Seewölfe Paket 6

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Die Rote Korsarin lächelte.

„Ich glaube, dies ist der richtige Augenblick, um deinen Kokosmilch-Schnaps zu probieren. Cookie“, sagte sie. „Eine Muck für jeden, zusätzlich zum Rum. Aber kein Besäufnis, wenn ich bitten darf! Mißjöh Buveur, ich lasse dich kielholen, wenn du nachher blau an Deck liegst.“

„Aye, aye, Madame“, schmetterte der dickliche Franzose.

Und der Koch kriegte rote Ohren, weil er sich freute, daß sein Kokosnuß-Schnaps, den er eigentlich für seinen Eigenbedarf gebraut hatte, nun doch noch zu Ehren gelangte.

Als dann Siri-Tong persönlich probierte und dem Zeug einen gewissen Wohlgeschmack bescheinigte, waren nicht nur die Ohren des Kochs so rot wie mexikanischer Pfeffer.

Thorfin Njal kippte gleich eine ganze Muck von dem Gesöff in sich hinein und nickte zufrieden. Auch die anderen Männer waren begeistert: Das Zeug war wesentlich stärker als Wein oder Bier und konnte es durchaus mit dem gewohnten Rum aufnehmen.

Cookie erzählte, daß ihm die Eingeborenen auf der Insel der Steinernen Riesen das Rezept verraten hätten. Eingedenk der Tatsache, daß der Besuch auf jener Insel damals sehr kurz gewesen war, fanden alle den Koch sehr clever. Der wiederum strahlte wie ein Posaunenengel – und Siri-Tong sah voraus, daß das Essen an Bord des „Eiligen Drachen“ mindestens zwei Wochen lang entschieden besser als sonst werden würde.

Sie gestattete noch eine weitere Muck Kokosnuß-Schnaps. Danach waren die erschöpften, körperlich bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit ausgelaugten Männer leicht beduselt, aber Siri-Tong wußte, daß sie trotzdem noch ihre Arbeit tun konnten.

Mit Thorfin Njal und dem Boston-Mann zog sie sich in ihre Kammer im Achterkastell zurück.

Wieder einmal wurden die Karten bemüht. Denn die Rote Korsarin kannte den Seewolf und wußte ganz sicher, daß er sich die „Isabella“ bestimmt nicht von irgendeinem Piratenschiff hatte abnehmen lassen. Ihre Vorstellungen über den Lauf der Dinge kamen der Wahrheit sehr nahe.

„Hier!“ sagte sie.

Ihr Finger beschrieb einen Kreis um ein Gebiet, in dem auf der Karte einige kleinere Inseln eingezeichnet waren. „Wenn sie irgendwo sind, dann müßten sie hier sein – oder?“

Thorfin Njal kratzte hingegeben an seinem Kupferhelm.

„Stimmt“, sagte er. „Wenn sie auf einer Insel sind.“

„Wo sollen sie sonst sein, zum Teufel? Wir haben doch selbst gesehen, daß die Kerle auf der ‚Isabella‘ nur vierzehn oder fünfzehn Mann waren. Selbst wenn wir mit einem Dutzend Todesopfern rechnen – so ein Trupp hat doch die ‚Isabella‘ nicht gekapert, Thorfin! Die Kerle müssen auf einer Insel festgesessen haben. Und dann ist es ihnen wahrscheinlich gelungen, Hasard zu schnappen. Du weißt doch, daß er jedes Unternehmen, das auch nur von Ferne nach Gefahr riecht, immer selbst anführt.“

„Bei Odin, das tut er“, sagte der Wikinger. „Du könntest recht haben. Vielleicht hat der verdammte Sturm auf der ‚Isabella‘ Schäden angerichtet, die sich nicht mit Bordmitteln beheben ließen. Oder sie haben Rauchzeichen gesichtet, was weiß ich.“ Thorfin Njal atmete tief durch und nickte. „Suchen wir also diese Inselchen ab! Sofort, meine ich. Bis heute abend dürften wir’s geschafft haben.“

„Und dann folgen wir der ‚Isabella‘ und zahlen es diesen Dreckskerlen heim!“ Siri-Tongs Augen funkelten, als sie aufstand und das schwarze Haar zurückwarf. „Die größenwahnsinnigen Halunken werden noch einsehen, daß sie den schlimmsten Fehler ihres Lebens begangen haben.“

Federnd wandte sich die Rote Korsarin ab, trat wieder auf den Niedergang und kehrte aufs Achterkastell zurück. Mit einem zufriedenen Blick stellte sie fest, daß bereits drei Mann am Spill standen, bereit, den Treibanker aufzuholen, und daß Brassen und Geitaue zum Laufen klargelegt worden waren.

Minuten später war der Anker oben.

Knatternd entfalteten sich die schwarzen Segel, der Wikinger legte Ruder, und „Eiliger Drache über den Wassern“ segelte dunkel und majestätisch seinem Ziel zu.

Der Capitan der „Santa Monica“ war nicht beunruhigt, sondern verärgert.

Er suchte nicht erst nach einer Erklärung für das lange Ausbleiben seiner Leute, denn nach seiner Meinung lag die Erklärung auf der Hand: Die Kerls hatten angefangen zu bummeln, kaum daß sie außer Sicht gewesen waren. Wahrscheinlich bereiteten sie sich ein paar angenehme Stunden, statt ihren Auftrag auszuführen. Juan de Correggio knirschte vor Wut mit den Zähnen und schwor sich, jedem einzelnen dieser faulen Halunken die Haut vom Rükken peitschen zu lassen.

Der Rest der Mannschaft spähte ziemlich besorgt zu der Insel hinüber, von der sie nur die felsige Landzunge im Westen und die weit geschwungene, palmengesäumte Strandlinie sehen konnten. Die Sonne senkte sich bereits, die Schatten wurden unmerklich länger. In spätestens einer Stunde würde die Dunkelheit hereinbrechen, und dann konnte nur noch ein Verrückter auf die Idee verfallen, die Insel zu durchsuchen.

„Wir sollten etwas unternehmen, Capitan“, sagte Jose Diaz, der Steuermann.

„Sicher. Wenn diese Kerle in einer Stunde nicht zurück sind …“

„In einer Stunde ist es dunkel, Capitan! Dann müssen wir bis zum Morgen hier liegenbleiben.“

Correggio biß sich auf die Lippen. Er war kein Freund von schnellen Entscheidungen, aber immerhin sah er ein, daß der Steuermann recht hatte. Diaz traf ohnehin die meisten Entscheidungen. Jeder an Bord wußte das, nur der Capitan nicht. Denn Diaz war geübt darin, den anderen glauben zu lassen, daß es nach seinem eigenen Kopf ging. Hätte Juan de Correggio geahnt, daß in Wahrheit nicht er, sondern der Steuermann das Schiff führte, hätte er das Kommando sofort wieder an sich gerissen, und das wäre für Schiff und Mannschaft verhängnisvoll gewesen.

„Beiboot klarmachen!“ befahl der Capitan. „Diaz, suchen Sie sechs Mann aus, die an Land pullen! Ein bißchen plötzlich, bevor es dunkel wird!“

Der Steuermann biß sich auf die Lippen.

Er hatte eher daran gedacht, zunächst einmal die Insel zu umsegeln, was auch wesentlich vernünftiger gewesen wäre. Aber er wußte, daß er Correggio nicht dazu bringen konnte; einen einmal gegebenen Befehl wieder zurückzunehmen. Wenn er beschlossen hatte, zum Beispiel in eine Lagune einzulaufen, weil er im Riff eine Durchfahrt sah, die überhaupt nicht existierte, dann versuchte er das eben. Und dann ließ sich die Katastrophe mitunter nur noch durch Tricks abwenden. Zum Beispiel damit, daß der Bootsmann eigenhändig die Tiefe auslotete und dabei – wie Diaz sehr genau mitgekriegt hatte – ein bißchen mogelte, damit der Befehl zum Abfallen noch rechtzeitig erfolgte.

„Jawohl, Capitan“, sagte Jose Diaz nur und sprang auf die Kuhl hinunter, um die Rudergasten einzuteilen.

Sechs Männer enterten ab und kletterten auf die Duchten.

José Diaz schwang sich als letzter über das Schanzkleid, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, daß er den Trupp anführte. Hinterher würde ihn der Capitan zusammenstauchen, aber nicht jetzt, vor versammelter Mannschaft, weil das die Disziplin untergrub, wie Correggio glaubte. Den Steuermann ließ das alles ziemlich kalt, denn er war felsenfest davon überzeugt, daß auf der Insel etwas nicht stimmte.

„Nordkurs!“ befahl er den überraschten Männern. „Wir werfen erst mal einen Blick auf die Rückseite der Insel. Ich habe keine Lust, wie ein Anfänger in irgendeine Falle zu gehen.“

8.

Krachend flog das Schott der Vorpiek auf.

Licht fiel in das finstere Loch. Licht, in dessen Schein die Läufe von zwei Pistolen schimmerten. Die Piraten hatten allmählich offenbar Respekt vor ihren Gefangenen, und sie hatten die Nase voll von unliebsamen Überraschungen.

Diesmal allerdings stürmten ihnen keine rasenden Teufel entgegen.

Dan O’Flynn und Batuti hockten ganz friedlich auf der Gittergräting. Sie hatten sogar auf den Versuch verzichtet, sich gegenseitig von den Fesseln zu befreien. Nicht, weil sie völlig zerschlagen und halb verdurstet waren, sondern weil sie sich über eine neue Taktik geeinigt hatten.

„Na, ihr Helden?“ sagte Pepe le Moco gehässig. „Gefällt’s euch da drinnen? Wollt ihr noch ein bißchen bleiben? Oder seid ihr etwa hungrig und durstig?“

Batuti knurrte nur noch. Dan beherrschte sich mit Mühe.

„Wollt ihr uns etwa hier krepieren lassen?“ fragte er.

Der Pirat grinste. Neben ihm stand der einäugige Esmeraldo und grinste ebenfalls. Lediglich Jacahiro, der Maya, schien kein Vergnügen daran zu finden, die wehrlosen Gefangenen zu verhöhnen.

„Ihr arbeiten, dann essen und trinken“, sagte er ruhig. „Ihr noch einmal Ärger versuchen, dann hier verhungern. Verstanden?“

„Verstanden“, sagte Dan.

„Und verhungern wollt ihr nicht, ihr Bastarde, oder?“ fragte Esmeraldo und kicherte.

„Nein, verhungern wollen wir nicht.“ Dans Gesicht war steinern, und er brauchte seine ganze Beherrschung, um die kalte Wut herunterzuwürgen.

„Na fein! Jacahiro, schneide den Bastarden die Fesseln durch. Erst mal nur die Fußfesseln, damit sie nicht auf dumme Gedanken verfallen.“

Der Maya zog sein Messer aus dem Gürtel und zersäbelte die zähen Riemen an den Fußgelenken der beiden Männer. Batuti schob sich mit einem tiefen Atemzug hoch, Dan wollte aufspringen und merkte, daß er kein Gefühl in den Beinen hatte. Er wäre gestürzt, wenn Jacahiro ihn nicht aufgefangen hätte. Dan fauchte wie eine Katze, schüttelte die Hand ab, die ihn hielt, und stellte dabei widerwillig fest, daß das verhaltene Grinsen des Indianers eigentlich gar nicht höhnisch und niederträchtig wirkte.

Batuti stampfte voran, Dan folgte ihm. Das helle Sonnenlicht an Deck ließ ihn blinzeln, und der frische, salzige Wind war nach dem Mief in der Vorpiek das reinste Paradies. Der hünenhafte Neger und der blonde Junge sahen sich um, dann blickten sie zu dem Bretonen hoch, der an der Schmuckbalustrade des Achterkastells lehnte.

 

Dan hatte einen Kloß in der Kehle.

„Was habt ihr mit unseren Leuten angestellt?“ fragte er rauh und hatte alle Mühe, kein „ihr verdammten Bastarde“ anzuhängen.

„Die gehen zu Fuß“, sagte der Bretone kalt. „Wir konnten sie hier nicht brauchen. Also was ist? Wollt ihr jetzt Borddienst tun oder lieber an der Rahnock baumeln?“

Dan wurde bleich unter der Sonnenbräune. Batuti sog scharf die Luft ein und schloß die Augen. Zu Fuß gehen – das hieß, daß die Kerle Ben, Stenmark und Shane über Bord geworfen hatten. Einfach so. Ohne Rücksicht darauf, daß sie kaum eine Chance hatten, die Insel zu erreichen – schwimmend durch ein von Haien verseuchtes Gewässer!

Batutis Zähne knirschten.

Dan schwieg und focht einen fürchterlichen Kampf mit sich selbst aus. Alles in ihm drängte danach, dem Bretonen seinen Haß und seine Verachtung ins Gesicht zu schreien. Oder ihm wenigstens an die Kehle zu fahren, sobald er die Hände frei hatte. Aber es war sinnlos, jetzt Selbstmord zu begehen. Solange sie am Leben waren, hatten sie eine Chance. Eine Chance, es diesen Bastarden heimzuzahlen und ihre Kameraden zu rächen.

Jean Morro kniff die grauen Augen zusammen.

„Also was ist?“ fragte er hart. „Borddienst oder Rahnock?“

„Borddienst“, quetschte Dan O’Flynn durch die Zähne.

„Und dein Freund?“

„Borddienst“, murmelte Batuti.

„Gut. Ich lasse euch jetzt die Fesseln abnehmen. Ihr werdet verschiedenen Wachen zugeteilt. Und bildet euch nicht ein, ihr könntet hier den Hund von der Kette lassen. Wenn einer von euch auch nur den geringsten Aufruhr veranstaltet, lasse ich den anderen sofort erschießen, ist das klar?“

Schweigen. Jean Morros Gesicht war eine kalte Maske.

„Ob das klar ist?“ fragte er gefährlich leise.

„Aye, aye“, sagte Dan zwischen zusammengepreßten Zähnen.

„Aye, aye, Sir, heißt das.“

„Nigger?“

„Aye, aye, Sir“, sagte Batuti mit merkwürdig fremder Stimme.

„Nimm ihnen die Fesseln ab, Esmeraldo! Der Lümmel kommt in die Kombüse, der Nigger zu den Fockmastgasten. Jacahiro, du paßt auf ihn auf!“

„In Ordnung“, sagte der Maya mit seiner dunklen, kehligen Stimme.

Er nickte Batuti zu und wies mit dem Kopf in die Richtung, in die der schwarze Herkules marschieren sollte. Aber Jacahiro fluchte nicht und brüllte nicht herum, und damit hatte Batuti entschieden das bessere Los gezogen.

Der schweigsame Maya war ein anständiger Kerl.

Ganz im Gegensatz zu dem fetten Tomaso, der Dan O’Flynn wieder unter seiner Fuchtel hatte. Als erstes ließ er sein Opfer die Kombüse schrubben, und die Art, wie er auf einem Dreibein saß und Speckstücke in sich hineinstopfte, zeigte, daß er nicht gesonnen war, sich selbst jetzt noch zu überarbeiten.

Dan O’Flynn kochte vor Wut.

Aber es war keine gesunde, wohltuende Wut, die ihn erfüllte. Es war eiskalter, würgender Zorn, ein Zorn, wie ihn nur schwarze Verzweiflung hervorbringt. Der Gedanke an Ben Brighton, Big Old Shane und Stenmark schien wie ein Feuer in ihm zu brennen, und seine Gedanken fieberten, während er den Boden der Kombüse bearbeitete.

Irgendwann würde der Bretone bezahlen.

Und wenn er Ben, Stenmark und Shane umgebracht hatte, würde er noch den Tag verfluchen, an dem er geboren worden war.

„Sieben“, sagte Ferris Tucker leise.

Der Seewolf nickte. Aus schmalen Augen verfolgte er das Boot, das sich von der Bordwand der „Santa Monica“ löste. Diesmal pullten die Männer nicht in Richtung Strand, sondern hatten offensichtlich den Plan, die Landzunge zu umrunden. Sie waren vorsichtig geworden und wollten erst einmal einen Blick auf die Nordseite der Insel werfen.

Viel Zeit konnten sie sich allerdings nicht dazu lassen.

In spätestens einer Stunde wurde es dunkel, dann konnte nur noch ein Verrückter versuchen, auf völlig unbekanntem Gelände irgend etwas zu finden. Das mußten auch die Spanier wissen. Nach Hasards Meinung hatten sie sich ohnehin schon unsinnig viel Zeit gelassen.

Ihm konnte es recht sein.

Für die Seewölfe ging es nur darum, mit den Booten die „Santa Monica“ zu erreichen, ohne von deren Kanonen in Fetzen geschossen zu werden. Im Enterkampf hatten die Spanier nicht den Schimmer einer Chance, darin waren ihnen die Seewölfe haushoch überlegen. Wenn sie erst einmal in den toten Winkel der Geschütze gelangten, gab es keine Schwierigkeiten mehr, dann war das Unternehmen für Hasards Crew so gut wie gelaufen.

Wieder blieb eine kleine Gruppe zurück, die das Schiff beobachtete, während die anderen im Schutz der Felsen die Hochfläche überquerten.

Als sie sich im Geröll am Rand des Kliffs auf den Boden preßten, hatte auch das Boot die Nordseite der Insel erreicht. Sechs Männer pullten, der siebte, ein großer, hagerer Bursche mit einer ausgeprägten Adlernase, beobachtete die Klippen. Schließlich befahl er, den Kurs zu ändern und steuerte einen Punkt etwa in der Mitte der Steilküste an. Der Seewolf wußte sofort, was der Bursche vorhatte.

Er hatte gemerkt, daß der Felsenkegel auf dem höchsten Punkt der Insel von hier aus verhältnismäßig einfach zu erreichen war. Dort oben brannte immer noch das Feuer und stieg eine dünne Rauchfahne in den Himmel. Dort oben wollte der Mann nachsehen, solange es noch hell genug dazu war.

Immerhin ein energischer Mann, dachte Hasard anerkennend. Und auf jeden Fall kein Idiot, der wie ein Anfänger in die Falle tappt. Der Seewolf grinste leise und wandte sich Ed Carberry zu.

„Sie werden heraufkommen, Ed“, flüsterte er. „Aber sie werden Wachtposten bei dem Boot zurücklassen. Die Kerle dürfen uns auf keinen Fall entwischen, klar?“

„Aye, aye! Ich klettere mit Matt und Bob da drüben hinter der Felsennase hinunter. Wir packen uns die Burschen, sobald hier oben der Tanz losgeht.“

„Gut, Ed. Aber seid vorsichtig!“

Der Profos murmelte etwas davon, daß er, verdammt noch eins, immer vorsichtig sei und man ihm das nicht extra zu sagen brauche.

Hasard grinste nur, während Carberry Matt Davies und Bob Grey einen Wink gab und sich lautlos zwischen die Steinbrocken zurückzog. Die beiden anderen folgten ihm genauso leise. Jenseits der vorspringenden Felsennase konnten sie bis zur Brandungsplatte hinunterklettern, ohne von den Spaniern gesehen zu werden. Dann brauchten sie nur noch ein Dutzend Schritte bis zu der Stelle, wo jetzt das Boot vertäut wurde.

Hasard stellte fest, daß er den Drahtigen richtig eingeschätzt hatte: erließ tatsächlich zwei Mann als Wache zurück. Die restlichen fünf marschierten auf die schräge Geröllrinne zu, die in das Kliff schnitt und die Möglichkeit für einen problemlosen Aufstieg bot. Der Mann mit der Adlernase kletterte als erster. Für die nächsten Minuten waren die fünf Männer aus dem Blickfeld der Seewölfe verschwunden, aber rollende Steine und ein paar unterdrückte Flüche verrieten ihren ungefähren Standort.

Der Drahtige schwang sich als erster über die Kante des Kliffs.

Hasard lag in der Deckung einiger durcheinandergewürfelter Felsbrocken und spähte durch eine schmale Lücke zwischen den Steinen. Deutlich konnte er das scharfe Profil seines Gegners sehen, der die Hände in die Hüften gestemmt hatte und aus schmalen Augen zu dem roten Felsenkegel hinaufsah. Nach einer Weile wandte er sich um und überzeugte sich, daß auch der Rest seiner Leute die Hochfläche erreicht hatte.

„Wir teilen uns“, sagte er auf spanisch. „Diego und ich klettern auf den Berg. Die beiden anderen Gruppen schwärmen aus, decken uns den Rücken und sichern unsere Flanken. Verstanden?“

„Si, Senor“, tönte es vierstimmig zurück.

Die Männer hatten funkelnde Augen. Hier war ein Mann, der wußte, was er wollte, und die Sache vernünftig anpackte. Prompt zeigten seine Leute ein ganz anderes Kaliber als die sechs, die bereits von den Seewölfen überwältigt worden waren. Der Hagere nötigte Hasard Achtung ab. Trotzdem hatte er keine Chance. Denn die Seewölfe hatten sich so über das Plateau verteilt, daß die eigentlich ganz vernünftige Idee mit den drei Gruppen den Spaniern nur zum Verhängnis werden konnte.

Der Drahtige und der Bursche mit dem Namen Diego marschierten quer über das Plateau auf den Felsenkegel zu. Die anderen teilten sich und schwärmten nach links und rechts aus. Auf diese Art bildeten sie eine keilförmige Formation und mußten annehmen, daß sie das größtmögliche Maß an Sicherheit erreicht hatten.

Hasard lächelte matt, richtete sich etwas auf und wartete darauf, daß die rechte Flanke der Formation in seine Reichweite geriet.

Ben Brighton, der hinter dem Seewolf kauerte, hielt einen handlichen Stein in der Faust. Ferris Tucker betrachtete einen Augenblick nachdenklich Batutis Morgenstern, dann deponierte er ihn sanft auf dem Boden und griff sich ebenfalls einen Stein. Die beiden lächerlichen Spanier, die da heranpolterten, waren völlig ahnungslos und konnten nichts dafür, daß man den Seewölfen die „Isabella“ geklaut hatte. Sie würden flachgelegt werden, aber man mußte ihnen ja nicht gleich den Schädel einschlagen.

Hasards Lächeln vertiefte sich.

Seiner Meinung nach zerbrach sich der rothaarige Schiffszimmermann unnütz den Kopf. Die zwei lächerlichen Spanier gedachte der Seewolf nämlich allein zu erledigen.

Als sie noch drei Schritte entfernt waren, sprang Hasard mit einem Satz auf den Felsblock und jumpte den Spaniern von da aus unmittelbar vor die Füße.

Die Kerle prallten zurück und rissen erschrocken die Münder auf. Beide holten Luft, um loszubrüllen, aber bevor sie auch nur einen Ton herausbrachten, packte sie der Seewolf links und rechts bei den Ohren und donnerte ihre Köpfe gegeneinander.

Die Burschen sackten zusammen. In einiger Entfernung klatschte es zweimal dumpf. Und damit war auch die linke Flanke der fabelhaften Formation im Eimer.

„Fesseln und knebeln“, flüsterte Hasard, während sein Blick den Drahtigen und seinen Begleiter suchte, die sich schon in einiger Entfernung befanden.

Trotzdem mußten sie etwas gehört haben.

Hasard zog den Kopf ein, als der Drahtige herumfuhr. Durch die Lükke zwischen den Steinen konnte der Seewolf deutlich die Spannung in dem schmalen, asketischen Gesicht mit der Adlernase lesen. José Diaz, erster Offizier der „Santa Monica“, war ein Mann mit Instinkt. Er spürte die Gefahr mit jeder Faser, spürte sie jäh und bedrohlich überall ringsum, aber er konnte nicht ahnen, aus welcher Richtung der Teufel aus der Kiste fahren würde.

Nur drei Schritte hinter den beiden Spaniern richtete sich die stämmige Gestalt von Jeff Bowie auf.

Er hatte links den gleichen Haken, wie ihn Matt Davies rechts trug. Piranhas hatten ihm die Hand zerfetzt, aber inzwischen hatte er sich an den Verlust seiner Linken gewöhnt und konnte mit seinem Haken perfekt umgehen. In der Rechten hielt er ein kurzes, stabiles Kantholz. Hasard konnte ihn deutlich grinsen sehen, als er sich zum Sprung duckte.

Der Drahtige und sein Begleiter starrten immer noch dorthin, wo sie das zweimalige dumpfe Klatschen gehört hatten.

Jeff Bowie sprang. Geschmeidig wie ein Panther flog er durch die Luft, und noch ehe er mit den Füßen aufsetzte, hatte er zweimal kurz und trocken zugeschlagen.

Der Drahtige erhielt die Rundung des Stahlhakens auf den Kopf, der Bursche mit dem Namen Diego den Holzknüppel.

Beide kippten um. Jeff schlug zur Sicherheit noch zweimal mit dem Knüppel zu, dann winkte er und zeigte triumphierend seine Zähne.

„Wer sagt’s denn“, brummte Hasard. „Und jetzt müssen wir Ed und den anderen Bescheid geben. Die warten nämlich immer noch darauf, daß hier oben der Tanz losgeht.“

„Schöner Tanz“, sagte Ferris fröhlich.

Mit ein paar Schritten erreichte er den Rand des Kliffs. Da stand er nun in voller Größe, und den beiden Spaniern, die angestrengt zu der Hochfläche hinaufgestarrt hatten, drohten fast die Augen aus dem Kopf zu fallen.

„Buh!“ rief Ferris.

„Ed! Matt! Bob!“ befahl Hasard scharf.

Ehe die beiden Spanier dort unten begriffen, wie ihnen geschah, fielen die drei Seewölfe über sie her wie die Teufel.

Matt Davies knallte dem ersten seinen Stahlhaken gegen die Stirn.

Bob Grey klopfte Nummer zwei mit einem Stein auf den Schädel, so daß der Bursche wie ein Bündel Lumpen in sich zusammenfiel.

 

Ed Carberry stemmte beide Hände in die Hüften, holte tief Luft und durchbohrte Bob Grey mit einem vernichtenden Blick.

„Das war meiner!“ fauchte der Profos aufgebracht.

„Wer zuerst kommt, haut zuerst“, widersprach Bob mit schlagender Logik. Der Profos zählte prompt sämtliche fürchterlichen Strafen auf, die auf See, an Land oder in der Hölle auf vorwitzige, unverschämte Kerle warteten. Aber immerhin verschnürte er dabei schon einen der Spanier, während Bob den zweiten fesselte.

Ein paar Minuten später wurden auch diese beiden auf die Hochfläche gezogen.

Dreizehn Männer waren jetzt hier oben an die Felsblöcke gebunden und geknebelt, damit sie ihre Leute nicht durch Geschrei warnen konnten. Siebzehn Männer hielten sich noch an Bord der „Santa Monica“ auf. Und diese Männer standen unter dem Kommando eines Kapitäns, der sein Schiff fast auf das Riff gesetzt, den zweiten Suchtrupp viel zu spät losgeschickt hatte und der demnach schlicht und einfach nichts taugte.

„Die frühstücken wir im Vorbeigehen“, sagte Ed Carberry überzeugt.

„Sicher“, bestätigte Hasard. „Nur dürfen sie nicht merken, daß gar nicht ihre eigenen Leute in den Booten sitzen. Sonst schießen sie uns nämlich in Fetzen, nur mal so im Vorbeigehen.“

„Nachts sind alle Katzen grau“, bemerkte Smoky weise.

„Richtig. Aber wir werden uns trotzdem zumindest mit den Kopfbedekkungen der Dons tarnen, damit der Unterschied nicht so auffällt. Bill bleibt hier oben und …“

Der Schiffsjunge protestierte. „Warum soll ich …“

„Weil ich es sage!“ Gegen diesen Ton gab es keinen Widerspruch, und Bill zog beleidigt den Kopf ein. „Dreizehn Mann von uns besetzen die Boote“, fuhr Hasard fort. „Und zwar diejenigen, die am ehesten als Spanier durchgehen würden, also keine Riesen wie Ferris oder Ed. Die anderen schwimmen, und zwar im Sichtschutz der Boote. Wer seinen verdammten Schädel zu weit vorstreckt, kriegt von mir persönlich die Haut abgezogen. Gary, du spielst den Drahtigen und legst die Hände in den Schoß. Ben wird dicht neben dir bleiben, damit er auf spanisch für dich antworten kann, falls die Kerle an Bord dich anrufen. Aber sieh zu, daß du deine blonden Haare versteckst, klar? Noch Fragen?“

„Wer schwimmt?“ fragte Ferris Tucker sachlich.

Hasard grinste. „Du, Ed, Smoky, Stenmark, Shane und ich. Bill, du paßt auf Arwenack auf! Ed, wo steckt Sir John?“

„In meiner Tasche“, sagte der Profos grinsend. „Aber ich laß ihn lieber hier bei Bill. Nicht, daß mir jemand das Rabenaas versehentlich zu Brei schlägt, wenn da drüben das Fest losgeht.“

„Gut. Und jetzt knöpft euch die Spanier vor und seht zu, daß das mit den Kopfbedeckungen klar geht. Wenn die Dons an Bord ein blondes Haar sehen, sind wir verraten!“

Die Männer brauchten nur wenige Minuten.

Danach war kein blondes, rotes oder weißes Haar mehr zu sehen, und die Dons auf der „Santa Monica“ würden erst im letzten Moment erkennen, daß nicht ihre Landsleute zurückkehrten, sondern eine englische Entermannschaft.

Im Westen stand die Sonne als blutrote Scheibe über der Kimm.

Noch eine Viertelstunde, schätzte Hasard, dann würde es dunkel sein.

Von jetzt an konnten sie nur noch warten.