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Nicht lange dauerte es, so sprang ein Knabe aus der Hütte hervor und an der Alten in die Höhe. Diese wehrte, wie es schien, gutmütig seine wilden Liebkosungen ab.

Der Knabe hatte langes blondes Haar, welches ein Band um seine Schläfen zusammenhielt. Ein kurzes, tunikaartiges Gewand, durch einen Gürtel um die Lenden festgehalten, bedeckte den schlanken, jugendlichen Körper bis zu den Knieen, Arme und Beine waren nackt, die Füße steckten in Mokassins.

Zitternd in innerer Erregung beobachtete ihn der Graf durch sein Glas.

Die Alte ließ unterdes Feuer zwischen zu einem Herd hergerichteten Steinen auflodern und schickte sich augenblicklich an, das Frühstück zu bereiten, während das Knäblein einen Bogen zu prüfen schien.

Der Graf wollte reden, aber er vermochte es nicht, so gewaltig pochte ihm das Herz, er verschlang mit den Augen das Bild vor sich.

Jetzt bewegte sich der Fellvorhang und eine schlanke Frauengestalt trat aus dem Zelte.

Der Graf richtete hastig das Glas auf sie und mit einem leisen Schrei ließ er es seiner Hand entsinken. »Luise — Luise,« flüsterte er in einem Tone, der das tiefste Fühlen seines Herzens verriet: »Luise!«

»Das Schwester? He?« fragte mit einem Lächeln Athoree.

»Ja, ja, Freund, das ist die lang Gesuchte,« sagte er mit vor Freude bebender Stimme, »das ist meine Schwester Luise. Gott sei gelobt, daß er mich diesen Tag erleben ließ.«

Er drückte Athoree die Hand und richtete sein Glas wieder in das Felsenrund.

Der Knabe sprang auf die Frau zu, umarmte und küßte sie zärtlich, sie streichelte ihm Wange und Haar, und beide setzten sich dann an einen roh gefertigten Tisch und nahmen das Frühstück, welches die Indianerin bereitet und aufgetragen hatte, ein.

Das Verhalten der Alten ließ darauf schließen, daß die Gefangene mit großer Ehrfurcht behandelt wurde.

Der Knabe entfernte sich dann mit seinem Bogen, die Indianerin trug einen Stuhl vor die Hütte und holte, wie es schien, eine Näharbeit aus deren Innerem und überreichte sie der Frau.

Dann ging auch sie hinweg.

Dies alles beobachtete der Graf durch sein Glas mit einer tiefinneren Bewegung, wie er sie nie gefühlt hatte.

Da saß vor ihm die Verlorene, so heiß Ersehnte, die so Vieles und Schweres erduldet hatte, eine Gefangene der wilden Rothäute in fast unzugänglicher Gegend. Nach und nach erst minderte sich die Erregung seiner Seele, schlug sein Herz ruhiger.

»Und was nun, Athoree?« fragte er endlich.

»Jetzt steigen herab, sprechen zu Schwester und dann leise fort.«

»Jetzt, am hellen Tage?«

»Schwester bei Nacht nicht gut klettern auf Felspfad. Müssen jetzt gehen. Niemand dort, kommen niemand dorthin. Kennen Weg, denken niemand uns sehen. Werden weit weg sein, ehe Saulteux es merken.«

»Und wenn man uns erblickte, so wäre alles und für immer verloren.«

»Müssen an Tag gehen, nachts schlafen Krieger vor Fels, ihn zu bewachen.«

»Athoree, Athoree, wenn es mißlänge?«

Der Indianer blickte ihn mit seinen dunklen Augen bedeutungsvoll an und sagte ernst und nachdrücklich: »Glaubst du an großen Geist?«

»Wehe mir, wenn ich es nicht täte.«

»Er lassen finden Schwester, er werden Schwester führen zu den Leuten ihres Stammes.«

»Ja, du hast recht, hat er mich so wunderbar hierhergeleitet, so wird er das Rettungswerk auch gelingen lassen. Laß uns gehen.«

Sie verließen ihren hohen Standpunkt und kletterten, mit großer Vorsicht es vermeidend, daß unter ihren Füßen Steine ins Rollen kamen, hinab und drangen in dichtes Gebüsch ein.

Es gehörten die scharfen Sinne eines Indianers und dessen geradezu wunderbarer Ortssinn dazu, um hier in dem oftmals verschlungenen Unterholz, welches kaum zwei Schritt weit zu sehen erlaubte, die Richtung inne zu halten.

Es war ein kühnes Wagnis, welches diese beiden Männer unternahmen, und es gehörten starke Nerven dazu, um mit Besonnenheit inmitten eines Feindeslagers, wo der geringste unglückliche Zufall sie verraten konnte, zu handeln.

Daß im Falle einer Entdeckung wahrscheinlich augenblicklicher Tod ihr Los sein würde, sagten sie sich selbst, denn aus allem, aus dem Geheimnis, mit welchem die Indianer ihre Gefangenen umgaben, der Art ihrer Aufbewahrung ging hervor, welchen hohen Wert sie ihr beilegten.

Was der kühne Indianer in dem angeborenen und durch Erziehung gefestigten Stoicismus seiner Rasse kaltblütig hier unternahm, vollbrachte der Graf in einem ruhigen, unerschütterlichen Gottvertrauen als ein Gebot heiliger Pflicht.

Für Athoree war außerdem der Ruhm, welchen ihm im Falle des Gelingens diese Tat verschaffen mußte, denn es war nichts Kleines, eine Gefangene aus der Mitte blutdürstiger Feinde am hellen Tage herauszuholen, ein anfeuernder Sporn.

Was sie bis jetzt geschützt hatte und noch schützte, war neben der Klugheit und Vorsicht Athorees und seiner, wie es schien, genauen Kenntnis des Landes, die unglaubliche Kühnheit ihres Vorgehens.

Athoree schloß aus der Art der Gefangenschaft der weißen Frau und seiner Kenntnis des indianischen Charakters, daß der Raum in der Nähe des Felsens bei einiger Vorsicht ohne Gefahr betreten werden könne. Aus allem Bisherigen ging hervor, daß die Saulteux die Gefangene gleich einem Schatze hüteten, wozu unter anderm vielleicht Aberglauben beitragen mochte, wie er sich bei diesen Kindern des Urwaldes in mannigfacher Art äußerte.

Der Indianer hatte schon bei seiner früheren Nachforschung, als sein Instinkt ihn auf den sonderbaren Felskegel aufmerksam werden ließ, zu dem er die alte Indianerin mehrmals mit Speise und Trank hinschleichen sah, bemerkt, daß die gefangene Frau, freilich nach indianischer Weise, auf das vornehmste gekleidet war, ein sicheres Zeichen, wie hoch sie verehrt ward. Indianischer Takt hielt unter diesen Umständen die Bewohner des Dorfes von dem seltsamen Gefängnis fern. Sein seiner Spürsinn hatte auch den Eingang entdeckt, welcher in das Innere des vermutlichen Kraters führte.

All dies ließ ihn mit Vertrauen an das Wagnis gehen.

Vorsichtig schlichen sie durch die Büsche, welche sich auf einer Seite bis dicht an den Rand der Felswand hinzogen, weiter. Schritt für Schritt jedes Geräusch ängstlich vermeidend.

Einmal waren sie auf ihrem Wege dicht an den Rand des Unterholzes gekommen, und der Graf sah eine in eiligem Laufe heranstürmende Schar halbnackter, indianischer Knaben, zwischen ihnen den blonden Germanen, seinen Neffen. In ihrem wilden Spiele gelangten sie bis nahe zu den Büschen.

Der Graf war so gefesselt von dem Anblick, den das Kind seiner Schwester zwischen den roten, gleichaltrigen Söhnen der Saulteux bot, daß er stehen blieb und dem Spiele zusah, ohne an die Gefahr zu denken, in welche er durch die Kinder geraten konnte.

Mit Freuden gewahrte er, daß der blonde Knabe an Gewandtheit allen gewachsen, an Kraft aber überlegen war. Einem etwas rohen Spielgenossen hatte der Blondkopf soeben einen ganz kräftigen Faustschlag versetzt und mit den gut deutschen Worten begleitet: »Da nimm das, roter Dummkopf!«

Als nun die andern auf ihn eindrangen, sprang er ins Gebüsch und zwar an der Stelle, wo die Männer standen.

Athoree sank augenblicklich zu Boden, der Graf erschrak so heftig, daß er unfähig war, eine Bewegung zu machen.

Schon öffneten sich vor ihm die Zweige und große blaue, staunende Kinderaugen starrten ihn an.

Unbewußt fast flüsterte er leise: »Wilhelm!« und legte den Finger auf die Lippen.

Im Augenblick wandte sich der Knabe, trieb, während der Graf sich aufs Knie sinken ließ, die Genossen, welche folgen wollten, zurück und rief in indianischer Sprache: »Geht, hier wohnt Ni-hi-tha. Ich sage es den Häuptlingen.«

Gleich einem Wirbelwinde stürmte die Schar davon, der weiße Knabe aber blieb ruhig vor dem Gebüsche stehen.

Es war klar, daß den Kindern verboten war, diesen Teil des Waldes zu betreten.

Athoree und der Graf richteten sich wieder empor. »Weißer Knabe klug,« flüsterte der Indianer, »er indianische Erziehung.«

Leise rauschte es in den Blattern und der blonde Knabe stand vor ihnen mit den großen verwunderten und doch über seine Jahre klugen Augen den Grafen anblickend.

»Wilhelm,« sagte er leise und hielt ihm die Hand hin, »komm zu mir.«

Der Knabe nahm vertraulich die Hand.

»Bist du ein Deutscher, Mann?«

»Ja, Kind, ja.«

Aufmerksam betrachtete ihn das Kind.

»Du siehst der Mutter ähnlich.«

Der Graf nickte nur.

»Willst du zur Mutter?«

»Ja, Wilhelm, Herzenskind — ja — ich suche euch,« brachte er in der Bewegung seines Herzens nur mühevoll über die Lippen.

Er faßte den schönen Knaben, der kräftig und gesund aussah, und küßte ihn.

»So komm.«

Das Kind schritt voran, die Männer folgten und bald erreichten sie den Fels, wo hinter dichten Büschen und Steinen so verborgen, daß nur ein Zufall zu seiner Entdeckung führen konnte, der Eingang zu dem Innern des Kraters lag.

Sie traten in einen, von der Natur geschaffenen, ziemlich hohen und geräumigen Gang, welcher nur die Annahme verstärken konnte, daß einst flüssige Lava hier einen Ausweg gesucht hatte.

Die Oeffnung nach dem Innern zu verdeckte ein großes Bärenfell.

Der Knabe schlug es zurück und ließ die Männer eintreten.

Vor dem kleinen Wigwam saß die blonde Frau und führte die Nadel, halb abgewandt gewahrte sie die leise Eintretenden nicht.

Mit tiefer Rührung betrachtete Edgar die so schmerzlich Vermißte.

Endlich trat er vor, während Athoree taktvoll zurückblieb, und sagte mit zitterndem Tone: »Luise.«

Die Frau fuhr empor und richtete den Blick auf den Grafen.

 

Sie sah schön und blühend aus und schien jünger als ihre Jahre.

Ein langes Kleid von feinem Musselin, welches ein Gürtel zusammenhielt, hüllte die schlanke Gestalt ein.

Aus dem edel geschnittenen, freundlichen Antlitz blickten blaue, sanfte Augen fragend auf Edgar.

Das Haar war wohlgeordnet und von einer Schnur Perlen durchzogen, den kleinen Fuß bedeckten mit den seltensten Zieraten des Waldes geschmückte Mokassins.

Sie bot, während sie so ruhig dastand, ein ungewöhnlich anmutvolles Bild, doch von fremdartigem Charakter.

»Luise!« wiederholte der Graf mit tiefer Innigkeit.

»Wer bist du, fremder Mann?« fragte sie mit wohllautender Stimme.

»Luise, Luise, bin ich deinem Gedächtnis gänzlich verschwunden? Kennst du Edgar, deinen Bruder, nicht mehr?«

Er ging auf sie zu, faßte ihre Hand und sah ihr mit zärtlicher Liebe ins Antlitz.

»Einen Bruder, Fremder? Ich habe keinen Bruder,« sagte sie sanft.

»Luise, Luise, ich habe dich seit vielen Monaten gesucht, endlich, endlich dich gefunden. Der Vater hat mich zu dir ausgesandt — er liebt dich wie nur je zuvor. Kennst du deinen Edgar nicht mehr?«

»Geh, Fremder,« sagte sie und lachte, »ich habe keinen Edgar, nur meinen Walther und sein Ebenbild dort, Willy.«

Der Knabe stand unweit und sah bald die Mutter, bald den Grafen an.

Ein jähes Entsetzen zog durch des Grafen Herz bei diesen Worten, er blickte in ihr Auge und gewahrte jetzt erst, daß kaum der Geist eines Kindes darin lebte, es war leer und ausdruckslos.

Bei dieser furchtbaren Entdeckung stürzte unaufhaltsam ein Strom von Tränen aus des Grafen Augen.

Der Knabe eilte auf ihn zu, umklammerte ihn krampfhaft und weinte mit.

Stumm, in eherner Haltung stand der Indianer im Hintergrunde, während des Grafen Schwester diesen und das Kind mit leichter Verwunderung anblickte.

»O Gott, mein Gott,« stöhnte der Graf, als der plötzliche jähe Schmerz, der ihn mit furchtbarer Gewalt ergriffen hatte, nachließ.

»So ist die Mutter seit dem Tage, wo die Roten meinen armen Vater töteten,« schluchzte der Knabe.

Als Luise ihr Kind so heftig weinen sah, nahm sie den Knaben in den Arm und sagte liebreich: »Warum weint der kleine Willy? Warum weint das Kind?«

Dem Grafen wollte in bitterem Jammer fast das Herz brechen.

Das war das so heiß ersehnte Wiedersehen? Er suchte eine teure Schwester und fand nur deren immer noch schöne äußere Hülle, welcher der Geist entflohen war.

Graf Edgar sank auf einen Stuhl und barg das Gesicht in den Händen.

Liebevoll nahte sich ihm der Neffe und schlang seine Arme um ihn.

»Nein, weine nicht. Mann. Du bist der Mutter Bruder? Mein Onkel Edgar?«

Der Graf konnte nicht reden, er nickte nur und streichelte sein Haupt.

»Die Mutter hat früher oft von dir erzählt und gesagt, daß du kommen würdest, uns zu besuchen, und nun bist du da.«

Der Graf zog ihn aufs Knie und legte seinen Kopf an das so tief bewegte Herz.

»Mein lieber Wilhelm, meiner teuren Schwester Kind!«

Lebhaft richtete sich dann der Knabe auf.

»Aber wie kommst du hierher? Wissen denn die Häuptlinge, daß du da bist?«

»Nein, Kind, mir sind heimlich gekommen, um euch hinwegzuholen.«

»Sie werden euch töten und skalpieren, wenn sie euch sehen,« sagte der Kleine, der sein Deutsch mit englischen und indianischen Worten mischte, unruhig.

»Wir werden uns verbergen.«

Der Knabe flüsterte ihm ins Ohr: »Ich hasse die Roten alle, aber ich darf es hier nicht sagen. Wer ist der Mann, den du da bei dir hast? Es ist keiner unsrer Krieger.«

»Nein, er ist ein Hurone oder Wyandot und mein wie euer Freund. Er hat mich hierher geführt und wird uns beistehen, an die Küste zu gelangen.«

»O, ein Wyandot?« Und der Knabe warf einen forschenden Blick auf Athoree.

»Sie haben mit den Wyandots gefochten da draußen und haben Hiebe bekommen, das ganze Dorf ist voll von Verwundeten. Wenn sie wüßten, daß ein Wyanbot hier ist, würden sie heulend herbeistürzen.«

»Du magst die Indianer nicht, Wilhelm, behandeln sie euch nicht gut?«

»O, gut genug, besonders die Mutter. Sie bringen ihr alles, was sie nur Kostbares an Fellen, Wild und Schmucksachen haben, sie lieben Mama sehr.«

»Darf deine Mutter hinausgehen oder wird sie hier gefangen gehalten?«

»Nein, sie kann in den Wald oder zu den Wigwams gehen, wenn sie will, aber sie geht sehr selten. Sie meint,« sagte er ganz leise, »während ihrer Abwesenheit könne der Vater kommen und sie nicht finden, darum geht sie nicht, weißt du, die arme Mama wartet immer auf den Vater, den armen Vater. Hu!« — das Kind schauderte zusammen, während es sprach — »ich sehe noch, wie diese Unmenschen ihn erschlugen, auch Mama hatten sie schon an den Haaren und wollten ihr mit der Axt den Kopf spalten, da — lachte sie und wollte gar nicht aufhören zu lachen, o, nimmer werde ich es vergessen. Die Wilden erschraken darüber und taten uns nichts, sie schleppten uns nur fort, weit, weit fort, und endlich über ein großes Wasser hierher. O, ich weiß alles. Weißt du, seit der Zeit hat Mutter alles vergessen, was früher war, nur den Vater nicht.«

Der Graf, welcher die erste furchtbare Erschütterung, welche die Entdeckung des Geisteszustandes seiner Schwester hervorgerufen, überwunden hatte, ging zu Athoree, welcher noch immer am Eingang stand.

»Du hast gesehen und gehört, Freund!«

»Sehen, ja. Sehen, Schwester Liebling des großen Geistes, ihr alle roten Menschen gut, nichts zuleide tun.«

»Aber was beginnen wir mit ihr? Werden mir mit der Geisteskranken den gefährlichen Rückweg antreten können? Und hier kann ich sie doch unmöglich lassen.«

»Gehen mit Schwester zu deinen Wigwams, ihr dort sehr lieben.«

»Hältst du es für möglich, sie davonzuführen?«

»Es gut, sie Manitous Geist in sich.«

Langsam ging der Graf zurück zu seiner Schwester, welche wieder saß und an einem Gewand arbeitete. Wilhelm hatte sich zu ihren Füßen niedergekauert.

»Luise, Schwester, vernimmst du, was ich sage?«

Luise sah ihn freundlich an, erwiderte aber nichts.

»Es ist Onkel Edgar, Mutterchen, dein Bruder, von dem du mir früher so oft erzählt hast.«

»Edgar? Edgar?« Sie legte nachdenkend die Hand an die Stirn. »Edgar? Ja,« und fröhlich wie ein Kind lachte sie, »es war ein kleiner, munterer Knabe und Walther ließ ihn reiten auf einem Pony, ich weiß es wohl. Er war so groß wie du —«

»Nun, siehst du. Mutterchen.«

»Aber,« setzte sie dann mit trauriger Miene hinzu, »er ist schon lange tot. Alle sind tot, nur« — und Glück strahlte aus ihrem Angesicht — »Walther lebt noch. Mein teurer Walther.«

Es war herzzerreißend, wahrzunehmen, wie in ihrem zerstörten Geiste nur allein das Bild des Gatten noch lebte, während die Erinnerung an alles andre wohl für immer ausgelöscht war.

»Luise, liebe Schwester,« begann der Graf von neuem mit weicher, bebender Stimme, »willst du mit mir kommen? Ich will dich zum Vater bringen nach Schloß Elm.«

»Nach Schloß Elm? Ja, da war Walther auch. Ja, ich weiß es wohl.«

»Komm mit mir, komm!«

»Ich kann nicht; weißt du, Walther kann jeden Augenblick erscheinen, und er wäre betrübt, wenn er mich hier nicht fände, und ich — ich freue mich sehr, wenn er heimkehrt.«

Die Zeit rückte vor; wenn sie in die Felsen und so in verhältnismäßige Sicherheit gelangen wollten, mußten sie bald aufbrechen.

Der Körper Luisens war gesund und stark, der Knabe über seine Jahre kräftig und unter den Indianern abgehärtet.

Dann sagte sich Edgar auch, daß, wenn es den Saulteux gelänge, sich ihrer wieder zu bemächtigen, weder die Schwester noch der Knabe etwas von ihnen zu fürchten haben, daß nur er und seine Begleiter die Opfer sein würden.

Es war Zeit aufzubrechen.

Aber wie die Kranke bewegen, mit ihnen zu kommen? Ein Gedanke schoß ihm durch den Sinn. Alles Denken seiner armen Schwester bewegte sich um den ihr noch immer so teuren Gatten, und so wagte er im angstvollen Drängen des Augenblicks zu fragen: »Willst du nicht mit mir zu Walther gehen, Luise?«

Sie erhob sich lebendig.

»Wo ist er?«

»Drüben in den Felsen, er sandte mich her, dich zu holen, er erwartet dich.«

Ein helles Rot der Freude flog über ihr Angesicht.

»O, so komm, wir dürfen ihn nicht warten lassen.«

Der Talisman, mit welchem man sie ihrem Gefängnisse entführen konnte, war gefunden.

»Warte!« Sie schritt in das Wigwam und erschien bald wieder mit einem kurzen Mantel aus den schönsten Otterfellen, den sie über die Schultern geworfen hatte.

»Komm, Wilhelm!« sagte Edgar noch.

Sie schickten sich an zu gehen, als Athoree plötzlich winkte und zur Seite trat.

Der Vorhang, welcher den Eingang verdeckte, öffnete sich und herein trat die alte Indianerin, die stumm vor Staunen stand, als sie den weißen Mann erblickte. Rasch trat Athoree hinter sie, das blanke Messer in der Hand und zischte ihr im Saulteuxdialekte zu: »Einen Laut und dies Messer fährt dir ins Herz.«

Erschreckt taumelte die Alte vorwärts, immer noch mit weit aufgerissenen Augen Edgar anstarrend.

»Tu ihr nichts, roter Mann!« rief Wilhelm Athoree zu, »Doneta ist gut und freundlich.«

Athoree blieb ruhig stehen, aber seine finstere Miene weissagte der Frau nichts Gutes, für den Fall sie seine Drohung mißachten sollte.

Doch war nicht Gefahr, daß sie durch Hilferufe die Saulteux herbeiziehen würde. Erstlich war sie zum Tode erschrocken und dann wußte sie, daß über die hohen Felswände kaum ein Ton hinausdrang, wenn überhaupt jemand in der Nähe gewesen wäre, ihn zu vernehmen.

»Ich gehe meinem Mann entgegen, Doneta,« sagte freundlich Luise, »wir kehren bald zurück.«

»Ni-hi-tha, die Tochter der Saulteux, will gehen?« fragte die Alte kläglich.

»Ich komme bald wieder.«

»Die Saulteux weinen, wenn sie ihren Liebling nicht sehen.«

»Komm, Mann,« wandte sich Luise an Edgar, »Walther wartet.«

»Was beginnen mir mit der Frau, sie wird ja das ganze Dorf in Aufruhr setzen, sobald wir fort sind.«

»Müssen binden. Mit Schwester fortgehen.«

Edgar ging mit Luise in den Gang, welcher ins Freie führte.

»Tue der alten Frau ja nichts, sie ist gut.« Und Wilhelm ging hinter den andern her.

Mit drohender Miene schritt Athoree auf die Alte zu und sagte ihr, daß er sie zur Sicherheit der Flüchtlinge binden und knebeln müsse, ihr aber, wenn sie nicht schreie, kein Leid zufügen werde.

Die Frau ergab sich in ihr Schicksal, und Athoree band ihr Hände und Füße, schob ihr ein dem Wigwam entnommenes Stück Kattun zwischen die Zähne und legte sie auf das Lager der Gefangenen.

»Sage den Saulteux, Weib, sie seien blinde Maulwürfe. Der befiederte Pfeil der Wyandots ist mitten unter ihnen gewesen und sie haben ihn nicht gesehen. Die Saulteux sind Hunde, welche angstvoll heulen, wenn sie den Schritt eines Wyandot hören.«

Und auch er verschwand hinter dem Felle, welches den Ausgang bedeckte.

Sie traten in die Büsche.

Edgar sagte zu der Schwester: »Du darfst nicht laut sprechen, Luise, sonst hören es die Saulteux und diese wollen nicht, daß du zu Walther gehst.«

»O, ich bin stumm, wenn Walther es will.«

Wilhelm zeigte, daß er den indianischen Knaben alle ihre Künste abgelernt hatte, denn er schlich mit einer Gewandtheit und Geräuschlosigkeit durch die Büsche, welche einem erfahrenen Krieger Ehre gemacht hätte.

Auch war er ganz durchdrungen von der Gefährlichkeit ihrer Lage.

Luise war durch Edgars Argument gänzlich von der Notwendigkeit des Schweigens überzeugt und ahmte die Vorsicht der andern in Bezug auf den Marsch nach.

Bald waren sie in den Felsen und stiegen hinauf.

Zur Freude des Grafen zeigte es sich, daß seine Schwester die ganze Spannkraft der Jugend bewahrt hatte. Sehnsucht beflügelte ihre Schritte.

Schon nahten sie ihrem Ziele, als, da sie um eine Felswand bogen, ein junger Indianer vor ihnen stand.

Einen Laut des Staunens stieß dieser aus. »Ni-hi-tha!«

Mit einem Sprung war Athoree neben ihm und setzte ihm das Messer an die Kehle.

»Nicht töten, Athoree,« rief ihm der Graf nachdrücklich zu. »Wir wollen Blut nur im äußersten Notfall vergießen!«

Ungern gehorchte der Wyandot. Er band den eingeschüchterten, etwa sechzehnjährigen Jüngling, mit dem Taschentuche des Grafen ward ihm der Mund verstopft und er dann in die Büsche gelegt.

 

»Jetzt rascher gehen. Junger Saulteux gefährlich.«

Schneller schritten sie den Weg hinan, bald erblickten sie den Fels, welcher in seinem Inneren die Höhle barg, und gewahrten die Freunde, welche Wache haltend vor ihr lagen. Sie überschritten den Baum und waren vorläufig in Sicherheit.

»Und Walther?« fragte Luise.

»Wir werden den Vater bald sehen, Mama,« sagte der Knabe, der vollständig begriff, durch welches Mittel man seine Mutter veranlassen konnte, die Flucht fortzusetzen.

Nach dem anstrengenden Aufstieg bedurften Luise und ihr Knabe einiger Ruhe. Bald aber drang Athoree auf Fortsetzung des Marsches.

Es handelte sich jetzt um Beseitigung des als Steg dienenden Baumes.

»Meinst du nicht, Athoree,« äußerte der Graf, »daß das Geräusch des stürzenden Baumes bis zu den Ohren der Saulteux dringen und ihnen den Weg verraten kann, welchen wir genommen haben.«

»Baum fort,« erklärte der Sohn Sumachs bestimmt, »sonst Saulteux bald hinter uns; Squaw schwache Füße, Papuse auch. Wenn Baum fort, müssen Saulteux großen Umweg machen und wissen doch nicht, wo wir hinabgehen, viele Täler führen hinunter. Aber wollen vorher Stein werfen. Stein hier oft von Bergen rollen, erst Stein, dann Baum, denken dann, zwei Steine fallen.«

Es geschah, wie er gesagt hatte.

Ein ansehnlicher Felsblock ward in die Schlucht hinabgestürzt, und Michael und Heinrich, unterstützt von Johnsons riesenhafter Kraft, schoben dann das Ende des schweren Baumes von dem Fels ab, bis er stürzte und donnernd gleich dem Stein die Tiefe suchte.

Dann brachen sie auf.

Die Geschenke, welche Edgar für die Häuptlinge mitgebracht und welche Michael hierhergetragen hatte, wurden in der Höhle gelassen, der Graf hatte nicht die Absicht, sie ihrer Bestimmung zu entziehen, denn die freundliche Weise, mit welcher diese Wilden seine arme Schwester behandelt hatten, forderte seinen Dank heraus.

Sie durchschritten die Höhle, gelangten an den Wald dahinter, wälzten die schweren Steine wieder vor den Ausgang und setzten ihren Weg erst im Walde, dann in engen Felsentälern und tiefen Schluchten fort, bis gegen Abend, wo Athoree in einem kleinen Talkessel, der sich zur Seite ihres Weges öffnete, die Nacht zuzubringen beschloß.

Feuer zündeten sie nicht an. Sie verzehrten von den mitgeführten Vorräten. Edgar bettete Luise und den Knaben, welche den anstrengenden Marsch ziemlich gut ertragen hatten, warm in eine geschützte Ecke und alle gaben sich dem Schlafe hin.

Mit der aufgehenden Sonne nahmen sie den Weg wieder auf.

Athoree, welcher einsah, daß des Grafen Schwester und der Knabe nicht zum zweitenmal einen solchen Marsch zurücklegen konnten, ohne zur Fortsetzung der Flucht unfähig zu werden, änderte gegen seine ursprüngliche Absicht den Weg und nahm die Richtung nach dem oberen Laufe des Eskonaba.

Eine Marschunfähigkeit besonders Luisens konnte verhängnisvoll werden, denn daß die Saulteux, sobald ihnen die Entführung bekannt wurde, in wildester Wut nachsetzen würden, war zweifellos. Die Schmach, daß ein Hurone mitten unter ihnen gewesen sei und sie eines kostbaren Kleinods beraubt habe, mußte sie zur Raserei treiben.

Die Gefahr, bei zeitiger Entdeckung der Flucht Luisens von den schnellfüßigen Feinden eingeholt zu werden, lag unter diesen Umständen nahe.

Athoree glaubte ihr ausweichen zu können, wenn er einen Teil des Weges zu Wasser zurücklegte, wo dann die Frau neue Kraft zur Fortsetzung des Marsches finden würde.

Von der geraden Richtung ablenkend, näherte er sich also dem Flusse, wo er Kanoes zu finden erwartete, da sowohl Saulteux als Huronen dort zu fischen pflegten und ihre Boote in Verstecken unterbrachten, wenn sie den Fluß verließen.

Luise war trotz der ungewohnten Anstrengungen in heiterer Stimmung. Die Zeit war für sie nicht vorhanden und sie hoffte heute wie gestern, dem ersehnten Gatten zu begegnen.

Wilhelm, ein überaus kräftiger Knabe, der, trotzdem er stetig in Gesellschaft seiner Mutter war, doch viel von den Gewohnheiten seiner indianischen Umgebung angenommen hatte, eilte auch heute leichtfüßig einher und beobachtete auf dem Marsche dieselbe Vorsicht wie Athoree.

Der kleine Zug verließ das felsige Terrain und tauchte in hochstämmigen Wald ein. Nach etwa einer Stunde erreichten sie einen wasserreichen Bach, der nach Westen zu floß.

Athoree war das Land der Saulteux durch seine öfteren Streifzüge in ihren Wäldern im allgemeinen bekannt, doch dieser Bach machte ihn stutzen.

Seiner Richtung und der ganzen Bodengestaltung nach mußte er dem Eskonaba zufließen.

Er erwies sich als zu tief, um anders als schwimmend überschritten werden zu können, und einen Baum zu fällen, um ihn als Brücke über den Bach hinstürzen zu lassen, fehlten die Mittel, denn Athorees kleines Streitbeil vermochte keinen Stamm von geeigneter Stärke niederzulegen.

Es blieb also nichts übrig, als jenem Bache zu folgen.

Athoree sowohl als Wilhelm spähten mit scharfen Augen umher, denn auch der aufgeweckte Knabe kannte bereits die Zeichen der Wälder.

Er berührte leicht den Indianer und deutete nach einem jenseits des Baches liegenden Baumriesen, der durch einen Sturm entwurzelt, morsch danieder gefallen war.

Alle blieben stehen und betrachteten den wie es schien ausgehöhlten Baum, ohne etwas an ihm zu erblicken, was die Aufmerksamkeit des Knaben rechtfertigen konnte.

Athoree aber hatte sein Auge kaum auf den Baum gerichtet, als er des Knaben Kopf freundlich streichelte und sagte: »Gut. Das kleine Bleichgesicht hat Indianeraugen. Denken, finden Kanoe.«

An dem dicken Ende des Baumes lagen große Rindenstücke, und diese waren es, welche das in den Wäldern geübte Auge des Kindes auf sich gezogen hatten. Er erkannte sofort, daß nicht die Natur sie so geordnet, sondern Menschenhand und Athorees Erfahrung bestätigte es.

Der Indianer legte seine Waffen und die Jagdtasche ab und schwamm hinüber.

Die Rindenstücke am Ende des Baumes hinwegräumend, erblickte er ein Kanoe, welches er hervorzog und mit leichter Mühe in das Wasser brachte.

Dann schaute er sich mit suchendem Auge um, denn nahe lag die Vermutung, daß das nicht das einzige hier versteckte Fahrzeug sei, denn wenn die Saulteux sich auf dem Bache zum Eskonaba hinunter begaben und auf ihm zurückkehrten, so geschah es stets truppweise.

Des Indianers prüfendem Blick fiel ein Haufen Reisig auf, das vom Sturme niedergebrochen und zusammengeweht schien. Auch hier sagten ihm untrügliche Zeichen, daß Menschenhand dabei tätig gewesen. Seine sofortige Nachforschung förderte ein zweites Kanoe mit den dazu gehörigen Rudern zu Tage.

Er brachte die beiden Boote an das andre Ufer. Sie waren geräumig genug, die Gesellschaft aufzunehmen.

Edgar half seiner Schwester in das eine, in welchem er selbst mit Wilhelm und Heinrich Platz nahm. Johnson und Michael traten in das andre Boot, während Athoree erklärte, er wolle am Lande folgen.

Der Graf und Heinrich hatten bei ihren Streifzügen gelernt, das leichte Boot mit dem Schaufelruder zu handhaben, und Johnson verstand trefflich damit umzugehen.

Sein Boot voran, fuhren sie nun den Bach hinab.

Die Ufer waren dicht bewaldet und die alten Baumriesen streckten ihre Aeste über das schmale, dunkle Wasser, so daß sie oft wie in einem Laubengang einherfuhren, wenn die Zweige sich über ihren Häupten einten.

Sie beobachteten tiefes Schweigen, horchten auf jedes Geräusch und richteten die Augen auf die Wälder.

Der Knabe saß im Bug des zweiten Bootes und spähte unablässig umher. Seine Mutter betrachtete ihn von Zeit zu Zeit mit glücklichem Lächeln.

Wäre nicht die Sorge vor drohender Gefahr so lebendig in ihnen gewesen, nichts Herrlicheres hätte sich denken lassen, als diese Fahrt auf dem sanft hinströmenden Bach, unter dem grünen Dach zu ihren Häupten inmitten des feierlichen Schweigens des Urwaldes.

Leicht und geräuschlos tauchten sie die Ruder ein und gelangten rasch ihrem Ziele näher.

Wilhelm, dessen Sinne schärfer entwickelt waren, als die jedes andern der Anwesenden, gab dem ersten Boot ein Zeichen, zu halten, dem Johnson sofort nachgab und das zweite Boot erwartete.

»Was gibt‘s, Kind?«

Leise sagte der Knabe: »Ein Mann in den Wäldern.«

Das kam so ernst und verständig heraus, daß sofort alle zu den Waffen griffen. Angestrengt lauschten sie und durchforschten die Büsche.