Fantasy

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Kapitel 8:

Martins Vater verlangt einen Vaterschaftstest

Mein Papa hat die Trennung von meiner Mutter nie verkraftet. Er wollte sie nicht. Ich habe später oft darüber nachgedacht, weshalb diese Jugendliebe scheitern musste. Für mich steht eindeutig fest, dass die Erwartungen auf beiden Seiten zu hoch waren. Keiner konnte dem anderen geben, was er all die Zeit über vermisst hatte und sich nun so sehr wünschte. Meine Mutter wusste, dass sie ihre Schwiegermutter hätte aus der Wohnung werfen müssen, aber das wollte sie natürlich nicht. Mein Vater wiederum zeigte sich überhaupt nicht einsichtig, und als sie ihm die Meinung geigte, fing die Trennungsschlacht an.

Vater sah plötzlich alles nur noch negativ und überzog seine Noch-Frau mit einer juristischen Klage nach der anderen. Jeder Mist wurde vor Gericht verhandelt. Er quälte und schikanierte meine Mutter, wo er nur konnte. Sogar die Tatsache, dass meine Mutter bei unserer Ausreise aus Polen seinen alten braunen Filzhut vergessen hatte, war ihm einen Gerichtsprozess wert. Er führte an, es habe sich immerhin um ein recht wertvolles Erbstück gehandelt. Meine Mutter musste also in den Zeugenstand, wir Kinder saßen weiter hinten auf den Besucherplätzen im Saal und verfolgten staunend den Streit zwischen unseren Eltern. Dem Richter sagte sie keck: „Entschuldigen Sie mal bitte, Herr Richter. Sie wollen mich bestrafen, weil ich diesen alten Hut vergessen habe, mit dem die Kinder in Polen Räuber und Gendarm spielten? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?!“ Die Klage wurde abgewiesen. Meine Mutter kochte trotzdem vor Wut.

Sie hat uns aber nie verboten, Kontakt zu unserem Vater zu haben. Das rechne ich ihr bis heute hoch an. Und sie hat auch vor uns Kindern niemals böse oder abfällig über ihn geredet. Wir bekamen zwar mit, wie sauer sie auf ihn war. Trotzdem wussten wir, dass im Ernstfall, wenn wir sie brauchten, beide Eltern für uns da sein würden. Das war ein beruhigendes Gefühl.

Mein Vater war in jungen Jahren Musiker. Gitarrist und Sänger in einer kleinen Dorf-Band in Polen. Deshalb wünschte ich mir, als ich 13 Jahre alt war, auch eine Gitarre zu Weihnachten. Mein Stiefvater Franz hat sie mir schließlich gekauft. Natürlich der Franz, wer sonst?

Als ich meinen Vater im Januar darauf besuchte, nahm ich die Gitarre mit. Ich war so stolz! Tatsächlich schlug er vor, mir drei Akkorde beizubringen. Die sollte ich üben, damit ich einfache Lieder spielen könnte. Das hat mich fasziniert. Ab da übten wir jedes Mal auf der Gitarre, wenn ich bei ihm war. Wir saßen nebeneinander, spielten und waren glücklich. Zumindest dachte ich das.

Eines Tages waren wir bei Freunden von Papa zum Grillen eingeladen. Als wir spät abends nach Hause kamen, ging ich gleich ins Bett. Mein Vater setzte sich zu mir auf die Kante. Er war leicht angetrunken und sagte zu mir: „Martin. Bitte denk daran, ich liebe deinen Bruder und dich mehr als mein Leben. Ganz egal, was auch passiert.“ Ich gab ihm noch einen Kuss und schlief sofort ein. Gedanken darüber, was er mit diesem mysteriösen Satz gemeint haben könnte, machte ich mir erst Tage später.

Was soll ich sagen – von meinem Vater habe ich ab diesem Tag nichts mehr gehört. Es vergingen Tage, Wochen, Monate ohne ein Lebenszeichen. Wir wunderten uns zwar darüber, aber wir trauten uns auch nicht, ihn anzurufen, da es sonst immer er gewesen war, der sich bei uns gemeldet hatte.

Ich vermisste meinen Vater unendlich. Aber mein kindliches Urvertrauen sagte mir, dass es für ihn sicher einen triftigen Grund gebe, weshalb er sich zurückgezogen hatte.

Fast vier Jahre später wussten wir endlich, was dahintersteckte. Meine Eltern waren immer noch nicht geschieden, und der Trennungskrieg tobte nach wie vor. Eines Tages lag dann ein Schreiben im Briefkasten, das eindeutig nichts Gutes verhieß. Als wir es gelesen hatten, stand jeder von uns unter Schock. Es war eine Vorladung für meinen Bruder und mich zum Zwecke eines Vaterschaftstests. Das hat uns natürlich die Beine weggezogen. Meine Mutter wechselte zwischen Sprachlosigkeit und hysterischem Geschrei. Sie sagte: „Euer Vater und ich stammen aus demselben kleinen Dorf. Wir kennen uns seit der Schulzeit. Ich war 16, er war der erste Mann, mit dem ich intim war. Und jetzt unterstellt er mir, seine beiden Kinder seien nicht von ihm?“ Sie war fix und fertig. Mein Bruder und ich aber auch.

Es half aber alles nichts. Uns beiden wurde Blut abgenommen. Einige Tage später stand das Ergebnis fest: „Anton Hein ist zu 99,999 Prozent der Vater von Martin Hein und Damian Hein.“ Nun hatte er es Schwarz auf Weiß.

An der Situation änderte sich aber trotzdem nichts mehr. Mein Vater wollte keinen Kontakt mehr zu seinen Söhnen haben. Und die nächsten 15 Jahre sollte das auch so bleiben.

Immerhin war dies die letzte Demütigung, die er meiner Mutter mitgab. Nach fast sechs Jahren Kampf wurden sie dann wenig später endlich offiziell geschieden.

In dieser heißen Phase der familiären Auseinandersetzung war ich natürlich wahnsinnig traurig über sein Verhalten. Erst viel später lernte ich auch ein wenig darüber zu schmunzeln. Die drei Akkorde, die mir mein Vater in seinem Wohnzimmer auf der Gitarre beigebracht hatte, waren nicht etwa C, F und G. Sondern A, D und E. Schreibt man sie ohne Komma nebeneinander, ergibt das: Ade.

Franz hat mich aufgefangen. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich meinen leiblichen Vater gar nicht so extrem vermisst habe. Das waren höchstens Momente, in denen ich unter seiner Abwesenheit litt. Heute weiß ich, dass ich ihn einfach aus meinem Herzen und meinen Gedanken verdrängt habe. Aus Selbstschutz. Sonst wäre ich wahrscheinlich in irgendeiner Psychotherapie gelandet. Wer weiß, was dann aus mir geworden wäre.

So kalt es vielleicht klingen mag, es fehlte mir an nichts. Im Gegenteil. Dank der beiden Gehälter von Franz und meiner Mutter konnten wir uns Schritt für Schritt ein besseres, angenehmeres Leben leisten. Franz hat als Bergmann gutes Geld verdient, und wir konnten schließlich in eine größere Wohnung mit drei Zimmern umziehen. Trotzdem musste ich mir mit meinem Bruder das Kinderzimmer teilen. Mit 14, 15, als dann die Kumpels öfter zu Besuch kamen oder auch die ersten Mädchen, hat er mich natürlich oft gestört. Aber alles in allem haben wir uns gut verstanden. Und nach einer klaren Ansage von mir verstand Damian schließlich auch, dass er nicht mal im Traum daran denken solle, mich und meine Kumpels abends begleiten zu wollen …

Kapitel 9:

Die Schule ist für Fredi ein notwendiges Übel

Meine Schulzeit könnte man in einem Satz zusammenfassen: Sie war bescheiden. Und ich habe letztlich auch nur so lange durchgehalten (und die Hauptschule nach der siebten Klasse dann doch ohne Abschluss verlassen), weil ich meine Mama sonst wahrscheinlich endgültig in den Wahnsinn getrieben hätte. Unser Verhältnis war wegen meiner Gesangsleidenschaft eh schon angespannt genug. Und ich wollte es nicht auf die Spitze treiben. Als ich eingeschult wurde, hatte ich zuerst richtig Lust darauf, Neues zu lernen. Doch als ich dann in der zweiten Klasse war, ist mein Vater gestorben. Als Siebenjähriger kann man damit sowieso nur ganz schwer umgehen, und durch den Schock über den plötzlichen Verlust hatte ich auf einmal die Lust an der Schule verloren. Und zwar komplett. Ich hatte Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Ich litt unter einem regelrechten Trauma. Ich glaube sogar, das ist auch heute noch teilweise da. Jedes Mal, wenn ich über meinen Vater rede, bin ich nach wie vor total erschüttert und fange an zu weinen. Als Kind oder als Teenager hatte ich niemals Gelegenheit, meine Trauer in Worte zu fassen. Meine Mutter, meine Onkel und Tanten redeten so gut wie nie vor uns Kindern über meinen Vater. Geschweige denn fragte mal einer, wie es mir denn gehe oder ob ich Hilfe bräuchte.

Dies hatte zur Folge, dass ich in der Schule plötzlich komplett versagte und eine ganz große Lernschwäche bekam. Meine Lehrerin fand ich von Anfang an doof. Ich erinnere mich, dass sie meine Mutter oft in die Schule bat, um sich dann über mich zu beschweren. Ich war sehr traurig, dass meine Mama nicht in der Lage war, dieser Frau vernünftig zu erklären, wo mein Verhalten herrührte, nämlich vom frühen Tod meines Vaters, und dass ich eine schwere Zeit durchmachte. Meine Lehrerin hat sich aber auch nicht darum bemüht, mögliche Gründe zu finden. Sie hatte überhaupt kein Interesse an mir, auch nicht an meinen Mitschülern. Sie spulte ihren Unterrichtsstoff ab, alles streng nach Lehrplan. Für zwischenmenschliche Töne fehlten ihr schier jegliche Emotionen. Dabei war sie noch gar nicht so alt, höchstens Anfang 40.

In der dritten Klasse ging es dann wieder ein bisschen aufwärts mit mir. Allerdings war ich in der zweiten Klasse sitzengeblieben und musste eine Ehrenrunde drehen, wie es so schön heißt. In der dritten (meine Kumpels waren ja bereits in der vierten) konnte ich dann auch plötzlich lesen, was mir vorher nie gelingen wollte. Eines Morgens saß ich im Deutschunterricht, blickte vor zur Tafel und sagte mir: „Mensch, Fredi, es kann doch nicht sein, dass du nicht lesen kannst.“ Und irgendwann in dieser Stunde habe ich mich dann so konzentriert auf jedes einzelne Wort und habe mir die Buchstaben so zusammensortiert, dass ich ganz sicher war zu wissen, was dort an der Tafel stand.

Ich streckte den Arm in die Höhe. Als ich aufgerufen wurde, las ich den Satz vor. Meine Lehrerin war völlig überrascht, dass ich mich freiwillig zum Vorlesen gemeldet hatte. Und ich war natürlich auch erschrocken über mich selbst, dass es geklappt hatte. An jenem Tag fing ich an zu lesen. Heute lese ich sehr, sehr gut. Erstaunlicherweise. Ich glaube, besser als mancher andere. Wenn wir Radio-Interviews geben und ich im Studio bin, frage ich die Redakteure oft, ob ich im Studio die Stau-Nachrichten oder anderes vorlesen dürfe. Ich habe da richtig Spaß dran. Zu Beginn bemerke ich jedes Mal eine Blockade, aber mit jedem Wort werde ich freier und mutiger. Mir wurde übrigens schon oft gesagt, dass ich die perfekte Radiostimme hätte und dass ich auch gut als Radiosprecher oder Moderator arbeiten könne.

 

Nach der Grundschule folgte die Hauptschule. An meinem ersten Tag in der fünften Klasse fühlte ich mich gut. In der Pause gingen alle Kinder raus in den Hof. Ich war schon immer ein bisschen anders als andere Jungs in meinem Alter, sehr feminin und sensibel. Ich weiß nicht, woran das gelegen hat. Ich war auch sehr zierlich, dünn und blass. Sodass die anderen Jungen mich gar nicht wahrgenommen haben. Dafür hatte ich einen Schlag bei den Mädchen in meiner Klasse. Sie mochten mich. Als irgendwann durchsickerte, dass ich Sänger werden wolle, war ich für die Jungs natürlich ein gefundenes Fressen: „Na, Fredi. Du willst also Sänger werden? Hahaha … du kleiner Spinner.“

Ich war entsetzt über diese Gemeinheiten. Das ging lange so. Viele Jahre lang wurde ich in der Schule belächelt und ausgelacht. Das hat mich aber eigentlich immer bestärkt. Ich dachte mir: Lacht ihr ruhig. Irgendwann werdet ihr schon sehen, dass ich ein erfolgreicher Sänger geworden bin. Es ist wirklich wahr, mich haben die Hänseleien meiner Klassenkameraden total stark gemacht beim Verfolgen meines Plans: Ich wollte Sänger werden, und ich war mir ganz sicher, dass sich dieser Riesentraum eines Tages für mich erfüllen würde.

Ich tat deshalb fast nichts anderes mehr, widmete mich der Musik und traf mich kaum noch draußen mit Gleichaltrigen. Ich war so gut wie immer zu Hause, hörte Platten, sang und übte Texte ein. Ich wusste, ich würde es schaffen. Dass ich allerdings einmal so berühmt und erfolgreich werden würde, wie es heute der Fall ist, hätte ich natürlich nicht gedacht.

Jede Mark meines Taschengeldes investierte ich in neue Schallplatten. Manchmal bekam ich auch von meiner Tante Eva ein bisschen Geld zugesteckt oder von Ivan, dem damaligen Freund meiner Mutter. Er wusste, sobald ich drei Mark zusammengespart hatte (so viel kostete damals eine Single), würde ich in den nächsten Musikladen gehen und mich dort stundenlang herumtreiben auf der Suche nach einem neuen Fund. Somit war garantiert, dass er und meine Mutter zu Hause sturmfreie Bude hatten und ich ihnen nicht auf die Nerven fallen würde. Wir hatten also beide etwas von Ivans vermeintlicher Großzügigkeit. Mir sollte es recht sein. An besonders spendablen Tagen gab er mir sogar zehn Mark. Davon konnte ich mir drei Singles oder eine Platte kaufen. Yeah!

Die Lästereien in der Schule hörten erst auf, als mich meine Klassenkameraden singen hörten. Es war im Rahmen eines Schulfestes, und ich wurde von meinem Musiklehrer gebeten, in der Aula aufzutreten. Er fand es toll, dass ich sang, und versuchte mich, so gut es ging, zu unterstützen. Ich willigte ein, aber unter der Bedingung, dass ich nicht mit meiner eigenen Stimme singen müsste, sondern nur quasi Playback den Song imitieren würde. Ich wählte dazu „Only For Love“ vom britischen Sänger Limahl aus; er hatte seinen Durchbruch 1983 als Sänger der Band Kajagoogoo geschafft und startete kurz darauf seine Solo-Karriere. „Only for you“ wurde zum Hit, und weltweit bekannt wurde er dann 1984 mit dem Song „The Never Ending Story“, den er gemeinsam mit Giorgio Moroder für den Kinofilm Die unendliche Geschichte geschrieben hatte. Ich fand Limahls blondierte Vokuhila-Igelfrisur genial und wählte bewusst eines seiner Lieder für die Premiere in meiner Schule.

Diesen Moment werde ich nie vergessen. Ich war 13, meine Mutter hatte mir extra neue Sachen zum Anziehen gekauft. Die Schuhe waren nicht schön, keine Markenschuhe, aber sie sahen so ungemein poppig aus. Und siehe da, meine Mitschüler waren begeistert von meinem Auftritt, und die ganze Schule hat mich richtig gefeiert! Na also, geht doch, Jungs.

In der siebten Klasse fing ich dann richtig zu rebellieren an. Ich war schon immer auf liebenswürdige Weise frech gewesen und versuchte nie, meine Lehrerin zu beleidigen, alles sollte Spaß bleiben und Spaß machen. Doch nun fing ich plötzlich an, ein Störenfried zu werden. Ich wollte cool sein, denn ich war in der siebten Klasse schon wieder sitzengeblieben (meine zweite Ehrenrunde) und musste nun also in einer neuen Klasse das Schuljahr wiederholen.

Eine meiner neuen Klassenkameradinnen hieß Nicole, eine andere Simone. Die Mädels waren extrem gut drauf und unglaublich lustig. Sie haben immer Unsinn gemacht. Immer. Und sie haben auch schon geraucht und heimlich Alkohol getrunken. Durch Simone und Nicole fing ich an, in der Pause auch mal eine zu rauchen, weil ich dachte, mit der Kippe im Mund würde ich erwachsen und cool wirken. War ich aber nicht. Auf jeden Fall haben die beiden immer Mist gemacht, und sie haben mich irgendwie damit angesteckt.

Simone, die später an Krebs erkrankte und leider nicht mehr lebt, hat im Englischunterricht gern unseren Lehrer verarscht. Das war so lustig. Wenn sie aufgerufen wurde, hat sie mit einem ganz schlimmen Akzent gesagt: „I don’t understand sis länkwitsch …“ Die ganze Klasse lag natürlich vor Lachen auf dem Boden. Das imponierte mir. Ich wollte ebenso lustig sein und erreichen, dass auch wegen mir alle lachen mussten. Also fing ich an, auf lustig zu machen, und spielte fortan den Pausenclown. Das ist mir auch immer ganz gut gelungen. Meistens habe ich es geschafft, dass die Lehrer dermaßen von mir genervt waren, dass ich nach 20 Minuten aus dem Unterricht geworfen wurde und bis zur Pause auf dem Flur draußen warten musste.

Beispielsweise habe ich einmal meine Englischlehrerin ausgelacht, weil sie wirklich ein fürchterliches Englisch redete. Im Englischunterricht hieß ich „Henry“. Wir durften uns alle englische Namen aussuchen. Bei ihr hieß es dann: „Henry, pliiies go to se boart and rite a word.“ Sie hatte einen ganz grässlichen Akzent. Ich saß vor ihr und hatte meiner Meinung nach eine gute englische Aussprache, alleine schon deshalb, weil ich immer englische Lieder nachgesungen habe. Ich wusste auf jeden Fall, dass das total falsch war, was sie da sagte, vor allem auch, wie es klang. Ich stand also auf und sagte zu ihr: „Ich will Ihnen mal was sagen. Ich möchte Ihr Englisch gar nicht lernen. Ich verstehe nicht, wie Sie Englischlehrerin werden konnten, wo Sie doch ein so grässliches Englisch sprechen. Wenn ich hier Englisch lernen müsste, würde ich mich im wahren Leben niemals trauen, auch nur ein Wort zu sprechen.“

Die Klasse hielt geschlossen die Luft an. Raten Sie mal, wie es weiterging. Richtig. Ich konnte den Englischunterricht verlassen – und zwar für immer. Die Lehrerin hatte sich beim Direktor über mich beschwert. Was nun? Englisch machte mir keinen Spaß, Kunst auch nicht. Sogar der Musikunterricht langweilte mich.

Wir hatten eine Musiklehrerin, die ganz schlimm war. Wenn einer von uns ihren Unterricht störte, hat sie jedes Mal mit ihrem Fuß auf den Boden gestampft und geschrien: „Ruhe jetzt!“ Die ganze Klasse hat gelacht, weil wir das so lustig fanden. Eigentlich haben wir in jeder Musikstunde nur darauf gewartet, bis sie das machte. Alle lagen dann vor Lachen auf dem Boden. Sie besaß überhaupt keinen Geschmack und ließ uns lauter grässliche Lieder singen. „Die Forelle“ von Franz Schubert, 1816 komponiert und somit völlig am Musikgeschmack junger Leuten vorbei. Oder „Ännchen von Tharau“, auch so ein alter Schinken aus dem 17. Jahrhundert. Als die gute Dame zufällig mitbekam, dass ich sang, meinte sie, ich solle mal eine Kassette von mir in den Musikunterricht mitbringen.

Ich hatte tatsächlich schon ein Demo von mir aufgenommen: „Schachmatt“ von Roland Kaiser. Zu Beginn der nächsten Stunde habe ich ihr dann meine Kassette in die Hand gedrückt. Sie grinste mich fies an und sagte: „Dann wollen wir uns dieses Werk doch gleich mal gemeinsam anhören.“ Ich wusste ja, dass sie mich nicht leiden konnte, und rechnete damit, dass sie mich total zerpflücken würde. Ich wusste aber gleichzeitig auch, dass ich das Lied richtig gut gesungen hatte.

Es kam, wie es kommen musste. Die frustrierte Frau hat mich vor der kompletten Klasse lächerlich gemacht und als Idioten hingestellt: „Weißt du denn überhaupt, was der Text bedeutet, ‚schachmatt‘, und worum es da überhaupt geht? Oder singst du da nur irgendwas? Das ist ja ein Schlager. Das ist ja auch kein tolles Lied. Warum hast du dir denn kein klassisches Stück ausgesucht?“

Ich war kurz davor zu platzen und zeigte ihr das auch mit meiner deutlichen Antwort: „Also, erstens weiß ich, was der Text bedeutet. Sonst würde ich dieses Lied ja nicht singen. Ich bin der deutschen Sprache durchaus mächtig. Und zweitens sind Sie es, die keine Ahnung von Musik hat. Wenn Sie gern Klassik hören, dann ist das für Ihre Generation. Ich bin jung und höre wahnsinnig gern Schlager und Popmusik – wie wohl jeder in meinem Alter.“ Und da ich von vornherein darauf vorbereitet war, dass sie mich niedermachen würde, habe ich mich nicht beirren lassen in meiner Meinung. Ab diesem Tag war auch der Musikunterricht für mich gestorben. Ich würde eh keine gute Note bekommen, egal, wie gut ich wäre. Die Lehrerin verabscheute mich, genau wie meine Englischlehrerin und überhaupt fast jeder meiner Lehrer. Ich hatte fast nur schlechte Noten im Zeugnis stehen.

Ich musste die siebte Klasse dann noch ein zweites Mal wiederholen; insgesamt war ich also bereits zum dritten Mal sitzengeblieben. Wahrlich nichts, auf das ich stolz wäre. Damals redete ich mir ein, dass meine schlechten Noten lediglich der Tatsache geschuldet seien, dass mich keiner der Lehrer mochte, weil ich zu lustig war. Zumindest aber ist es mir gelungen, die Klasse ein wenig aufzulockern. Kein Wunder also, dass ich noch mal sitzengeblieben war …

Ich bin ja der Meinung, kein dummer Mensch zu sein, weder damals noch heute. Ich kann mich korrekt artikulieren, gut unterhalten und habe ein recht großes Allgemeinwissen. Irgendwann würde ich beispielsweise gern mal in der RTL-Show Wer wird Millionär von Günther Jauch mitmachen. Diese Sendung liebe ich; ich kann auch die meisten Fragen spontan richtig beantworten. Weshalb ich dann aber drei Mal sitzengeblieben bin? Ganz einfach: Ich war unterfordert im Unterricht. Mir war es immer total langweilig. Ich hatte immer das Gefühl, ich wisse schon alles. Okay, es gab Ausnahmen. Rechnen konnte ich nicht so gut, muss ich ehrlich sagen. Physik hat mich nicht interessiert. Geschichte hat mich als Fach auch nicht so sehr gefesselt. Und Erdkunde schon mal gar nicht. Ich dachte mir: „Fredi, das, was du brauchst, kannst du schon: Du kannst gut auf Deutsch schreiben, du kannst gut auf Deutsch lesen, du kannst sehr gut Englisch, und du kannst Kroatisch – und du kannst Musik machen und bist eigentlich kein Dummer. Was willst du dann noch in der Schule?“

Möglicherweise hätte ich auf die Realschule gehört. Ich besaß aber nicht die Eltern, die dahinterstanden und mich gefördert hätten. Mein Vater war tot. Meine Mutter hatte viel zu tun. Ich hatte eigentlich keinen, der sich um mich kümmerte, mit Ausnahme meiner Cousine und meines Cousins: Ivanka und Walter. Sie waren die Kinder meiner Tante Anica und meines Onkels Johann; er war der zweite Bruder meines Vaters. Ich mochte sie und war als Kind oft bei ihnen zu Besuch. Meistens sonntags. Sie hatten nämlich so ein tolles Familienleben. Jeden Sonntag pünktlich um 12 Uhr gab es Mittagessen, und ich liebte diese festen Rituale, die ich von zu Hause nicht gewohnt war. Ich durfte mitessen und fühlte mich aufgenommen, und um 3 Uhr ging’s dann zur kroatischen Messe in die Kirche. Der Sonntag bei Onkel Johann und Tante Anica war für mich immer ein geregelter Tag, und ich freute mich schon während der ganzen Woche darauf, weil sie sich um mich sorgten, Fragen stellten und mir das Gefühl gaben, ernstgenommen zu werden.

Mein Cousin Walter und meine Cousine Ivanka haben mir viel beigebracht. Die waren so ganz anders als mein Bruder und ich. Sie waren schon viel reifer. Gut, sie waren bereits ein paar Jahre älter und hatten es in ihren Berufen schon zu etwas gebracht. In dieser Familie lernte ich beispielsweise, vernünftig mit Messer und Gabel zu essen, dass man sich sonntags zusammen hinsetzt und zu Mittag isst, dass eine Familie auch mal gemeinsam etwas bespricht und bequatscht. Sie haben sich auch oft nach der Schule mit mir hingesetzt und Hausaufgaben gemacht oder für die nächste Klassenarbeit gelernt. Sie haben mir beigebracht, zwischendurch mal ein Buch zu lesen, eines, das gerade aktuell war und auf das man Lust hatte. Und dass man auch mal andere Filme guckt als Action-Kracher, Filme, die bilden, dass man auch eine gewisse Kultur besitzen muss. Ihnen habe ich wirklich viel zu verdanken.

 

Da ich ja nun schon wieder sitzengeblieben war, bekam ich also bald die dritte neue Klassenlehrerin, sie hieß Frau Daube, und ich mochte sie sehr. Sie war die erste Lehrerin, die sich wirklich um mich kümmerte. Sie machte sich Sorgen wegen mir, hat sich mit mir hingesetzt, um mich ins Gebet zu nehmen, und manchmal hat sie vor lauter Verzweiflung, weil ich einfach nicht hören wollte, sogar geweint. Das fand ich sehr traurig. Sie hat nämlich um mich geweint, weil sie mich sehr mochte. Und ich weinte in dem Moment dann auch, weil ich das Gefühl hatte, in der Schule wirklich mal vom Lehrer angenommen und geliebt zu werden.

Ich hätte alles für sie getan. Aus tiefstem Herzen versprach ich ihr: „Frau Daube, ich strenge mich ab sofort an im Unterricht! Ich möchte nicht, dass Sie wegen mir weinen müssen. Ich mag Sie doch so sehr. Sie sind so lieb zu mir.“ Der Vorsatz, mich endlich zu bessern, war bei mir auch wirklich da – aber ich habe es nicht durchgehalten. Leider. Meine Musik war mir einfach wichtiger als die Schule.

Ich stand oft bis spät in der Nacht auf der Bühne und kam morgens dann natürlich nicht aus dem Bett. Erst schwänzte ich einen Tag, dann einen zweiten, und nach dem dritten Fehltag dachte ich mir, jetzt sei es wohl auch schon egal und außerdem ganz schön peinlich, wenn ich da ohne schriftliche Entschuldigung wieder hingehen müsste. Nach fünf Tagen musste ich mir allerdings definitiv etwas einfallen lassen.

Als ich in der folgenden Woche im Unterricht auftauchte, sagte Frau Daube: „Das geht so nicht weiter! Du kannst doch nicht immer schwänzen.“ In der Pause hat sie mich dann wieder zur Seite genommen und meinte: „Mensch, Fredi, du bist so ein intelligenter Junge. Aus dir könnte so viel werden.“ Sie sprach immer so ein klein bisschen nuschelnd wie die Schauspielerin Inge Meysel. Es tat mir weh, sie so leiden zu sehen, deshalb war ich traurig. Aber so richtig gebessert habe ich mich dann doch nicht. Ein wahres Wunder, dass ich tatsächlich sieben Klassen lang – okay, es waren zehn Schuljahre, da ich ja drei Mal sitzengeblieben bin – durchgehalten habe.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?