Seewölfe Paket 6

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4.

Die spanische Karavelle staffelte immer weiter auf die Galeone zu, und beide bildeten schließlich eine wehrhafte Einheit, die Hasard auf keinen Fall unterschätzen durfte. Er kniff die Augen zusammen und zählte ihre Stückpforten.

Zehn auf der Karavelle, das bedeutete, sie hatte zwanzig Geschütze an Bord. Die Steuerbordseite der Galeone wies zwölf Stückpforten auf, folglich verfügte sie über zwei Dutzend Kanonen. Vierundvierzig Geschütze!

Hasard beobachtete, wie die beiden Spanier strikten Nordkurs hielten, als hätten sie den Gegner achteraus noch gar nicht bemerkt.

„Verflixt“, murmelte er. „Die haben doch keine Scheuklappen auf. Was soll denn das Theater? Wir haben mehr Fahrt drauf als sie, bald laufen wir auf gleicher Höhe. Wollen die uns dann immer noch ignorieren?“

„Ich weiß nicht, Sir“, antwortete Ben. Was sollte er auch sonst sagen?

Hasard spähte angestrengt in die Nacht. Ferris, Shane, der alte O’Flynn und Smoky hatten sich dicht hinter sie gestellt.

O’Flynn war es dann, der plötzlich einen zischenden Laut ausstieß und nach oben wies.

Sein Sohn hatte sich weit über die Umrandung des Großmarses gelehnt und gab ein Zeichen. Hasard sah es ganz deutlich, als er den Kopf wandte.

Drei Finger streckte Dan aus – drei Schiffe also.

Hasard sah wieder nach Backbord. Wenig später hatte auch er das dritte Schiff entdeckt.

„Noch eine Karavelle“, sagte er. „Da hätten wir also das Trio beisammen. Und die dritte Karavelle führt auch zwanzig Geschütze. Vierundsechzig Kanonen also. Dagegen stehen unsere sechzehn Culverinen und die zweimal zwölf Fünfundzwanzig-Pfünder des schwarzen Schiffes.“

„Nicht zu vergessen unsere vier Drehbassen“, sagte Ferris Tucker.

„Und die Brandsätze der Roten Korsarin“, fügte Shane hinzu.

„Hm“, brummte der Seewolf. „Es kommt auch darauf an, wie weit die Burschen feuern können. Ich schätze, sie hören jetzt mit der sturen Dahinsegelei auf. Der Verbandsführer hat anscheinend nur auf seine dritte Karavelle gewartet. Jetzt macht er Nägel mit Köpfen.“

Es bewahrheitete sich.

Die Spanier nahmen Segelfläche weg, verlangsamten ihre Fahrt noch mehr und lagen plötzlich auf gleicher Höhe mit der „Isabella“ und dem schwarzen Schiff.

Hasard hob die Hand und winkte Carberry zu. Der Profos stand breitbeinig mitten auf der Kuhl, er hielt die Beine abgewinkelt und balancierte gekonnt die Schiffsbewegungen aus.

„Al“, knurrte er. „Los geht’s. Setz diesen Oberstinkstiefeln einen Schuß vor den Bug.“

Al stand mit entfachter Lunte hinter dem Bodenstück der vordersten Backbord-Culverine bereit. Er senkte das glimmende Ende auf den Zündkanal, sprang dann zur Seite und wartete in geduckter Haltung ab. Sein Gesicht war verkniffen, sein Mund geöffnet, die zusammengebissenen Zähne schimmerten im Dunkeln.

Die Culverine brüllte auf und spuckte ihren Gluthauch auf die See aus. Er raste zur Galeone hinüber, drückte das Siebzehnpfünder-Geschoß vor sich her, und gleichzeitig ruckte auf der „Isabella“ das schwere Geschütz auf seinen Hartholzrädern zurück. Das Brooktau fing den Rückstoß auf. Al blickte zu Matt Davies. Sie stürmten vor und brachten die Kanone wieder in Ladestellung.

In derselben Sekunde rauschte dicht vor dem Bug der spanischen Galeone eine Wasserfontäne hoch. Im Klartext hieß das: Verschwindet, oder es gibt Ärger!

Carberry stieß einen glucksenden Laut aus, denn der Seewolf hatte schon wieder die Hand gehoben.

„Blacky, Gary, Sam“, sagte der Profos.

Und die drei, die ihre Culverinen auch längst in Zielrichtung justiert hatten, zündeten ebenfalls. Einen Augenblick später hatte sich die Glut durch das trockene Zündkraut gefressen, Feuer und Rauch stoben aus den Läufen und sandten die unheilvolle Ladung zum Gegner.

Zwischen dem Heck der Galeone. und der Karavelle, die ganz dicht hinter ihr hersegelte, standen plötzlich drei Wassersäulen. Sie waren von schäumenden Kränzen gekrönt, fielen aber sofort wieder in sich zusammen. Wer ganz genau hinhörte, konnte den vielstimmigen Wutschrei vernehmen, der sich drüben aus den Kehlen der Spanier löste.

„Das soll uns erst mal einer nachmachen“, sagte Carberry voll Stolz.

Die Dreifach-Salve war eine ebenso klare Botschaft wie Al Conroys Schuß. Letzte Warnung vor dem Sturm, bedeutete sie.

„Heiß Flagge“, befahl der Seewolf.

Bill, der Schiffsjunge, stand auf dem Achterdeck bereit und hißte den White Ensign im Besantopp. Die große weiße Flagge mit dem roten Georgskreuz knatterte im Wind, und jetzt zeigte auch Siri-Tong im Großtopp des schwarzen Schiffes die Drachenflagge. Die Spanier konnten diese Zeichen auch in der Dunkelheit mit aller Deutlichkeit erkennen. Drastischer ging es nicht, sie wußten genau, woran sie waren.

„Ich bin für klare Verhältnisse“, sagte Hasard. „Sie brauchen jetzt nicht mehr zu signalisieren, wir sollen uns zu erkennen geben.“

Das taten die Spanier auch nicht. Weiße Qualmwolken pufften von ihren jetzt offenen Stückpforten hoch, der Kanonenböller wälzte sich grollend auf die „Isabella“ zu. Die Galeone und die erste Karavelle feuerten auf die Seewölfe, die zweite Karavelle auf Siri-Tong und ihre Piraten.

Hasard ging hinter dem Schanzkleid in Deckung, blickte zu Ben Brighton und rief: „Diese Idioten vergeuden gleich zu Anfang volle Breitseiten!“

Ein wahres Höllenkonzert orgelte auf sie zu. Carberry hatte sich hinter die Kuhlgräting sinken lassen und fluchte in rauhestem, breitestem Cornwall-Englisch. Dabei brachte er auch noch das Kunststück fertig, sich den zeternden Sir John in die Tasche zu stopfen.

„Du willst dir wohl ein Ding in den Achtersteven einfangen, du Kanaille, was, wie?“ brüllte er.

Sie lagen alle platt auf dem Bauch oder hinter Deckungen verkrümmt und schützten die Köpfe mit den Händen, als die Breitseiten heran waren.

Eine Wasserwand richtete sich neben der Backbordseite auf, es knallte, splitterte und krachte, und ein Ruck lief durch das Schiff. Etwas heulte im Tiefflug über die Kuhl, passierte die Gräting, verfehlte den Profos um knapp zwei Handspannen und verlor sich in Feuerlee.

Carberry tobte. „Gesengte Säue“ und „Hurensöhne“ waren noch zwei von den mildesten Ausdrücken, die er den Spaniern entgegenbrüllte. Er sprang auf, sah die Crew in Schwaden von Pulverrauch ebenfalls wieder auf die Beine kommen und schrie: „Feuer!“

„Feuer!“ tönte es auch von Bord des schwarzen Schiffes herüber.

Thorfin Njal, der hünenhafte Wikinger, dirigierte den Einsatz der Männer auf der Kuhl. Es dröhnte, als hätten unsichtbare Riesen mit den Fäusten auf die Planken des Schiffes gehämmert. Der Rumpf erzitterte bis in die Verbände, Feuer und Rauch deckten die Backbordseite zu – die Fünfundzwanzigpfünder hatten gesprochen.

Zur selben Zeit röhrten auch die restlichen vier Culverinen an Backbord der „Isabella“ auf. Al, Matt, Blacky, Gary, Sam und ein paar Helfer luden derweil in aller Eile die vier vorderen Geschütze nach. Der Kutscher schoß wie ein Derwisch hin und her. Er streute Sand aus, damit die Männer einen festen Stand auf den Planken hatten und Feuer rasch gelöscht werden konnte. Außerdem erneuerte er das Wasser in den Holzkübeln, die zum Befeuchten der Wischer bereitstanden.

Hasard beobachtete vom Achterdeck aus. Die „Isabella“ hatte ein paar Einschläge im Schanzkleid zu verzeichnen, aber niemand war durch wirbelnde Trümmer oder Splitter ernsthaft verletzt worden.

Ferris Tucker war in den Schiffsbauch hinuntergestiegen, um nach Lecks unter der Wasserlinie zu forschen.

„Shane!“ rief Hasard dem graubärtigen Riesen zu. „Hinauf mit dir in den Großmars. Und sag auch Batuti Bescheid. Die Dons staffeln näher heran, um mehr Treffer landen zu können. Wir wollen ihnen einen gebührenden Empfang bereiten.“

„Aye, Sir!“ rief Big Old Shane. Er turnte den Steuerbordniedergang hinunter, lief über die Kuhl und brüllte dem Gambia-Neger zu: „Batuti, heb deinen Hintern in die Wanten, wir wollen ein Zielschießen veranstalten!“

Hasard trat selbst an die eine Drehbasse des Achterdecks und drehte sie so weit herum, daß er die Galeone vor der Mündung hatte. Hinter ihm stand Old O’Flynn an dem zweiten Hinterlader.

„Donegal!“ rief Hasard ihm zu. „Schieß mich nicht über den Haufen! Warte gefälligst ab, ja?“

„Darauf kannst du Gift nehmen“, knurrte der Alte. „Wer bin ich denn? Ein blutiger Anfänger etwa? Euch jungen Sprintern lauf ich doch noch mit meinem Holzbein davon.“

Ferris kehrte von unten zurück und meldete: „Keine Lecks in den unteren Schiffsräumen. In der einen Achterdeckskammer haben wir ein Loch, aber da pfeift nur ein bißchen der Wind durch.“

„Dann bete, daß es dabei bleibt“, sagte Hasard.

„Feuer!“ schrie Carberry. Die vier achteren Culverinen wummerten los.

Und dann schoß auch das schwarze Schiff wieder auf die Karavellen, die nach wie vor hinter der Galeone hersegelten. Kurz darauf feuerten die, Seewölfe mit den vorderen vier Siebzehnpfündern der Backbordseite – und Siri-Tong setzte zum ersten Mal einen der Brandsätze ein. Fauchend verließ das Geschoß die Luke im Vorkastell, stach durch die Nacht und raste in die Bordwand der letzten spanischen Karavelle.

Hasard gab Shane und Batuti ein Zeichen, noch zu warten. Er wollte sehen, was die Spanier nun unternahmen.

Er fühlte sich nicht von vornherein überlegen. Er unterschätzte niemals einen Gegner, denn das konnte ein Fehler mit verheerenden Folgen sein. Aber diesmal lag der Feind mit seiner Taktik deutlich daneben. Er hatte die kompletten Breitseiten leergeschossen und mußte erst wieder nachladen, um erneut einsatzbereit zu sein. So ging wertvolle Zeit verloren, zumal das Gefecht dadurch an Dynamik verlor, daß die Kontrahenten auf Parallelkurs segelten und platt vor dem Wind lagen.

 

„Der Don luvt an“, sagte Hasard plötzlich. „Das habe ich mir gedacht.“

„Er kommt mit dem Laden nicht nach“, erwiderte Ben Brighton. „Darum will er über Stag gehen und uns die Backbordbreitseite entbieten.“

„Wahnsinn“, sagte Hasard.

„Der Philipp hat nicht alle Tassen im Schapp!“ rief der alte O’Flynn.

Hasard sagte gar nichts mehr. Er korrigierte die Zielrichtung der Drehbasse, stellte sie erneut in ihrer Gabellafette fest und schickte einen prüfenden Blick über den Lauf.

Wenn die „Isabella“ eine Aufwärtsbewegung auf der Dünung vollführte, lag die feindliche Galeone genau in der Ziellinie. Hasard stieß die Lunte in das Kupferbecken mit der glühenden Holzkohle, zog sie wieder hoch und wartete ab. Als die „Isabella“ sich nach unten neigte, zündete er.

In den Sekunden, die die Glut für ihren Weg durch den Zündkanal benötigte, hob sich das Schiff wieder. Als es zu verharren schien, hatte der Seewolf den Bug der spanischen Galeone genau im Visier – und die Drehbasse blaffte auf. Sie ruckte in der Lafette. Durch Feuer und Rauch glaubte Hasard die Kugel fliegen zu sehen, aber das war natürlich reine Einbildung.

Aber dann sah er, wie es dem Spanier glatt den Bugspriet samt der Blinde weghieb – und das war keine optische Täuschung!

Bugspriet und Blinde gingen in der See baden. Im Vorsteven der Galeone prangte ein häßliches Loch. Wieder wehte das empörte Gebrüll der Spanier zur „Isabella“ herüber. Sie konnten sich momentan nicht zur Wehr setzen, aber ihr Kapitän schwenkte weiter mit dem Schiff herum und wollte von seinem Plan nicht ablassen.

Für eine Weile trat eine Gefechtspause ein.

Auch auf dem schwarzen Schiff und den beiden Karavellen schwiegen jetzt die Geschütze. Die Karavellen folgten dem Beispiel der Führungsgaleone und luvten an. Ihre Kapitäne handelten getreu dem Grundsatz: Folge deinem Leithammel, und wenn er in den Bach springt, dann spring auch du!

Carberrys heiserer Ruf zerriß die Stille. „Feuer!“

Wieder stoben vier Culverinen-Schüsse auf die gegnerische Galeone zu.

Das typische Knacken und Splittern berstenden Holzes verkündete, daß die Seewölfe eine Serie von Treffern gelandet hatten. Sie johlten und stießen sich mit den Ellbogen an. Gary Andrews warf sogar seine Mütze in die Luft.

Er fing sie wieder auf und sagte: „Und das alles mit nur einer Breitseite. Die Steuerbordgeschütze haben wir noch gar nicht zum Einsatz gebracht.“

„Gut so!“ brüllte Carberry. „Wir werden sie noch brauchen, wenn wir Sabreras aufgestöbert haben!“

„Hey“, stieß Matt Davies aus. „Der Don muß verrückt sein. Er luvt weiter an und geht über Stag.“

Die Distanz zwischen beiden Galeonen war erheblich geschrumpft. Hasard schätzte sie mit einem einzigen Blick ab, während er seine Drehbasse nachlud. Er preßte die Kugel mit einem Satz Kabelgarn fest, rammte das Bodenstück zu und drehte sich zum Häuptdeck um. Er hob den Kopf, stieß einen Pfiff aus und winkte Shane und Batuti zu.

Big Old Shane grinste. Er bückte sich und hielt Dan, der mit ihm zusammen im Hauptmars hockte, die wergumwickelte Spitze eines Pfeiles hin.

„So, nun zünd mal an“, sagte er.

Dan schlug Feuerstahl und Pyrit gegeneinander. Ein kleiner Funkenregen ging auf das ölgetränkte Werg nieder und setzte es in Brand. Shane hob den Pfeil, legte ihn an den Bogenschaft und spannte die Sehne, daß es so aussah, als wolle er sie zerreißen.

Er öffnete die Finger der rechten Hand, und der Pfeil huschte von der Sehne. Er strebte in zunächst aufsteigener Bahn durch die Nacht, dann krümmte sich sein Weg, und er senkte sich als zuckender Lichtfleck auf die spanische Galeone.

Gleichzeitig sandte auch Batuti seinen ersten Brandpfeil los.

Shane wartete nicht ab, bis sein Pfeil das Ziel erreicht hatte, er legte schon den nächsten an und schoß. Batuti verfuhr nach dem gleichen Prinzip, und so hagelte es jetzt Brandpfeile. Einige trafen das Rigg des Gegners, einige sein Oberdeck, und im Nu flackerten Brände auf.

Siri-Tong setzte wieder Brandsätze ein. Sie hatten eine noch verheerendere Wirkung als die Pfeile von Shane und Batuti. Auch auf den Karavellen brach Feuer aus. Die Kampfmoral der Spanier sank rapide, sie schrien und schienen kurz vor der Panik zu stehen.

„Zwei Strich Steuerbord!“ rief der Seewolf.

Die „Isabella“ luvte nur ein wenig nach Steuerbord an und schob sich näher der Küste zu. Old O’Flynn konnte nun endlich seine Drehbasse auf die Galeone abfeuern, er geriet in den richtigen Schußwinkel. Hasard zündete auch seine Basse, dann, in breiten Schwaden von Pulverrauch stehend, drehte er sich wieder um und rief seinen Männern zu: „Abfallen! Backbordseite!“

Carberry wiederholte die Befehle. Sein Gebrüll purrte die Männer an die Schoten und Brassen. Pete Ballie kurbelte am Ruderrad. Die „Isabella“ reagierte willig auf die neue Ruder- und Segelstellung. Ihr Vorsteven richtete sich nach Nord-Nord-West. Die Mündungen der 17-Pfünder ruckten herum und zielten auf die spanische Galeone, die sich nun auch endlich wieder in Schußposition schob.

Die Spanier wollten eine volle Breitseite abgeben, aber der Seewolf kam ihnen zuvor.

„Feuer!“

Acht Rohre stießen Feuerblitze aus, achtfacher Tod raste auf die Feindgaleone zu. Sechs oder sieben Treffer waren diesmal drüben zu verzeichnen, die Seewölfe zählten nicht genau. Die „Isabella“ glitt vor dem Gegner davon.

Diese massive Breitseite hatte entscheidende Wirkung im Gefecht. Die drei Spanier blieben zurück. Sie kamen nicht mehr zum Schuß. Sie hatten genug damit zu tun, daß lodernde Feuer auf den Decks und in den Riggs zu löschen.

Hasard blickte zum schwarzen Schiff. Er atmete auf. Anscheinend völlig unversehrt zogen sich die Rote Korsarin und ihre Männer aus der Kampfzone zurück, schlossen ein bißchen auf und segelten im Kielwasser der „Isabella“.

„Ben, haben wir Verletzte?“ fragte Hasard.

„Bis auf ein paar unbedeutende Kratzer – nein, Sir.“

„Die Männer sollen nachladen und neue Munition heranschaffen. Mit dem Aufklaren warten wir, dazu ist jetzt keine Zeit. Das Gefecht ist noch nicht vorbei.“

Ben sah ihn aus schwarz geränderten Augen an. „Sabreras, nicht wahr?“

„Ja, er muß durch den Kampflärm alarmiert worden sein. Der Dreierverband war auf dem Rückweg zum natürlichen Hafen, und jetzt wird unser Freund nachsehen wollen, was los ist.“ Hasards Züge waren hart, wie gemeißelt. „Wo bleibt er überhaupt?“

„Ich sage, er ist abgehauen“, erklärte der alte O’Flynn mit krächzender Stimme.

„Das würde mich wundern“, erwiderte Hasard. „Ich müßte mich in Sabreras gründlich getäuscht haben, wenn er jetzt zu kneifen versucht.“

„Deck!“ schrie in diesem Augenblick Dan aus dem Großmars. „Segler Backbord voraus!“

Ben Brighton wischte sich Ruß aus dem Gesicht. Es war eher ein sinnloser Versuch, denn seine Hände hinterließen lediglich streifige Spuren auf der geschwärzten Haut.

„Ho!“ rief er. „Es tut sich wieder was. Lassen wir uns überraschen, Hasard?“

„Was bleibt uns anderes übrig?“

„Wir können immer noch nach Westen ablaufen. Den Dons segeln wir bestimmt davon.“

„Bist du für halbe Sachen, Mister Brighton?“

„Nein.“

„Aber es kann uns noch den Kopf kosten, meinst du.“

„Wir wissen nicht, wie viele Schiffe Sabreras in seiner Bucht zusammengezogen hat“, erwiderte Ben.

Hasard stellte sich ans Backbordschanzkleid des Achterdecks. „Sehr viele können es nicht mehr sein. Da wäre die ‚Esperanza‘ und dann eine weitere Galeone – jene, die während der Nacht die ‚Santa Margarita‘ gefunden und abgeschleppt hat. Wegen der ‚Santa Margarita‘ brauchen wir uns keine grauen Haare wachsen zu lassen, denn die ist so schwer angeschlagen, daß sie unmöglich in ein Gefecht eingreifen kann.“

Die Nacht wich allmählich und löste sich in schwarzgraue Schatten auf. Nach Osten hin schien sich der Himmel schon heller zu färben. Knapp eine Stunde noch, dann würde die Sonne als glühender Ball über den Höhenzügen der Kordilleren erscheinen.

Hasard versuchte, durch das Spektiv einen Ausblick auf den neuen Gegner zu gewinnen. Und tatsächlich, er entdeckte ihn. Verschwommen hoben sich die Konturen in der Optik ab.

„Ein Zweimaster“, sagte er. „Eine Karavelle, nicht besonders groß.“

„Ein Spanier?“ fragte Ferris Tukker.

„Warte. Denkst du vielleicht, es handelt sich um Piraten? Blut lockt Haie an, oder? Aber ich glaube nicht daran. Augenblick, ja, es ist ein Don, ich kann das Holzkreuz erkennen, das er unter dem Bugspriet baumeln hat. Und jetzt sehe ich auch die Flagge im Großtopp.“ Hasard ließ das Fernrohr sinken und schaute die Männer an. „Wir verhalten uns ruhig, bis wir dicht an ihn heran sind, klar?“

„Klar, Sir“, antwortete Ben.

„Profos“, sagte Ferris zur Kuhl hin.

„Was gibt’s, du roter Klamphauer?“

„Halt die Luft an und brüll gefälligst nicht herum. Wir sollen die Klappe halten, hat Hasard gesagt.“

„Wer brüllt denn hier“, brummelte Carberry und zerdrückte einen ellen-langen Fluch auf den Lippen.

„Der Don hält Ostkurs“, meldete Dan O’Flynn.

„Er kreuzt“, sagte Hasard. „Wenn er so weitersegelt, haben wir ihn gleich in der Zange.“

„Er fällt ab!“ rief der junge O’Flynn.

„Nicht so laut“, zischte der Profos.

„Jetzt hat er nicht nur uns, sondern auch den schwarzen Segler entdeckt und kriegt das große Sausen“, meinte Smoky. „Er türmt zum Smaragdhafen und holt Verstärkung.“

Hasard beobachtete wieder durch den Kieker und nickte. „Stimmt. Allein kann er es ja nun wirklich nicht mit uns aufnehmen.“

„Er ist Sabreras’ vorgeschobener Posten“, sagte Ben Brighton. „Irgendwo vor der Küste, nur ein paar Meilen entfernt, lauert der Restverband – und wir segeln direkt auf ihn los. Die Lage spitzt sich wieder zu.“

Hasard steckte den Kieker weg, eilte auf die Kuhl und inspizierte kurz die Gefechtsstationen. Es war aber soweit alles in Ordnung, von den Schäden im Schanzkleid und auf Deck abgesehen. Munition stand genügend zur Verfügung – nicht zuletzt auch wegen der Vorräte, die sie vorsorglich aus der Mine mitgeschleppt hatten.

„Wie ist die Stimmung?“ fragte er seine Männer.

„Glänzend“, erwiderte Al Conroy. „Selten so heiter gewesen, Sir.“

„Nun haut bloß nicht so auf die Pauke, ihr Sumpfnelken“, sagte Carberry.

Hasard lächelte ihnen zu, kehrte um und begab sich wieder aufs Achterkastell.

„Ferris“, sagte er. „Hol die letzten Brandsätze, die wir noch im Achterkastell aufbewahren. Außerdem hältst du deine Höllenflaschen bereit. Nimm meinen Platz an der achteren Drehbasse ein.“

„Aye, Sir.“

„Shane“, wandte sich der Seewolf an den ehemaligen Schmied von Arwenack-Castle. Der graubärtige Koloß war soeben aus dem Großmars zurückgekehrt und stieg den Niedergang hoch. „Du bewaffnest dich zusätzlich mit Pulverpfeilen und enterst sofort wieder in den Großmars auf.“

„Geht in Ordnung, Sir.“

Pulverpfeile – das waren Shanes Spezialanfertigungen mit ausgehöhlten Schäften. Er hatte mit viel Akribie Schwarzpulver hineingefüllt, die Öffnungen mit Wachs versiegelt und die Spitzen auf die übliche Weise mit Werg umwickelt. Die brennenden Spitzen entzündeten das Pulver, wenn die Pfeile im Kampf zum Gegner hinübersurrten.

Hasard blickte wieder zur Karavelle.

Sie lag jetzt platt vor dem Wind und hatte alles gesetzt, was ihr an Segelfläche zur Verfügung stand. Sie führte Lateinertakelung, was ihr besonders gute Am-Wind-Eigenschaften verlieh. Vor dem Wind konnte sie dem ranken Rahsegler der Seewölfe und auch dem schwarzen Schiff jedoch nicht davonrauschen.

Hasard und Siri-Tong blieben ihr also auf den Fersen.

Die Schleier der Nacht verflüchtigten sich noch mehr und öffneten den Blick nach Norden so weit, daß die Karavelle recht deutlich zu erkennen war. Wie ein scheues, verängstigtes Tier floh sie vor dem Gegner.

Hasard hätte sie einholen und vernichten können. Aber bei aller Wut auf Sabreras und seine Gefolgschaft – das entsprach ganz und gar nicht seinem Stil. Fairneß war immer noch das oberste Gebot, das er sich gesetzt hatte und rigoros einhielt.

„Deck!“ rief Dan plötzlich. „Da sind wieder Schatten, rund zwei Meilen voraus. Ich sehe noch nichts Genaues, aber ich nehme stark an, es sind Schiffe.“

 

„Jetzt geht’s gleich rund“, sagte Carberry. Aber ganz so enthusiastisch wie vor dem ersten Gefecht klang sein Spruch diesmal nicht.