Za darmo

Verwehte Spuren

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Grover, der Wirt, kam wieder hervor.

»Wollt Ihr schlafen, Fremder, will ich Euch hier das Lager machen — kann nicht mehr geben. Oben schlafen mein altes Weib und die Kinder, müßt fürlieb nehmen.«

»Bin in Frankreich nicht verwöhnt worden — bereitet uns das Lager, so gut Ihr vermögt.«

Der Wirt ging hinaus.

Der Indianer hatte seit dem Augenblick, wo er sich vom Boden aufgerafft hatte, ruhig und unbeachtet an der Wand gestanden.

Jetzt schritt er wankend auf den Offizier zu und schaute ihm mit auffälliger Aufmerksamkeit ins Gesicht.

Der Wirt kam indes in Begleitung seines Burschen wieder herein, Maisstroh und einige Felle mit sich bringend.

Den Indianer bemerkend, sagte er: »Ja, sieh dir den Herrn an, John, der hat dich heute abend vor einem argen Loch in deinem roten Fell gerettet.«

Der Indianer murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und schritt schwerfällig hinaus.

»Schade um den Burschen,« sagte der Wirt, »er ist brauchbar genug für uns hier in den Wäldern, aber der Rum bringt ihn um.« Während er so sprach, war in einer Ecke des Raumes das einfache, aber weiche und warme Lager für die beiden Reisenden bereitet worden, der Wirt wünschte Gute Nacht und entfernte sich.

»Heinrich,« sagte der Offizier jetzt in deutscher Sprache zu seinem Begleiter, »meine Hoffnung, sie zu finden, schwindet mehr und mehr. Keiner von diesen Leuten, die hier aus dem Lande stammen, kennt auch nur Walthers Namen. In diesem Teile Michigans müssen sie also nicht gewohnt haben, trotzdem die Nachrichten dahin lauteten. Wir werden noch lange im Lande umherstreifen können, ehe wir ihre Spur finden.«

»Wir suchen so lange, Herr Graf, bis wir sie gefunden haben,« sagte der Angeredete einfach.

»Ja, wir wollen suchen — bis mir sie gefunden haben,« sagte mit einem Seufzer der Graf. Damit streckte er sich auf dem Lager aus. Sein Begleiter tat das Gleiche — und bald verkündeten die ruhigen Atemzüge, daß sie fest schliefen. Das Feuer im Kamin brannte nieder und ringsum herrschte schweigende Nacht.

Zweites Kapitel. Auf der Fährte

Noch nicht lange war die Sonne über dem Horizonte erschienen, und sandte vom unbewölkten Himmel ihre wärmenden Strahlen zur Erde nieder, als die Türe des Blockhauses sich öffnete und Graf Edgar aus ihr ins Freie trat. Der junge Mann ließ sein Auge umherschweifen und erblickte nun klar im Tagesscheine, was nur verworren und kaum erkennbar sich gezeigt hatte, als er in später Abendstunde gestern hier anlangte. Dort lag die rauhe Straße, die er hergekommen war, hinter ihm das aus roh behauenen Blöcken aufgeführte und mit Schindeln bedeckte Blockhaus, welches ihn beherbergt hatte. Weiterhin zeigten sich Schuppen und Ställe, aus denen Laute drangen, welche die Anwesenheit von Schweinen und Kühen verrieten. Eine gute Strecke beackerten Landes zog sich um die Gebäude her, auf dessen Fläche noch vereinzelte dürre Bäume standen, welche umzuhauen und fortzuschaffen zu viel Arbeit gekostet haben würde. Diese verdorrten Bäume innerhalb der umgepflügten Felder sind eine charakteristische Eigentümlichkeit der jungen Ansiedlungen in den Wäldern Amerikas und geben diesen ein ganz absonderliches Gepräge. Statt sie zu fällen, »ringelt« man sie, wie der technische Ausdruck lautet, das ist, man schält an einer Stelle ringsum die Rinde ab, wodurch die Bäume absterben und endlich, freilich oft erst nach vielen Jahren, morsch zusammenfallen. Korn und Mais sproßten lustig im frischen Grün des jungen Jahres zwischen diesen abgestorbenen Baumriesen empor. Der schweigende Wald, aus dem dann und wann der Ruf der Spottdrossel drang, grenzte das Bild überall ein. Des Grafen umschauender Blick bemerkte, daß sich hier zwei Straßen kreuzten, was wohl Veranlassung gewesen sein mochte, daß sein, wie es schien, Ackerbau und Handel treibender Wirt sich hier niedergelassen hatte.

Langsam schlenderte er dann durch die Felder, zwischen den dürren Bäumen hindurch, deren Aeste nackt und kahl schier unheimlich in die Lüfte ragten. Nicht weit war er gegangen, als er, eine kleine Erdanschwellung ersteigend, einen ziemlich breiten Fluß vor sich erblickte, der seine bräunlichen Fluten langsam zwischen bewaldeten Ufern hintrieb.

Zwei Boote lagen dort am Ufer befestigt, das eine nach europäischer Art gebaut, während das andre, aus Rinde gefertigt, wohl indianischen Ursprungs war, wie er dergleichen bereits am Ohio gesehen hatte.

Der schweigende Wald, der Fluß im Morgensonnenschein, der weit herab sichtbar war, die feierliche Stille ringsum verfehlten ihren Eindruck auf das Gemüt des jungen Mannes nicht, denn dieses Schweigen der Natur spricht beredter zu fühlendem Herzen als der wüste Lärm im Tagestreiben der Städte.

In Gedanken versunken blieb er stehen. Die ferne Heimat stieg vor ihm auf, er sah seinen greisen Vater traurig im Lehnstuhl sitzen und es klang fernher tönend an sein Ohr: »Hast du sie noch nicht gefunden? Bring sie zurück, Edgar, daß ich sie noch segne, ehe ich zu meinen Vätern gehe und mein Haupt nicht kummervoll zu Grabe sinke.«

Ernst blickte der junge Mann vor sich hin. Aus seinem Sinnen erweckte ihn die Stimme seines Wirtes, der, auf hohem Ufer stehend, ihm zurief: »Ist ein glorioser Fluß, der alte Muskegon, Fremder, meint Ihr nicht?«

»Der Fluß ist schön mit seinen schweigenden Waldufern, ja, Wirt.«

»Ist ein mächtig schöner Fluß, keiner wasser- und fischreicher im alten Mich. Seid früh auf den Beinen, Fremder, kalkuliere, hat Euch das Lager nicht gefallen? Müßt vorlieb nehmen. Mann, seid nicht in Lansing oder Detroit, seid in der Wildnis.«

»Ich ruhte gut genug — aber ich liebe den Morgen und die Frühsonne lockte mich hinaus.«

»Ist ein schönes Ding um klaren Sonnenschein und frischen Morgenwind, habt recht, erfrischt das Herz und den Sinn, liebe ihn auch, den Morgen. Aber ich bin Euch nachgegangen. Euch zum Frühstück zu holen, meine alte Lady wartet mit dem Kaffee auf Euch.«

»Nun, ich bin bereit,« entgegnete der Graf freundlich, »die Morgenluft stärkt den Appetit.«

Sie schritten durch die Felder zurück und Grover erklärte seinem Gast nicht ohne Stolz was er unter harter Arbeit seit einigen Jahren dem milden Walde abgerungen habe, und wies auf die urbar gemachten Felder.

»Ist ein guter Boden hier. Fremder, hab‘s gut getroffen, mächtig guter Boden. Und der gesegnete Muskegon ist der Fluß, Mais und Korn hinabzuschaffen bis nach dem See und darüber hinaus bis Chicago. Ist ein guter Platz hier für Ackerbau und Handel, kreuzen sich die Straßen. Hat noch eine Zukunft, der Platz hier, kommen immer mehr Leute und bauen sich ein Haus in der Nähe, habe schon zehn Meilen von hier einen Nachbar.«

Während der Wirt so plauderte, langten sie am Hause an, in dessen Tür eine einfach, doch sauber gekleidete Frau stand.

»Ist meine alte Lady, Fremder, eine Frau, wie man sie suchen kann weit und breit. Hat manche Fährlichkeit an meiner Seite ertragen im wilden Wald, ist mein Stolz, Fremder, das alte Weib.«

Das alte Weib war eine ganz stattlich aussehende Frau, der man trotz des rauhen Lebens, welches sie im Walde führen mußte, ihre vierzig Jahre nicht ansah.

Er stellte ihr jetzt seinen Gast vor.

»Ist der Fremde, Nelly, von jenseits des großen Wassers, von welchem ich dir gestern abend sagte.«

Die Frau reichte dem Grafen die Hand und überflog nicht ohne Wohlgefallen dessen hübsches, freundliches Gesicht und seine schlanke Gestalt, welche die knappe Tracht vorteilhaft hervorhob.

»Ihr seid willkommen, Herr,« sagte sie einfach.

»Ist ein Lord oder so etwas, Nelly, wenn ich gestern abend richtig verstand. Kennen das bei uns nicht, Fremder, stammt noch aus dem alten Lande. Aber schadet nichts, nehmen‘s hier nicht so genau, seht ehrlich aus und habt Euch benommen wie ein Mann.«

Ein Lächeln trat in des jungen Edelmannes Angesicht, als ihm der Wirt so treuherzig versicherte, daß ihm seine vornehme Abkunft hier nichts schaden solle. Dann sagte er: »Wenn ich durch mein spätes Erscheinen Mistreß Grover in ihrer Nachtruhe gestört habe, so bitte ich nachträglich um Entschuldigung.«

»Sind‘s gewohnt, Sir, werden oft genug in der Nacht herausgepocht.«

Indem kam Heinrich von den Ställen her, wo er bereits nach den Pferden gesehen hatte. In seiner kräftigen Gestalt, dem gebräunten narbigen Antlitz, aus dem zwei scharfblickende graue Augen blitzten, dem Ausdruck von Energie auf seinen Zügen, lag etwas Selbstbewußt-Kühnes, wie es gewöhnlich dem Weidmann eigen ist.

»Sind die Pferde ausgeruht, Heinrich?«

»Zu Befehl, Herr Graf, sind frisch und munter.«

»Kommt herein, Fremde,« ließ sich die Frau vernehmen, »und laßt‘s euch schmecken.«

Sie ging voran und die andern folgten.

Auf einem großen, mit rauhem, aber sauberem Linnen bedeckten Tische war nach Landesart ein reichliches Frühstück hergerichtet. Aus einer umfangreichen Blechkanne stieg der Duft eines guten Kaffees empor und daneben zeigten sich frische Maiskuchen, Butter, Honig, Eier, Schinken und die reichliche Hälfte eines Truthahns.

Am Tische standen zwei junge Mädchen, einfach in selbstgewebtes Zeug wie die Mutter gekleidet, frische, gesunde Kinder, und blickten halb schüchtern, halb mit verstohlener Neugierde nach den Fremden hin.

»Sind meine Töchter, Fremder, Lizzy und Mary. Habe noch einen Jungen, den Erstgeborenen, siebzehn Jahre alt, aber der ist in Lansing und studiert mächtig Lesen und Schreiben und Rechnen. Kommt ihm schwer an, dem armen Burschen, läuft lieber mit der Büchse im Walde herum, aber muß sein, das Studieren, kommt nicht ohne das durchs Leben. Muß viel nachholen, hatten im wilden Walde keine Schule.«

Während er so plauderte und der Graf die jungen Mädchen mit leichter Neigung grüßte, waren sie um den Tisch getreten, Grover faltete die Hände und alle folgten dem Beispiel, die jüngste der Töchter sprach ein Gebet und dann sagte Grover, sich setzend: »Und nun langt zu, Fremde. Ist bei uns Sitte, an den lieben Gott zu denken, wenn der Tag beginnt, kalkuliere, ist eine mächtig gute Sitte. Haltet ihr‘s im alten Lande auch so?«

 

»Auch bei uns vergißt man nicht des Schöpfers zu gedenken, Mister Grover.«

Herzhaft griff man nun zu dem lecker bereiteten Mahle, welches der Vorratskammer des Hauses Ehre machte.

Als sich das Frühstück dem Ende nahte, äußerte Grover: »Spricht nicht englisch, Euer Gefährte, denk‘ ich, sagtet Ihr gestern abend?«

»Er spricht und versteht nur deutsch.«

»Ist Euer Diener, Fremder? Wie?«

»Nicht ganz, Sir, Heinrich steht als Jäger in Diensten meines Vaters, und ist mein Reisebegleiter. Heinrich ist ein mächtiger Schütze, Mister Grover.«

»Ist eine gute Eigenschaft für den Wald. Müssen hier alle mit der langen Rifle umzugehen verstehen, und — verstehen‘s auch, sage Euch, Mann — verstehen‘s hier. Freut mich, daß Euer Gefährte ein guter Schütze ist.« Heinrich war augenscheinlich in des Wirtes Achtung gestiegen. »Auch im Kampfe gegen die Frenchers gewesen?«

»Sicher, Herr, stand beim fünften Jägerbataillon, welches vor Paris wohl den heißesten Kampf auszufechten hatte, der während des ganzen Krieges stattfand. Standen da achthundert Jäger zwei Stunden lang zehntausend Franzosen gegenüber, die mit wilder Wut angriffen. Hielten diese achthundert sie hin, bis endlich Hilfe heran war und den Feind zurückwarf.«

Staunend horchte der Wirt.

»Ist ein Fakt, Mann?«

»Ja, Sir, ist ein Fakt, steht in der Kriegsgeschichte verzeichnet.«

»Segne meine Seele,« sagte Grover und warf einen bewundernden Blick auf Heinrich, der, unwissend, daß von ihm die Rede war, sich eifrig mit Schinken und Eiern beschäftigte, »segne meine Seele, sind Krieger, diese Deutschen, ja, sind, ist ein Fakt. Achthundert gegen zehntausend,« brummte er vor sich hin, »mächtig glorreiche Frolic. Bin als junger Mann einmal gegen die Roten ausgezogen, am Mackinaw droben, ging auch heiß her. Waren da ein sechzehn wohl gegen fünfzig heulende Wilde, sind arg in der Klemme gewesen, aber haben sie doch endlich gepfeffert. War auch eine glorreiche Frolic, waren einer gegen drei — aber einer gegen zehn und gegen Franzosen, ist ein gewaltig Stück.«

Das Frühstück war geendet, die Mädchen räumten behende den Tisch ab und zogen sich dann mit der Mutter zurück.

Grover hatte sich erhoben und blickte nach der Ecke hin, in welcher die Waffen des Grafen und Heinrichs standen.

»Habt da eine absonderliche Büchse, Fremder,« ließ er sich vernehmen, »habe mir das Ding schon angesehen, wurde aber nicht recht klug daraus.«

Der Graf nahm die Waffe in die Hand. »Es ist ein Zündnadelgewehr, Mister Grover, wie die Preußen es seit Jahren führen, ein Zündnadelgewehr mit Büchsenlauf.«

»Hm, habe davon gehört, mögen auch solche Waffen schon im Lande sein, aber bis in die Wälder hier ist noch keine gelangt,« und neugierig untersuchte er die Büchse.

Bereitwillig öffnete Edgar den Verschluß und erklärte seinem Wirt die Konstruktion.

Mit dem regen Interesse des Waldmanns folgte Grover den Erklärungen des Offiziers. »Hm, ist neu hier, ganz neu. Hat sich bewährt? Wie?«

»Seit 1866 hat ganz Europa sich mit Hinterladern versehen, und 1870 besaßen die Franzosen in ihren Chassepots bereits eine bessere Waffe als wir.«

»Und trägt sicher?«

»So sicher wie jede andre gute Büchse,«

»Und worin besteht der Vorteil?«

»In der Feuergeschwindigkeit; Heinrich zum Beispiel feuert mit dieser Flinte acht- bis neunmal in der Minute.«

»Segne meine Seele,« sagte staunend der Wirt, »ist eine gewaltige Sache; möchte es sehen.«

»Gerne würde ich Euch das Vergnügen machen, die volle Feuergeschwindigkeit vor Euren Augen zu erproben, nur führen wir dazu nicht Patronen genug mit. Aber Heinrich soll Euch zeigen, wie man Schnellfeuer macht, er versteht besser damit umzugehen wie ich. Ich selbst bin nur mit einer Perkussionsbüchse bewaffnet, und zwar deshalb, weil man Pulver und Blei überall auftreiben kann, doch schwerlich möchte es hier gelingen, Patronen für diese Büchse zu erwerben.«

»Habt recht, ist hier nirgends zu finden. Kalkuliere, haben bereits in der alten Dominion Hinterlader, werden auch schon in den Städten an den Seen sein, habe noch keine gesehen, wir führen hier noch unsre alte Rifle.«

Der Graf forderte nun Heinrich auf, die Waffe zu nehmen, eine Patrone abzufeuern und dann mit der Hülse ihrem Wirte die Lade- und Feuergeschwindigkeit zu zeigen.

Sie begaben sich mit der Waffe ins Freie und Heinrich lud sie. Er schaute sich nach einem Ziele um und gewahrte etwa zweihundert Schritt entfernt eine Waldtaube auf dem Aste eines Baumes. Er hob die Büchse, feuerte und der Vogel fiel.

»Ist ein guter Schuß,« sprach Grover, »und ein gut gebohrter Lauf.«

Heinrich warf die Hülse heraus, zeigte sie dem aufmerksam beobachtenden Wirt und wiederholte vor dessen staunenden Blicken die Manipulation des Ladens, Zielens und Abfeuerns mit so großer Schnelligkeit, daß nach des Grafen Uhr neunmal sich der Büchsendonner hätte hören lassen, wenn er sich gefüllter Patronen bedient hätte statt der leeren Hülse.

»Segne meine Seele, das ist eine furchtbare Waffe, wenn gegen anrückende Massen gefeuert wird, unsre Rifles erfordern Zeit, bis der Schuß fest sitzt im Laufe. Mächtig neue Erfindung, muß mir auch ein solches Ding kommen lassen von dem See her, koste es, was es wolle. Mächtig neue Erfindung.«

Heinrich trug die Waffe zurück und Grover und der Graf schlenderten langsam vor dem Hause auf und ab.

Nach einer Weile sagte Grover: »Habt da gestern nach einem Landsmann gefragt. Fremder, habe Euch versprochen, Joe Baring darum anzugehen, der am längsten hier in den Wäldern lebt und Land und Leute den ganzen See entlang am besten kennt. Ist‘s Euch recht, reiten wir zum Alten hin, sind kaum zwanzig Meilen.«

»Ich halte jede Minute für verloren, die ich nicht auf Nachforschungen verbringe, Sir. Ich bin zu diesem Zwecke herübergekommen und suche schon lange vergeblich nach Walther.«

»Ist ein Verwandter von Euch, Mann?«

Nach einer Pause entgegnete der Graf mit trübem Ernst: »Er ist der Gatte meiner Schwester, und diese ist‘s, die ich suche.«

»Hm,« entgegnete der Amerikaner, »sucht Eure Schwester? War eine feine Lady? Wird wenig in die Wildnis gepaßt haben. Ist Euch so ganz aus den Augen gekommen? Seid doch ein Lord oder so was. Kalkuliere, ist nicht alles regelrecht zugegangen.«

Ein Schimmer von Röte flog über des jungen Mannes Antlitz und nach einem kurzen Schweigen erwiderte er: »Ich will Euch sagen, Grover, wie es zugegangen ist. Ihr habt recht, wenn Ihr meint, ich sei so etwas wie ein Lord. Mein Geschlecht gehört zu den ältesten und begütertsten Schlesiens und führt seit Jahrhunderten den Grafentitel. Zwei Kinder wurden meinem Vater geschenkt, meine Schwester Luise, die Erstgeborene, und ich, der nach langem Harren erschienene Erbe des Namens und der Besitzungen. Mein Vater hatte einen Verwalter Namens Walther in seinem Dienste. Ich entsinne mich seiner als eines schönen jungen Mannes von Bildung und guten Manieren. Meine Schwester und er faßten eine leidenschaftliche Zuneigung zu einander, doch war kein Gedanke, daß mein Vater jemals in eine Verbindung seiner Tochter mit dem Verwalter gewilligt haben würde. Als er von der Neigung meiner Schwester erfuhr, entbrannte er in wildem Zorne. Walther wurde sofort entfernt und harte Maßregeln gegen meine Schwester ergriffen. Ich war zehn Jahre alt, als sich dies begab. Liebe und Leidenschaft besiegten alle Hindernisse, meine Schwester entfloh, ließ sich dem Manne ihres Herzens in England antrauen und das Paar begab sich nach Amerika, um dort eine neue Heimat zu gründen. Walther hatte einiges Vermögen und wollte sich in den nördlichen Staaten ankaufen.

»Von jenem Tage an durfte der Name meiner Schwester, an der ich mit aller Zärtlichkeit hing, vor den Ohren meines Vaters nicht mehr genannt werden.

»Auf Verschiedenen Wegen gelangten von Zeit zu Zeit Mitteilungen zu uns. Walther hatte sich in Ohio angesiedelt und bewirtschaftete eine größere Farm. Die Nachrichten wurden spärlicher, immer spärlicher, und seit fünf Jahren ist keine Kunde mehr zu uns gekommen. Es kam der Krieg gegen Frankreich, ich wurde schwer verwundet, war dem Tode nahe, meine Mutter war schon längst von uns geschieden, und da wachte endlich in meinem greisen Vater, dem mit meinem Hinscheiden ein einsamer, gramvoller Lebensabend drohte, die alte Zärtlichkeit gegen meine Schwester wieder auf, und während ich noch auf meinem Schmerzenslager ruhte, sagte der halbgebrochene alte Mann eines Tages leise zu mir: ›Wo nur Luise sein mag?‹ und langsam rannen ihm die Tränen über die Wangen.

»›Gott segne diese Stunde‹, erwiderte ich ihm freudig erregt, als ich die starre Rinde, welche sein Herz umlagerte, endlich gebrochen sah, ›das macht mich wieder gesund, Vater‹ und von der Zeit an begann ich von der schweren Wunde wirklich rasch zu genesen. Sofort wurden nun alle Mittel in Bewegung gesetzt, Kunde von den für uns Verschollenen zu erlangen. Ihr Aufenthalt in Ohio wurde festgestellt, aber von dort hatte Walther sich hinweg begeben, nachdem er seine Farm verkauft hatte, und es war trotz aller angewandten Mittel nicht zu erfahren, wohin. Als ich vollständig genesen war, machte ich mich auf, die Schwester zu suchen. In Ohio erfuhr ich endlich, daß Walther nach harten pekuniären Verlusten sich nach Michigan gewandt habe. Ich folgte hierher, forschte in Lansing, in Detroit vergeblich nach Walther, man wußte nichts von ihm, auch in den Grundbüchern war er nicht verzeichnet. So bin ich, fortwährend suchend, hierher an den Muskegon gelangt. Und nun helft mir, Grover, die Schwester zu finden. Die Liebe zu ihr ist im Vater mit voller Stärke erwacht und er kann nicht ruhig sterben, ehe er sein verstoßenes Kind wieder hat.«

Aufmerksam hatte Grover zugehört, als der junge Graf so sprach, und bedächtig entgegnete er: »Will Euch helfen, Mann, soweit ich kann. Steckt Eure Schwester im alten Mich, wollen wir sie finden, ist nicht aus der Welt hier. Wollen jetzt zu Baring reiten, wollen hören, was der meint. Ist‘s Euch recht?«

»Tag und Nacht bin ich bereit, Grover.« Dieser gab seinem Jungen Befehl, die Pferde zu rüsten, und nach kurzer Frist saßen der Wirt, Graf Edgar und Heinrich im Sattel, die Büchsen vor sich, denn Grover hatte es nicht für rätlich erachtet, unbewaffnet zu reisen, und trabten unter seiner Führung in den Wald hinein.

Nach kaum zweistündigem scharfem Ritte erreichten sie Barings Farm, ein ausgedehntes Besitztum, welches sich ebenfalls den Muskegon entlang erstreckte.

Als sie sich dem Hause näherten, welches nach Landesart aus rohen Holzblöcken aufgeführt war, aber doch schon die Spuren von verschönerndem Luxus zeigte, trat ihnen der Besitzer, ein schon weißhaariger, aber kräftig ausschauender Mann entgegen. Kaum erkannte er Grover, als er ins Haus hinein schrie: »Holla, Mary, deck den Tisch, Bill Grover kommt, laß tafeln, Mary, kenne den Mann, laß tafeln!« und dann herzhaft lachte.

»Kennst den Bill Grover, alter Joe,« lachte dieser auch; »bringt immer einen Wolfshunger mit.« Damit sprang er vom Pferde und schüttelte Baring kräftig die Hand. »Habe dich lange nicht gesehen, Bill,« sagte Baring, »ist eine Freude für mich, in dein ehrliches Gesicht zu blicken. Deine Lady und deine Mädchen wohl, he?«

»Alles beim Rechten, Joe. Habe hier Fremde — sind meine Gäste, Leute von jenseits des Wassers.«

»Seid willkommen natürlich. Seid willkommen, Männer, bei Joe Baring, wen Bill Grover mit sich führt, ist bei Joe Baring willkommen.« Und er schüttelte den bereits Abgestiegenen die Hände, wobei er den Grafen nicht ohne einige Ueberraschung betrachtete. Die Pferde wurden befestigt und auf des Besitzers Einladung betraten sie das Haus, welches, umfangreicher als das Grovers, mehrere Gemächer im Erdgeschoß aufwies und noch in einem Oberstock einige Wohnräume enthielt.

In dem Zimmer, in welches sie geführt wurden, war man bereits emsig beschäftigt, einen Tisch zu decken.

»Meine Lady ist mit den Mädchen auf Besuch bei Nachbar Tennyson, Bill, kann euch also nicht willkommen heißen, müßt mit dem alten Joe fürlieb nehmen. Doch nun setzt euch und langt zu, Männer, wird gern gegeben.«

Nach dem zum Erstaunen Barings von seiten seiner Gäste ungewöhnlich rasch beendeten Mahle sagte Grover: »Sind herüber gekommen, Joe, wollen deinen Rat haben.«

 

»Sollt ihn haben, Leute, so gut ich ihn geben kann, doch erst steckt euch Pfeifen an und nehmt einen Schluck Cherry — ist zu trinken, Bill.«

»Weiß schon, trinkst nichts Schlechtes.« Pfeifen wurden gebracht und die Gläser mit Wein gefüllt.

»Nun laß hören, Bill, womit kann ich euch dienen?«

»Siehst hier den Fremden, Joe, ist von jenseits des Wassers gekommen, eine Schwester hier zu suchen, sollst helfen, sie zu finden. Ist ein Deutscher, wirst es schon wahrgenommen haben; kennst fast alle Deutschen im Land, wirst hier helfen können.«

»Bin begierig, was da herauskommt. Sprich weiter,« sagte der Alte, den Grafen anschauend.

»Ist dir ein Farmer, ein Deutscher von Geburt, mit Namen Walther vorgekommen, Joe?«

Mit der Faust schlug dieser auf den Tisch: »Gott segne meine Augen, jetzt weiß ich, was mich so bekannt anmutete, jetzt weiß ich‘s, ‚s sind Lady Walthers Züge.«

»Ihr kanntet sie, Herr?« rief Edgar in hoher Aufregung.

»Tragt ihre Züge, Mann, — jetzt weiß ich‘s.«

»Um Gottes willen, quält mich nicht lange! Ich bin der Bruder. Wo ist sie, wo?«

Der alte Farmer strich sich mit der Hand über die Augen, dann legte er sie auf Edgars Arm und sagte: »Seid ruhig. Mann — faßt Euch. Seid ruhig, sollt alles erfahren, was ich weiß. Bin ganz erschüttert, wo mich Euer Gesicht an Lady Walther erinnert.«

»Lebt sie denn noch — lebt sie?«

»Das weiß nur Gott, Fremder — ich nicht,« sagte Baring sehr ernst.

Graf Edgar sank erbleichend in den Stuhl zurück.

»Seid der Bruder — seh‘s: Müßt‘s tragen wie ein Mann.«

»So laßt mich‘s hören,« sagte Edgar in einem Tone, der bittere Seelenqual verriet. Grover rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, während Heinrich, der, ob er gleich nicht verstand, was gesprochen wurde, wohl wußte, wovon die Rede war und aus dem Benehmen des Grafen leicht schloß, daß die Nachrichten des alten Farmers nicht günstig lauteten, ebenfalls in nicht geringer Aufregung war.

»Ist ein Glück, daß mein Weib nicht hier ist, stürzen ihr die hellen Tränen aus den Augen, wenn von Lady Walther gesprochen wird. Hatte sie sehr ins Herz geschlossen, die Alte.« Er bemerkte die sich steigernde Erregung des jungen Mannes und fuhr fort: »Will‘s kurz machen — sollt‘s rasch haben. Mann. Kam da vor vier Jahren der Walther ins Land mit Frau und einem kleinen Knaben, kam damals in meiner Nachbarschaft an. Wohne erst seit zwei Jahren hier, war dies hier meines Bruders Farm, die ich erbte, als er starb, lebte früher am Miamis. Kam der Walther von Ohio, kaufte Bill Spurings Farm, zehn Meilen von mir und begann zu wirtschaften. Ist ein eigen Ding mit der Landwirtschaft hier, muß anders betrieben werden als im alten Europa. War ein rechter Mann, der Walther, ein Gentleman, wollt‘s aber auf seine Weise betreiben, glaubte, er verstünde es besser — hatte immer Pläne und Projekte, die kosteten Geld und brachten nichts ein. Hatte eine Frau mitgebracht, hieß nur Lady Walther, bei Mann und Weib, paßte in den Wald wie eine Rose in einen Tannenstrauch, war schon und gut und fleißig. Liebten sie alle, die sie kannten, aber war keine Frau für den Hinterwald, war eine Lady, eine zarte Blume.«

Mit tiefer Spannung und Rührung horchte Edgar auf des Alten Worte.

»Hatten uns befreundet, der Walther und ich, na, und mein altes Weib und die Mädchen liebten und verehrten die Lady, als wenn sie so vom Himmel heruntergekommen wäre. Haben geholfen mit Rat und Tat, aber Walther kam zurück, immer mehr und mußte schließlich verkaufen. Da gab die Regierung Land am Manistee River. Bin mit Walther hingeritten, haben Land wohlfeil erworben, habe geholfen, alle haben geholfen, ihn wieder auf die Beine zu bringen, fing schon an vorwärts zu kommen, da — na —« dem alten Manne stiegen die Tränen in die Augen.

»Und da —?« fragte der Graf mit zitternder Stimme.

»Da« — sagte Baring fast rauh, um die ihn beschleichende Rührung zu verbergen — »da kam der Wilde von Norden, war gereizt von den schuftigen Agenten der Regierung — und begann am Manistee zu brennen und zu morden.«

»Und — und —?« schrie Edgar.

»Eures Schwagers Farm ward zerstört, er erschlagen —«

»Großer — Gott — und meine Schwester?«

»Waren dort am zweiten Tage, hatten eine blutige Frolic mit den Ottawas, suchten nach Walthers Farm — fanden sie, Walthers Leiche auch — aber von Frau und Kind keine Spur — waren verschwunden.«

»Ihr fandet ihre Leichen nicht?«

»Nichts — so viel wir suchten. Haben geforscht, ob die Roten sie fortgeführt hätten, haben die Regierungsmänner geforscht, haben einen hohen Preis ausgesetzt, um Gewißheit über das Schicksal von Lady Walther zu erhalten — nichts — alles nichts — konnten nichts erfahren; ob sie noch lebt — wo und wie sie ihr Ende fand — ich weiß es nicht.«

»Mein Gott, mein Gott — meine arme, arme Schwester —« stöhnte der Graf und senkte den Kopf auf den Tisch. Alle schwiegen, den Schmerz des Bruders achtend.

Der Graf richtete sich wieder auf und sagte, wenn auch mit bebender Stimme, doch in einem Tone, welcher festen Entschluß verkündigte: »Ich will Gewißheit über ihr Schicksal haben, und wenn ich die Wälder von Nord bis Süd durchforschen muß. — O Mister Baring,« fuhr er dann fort, »wie danke ich Euch für die Liebe und Teilnahme, welche Ihr meiner Schwester erwiesen habt.« Er ergriff seine Hände und schüttelte sie herzlich.

»Hatten sie lieb, ist ein Fakt. Müßt‘s ertragen. Mann, ist Gottes Wille so gewesen — dürfen nicht murren.«

»Arme, arme Schwester! — — — Und — haltet Ihr‘s für möglich — daß sie noch lebt?«

»Will Euch sagen. Mann,« entgegnete Baring nach einer Weile — »müßt Euch keine Hoffnungen machen. Möglich — möglich — wäre es — aber wahrscheinlich ist‘s nicht. Ich glaube, die Indianer haben sie und das Kind fortgeschleppt, um vielleicht später Lösegeld zu erpressen, und sie ist den Anstrengungen eines indianischen Eilmarsches mit seinen Entbehrungen erlegen. Die Ottawas sitzen längst wieder friedlich auf ihren Reservationen — und wir müßten etwas von Lady Walther erfahren haben, wenn sie noch lebte. Wir und später die Regierungstruppen sind streng mit den Roten ins Gericht gegangen; eine Gefangene zu verbergen, für den Fall sie noch lebte, wagen sie deshalb nicht — und selbstverständlich sind sie schweigsam über das Ende derselben, ja sie leugnen überhaupt, sie entführt zu haben. Nein, Mann, macht Euch keine Hoffnungen.«

»Ich suche sie dennoch — ich muß Gewißheit haben über Leben oder Tod, mein ganzes Leben wäre sonst mit Trauer überschattet.«

»Ist recht. Mann, ist natürlich, hätt‘s auch getan, habt meinen Segen zur Fahrt, wollte Euch nur warnen, Hoffnungen zu hegen, die Enttäuschung ist dann um so bitterer.«

»Ich hege keine Hoffnung, nur meine Pflicht will ich erfüllen und ihr Grab suchen, wenn ich sie im Leben nicht mehr finde. — Und einen Knaben hatte meine Schwester?«

»Einen prächtigen Knaben, William, so ward er genannt nach Eurem Kaiser, müßte jetzt so neun oder zehn Jahre alt sein, wenn er noch lebte.«

»Und ein solches Kind sollten Eure Indianer erschlagen?«

»Kennt den Roten nicht, wißt nicht, was indianische Wut ist, die schont nicht den Säugling an der Brust.«

»Mein Gott, mein Gott. — Sagt mir, wo ich suchen soll — morgen mache ich mich auf den Weg.«

»Nur sachte, sachte. Habt eine lange Fahrt vor Euch. — Wollen erst Rat halten; ist nicht gut, blindlings in die Wildnis zu stürzen, kennt auch indianische Schlauheit nicht.«

»Sagt mir, Herr, was ich tun soll, wie ich beginne?«

»Mary, bringe Wein und frische Pfeifen.«

Die Magd brachte beides.

»Müßt Euch in Geduld fassen, so sehr es auch da drinnen unruhig pocht, ist die erste Eigenschaft bei solcher Sache Kaltblütigkeit. Will Euch sagen. Mann, was zu tun ist. Waren es damals die Ottawas, welche am Manistee mordeten. Sind streng gestraft worden und mehrere ihrer Häuptlinge mußten, nachdem sie unterworfen waren, noch baumeln. Dieser Stamm ist nicht schwer zu finden. Aber das erste, was Ihr tun müßt, ist. Euch Empfehlungen zu verschaffen an den Landagenten und an den vornehmsten Häuptling der Ottawas, den Peschewa, die ›wilde Katze‹, dann dürft Ihr Geschenke an die einflußreichsten Wilden und deren Weiber nicht scheuen.«