Albrechts Chroniken IV

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Sie kamen immer näher, und ein Glasen später hätten sie uns fast bespucken können. Uns war klar, dass dies kein Begrüßungskomitee war, denn sie ließen die ersten Pfeile abschießen. Sehr zu meiner Erleichterung waren es keine Brandpfeile und sie waren nicht nah genug, um uns ernsthaft zu schädigen. Nun waren wir dran und wir ließen Feuer vom Himmel regnen. Auch griechisches Feuer, das wir auf solchen Missionen immer mit uns führten, da man jederzeit mit Aggressoren zu rechnen hatte.

Zwei ihrer Schiffe brannten wie Zunder, doch das dritte erkannte die Gefahr und machte sich rasch davon. Wir entfernten uns ebenso von diesem grausigen Schauplatz und beobachteten, wie die Überlebenden auf das übrig gebliebene Schiff dieser Barbaren geladen wurden. Viele waren es nicht.

Rauk zeigte in Richtung eines Überlebenden und sagte: „Erik!“

Das also war er. Rotes Haar und groß wie eine Eiche. Bei Gott, dem mochte man wirklich nicht auf dem Schlachtfeld begegnen. Auch dieser Erik beobachtete uns aus der Ferne. Sehr zu unserer Besorgnis erkannte Erik die Nordmänner Islands an Bord der Magdalena, was bedeutete, dass er im kommenden Sommer dem isländischen Dorf einen unfreundlichen Besuch abstatten würde.

Nichtsdestotrotz feierten wir unseren Sieg und segelten weiter. Dies war unsere erste Schlacht des Jahres. Wer weiß, wie viele wir noch würden bestehen müssen.

4. MAI 1137

Kalt peitschte die See ihre unfreundliche Gischt und keiner von uns blieb trocken. Die Kleidung war nass und klamm, und unser Medicus Renaldo di Varenna hatte alle Hände voll zu tun, um die Erkälteten mit heißen Kräutergetränken zu versorgen. Wir alle wurden krank, auch ich bekam regelmäßige Schüttel- und Zitteranfälle. Der Winter hier in dieser Gegend war noch lange gegenwärtig und ich hatte Sorgen, die Mannschaft durch Krankheit zu verlieren. Wir mussten trockenes Land finden, soll heißen, schnee- und eisfrei, sonst würden bald die ersten Toten zu beklagen sein. Doch vor uns in Sichtweite lag nichts, das auf eine rettende Küste hoffen ließ. Im Gegenteil: Ein Sturm näherte sich und der Wind ließ unsere Glieder erfrieren. Schwierig wurde jede Tätigkeit, denn die Schmerzen an den Gelenken waren qualvoll.

Apathisch versuchten wir, die Situation unter Kontrolle zu halten. Mit jedem Auf und Ab dieser elendigen Wellen konnte ich in manchen Gesichtern die Resignation erkennen. Das durfte aber nicht sein, sonst wären wir alle verloren. Ascanio, Ralf de Saddeleye und ich waren die Einzigen, die noch unermüdlich die Magdalena gegen die immer größer werdenden Wellen zu steuern versuchten.

Die Haare klebten mir vor den Augen und ich konnte nichts sehen, doch das Steuer durfte und wollte ich nicht aus den Händen lassen. Zwei Tage ging es so, vielleicht waren es auch drei. Doch dann endlich, es war wohl der 6. oder 7. Mai, schrie Sven, der Nordmann, in seiner Sprache „Land in Sicht!“, was ungefähr so klang: „Land i snjiomali!“

Mir reichte schon das Wort Land, um für einen Augenblick das Steuer mit der linken Hand zu halten, denn mit der rechten wischte ich mir das Haar vom Gesicht. Ja, tatsächlich hatten wir Land vor uns. Es sah trocken aus, obwohl ein dünner Nebel mir die Sicht verschleierte. Oder war es das Salz, das sich zwischen meinen Augenlidern verkrustet hatte? Ich sah grünes Land. Keine Eisberge, kein Schnee und kein Eis.

Rauk kam hinzu und zeigte mir eine Bucht, die er nur zu gut kannte. Er sei früher oft mit seinem Onkel hierher gesegelt, um mit den Eingeborenen Handel zu treiben, übersetzte Ralf zugleich. Ich wollte mehr wissen. Waren die Einheimischen freundlich und konnte man dort lagern, ohne einen Überfall befürchten zu müssen? Ich bekam die Antwort, die ich hören wollte, und war dankbar dafür, diese fünf Nordmänner, die sich mit der Sprache und der Kultur der Einheimischen auskannten, mit auf der Reise zu haben. Rauk Olafson erwies sich als große Hilfe, denn er sprach am besten die Sprache dieser Eingeborenen, die sich Inuvik nannten.

Die Küste war nach drei Glasen in greifbarer Nähe und die Wellen wurden flacher, sodass wir die Magdalena kurze Zeit später an dieser Bucht ankerten. Keine Menschenseele, von diesen Inuvik war nichts zu sehen. Auch Rauk und die anderen vier Nordmänner verstanden die Situation nicht, denn hier hätte ständig Bewegung sein und reger Handel getrieben werden müssen.

Ich ließ drei Beiboote zu Wasser und nahm eine gute Anzahl von bewaffneten Männern mit. Wie üblich blieben Ascanio und Ralf de Saddeleye an Bord. Sollte etwas geschehen, waren sie die Einzigen, die den Rest der Mannschaft heil nach La Rochelle zurückbringen konnten.

Langsam und beständig ruderten meine Templer dem flachen Strand entgegen, der aus einem dicken Kieselteppich bestand. Die Steine leuchteten in allen Farben, und das Wasser gab ihnen einen wunderschönen Glanz. Wir sprangen aus den Booten und hielten die Schilde bereit für den Fall, dass wir mit einem Pfeilregen begrüßt würden. Doch nichts geschah. Die Feuerstellen loderten noch, also mussten sich die Menschen irgendwo versteckt halten. Aber warum, wenn sie in der Vergangenheit Segler der Nordmänner gesichtet hatten und sie als Händler kannten?

„Anukai!“, schrie Rauk plötzlich. „Anukai, kuet tiak wue?“, was so viel hieß wie „Anukai, wo steckt ihr?“

Sven, Enar und Thiere taten das Gleiche. Es ging eine Weile so, dann erschienen die ersten Einwohner aus dem benachbarten Wald. Langsam und vorsichtig näherten sie sich uns, und Anukai begrüßte Rauk und die Seinen, als er sie erkannte. Auf die Frage, warum sie sich versteckten, sagte das Oberhaupt dieses Stammes, sie hätten noch nie einen so großen Segler gesichtet und ihr Medizinmann hätte die Vision eines großen Seglers vor wenigen Tagen prophezeit.

Man solle sich in Acht nehmen vor Fremden. Rauk versicherte Anukai, dass unsere Absichten friedlich seien, und endlich durften wir uns gegenseitig begrüßen und nach Stammessitte umarmen. Damit mir die Kranken nicht wegstarben wie die Fliegen, wollte ich jedoch sofort einen trockenen und warmen Lagerplatz errichten. Das erlaubte Anukai, und aus Fellen und aus Zelten, die wir in La Rochelle aufgeladen hatten, errichteten wir unser Lager. Die Kranken wurden sofort versorgt und Renaldo di Varenna, der einst dem Orden der Hospitaler auf Rhodos angehört hatte und sich später entschlossen hatte, dem Orden der Templer beizutreten, verschwendete keine Zeit.

Zwei der Männer hatten Lungenentzündung und vier Mann starkes Fieber. Renaldo beteuerte mir mehrmals, dass eine Weiterreise im Moment das Todesurteil für die Männer bedeuten würde. Ich beruhigte ihn und versicherte, dass wir erst wieder in See stechen würden, wenn alle Mann gestärkt und erholt seien. Und das betraf mich ebenso. Anukai indessen war unbeeindruckt von unseren Unpässlichkeiten und zeigte mir die Gegend. Rauk übersetzte das Inuvikische.

Als ich mich überzeugt hatte, dass die Stelle sicher und die Inuvik friedlich gesinnt waren, ließ ich Ascanio und Ralf an Land kommen. Auch Eduardo Cortez durfte sich dieses Privilegs erfreuen, denn schließlich mussten wir bis auf Weiteres zusammenarbeiten. Man reichte mir als Geschenk einen bestickten Mantel aus dickem Büffelfell, und ich schenkte Anukai eines unserer Zelte, das mit dem roten Templerkreuz bestickt war. Ihm gefiel das Kreuz, doch er fragte nicht weiter nach dessen Bedeutung, wofür ich dankbar war, denn es strengte mich an, mich allein durch Gestik verständigen zu müssen.

Endlich schloss sich Ralf unserer Gruppe an, und so konnte Rauk Olafson das Inuvikische erst für Ralf und schließlich für mich übersetzen. So ging es eine halbe Ewigkeit, und wir beschenkten uns mit Fellen und Werkzeugen sowie mit Mais, Wurzeln und Knollen.

Ein Lagerfeuer wurde entzündet und Anukai sowie seine Treuesten und Ältesten saßen darum herum. Auch wir konnten uns schließlich der Gastfreundschaft nicht entziehen und setzten uns ebenfalls um dieses wärmende Feuer. Überhaupt bemerkte ich, dass sich hier der Frühling breitgemacht und der Winter sich endgültig verzogen hatte. So kam mir der Gedanke, hier für die Zukunft eine Basis zu errichten, denn die Bucht war sicher, das Klima angenehm und die Menschen waren freundlich.

Gestört wurden meine Gedanken nur durch das Lachen und Kreischen der Kinder, die um unseren Chaplain Rutherford herumsprangen. Er beschenkte sie mit Kruzifixen und mitgebrachten Rosenkränzen, die sich die Kinder um den Hals legten und das schön fanden. Anukai und der Medizinmann betrachteten die Angelegenheit mit fragendem Gesichtsausdruck, doch sie sagten nichts weiter, denn schließlich hatten die Kinder ja ihren Spaß. Die Stunden vergingen und meine Augen wurden schwer. Krieger des Stammes führten einen Tanz um das Feuer auf und jaulten und stimmten einen Gesang an, der am Anfang die Nerven plagte.

Nach längerem Hinschauen aber begriff man, dass es ein ritueller Tanz war, der die Geister der Ahnen rief, um den Stamm mit Regen, Sonne, Fruchtbarkeit und Frieden zu segnen. Schon erstaunlich, wie bescheiden die Wünsche dieser Menschen sind, stellte ich ernüchtert fest. Die geringsten Lebensvoraussetzungen reichten ihnen, um Freude zu spüren und glücklich zu sein. Kein Gold, kein Silber, keine Macht und auch keine Religion benötigten sie, denn die Natur und ihre Ahnen waren ihr Reichtum. Nach dieser Erkenntnis, die ich schon einmal gespürt hatte, damals auf der Insel des Federico Pinzon, befahl ich Chaplain, sich neben mich zu setzen.

„Admiral?“

„Mein lieber Bruder Rutherford. Setze er sich neben mich und genieße er diesen aussagekräftigen Tanz. Lasst die Kinder Kinder sein und gönnt Euch etwas Ruhe, mein Bester!“

„Aber so kann ich sie doch bekehren …!“

„Passt nur auf, dass nicht sie uns bekehren, Bruder. Sie haben ihren Gott. Erspart ihnen …!“ Ich biss mir plötzlich auf die Zunge, denn ketzerisch klangen diese Worte aus meinem Munde und ich sah, wie mich Rutherford entsetzt anstarrte. Gottlos und ungläubig muss ich ihm erschienen sein, und auch ich erschrak zunächst. Wie kam ich dazu, als hoher Beamter dieses christlichen Ordens so etwas von mir zu geben. Und doch hatten die Studien der Dokumente und Schriften, das Erlebte der letzten Jahre, die Verluste von Männern und Freunden, die schmerzliche Erkenntnis von Verrat und Betrug mir jegliche Beziehung zu unserer Glaubensrichtung geraubt. Man konnte doch nicht so blind sein, um hier nicht zu erkennen, was und wer Gott in Wirklichkeit war.

 

Diese Inuvik erlebten es jeden Tag und jede Nacht. Sie hatten schon immer verstanden, wer Gott ist und wer seine Engel waren. Die Natur, dieser unsagbar schöne Sternenhimmel, dieses Meer vor uns, dieser Friede war für sie Gott. Der wahre Gott. Und die Ahnen waren die Engel, zu denen sie durch ihre Riten und Gebeten sprachen und auf die sie aus irgendeinem Grunde auch immer eine Antwort erhielten, solange sie in Harmonie lebten mit allem, was sie umgab.

Wieder und wieder erschienen mir Federico Pinzons Worte im Geiste, und immer wieder wurde mir klar, wie unrecht ich doch hatte und wie blind und rückständig wir doch alle waren, wir Christen, die wir hier saßen, wir Templer in den Diensten unseres Messias, und, richtig betrachtet, auch in den Diensten unseres Feindes, des Vatikans. Der nach außen hin unser Freund war. Der Kreis der „Wenigen“ im Orden wurde immer kleiner nach dem, was mir Cortez über Hugues de Payns erzählt hatte.

Ach ja, Cortez. Wo war er nur? Dann fand ich ihn. Eng und unbequem neben den anderen sitzend und mich betrachtend, als ob er meine Gedanken lesen könne. Ein Lächeln zeugte von einer gewissen Gehässigkeit und ließ mich weiter grübeln. Ihn erschreckte nicht, was ich zu Chaplain sagte, denn er sah, dass ich erwachte. Ich erwachte aus all den Lügen und Niederträchtigkeiten eines Menschen, der nicht verstanden hatte, worum es eigentlich ging und der sich hatte verführen lassen von Plunder, Gier und Macht, woran er am Ende selbst zugrunde gehen würde. Diese Seereisen waren nötig.

Nicht die Suche nach Gold oder nach Silber war es, die mich anspornte weiter zu segeln, nein, es war die Suche nach dem wahren Gott. Ich fand ihn hier. Ich fand ihn damals auf Pinzons Insel. In Ashkelon und auf den Gipfeln der Golanhöhen. Er ist überall, nur nicht in Jerusalem. Dort fand ich ihn nicht. Dort spürte ich ihn nicht.

Wie oft wurde diese Stadt zerstört und wieder aufgebaut, nur um wieder und wieder zerstört zu werden? Gott will Jerusalem nicht, egal, wie viel Blut noch vergossen wird für Christus, Allah, Yahve oder wen auch immer. So schnell kann man alles begreifen, wenn man nur die Augen offenhält. Doch nun war ich hier. Bei den Inuvik.

Ich ließ diesen Tanz und die Wärme dieses Feuers auf mich wirken. Die Dankbarkeit dafür, dass wir der Eiseskälte entflohen waren, gab ihr Übriges dazu, mich wieder Freude spüren zu lassen. Meine Männer erschienen mir wie Engel in diesem Augenblick, denn auch sie waren dankbar, den Wahnsinn überlebt zu haben, den zu begehen sie sich bereit erklärt hatten. Wie sehr wünschte ich mir, sie könnten die Dinge so sehen, wie ich sie sah. Wie Cortez sie sah. Vielleicht taten sie es auch und behielten es geschickt für sich. Cortez hatte recht. Die Reliquien, die sich nun in Paris befanden, mussten zurück zu den Katharern. (Siehe Albrechts Chroniken III)

„Auf dein Bauchgefühl musst du immer hören, mon petit!“, hörte ich Gondamer aus der Ferne rufen. Und mein Bauchgefühl sagte mir, dass Cortez recht hatte. Der Orden wurde verführt. Verführt von der ihm durch den Papst zugestandenen Macht. Von dem Gold und den Renditen der Schlachten im Heiligen Land. Von Königen und Fürsten, die gut für die Dienste des Ordens bezahlten. Das war kein Orden der armen Soldaten Christi mehr. Das war eine durch und durch strukturierte und fachmännisch konstruierte Organisation.

All die Sprüche, der Vatikan sei im Grunde genommen der Feind, waren eine Finte, um von den wahren Machenschaften abzulenken. Hugues de Payns und der Papst waren Verbündete. Doch welche Rolle spielte dann Bernard de Clairvaux in diesem Spiel?

Immer klarer erschienen mir die Fakten hier unter Gottes Dach, das so herrlich leuchtete in dieser Nacht. Er sprach zu mir. Er öffnete mir die Augen. Meine Gedanken waren seine Worte. Er warnte mich hier und heute und sagte: „Sei vorsichtig, wem Du vertraust, denn Zucker und Salz sehen gleich aus.“

Eine Schale wurde mir gereicht und ich trank daraus. Meine Erschöpfung und meine Erkältung brachten mich schließlich zu Fall und ich konnte mich an nichts mehr erinnern, als ich am nächsten Morgen in meinem Zelt aufwachte. Ascanio di Sassari und Ralf de Saddeleye schnarchten laut und meine Knochen schmerzten. Länger wollte ich schlafen, doch Renaldo, der Medicus, betrat ohne Vorwarnung das Zelt und seine Augen verrieten nichts Gutes. Ich stand von der Pritsche auf und sah ihm in die Augen.

„Sprich Bruder! Sprich in Gottes Namen!“

Renaldo kämpfte mit den Worten, doch mit trauriger Stimme bestätigte er, was ich befürchtet hatte: Wir hatten den ersten Mann auf dieser Reise verloren. Die Lungenentzündung war zu viel für ihn. Er war in der vorigen Nacht gestorben. Chaplain Rutherford sei bei ihm gewesen, um ihm die letzte Ölung zu verabreichen. Ich zog sofort meine Tunika an und band mir das Schwert um die Hüfte. Dabei wurden die anderen wach und richteten sich ebenfalls auf. Ich erklärte ihnen, was vorgefallen war.

Zur Mittagstunde dieses 7. Mai 1137 bestatteten wir unseren treuen und tapferen Bruder Roger Cambrais unter allen verfügbaren Ehren und begruben ihn in dieser Erde weit von seiner Heimat. Rutherford hielt die Andacht und wir verabschiedeten uns von ihm. Ein schnell gebautes Kreuz und sein Schwert waren das Einzige, das an ihn erinnerte. Dann plötzlich sang aus der Ferne der Medizinmann. Rauch eines Feuers stieg auf. Es war seine Art, unserem Bruder für seine endgültige Reise alles Gute zu wünschen, denn er würde zu seinen Ahnen aufsteigen und für immer Frieden finden.

WARUM SIND WIR HIER?

Die Tage vergingen und wir erholten uns schnell. Die Kranken waren wieder gesund, und auch der zweite Mann, der an einer Lungenentzündung gelitten hatte, erholte sich langsam, aber stetig. Die Magdalena wurde unter Ascanios strenger Obhut mit Fett behandelt, das von Robben und Wal gewonnen wurde, um gegen Holzwürmer vorzubeugen. Doch bei diesem noch kühlen Klima hatte ich meine Zweifel, ob die Behandlung nötig war. Einen Zweck erfüllte jedoch diese Maßnahme: Sie beschäftigte die Männer und sie wurden von Sehnsüchten und Langeweile abgelenkt.

In der Bucht herrschte reges Treiben und mehr und mehr Kanuten ruderten zum Strand, um Robbenfelle, Wahlrosselfenbein und Walfleisch zum Tausch gegen Wurzeln, Mais und Knollen anzubieten. Speere und Harpunen befanden sich ebenso unter der Handelsware. Man beachtete uns kaum, als hätten wir schon immer hier gelebt. Meine Vermutung gab mir recht, denn die Nordmänner trieben hier in der Tat selbst regen Handel. Die Einheimischen kannten somit blonde und bärtige Männer aus vergangener Zeit. So erzählte es mir Ralf de Saddeleye, nachdem er mit Rauk von der Jagd zurückgekehrt war.

Zwei erlegte Hirsche, die von jungen Inuvik getragen wurden, gab man dem Stammesältesten als Geschenk für die uns gewährte Gastfreundschaft. Er bedankte sich bei uns und lud mich und Saddeleye zu sich in das ihm von uns geschenkte Zelt. Mit reichlich Fellen hatte sich Anukai sein neues Quartier bequem und warm eingerichtet. Kurze Zeit später setzte sich auch Rauk in unsere Mitte, was uns willkommen war wegen seiner Sprachkenntnisse. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis Anukai das Wort ergriff und zu sprechen begann. Lange hörten wir ihm zu, aber ich konnte mir keinen Reim darauf machen, worüber er redete. Seiner Gestik nach wollte er uns ein Angebot machen. Doch ich täuschte mich sehr, als Rauk seine Worte für de Saddeleye übersetzte und dieser sie dann in unsere Sprache übertrug. Überrascht schaute ich Anukai an und musste anfangen zu lachen. Auch er begann zu lachen, denn er erkannte, dass er einen Nerv getroffen hatte. Ehrlich gesagt hatte ich nicht die richtige Antwort auf seine Frage. Zumindest nicht sofort.

„Warum seid ihr hier?“, war die Frage kurz und bündig.

Stille trat ein und wir zwei Oberhäupter schauten uns lange und ernst an.

„Neugier!“, schoss es plötzlich aus mir heraus.

Anukai bekam einen Lachanfall, er wurde immer lauter, und bald hielt er sich vor Schmerz den Bauch. Seine Augen tränten und ungläubig schüttelte er den Kopf. Mir aber war nicht zum Lachen zumute, denn insgeheim hatte ich mich des Öfteren selbst gefragt, warum ich mich und meine Männer in solche Gefahren brachte. War es wegen des Goldes? Das war eine Variante von vielen. Gold hatte ich genug zurückgeschleppt, und ja, wenn es nach der Gier der Mächtigen ginge, so müssten Tausende von Koggen und Barken diese Meere befahren.

Doch was war es wirklich? Sehnsucht nach Abenteuer, etwas Neuem? Wir hatten bereits diese Gewässer befahren, jedoch weiter südlich. Es war der Wissensdrang, der mich trieb. Lernen wollte ich und entdecken, was andere zuvor niemals gesehen hatten. Das Materielle war nur Mittel zum Zweck. Eine Sucht war schon lange zuvor entstanden, als ich noch mit Farid zur See fuhr und wir beide über den weiten Horizont starrten und uns immer wieder fragten, was wohl auf der anderen Seite dieser Welt sei.

Anukai richtete sein Wort an Rauk und ich sah, dass sich das Gespräch in der Form veränderte. Beide sahen mich ernst an, aber ich konnte mir kein Bild von dem machen, was sie dachten.

Dann holte Anukai ein Ledersäckchen aus seinem Ärmel und warf es mir grob zu. Ich fing es auf, und mit seiner rechten Hand gestikulierte Anukai, ich solle den Inhalt in die Hand nehmen, und so tat ich es. Als ich meine Faust öffnete, erschrak ich mich. Solch einen Goldklumpen in dieser Größe hatte ich nicht einmal bei unserer letzten Fahrt gesehen. Anukai beobachtete mich genau, und seine Augen bohrten sich in meine Seele, als ob er alles von mir wissen wollte, um auf diesem Wege zu erfahren, ob dies der wahre Grund sei für unser Erscheinen. Gewiss, ich war beeindruckt, doch ich konnte meine Begeisterung im Zaume halten, steckte den Klumpen wieder in das Ledersäckchen hinein und warf es ihm zu. Trotz seines hohen Alters fing er es geschickt auf, seine Augen nie von mir ablassend.

„Wir wollen Handel treiben. Felle, Elfenbein, Mais und auch Hölzer!“, sagte ich drauf. „Und sollten wir uns einigen und auch eine kleine Basis nicht weit von hier errichten, sodass alle zwei Monate zwei unserer Schiffe dort mit Waren zum Tausch anlegen können.“

Ralf übersetzte für Rauk, was ich sagte. Doch bevor Rauk meine Worte an Anukai wiedergab, brüllte er zornig in seiner Sprache zurück. Die Stimmung im Raum schlug binnen eines Augenblicks von friedlich auf aggressiv um. De Saddeleye übersetzte mir Rauks Worte und ich verstand, dass ich nun ein Territorium betrat, das von den Isländern seit zig Jahren beherrscht und eisern im Blick behalten wurde.

„Er sagt … und verzeiht, Admiral … ich übersetzte es nur ... was wir uns anmaßen würden, uns hier in diesen Gebieten niederlassen zu wollen, um eine Basis zu errichten und uns in den regen Handel so einzumischen, dass sie, die Isländer, übervorteilt würden! Sie hätten seit Jahren versucht, sich hier niederzulassen, doch dies wurde von den Einheimischen nie geduldet, weil wir nicht wie sie waren und weil unsere Absichten sich mit den Naturgesetzen nicht vereinbaren ließen. Das hätte schon Erik der Rote versucht und seine Nachfahren ebenso. Vertrieben wurden sie und viele ihrer Leichen vermodern heute noch unter den Sümpfen dieser Erde!“

Wir hatten sichtlich ein Problem, und ich erinnerte mich im selben Moment an das Versprechen, das ich einst Federico Pinzon gab: nie die Brut aus der alten Welt in dieses Paradies führen zu lassen. Das aber würde ohne Zweifel geschehen, wenn mein Vorschlag fruchten sollte.

„Ich will es von Anukai selbst hören. Lehnt er meinen Wunsch ab, so werde ich das befolgen. Sagt er jedoch zu, dann scheiße ich auf das, was die Isländer verärgern sollte. Schließlich haben die Nordmänner die Überfälle hier begangen und den Kürzeren gezogen … Sag diesem Flegel das!“

Ein kurzes Räuspern, und Ralf übersetzte Rauk meine Meinung darüber, wie ich zu der Angelegenheit stand. Verärgert setzte sich Rauk wieder hin und wollte das Wort an Anukai richten, doch dieser hielt die Hand ausgestreckt und bat Rauk, den Mund zu halten.

 

Wieder nahm der alte Mann das Wort, und ich konnte ein Lächeln in Rauks Gesicht erkennen. Also durften wir hier keine Basis erbauen. Nun gut. Dann woanders. Die Zeit würde es richten, doch diese Basis würde nur für den Bund der „wenigen“ sein. Vergessen wir dieses Vorhaben auf dieser Fahrt. Auf der nächsten würden keine Nordmänner dabei sein, und dann würde uns keiner aufhalten können.

Ich träumte schon weiter, als Ralf de Saddeleye versuchte, mir etwas zu sagen. Doch auch ich winkte ab, denn ich hatte verstanden. Ich wollte keinen Streit beginnen und verbeugte mich freundlich vor Anukai, bekam jedoch seinerseits versichert, dass wir jederzeit hier mit ihnen handeln dürften. Wir reichten uns die Hände und verließen höflich das Zelt.

Meine Wut konnte ich für kurze Zeit kontrollieren, nicht aber Rauk Olafsons Disziplinlosigkeit. Was erlaubte sich dieser Fischerbursche, sich einem Admiral zu widersetzen. Er hatte sich freiwillig gemeldet. Ich hatte ihn nicht darum gebeten mitzukommen. Diese Angelegenheit bedurfte sofortiger Klärung. So nahm ich mir diesen unverschämten Burschen hinter einem Gestell vor, wo Fische zum Trocknen hingen. Ich packte ihn wutentbrannt am Kragen und presste ihn so lange gegen den stinkenden Fisch, bis mir der Geruch in den Kopf stieg. Doch ich ließ nicht locker. Er rang nach Luft, ich jedoch ließ nicht los. Richard und Ralf bekamen es mit, die anderen nicht, Gott sei‘s gedankt. Sie eilten zu mir, um einen Mord zu verhindern.

„Admiral ...!“, flehte mich Richard an.

„Sag diesem unverschämten Bengel, ich hätte große Lust, ihn hier an diesem Ort verrecken zu lassen. Noch so ein Ausrutscher und er kann nach Hause schwimmen, ist das klar? Ich bin der Admiral, der Befehlshaber dieser Truppe, und er ist nur ein Mitläufer. Ein Nichts. Ich brauche ihn als Übersetzer nicht mehr. Wir legen in drei Tagen ab und fahren weiter dorthin, wohin uns die Küste führt!“

Grob stieß ich Rauk weg von mir und Furcht ließ das Blut in seinen Adern gefrieren.

Den Befehl zur Abreise leitete ich an Ascanio di Sassari weiter, der sich auf eine Weiterfahrt sichtlich freute. So hatten mich die Männer schon lang nicht mehr gesehen, doch jede kleinste Nachlässigkeit gefährdete das Unternehmen. Ich hatte mir eine Antwort nun selbst gegeben, warum wir hier waren. Ich sollte mich eigentlich bei Rauk für seine Unverschämtheit bedanken, denn nun erst recht: Ich würde diese Basis bauen, und wem es nicht passte, der würde über Bord geworfen. Ich sah alles schon vor mir. Ein zweites Ashkelon. Hier, weit weg von der alten, vergifteten und vor Sünde triefenden Welt. Weiter südlich, wo das Klima freundlicher ist und doch nicht zu warm, damit man Proviant länger lagern kann und diese elendigen Stechfliegen einen in Ruhe lassen. Für den Winter zumindest.

Ich würde nur einen Bruchteil der Güter nach La Rochelle überführen lassen und den Hauptteil hier in der geplanten Basis aufbewahren. Und wer weiß, vielleicht sogar eines Tages die neugebauten Karavellen hier vor Anker legen. Meine Absichten hatten sich von jetzt auf gleich geändert. Verraten und verkauft hatte man mich. Die, die ich für treu hielt, waren nichts anderes als Parasiten. Doch genug davon. Ich konnte dieses Spiel genauso spielen. Jetzt begriff ich, wie wichtig eine Erneuerung der Beziehung zwischen mir und Eduardo Cortez schien. Er hatte recht. Pinzon hatte recht. Jacques und Gilles hatten recht. Ja sogar der, den ich nie wieder in meinen Gedanken zu wissen hoffte und dessen Namen ich nie wieder aussprechen zu müssen hoffte, hatte recht. Der Teufel selbst. Bab Pha Med. Warum also nicht ich? Warum sollte ich nicht das gleiche Spiel mit diesen Verrätern spielen?

Ich brauchte jedoch treue Männer an meiner Seite. Männer, die an mich glaubten und in den Tod für mich segeln würden, wie die wenigen damals in Äthiopien, die für mich in den Tod ritten. Heute noch denke ich an jeden Einzelnen von ihnen. Wie sich wohl Friedrich und Horst in Ashkelon machten? Ja für diese zwei würde ich meine beiden Hände ins Feuer legen, doch sie waren weit, weit weg.

„De Saddeleye, bring mir Cortez in mein Zelt. Und ich will bis auf Weiteres nicht gestört werden. Verstanden?“

„Zu Befehl, mein Admiral!“

Ich begab mich zum Zelt und warf meinen Mantel auf die unaufgeräumte Pritsche. Der Wind, der hineinblies, drohte meine Aufzeichnungen und die Mappen vom Tisch zu fegen. Doch ein Krug, noch mit Wein aus dem Languedoc gefüllt, beschwerte sie und so rollten sie sich nur auf und zu. Ich nahm einen Zinnkrug, füllte ihn mit dem Wein und warf einen Blick auf eine der Mappen. Handgezeichnet und vom Seesalz vergilbt drohte diese so wichtige Karte auseinander zu bröseln. Das durfte nicht geschehen. Richard würde mir in den nächsten Tagen eine Kopie fertigen.

Der Vorhang öffnete sich und ein erholter Cortez machte mir die Aufwartung.

„Mein lieber Eduardo, nimm doch bitte Platz. Darf ich dir einen Wein reichen, Bruder?“ Nicht nur Cortez wunderte sich über die ihm entgegengebrachte übertriebene Freundlichkeit, ich wunderte mich ebenso. Monatelang hatte ich diesen Mann verspottet, gedemütigt, geschlagen und gefoltert. Vielleicht waren es sogar schon Jahre, ich erinnerte mich nicht mehr.

„Admiral?“ Cortez verbeugte sich und nahm schüchtern auf einen Schemel Platz.

„Ich habe über vieles nachgedacht, Eduardo. Ja, wir haben uns wieder genähert, jedoch dies nur auf eine Arbeitsbasis beschränkt. Ich habe mich jedoch entschlossen, dir wieder zu vertrauen, wie ich es einst tat. Du hast mir in vielen Dingen die Augen geöffnet, was aber nicht heißt, dass ich vor lauter Wald die Bäume nicht sehe!“

„Gewiss, Admiral. Ich verstehe ...!“

„Die Reliquien müssen zurück in eure Hände, dafür werde ich Sorge tragen …!“

„Mein Admiral, ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll ...!“, rief Cortez verzückt und glücklich.

„Jedoch brauche ich dich ebenso für einen Plan, Eduardo. Für unseren Plan. Ich will mich an diesem Pack rächen und es ihnen heimzahlen. Nicht nur haben sie mich von meiner Familie frühzeitig getrennt, nein, ich war nicht einmal zugegen, als meine Frau starb, nachdem sie meinen Sohn geboren hatte. Dann der ganze Verrat und die Sache mit der Vatikanlüge. Ich frage mich, Bruder, warum schlagen wir sie nicht zusammen mit derselben Waffe?“

„Ich versteh nicht ganz ...!“

„Ich brauche dich, Eduardo Cortez. Ich brauche Pinzon ebenso, und sobald wir nach La Rochelle zurückgekehrt sind, werde ich Jacques und Gilles Montfort die Freiheit zurückgeben. Du musst mir jedoch hoch und heilig schwören, mich nicht mehr anzulügen und an meiner Seite zu stehen. Und wenn ich dafür einer von euch werden müsste!“

„Was hast du vor, mein Bruder?“ Cortez Augen wurden zu dunklen Schlitzen. Das Weiß der Augäpfel war nicht mehr zu sehen, nur die schwarzen, vergrößerten Pupillen füllten die Augenhöhlen. Vorsichtig legte Cortez den Kelch zur Seite und faltete seine Hände wie zum Gebet.

Ich erzählte ihm von meinem Plan und von der Notwendigkeit, treue Männer zu rekrutieren, die es nicht besonders mit dem Papst hätten. Mit ihnen schlicht und ergreifend den Orden zu infiltrieren. Männer, die den Mund halten konnten und bedingungslos bei der Sache mitmachten.

„Aber mein Admiral, das wäre ja Seeräuberei?“

„Ach, erspar mir bitte diese Scheinheiligkeit. Du und Farid habt jahrelang unentdeckt Seeräuberei betrieben und am Sklavenhandel verdient sowie an den wenigen Fahrten, die du schon vor uns in dieser fernen Welt betrieben hattest. Nun? Was sagst du dazu?“