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Reise in Südamerika. Zweiter Band.

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X.
Letzter Aufenthalt in Valparaiso (Chile)

Auch mein Aufenthalt in Valparaiso bot wenig mehr, was halbweg interessant genannt werden dürfte. Es war die weitere Richtung der Reise bestimmt worden, ich wollte mit dem Dockenhuden nach Tocopilla gehen, dann nach Peru, von dort aus aber um Kap Horn nach Hause. Ich ordnete und verpackte die gesammelten Naturalien, unternahm Streifzüge in die benachbarte Gegend, so z. B. nach Quillota, etwa 24 Stunden von Valparaiso, und in andere kleinere Orte, welche wohl im Stande waren, mir den Charakter des chilenischen Lebens klarer zu entfalten, schärfer einzuprägen, aber kaum verdienen, dem Leser vorgeführt zu werden.

Doch will ich einer Persönlichkeit erwähnen, welche zu jener Zeit in Valparaiso auftauchte. Es war dieß ein Dr. B., ein französischer Schweizer, welcher sich längere Zeit in Nordamerika aufgehalten hatte, und von dort kommend nach Californien zu gehen beabsichtigte. Er gab auf der Durchreise in Valparaiso Gastrollen auf dem Felde des thierischen Magnetismus, und war ein würdiger Vorläufer des edeln Tischrückens, obgleich erst fast drei Jahre später halb Europa sich durch diese nordamerikanischen Schnurren berücken ließ. B. rückte nun zwar keine Tische, aber dafür zog er mit den ausgestreckten Fingern seiner Hand Menschen an sich, ließ dieselben »durch seinen überwiegenden Magnetismus« nach Belieben sprechen, fechten, boxen, tanzen, kurz die verrücktesten Dinge treiben, und dieß alles vor einem Publikum von 500 bis 600 Menschen, von welchen jeder, ein Hauptpunkt, einen Peso Entrée zahlen mußte. Seine Mitspieler, etwa sechs oder sieben an der Zahl, waren meist ebenfalls Nordamerikaner, oder doch wenigstens Leute, die sich längere Zeit dort aufgehalten hatten. Die ganze Erscheinung hatte indessen etwas harmloses an sich, und ich glaube nicht, daß von allen Zuschauern nur zehn halbweg an die Wahrheit der Komödie geglaubt haben. Man besuchte eben die sogenannte Vorlesung des Doctors, wie man einen Taschenspieler besucht, oder einer anderen unschuldigen Abendunterhaltung beiwohnt: man lachte und scherzte. Dieß scheint der Geist zu sein, welcher überhaupt in der neuen Welt herrscht. In Europa hingegen und namentlich in Deutschland belacht man anfänglich wohl auch ähnliche Possen, und hilft zum Scherze Andere zu täuschen. Bald aber kommt der deutsche Ernst in's Spiel, man fängt an, selbst gläubig zu werden und blamirt sich nicht selten auf das Gründlichste.

Vielleicht bleibt das Wesen des wirklichen thierischen Magnetismus für immer in Dunkel gehüllt. Der Weg aber zur wissenschaftlichen Erforschung seiner räthselhaften Erscheinungen wird durch Kinder und Damen schwerlich gefunden, durch Charlantanerie aber und Selbstbetrug sicher versperrt.

Nun ich scheide von Chile, das mir werth geworden in der kurzen Dauer eines etwa siebenmonatlichen Aufenthaltes, nehme ich auch Abschied von den dort wohnenden deutschen Landsleuten, und wiederhole, daß ich die herzliche Aufnahme, die ich bei ihnen gefunden, dankbar und freudig bewahre, und daß sie mir eine der schönsten Erinnerungen geblieben ist an meine Reise.

Meteorologische Notizen über Chile

Temperatur der Luft. In den südlichen Provinzen von Chile darf die Temperatur als eine niedrige angesehen werden, wenn man die Breitegrade in Erwägung zieht. Gegen Norden zu, z. B. in Copiapo und Coquimbo bei Dürre und anhaltendem Regenmangel ist eine ziemlich bedeutende Hitze. Ich habe zwar eine Reihe von Beobachtungen angestellt, allein da sie an verschiedenen Orten und Tageszeiten vorgenommen wurden, so haben sie nur wenigen Werth, und nur bei einigen konnten Mittel gezogen werden.

So fand ich für Valparaiso


Auf den Höhen bei den Windmühlen wurde gefunden vom 29. September bis 6. October + 10.3° R.

Für Santjago vom 20. bis 30. October + 13.8° R.

Für diese kleinen Reihen war die Beobachtungszeit des Morgens um 9, des Mittags um 12 und des Abends 10 Uhr.

Von Herrn Professor Domeyko habe ich aber Beobachtungen mitgetheilt erhalten, welche während der Jahre 1847-1848 und einem Theil des Jahres 1849 angestellt worden, und jedenfalls werthvoll sind, da Domeyko ein genauer und gewissenhafter Arbeiter ist. Der Ort der Beobachtung war Santjago. Die Stunden wurden des Morgens zwischen 9 und 10, des Nachmittags zwischen 3½ und 4½ Uhr bemerkt, und es wurde noch außerdem der höchste und niedrigste Stand während des Tages und der Nacht mittelst eines Thermometrographen abgelesen und mit berechnet. Die Scala war die hunderttheilige.

Es ergaben sich folgende Mittel:



Die mittlere Temperatur für das Jahr 1848 ergiebt mithin: + 16.9 °C.

Die Beobachtungen für das Jahr 1849 ergaben:



Was den Unterschied in der Temperatur zwischen Tag und Nacht betrifft, so habe ich in Valparaiso die Nächte warm gefunden, und auch in Valdivia keine sehr bedeutenden Unterschiede bemerkt zwischen der Temperatur des Tages und der Nacht. In Santjago aber finden ziemlich bedeutende Differenzen statt, wozu ohne Zweifel die Nähe der Cordillera das ihrige beiträgt. Dies geht ebenfalls zum Theil aus den Beobachtungen von Domeyko hervor, und ich will einige derselben, angestellt im Jahre 1849, anführen:



Schon aber habe ich erwähnt, welche bedeutende Unterschiede auf der Cordillera selbst stattfanden.

Die Temperatur der Quellen giebt in Chile wenigen Aufschluß über die mittlere Bodenwärme, da dieselbe zum größten Theil von äußeren Einflüssen bedingt ist. Die Quellen von Apoquindo habe ich schon oben erwähnt und ihre Temperatur angegeben.

Die Unterschiede, welche sich bei den Gebirgswassern auf der Cordillera selbst ergeben, zeigen am deutlichsten, wie sehr äußere Einflüsse einwirken, und man kann annehmen, daß alle Flüsse Chile's an der Stelle ihres ersten Ursprungs die Temperatur des frisch geschmolzenen Schnees haben, da sie von den Schneefeldern der Cordillera herabkommen und durch das allmälige Aufthauen desselben entstanden sind.

Ueber den atmosphärischen Druck habe ich eben so wenig eine zusammenhängende Reihe von Beobachtungen anstellen können, als über die Temperatur. Doch haben die wenigen Beobachtungen, welche ich machte, gezeigt, daß die regelmäßigen periodischen Schwankungen dort täglich stattfinden, und daß sich regelmäßig des Morgens um 9 und Abends um 10 die höheren Stände, und des Morgens und Abends um 4 Uhr die niedersten beobachten lassen. Ganz dasselbe Resultat hat auch Domeyko durch eine große Reihe von Beobachtungen erhalten, und nur ausnahmsweise hat einigemal das Gegentheil stattgefunden.

Auch hier will ich in Betreff der mittleren monatlichen Stände des Barometers Beobachtungen von Domeyko anführen, da solche natürlich mehr Werth haben, als die wenigen, die ich anstellen konnte.

Als mittleren monatlichen Stand für Santjago fand dieser Gelehrte



Als Mittel für 1847 ergab sich 716.51 M. M., für 1848: 716.44 M. M. Als höchster Stand für beide Jahre wurde gefunden 723.9 M. M., als niedrigster 708.5 M. M.

Windrichtung. Ich habe nur wenige Notizen in dieser Beziehung erhalten können, was Santjago und überhaupt den inneren Theil des Landes betrifft.

In Betreff der Winde und der Luftströmungen in der Cordillera habe ich bereits oben gesagt, daß sie als vollkommen lokal angenommen werden müssen. Es ist wahrscheinlich, daß auch in Santjago solche Luftströmungen auftreten, bedingt durch die ganze Masse des benachbarten Gebirges, und natürlich dort in größerem Maßstabe.

Die regelmäßigen Winde, welche an der Küste herrschen, haben ohne Zweifel einen ähnlichen Grund und werden hervorgerufen durch wechselweise Abkühlung des Landes und der See. In Valparaiso, so wie von einem großen Theile der ganzen Westküste beginnt meist der Wind des Morgens zwischen 9 oder 10 Uhr von Südwest oder Süd-Südwest zu wehen. Er dreht sich des Nachmittags gegen 3 bis 4 Uhr und kömmt dann von Nordwest oder Nordost. Meistens fand ich, daß diese letzteren Winde heftiger sind als die von Süd kommenden, welche des Morgens auftreten und man kann bisweilen, besonders auf den Höhen von Valparaiso nur mit Mühe in entgegengesetzter Richtung fortschreiten. Gegen den Abend legt sich der Wind, und fast immer sind die Nächte still und heiter. Nord und Nordost so wie Westwinde bringen in den Wintermonaten, Mai, Juni, Juli und August meist Regen, dies scheint wenigstens in Santjago der Fall zu sein.

Wolken und Regen sind während des Sommers im Flachlande von Chile eine Seltenheit, d. h. für den mittleren Theil von Chile. Gegen Norden wird Regen überhaupt immer seltener, während es gegen Süden so z. B. in Valdivia, auch des Sommers regnet. Ausnahmsweise und als eine Seltenheit zu betrachten, kömmt aber auch in Valparaiso bisweilen im Sommer Regen vor. So fiel während meiner Anwesenheit daselbst am 4. December des Abends 6½ bis 9 Uhr ein heftiger Regen.

Uebrigens findet eben daselbst auch im Sommer des Morgens Nebelbildung statt, welche aber bald verschwindet und einem heiteren wolkenfreien, tiefblauen Himmel Platz macht.

Ich habe in Valparaiso vom 18. bis 31. August 1849 7 heitere, 4 bewölkte und 3 Regentage verzeichnet. Im September 18 heitere Tage, 9 mehr oder weniger bewölkte und drei Regentage.

Beobachtungen von Santjago vom Jahre 1849 ergeben Folgendes: März 24 heitere Tage und 7 bewölkte, aber kein Regen.

 

Mai 15 heitere Tage, 10 bewölkte, 6 Regentage; während aller Regentage, mit Ausnahme eines einzigen, Nordwind.

Juni 14 heitere Tage, 7 bewölkte, 7 Regentage und diese mit stetem Nordwind.

In Valparaiso und auf der Cordillera habe ich täglich Thau getroffen, auf dem Flachlande fällt wohl auch Thau, aber wie es scheint, nicht täglich.

Gewitter finden im Flachlande und an der Küste nie statt, und es giebt in Chile Menschen genug, welche nie donnern hörten, das heißt oberirdisch, wenn man so sagen darf. Desto häufiger aber hört man dort das dumpfe Rollen unterirdischen Donners. Auf der Cordillera und in den Vorbergen derselben hingegen treten Gewitter auf, und ich selbst habe dort im November eines beobachtet.

Es geht aus diesen Notizen hervor, daß der Trockenheitszustand der Luft in Chile, namentlich während des Sommers, ein ziemlich hoher sein muß, und dieser Trockenheit so wie den regelmäßigen Winden mag vielleicht zum großen Theile zugerechnet werden können, daß dort im Verhältniß zu anderen Ländern so wenige Krankheiten herrschen und Chile als eines der gesündesten Länder betrachtet werden darf.

Alle jene verderblichen Seuchen der alten und neuen Welt: Pest, Cholera, gelbes Fieber, sind in Chile unbekannt; eben so kommen keine Wechselfieber vor, und der Typhus, diese continuirliche Geißel so vieler größeren Städte des alten Festlandes, fehlt ebenfalls. Doch versteht sich wohl von selbst, daß nicht alle Krankheiten fehlen; so tritt Phthisis und Tuberkulose auf, Icterus und Gallenkrankheiten überhaupt werden getroffen, und Entzündungen im Allgemeinen. Auch jene Krankheitsform, deren Genius eigentlich längst von der Erde verschwunden und welche nur durch Leichtsinn und Unvorsichtigkeit künstlich forterhalten wird, die Syphilis, wird dort getroffen, wie allenthalben auf der Erde. Aber auch ihr Verlauf ist gutartig und die primären Formen heilen häufig von selbst. –

Jedes Individuum vielleicht hat seinen moralischen Hemmschuh, sei es nun eine Idee, welche störend ihm entgegentritt, wenn er sich auf höheren Standpunkt emporzuschwingen versucht, sei es irgend eine Persönlichkeit, welche wie Blei an seinen Sohlen hängt und höheren Aufschwung verhindert. Diese wohlthätige Einrichtung ist von der gütigen Vorsehung ohne Zweifel deswegen getroffen worden, damit der Mensch nicht allzu glücklich und endlich auch allzu übermüthig werde.

Auch ganze Landstriche und Völkerschaften sind auf solche Weise, gleichsam durch Compensation, gegen allzu großes Glück und hieraus entspringenden Uebermuth geschützt. Hier tritt das gelbe Fieber oder die Cholera schützend auf, dort reichliche Steuern und höchst umsichtige Polizei, in einem dritten Lande sorgen wohlthätige Sümpfe, in einem vierten periodisch wiederkehrende größere Aufstände und Revolutionen dafür, allzugroßes Glück zu modificiren. Chile hat Nichts von allem dem. Dafür aber hat es die Erdbeben. Ich weiß nicht, ob irgend ein Land existirt, in welchem so häufige Erdstöße vorkommen als eben dort. Viele Erschütterungen sind so leise, daß sie nur von denen empfunden werden, welche im Lande geboren sind, oder doch wenigstens längere Zeit sich dort aufgehalten haben, und solche Erschütterungen sind vielleicht häufiger als man im Allgemeinen meint; denn man spricht kaum von ihnen und zudem werden sie nicht an allen Orten gleich stark gefühlt, so daß in ein und derselben Stadt selbst Kundige einen Erdstoß gar nicht fühlen, während in einer andern Straße die Menschen aus den Häusern rennen mit dem gewöhnlichen Rufe »il tiembla!«

Stärkere Erdstöße, welche in größeren Bezirken allgemein gefühlt werden, bei welchen Flaschen, Gläser, Teller und andere Gegenstände auf den Tischen wackeln, wohl auch herabgleiten, und bei welchen vielleicht auch irgend eine bereits schadhafte Mauer vollends einstürzt, können im Durchschnitte etwa alle 14 Tage bis 3 Wochen erwartet werden. Ich finde in meinem Tagebuche während meines Aufenthalts in Valparaiso leichtere Erdstöße, welche aber allgemein gefühlt wurden, und Schrecken erregten, folgende verzeichnet.



Dieser letzte Erdstoß hielt sicher 5 bis 6 Sekunden an und war von unterirdischem Donner begleitet. Der bedeutendste Erdstoß aber, welchen ich in Valparaiso empfand, war am 20. Januar 1850 des Abends 8 Uhr. Bei heftigem unterirdischem Donner fand zugleich eine so heftige schüttelnde Bewegung statt, daß in einigen Häusern die Lichter von den Tischen fielen, und ebenso Gläser und andere Gegenstände. Auch die im Hafen liegenden Schiffe empfanden den Stoß bedeutend und der Obersteuermann des Dockenhuden glaubte, das Ankertau sei gesprengt. In Copiapo soll dieser Erdstoß Schaden gethan haben; man geht indessen leicht über solche Unfälle hinweg, sind sie einmal vorüber, trotz des Schreckens der sich der ganzen Bevölkerung bemächtigt, sobald nur ein leises Beben der Erde gefühlt wird.

Aber dieser Schrecken ist sehr natürlich und leicht zu verzeihen, wenn man bedenkt, daß Niemand wissen kann, ob diesem leichten Erdstoße nicht im andern Augenblicke ein heftiger folgt und vielleicht schon in einigen Minuten die Stadt in Trümmern liegt und die halbe Bevölkerung erschlagen unter denselben. So läuft bei der leisesten Erschütterung Alles unter dem Rufe: »il tiembla!« aus den Häusern und bleibt auf der Mitte der Straße stehen, um wenigstens für den ersten Augenblick vor dem Erschlagen durch das etwa einstürzende Haus gesichert zu sein. Alle Arbeiten, alle Geschäfte werden im Momente unterbrochen. Zarte, zärtliche, aber auch höchst unzarte, wenn gleich nothwendige Dinge, sind suspendirt mit dem Rufe »il tiembla« oder wohl auch »Santa Maria purimissima!« den vorzugsweise das schöne Geschlecht gebraucht. Natürlich nimmt man auf das Kostüm keine Rücksicht, und so finden sich sonderbare Gruppen auf den Straßen, wenn etwa des Nachts eine Erschütterung sich kund giebt. Denn auch zur Nachtzeit und selbst im Schlafe liegend, fühlt man leicht, ja besser als bei Tage, eine unbedeutende Erschütterung der Erde, da eine solche auf den Liegenden stärker reagirt, als auf den, welcher steht oder sich fortbewegt, ohne Zweifel weil eine größere Oberfläche des Körpers direkt mit der Erde in Berührung ist.

Es ist übrigens eine eigenthümliche Empfindung um einen solchen Erdstoß. Man ist gewohnt, die alte Mutter Erde wenigstens fest und zuverlässig unter sich zu wissen, mag auch im Leben uns schon mancherlei perfid gewankt und gewichen sein, auf welches wir ebenfalls Häuser bauen zu können vermeinten. Da bewegt sich plötzlich convulsivisch der Boden unter uns, und der dumpf zu unseren Füßen grollende Donner giebt Zeugschaft von gewaltigen Kräften, welche vielleicht schon im andern Augenblicke zerstörend, ja vernichtend auftreten. Das Unheimliche der Erscheinung wird durch den gleichzeitigen Angstruf der ganzen Bevölkerung vermehrt, und durch das Heulen der sämmtlichen Hunde. Dieß dauert einige Sekunden. Dann lautlose Stille. Folgt ein zweiter Stoß? Wird ein wirkliches Erdbeben mit allen seinen Schrecken, allen seinen Verwüstungen eintreten? Aber schon nach einigen Minuten ist scheinbar Alles vergessen und Jeder geht wieder an das unterbrochene Geschäft oder schickt sich an, das gestörte Vergnügen fortzusetzen. Es war nur ein Temblor, kein Terremoto, nur ein leichtes Erzittern der Erde, kein Beben derselben.

Die Ursache aller Erderschütterungen in Chile vom leisen, kaum fühlbaren Erzittern der Erde bis zu Wochen, ja Monate lang anhaltenden heftigen, Alles zerstörenden, wirklichen Erdbeben, ist unschwer zu errathen. Das ganze Land ruht auf einem ungeheuern vulkanischen Herde und die gegenwärtigen Erschütterungen sind Nachklänge jener gewaltigen Katastrophe, während welcher Chile und wohl der größere Theil der Westküste emporgehoben wurde.

Die Vulkane der Andeskette sind als die Feueressen zu betrachten, durch welche jene unterirdischen Feuer mit der Atmosphäre in Verbindung stehen. Fast ununterbrochen sind sie in Thätigkeit und geben Zeugniß von den Reactionen, welche in der Tiefe vorgehen müssen.

Es sind in Chile zwei Erfahrungen in Betreff der Erdbeben gemacht worden, wodurch man beiläufig im Stande ist zu vermuthen, ob in der nächsten Zeit ein Erdstoß von einiger Intensität erfolgen wird. Dieß ist einmal das längere Aussetzen irgend einer Erschütterung überhaupt, und zweitens eine gewisse Ruhe der Vulkane. Obgleich bei größeren Erdbeben das Volk leicht geneigt ist, ein göttliches Strafgericht in demselben zu erblicken, glaubt man doch allgemein, daß längere Ruhe einen heftigeren Sturm verkündet.

Man kann annehmen, daß durch irgend einen Vorgang jene Kanäle verstopft worden sind, welche aus dem Innern der Erde zu den Vulkanen führen, so daß deren Thätigkeit gegen außen auf einige Zeit gehemmt wird, während in der Tiefe indessen die colossale Wechselwirkung chemischer Kräfte keineswegs stille steht, sondern Massen von Gasen anhäuft, welche nicht mehr entweichen können, da ihre Abzugskanäle gesperrt sind. Ein gewaltsamer Ausbruch an irgend einer Stelle, und eine mehr oder weniger heftige Erschütterung der Erdkruste, welche jenem unterirdischen Feuer zur Decke dient, ist die natürliche Folge.

Es ist eine in Chile lange Jahre hindurch bestätigte Erfahrung, daß durch keinerlei andere Vorläufer ein Erdbeben angezeigt wird. Kein meteorologisches Phänomen, keine Schwankungen des Barometers zeigen sie an. Unmöglich kann ich hier auf Ursache und Wesen der Erdbeben näher eingehen, aber ich will als Beweis des eben Gesagten die Beobachtung anführen, welche Herr Louis Troncoso in der Serena von Coquimbo in den ersten Monaten des Jahrs 1849 angestellt hat. Domeyko hatte in den Jahren 1838 bis 1842 den mittleren Barometerstand (reducirt auf 0°) für dort auf 759.35 festgestellt.

Troncoso beobachtete nun während der Erdstöße folgende, ebenfalls auf 0° reducirte Barometerstände:



Alle Erdstöße treffen also hier mit einem mittleren Barometerstande zusammen, oder vielleicht sogar, wenn man will, mit einem der die mittlere Höhe ein wenig übersteigt.

Ich gestehe, daß ich egoistisch genug war, für die Dauer meines Aufenthalts in Chile mir einen etwas deutlich ausgesprochenen Erdstoß zu wünschen. Da aber bloß ein einziges Haus einfiel, während der Erschütterung vom 14. November, so kann ich nicht sagen, daß mein Wunsch erhört worden und ich vermag nicht als Augenzeuge die Vorgänge zu schildern, welche bei einem größern Erdbeben stattfinden.

Aber ich will einige Beobachtungen anführen, welche Dr. Miguel in Chile während des berüchtigten Erdbebens vom Jahre 1822 angestellt hat. Sie sind, wie ich glaube, in Europa noch wenig in ihrem Detail bekannt, und vorzugsweise deßwegen merkwürdig, weil jenes Erdbeben so heftige Einwirkung auf den Gesundheitszustand der gesammten Bevölkerung ausübte.

Es war, sagt Dr. Miguel, eine heitere, liebliche November-Nacht. Die Atmosphäre war klar und hell, und der herrliche Himmel von Santjago erschien in seiner ganzen imponirenden Pracht. Der Mond stand in der Mitte seines ersten Viertels, aber die Sterne leuchteten so hell und glänzend, daß man alles deutlich erkennen konnte. Das Barometer stand 28'' 2¾''', und das Thermometer 70 Fahrenheit und zugleich war vollständige Windstille.

Da zeigte sich plötzlich um 10 Uhr und 37 Minuten, ohne daß irgend ein Geräusch oder ein anderes Zeichen vorangegangen wäre, ein heftiges Schütteln der Erde, mit einer starken, wellenförmigen Bewegung derselben von Ost nach West, und die Stöße waren so heftig und gewaltsam, daß man nur mit Mühe festen Fuß behalten konnte. Die größte Stärke der Erscheinung dauerte zwei Minuten und 30 Sekunden, während welcher Zeit die Erde keinen Augenblick ruhig war, aber das eigentliche Erdbeben dauerte fast an zwei Monate und es erfolgten während dieser Zeit 20 sehr starke Erschütterungen und 150 nicht so heftige.

Man kann sich denken, welcher Schreck, welche Verwüstung entstand, zudem da an andern Orten die Erscheinung mit noch größerer Intensität auftrat, so z. B. in Valparaiso, in Casablanca, Illapel und la Ligua, welche sämmtlich fast gänzlich zerstört wurden, und wo über zweihundert Menschen ihr Leben verloren.

Bald nach den ersten Stößen wurde die Luft trübe und dunstig, was etwa 16 Stunden anhielt, und 6 Stunden lang fiel ein heftiger und starker Regen; zugleich spaltete sich an vielen Orten der Boden und es ergoß sich aus den Rissen dunkelgefärbtes und übelriechendes Wasser; an andern Orten drang aus den Spalten auch Feuer hervor. Am 20. November des Morgens um 3 Uhr fuhr von der Cordillera aus eine große, hell-leuchtende Feuerkugel15 über das Land hinweg auf die See zu; diese Erscheinung wurde allgemein beobachtet, da Niemand sich unter Dach zu bleiben getraute, und Alles auf freiem Felde verweilte. Während des Erdbebens wurde an mehreren Orten ein sehr bedeutendes Fallen des Barometers beobachtet, zugleich zeigte die Magnetnadel die heftigsten Schwankungen und drehte sich ohne stille zu stehen, mehrmals um ihre eigene Axe, sobald sehr heftige Stöße erfolgten. Höchst interessant ist ferner, daß während der zwei Monate, so lange das Erdbeben dauerte, die Nadel eine ganz außergewöhnliche Zunahme der Inclination zeigte, und es wurde dieß nicht nur in Santjago, sondern auch im Hafen von Valparaiso von mehreren Kapitänen bemerkt.

 

In den warmen Bädern von Cauquenes und Colina setzten mehrere Quellen aus, veränderten seit jener Zeit ihre Temperatur beträchtlich, und einige derselben blieben auch gänzlich aus; an andern Orten aber kamen plötzlich neue Quellen zum Vorschein. Während aber allenthalben der Boden Risse und Spalten bekam und überhaupt im Lande alles in Aufruhr und die Natur in der lebhaftesten Action begriffen war, zeigten die Vulkane, welche man von der Stadt aus beobachten konnte, nur eine geringe Thätigkeit und vor dem Erdbeben waren sie ganz ruhig.

Dies sind die vorzüglichsten Erscheinungen, unter welchen das Erdbeben auftrat, aber die interessantesten Mittheilungen macht Dr. Miguel, der zu jener Zeit Hospitalarzt in Santjago war, über den Einfluß, welchen die ganze Masse jener furchtbaren Ereignisse auf die ganze Bevölkerung, und auf den Gesundheitszustand derselben hervorrief.

Fast zu allen Zeiten hat man die Erfahrung gemacht, daß ähnliche Phänomene und Ereignisse, welche ein ganzes Volk in heftigen Schreck oder Entmuthigung versetzten, theils eigenthümliche Seuchen hervorriefen, theils den Charakter schon bestehender Krankheiten höchst bedrohlich verschlimmert haben, und die sogleich folgenden Angaben von Miguel bestätigen jene Wahrnehmung vollkommen.

Dyssenterie, welche vor jener Zeit gutartig und selbst wenig verbreitet war, nahm einen bösartigen Charakter an und wurde epidemisch. Das Aneurisma wurde zur wahren Geißel von Santjago. Während der 48 Stunden, in welchen die heftigsten Erdstöße folgten, zeigten sich in medicinischer und chirurgischer Hinsicht die eigenthümlichsten Modificationen. Es zeigten sich heftige Fieber mit Schüttelfrösten und darauf folgenden Delirien. In verschiedenen chirurgischen Fällen, wo blos leichte Geschwüre vorhanden waren, traten plötzlich rothlaufartige Flecken auf, welche sich rasch über den ganzen Körper verbreiteten und gewöhnlich ging dieses Rothlauf in Gangrän über und es erfolgte der Tod.

Derselbe Fall fand statt, wenn nur irgend eine geringfügige Operation gemacht wurde. Es erfolgten rothlaufartige Erscheinungen, Gangrän und meist der Tod.

Vorzüglich waren es die Wöchnerinnen, welche diesem Uebel unterworfen waren, und in ganz kurzer Zeit starben allein 67 Frauen, welche alle den höheren Ständen angehörten. Die Neugeborenen folgten ihnen, indem sich die Krankheit, von der Nabelschnur ausgehend, rasch über den ganzen Körper verbreitete. Kinder, welchen man kleine Löcher zum Tragen der Ohrringe gestochen hatte, starben häufig und rasch unter ähnlichen Erscheinungen, kurz es zog die unbedeutendste Verwundung, welche sonst in einigen Tagen vollkommen heil gewesen wäre, zu jener Zeit rasch den Tod nach sich. Ein ganz interessanter Fall ist aber noch folgender. Die eigentliche Hundswuth war vor dieser Zeit in Chile unbekannt. Es trifft sich wohl, daß hie und da ein Hund oder ein anderes Thier von einer ähnlichen Krankheit befallen wird. Man nennt in Chile das Thier alsdann »närrisch,« es läuft wie toll umher und beißt ohne Unterschied Thiere und Menschen. Aber diese Bißwunden zeigen nicht die eigenthümlichen Erscheinungen der Hundswuth und die Gebissenen genesen vollständig und ohne Folgen in kurzer Zeit. Zur Zeit des Erdbebens indessen wurde ein Franzose in Santjago von einem Schweine in den Finger gebissen. Die erwähnten rothlaufartigen Erscheinungen traten nach 24 Stunden ein, nach drei Tagen bereits war Gangrän eingetreten, und der Kranke starb unter allen Zeichen der vollständig ausgebildeten Hundswuth.

Sobald das Erdbeben aufgehört hatte, verschwanden schnell alle Krankheiten, welche während desselben aufgetreten waren und die, welche schon vorher bestanden hatten, verloren vollständig ihren bösartigen Charakter.

Daß alle diese furchtbaren Erscheinungen, zu welchen sich noch Nervenleiden aller Art gesellten, eine Folge des Erdbebens gewesen, unterliegt wohl keinem Zweifel; ob sie indessen durch einen eigenthümlichen Zustand der Atmosphäre während jener Zeit hervorgerufen worden sind, oder ob sie, wenn man so sagen darf, durch die moralische Einwirkung der Angst und des Schreckens auf das Gemüth entstanden sind, kann hier nicht untersucht oder näher erörtert werden.

Aber ich habe diese Schilderung mitgetheilt, um zu zeigen, wie allgemein und bis zu welchem hohen Grade das Unglück des ganzen Landes gesteigert werden kann beim Eintritt einer solchen Katastrophe, und da jeden Augenblick sich solches ereignen kann, mag die Furcht, welche sich auch bei einem leichten Erdstoße äußert, wohl entschuldigt werden. –

Ich will noch kurz einer Erscheinung erwähnen, welche einigermaßen verwandt mit dem Erdbeben ist, ich meine das Leuchten der Vulkane.

Man hat, so viel mir bekannt ist, dieses Phänomen blos bei den Vulkanen eines Theils der Andeskette wahrgenommen, und es ist noch nicht erklärt, warum es nicht auch bei anderen Feuerbergen getroffen wird16. Ich habe dieses Leuchten in Valparaiso und Santjago und selbst auch von See aus gesehen. Später beobachtete ich es auch in Bolivien. Es läßt sich ganz gut mit dem sogenannten Wetterleuchten vergleichen, und es ist leicht möglich, daß ein flüchtiger Beobachter beide Erscheinungen verwechselt. Indessen finden zwei Kennzeichen statt, welche bei näherer Beachtung beide Phänomene gut unterscheiden lassen. Das Leuchten der Vulkane, so gut wie das Wetterleuchten, ist eine sekundenlange Erleuchtung des Horizontes, mehr oder weniger intensiv und stets auf eine, nicht sehr bedeutend große Stelle des Himmels beschränkt. Fast immer aber findet das Wetterleuchten am Rande des Horizontes statt, so daß dasselbe scheinbar hinter dem Walde, Berge, oder dem Gegenstande, welcher eben die Grenze des Horizontes bildet, herzukommen scheint, oder wenigstens hinter den Wolken, welche vielleicht oberhalb jener Berge am Himmel aufgestiegen sind. Könnte man die Erscheinung fixiren, so würde sie mehr oder weniger einen Halbkreis bilden. Das Leuchten der Vulkane aber an Intensität und Zeitdauer einem schwachen Wetterleuchten ähnlich, tritt abgegrenzt am Horizonte auf, als eine Lichterscheinung, welche sich der kreisrunden Form nähert, ähnlich dem Wiederscheine einer nicht sehr entfernten Feuersbrunst. Dies ist wenigstens der Fall, wenn man einen einigermaßen entfernten Standpunkt vom Orte des Entstehens hat, so etwa von Valparaiso aus gegen die Andes-Kette zu; dicht am Gebirge selbst hingegen wird es ähnlich dem Wetterleuchten gesehen, und scheinbar hinter den Bergen ansteigend.

Der andere Unterschied ist die Stelle des Himmels, der Ort, wo das momentane Aufblitzen stattfindet. Das Wetterleuchten, ohne Zweifel entfernter Blitz oder wenigstens eine sehr verwandte ähnliche Erscheinung, findet nach allen Richtungen des Horizontes hin statt, bald hier, bald dort, und eben in der Himmelsgegend, in welcher der elektrische Proceß auftritt. Aber das Leuchten der Vulkane ist stets auf eine bestimmte Stelle des Himmels beschränkt, und wird, in so vielen Nächten man es auch beobachtet, stets an ein und derselben Stelle gesehen, wenn der Beobachter seinen Standpunkt nicht verändert.

Befestigt man ein Rohr, etwa von Pappe, an irgend einen Gegenstand und richtet dasselbe auf den Mittelpunkt der Lichterscheinung, so kann man alle folgenden Nächte, in welchen sie überhaupt auftritt, auch genau dieselbe wieder durch das Rohr beobachten.

Es geht also das Licht stets von ein und derselben Stelle aus.

Aus dem bisher Gesagten geht hervor, wie sich die Erscheinung dem Auge darstellt. Sie ist ein momentaner Lichtblitz, der sich oberhalb des Kraters eines Vulkanes am Himmel zeigt. Durch Meyen, welcher in der Nähe beobachten konnte, ist dies hergestellt, und durch die allgemeine Stimme in Chile bestätigt, indem man dort davon als von einer ausgemachten Sache spricht. Meyen hat während des Aufleuchtens einen feurigen Klumpen aus dem Vulkane emporschleudern und wieder in denselben zurückstürzen sehen, zu anderen Zeiten hörte er ein dumpfes Geräusch, welches er mit entferntem Donner vergleicht.

15Wahrscheinlich eine glühende Lava-Masse, von einem der Vulkane mit großer Heftigkeit ausgeschleudert.
16Es ist mir blos eine Erscheinung bekannt, welche Breislak in seinem Lehrbuche der Geologie anführt, und nach welcher Gimbernat im Jahre 1820 im Februar eine hellleuchtende, dem Nordlichte ähnliche Erscheinung des Vesuvs beobachtete.