Brotverleih

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Aber da taucht in dem Film von Weitem gestikulierend eine andere Person, Brenda, auf und schleudert ihm, da aus der Ferne nicht vernehmlich, stumme Beleidigungen an den Kopf.

Aber was hat sie denn? Sie rechnet doch heute sowieso nicht mehr mit ihm.

Und dann spricht da, außerhalb des Films, noch jemand, mit gedämpfter, fast tonloser Stimme. Hier versagt seine Einbildungskraft, wäre ja auch noch schöner … Da müssen zwei zugestiegen sein; die zweite Stimme ist männlich und spricht ebenfalls englisch (nicht richtig). Er sitzt, so viel Kaufunger hören kann, neben der Abteiltür, der Braunen schräg gegenüber. Sie sprach also nicht mit sich selbst, sondern zu ihrem Gegenüber. In ihrer Zwiesprache geht es um Geschäfte, um einen Vertrag wohl. Und das bringt Kaufungers Träumerei vollends durcheinander.

– I wonder if it works … (sagt sie) – What shell be? You just work for me and I work for you.

– What is the job you do for me? – Of course I support you, you profit from my relations, my protection, my help in rooming and financials – I see, contacts and consulting …

Kaufunger blinzelt und richtet sich etwas auf. Die beiden verstummen. Er sieht sich um.

Der Businessman sieht aus wie ein Sportsman, sie – ohne Journal vor dem Gesicht – ist eine ibero-amerikanische Schönheit, Stewardess vielleicht.

Wo sind wir? fragt Kaufunger. Die beiden sehen ihn an, die exotische Frau mit Überraschung erst, dann mit einem flüchtigen konspirativen Lächeln.

Ich will nach Frankfurt, erklärt Kaufunger.

Wir auch Frankfurt, sagt der Geschäftsmann, Air base ist vorbei, Ankunft wird sein in eine halbe Stunde.

Das ist weit nach Mitternacht. Die Frage ist, welche Anschlüsse es dann noch gibt. Kaufunger behauptet, dann eben ins Hotel zu gehen, er nennt zwei, drei große Namen.

Wir können Sie mit Wagen mitnehmen, bietet der Gentleman an, wir werden vom Bahnhof abgeholt.

So geschieht es, der Chauffeur des Wagens (kein gewöhnliches Taxi, sondern von einem Club) wundert sich über den dritten Fahrgast und verstaut das Fluggepäck der Lady.

Steigen wir erst mal ein, meint der Gentleman und setzt sich neben den Chauffeur, die Frau sitzt hinten und winkt Kaufunger zu sich. Unterwegs dann die Frage: Wohin?

To the club, entscheidet der Vordermann und fügt erklärend hinzu: … Lady first.

Darauf die Frau zu Kaufunger: To the club – is that okay?

Kaufunger antwortet, dass er lieber ins Hotel wolle, ins Imperial (den Name liest er gerade im Vorbeifahren).

The bar in your hotel – is it still open, what do you mean? fragt ihn die Frau.

Sure, sagt Kaufunger. Dann wollte sie auch lieber ins Hotel – together with you.

Der Mann vorne lässt anhalten.

Sie nehmen die Lady mit in Hotel? fragt er und fährt, ehe Kaufunger antwortet, fort: Okay, eine Nacht, das sind achthundert Euro und zwar jetzt, denn wir sehen uns nachher nicht mehr, ich fahr weiter in den Club. Ach, und Übernachtung, Getränke und so weiter übernehmen Sie, das ist ja klar.

Kaufunger sieht die Frau fragend an; sie lächelt und zuckt die Schultern. Ihr Manager wartet, ohne sich umzuschauen. Offenbar soll ihm der Kunde die Scheine über die Schulter reichen.

Ich habe kein Geld, sagt Kaufunger.

– Sie haben kein Bargeld bei sich?

– Auch keinen Scheck.

No check? sagt die Frau ungläubig, oh!

Der Manager dreht sich um und sieht ihn kurz an. Okay, sagt er, dann steigen Sie jetzt aus. Kaufunger sagt der schönen Brasilianerin Auf Wiedersehen.

Sie sieht ihn fragend an. – See you later!

– Oh yes – come to the club.

Kaufunger steigt aus, und das Auto fährt davon.

Er ist froh, dass er mit dem Schrecken davonkam. Aber ins Imperial, das kommt natürlich nicht in Frage. Also zu Fuß – oder irgendein Nachtfahrer nimmt ihn mit – nach Oberursel. Wo er denn in den frühen Morgenstunden ankommt.

II

Später fand Kaufunger auf dem Tresen in der Küche noch Kaffee in der Maschine, einen Zettel mit Besorgungen, eine zerbrochene Tasse; sein Brot steckte im Abfalleimer. Brenda Schneider war zwar, nachdem er sie aus dem Schlaf geklingelt hatte, noch mal kurz ins Bett zurückgekrochen, er daneben, aber jetzt war sie natürlich längst fort.

Für Besorgungen hatte er kein Geld; das brachte ihn darauf, heute endlich bei der IDA Centrale anzurufen, die sitzen ja in Frankfurt, auch wenn sie im brasilianischen Urwald tätig sind oder waren, vielmehr war Kaufunger dort tätig für sie. Er hatte bei denen noch was gut – Arbeitslohn für mindestens drei Monate.

Während er die Nummer suchte, Brenda musste sie haben, hat schließlich auch mal für die gearbeitet und noch heute Kontakt, – klingelte das Telefon.

Spreche ich mit Mac Artur? meldet sich der Anrufer. Kaufunger verneint.

Aber Sie kennen ihn? – Nein – Es geht nämlich um eine Erbschaft … –

Kaufunger schluckt: Ach ja? Und wer sind Sie?

– Starnberger Nachrichten, Redaktion Land und Leute, ich habe da Ihre Telefonnummer reingekriegt, bei Schneider, – stimmt doch?

– Hier sind die Kaufhunger Nachrichten …

– Ah so! Entschuldigen Sie.

Zufrieden mit seinem Scherz und durch die glücklich bestandene Gefahr bestärkt, rief Kaufunger bei der International Development Agency an und fragte nach Dieter Feudl.

Der meldete sich: Hallo? Wer – ach du bist’s … Gut, dass du anrufst! Seit wann bist du zurück in Deutschland?

– Schon eine Weile … Du, ich habe noch Geld von euch zu kriegen.

– Von der ARGE , richtig, für deine letzten Monate in Brasilien … Wir hatten damals den Kontakt zu dir verloren, dachten schon, du wärst im Urwald verschütt gegangen … (lacht)

– Wirklich? Aber du doch nicht … Außerdem hattet ihr mein Gehaltskonto.

– Natürlich, hab ich das nicht geglaubt, aber du weißt ja, die ARGE war etwas klamm damals, wir waren ja nur die Juniorpartner und die Amerikaner hatten doch unsere Konten eingefroren. Wir bleiben dran, du kriegst dein Geld noch, bestimmt. Aber was anderes: Was machst du so … – ? –

Nichts? Wir haben nämlich ein neues Projekt, eine Riesensache: Rumänien, Bulgarien, Türkei – und da haben Wir das Sagen! Wir suchen noch Partner … Na, da bist du doch dabei!

Was soll ich dabei, ich bin Übersetzer …

Jetzt mach dich nicht kleiner wie du bist, du mit deiner Auslandserfahrung. Du hast doch dort die Verhandlungen geführt, alles klar gemacht vor Ort – mit den Indios – genau, und wenn das da nicht weiterging, das war ja nicht deine Schuld. Aber jetzt kannst du ganz oben einsteigen, als Partner, mit Gesellschaftsvertrag, notariell abgesichert …

– Was soll ich denn einbringen?

– Na, deinen Namen zum Beispiel … ach ja, herzliches Beileid noch, dein Vater ist gestorben, wie ich gelesen habe, Merkator, das war doch dein Vater? – Ja.

– Na, da gibt’s doch jetzt warmen Regen, oder?

– Die Erbschaft –? nicht der Rede wert.

– Na na, und wenn’s nur der Pflichtteil ist, dann hast du doch ausgesorgt! Hallo? Ich glaub ja nicht, dass du nur noch am Strand liegst, mit schönen Frauen, an der Copacabana, du doch nicht … by the way, hast du noch Kontakt nach drüben?

– Ich will ein Buch schreiben über den brasilianischen Urwald, die Menschen, die Tiere … – Wirklich? Was macht eigentlich Manuela? Hast du sie mal wiedergesehen?

– Wie sollte ich? … nur Brenda Schneider.

– Schneider, Schneider … ach ja, die hat mal für uns gearbeitet.

– Und ist rechtzeitig nach Deutschland zurückgegangen …

– Ja ja, das waren Zeiten … aber jetzt, alter Junge, jetzt geht es richtig los! Dein Buch kannst du immer noch schreiben … Wir zählen auf dich!

– Ich weiß ja gar nicht, worum es geht.

– Warum kommst du nicht am nächsten Montag hier zu uns in die Zentrale? Wir haben da Teambesprechung – mit der Chefin, da können wir über alles reden. Ich bereite das vor und sage dir noch die Uhrzeit durch …

Kurz nach diesem Gespräch und während Kaufunger mental noch damit beschäftigt war, klingelte das Telefon: Herr Kaufunger? wurde er gefragt.

Ja, sagte er. Es war wieder die »Land und Leute«-Redaktion, und die Frau war froh, ihn diesmal drangekriegt zu haben. Sie wollte gern ein Interview mit ihm machen und könnte ihn auch gern an seinem Wohnort treffen.

Was wollen Sie wissen? fragte er in Geberlaune.

Nur ein paar Fragen wegen der Erbschaft, geht ganz schnell …

Und da er nun selbst neugierig wurde, konnte sie ihn leicht ausquetschen. Noch eine letzte Frage: Mac Artur, wie schreibt sich das eigentlich – ah so: Merkator.

Als sie sich sehr herzlich bedankte, fiel ihm noch die Bitte ein, ihn (Kaufunger) nicht namentlich in ihrem Blättchen zu erwähnen. Sie versprach’s.

Brenda kommt nach Hause, wortkarg, abgekämpft von der Arbeit in der Stadt. Er hat die Besorgungen nicht gemacht, hat aber auch keine Lust, essen zu gehen. Er schlägt ihr vor, die Flasche Wein mit ihm zu trinken und zu erzählen. Du zuerst.

Sie zieht sich ins Bad zurück, und lässt sich von dort mit Bürogeschichten vernehmen.

Sie kriegt alle Anfragen, Angebote, Einladungen und darüber ärgern sich die anderen; aber sie arbeitet ja auch für drei, die andern (in ihrem Team) werden zwar besser bezahlt, können aber nicht mal Briefe schreiben, vor allem die Studierten, die zum Teil noch jünger sind – benehmen sich wie die Analphabeten, verstehst du, kein Stil. Dann erzählt sie voller Stolz und Anerkennung von einem Inder Masutra, der sie abwerben möchte.

Kaufunger lachend: Masutra? Nicht mit Ka?

– Ein bekannter Mann in der Branche, schwer reich! Apropos …

 

Und damit tritt sie hervor aus dem Bad, im weißen Bademantel, … das war doch ein Witz, dass du nichts geerbt hast von deinem Vater!

Ein Witz? Kaufunger lacht.

Sie hätte da nämlich was anderes gehört.

– Vom wem?

Er soll Häuser, Firmen besessen haben, der Stararchitekt, ein richtiges Imperium! Sie hätte noch neulich mit Feudl drüber geredet, … auch so jemand, der möchte, dass ich für ihn arbeite, für die IDA, stell dir vor!

– Dieter Feudl?

– Der wusste alles über Merkator, aber er wusste nicht, dass das dein Vater war. – Wann war das, wann hast du ihn gesprochen? will Kaufunger wissen.

– Weiß nicht, am Dienstag vielleicht, jedenfalls als du weg warst, warum?

– Ich hab heute mit ihm gesprochen und da kannte er dich gar nicht mehr: Frau Schneider, wer ist das?

Ach du spinnst, sagt Brenda leichthin.

Nein, du spinnst, sagt Kaufunger, – von wegen Erbschaft … Hier die Flasche, das ist alles, ein guter Tropfen übrigens (er wiegt die Flasche kennerhaft in der Hand) und die trinken wir jetzt.

– Nicht, wenn das die ganze Erbschaft ist! (Sie reißt ihm die Flasche aus der Hand). Erst erzählst du, was du wirklich geerbt hast, du bist doch sein Sohn und Erbe – Bin ich das?

– Du spinnst wirklich, weißt du, wenn du dich nicht mal für dein Millionenerbe interessierst!

– Aber du interessierst dich dafür …

– Ich? Was hab ich denn damit zu tun?

– Tja, was würdest du tun, mit geerbten Millionen – Schulden?

– Wer sagt das?

– Die Gläubigerbanken. Von den Häusern bleibt da nicht viel …

– Wie viel? Hast du das geprüft?

– Kann ich drauf verzichten.

– Heißt das, du verzichtest drauf – auf das Erbe?!

– Hab ich vor.

Brenda hat einen roten Kopf bekommen, jetzt wird sie blass. Er sieht sie bedenklich an.

Ich möchte nicht wissen, wer sich am Ende sein Erbe unter den Nagel reißt, sagt sie, die schwarze Witwe wahrscheinlich …

– Sie ist blond.

– Oder ihre üppige Tochter …

Hab ich sie üppig genannt? will er wissen.

– Das hast du, und das war unfair!

– Wieso? Das steht ihr, jetzt erinner ich mich wieder.

– Was? Wem? Das wird ja immer schöner!

– Und du bist noch schöner … Hier und hier! Er zeigt und greift nach ihren Brüsten.

Weg da! Sie greift nach dem Stangenbrot, um ihm auf die Finger zu klopfen. Woher kommt das überhaupt, das war doch schon im Müll?!

– Von meinem Vater. Kaufunger nimmt den Kampf auf: Lass mich mal sehen, wer üppiger ist … – und pariert ihr Gefuchtel. Sie trifft mit dem Brot die Flasche, die Knall auf Fall am Boden zerbirst. Erschrocken hält sie inne und übergibt ihm das Brot: Tut mir leid.

Während sie mit angezogenen Beinen (die Füße in Badesandalen) auf dem Küchenstuhl sitzt, schiebt er die Glasscherben samt Flüssigkeit mit dem Besen weg und klagt: Mein Erbe, mein Erbe … , liest die Scherben auf und wirft sie in den Eimer zu den anderen, den Scherben von heute morgen; dann sieht er Brenda pfiffig an: Weißt du was? – Du hast bald keine Tassen mehr im Schrank!

Sie unsicher: Das ist doch nicht wahr …

Da entführt er sie aus dem Küchenchaos und macht sich an ihrem Bademantelausschnitt zu schaffen. Hey hey hey! ruft sie – und er: Dann machen wir den Schrank doch mal auf und nehmen sie raus, die kleinen Tässchen! Sie muss lachen und lässt sich küssen; er wirft sich mit ihr aufs Bett und von dort fliegen nur noch leichte Teile zu Boden.

Im Dämmerlicht draußen fliegen Vögel vorbei. Drinnen wird leise geschrien und gestöhnt.

Nach gemeinsam Einschlafen und Durchschlafen bis zum Morgen wurde Brenda als Erste wach. Was wollte Dieter von dir? Oder hast du ihn angerufen?

Kaufunger war gerade am Träumen: … auf Weiches getreten, schnell zurückgesprungen – was war das? Kein Licht, kein Ton, nur Gefühl – in den Zehen, beim Vortasten staubigen Boden erfühlt, Erdboden, Lehmboden, dann Samtpfote oder ein Wildlederbeutel mit Dukaten oder ein Stück Pflaumenkuchen, ein zusammengerolltes Schlänglein, Kröte, Aas, Pilzhut, ein Stofftier, eine offene Hand, auf dem Rücken liegend, die Finger leicht aufgebogen, den Druck erwidernd – zupackend …

Was? Kaufunger ließ sich die Frage wiederholen, dann antwortete er: Ich habe von Dieter noch Geld zu kriegen, von der IDA … – Und? Kriegst du’s?

– Er will, dass ich bei einer ganz tollen neuen Sache mitmache …

– Das hat er dir vorgeschlagen? Brenda wartete keine Antwort ab, sondern verschwand im Bad. Später war ihm, als hätte sie Tschüss gerufen, jedenfalls war sie schon fort, als Kaufunger aufstand.

Merkators Testament

Im Leben erregte er Aufsehen mit spektakulären Bauten im In- und Ausland. Nun sorgt auch sein Tod für Aufsehen. Der Stararchitekt verstarb mit 71 Jahren in Kolumbien an den Folgen eines Unfalls. Sein Vermächtnis stellt alle, die ihn persönlich kannten, vor ein Rätsel. Laut Testament, das an seinem letzten Wohnsitz, einem von ihm selbst erbauten exklusiven Anwesen am Starnberger See, eröffnet wurde, vermachte er einem Sohn aus erster Ehe ein Stück Brot. Alle anderen Angehörigen, auch seine langjährige Lebensgefährtin mit drei unmündigen Kindern, gingen völlig leer aus. Dabei hat der Architekt zahlreiche Grundstücke besessen und sein Vermögen in den letzten Jahren durch Verpachtung und Handel mit Immobilien noch beträchtlich vermehrt. Ein bekannter Immobilenmakler aus München antwortete auf die Frage, ob das Imperium Merkators nicht -zig Millionen wert sei, vielsagend »das könnte hinkommen …«. Von Insidern wird nun behauptet, dass sich Merkator in den letzten Jahren nur noch seinem Hobby, der Archäologie, gewidmet hätte und dazu eigene Expeditionen gestartet hätte. Hat Merkator sich deshalb kurz vor seinem Tod von seinem Imperium getrennt? Hat er es veräußert oder sogar, wie behauptet wurde, verschenkt? Nicht nur die Familie des Erblassers interessiert sich für den Verbleib der Millionen, sondern auch das Finanzamt, dem womöglich Erbschaftssteuer ebenfalls in Millionenhöhe entgeht. »Wir ermitteln nach allen Seiten«, verlautet von dort.

Nur der Sohn hätte, wie Teilnehmer an der Testamentseröffnung berichten, sein Brot ohne ein Zeichen von Enttäuschung oder Protest entgegengenommen. In diesem Zusammenhang ist vielleicht der Hinweis von Bedeutung, dass Merkator sich in letzter Zeit der Erforschung der Umtaka-Kultur gewidmet hat (weshalb seine letzte Reise auch in Bolivien endete). Was wie ein Fastnachtsschlager klingt, ist der Name einer lange untergegangenen Indianerkultur, von der nur wenig bekannt ist. Bei jüngsten Grabungen wurden aber Beweise für eine hochentwickelte Technik des Zeltbaus und für eine sonst unbekannte Heilnahrung gefunden. Nach altindianischer Überlieferung sollen die Umtaka deswegen sogar unsterblich sein. Die Frage ist nun, ob hinter dem Brot doch etwas anderes steckt als ein makabrer Scherz des Verstorbenen.

So las man’s im Wirtschaftsteil der Zeitung, die Kaufunger allmorgendlich aus Brenda Schneiders Briefkasten zog. Er traute seinen Augen nicht und musste es drei Mal lesen, von Mal zu Mal verstörter. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass dieser Lügenartikel auf sein Telefoninterview mit einer andern Zeitung zurückging. Allerdings: Er wurde, wie versprochen, nicht namentlich genannt. Auch erkannte er manches wieder, was er am Telefon erwähnt hatte, – aber wie entstellt! Er notierte sich die ärgsten Schnitzer für einen geharnischten Anruf bei der Redaktion:

– Testament – gab’s nicht, also wurde auch Kauf. von Merk. kein Brot vererbt,

– Wert des Immobilenvermögens und der Münchner Makler – frei erfunden;

– von wg. Finanzamt – Kaufunger hat gesagt: nein, hab keine Erbschaftssteuer gezahlt, wofür auch? Der Artikel: Ermittlungen des Finanzamts. Laufen … – Quatsch;

– Frau Schäfer hat drei kleine Kinder – vielleicht hat Kauf. gesagt: hat Kinder;

– Merkators Hobby – Kauf. hat gesagt: habe M. zum letzten Mal in Südamerika getroffen, als ich selber in Brasilien lebte.

– Umtaka-Indianer, davon war nie die Rede –

Hier unterbrach sich Kaufunger beim Notieren, um Annemarie Schäfer anzurufen, denn von allen Verdrehungen, Falschmeldungen und wilden Spekulationen in dem Artikel regte ihn am meisten die Behauptung auf, dass Merkator in Bolivien – oder Kolumbien! – nach welchem Unfall? – gestorben sei. Und wer, wenn nicht die Witwe, konnte ihm sagen, wie es wirklich war, auch wenn sie ihm das bei seinem Besuch, umständehalber, vorenthalten hatte.

Es klingelte in Inge Schäfers Wohnung, aber niemand ging dran. Beide, Tochter mit Mutter, waren unterwegs zum Arzt. Die Frau spürte Beklemmungen, die Kreislaufbeschwerden waren wohl nicht neu, aber jetzt doch heftig, und es kamen kurze Aussetzer dazu, mit Schrecksekunde. Natürlich fuhren sie zur Praxis von Dr. Hau, der sonst zu Merkator nach Hause kam, aber sich diesmal über einen automatischen Anrufbeantworter bitten ließ und nicht kam.

Beim Betreten des Empfangsraums hörten die beiden laute Stimmen, aber es zeigte sich niemand. Erst schrie einer: Ich will praktizieren! Dann erwiderte jemand (Dr. Hau?): Sie sind ja verrückt. – Aber ich bin fertiger Mediziner! – Ach nee, Sie schleichen sich hier als Patient ein und dann wollen Sie meinen Job machen … – Assistieren, nur assistieren! – Raus hier, ich brauche niemand! – Sie schaffen das doch nicht alleine!

– Was schaffe ich nicht?! – Na, Ihre Patienten verarzten! Ich habe mit einigen gesprochen … – Was haben Sie? mit meinen Patienten gesprochen?! – Ich bin Arzt … – Sie sind das Letzte! –

Brauchst du mich? (ruft eine dritte Stimme) – Nein, den schaff ich alleine! Wenn Sie nicht sofort verschwinden, Sie Mediziner Sie, dann … – Hierher! Hier geht’s raus! (Geräusche eines Rauswurfs).

Ruhe kehrte ein, bis auf die kleinen Pling- und Klick-Geräusche der elektronischen Anzeigetafel – wie in einem menschenleeren Spielsalon. Nur Tochter Inge und auf sie gestützt Mutter Schäfer waren da, um den herzlichen Willkommensgruß zu lesen, der über die oberste Schriftzeile lief. Den weiteren Wünschen und Anweisungen war Folge zu leisten.

Stecken Sie Ihre Chipkarte in den Schlitz. Sie sind zum ersten Mal hier.

(Stimmt, sonst kam ja Hau ins Haus). Wählen Sie eine Sprache. Klicken Sie auf Ihre Krankheit, Beschwerden, Symptome. Solche waren in drei Kolumnen auf dem großmächtigen Bildschirm aufgelistet. An fing’s mit Armschmerz (Piktogramm: ein rosa Arm), klickte man das an, erschien daneben eine Liste zur Auswahl: Schnittwunde (Piktogramm: Arm mit drei Blutstropfen), Knochenbruch (Piktogramm: Arm, geknickt) usf.

Inge bückte und reckte sich, um die richtige Zeile zu finden, dabei lugte kurz ein weißer Kittel hinter der Tafel hervor – schon verschwunden, dann drückte sie Herzflimmern und nun hatte sie die Wahl zwischen Notfall, akute oder chronische Beschwerden (in diesem Fall: Kontrolle oder Rezept?) – Oder wünschen Sie eine privatärztliche Beratung? Das drückte die Tochter überglücklich, während die schwankende Mutter ihr in den Arm fiel. Und schon erschienen ein Pfeil und eine Zahl – was mochten sie bedeuten? Sprech- oder Wartezimmer? Aber da erschien auch schon, im weißen Kittel, er selbst, Doktor Hau. Dann hat er doch richtig gesehen – Frau Merkator, nicht? – (das zwar nicht, sondern …) Schäfer, wir haben uns bei Merkator gesehen, bei Ihrem letzten Hausbesuch – Genau! – Nicht lang vor seinem Tod. – Ja genau, tut mir sehr leid, hab’s in der Zeitung gelesen, aber da war wohl nichts mehr zu machen … (Inge: Sie haben auch vorher nichts gemacht!) Ach, kommen Sie doch rein. Um was geht’s denn heute? – Es geht um meine Mutter!

Zurück zu Kaufunger, der nun doch die Zeitungsredaktion anrief. Seine Kritikpunkte, ehe er sich’s versah, wurden mit Fangfragen gekontert und mit der Versicherung, dass sie natürlich, wenn er das anders sähe, diese seine Gegendarstellung sehr gerne bringen würden. Am besten in Form eines Interviews mit ihm. Was bestimmt interessant würde! Und da wäre auch noch mehr für ihn drin.

– Aber die Leute auf der Abbildung, rief Kaufunger, die kenn’ ich gar nicht!

– Ach ja? Dann machen wir eben neue Fotos – von Ihnen und von der übrigen Familie oder Sie liefern uns welche.

– Und was hat die Heilkost der Umtaka mit meinem Stangenbrot zu tun? Nichts! – Kommen Sie einfach in unsere Redaktion, und bringen Sie das Brot mit! – Ich soll …? – Oder wir kommen zu Ihnen, wo wohnen Sie?

Kaufunger war so schlau, seine Adresse – bei Brenda – nicht zu verraten, sondern einfach aufzuhängen; er war aber nicht so schlau, sich vorzustellen, wie leicht es sei, nach seinem Anruf, nicht nur den Anschluss, auch die Wohnung festzustellen, von wo er angerufen, samt Namen der Bewohner, deren Beruf, Bonität, eben alles, was er nicht selber verraten hat. Und dass so leicht beschaffte Daten schwerlich jemand für sich behält, weil jedes seine Zuträger hat, denen man noch was schuldet, und Freunde in der Branche, die’s einem auch ungeschuldet abknöpfen, wenn nicht Kunden, denen man’s verkaufen kann – von den Diensten nicht zu reden, die einen abschöpfen nach Belieben.

 

Jedenfalls war Kaufunger überrascht, dass er schon bald von dritter Seite angeklingelt und gefragt wurde: Sie sind doch der Mann mit dem …? Ich hätte da …

Weiter wollte Kaufunger nichts hören und legte auf.

Brenda kommt nach Hause, aufgepasst.

Was machst du an meinem Computer?

– Ich schreibe …

– An wen? Lass mich sehen – Brüllaffen?!

– Eifersüchtig?

Sie lässt sich stöhnend auf den nächsten Stuhl fallen.

– Ich kann das erklären …

– Ich warte.

– Ich schreibe ein Buch über Brasilien.

– Seit wann schreibst du Bücher?

– Habe eben angefangen.

– Mit den Brüllaffen …

– Ja, und wenn du mich nicht unterbrochen hättest …

– O entschuldige! sagt Brenda, sie hatte gedacht, dass er sich wo bewirbt oder sonst was Nützliches macht.

– Putzen? Kochen?

– Das hat sie nicht gesagt.

Er hätte, sagt er einlenkend, immerhin die Scherben weggemacht.

Welche Scherben?! Das klang wie ein einzelner Vogelschrei inmitten des üblichen Urwaldparlandos oder Geschnatters auf dem Affenbrotbaum. Tatsächlich ist er diesmal nicht auf Scherben getreten, aber gerochen hat er’s, ein schwerer Duft im Bad heute früh; er stammte aus einem auf den Fliesen zerschellten Parfumfläschchen und hatte sich in der Wohnung uneinholbar wie der Geist aus der Flasche verteilt. Sie hatte die Glasscherben selber verschwinden lassen, er nur ein paar Splitter.

Na komm, ich lade dich zum Essen ein, schlägt Kaufunger vor.

– Mit deinem vielen Geld! – Hast ja, wie ich höre, eine Erbschaft gemacht …

– Ich habe Kredit.

– Was hast du?

– Wirklich! Ein Bänker, der mich von früher kennt, hat neulich zu mir gesagt: so viel Sie wollen, jederzeit … (Das war allerdings eine Weile her)

– Du willst einen Kredit aufnehmen?

– Ich denke an 100.000 für’s Erste.

– Nicht witzig!

– Ich kann auch Geld verdienen, wenn ich will …

– Wie denn? Wo denn? Als was denn? – Als Bücherschreiber?

– Als Unternehmer, Entrepreneur!

– Also Projekte machen – hast du nicht genug davon, nach deinem tollen Abgang in Brasilien? Aber das liegt wohl in deiner Familie …

– Hochinteressante Sache, Osteuropa, mit Dieter Feudl zusammen, die IDA reißt sich um mich …

In Brenda reift erkennbar der Entschluss, seine komischen Luftnummern mit einem gezielten Luftschlag zu parieren, der ihn haarscharf streifen soll.

Mit Feudl? fragt sie.

– Wundert’s dich?

– Du glaubst, dass er dir noch mal eine Chance gibt?

– Ich weiß es, er hat mich deswegen angerufen …

– Mich auch, wir stehen ja in engem Kontakt – und jetzt sag ich dir was: Dieter hat gedacht, dass du Multimillionär geworden wärst, wie ich übrigens auch, und deshalb wollte er, dass du in sein Osteuropa-Projekt einsteigst, als Finanzier – aber seit er weiß, dass du pleite bist …

– Woher weiß er das – von dir?

– Steht doch in der Zeitung!

– Ach, der Artikel mit dem Indianerbrot …

– Du kennst ihn? Hast ihn vielleicht selbst geschrieben?

– Quatsch, alles Quark. Mit ihm hätte das nichts zu tun.

Das konnte sie nicht wissen, meint Brenda, sie hätte ihn nicht gelesen, nur davon gehört, aber viele Leute hätten ihn gelesen und das sei schlimm genug. Sogar Masutra hätte sie darauf angesprochen – als hätte sie was damit zu tun!

Was daran so schlimm sei, fragt Kaufunger.

Brenda sitzt noch immer im Mantel auf dem falschen Platz oder jedenfalls nicht auf ihrer gewohnten Astgabel. Und warum? Weil er da sitzt, der Mitbewohner; es ist aber ihr Baum!

Sie appelliert an seinen Respekt. Es ist nämlich so, dass sie an einer sehr wichtigen Sache dran ist, die für ihre künftige Stellung in der Geschäftswelt entscheidend ist. Kaufunger zollt ihr mit vorgeschobenem Kinn Respekt. Es geht um ein internationales Joint Venture mit hochkarätigen Partnern – Aus Indien? – die sehr sensibel auf Informationen und auf Gerüchte reagieren, das sollte er einfach respektieren.

Aber was hat das mit mir zu tun? Ich kenn doch gar nicht deine Joint-Partner …

– Nicht witzig!

– Und ich sage nichts, höre nichts und schau auch nicht hin, wie du mit denen das Geschäft deines Lebens machst …

– Aber sie kennen dich! Du solltest schließlich mal mitarbeiten bei diesem – Geschäft.

Der Ausdruck missfällt ihr höchlichst, als hätte er von Affenscheiße gesprochen.

– Du meinst, als ich noch Millionär war …

– Aber du hattest ja was Besseres vor! Und jetzt …

– Und jetzt? – Will ich, dass du dich da raushältst!

Sie will nichts mehr hören von verschwundenen Millionen und von dem trockenen Brot, das er geerbt hat.

– Sollst du auch nicht!

– Ich will, dass du mir den Rücken freihältst!

– Mach ich doch, mein Brülläffchen, gib mir erst mal deinen Mantel, dann kraule ich dir bisschen den Rücken und dann, dann weiß ich noch was Besseres …

Das verfängt diesmal nicht. – Rühr’ mich nicht an! unterdrückt sie nur mühsam und sieht stattdessen mit scharfen Äuglein umher, als suche sie eine Kokosnuss oder etwas anderes zum Zerdeppern.

Er konnte ihr dann doch noch den Mantel abnehmen. Sie schloss mit der nachdrücklichen Bitte, dass auf ihrem Computer nicht mehr über Brüllaffen geschrieben werde.

Ist das alles? fragte er. Natürlich nicht, das wusste er selber; sie hatte alles nur kurz angerissen (wie sie gern sagte), aber das bedeutet nicht, was Bauzeichner (oder Architektensöhne) darunter verstehen mögen, sondern bei ihr war das eher so wie Ritzzeichen an Bäumen anbringen, die in den nächsten Tagen gefällt werden sollen.

Da sei noch etwas, fuhr sie also fort, sie werde einige Leute zu sich einladen, nächste Woche, Dienstag, zum Abendessen. Masutra hätte sich für das entscheidende Treffen mit den Partnern einen privaten Rahmen gewünscht, nach Landessitte. Es werden außer Masutra kommen: unser Partner aus den Staaten, Herr Feudl mit Begleitung …

– Dieter Feudl?

– Wir sind also zu sechst mit dir.

– Mit mir?

– Ja, auf Wunsch von Masutra, frag mich nicht, warum.

– Landessitte – heißt: Indisch? fragte Kaufunger. Sie sah ihn unwirsch fragend an. – Ich meine, wirst du indisch kochen?

Ach so, das wusste sie noch nicht. Aber er: Sie kochte überhaupt nicht, das sollte schon er machen.

Aber jetzt wollte er essen gehen, er hätte Appetit drauf.

– Bitte … Willst du Geld?

– Ich werde mich irgendwo einladen, ich weiß auch schon, wo …

– Das tust du nicht! rief sie und zog den Mantel wieder an. Ich habe vielleicht auch Hunger.

Als er sie überrascht ansah, konnte sie nicht umhin, kurz zu lachen.

Statt einer Gegendarstellung von Kaufunger erschienen Leserbriefe zu dem Zeitungsartikel. Ein Bankvorstand schrieb: … mit Interesse von dem Verschwinden des Millionenerbes gelesen. Von Verkauf oder Verschenken kann aber keine Rede sein …

Ein Prof. Dr. Neus hält Umtaka für einen Druckfehler. Bekannt sei vielmehr, dass die Ainumtakl eine besondere Leichtbautechnik beim Boots- und Hausbau entwickelt haben. (Vgl. Neus: Altindianische Kulturtechniken zwischen Anden und Atlantik).

Auch haben sie eine höhere Lebenserwartung gehabt als zum Beispiel die Azteken. Unsterblichkeit wird verschiedenen Stämmen nachgesagt; das ist besonders dann der Fall, wenn, wie er im Fall der Ainumtakl nachweisen konnte, keinerlei sterbliche Überreste, Gräber oder Hinweise auf andere Bestattungsformen gefunden wurden.

Den Namen wollte sich Kaufunger merken, vielleicht kann er den Mann treffen, um Näheres zu erfahren.