Rhöner Nebel

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

3.

»Albertus-Magnus-Zentrum«, stand auf einem Hinweisschild, daneben ein größeres mit der Aufschrift: »Zur Fremdsprachenkorrespondentenschule«.

»Sieh an. Früher hieß es nicht Zentrum«, sagte Anja Ried­eisen lächelnd.

Katinka bog auf die schmale Zufahrtsstraße. Zwei mehrstöckige neobarocke Gebäude erhoben sich am Waldrand, Sandstein, warm in der hellen Frühlingssonne leuchtend. Frisches Grün hatte sich noch kaum in den Wald verirrt, dafür sorgten die auf einer Wiese vor dem linken Haus geparkten Autos für Farbflecke.

»Meine Güte! Hier hat sich fast nichts verändert! Das linke Haus war das, wo die unteren Klassen wohnten. Auch die Schwestern und wir als Freiwillige hatten dort unsere Zimmer. Ich frage mich, ob sie wenigstens die gruseligen Badezimmer renoviert haben.«

»Es sind 30 Jahre vergangen«, warf Katinka ein. »Da muss man schon mal ein Fenster auswechseln. Ich weiß, wovon ich rede.« Sie dachte an die unbezahlten Rechnungen von ihren letzten Renovierungsarbeiten. Alles in allem kam ihr dieser Auftrag entgegen. Leicht verdientes Geld mit einem gewissen Freizeitfaktor.

»Da haben Sie recht.«

»Wer wohnte in dem rechten Gebäude?«

»Die älteren Schüler und ein Ehepaar. Beide waren als Pädagogen tätig.«

»Soweit ich weiß, waren die meisten Internate in den 80ern nach Geschlechtern getrennt.«

»Das trifft für die Städte zu, aber hier in der Einöde – da musste man gerechterweise Jungen wie Mädchen eine Chance geben.«

»Die Schule befand sich nicht hier?«

»Nein, in Mellrichstadt. Die Schüler besuchten entweder das Gymnasium oder die Realschule. Ein Bus brachte sie jeden Morgen hin, mittags gab es einen Rückfahrtdienst und noch einmal einen gegen 16 Uhr.«

»Mittlerweile haben die Schwestern die Räumlichkeiten anscheinend weitervermietet. Die Fremdsprachenkorrespondentenschule muss in dem rechten Gebäude sein, oder?«

»Offenbar, ja. An so etwas wäre früher nie zu denken gewesen. Der Platz wurde für die Schüler benötigt. Wahrscheinlich hat der Unterhalt der Anlage an der Kasse der Nonnen genagt und sie gezwungen, durch Vermietung Geld zu verdienen. Die meisten kamen uns damals schon recht alt vor. Mittlerweile müssen sie Greisinnen sein. Und Nachwuchs gibt es kaum noch.«

Katinka stellte ihren Italiener neben einem Mustang mit Münchner Nummer ab. »Aus den Schülern sollte richtig was geworden sein, wenn man die schicken Fahrzeuge betrachtet.«

»Ich sage Ihnen, Internatserziehung war seinerzeit begehrt. Was sollte man hier draußen denn tun, außer brav zu lernen?«

»Knutschen im Wald?«

Anja Riedeisen lachte. »Das stand selbstverständlich auch auf dem Programm.«

»Sollen wir?«

»Ich muss erst mal durchatmen.«

Katinka wandte den Kopf. Das Gesicht ihrer Auftraggeberin war blass. Die Unterhaltung hatte sie von ihren Sorgen anscheinend nicht abgelenkt.

»Was ist los, Frau Riedeisen?«

»Ist nicht so einfach. Ehrlich.«

»Sie haben es doch damals ganz gut ausgehalten. Mit 20 hat man meistens mehr Probleme als mit 50. Habe ich mir sagen lassen.«

Wieder ein leises Lachen. »Sie haben recht. Deswegen wollte ich Sie dabeihaben.«

»Als Motivationsfaktor?«

Anja Riedeisen stieg aus. »Sehen Sie den flachen Anbau ganz rechts? Das war die Innenturnhalle. Sportangebote hatte man gute. Es gab sogar ein Außenschwimmbad im Sommer. Ob sie das noch haben?«

»Wir werden es gleich feststellen.«

Katinka schritt forsch auf den Platz zwischen den beiden Gebäuden zu. Partyzelte waren aufgestellt. Etliche Besucher in schicker Kleidung standen dort herum, einige mit Sektgläsern in den Händen. Die Unterhaltungen wirkten verhalten, man befand sich in der Aufwärmphase. Katinka bemerkte zwei Nonnen, die sich um die Gäste kümmerten. Wie Butler in zu weiten Kleidern kreisten sie um die Besucher.

»Anja! Mein Gott, Anja Mähling? Wie ich mich freue!« Eine Schwester löste sich aus der Menge und marschierte auf Anja und Katinka zu.

»Schwester Romana! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«

»Anja, das ist so schön, dich zu sehen. Ich darf doch beim Du bleiben?«

Anja Riedeisen lachte.

»Das ist Schwester Romana, sie war stellvertretende Direktorin, als ich hier meinen Dienst versah. Eine Freundin, Katinka Palfy.«

»Und Anja heißt jetzt Riedeisen.« Katinka streckte der Nonne die Hand hin. »Auch von mir die besten Wünsche zum Geburtstag.«

Die Schwester griff energisch zu und schüttelte Katinkas Hand. Sie war eine von diesen korpulenten, heiteren Frauen, die mit ihrer unermüdlichen Tüchtigkeit nahezu jedes Problem aus der Welt schaffen und jeden Wunsch erfüllen konnten.

»Freut mich, freut mich. Danke bestens. Namen sind Schall und Rauch, aber mein Gedächtnis funktioniert ansonsten wie geschmiert. Bislang lässt es allenfalls bei Telefonnummern nach.« Sie lachte herzlich. »Ihr hattet eine lange Reise, nehme ich an, also stärkt euch erst einmal! Wir haben Prosecco da sowie alkoholfreie Drinks. Schlagt mir nicht über die Stränge, die eigentliche Party steigt erst heute Abend.«

»Wir übernachten«, wandte Anja ein. »Einen Prosecco können wir uns genehmigen, oder?«

»Warum nicht«, nickte Katinka.

Schwester Romana schlug sich an die Stirn. »Seht ihr, wohin Eigenlob führt. Hatte ich doch glatt vergessen, dass ihr auf der Übernachtungsgästeliste steht. Im Ernst: Ich habe die meisten Sachen wirklich im Kopf. Anders als unsere liebe Gertrudis.« Sie senkte die Stimme. »Sie steht an der Schwelle zur Demenz.«

»Ach du Schreck.« Anja sah betroffen drein. »Das hätte ich nie gedacht. Sie war immer so eine kontrollierte Person, hatte das Internat perfekt im Griff.«

Schwester Romana winkte ab. »Sich im Griff zu haben bedeutet nicht, dass man mit dem Leben zurechtkommt. Meine Meinung.«

Eine kurze Pause entstand. Die Schwester streckte sich, um nach Neuankömmlingen Ausschau zu halten.

»Sie haben sich extra keine Geschenke gewünscht«, sagte Anja. »Aber so ganz mit leeren Händen wollte ich nicht kommen. Daher habe ich eine Blumenschale für die Kapelle besorgt. Ist das in Ordnung?«

»Mein liebes Kind, natürlich. Etwas für die Gemeinschaft ist genau das Richtige. Was brauche ich schon? Materielles beschwert nur. Im Alter merkt man das deutlicher als je zuvor.«

»Wer von den früheren Schwestern ist denn heute noch hier?«

»Nur Richhilde, die ehemalige Küchenchefin. Du erinnerst dich sicher an die köstlichen Baumkuchen, die es zu Festtagen gab? Allein ihr Werk. Tja, Schwester Ursula, eine unserer besten Erzieherinnen, ist vor zehn Jahren gestorben. Das Küchenteam ist mittlerweile komplett weltlich. Richhilde hat Arthrose und kann sich kaum bewegen. An Arbeit ist nicht mehr zu denken, wenngleich sie sich an einem Tag wie heute zusammenreißt und versucht, ihren Beitrag zu leisten. Falls sie sonst das Haus verlässt, muss es ein guter Tag sein, sie kommt nur unter Schmerzen die Treppen runter. Heute leitet Schwester Irmtraud unseren Minikonvent, sie stieß vor drei Jahren dazu. Vier Schwestern, hier draußen, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen!« Schwester Romana nahm drei Gläser Prosecco von einem Tisch. Ein Windstoß bauschte ihren Rock auf. »Draußen feiern in der Rhön, das gelingt nicht immer. Der Herrgott meint es gut mit uns. Auf eure gesunde Ankunft in der Vergangenheit!« Sie lachte fröhlich und stieß mit Katinka und Anja an. Die Gläser klirrten.

Katinka sah sich um. Unter den Gästen hatten sich mittlerweile Grüppchen gebildet. Viele schienen mit ihren Familien gekommen zu sein. Kinder flitzten über die Wiesen, zwei unzufriedene Teenager hockten auf einer Bank und daddelten auf ihren Handys. Der Empfang hier oben schien zu wünschen übrig zu lassen, denn beide machten ausgesprochen verdrossene Gesichter.

»Schön hier. Lüftet den Geist«, sagte sie.

»Richtig. Ich mochte es früher nicht so gern, mittlerweile kann ich die Vorzüge schätzen«, lächelte Schwester Romana. »Besser spät als nie. Zum Sommer wird der Konvent aufgelöst.«

»Was?« Entgeistert sah Anja die Schwester an.

»Wir sind alt. Alle Orden leiden an Nachwuchsmangel. Wie sollen wir eine Einrichtung dieser Größe halten? Schon vor 15 Jahren haben wir die Hälfte der Gebäulichkeiten an die zukünftigen Fremdsprachenkorrespondenten vermietet. Die kommen zum Unterricht mit dem Auto. Unsere Schüler werden sich im kommenden Schuljahr andere Unterkünfte suchen müssen. Es sind ohnehin nicht mehr viele. So etwas wie ein Internatsleben gibt es kaum noch. Tja.«

Katinka ließ den Blick schweifen. An einem sonnigen Frühlingstag wirkte alles malerisch, ein wenig aus der Zeit gefallen. Aber im November, in Tristesse und Düsternis? Meins wäre es nicht, dachte sie.

»Ist das Ehepaar Krone noch hier?«, fragte Anja.

»Beide gehen im Sommer in Frührente. Sie haben sich einen Alterssitz in Thüringen verschafft, stell dir vor. Hinter der Grenze!«, gluckste Schwester Romana. »Wer hätte das damals gedacht?«

»Niemand. Ich kann mich erinnern, wie Sie mich eingewiesen haben, als ich meinen Dienst hier begann«, lächelte Anja. »Vorsicht im Wald. Nicht bis zur Grenze gehen. Spätestens an den weiß-blauen Pfosten stehen bleiben. Die Schüler darauf hinweisen.«

Schwester Romana zeigte auf ein Grüppchen. »Da drüben steht Gitta Krone. Ganz die alte, was?«

Neugierig beäugte Katinka eine dünne Frau in Jeans und einem Herrenhemd, die gerade ihr Saftglas abstellte und ein etwa vierjähriges Mädchen zurechtwies, das unter dem Tisch mit den Getränken ein charmantes Versteck zum Spielen gefunden hatte.

»Humorvoll war sie nie«, sinnierte Anja.

 

»Wenn ihr eure Zimmer in Augenschein nehmen wollt: Im Treppenhaus hängt ein Zettel mit euren Namen und der Zimmernummer. Zweiter oder dritter Stock. Kein Lift, leider. Wir alten Nonnen müssen wenigstens bloß in die erste Etage raufklettern. Selbst das schafft die arme Richhilde kaum. Sie ist diejenige von uns, die am längsten hier lebt. Mit Übernahme des Internats durch den Orden kam sie in die Rhön.«

Anja nickte abgelenkt. Eine andere Nonne löste sich aus der Menge.

»Romana?«, rief sie. Ihre Stimme klang heiser. Sie war klein, sehr mager, knochig beinahe. Ihre Füße steckten in Schnürstiefeln, die ihr eindeutig zu groß waren.

»Meine Güte, sie hat wieder die dicken Winterschuhe angezogen«, wisperte Romana. »Das ist es, was das Alter aus den Menschen macht. Früher war sie so eine fähige Chefin. Sie ist 91, wusstest du das, Anja?« Laut rief sie: »Gertrudis, kannst du dich an unsere Anja erinnern?«

Die dünne Nonne blinzelte kurzsichtig. »Anja Mähling.« Sie lächelte breit. »Das freut mich ganz besonders.«

»Mich ebenfalls, Schwester Gertrudis. Schön, Sie wiederzusehen.«

Gertrudis streckte die Hand aus. »Du warst ja eine von denen, die uns besonders ans Herz gewachsen sind!«

Schwester Romana verdrehte die Augen.

»Und Sie? Kenne ich Sie auch?«, wandte Gertrudis sich an Katinka.

Helle blaue Augen strahlten sie an.

»Nein, wir sind uns noch nicht begegnet. Ich bin eine Freundin von Anja.«

»Sie heißt Karina«, sagte Schwester Romana.

»Katinka.«

Romana nahm die andere Nonne bei der Hand. »Ist denn unser Tobias schon hier? Ihn kennt Anja doch noch.«

Katinka musterte Schwester Romana neugierig. Sie wirkte, als habe sie sich seit Wochen auf diesen Tag gefreut und wäre nun bereit, ihn in vollen Zügen auszukosten.

»Tobias Gebsen?«, hörte sie Anja aufgeregt fragen. Von Nervosität war nichts mehr zu spüren.

»Genau der. Ihr entschuldigt uns?«, bat Romana. »Gerade kommt ein Schwung Gäste.«

»Natürlich, kein Thema!« Anja nickte den Nonnen lächelnd zu.

Beide gingen davon, die magere Gertrudis steif wie ein Stock, Romana eilfertig.

Katinka stellte ihr Glas ab.

»Was dagegen, wenn ich mich ein bisschen umsehe?«, flüsterte sie Anja zu.

Ein Schatten glitt über Anjas Gesicht.

»Ich bin in einer Viertelstunde zurück. Möchte einfach die Anlage kennenlernen.«

»Klar. Natürlich«, nickte Anja.

*

4.

Katinka schlenderte über das Gelände. Der Wind ließ die Tischdecken flattern. Jemand brachte ein paar Feldsteine, um sie zu beschweren. Gelächter. Ein Sektglas fiel um. Leute wuselten umher. Mehr Gäste kamen vom Parkplatz herüber.

Eine runde Frau um die 50 mit kurz geschnittenem grauen Haar und einem Korb am Arm trat Katinka in den Weg.

»Grüß Gott!« Ein Namensschildchen an ihrem Pullover wies sie als Schwester Irmtraud aus. »Wir haben Badges für unsere Gäste vorbereitet, damit wir wenigstens voneinander wissen, wie wir heißen.«

»Katinka Palfy.«

Die Schwester wühlte im Korb. »Bitte, für Sie! Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise?«

»Hatten wir. Ich bin eine Freundin von Anja Riedeisen. Sie hat als Freiwillige hier ein soziales Jahr absolviert. Vor 30 Jahren.«

»Ich bin erst seit drei Jahren hier. Die Namen von früher sagen mir leider nicht viel.«

»Darf ich neugierig sein?«, bat Katinka. »Warum tragen Sie keine Ordenstracht?«

»Meine Generation tut das nur noch bei Bedarf.« Sie lächelte. »Ihnen wird dies vielleicht eigenartig vorkommen. Dennoch: Ich bin die jüngste Schwester in diesem Altenheim. Mit 55!«

»Ich habe gehört, es gibt bloß noch vier Schwestern.«

»Stimmt. Wir halten die Fahne hoch!« Sie nickte Katinka zu und ging weiter zu den nächsten Gästen, die gerade vom Parkplatz herüberkamen, ein Paar mit zwei Kindern.

»Herzlich willkommen«, rief Schwester Irmtraud. »Verraten Sie mir Ihre Namen? Wir haben Badges vorbereitet.«

»Martin Süderbeck«, sagte der Mann. »Und Carola. Meine Frau.«

Sieh an, das ist er also, dachte Katinka. Anja Riedeisens erste Liebe.

Martin Süderbeck war groß, schlaksig, sein lockiges braunes Haar lichtete sich bereits, aber der grau melierte Dreitagebart gab ihm ein charmantes Aussehen. Er lächelte Schwester Irmtraud an, als er sein Namensschild in Empfang nahm. Grübchen in den Wangen. Ein jung gebliebenes Gesicht.

»Bitte sehr«, freute sich Schwester Irmtraud. »Und für die Kinder?«

»Linda und Delia. Eigentlich wollten sie gar nicht mit, lieber bei der Oma bleiben, nicht wahr?«, wandte er sich an zwei Mädchen von etwa zehn Jahren, die einander glichen wie das berühmte Ei dem anderen.

»Seid ihr Zwillinge?«, wollte Schwester Irmtraud wissen.

»Klar, sieht man doch«, antwortete die eine cool.

Katinka musste grinsen. Durchsetzungsvermögen und Wurstigkeit gegenüber Autoritäten konnte ein Mädchen nicht früh genug lernen.

Unauffällig behielt sie die Süderbecks im Blick, während sie weiterging. Das Gebäude auf der rechten Hofseite wirkte verlassen. Am Eingang prangte ein Schild: Fremdsprachenkorrespondentenschule. In einem Plastikkasten daneben warteten Flyer auf Interessenten. Katinka drückte die schwere Türklinke. Verschlossen.

»Das Internatsgebäude ist das andere«, erklärte jemand.

Katinka drehte sich um. »Gut, dass Sie es sagen. Ich war noch nie hier.«

Der Mann warf sich in die Brust. »Nein?«

Sie lugte auf sein Namensschild. Manfred Krone. »Und Sie?«

»Ich habe mein halbes Leben in diesem Haus als Pädagoge Dienst getan.«

»Zusammen mit Ihrer Frau, habe ich recht?«

Er starrte Katinka missmutig an. Es war offensichtlich, dass er dieses Detail gerne bühnenreif ausgestaltet hätte.

»Und nun gehen Sie in Frührente. Sehen Sie, so schnell sprechen sich Dinge herum.«

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das kenne ich wirklich zur Genüge. Wir haben es im Albertus-Magnus-Zentrum mit einer Börse zu tun, nichts bleibt unbekannt.«

»Schwester Romana hat es mir erzählt.«

»Romana! Der Name ist Programm. Die Ähnlichkeit mit dem Wort ›Roman‹ fällt ja wohl gleich auf. Also mit einem dicken Schmöker.« Krone hoffte auf eine Reaktion, die ihm belegte, dass sein Witz gut war.

Katinka ging nicht auf ihn ein. »Sie sieht jung aus. Nicht wie 80.«

»Nein, sie hat sich gut gehalten, hat ununterbrochen überall mitgemischt. Wer mit jungen Leuten arbeitet, bleibt im Herzen frisch.«

Du aber nicht, dachte Katinka, während sie den Lodenjanker und den Bauchansatz über der Cordhose ihres Gegenübers musterte.

»Mag sein.«

»Sind Sie auch im Internatsgeschäft tätig?«

»Bloß Begleitperson. Ich bin eine Freundin von Anja Ried­eisen. Früher Mähling.«

Täuschte sie sich, oder wurde Krone tatsächlich eine Spur blasser?

»Wahrhaftig? Anja ist hier? Sie war eine sehr tüchtige Freiwillige. Hat sich schnell reingefunden. Der Winter damals, der dauerte fast ein Dreivierteljahr. Wobei …« Er zögerte. »Kein ganz unproblematisches Jahr.«

»Wegen des Winters?«

»Nein. Pädagogisch gesehen. Ich hoffe, Sie genießen das Wochenende!« Er ließ Katinka stehen.

*

7.7.1987

5.

Mähling fuhr mit Abblendlicht und schaltete es ganz aus, als er kurz nach halb elf auf die Zufahrt zum Albertus-Magnus-Internat einbog. Um diese Jahreszeit leuchtete der Himmel selbst nach zehn Uhr abends noch wie Silber.

Er hielt, drehte am Rückspiegel, kämmte sein Haar zurück, stieg aus. Hätte er den Kopf in den Nacken gelegt, wäre ihm der Himmel vorgekommen wie in Sternenlicht gebadet.

Schwester Romana stand in der Tür, am ganzen Körper Einsatzbereitschaft ausstrahlend.

»Schwester Romana, guten Abend.«

»Gelobt sei der Herr und so weiter. Kommen Sie herein, Herr Mähling. Wenn Sie wegen …«

Er hob die Hand. »Ich würde mich gerne … in Ruhe mit Ihnen unterhalten.«

»Das Haus liegt im Tiefschlaf.« Sie lächelte. »Gehen wir in mein Büro!«

Er folgte ihr in den ersten Stock, wo sie lautlos – die Nonnen schliefen auf diesem Flur – durch die Glastür mit der Aufschrift »Sekretariat« ins Allerheiligste der Büroräume schlüpften.

Romana bewegte sich trotz ihrer Körperfülle schnell und leise. Sie führte Mähling an einem überladenen Schreibtisch vorbei, auf dem eine Schreibmaschine mit ein paar eingespannten Blättern stand, durch eine Schiebetür hindurch.

»Mein Reich!«

Mähling sah sich in dem muffigen kleinen Raum um, in dem außer für einen massiven Schreibtisch mit Drehstuhl und zwei Sesseln kaum noch Platz für einen Aktenschrank war.

»Kann ich Ihnen etwas anbieten? Ein Bier?«

»Ich muss noch fahren.«

»Vielleicht einen Kaffee?«

»Nein, wirklich nicht nötig. Ich brauche Ihren Rat.«

»Immer gern. Bitte, setzen Sie sich.«

Er sank in einen Sessel. Die Spiralfedern spürte er im Hintern. Die Nonnen lebten wirklich am Limit. Für sich selbst zweigten sie von den diversen Geldströmen anscheinend nichts ab. Sie waren, wie man so sagte, nicht käuflich. Auf ihre Art konsequent. Einmal arme Ordensschwester, immer arme Ordensschwester. Er bewunderte und verachtete dieses Verhalten zugleich.

Romana nahm ihm gegenüber Platz.

»Meine Tochter hat sich bei Ihnen für ein freiwilliges soziales Jahr beworben.«

»Das ist mir bekannt, ich habe das Bewerbungsgespräch mit ihr geführt.«

»Also haben Sie sie bereits kennengelernt!«

»Ein liebenswürdiges junges Mädchen, wenn ich das sagen darf.«

»Danke.« Das Lob brachte Mähling aus dem Konzept. Er fühlte sich nun noch nervöser als eben. Es fiel ihm schwer, um etwas zu bitten. Aber er musste es tun. »Ich habe ein Anliegen.«

»Ich höre?«

»Anja, meine Tochter, darf es nicht wissen.«

Schwester Romana verschränkte die Arme. »Sie können auf meine Diskretion vertrauen. Außer mir weiß es niemand. Das wird auch so bleiben.«

»Gut. Schön. Also. Ich verlasse mich auf Sie.«

»Natürlich können Sie das!« Die Nonne sah entrüstet drein.

Mähling spürte die Sprungfedern und wusste, dass er mit Romana rechnen konnte.

»Sie können sich sicher sein, es wird nicht Ihr Schaden sein.«

Sie winkte ab.

Irgendwo in dem alten Haus knackte etwas. Er fuhr zusammen. Verdammt, wenn er sich sogar vor Holz ängstigte, das sich ausdehnte oder zusammenzog …

»Das war der Anlass meines Besuches, Schwester.« Ihm brach der Schweiß aus. Dass Anja sich ausgerechnet hier bei den Nonnen bewerben musste! Ihm blieb wirklich nichts erspart. Mühsam stemmte er sich hoch.

»Ich hätte Ihnen gern etwas angeboten, Herr Mähling.«

»Nicht nötig. Ich muss wirklich zurück.« Wie albern, die weite Fahrt auf sich zu nehmen für ein paar Sätze.

»Sie arbeiten zu viel.« Schwester Romana stand ebenfalls auf. »Von Zeit zu Zeit sollten auch Sie sich etwas schonen.«

»Da haben Sie recht.« Er verachtete Ratschläge wie diese. Die Nonne hatte doch keine Ahnung, wie es war, ein Unternehmen zu führen.

»Ich bringe Sie raus.«

Er folgte ihr durch das stille Gebäude. In Zukunft würde er noch vorsichtiger sein müssen.

*