Brotverleih

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Sonst kam noch Post, ein Brief an ihn, eingeschrieben, von einer Bank, und ein Brief, wohl eine Einladung, an Brenda von Stuckried persönlich – Wer soll das sein?

Die Bank, Rechtsabteilung, schickt dem Erben und Rechtsnachfolger der Merkator Immobilen KG hiermit eine letztmalige Zahlungsaufforderung über 14,3 Millionen … Rückzahlung der fälligen Kredite, ausstehende Schuldzinsen, Säumniszuschläge, Gutachten, Mahnverfahren. Andernfalls wir die Übereignung der sämtlichen uns als Sicherheit gestellten Häuser, Grundstücke, Immobilienbeteiligungen an die u. g. Kreditinstitute von Gerichts wegen mit sofortiger Wirkung …

Dabei ist unerheblich, ob unsere Ansprüche grundbuchlich als Hypotheken eingetragen sind und ob eine oder mehrere Immobilen von Ihnen oder Ihrem Rechtsvorgänger zum Gegenstand einer widerrechtlichen, daher unwirksamen Schenkung gemacht wurden.

So weit die dinglichen Sicherheiten zur Deckung der o. g. Summe nicht ausreichen, bleibt unsere o. g. Forderung anteilig bestehen, ebenfalls sofort zahlbar.

In Erinnerung an die Geste des Richters in der Nachlassverhandlung schob Kaufunger den Brief beiseite. Immerhin ging ihm das Wort zahlbar nach, was ja besagt, er kann zahlen, muss aber nicht. Wie man einen lesbaren Text auch nicht lesen und ein essbares Brot nicht essen muss (sondern es sein lassen kann). Und natürlich gilt das (Nichtmüssen) erst recht, wenn man gar nicht lesen, essen oder zahlen kann … Was Kaufunger auf die Idee brachte, nächstens den Smaragdring zu versetzen, um an Bargeld zu kommen.

Anruf eines Labors für Lebensmitteluntersuchung: Wir sind in unserm Segment Marktführer.

– In welchem Segment, mein Herr?

– Brezeln, Sterne und Gesundheitsbrot – und wollen Ihr Brot analysieren.

– In welchem Auftrag?

– Nun, Sie wollen doch sicher selbst wissen, worauf die Wirkung Ihres Brots beruht…

– Welche Wirkung?

– Nun ja, Heilwirkung im weitesten Sinne, wie genau, das wollen wir ja erst bestimmen.

– Und wie soll das gehen? Wollen Sie eine Scheibe Brot, das lässt sich nämlich nicht mehr schneiden.

– Dann bräuchten wir das ganze Brot.

– Und dann? hab ich kein Brot mehr …

– Na ja, wir zahlen auch dafür.

– Ich will es aber behalten.

– Nun, dann kriegen Sie es zurück. Wir könnten eine Probe entnehmen, das merken Sie gar nicht.

– Das heißt, ich soll es Ihnen leihen?

– Korrekt, gegen Gebühr.

– Toll, das überleg ich mir, sagte Kaufunger und legte vergnügt auf.

Zweiter Anruf: Ein Redakteur, der gleich mit der Tür ins Haus fiel (was ja telefonisch leichter geht als an der Haustür): Haben Sie Ihr Brot aufgegessen? Nein? Sehr gut! Haben Sie es schon untersuchen lassen, labormäßig? Nein? Auch gut! Dann ist der Laib noch ganz – im Kühlschrank, nehme ich an …

– Was wollen Sie? Ein Interview?

– Es geht um eine richtig heiße Story!

– Wie heißt Ihre Zeitschrift? Bäckerblume? – Nein.

– Essen und Trinken?

– So ähnlich … ( – Fressen und Stinken – Wasser und Brot – Tafeln und Schwafeln – Von Schrot bis Kot?)

– Speis und Trank.

– Kenn ich nicht.

Das wollte dem Anrufer nicht einleuchten: – Lebensart, Gesundheit, Esoterik vom Feinsten!

– Tut mir leid, übrigens schreibe ich selber – Großartig!

– Aber nicht über das Brot.

– Das machen wir, wann können wir zu Ihnen kommen?

– Warum?

Wir machen erst ein Shooting mit Ihnen und dem Brot und dann ein Briefing und alles Weitere bereden wir dann bei uns, Ihr Honorar z. B.

– Sie können schießen?

– Ich?

– Dann schießen Sie mal was vor!

– Sie meinen Vorschuss?

– Ich warte.

– Na schön: 5000,–. Aber dafür kriegen wir das Brot.

– Weit gefehlt!

– 10.000.– und dafür kriegen Sie das Brot geliehen.

– Na hören Sie mal …

– Ich höre.

– Das muss ich erst abklären, aber wir werden uns bestimmt einig … Sagen Sie mir Uhrzeit und Ort …

– Meine Adresse? Die haben Sie nicht? Woher haben Sie denn die Telefonnummer?

– Das ist doch jetzt egal … Hallo? Ihre Adresse …

Inzwischen war auch hoch über Kaufunger hinweg, im Äther, von Kaufunger die Rede. Und zwar zwischen Welkowitz, der mit seinem kleinen, international zusammengesetzten Team für Mitteleuropa zuständig ist, und seinem Big Chief, der auf einer kleinen Insel in Indonesien residiert. Wöchentlich zwei oder drei Mal lässt sich der Alte im Lotossitz auf seiner Insel von dem Jungen aus Frankfurt oder auch aus London auf dem Laufenden halten und gibt ihm Aufträge oder weisen Rat. Sie unterhalten sich schriftlich (senden Sätze hin und her), freundlich und – auf Deutsch. Der Alte war als Junger während des Bürgerkriegs in seiner Heimat bei einer deutschen Familie untergekommen und hat im Odenwald gelebt und in Darmstadt studiert.

Welkowitz erwähnte, dass der bekannte Architekt Merkator kürzlich gestorben sei – den kannte Big Chief von seinem Studium her – und in diesem Zusammenhang auch Kaufunger, seinen Sohn. Das war der Mann, der damals als Dolmetscher eingesprungen ist, als wir dringend jemand brauchten, der portugiesisch spricht…

Big Chief erinnerte sich: Hat gute Arbeit gemacht – warum haben wir ihn nicht behalten?

– Er wollte bessere Arbeit machen … im brasilianischen Urwald.

Was macht Kaufunger jetzt? – Das soll Welkowitz herausfinden.

Was ist mit Kaufunger? fragte Big Chief das nächste Mal.

– Er lebt hier bei Frankfurt ohne Arbeit, ohne Geld und scheint auch sonst von allen guten Geistern verlassen …

– Sage nicht, was scheint, sage was du weißt.

Zeitungsberichten zufolge wurde er um sein Erbe geprellt.

– Sein Vater hat ihm nichts gelassen?

– Nichts als ein Brot.

– Dann sollen wir ihm das Brot abkaufen.

– Das haben andere schon versucht, er verkauft nicht.

– Dann mach einen Plan, beobachte ihn, du sollst ihn nicht verlassen.

Wer ist Brenda von Stuckried? will Kaufunger von Brenda wissen, die vor dem Spiegel sitzt.

Liest du meine E-Mails? fragt Brenda zurück.

– Nein, das kam mit der Post.

Er zeigt ihr die Einladung und sieht ihr beim Schminken zu.

Ei, ei, sagt er, so ist aus der Schneiderin eine Edelfrau geworden …

– Mein Mädchenname, was dagegen?

– Stimmt, jetzt fällt mir’s ein: bevor dich der Schneider umgarnt hat …

– Eben daran möcht ich nicht mehr erinnert werden.

– Schon gut, aber hast du nicht auch mal auf den Namen Berta gehört?

– Nein! Nie! Meine Mutter hat mich so gerufen.

– Warum willst du nicht Berta von Stuckried heißen? Das klingt doch.

– Du weißt, wie Berta klingt!

– Dick, meinst du? Aber bei dir doch nicht! Frag den Spiegel: Wer ist so schlank (das stimmte nun nicht), so sexy im ganzen Land …

Das lässt sie sich diesmal, hochgestimmt wie sie ist, gefallen. Als er aber anfängt zu singen: Habe noch nie so was Edles gepimpert (wenn auch auf Portugiesisch), geht das natürlich zu weit und wäre Grund genug, das nächstbeste Flacon nach ihm zu schmeißen; aber sie lässt es bei Porco! bewenden; was ihr nicht leicht über die Lippen kommt, weil sie sich die gerade schminkt.

Im Übrigen war das Thema doch wohl ausgereizt – seit dem Krach gestern. Gestern hatte Kaufunger sie nämlich an gemeinsame Zeiten in Manaus erinnert, bevor Brenda, kurz entschlossen, nach Europa zurückgegangen war, und behauptete, deshalb auch keine Antwort mehr auf seine Frage gekriegt zu haben, ob sie Frau Kaufunger werden wollte.

Diese Frage je von ihm gehört zu haben, bestritt Brenda entschieden und nicht einmal zu Unrecht, denn damals – sie war gerade aus dem Elend ihrer Schneiderehe geflüchtet – konnte sie die Frage nur überhört haben. Inzwischen hatte sich die Frage sowieso erledigt – infolge ihres fliegenden Wechsels nach Frankfurt mit nachfolgender Emanzipation von der aschblonden Sekretärin zur federführenden Sachbearbeiterin und – seines Verschwindens im Urwald. Aber nun war die bloße Erwähnung Grund genug für Brenda, um einen Streit vom Zaum zu brechen und ihrem Ärger über Kaufunger mit folgenden rhetorischen Gegenfragen Luft zu machen:

Ob er der Mann zum Heiraten sei? (Wohl kaum!)

Ein Millionenerbe gar? (Nicht doch!)

Oder wenigstens einer, der anschaffen kann?

Oder (und hier passierte ihre Erregung den Punkt of no return) ob er sich einbilde, dass sie ihn bräuchte – als Liebhaber – amante pago?!

Er soll doch bloß nicht glauben, nur weil er sie ein paar Mal (sie suchte vergeblich das portugiesische Wort) …

Die Frage war, warum sonst sie den abgebrannten Spätheimkehrer aus Brasilien bei sich aufgenommen hat. Kaufunger war echt gespannt, aber er erfuhr’s nicht. Nur so viel war ihm gestern klar geworden: Dass seine Frist bei Brenda ablief. Dessen eingedenk sagt Kaufunger nun: Aber den Schneidersitz, den wirst du doch nicht verlernen … – den hatte ich am liebsten. Versteht sie es oder nicht, sie lässt es sich nicht anmerken – nur eine gewisse Befriedigung, als sie von ihrem Spiegelbild Abschied nimmt. Auch Kaufunger zollt ihr Beifall und sagt noch: Inder lieben den Schneidersitz.

Morgendlicher Anruf: Haben Sie das Brot noch? Kaufungers Antwort: Nein.

Dann rief Inge an, sie war ziemlich aufgeregt.

Ein Vertreter der Banken hatte ihr geschrieben, dass erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Schenkung bestehen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die derzeit von Ihnen bewohnte Wohnung zur Erbmasse nach Andreas Merkator gehört, als welche wir, die Gläubigerbanken, insgesamt zur Tilgung der vom Erblasser hinterlassenen Schulden beanspruchen. Wir behalten uns deshalb vor, wenn der Erbe, Herr Kaufunger, nicht unverzüglich die Schulden begleicht, unser Besitzrecht an der genannten Wohnung usw.

 

Ob sie jetzt heraus müsst aus ihrer Wohnung. Das würde die Mutter, die da herinnen wohnt, nicht überleben.

Deine Mutter hat doch, sagte Kaufunger, einen Anwalt, was sagt denn der?

– Abwarten, sagt der, Teetrinken!

Das gefiel Kaufunger; in Brasilien sagt man: Trinken wir einen Kaffee – und dann klappt’s; aber hierzulande und von einem Anwalt geraten, was mag das bedeuten?

– Ist das der Dr. Dreher, der schon unsern Vater vertreten hat? Ich wollte den auch schon anrufen, hab nämlich auch einen Brief von den Banken gekriegt …

– Kannst du nicht kommen, heute noch? flehte sie. Es hängt doch alles daran, dass du erklärst …

– Du, ich kann hier gerade nicht weg, aber komm doch du, Schwesterchen, hier gibt es auch Anwälte. Ich freu mich drauf, dich wiederzusehen, du kannst hier auch wohnen …

Inge gab ein Geräusch von sich, wie ein mit der Hand alsbald unterdrücktes Aufschluchzen oder ein dito Auflachen, telefonisch war es ein Zischen.

Du kommst doch? fragte er, und bring, wenn du hast, etwas Schriftliches vom Vater mit, dass er dir die Wohnung geschenkt hat. Ach und frag doch die Mutter, ob der Vater mal in Bolivien war und wann?

Pause. Inge hatte schon aufgelegt.

Zu Brenda am selben Abend: Du wolltest doch meine Schwester kennenlernen …

– Wollte ich das?

– Sie kommt vielleicht. Ich habe sie eingeladen.

– Du denkst jedenfalls an Dienstag, ich brauch dann die Wohnung für mich, für meine Gäste …

Kaufunger traf sich mit dem Professor, der den Leserbrief geschrieben hat.

Sie schreiben ein Buch und wollen über den Stamm der Ainumtakl mit mir reden, was wissen Sie darüber? fragte der Professor.

– Nichts.

– Ich meine: Sie sind Ethnologe?

– Ich war als Entwicklungshelfer in Brasilien und hatte da mit Indios zu tun; Ethnologe war mein Vater …

– Na schön, aber wohl eher Amateur, von Hause aus war Ihr Vater Architekt, oder?

– Das schon …

– Ich habe das aus der Zeitung. Und was da über seine ethnologischen Forschungen steht, auf dem Gebiet alter Stammeskulturen – na ja, Sie kennen meine Erwiderung.

– Deswegen wollte ich Sie auch sprechen …

– Wie nannte er diesen Stamm – Umtaka? Das ist doch wohl ein Fastnachtsscherz!

– Sie glauben doch nicht, was in dem Artikel steht?

– Einen anderen Artikel von Ihrem Herrn Vater kenne ich nicht – wo hat er überhaupt publiziert? – Ich meine seinen Expeditionsbericht.

– Den kenne ich auch nicht. Wenn es so was gibt, in seinem Nachlass vielleicht …

– Dann publizieren Sie ihn mal schön und dann …

– Kann ich ja machen, aber mich interessiert was anderes: Was wissen Sie über dieses Indianervolk, das so spurlos verschwunden ist, ohne Gräber, ohne Tote …

– Das ist eine interessante Frage. Sie können dazu alles nachlesen bei mir; – den wichtigsten Stellennachweis allerdings, den haben mir die Zeitungsleute rausgestrichen, aber Sie kennen ja wohl die Literatur, angefangen mit Frazers dreibändigem Belief of …

– Noch nicht.

– Aber wollten Sie nicht ein Buch schreiben über brasilianische Kultur?

– Ich bin noch bei den Affen.

– Was, bei den Affen fangen Sie an? Sie meinen bei den Primaten …

– Ich meine die Fauna – die Alonatta in Amazonien, die haben mir’s angetan, wie die herumklettern und –brüllen, springen und zulangen, alles haben sie im Griff und im Blick, nie lassen sie was runterfallen oder stürzen ab …

– Was haben Sie doch gleich studiert?

– Ich bin eigentlich Dolmetscher.

– Dann schreiben Sie, wenn es sein muss, ein weiteres Buch über Brasilien, wie wär’s mit: Heiße Nächte unterm Affenbrotbaum – denn die unterm Zuckerhut, die gibt’s schon; aber mich halten Sie da bitte raus, ich möchte nicht von Ihnen zitiert werden, ich habe schließlich einen Ruf als Wissenschaftler zu verlieren!

Unwirsch gab er Kaufunger die Hand (- hat vielleicht Frauen statt Fauna verstanden), drehte sich dann aber noch mal um: Und vergessen Sie, was ich über den Expeditionsbericht gesagt habe!

– Was denn?

– Dass Sie ihn herausgeben sollen …

– Hatte ich nicht vor …

– Sie wissen ja nicht, auf was Sie sich da einlassen, keine Ahnung haben Sie! Ethnologie ist eine Wissenschaft! Man stellt da höchste Anforderungen. Aber nicht, was Sie denken: Niemand fordert da was an, niemand wartet auf Ihren Beitrag oder will irgendwas von Ihnen wissen, auch nicht von Ihrem Vater selig, und hätte er alle Rätsel der Oinumtakl gelöst. Niemand hilft Ihnen, seine Entdeckungen publik zu machen – ich meine wissenschaftlich, nicht in solchen Käseblättern. Und wenn Sie diese Arbeit tatsächlich sollten zustande bringen – nach drei Jahren vielleicht, mit Helfern, die Sie ausbeuten können, oder nach sieben Jahren, wenn Sie sich alleine ausbeuten – es gibt diesen Typ, Sie sind’s nicht! – Dann – tja dann muss die Arbeit erst noch erscheinen! Beim falschen Verlag kostet das viel Geld, und war dann trotzdem für die Katz, kein Wissenschaftler kräht danach; beim richtigen Verlag kostet das auch viel Geld und noch mehr Geduld, aber dann, und nur dann, könnte es sein, dass die Kollegen munter werden und auf einmal sind Sie angekommen in der wissenschaftlichen Welt. – Haben Sie mal in ein Haifischbecken geguckt?

War das eine Frage? Nein, aus der Unterhaltung ist längst ein Vortrag geworden.

Nach einer Kunstpause fuhr der Professor fort:

Ruhig dümpeln die großen Haie, laichen ab, wo sie wollen, und bilden Schulen; bei der öffentlichen Fütterung glitzern sie im Flutlicht und schnappen sich die dicksten Brocken weg, oft schwimmen sie in Formation und führen ihre Junghaie vor. Aber wirf mal einen Frischling ins Becken oder spring selber vom Seitenrand rein – im Nu bist du verrissen und zerpflückt … (tacet)

Kaufunger horchte und wunderte sich: Den Mann interessiert ja selber die Fauna, – die akademische Standesfauna hat’s ihm angetan – und dabei macht er aus seinem Herzen keine Mördergrube – oder doch?

Da drückte ihm der seltsame Standesvertreter die Hand, als bedanke er sich für’s Zuhören und ging.

Was hatte sich Kaufunger von dem Treffen erwartet? – Ein Geheimnis zu lüften, das sein Vater mit ins Grab genommen? ( – Wo ist dieses Grab überhaupt?) – Und so vielleicht den Schatz noch zu finden, den ihm sein Vater hinterlassen hat? Mag sein.

Aber vor allem hat Kaufunger gehofft, auf jemanden zu treffen, der zu ihm sagt: Du warst in Brasilien? Kenn ich – oder was heißt kenn ich – tolles Land! Da hast du was erlebt, die herrlichen Landschaften, die Leute da – und deine Arbeit, großartig, sie haben dir’s ja auch gedankt, eigentlich warst du glücklich da, abgesehen von den Zahlungsschwierigkeiten deiner Firma, sicher, sie haben dich beschissen, aber das kann dir doch nichts anhaben, nicht wirklich. Die letzten Wochen mit den Indianern im Urwald, die wilden Früchte und Tiere, danach hast du nun Sehnsucht … sodao, ich weiß. Du musst das aufschreiben, ein Buch über Brasilien …

Er bräuchte es nicht zu schreiben, wenn er so jemanden getroffen hätte.

Dreher meldet sich telefonisch: Herr Kaufunger? Gott sei Dank, dass ich Sie erreiche, die Nummer habe ich von Frau Schäfer …

– Geht es um sie?

– Es geht um Sie. Ich möchte Ihnen helfen, wie ich schon sagte …

– Wobei?

– Nun, die Banken hier betrachten Sie als ihren Schuldner und wollen ihre Forderungen jetzt realisieren …

– Woher wissen Sie?

– Ach, das war doch schon bei der Nachlassverhandlung klar, aber nun müssen wir reagieren – ich meine auf das Schreiben.

– Auf diese zig-Millionen-Forderung? Kennen Sie das Schrei­ben – stammt das etwa von Ihnen?

– Sagen wir, ich habe Kenntnis davon, halte es aber für reichlich …

– Ich auch – völliger Quatsch.

– Eben, und deshalb schlage ich Ihnen vor: Lassen Sie mich das Schreiben beantworten, Sie brauchen nur zu unterschreiben. Und wenn Sie nicht hierher in mein Büro kommen können, ich hörte so etwas von Frau Schäfer, dann haben Sie doch sicher eine Fax- oder E-Mail-Adresse. Ich schicke Ihnen das Antwortschreiben zu, und Sie faxen mir die anhängende Vollmacht unterschrieben zurück – wenn Sie einverstanden sind.

– Ich habe aber kein Geld.

– Das wollen wir ja ändern …

Also gibt Kaufunger ihm die E-Mail-Adresse (von Brenda).

Er will gerade in sein Urwald-Dokument zurückkehren, da wird ihm eine E-Mail angezeigt, Drehers prompte Antwort an die Bank offenbar. Sie zu öffnen hat er weder Brendas Erlaubnis noch das Passwort, also versucht er’s erst gar nicht.

Als Brenda abends nach Hause kam – er hörte den Schlüsselbund fallen und sie Hoppla sagen und: so was aber auch nein sowas – verhielt er sich still. Sie betrat das Zimmer und war überrascht, ihn anzutreffen. Er lächelte über ihr Erschrecken und bat sie, ihre neuen E-Mails zu öffnen. Sie verstand nicht, wieso, tat’s aber, er hatte sie neugierig gemacht.

– Ein Rechtanwalt Dr. Dreher – für dich?

– Lies ruhig.

In Beantwortung Ihres … dass Ihre Forderungen an meinen Mandaten in Höhe von 14,3 Millionen, zahlbar sofort, im Ganzen nicht nachvollziehbar und im Einzelnen unbegründet sind. Es trifft zu, dass mein Mandant durch Gerichtsbeschluss als Erbe des verstorbenen A. Merkator festgestellt und bereit ist, das Erbe anzutreten. Noch liegt ihm aber weder der Erbschein noch die Liste der Vermögenswerte, noch eine Liste einschlägiger Schuldforderungen vor. Vielmehr ist ihm die Inbesitznahme der Immobilien (wie auch der beweglichen Wertgegenstände) ausdrücklich verweigert worden. Insofern kann mein Mandant Ihren Forderungen gar nicht nachkommen und sind die von Ihnen angedrohten Zwangsmaßnahmen gegenstandslos.

Soweit die von Ihnen angemahnten Bankschulden des Erblassers durch eindeutige Rechtstitel zu belegen sind und der Übergang dieser Schulden auf den Erben von Gerichts wegen festgestellt wurde, wird, wenn die Übergabe des Erbes an meinen Mandanten erfolgt, über Umfang und Fristen einer allfälligen Abtretung oder Vergütung von Immobilien an die Gläubigerbanken mit Ihnen zu reden sein. Weitergehende Forderungen allerdings, wie Mahnkosten etc. sowie Ansprüche auf Vermögenswerte, die der Erblasser zu Lebzeiten durch Schenkung aus seinem Eigentum gegeben hat, können insoweit nicht anerkannt werden. Ich hoffe Ihnen damit … und stehe Ihnen als Rechtsbeistand von Herrn Kaufunger auch weiterhin bei der Regulierung Ihrer Ansprüche gerne zur Verfügung.

Was soll das? fragte Brenda mit bedrohlich angewachsenem Unverständnis. Oben angekommen rief sie: Heißt das, du schuldest den Banken 14 Millionen?

Pelo contrario, sagte Kaufunger, ich werde noch Millionär.

– Du träumst, du meinst, du bist in Brasilien. Aber hier – wird einem nichts geschenkt, hier wird scharf geschossen! Banken sind keine Brüllaffen!

– Und du bist nicht mein conselho …

– Warum sollte ich das lesen?

– Weil es auf deinem Computer angekommen ist.

– Ich kenne keinen Dreher, habe nichts damit zu tun! Ich habe hart zu arbeiten an meinen eigenen Projekten, da geht es auch um Millionen – aber Gewinn!

– Gewinn für wen? Ich meine, für wen arbeitest du eigentlich so hart?

– Meine Partner sind Global Player! Es geht um die Weltversorgung mit Nahrungsmitteln, nicht um ein altes Stück Brot … Ich lass mir meine Geschäfte nicht kaputt machen von einem kaputten Typ – Wie mir? – (Das wollte sie nicht sagen … sie wollte sagen:) Halt mich da raus, ja? Ich kann nichts mehr für dich tun … aber da hängt noch eine Vollmacht dran!

Ach ja, druckst du mir’s aus? bat Kaufunger.

Auch das noch, aber ein Faxgerät, um die Vollmacht zurückzusenden, hatte Brenda nicht, wollte auch nicht das Geschäftsfaxgerät morgen dafür benutzen. Er darauf:

Nimmst du mich morgen früh mit in die Stadt? (Sie fuhr mit dem Auto, er hatte keins.)

Obrigado, sagte er, und als sie schwach lächelte – und jetzt, nimmst du mich mit ins Bett? Das fand sie nicht fair, aber es gab nur das eine (Doppelbett).

In der Stadt war er erst bei einem Pfandleiher, dann auf der Post, alles zu Fuß. Jetzt, etwa um eins, steht er vor einem Club ›Kolibri‹, der eigentlich geschlossen ist um diese Zeit, aber die Tür ist offen, so auch der Saal mit Tischen und plüschigen Sesseln.

 

Die Bühne wird gerade umgerüstet: zwei Kletterstangen, die mitten aus dem rot-goldenen Bühnenpodest ragen, werden über dem dito Bühnenhimmel in einem Eisenträger verankert. Seitlich werden Lautsprechertürme zurechtgeschoben und vorn allerlei Lampen ausgerichtet mit Probeflackern. Einer der Männer spielt den Kraftprotz Simson, stellt sich zwischen die Stangen und versucht, mit seinen Streckmuskeln sie auseinander zu biegen. Als der Palast nicht einstürzt, zieht sich ein zweiter, wie im Affenhaus, an der linken Stange hoch, während ein dritter sich um die rechte schmiegt, den Kopf zurückwirft und mit dem angewinkelten Bein wackelt. Die drei haben Spaß, fühlen sich aber durch Kaufungers Anwesenheit gestört, auch als der erklärt, mit einer Frau hier verabredet zu sein, sehr hübsch und braun.

Nicht hier und nicht jetzt, sagen sie, und jetzt raus hier.

Erst als er nach dem Geschäftsführer verlangt, macht das auf die Leute Eindruck; sie fragen sich, wer er sei, und ihn, wen er wohl mit Geschäftsführer meint. Als er ihnen auf die Sprünge hilft: Ihr wisst schon, wen ich meine, spricht englisch, besser deutsch, am besten wohl russisch, wird Kaufunger, wenn nicht mit Zuvorkommenheit, so doch mit einer gewissen Beflissenheit behandelt, wie ein Typ vom Ordnungsamt oder von der Ausländerbehörde, der hier mal privat und/oder zum Schnüffeln vorbeikommt.

Er wird also nicht weiter ausgequetscht, sondern um Geduld gebeten und nach Hin- und Herlaufen und -telefonieren so beschieden: Geschäftsführer kommt in eine Stunde oder kannst du schreiben dein Name, Telefonnummer, dann er telefoniert dir.

Kaufunger entscheidet sich für eine Nachricht an die Frau: Want to see you. Dazu schreibt er seine (Brendas) Adresse und unterschreibt: That guy in the railway.

Er faltet den Zettel und übergibt ihn mit einem Spielchen: Als einer zugreift, zieht er den Zettel zurück und fragt eindringlich: Wem sollst du das geben? … Falsch, der Frau.

Dabei stellt sich raus, dass denen mitnichten klar ist, wen er mit braun und sehr hübsch meint. Kaufunger selbst entdeckt sie auf einem Foto an der Wand, eine Art Szenenfoto, auf dem sie zwischen zwei anderen, weniger braunen als nackten Mädchen zu sehen ist. Nun wissen sie’s: Er meint Chica, die Sambatänzerin.

Danach streunt Kaufunger durch die Stadt, folgt und überquert Straßen nach Gelegenheit, nicht nach Vorschrift; er sieht die Autos kommen und schaut den Fremden nach. Einmal, mitten in einem sich vorwärts schiebenden Menschenpulk, bückt er sich nach einem Kind im Buggy und quatscht die exotische Mutter an, offenbar in ihrer Landessprache, sie lacht und schiebt weiter. Manchmal bleibt er vor einer Fassade stehen, sein Blick wandert hinan, als wollte er daran hochklettern, dabei sind die Bürohäuser hier turmhoch und verglast oder anders glatt. Auch sonst schaut er öfter nach oben, scheint sich für die Traversen und Oberleitungen zu interessieren, für Dachfahnen und Transparente, die über die Straßenflucht gespannt sind. Ein alles überragender Drehkran lässt am langen Arm seine Last über die Dachkanten schweben, Kaufunger geht mit, immer außerhalb des Radius, bis die Last über einem Flachdach kreist, sieht aus wie das Einschweben eines Geiers und die Männer auf dem Dach, die das Teil in Empfang nehmen, wie die gereckten Hälse der Brut. Über einem älteren Turm (Langer Franz) flattert ein Hubschrauber, weil ein Drahtseil von dort zur Paulskirche gespannt wird. Das erregt die Neugier noch anderer Passanten, die nun ebenfalls zum Himmel aufschauen und sich über den für Dienstag versprochenen Drahtseilakt unterhalten. Dann ist Kaufunger verschwunden, taucht am Kornmarkt wieder auf, biegt auf den Liebfrauenberg und schaut sich um. Nicht einfach, ihm zu folgen, aber noch schwerer zu erkennen, wen oder was er verfolgt, wenn er nicht bloß so herumtigert. Wenn er was zum Essen suchte, das wäre logisch, er hat ja nicht Mittag gegessen (hatte es vielleicht mit Chica vor), oder was glaubt er auf dem Liebfrauenberg zu finden? Stattdessen trifft er einen Mann, elegant, um die Sechzig; wäre fast an ihm vorbeigelaufen, sieht nach Zufall aus. Der Mann, als er Kaufunger erkennt, gibt ihm die Hand und zieht ihn an sich, umarmt ihn fast. Sie unterhalten sich ernsthaft mit Denkpausen, vor allem der Ältere sieht den Kopf wiegend zu Boden, dann holt er sein Kärtchen raus, schreibt etwas drauf und gibt es Kaufunger; der steckt es unbesehen ein und verabschiedet sich, während der andere ihm noch zuredet, und trollt sich Richtung Kleinmarkthalle – tatsächlich geht er rein, hat wohl doch Hunger. Er kommt lange Zeit nicht heraus, drinnen ist er aber auch nicht, auch hinten nicht bei den exotischen Früchten. Er kann doch nicht verschwunden sein – doch: Hinter den Obstständen, da geht’s raus, ein zweiter Ausgang.

Abends zu Hause fragte Brenda aufgeräumt: Was hast du gemacht in der Stadt?

Er: Geschäfte, Geschäfte – Wohnung gesucht …

Sie: Ach! – Und wann …?

Er: Nächste Woche …

Sie: Gut! Ach, und wegen dem Abendessen am Dienstag –

Er: Apropos! Ich habe Obst gekauft, Mango, Papaya … Er warf ihr eine zu.

Sie fing sie verdutzt auf und sah ihn prüfend an: Gibt’s was zu feiern?

Er: Ich denke … übrigens habe ich auch jemanden kennengelernt!

Sie: Wieso auch?

Er schwieg, den kleinen Missklang überspielte Brenda mit kleinen Meldungen des Tages: Es hat jemand für dich angerufen, Inge Schäfer. – Aha – Es war auch jemand da, wollte dich sprechen, ob du hier wohnst … Nein, hab ich gesagt – Sehr gut – dachte nämlich schon, das ist der Gerichtsvollzieher, aber er wollte dein Brot sehen, hier seine Telefonnummer, du sollst ihn unbedingt anrufen.

Er: Wieso warst du eigentlich zu Hause?

Sie: Ich war heute nur kurz in der Firma, um meinen Schreibtisch zu räumen.

Kaufunger blickte sie erschrocken an; sie blickte zufrieden zurück, sah fast glücklich aus.

Er: Lass mich raten – du kriegst ein Kind!

Sie: Sehr witzig, nein, ich firmiere jetzt selber …

Er: Als Brenda von Stuckried, Ltd.?

Sie: So ungefähr … wo ich schon bisher alles selber machen musste und die Sache jetzt an den Start geht, arbeite ich lieber auf eigene Rechnung und Risiko. Natürlich habe ich Partner: Der weltweit führende Anbieter von Reis, Mais, Hirse …

Er: Namens Masutra –

Sie: der seinen Vertrieb auf FF-Produkte umstellen will …

Er: Du meinst Fair Fair – aber das ist doch unser Markenzeichen – von der Erzeuger-Genossenschaft, die wir im Amazonas organisiert haben …

Sie: Deshalb arbeiten wir auch mit der IDA zusammen …

Er: das heißt mit Dieter Feudl –

Sie: beziehungsweise mit den Amerikanern, die bei der IDA jetzt das Sagen haben.

Er: Da gratuliere ich!

Sie: Ich finde, du solltest das wissen …

Er: Ich wusste doch, es gibt was zu feiern …

Sie: Ja, am Dienstag – du bist doch noch da?

Er: Ich werde mich verdrücken.

Sie: Nein! Ich bitte dich, du musst dabei sein.

Wunderbrot verschwunden

Nach seinem Tod war erst das Millionenvermögen des Stararchitekten und Schatzgräbers Merkator verschwunden – jetzt auch der geheimnisvolle Brotlaib, der für den Erbsohn alleine übrig blieb (wir berichteten darüber) und der ein Lebenselexier enthalten soll!

Woher Merkator das Brot hatte und wo er auf die Indios gestoßen ist, die noch Kunde von der geheimen Mixtur des Wunderbrotes hatten – bleibt sein Geheimnis, das wir wohl nie mehr erfahren werden. Wir wissen, erklärte uns der Indianerexperte Professor Neuss, dass einige längst untergegangene Indianerstämme sich durch eine sehr hohe Lebenserwartung ausgezeichnet haben. »In einem Fall haben wir Siedlungen ausgegraben mit allen Gegenständen des täglichen Lebens, aber nichts gefunden, was auf den Tod eines Stammesangehörigen hinweist.« Das müsse mit ihrer Ernährung zusammenhängen. Große Erwartungen richten sich deshalb auf die chemische Untersuchung des Merkator’schen Indianerbrotes. Sind seine natürlichen Wirkstoffe erst einwandfrei isoliert, sagen uns Fachleute, dann könnte das Lebensbrot eines Tages nachgebacken werden. Freilich müsste man dazu den Brotlaib erst einmal haben. Fakt ist, dass der Erbe mit dem Brot inzwischen abgetaucht ist. Dabei dürften ihm einflussreiche Leute geholfen haben, mit denen sein prominenter Vater in Verbindung stand. Unser Bild zeigt Andreas Merkator mit Berta v. S. kurz vor dem fluchtartigen Verlassen ihrer Wohnung bei Frankfurt.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?