Za darmo

Verwehte Spuren

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Wenn das Weib noch lebt, sie nannte sich eine Miskutake, merkt Euch den Namen, das heißt Bohnenblüte, ob sie gleich aussah wie ein: vertrocknete Rübe, so kann sie Euch vielleicht für Euren Zweck von Vorteil sein. Nehmt das Ding mit Euch, nützt‘s Euch nichts — so bringt‘s ja auch keinen Schaden.«



»Ich nehme es mit Dank an, Herr Konstabel, und hoffe, das Zeichen soll mir Vorteil bringen.«



»Mag es sein. Fremder.«



»Ist eine eigene Sache mit diesen Totems der Wilden,« ließ Baring sich vernehmen, »haben ihre Bedeutung und werden auch von den Leuten respektiert. Haben unter sich ganz wunderliche Gebräuche die Roten, man kann nur nicht ordentlich dahinter kommen, so viel man‘s auch schon versucht hat.«



»Ah, da kommt ja John, dem wollen mir das Ding einmal zeigen.«



Langsam schritt der Indianer auf die Gruppe unter der Sykomore zu, um das Gesicht hing feucht das schwarze Haar hernieder.



Er pflegte nach überstandenem Rausche den Kopf in kaltem Wasser zu baden, und das mußte er auch jetzt getan haben.



Als er vor den Männern stand, die ihn schweigend herankommen ließen, richtete er die Augen aus Edgar und sagte: »Kommen danken, Gutherz schenken Athoree schönes Messer — er sehr freuen.«



Der Graf hatte ihm in der Tat ein schönes Jagdmesser von vorzüglichem Solinger Stahl, und reich ausgestattet, geschenkt, was dem Indianer großes Vergnügen bereitet hatte. Er trug die schöne Waffe, welche wenig zu seiner ärmlichen Kleidung paßte, jetzt im Gürtel.



»Es freut mich, Athoree, wenn das Messer dir gefällt, mögest du noch manchem Hirsch den Genickfang damit geben.«



Grover, der den Totem gerade in der Hand hatte, hielt ihn jetzt dem Indianer vor Augen und fragte: »Was ist das, John?«



Athoree sah die Figur an, ohne eine Muskel seines Gesichts zu bewegen, und sagte langsam: »Das, denke Totem von roten Leuten.«



»Kennst du‘s nicht?«



»Nicht kennen.«



»So bist du also kein Ottawa?«



Der Indianer ließ sein dunkles Auge im Kreis herumschweifen, antwortete aber nicht.



»Kannst du erkennen, John, welchem Stamme dieser Totem angehört?«



Der Indianer nahm die Figur in die Hand, betrachtete sie genau und antwortete dann: »Jedes Volk eigene Totems, ihn nicht kennen, vielleicht Ottawa.«



»Glaubst du denn, daß ein solcher Totem dem, der ihn trägt, Nutzen bringen kann?«



»Totem, gut, bei rotem Mann, rechter Totem.«



»Ich verstehe, du willst sagen, wenn einem roten Mann ein Totem seines Stammes gezeigt wird, so ist es vorteilhaft für den Träger desselben?«



»So meinen.«



»Um so mehr weiß ich jetzt Ihr Geschenk zu schätzen, Herr Konstabel, wir wollen diesen Talisman verwenden, sobald wir mit den Ottawas zusammenkommen.«



»Wolltest du etwas, John?« fragte ihn Grover.



»Athoree will mit Gutherz reden.«



»O, ich stehe dir zu Gebote, Athoree,« sagte Graf Edgar und erhob sich. »Willst du mich allein sprechen?«



»Ihn allein sprechen. Komm mit.«



Er ging und der Graf folgte ihm, während die andern unter der Sykomore zurückblieben.



Der Indianer führte Graf Edgar schweigend zum Flusse, lud ihn dort ein, das Kanoe zu besteigen, und ruderte dann den Muskegon hinauf.



Der junge Mann fügte sich dem Indianer und richtete keine Frage an ihn.



Nach kurzer Frist legte Athoree an dem linken Ufer an und ging in den Wald, wohin Graf Edgar ihm nachging.



Vor einem Erdaufwurf von ziemlichem Umfang, der sich kahl zwischen den Bäumen erhob, stand der Indianer still.



Nach einer Weile sagte er leise, in fast feierlicher Weise: »Grab von großem Häuptling.«



»O,« sagte der Graf, »ist das der Grabhügel eines Mannes deines Volkes?«



»Gebeine von großem Häuptling ruhen hier. Stammt Athoree von Meschepesche, dem großen Panther meines Volkes, ab.«



»Er enthält also die Gebeine deines Ahnherrn?«



»Großer Häuptling — der Wyandots. Athoree Wyandot. Nicht sagen hier, Gutherz; fragen immer nach Stamm, brauchen nicht zu wissen, Gutherz wissen, Athoree Wyandot, das genug, nicht andern sagen.«



»Ich will darüber schweigen.«



»Sagen ihm, damit nicht denken Ottawa; Wyandot ganz ander Volk, andre Sprache.«



Er ließ sich auf einem am Boden liegenden Stamm nieder und Graf Edgar setzte sich neben ihn.



»Hier Grab von großem Häuptling der Wyandots — lange tot — vor vielen Sommern in glückliche Jagdgründe gegangen. Jagten einst die Wyandots hier in den Wäldern, dies ihre Jagdgründe, wohnten hier, war das Land von See zu See ihr Eigentum. Lange her — lange her. Sind arm die Wyandots, arm und schwach — wohnen jetzt weit fort, an anderem See.«



»Also es leben noch Leute deines Volkes?«



Athoree nickte.



»Leben noch viel — sind arm.«



»Und du lebst von deinem Volke getrennt, Athoree?«



Der Indianer senkte den Kopf und erwiderte erst nach einiger Zeit: »Leben nicht bei Wyandots — ich nicht sagen, warum, nicht jetzt. Wollen nicht bei andrem roten Mann wohnen. Leben hier, damit einst begraben werden hier bei großem Vater.«



»Warum hast du mich hergeführt?«



»Will mit dir allein reden, hier reden, reden am Grabe von meines Volkes Häuptling. Hier nur Wahrheit reden, der große Panther hört es.«



Leise säuselte der Wind in den Blättern. Die tiefe Stille des Waldes, der alte Grabhügel vor ihm, der Sprößling eines Volkes, welches einst hier herrschte, neben ihm, der feierliche Ton, in welchem der Indianer mit ihm sprach, das alles machte auf den Grafen besonderen Eindruck.



Es beschlich ihn ein Gefühl, als ob der Geist des alten Indianerhäuptlings sie umschwebte.



Er blickte in seines roten Gefährten ernstes Gesicht und sagte: »Athoree möge reden.«



»Erst sagen, warum gehen zu Ottawa?«



»Es ist dir schon mitgeteilt, ich suche die Spur meiner Schwester, welche die Ottawas vor drei Jahren vom Manistee in die Gefangenschaft geführt haben, und du sollst nun helfen, sie zu finden.«



»Nicht mehr Spur finden — Sonne, Wind und Regen Spur längst verweht.«



»Vielleicht lebt sie noch in der Gefangenschaft der roten Männer.«



»Nicht wagen, weiße Frau gefangen halten — nicht wagen,« sagte der Indianer nachdrücklich.



»Und lebt sie nicht mehr, so will ich ihre letzte Spur auf Erden, ihr Grab suchen.«



»Gut. Athoree suchen und finden Meschepesches Grab, suchen deiner Schwester Grab, ihn auch finden.«



»Und willst du mir beistehen?«



»Du gesehen Athoree im Nebel, dicker Nebel, dreimal, einmal. Du gut gegen fremden betrunkenen Indianer, schützen ihn gegen rote Hand — du Gutherz — nicht vergessen. Du denken, Athoree schlechter Injin, weil trinken Rum, viel Rum, bis Nebel ganz dick im Kopf. Trinken nicht auf Jagd, nicht auf Kriegspfad, trinken, wenn böse Gedanken kommen, viel böse Gedanken, Rum scheuchen sie weg, und Athoree sehen glückliche Jagdgründe vor sich, sehen die Wyandots, wie sie noch herrschen im Land, und zahlreich sind, wie die Blätter des Waldes. Darum Athoree trinken.«



»Nun, ich habe zu meiner Freude gesehen, daß du, sobald ernste Forderungen an dich herantreten, auch dem Rum entsagen kannst.«



»Immer nur trinken, wenn der böse Geist Degschuhvenoh sendet schlimme Gedanken.«



»Ich schenke dir, Athoree, wenn du mich begleiten willst, mein volles Vertrauen.«



»Da» gut, ihm vertrauen, das gut.«



»Und willst du mit mir gehen?«



»Ich will mit dir gehen nach Norden. Vielleicht sendet mich Manitou dorthin — vielleicht,« setzte er leiser hinzu, »der böse Geist — Athoree will gehen und dich beschützen.«



»Gut, ich danke dir.« Und der Graf reichte ihm die Hand, die der Indianer mit einem freundlichen Lächeln nahm und drückte.



»Meschepesche alles hören, nicht Lüge sagen, wo er hören — gerade Zunge, eine Zunge.«



»Das setze ich voraus.«



Der Indianer stand auf und bestieg langsam den Totenhügel, den er, seitdem er in dessen Nähe weilte, durch Entfernung der ihn überwuchernden Pflanzen emsig pflegte. Oben begann er leise zu singen in nicht unmelodischen langgetragenen Tönen. Dreimal umschritt er in der Höhe den Hügel, dann verstummte sein Gesang, und er kam wieder herab.



»Meschepesche sagen, daß Athoree gehen mit weißem Mann nach Norden, ihm sagen, sonst denken, Enkel undankbar gegen großen Vater. Komm, Gutherz, jetzt gehen.«



Bald befanden sie sich wieder in Grovers Heim, wo noch immer Baring weilte, während der Konstabel sich bereits entfernt hatte. Der junge Mann teilte den beiden mit, daß der Indianer ihm erklärt habe, er wolle ihn begleiten.



»Es ist ein hohes Zutrauen, John, welches dir der Fremde schenkt, und wie ich dich kennen gelernt habe, wirst du es rechtfertigen.«



»Athoree nur eine Zunge, ihn führen hin, ihn führen her.«



Es wurde nun noch mancherlei über die Fahrt in die Wälder gesprochen und dem Grafen Ratschläge erteilt. Besonders aber ihm empfohlen, sich in Lansing vorerst die nötigen Empfehlungen zu verschaffen.



In freundlich väterlicher Weise nahm dann Baring Abschied von ihm, ihn wiederholt bittend, ihm von den Resultaten seiner Forschungen Mitteilung zu machen, was Graf Edgar versprach.



Am andern Tage erhandelte er dann zwei Pferde von Jones, das eine für sich als Ersatz für das von Morris geraubte Tier, ein andres für den Indianer, und am Morgen des dritten Tages traten sie, Athoree stattlich mit neuer Kleidung ausgerüstet, die ihm der Graf gekauft hatte, nach einem herzlichen Abschiede von den braven Grovers, die den jungen deutschen Edelmann lieb gewonnen hatten, die Reise nach Süden zu an, den Weg, den sie vor wenig Tagen gekommen waren.





Fünftes Kapitel. In Lansing



In dem freundlichen Lansing, der Hauptstadt Michigans, schritt, es ist mehr als eine Woche vergangen, seitdem wir Grovers Farm verließen, Graf Edgar in städtischer Kleidung dem Gouvernementsgebäude zu. Den größten Teil seines mitgeführten, teils ihm von Detroit nachgesandten Gepäckes hatte er, ehe er seine Reise zum Muskegon antrat, hier in einem Hotel zurückgelassen, so daß es ihm leicht ward, seine für den Wald berechnete Kleidung angemessen zu verändern. Gaben Tracht und Haltung den Mann vom Stande zu erkennen, so würde jeder Europäer, und besonders der Deutsche, auch sofort in ihm den Offizier im Zivilkleide erkannt haben. Heinrich war mit ihm in Lansing, während er den an die Städte nicht gewöhnten Indianer in einem einsamen Wirtshause vor der Stadt zurückgelassen hatte, um ihn später wieder zu sich zu rufen.

 



Leichten Schrittes stieg der Offizier der Königsgrenadiere die zum Gouvernementsgebäude führende Treppe hinan und ersuchte im Vestibül einen Bediensteten, ihn zu dem Sekretär Mr. Myers zu führen.



Alsbald stand er vor einem behäbigen Herrn von untersetzter, kräftiger Statur, dessen braunrötliches, frisches Angesicht keineswegs auf einen Stadtbewohner schließen ließ.



Mr. Myers empfing den Grafen höflich, und als ihm dieser, nach seinem Begehr gefragt, das Schreiben Barings eingehändigt, lachte der schon bejahrte Herr, als er es erblickte, so herzlich, daß ihm die Tränen in die Augen traten: »Verzeihen Sie, Herr Graf, meinen ungezügelten Ausbruch von Heiterkeit, aber dieses Schriftstück ist die seltsamste Ausgeburt des Hinterwaldes, die mir je vorgekommen ist. Alter ehrlicher Joe, wir sind Jugendfreunde, Baring und ich, Herr, was mag dir dies Dokument Schweißtropfen gekostet haben —« Und er lachte herzlich von neuem.



Endlich öffnete er den Brief, blickte hinein, und wurde während des Lesens immer ernster. Er legte ihn dann beiseite und sagte: »Aller Beistand, Herr Graf, den ich zu leisten vermag, soll Ihnen gern zu teil werden. Die traurige Angelegenheit hat uns seiner Zeit viel beschäftigt. Indessen ist der Einfluß der Regierung auf jene einsamen und entfernten Gegenden wie auf die in unserm Staate lebenden Indianer nicht bedeutend. Wir hängen dort von untergeordneten Organen ab, die nicht immer zuverlässig sind, wie ich mit Bedauern eingestehen muß. Ich selbst bin im Walde und an der Indianergrenze aufgewachsen, deshalb hat man mich auch hier mit den Indianerangelegenheiten betraut, und kenne ziemlich Land und Leute, bin ja auch nicht ohne Einfluß, besonders auf das Haupt der Ottawas, den Peschewa, aber dieser Einfluß ist sehr bedingter Natur, wie denn ein Indianer in seinen Launen ganz unberechenbar ist. Gern gebe ich Ihnen ein Schreiben an den Mann mit, er kennt das Regierungssiegel, wenn er auch den Inhalt ohne einen Dolmetsch nicht enträtseln kann, und ein solcher ist nicht immer bei der Hand, aber das Siegel legitimiert Sie wenigstens. Sind Sie in der Lage, einige Geschenke hinzuzufügen, wie jene Leute sie lieben, so wird das den Eindruck des Regierungsschreibens wesentlich verstärken. Unser Agent dort oben am Manistee wird Ihnen auf mein Ersuchen ebenfalls alle möglichen Dienste leisten, und Sie können auf der Agentur alles das erlangen, was Sie für die Indianer als Geschenke brauchen.«



Der Graf sprach seinen verbindlichsten Dank aus.



»Warnen aber muß ich Sie, Herr Graf, meinem Briefe an den Peschewa einen besonderen Wert beizumessen, er ist ganz unabhängig und nicht immer gut auf uns hier zu sprechen; ferner muß ich Ihnen mitteilen, daß die Regierung mit diesem Schriftstück durchaus keine Garantie irgend welcher Art für Ihre Sicherheit unter den roten Leuten übernehmen kann. Was Sie wagen, und es ist ein Wagnis, unternehmen Sie auf eigene Gefahr. Unsre Macht ist, wie ich bereits sagte, dort oben beschränkt, und es kann leicht sein, möge Gott es verhüten, daß Sie ebenso spurlos verschwinden, wie Ihre beklagenswerte Frau Schwester. Wir können Sie nicht schützen. Wie ich aus dem Briefe ersehe, hat Ihnen Joe Baring schon genügende Mitteilungen über das, was damals, nach beendetem Kampfe, im Interesse Ihrer Schwester geschehen ist, gemacht; es ist in der Tat nichts versäumt worden, das wird Ihnen mein alter Joe bestätigt haben.«



»Gewiß, Sir, gewiß.«



»Die Gefahren, welche Sie dort oben erwarten, sind größer, als Sie ahnen können. Unsre Indianer sind, seit sie auf ihren Reservationen angesiedelt sind, moralisch gesunken, und ihr Sittlichkeitsgefühl hat nicht dadurch gewonnen, daß sich öfters von der Obrigkeit eifrig gesuchte Mörder und Diebe zu ihnen flüchten.«



Edgar erzählte nun dem freundlichen alten Herrn von den Vorgängen der letzten Tage und von dem für die Fahrt angeworbenen Indianer.



»Von dem, was dort am Muskegon geschehen ist, haben wir bereits Nachricht erhalten, und es ist alles getan, was wir tun können, um besonders den berüchtigten Morris zu fassen. Aber Sie werden sich selbst überzeugt haben, wie weit die Kraft des Gesetzes in jenen Distrikten sich erstreckt, unsre Hinterwäldler müssen das Beste dabei tun. Und was den Indianer anbelangt, wenn der erfahrene Baring damit einverstanden ist, können Sie ihn ruhig mitnehmen; daß er trinkt, kann gelegentlich unangenehm werden, schadet aber schließlich nichts, und was Sie mir von dem Manne erzählen, spricht ja für ihn. Jedenfalls ist er im Walde und im Verkehr mit den Roten eine treffliche Hilfe.«



Edgar mußte Mr. Myers noch weitere ausführliche Mitteilungen über Baring, Grover, die dortigen Farmer und seinen Feldzug in Gesellschaft dieser Leute machen.



»Ist eine wilde Rasse, unsre Hinterwäldler, und geben den Indianern nicht viel nach in manchen Dingen, aber sind Männer.«



»Das sind sie, Sir.«



Die Unterhaltung dauerte an, bis ein Diener hereintrat und Mr. Myers eine Visitenkarte überreichte. Der Graf erhob sich, um sich zu empfehlen, der Sekretär sagte: »Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, Herr Graf, mein Gast zu Tische zu sein, so wird mich das sehr erfreuen.«



Graf Edgar nahm es dankend an und empfahl sich. »Um vier Uhr ist Dinnerstunde!« rief ihm Mr. Myers noch nach.



Im Vorzimmer wartete, um vorgelassen zu werden, ein Herr, dessen Gesicht dem Grafen auffiel. Der Fremde zuckte, als er des Grafen ansichtig wurde, leicht zusammen, was dieser indes nicht bemerkte. Er sah dem Herrn noch nach, als der zu Myers hineinging.



Auf dem Wege zu seinem Hotel sann er ununterbrochen darüber nach, wo er wohl den Mann schon gesehen habe, erlangte aber keine Gewißheit. Nachdem er einige Briefe nach der Heimat geschrieben hatte, kleidete er sich zum Dinner an und traf um die festgesetzte Stunde im Gouvernementsgebäude, wo Myers seine Wohnung hatte, ein.



Der Graf wurde in dem einfach, aber elegant ausgestatteten Parlour von seinem Wirte und dessen Frau und Tochter empfangen, einer würdigen Matrone und einem allerliebsten Mädchen von vielleicht achtzehn Jahren. Ein stattlicher Herr in der Uniform der Staatentruppen wurde ihm als Oberst Schuyler vorgestellt und eine junge Dame als dessen Tochter. Miß Schuylers äußere Erscheinung würde überall Aufsehen erregt haben, und es war nicht zu verwundern, daß Edgars Auge sie mit staunender Bewunderung traf. Eine schlanke Gestalt von überaus anmutigen Formen trug einen Kopf von fast rein griechischer Bildung, dem das leichtgewellte, aschblonde, in einen einfachen Knoten geschlungene, am Hinterhaupte befestigte Haar das vollkommene Gepräge der edelsten Antike verlieh.



Aus dem etwas bleichen Antlitz leuchteten Augen von ernstem, fast schwermütigem Ausdruck, die demselben ein durchgeistigtes Gepräge verliehen, so daß es dem Grafen schien, er habe noch nie eine weibliche Gestalt erblickt, welche in so vollendeter Weise jugendliche Anmut mit Würde paarte.



Miß Myers, ein bewegliches, munteres, rundliches Dämchen, voll blühenden Lebens, bildete einen nicht ungefälligen Gegensatz zu der ernsten Schönheit an ihrer Seite. Graf Edgar empfing von Miß Schuyler den Eindruck, welchen sie überall hervorrief, wo sie zum erstenmal erschien, den, ein weibliches Wesen ausgerüstet mit seltenen Vorzügen des Leibes und der Seele und von nicht alltäglicher Charakterbildung vor sich zu haben. Die junge Dame mußte an die Wirkung ihrer Persönlichkeit so gewöhnt sein, oder sie so gering schätzen, daß sie den bewundernden Blick Edgars nicht zu bemerken schien und nach kurzer Begrüßung gleichmütig in einer Unterredung mit Miß Myers fortfuhr.



Oberst Schuyler, eine vornehme Erscheinung, dessen schlanke und doch kräftige Gestalt durch die einfache knappe Uniform der regulären Staatentruppen hervorgehoben wurde, mit ernst freundlichem Ausdruck auf den wohlgeformten Zügen, reichte dem jungen Manne die Hand mit den Worten: »Ich freue mich herzlich, einen deutschen Kameraden begrüßen zu dürfen, den Angehörigen einer Armee, welche sich so unverwelkliche Lorbeeren erkämpft hat.«



Graf Edgar dankte in einigen verbindlichen Worten.



»Wir haben hier,« fuhr der Oberst fort, »mit Staunen die Siegesbahnen der deutschen Armeen verfolgt.«



»Mit Freuden habe ich, seitdem ich in den Staaten weile, bemerkt, welche Sympathien man uns hier entgegenbringt und unsre Taten neidlos anerkennt.«



»Im Norden gewiß überall, während der Süden wohl Frankreich sympathischer gegenüber gestanden hat. Wir Militärs, und besonders Sheridan, den ich nach seiner Rückkehr vom deutsch-französischen Kriegsschauplatze wiederholt gesprochen habe, sind voll von Bewunderung für die deutsche Kriegführung.«



Diese Anerkennung von seiten eines gebildeten Offiziers, dem ersten, der ihm in Amerika entgegentrat, tut dem patriotischen Herzen des jungen Mannes nicht minder wohl als die unbefangene Teilnahme, welche ihm wiederholt einfache Landleute zu erkennen gegeben hatten.



»Wir haben einen Fürsten an der Spitze unsres Staates von so hoher Einsicht und solch vornehmer selbstloser Gesinnung, daß er alles dem einen großen Zwecke unterordnet, oft sogar seine eigene Anschauung dem Urteile seiner erprobten Generale und Räte. Nur da, wo diese Einheit in der ganzen Führung herrscht, solche Hingebung von allen Seiten, sind Erfolge möglich, wie wir sie errungen haben.«



»Ja,« sagte der Oberst, »Ihr Kaiser Wilhelm ist wohl eine echt fürstliche vornehme Erscheinung, und ich, obgleich Republikaner, begreife ganz die Liebe und Ehrfurcht, welche ihm sein Volk entgegenbringt.«



Mit leuchtenden Augen entgegnete Edgar mit Shakespeares Wort: »Jeder Zoll ein König! Wir lassen uns auch freudig alle für ihn töten.«



Ein freundliches Lächeln umspielte des Obersten Lippen bei der so ungeheuchelt hervortretenden Verehrung des jungen Mannes für seinen greisen König.



»Es ist ein gewaltiges Volk das deutsche, wenn seine Kräfte vereint wirken, und ich denke, es wird für die Ruhe Ihres Erdteils von Vorteil sein, daß Deutschland die Führung auf dem Kontinent übernommen hat.«



»So hoffen wir alle. Wir haben endlich die Stellung wieder errungen, die uns im Rate der Nationen gebührt, die wir einst in der Welt einnahmen, als vor dem Kaiser der Deutschen sich die Könige Europas beugten — wir werden sie auch behaupten.«



Mr. Myers forderte auf, zu Tisch zu gehen. Oberst Schuyler bot galant der Frau vom Hause seinen Arm, während der Hausherr Miß Schuyler den seinigen lieh; Edgar führte Miß Myers zu dem nahe liegenden geräumigen Diningroom.



Das Mahl war einfach, aber trefflich und die gebotenen Weine vorzüglich.



Während einer der Pausen im Laufe des Mahles bemerkte Oberst Schuyler: »Ich habe vor dem französischen Kriege Ihr Vaterland besucht, Herr Graf, und doch dort einen andern Eindruck von dem deutschen Volkscharakter gewonnen, als mir ihn von dem größeren Teile der bei uns ansässigen Deutschen empfangen.«



»Sind Ihnen meine hier heimisch gewordenen Landsleute nicht sympathisch, Herr Oberst?«



»Unsre Deutschen haben im großen Bürgerkriege treu zur Union und zum Norden gehalten, wie sie bereits im Unabhängigkeitskampfe auf unsrer Seite gegen England fochten, dafür sind wir ihnen Dank schuldig. Niemand wird ihnen auch Fleiß, Betriebsamkeit und Intelligenz absprechen; sie bilden im großen und ganzen ein tüchtiges Element in unserm Staatsleben. Aber es ist etwas Kleinliches in diesen Leuten, und sie werden bei ihrem merkwürdigen Vereinsleben, ihrer Zerrissenheit und Streitsucht, ihren dumpfigen Bierstuben, welches alles wohl Erbteile der politischen Zerrissenheit ihres Vaterlandes und der polizeilichen Bevormundung des Volkes sind, nie die geschäftliche und gesellschaftliche Stellung des Amerikaners erreichen.«



»Es tut mir leid, das zu hören.«



»Es ist so, trotz aller guten Eigenschaften auch Ihrer hiesigen Stammesgenossen. Will man aber den Deutschen kennen lernen, muß man ihn in seinem Vaterlande aufsuchen, da gewinnt man die Ueberzeugung, ein großes, gutes, zum Höchsten aufstrebendes Volk vor sich zu sehen. Das eiserne Staatsgefüge, besonders in Preußen, hat mich mit Bewunderung erfüllt. Ich habe mich als Soldat vorzugsweise um Ihre militärischen Einrichtungen gekümmert, und mit diesen kann kein Volk der Erde sich messen. Der Mangel ähnlicher Einrichtungen hat uns in unserm furchtbaren Bürgerkriege so unendliche Menschenopfer gekostet, welche zweck- und nutzlos hingeschlachtet wurden.«

 



Miß Schuyler richtete die ernsten Augen auf Edgar und fragte mit einer Stimme von bestrickendem Klang: »Sind Sie ein Freund des Krieges, Herr Graf?«



»Als Berufssoldat müßte ich eigentlich mit Ja antworten, Miß Schuyler; wer aber, der den Krieg gesehen hat, wäre ein Freund desselben? Ich habe ihn kennen gelernt, wie Ihr Herr Vater, in seiner schrecklichsten Gestalt, und ist es gleich geboten, das Schwert zu ziehen, um die höchsten Güter dieses Lebens zu verteidigen, wenn es sein muß, dafür zu sterben — so treffe jeden der Fluch der Menschheit für alle Zeit, der leichtfertig den Krieg heraufbeschwört.«



»Sie sprechen mir aus der Seele,« fügte der Oberst hinzu.



»Und glauben Sie, Sir,« fuhr seine Tochter fort, »daß eine Zeit kommen wird, wo es keine Kriege mehr gibt?«



Nach einer kurzen Pause sagte der Graf: »Nein, Miß Schuyler, ich glaube das nicht und wünsche es auch nicht.«



»Wie? Widerspricht es nicht dem, was Sie eben sagten?«



»Ich glaube nicht. Entfesselt der Krieg alle wilden und grausamen Instinkte der Menschennatur, so ruft er daneben auch alle edlen und großen Eigenschaften des Herzens empor, todesmutige Hingebung für das Vaterland, das hohe Gut der Freiheit, Treue, Mitleid, Aufopferungsfähigkeit in ungeahntem Grade, und nie wird ein Volk würdig unter den Nationen dastehen, welches nicht fähig und bereit ist, für ideale Güter zu kämpfen und zu sterben. Unser Lieblingsdichter sagt:



›Der Krieg ist schrecklich wie des Himmels Plagen,



Doch ist er gut, ist ein Gesetz wie sie.‹«



Er hatte sich bei diesen Worten der deutschen Sprache bedient und fuhr nun fort: »Das heißt im Englischen —«



»Ich lese Schiller im Original, Herr Graf,« sagte Miß Schuyler, sich des Deutschen bedienend.



»O, Sie sprechen meines Volkes Sprache — wie mich das erfreut!«



»In Ihrem Sinne, Herr Graf, will ich den Krieg acceptieren und mit dem Sohne des Tydeus Hektor rühmen:



›Der, für seine Hausaltäre



Kämpfend, ein Beschirmer — fiel.



Krönt den Sieger größere Ehre,



Ehret ihn das schönere Ziel.‹

«



Graf Edgar lauschte ihren deutschen Lauten mit Entzücken.



»Meine Tochter hat nur Ihres Schiller wegen, den sie leidenschaftlich verehrt, deutsch gelernt und unser erster Besuch in Ihrem Vaterland galt den geheiligten Stätten, wo Ihr großer Dichter geweilt hat.«



»Schiller,« sagte Miß Schuyler, »kann nicht in andre Sprachen übertragen werden, selbst in das so nahe verwandte Englisch nicht, der bestrickende Zauber, den das Original ausübt, verschwindet im fremden Idiome wesentlich — der Duft fehlt der nachgeahmten Blüte.«



»Ich höre mit innigem Vergnügen, wie Sie unsern Schiller verehren. Er ist der Liebling unsres Volkes und wird es ewig bleiben, und ich verstehe es ganz, ob ich mich gleich niemals mit Uebersetzungen seiner Werke bekannt gemacht habe, daß die Fülle und Schönheit der Sprache, wie deren hinreißende Klangwirkungen nicht wiedergegeben werden können, selbst im Englischen nicht.«



»Da wir gerade bei dem großen deutschen Poeten sind,« äußerte der immer gut aufgelegte Wirt, »wollen wir seiner in diesem Traubensafte vom Rhein gedenken,« und er präsentierte seinen Gästen gefüllte Römer mit dem deutschen Wein.



Das Gespräch nahm eine andre Wendung, bald ward die Tafel aufgehoben und man begab sich zurück in den Parlour, um dort den Kaffee zu nehmen.



»Gestatten Sie mir, eine Frage an Sie zu richten, Mr. Myers?« ließ der Graf sich vernehmen, als sie sich niedergelassen hatten.



»Immer zu, immer zu, wenn ich sie beantworten kann, soll es geschehen; nur Staatsgeheimnisse darf ich nicht verraten,« setzte er lachend hinzu.



»Als ich heute morgen bei Ihnen war, wurde Ihnen ein Herr gemeldet, den ich dann beim Hinausgehen im Vorzimmer sah. Seit diesem Augenblicke sinne ich darüber nach, wo ich diesen Mann gesehen habe, ohne darauf