: da wuch­sen mir die Flü­gel, fort­zu­schwe­ben in fer­ne Zu­künf­te.

In fer­ne­re Zu­künf­te, in süd­li­che­re Sü­den, als je ein Bild­ner träum­te: dort­hin, wo Göt­ter sich al­ler Klei­der schä­men!

Aber ver­klei­det will ich euch sehn, ihr Nächs­ten und Mit­menschen, und gut ge­putzt, und ei­tel, und wür­dig, als »die Gu­ten und Ge­rech­ten,« –

Und ver­klei­det will ich sel­ber un­ter euch sit­zen, – dass ich euch und mich ver­ken­ne: das ist näm­lich mei­ne letz­te Men­schen-Klug­heit.

Also sprach Za­ra­thustra.

Die stillste Stunde

Was ge­sch­ah mir, mei­ne Freun­de? Ihr seht mich ver­stört, fort­ge­trie­ben, un­wil­lig-folg­sam, be­reit zu ge­hen – ach, von euch fort­zu­ge­hen!

Ja, noch Ein Mal muss Za­ra­thustra in sei­ne Ein­sam­keit: aber un­lus­tig geht diess­mal der Bär zu­rück in sei­ne Höh­le!

Was ge­sch­ah mir? Wer ge­beut diess? – Ach, mei­ne zor­ni­ge Her­rin will es so, sie sprach zu mir: nann­te ich je euch schon ih­ren Na­men?

Ges­tern gen Abend sprach zu mir mei­ne stills­te Stun­de: das ist der Name mei­ner furcht­ba­ren Her­rin.

Und so ge­sch­ah’s, – denn Al­les muss ich euch sa­gen, dass euer Herz sich nicht ver­här­te ge­gen den plötz­lich Schei­den­den!

Kennt ihr den Schre­cken des Ein­schla­fen­den? –

Bis in die Ze­hen hin­ein erschrickt er, darob, dass ihm der Bo­den weicht und der Traum be­ginnt.

Die­ses sage ich euch zum Gleich­niss. Ges­tern, zur stills­ten Stun­de, wich mir der Bo­den: der Traum be­gann.

Der Zei­ger rück­te, die Uhr mei­nes Le­bens hol­te Athem – nie hör­te ich sol­che Stil­le um mich: also dass mein Herz er­schrak.

Dann sprach es ohne Stim­me zu mir: »Du weisst es, Za­ra­thustra?« –

Und ich schrie vor Schre­cken bei die­sem Flüs­tern, und das Blut wich aus mei­nem Ge­sich­te: aber ich schwieg.

Da sprach es aber­mals ohne Stim­me zu mir: »Du weisst es, Za­ra­thustra, aber du re­dest es nicht!« –

Und ich ant­wor­te­te end­lich gleich ei­nem Trot­zi­gen: »Ja, ich weiss es, aber ich will es nicht re­den!«

Da sprach es wie­der ohne Stim­me zu mir: »Du willst nicht, Za­ra­thustra? Ist diess auch wahr? Ver­ste­cke dich nicht in dei­nen Trotz!« –

Und ich wein­te und zit­ter­te wie ein Kind und sprach: »Ach, ich woll­te schon, aber wie kann ich es! Er­lass mir diess nur! Es ist über mei­ne Kraft!«

Da sprach es wie­der ohne Stim­me zu mir: »Was liegt an dir, Za­ra­thustra! Sprich dein Wort und zer­brich!« –

Und ich ant­wor­te­te: »Ach, ist es mein Wort? Wer bin ich? Ich war­te des Wür­di­ge­ren; ich bin nicht werth, an ihm auch nur zu zer­bre­chen.«

Da sprach es wie­der ohne Stim­me zu mir: »Was liegt an dir? Du bist mir noch nicht de­müthig ge­nug. Die De­muth hat das här­tes­te Fell.« –

Und ich ant­wor­te­te: »Was trug nicht schon das Fell mei­ner De­muth! Am Fus­se woh­ne ich mei­ner Höhe: wie hoch mei­ne Gip­fel sind? Nie­mand sag­te es mir noch. Aber gut ken­ne ich mei­ne Thä­ler.«

Da sprach es wie­der ohne Stim­me zu mir: »Oh Za­ra­thustra, wer Ber­ge zu ver­set­zen hat, der ver­setzt auch Thä­ler und Nie­de­run­gen.« –

Und ich ant­wor­te­te: »Noch ver­setz­te mein Wort kei­ne Ber­ge, und was ich re­de­te, er­reich­te die Men­schen nicht. Ich gieng wohl zu den Men­schen, aber noch lang­te ich nicht bei ih­nen an.«

Da sprach es wie­der ohne Stim­me zu mir: »Was weisst du da­von! Der Thau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am ver­schwie­gens­ten ist.« –

Und ich ant­wor­te­te: »sie ver­spot­te­ten mich, als ich mei­nen ei­ge­nen Weg fand und gieng; und in Wahr­heit zit­ter­ten da­mals mei­ne Füs­se.

Und so spra­chen sie zu mir: du ver­lern­test den Weg, nun ver­l­ernst du auch das Ge­hen!«

Da sprach es wie­der ohne Stim­me zu mir: »Was liegt an ih­rem Spot­te! Du bist Ei­ner, der das Ge­hor­chen ver­lernt hat: nun sollst du be­feh­len!

Weisst du nicht, wer Al­len am nö­thigs­ten thut? Der Gros­ses be­fiehlt.

Gros­ses voll­füh­ren ist schwer: aber das Schwe­re­re ist, Gros­ses be­feh­len.

Das ist dein Un­ver­zeih­lichs­tes: du hast die Macht, und du willst nicht herr­schen.« –

Und ich ant­wor­te­te: »Mir fehlt des Lö­wen Stim­me zu al­lem Be­feh­len.«

Da sprach es wie­der wie ein Flüs­tern zu mir: »Die stills­ten Wor­te sind es, wel­che den Sturm brin­gen. Ge­dan­ken, die mit Tau­ben­füs­sen kom­men, len­ken die Welt.

 

Oh Za­ra­thustra, du sollst ge­hen als ein Schat­ten des­sen, was kom­men muss: so wirst du be­feh­len und be­feh­lend vor­an­ge­hen.« –

Und ich ant­wor­te­te: »Ich schä­me mich.«

Da sprach es wie­der ohne Stim­me zu mir: »Du musst noch Kind wer­den und ohne Scham.

Der Stolz der Ju­gend ist noch auf dir, spät bist du jung ge­wor­den: aber wer zum Kin­de wer­den will, muss auch noch sei­ne Ju­gend über­win­den.« –

Und ich be­sann mich lan­ge und zit­ter­te. End­lich aber sag­te ich, was ich zu­erst sag­te: »Ich will nicht.«

Da ge­sch­ah ein La­chen um mich. Wehe, wie diess La­chen mir die Ein­ge­wei­de zer­riss und das Herz auf­schlitz­te!

Und es sprach zum letz­ten Male zu mir: »Oh Za­ra­thustra, dei­ne Früch­te sind reif, aber du bist nicht reif für dei­ne Früch­te!

So musst du wie­der in die Ein­sam­keit: denn du sollst noch mür­be wer­den.« –

Und wie­der lach­te es und floh: dann wur­de es stil­le um mich wie mit ei­ner zwie­fa­chen Stil­le. Ich aber lag am Bo­den, und der Sch­weiss floss mir von den Glie­dern.

– Nun hör­tet ihr Al­les, und warum ich in mei­ne Ein­sam­keit zu­rück muss. Nichts ver­schwieg ich euch, mei­ne Freun­de.

Aber auch diess hör­tet ihr von mir, wer im­mer noch al­ler Men­schen Ver­schwie­gens­ter ist – und es sein will!

Ach mei­ne Freun­de! Ich hät­te euch noch Et­was zu sa­gen, ich hät­te euch noch Et­was zu ge­ben! Wa­rum gebe ich es nicht? Bin ich denn gei­zig?« –

Als Za­ra­thustra aber die­se Wor­te ge­spro­chen hat­te, über­fiel ihn die Ge­walt des Schmer­zes und die Nähe des Ab­schieds von sei­nen Freun­den, also dass er laut wein­te; und Nie­mand wuss­te ihn zu trös­ten. Des Nachts aber gieng er al­lein fort und ver­liess sei­ne Freun­de.

Dritter Theil

»Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Er­he­bung ver­langt. Und ich sehe hin­ab, weil ich er­ho­ben bin.

Wer von euch kann zu­gleich la­chen und er­ho­ben sein?

Wer auf den höchs­ten Ber­gen steigt, der lacht über alle Trau­er-Spie­le und Trau­er-Erns­te.«

Za­ra­thustra, vom Le­sen und Schrei­ben.

Der Wanderer

Um Mit­ter­nacht war es, da nahm Za­ra­thustra sei­nen Weg über den Rücken der In­sel, dass er mit dem frü­hen Mor­gen an das and­re Ge­sta­de käme: denn dort woll­te er zu Schiff stei­gen. Es gab näm­lich all­da eine gute Rhe­de, an der auch frem­de Schif­fe gern vor An­ker gien­gen; die nah­men Man­chen mit sich, der von den glück­se­li­gen In­seln über das Meer woll­te. Als nun Za­ra­thustra so den Berg hin­an­stieg, ge­dach­te er un­ter­wegs des vie­len ein­sa­men Wan­derns von Ju­gend an, und wie vie­le Ber­ge und Rücken und Gip­fel er schon ge­stie­gen sei.

Ich bin ein Wan­de­rer und ein Berg­stei­ger, sag­te er zu sei­nem Her­zen, ich lie­be die Ebe­nen nicht und es scheint, ich kann nicht lan­ge still sit­zen.

Und was mir nun auch noch als Schick­sal und Er­leb­niss kom­me, – ein Wan­dern wird dar­in sein und ein Berg­stei­gen: man er­lebt end­lich nur noch sich sel­ber.

Die Zeit ist ab­ge­flos­sen, wo mir noch Zu­fäl­le be­geg­nen durf­ten; und was könn­te jetzt noch zu mir fal­len, was nicht schon mein Ei­gen wäre!

Es kehrt nur zu­rück, es kommt mir end­lich heim – mein ei­gen Selbst, und was von ihm lan­ge in der Frem­de war und zer­streut un­ter alle Din­ge und Zu­fäl­le.

Und noch Eins weiss ich: ich ste­he jetzt vor mei­nem letz­ten Gip­fel und vor dem, was mir am längs­ten auf­ge­spart war. Ach, mei­nen här­tes­ten Weg muss ich hin­an! Ach, ich be­gann mei­ne ein­sams­te Wan­de­rung!

Wer aber mei­ner Art ist, der ent­geht ei­ner sol­chen Stun­de nicht: der Stun­de, die zu ihm re­det: »Jet­zo erst gehst du dei­nen Weg der Grös­se! Gip­fel und Ab­grund – das ist jetzt in Eins be­schlos­sen!

Du gehst dei­nen Weg der Grös­se: nun ist dei­ne letz­te Zuf­lucht wor­den, was bis­her dei­ne letz­te Ge­fahr hiess!

Du gehst dei­nen Weg der Grös­se: das muss nun dein bes­ter Muth sein, dass es hin­ter dir kei­nen Weg mehr giebt!

Du gehst dei­nen Weg der Grös­se; hier soll dir Kei­ner nach­schlei­chen! Dein Fuss sel­ber lösch­te hin­ter dir den Weg aus, und über ihm steht ge­schrie­ben: Un­mög­lich­keit.

Und wenn dir nun­mehr alle Lei­tern feh­len, so musst du ver­ste­hen, noch auf dei­nen ei­ge­nen Kopf zu stei­gen: wie woll­test du an­ders auf­wärts stei­gen?

Auf dei­nen ei­ge­nen Kopf und hin­weg über dein ei­ge­nes Herz! Jetzt muss das Mil­des­te an dir noch zum Här­tes­ten wer­den.

Wer sich stets viel ge­schont hat, der krän­kelt zu­letzt an sei­ner vie­len Scho­nung. Ge­lobt sei, was hart macht! Ich lobe das Land nicht, wo But­ter und Ho­nig – fliesst!

Von sich ab­sehn ler­nen ist nö­thig, um Viel zu sehn: – die­se Här­te thut je­dem Ber­ge-Stei­gen­den Noth.

Wer aber mit den Au­gen zu­dring­lich ist als Er­ken­nen­der, wie soll­te der von al­len Din­gen mehr als ihre vor­de­ren Grün­de sehn!

Du aber, oh Za­ra­thustra, woll­test al­ler Din­ge Grund schaun und Hin­ter­grund: so musst du schon über dich sel­ber stei­gen, – hin­an, hin­auf, bis du auch dei­ne Ster­ne noch un­ter dir hast!

Ja! Hin­ab auf mich sel­ber sehn und noch auf mei­ne Ster­ne: das erst hies­se mir mein Gip­fel, das blieb mir noch zu­rück als mein letz­ter Gip­fel! –

Also sprach Za­ra­thustra im Stei­gen zu sich, mit har­ten Sprüch­lein sein Herz trös­tend: denn er war wund am Her­zen wie noch nie­mals zu­vor. Und als er auf die Höhe des Ber­grückens kam, sie­he, da lag das an­de­re Meer vor ihm aus­ge­brei­tet: und er stand still und schwieg lan­ge. Die Nacht aber war kalt in die­ser Höhe und klar und hell­ge­stirnt.

Ich er­ken­ne mein Loos, sag­te er end­lich mit Trau­er. Wohl­an! Ich bin be­reit. Eben be­gann mei­ne letz­te Ein­sam­keit.

Ach, die­se schwar­ze trau­ri­ge See un­ter mir! Ach, die­se schwan­ge­re nächt­li­che Ver­dros­sen­heit! Ach, Schick­sal und See! Zu euch muss ich nun hinab stei­gen!

Vor mei­nem höchs­ten Ber­ge ste­he ich und vor mei­ner längs­ten Wan­de­rung: dar­um muss ich erst tiefer hin­ab als ich je­mals stieg:

– tiefer hin­ab in den Schmerz als ich je­mals stieg, bis hin­ein in sei­ne schwär­zes­te Fluth! So will es mein Schick­sal: Wohl­an! Ich bin be­reit.

Wo­her kom­men die höchs­ten Ber­ge? so frag­te ich einst. Da lern­te ich, dass sie aus dem Mee­re kom­men.

Diess Zeug­niss ist in ihr Ge­stein ge­schrie­ben und in die Wän­de ih­rer Gip­fel. Aus dem Tiefs­ten muss das Höchs­te zu sei­ner Höhe kom­men. –

Also sprach Za­ra­thustra auf der Spit­ze des Ber­ges, wo es kalt war; als er aber in die Nähe des Mee­res kam und zu­letzt al­lein un­ter den Klip­pen stand, da war er un­ter­wegs müde ge­wor­den und sehn­süch­ti­ger als noch zu­vor.

Es schläft jetzt Al­les noch, sprach er; auch das Meer schläft. Schlaf­trun­ken und fremd blickt sein Auge nach mir.

Aber es ath­met warm, das füh­le ich. Und ich füh­le auch, dass es träumt. Es win­det sieh träu­mend auf har­ten Kis­sen.

Horch! Horch! Wie es stöhnt von bö­sen Erin­ne­run­gen! Oder bö­sen Er­war­tun­gen?

Ach, ich bin trau­rig mit dir, du dunkles Un­ge­heu­er, und mir sel­ber noch gram um dei­net­wil­len.

Ach, dass mei­ne Hand nicht Stär­ke ge­nug hat! Ger­ne, wahr­lich, möch­te ich dich von bö­sen Träu­men er­lö­sen! –

Und in­dem Za­ra­thustra so sprach, lach­te er mit Schwer­muth und Bit­ter­keit über sich sel­ber. »Wie! Za­ra­thustra! sag­te er, willst du noch dem Mee­re Trost sin­gen?

Ach, du lieb­rei­cher Narr Za­ra­thustra, du Ver­trau­ens-Über­se­li­ger! Aber so warst du im­mer: im­mer kamst du ver­trau­lich zu al­lem Furcht­ba­ren.

Je­des Un­get­hüm woll­test du noch strei­cheln. Ein Hauch war­men Athems, ein We­nig wei­ches Ge­zot­tel an der Tat­ze –: und gleich warst du be­reit, es zu lie­ben und zu lo­cken.

Die Lie­be ist die Ge­fahr des Ein­sams­ten, die Lie­be zu Al­lem, wenn es nur leb­t! Zum La­chen ist wahr­lich mei­ne Narr­heit und mei­ne Be­schei­den­heit in der Lie­be!« –

Also sprach Za­ra­thustra und lach­te da­bei zum an­dern Male: da aber ge­dach­te er sei­ner ver­las­se­nen Freun­de –, und wie als ob er sich mit sei­nen Ge­dan­ken an ih­nen ver­gan­gen habe, zürn­te er sich ob sei­ner Ge­dan­ken. Und als­bald ge­sch­ah es, dass der La­chen­de wein­te: – vor Zorn und Sehn­sucht wein­te Za­ra­thustra bit­ter­lich.

Vom Gesicht und Räthsel
1

Als es un­ter den Schiffs­leu­ten ruch­bar wur­de, dass Za­ra­thustra auf dem Schif­fe sei, – denn es war ein Mann zu­gleich mit ihm an Bord ge­gan­gen, der von den glück­se­li­gen In­seln kam – da ent­stand eine gros­se Neu­gier­de und Er­war­tung. Aber Za­ra­thustra schwieg zwei Tage und war kalt und taub vor Trau­rig­keit, also, dass er we­der auf Bli­cke noch auf Fra­gen ant­wor­te­te. Am Aben­de aber des zwei­ten Ta­ges that er sei­ne Ohren wie­der auf, ob er gleich noch schwieg: denn es gab viel Selt­sa­mes und Ge­fähr­li­ches auf die­sem Schif­fe an­zu­hö­ren, wel­ches weit­her kam und noch wei­ter­hin woll­te. Za­ra­thustra aber war ein Freund al­ler Sol­chen, die wei­te Rei­sen thun und nicht ohne Ge­fahr le­ben mö­gen. Und sie­he! zu­letzt wur­de ihm im Zu­hö­ren die eig­ne Zun­ge ge­löst, und das Eis sei­nes Her­zens brach: – da be­gann er also zu re­den:

Euch, den küh­nen Su­chern, Ver­su­chern, und wer je sich mit lis­ti­gen Se­geln auf furcht­ba­re Mee­re ein­schiff­te, –

euch, den Räth­sel-Trun­ke­nen, den Zwie­licht-Fro­hen, de­ren See­le mit Flö­ten zu je­dem Irr-Sch­lun­de ge­lockt wird:

– denn nicht wollt ihr mit fei­ger Hand ei­nem Fa­den nachtas­ten; und, wo ihr er­rat­hen könnt, da hasst ihr es, zu er­schlies­sen

euch al­lein er­zäh­le ich das Räth­sel, das ich sah, – das Ge­sicht des Ein­sams­ten. –

Düs­ter gieng ich jüngst durch lei­chen­farb­ne Däm­me­rung, – düs­ter und hart, mit ge­press­ten Lip­pen. Nicht nur Eine Son­ne war mir un­ter­ge­gan­gen.

Ein Pfad, der trot­zig durch Ge­röll stieg, ein bos­haf­ter, ein­sa­mer, dem nicht Kraut, nicht Strauch mehr zu­sprach: ein Berg­pfad knirsch­te un­ter dem Trotz mei­nes Fus­ses.

Stumm über höh­ni­schem Ge­klirr von Kie­seln schrei­tend, den Stein zer­tre­tend, der ihn glei­ten liess: also zwang mein Fuss sich auf­wärts.

Auf­wärts: – dem Geis­te zum Trotz, der ihn ab­wärts zog, ab­grund­wärts zog, dem Geis­te der Schwe­re, mei­nem Teu­fel und Erz­fein­de.

Auf­wärts: – ob­wohl er auf mir sass, halb Zwerg, halb Maul­wurf; lahm; läh­mend; Blei durch mein Ohr, Blei­trop­fen-Ge­dan­ken in mein Hirn träu­felnd.

»Oh Za­ra­thustra, raun­te er höh­nisch Silb’ um Sil­be, du Stein der Weis­heit! Du warfst dich hoch, aber je­der ge­wor­fe­ne Stein muss – fal­len!

Oh Za­ra­thustra, du Stein der Weis­heit, du Schleu­der­stein, du Stern-Zer­trüm­me­rer! Dich sel­ber warfst du so hoch, – aber je­der ge­wor­fe­ne Stein – muss fal­len!

Ver­urt­heilt zu dir sel­ber und zur eig­nen Stei­ni­gung: oh Za­ra­thustra, weit warfst du ja den Stein, – aber auf dich wird er zu­rück­fal­len!«

Drauf schwieg der Zwerg; und das währ­te lan­ge. Sein Schwei­gen aber drück­te mich; und sol­cher­maas­sen zu Zwein ist man wahr­lich ein­sa­mer als zu Ei­nem!

Ich stieg, ich stieg, ich träum­te, ich dach­te, – aber Al­les drück­te mich. Ei­nem Kran­ken glich ich, den sei­ne schlim­me Mar­ter müde macht, und den wie­der ein schlim­me­rer Traum aus dem Ein­schla­fen weckt. –

Aber es giebt Et­was in mir, das ich Muth heis­se: das schlug bis­her mir je­den Un­muth todt. Die­ser Muth hiess mich end­lich stil­le stehn und spre­chen: »Zwerg! Du! Oder ich!« –

Muth näm­lich ist der bes­te Todt­schlä­ger, – Muth, wel­cher an­greift : denn in je­dem An­grif­fe ist klin­gen­des Spiel.

Der Mensch aber ist das muthigs­te Thier: da­mit über­wand er je­des Thier. Mit klin­gen­dem Spie­le über­wand er noch je­den Schmerz; Men­schen-Schmerz aber ist der tiefs­te Schmerz.

Der Muth schlägt auch den Schwin­del todt an Ab­grün­den: und wo stün­de der Mensch nicht an Ab­grün­den! Ist Se­hen nicht sel­ber – Ab­grün­de se­hen?

Muth ist der bes­te Todt­schlä­ger: der Muth schlägt auch das Mit­lei­den todt. Mit­lei­den aber ist der tiefs­te Ab­grund: so tief der Mensch in das Le­ben sieht, so tief sieht er auch in das Lei­den.

 

Muth aber ist der bes­te Todt­schlä­ger, Muth, der an­greift: der schlägt noch den Tod todt, denn er spricht: »War das das Le­ben? Wohl­an! Noch Ein Mal!«

In sol­chem Spru­che aber ist viel klin­gen­des Spiel. Wer Ohren hat, der höre. –