Za darmo

Der Sohn des Gaucho

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Don Enrique schwieg wieder einen Augenblick; er fuhr sich mit müder Bewegung über die Stirn. »Ich war damals nahe am Verzweifeln«, sagte er, »ich bin tagelang umhergeirrt und schließlich in die Wildnis geflohen.« Er lächelte bitter. »Das ist nun alles vorbei«, sagte er, »und es ist gut so.«



»Es ist unbegreiflich und nicht zu fassen«, sagte Don José nach einer Weile drückenden Schweigens. »Trotzdem: ich würde die Gesamtheit nicht entgelten lassen, was ein einzelner verbrach.« Der Deutsche antwortete nicht. Er saß noch einige Zeit, dann erhob er sich, griff nach der Büchse und betrat die Höhle. D‘Urquiza blieb nachdenklich zurück.



Am nächsten Tag früh, die Sonne hatte sich eben erst über den Horizont erhoben, drangen Begrüßungsrufe von unten herauf. Enrique erkannte an der Stimme Aurelio. »Willkommen, mein Junge!« rief er herunter, »bring dein Pferd in den Korral und komm herauf.«



Während er Feuer anzündete und den Kessel zur Matebereitung aufsetzte, erschienen im Eingang zur Höhle Aurelio und Juan Perez.



»Oh, Vater und Sohn!« rief der Deutsche erfreut, »doppelt willkommen in meiner Einsiedelei!« Die Begrüßung war allerseits herzlich, doch schien der Gaucho durch die Anwesenheit des Generals d‘Urquiza etwas befremdet.



»Ich dachte, Ihr wäret längst fort, Señor«, sagte er, indem er dem Verfolgten die Hand reichte. Der Deutsche schaltete sich ein und erklärte, daß Erschöpfung, Schwäche und Fieber den General bisher zurückgehalten hätten. »Ich werde Don Enrique nicht lange mehr lästig fallen«, sagte der nicht ohne Bitterkeit.



Aber es achtete im Augenblick niemand auf ihn. Don Enrique freute sich herzlich, Aurelio wieder einmal bei sich zu sehen, und er gab seiner Freude auch unverhohlen Ausdruck. Man setzte sich fröhlich zum Frühstück, zu dem Aurelio einige Kaninchen beisteuerte, die er unterwegs geschossen hatte. »Ich hoffe, wir werden einige Hirsche und Jaguare vor die Büchse bekommen«, sagte er. Der Deutsche lachte zustimmend. Er erschien Aurelio heiterer und aufgeschlossener, als er ihn bisher erlebt hatte. Im Verlaufe des Gesprächs erzählte er nun auch, daß man ihm vor einigen Tagen ein Pferd samt Sattel- und Zaumzeug aus dem Korral gestohlen habe.



»Ein Pferd gestohlen? Aus Eurem Korral?« fuhr Juan auf.



»Es ist nicht zu bezweifeln.«



»Woher wißt Ihr, daß es gestohlen wurde? Kann es nicht entlaufen sein?«



»Schwerlich«, lachte der Deutsche. »Es war weder gesattelt noch aufgezäumt.«



»Wie lange ist das jetzt her?«



»Heut ist der dritte Tag.«



Juan erhob sich. »Ich will nach den Spuren sehen«, sagte er.



»Jetzt noch, am dritten Tag?« fragte Don Enrique verwundert.



»Es hat nicht geregnet.«



»Und mein Vater ist der beste Pfadfinder der ganzen Pampa«, setzte Aurelio hinzu.



»Gut.« Der Deutsche erhob sich. »Kommt, Don Juan«, sagte er. Er nahm die Büchse und folgte dem Gaucho. Aurelio, gleichfalls seine Büchse ergreifend, schloß sich an. Unten ging Don Juan auf den Korral zu, bat die anderen zurückzubleiben und richtete das Auge scharf auf den Boden. Zum großen Erstaunen Enriques fand er schnell die Hufeindrücke des vermißten Tieres zwischen denen der Pferde, die er und Aurelio geritten hatten, heraus. Er verfolgte sie bis zu der Stelle, wo der Dieb sich in den Sattel geschwungen hatte, dies alles mit der Sicherheit, mit der ein guter Jagdhund der frischen Spur eines Wildes folgt.



»Hier ist der Mann aufgestiegen«, sagte er. »Wir wollen später zusehen, wohin er geritten ist.«



Der Deutsche, der langsam hinterhergegangen war, vermochte auf dem Boden überhaupt nichts zu bemerken, was nach Pferde- oder Menschenspuren aussah, obgleich er doch als Jäger nicht eben ungeübt war. Er sah deshalb ziemlich ungläubig drein. Aurelio lächelte ihm zu. »Ihr dürft es ruhig glauben, amigo«, sagte er, »Vater sieht ihn aufsteigen.«



Der Gaucho ging zum Eingang des Korrals zurück. »Wir wollen nun sehen, woher der Bursche gekommen ist und was er für ein Mann war«, sagte er. Er durchforschte mit großer Aufmerksamkeit den Boden, betrachtete nachdenklich einen wilden Orangenbusch, trat heran und ging um ihn herum. Enrique und Aurelio folgten ihm.



»Hier«, sagte der Gaucho nach einer Weile, »hier hat der Mann gelegen. Es ist ein magerer, ziemlich langer Kerl, der außer seinem Messer sicherlich keine Waffe bei sich führte. Er muß Euch, Señor, gesehen haben, wie Ihr in den Korral gingt und wieder herauskamt. Er hat sich aufgerichtet und Euch beobachtet.«



»Ich verstehe kein Wort«, sagte Don Enrique trocken. Der Gaucho lächelte. »Es ist weiter kein Geheimnis dabei«, versicherte er, »nur ein bißchen Übung, die man sich im Laufe der Jahre erwirbt. Der Mensch hinterläßt überall, wo er sich bewegt, ziemlich deutliche Spuren, man muß sie nur sehen. Die Körper, Größen- und Gewichtsverhältnisse des Diebes gehen ziemlich klar aus den Eindrücken hervor, die er hier hinterlassen hat. Auch Waffen würden Eindrücke hinterlassen, so er welche gehabt hätte. Wenn man gebückt hinter einem Busch steht und nach jemand auslugt, liegt es nahe, daß man sich irgendwo festhält, und auch das hinterläßt Spuren am Gesträuch. Übrigens, der Mann war noch ziemlich jung. Ich habe mir vorhin sehr genau die Stelle betrachtet, wo er aufs Pferd gestiegen ist. Ich verstehe was von Pferden und weiß, wie sie sich benehmen; bei älteren Leuten tritt das Pferd mehr hin und her, weil sie begreiflicherweise nicht mehr so leicht in den Sattel kommen. Seht Euch einmal die Spuren an und beobachtet den Unterschied; Ihr werdet sofort feststellen, wo Aurelio aufstieg und wo ich aufgestiegen bin.«



»Ganz schöne Erklärungen«, sagte der Deutsche. »Mir kommt die Sache nichtsdestoweniger unheimlich vor. Aber mein Respekt vor Euch wächst, Don Juan, und er war schon immer nicht gering.«



Der Gaucho lachte. »Wir wollen uns nun ansehen, woher der Dieb kam und wohin er ging«, sagte er. »Hole die Pferde, mein Junge.«



Während Aurelio sich zum Korral begab, ging er an den Büschen entlang, kreuzte die Spur, die das gestohlene Pferd bei dem Abritt hinterlassen hatte, ging noch ein Stückchen weiter und erklärte dann: »Der Mann kam von Norden, verfolgt wahrscheinlich, denn freiwillig kommt niemand zu Fuß in die Pampa oder in diese Schluchten.«



Aurelio brachte die Pferde, und er und Don Juan verfolgten die Hufspur nun weiter. Don Enrique blieb zurück, um den General nicht so lange allein zu lassen. Nach einer Stunde etwa waren die Reiter wieder da. »Der Bursche ist nach Osten entwischt«, sagte der Gaucho, »ich habe seine Spur meilenweit mit dem Auge verfolgt.«



»Meilenweit, mit dem Auge?« lächelte Enrique.



»Das ist nun weiter gar keine Besonderheit«, versetzte der Gaucho. »Jeder Pampasbewohner vermag die Spur eines flüchtigen Pferdes durch das unberührte Steppengras auf viele Leguas hin mit dem bloßen Auge zu verfolgen. Übrigens scheint der Kerl halbverhungert gewesen zu sein; er hat sich einen Pampashasen eingefangen und zum Teil roh verzehrt. Vermutlich handelt es sich um einen flüchtigen Verbrecher, der von Alguacils verfolgt wurde. Ein anständiger Mensch hätte, nachdem er den Korral entdeckte, nach dem Eigentümer geforscht und seine Gastfreundschaft erbeten, die ja nie verweigert wird. Von dem Kerl ist übrigens sicher nichts weiter zu befürchten; der ist froh, ein Pferd zwischen den Knien zu haben und nach Osten entkommen zu können.«



Der Deutsche sah auf. »Fürchtet Ihr denn überhaupt etwas?«



»In diesen unruhigen Zeiten ist allerlei möglich«, antwortete der Gaucho. Er wandte sich dem Jungen zu. »Geh in die Höhle und brate die Kaninchen, Aurelio«, sagte er. »Ich habe offen gestanden einen guten Appetit von dem Morgenritt mitgebracht.«



»Ich wollte einiges mit Euch besprechen«, fuhr er fort, nachdem der Junge in der Höhle verschwunden war. »Ich habe Euch Aurelio nicht ohne Absicht jetzt hierher gebracht; ich befürchte Unruhen für die nächste Zeit.«



»Unruhen?« Der Deutsche horchte auf. »In welcher Beziehung?«



»Ihr habt mir ja selbst von Eurem Zusammentreffen mit den Puelchen erzählt.«



»Und wegen dieser drei Indios glaubt Ihr – —?«



»Ich kenne die Puelchen besser als Ihr«, sagte der Gaucho. »Ich habe meine Erfahrungen mit ihnen. Nun, die Grenze ist gewarnt; unvorbereitet träfen sie uns diesmal nicht, wie damals vor sieben Jahren. Aber etwas anderes beunruhigt mich. Damals habe ich den Jungen tiefer ins Land hineingeschickt, das geht diesmal nicht. Und deshalb sähe ich ihn gern für die nächste Zeit in Eurer Obhut. Ich weiß. Ihr seid ihm zugetan und werdet ebenso für ihn sorgen wie ich.«



»Das werde ich ganz gewiß, und ich tue es gern; es ist mir eine Freude«, warf der Deutsche ein, »aber ich verstehe nicht – —«



»Kommen die Puelchen, gibt es einen harten Kampf«, fuhr Don Juan fort. »Und ich bin ein sterblicher Mensch. Aurelio aber wäre ohne mich nirgendwo sicher. Auch nicht auf meiner Estancia. Auch dort drohen ihm Gefahren, gegen die ihn mein guter Pati nicht schützen kann, obgleich er gewiß sein Leben für ihn hergäbe. Ich schätze Euch, Estrangero, ich habe Euch kennengelernt, und heute möchte ich Euch verpflichten. Sollte ich im Kampf gegen die Puelchen fallen, oder sollte mir sonst etwas zustoßen, wollt Ihr dann etwas für den Jungen tun?«



»Ich werde für ihn tun, was irgend in meinen Kräften steht«, sagte der Estrangero einigermaßen bestürzt, »aber ich verstehe wahrhaftig nicht den Grund Eurer Besorgnis.«



»Hört zu«, sagte der Gaucho. »Aurelio ist ein vater- und mutterloses Kind.«



»Wie? Er ist nicht Euer Sohn?«



»Nein, er ist nicht mein Sohn, obgleich ich ihn den Sohn meines Herzens genannt habe. Er ist von edlem Blut, als Wickelkind in das Elend hinausgeschleudert worden und mir vom Zufall in die Arme getrieben. Oder vom Schicksal. Der junge Bursche hat mächtige Feinde, obgleich er in seinem jungen Leben noch keinem Menschen ein Leid zugefügt hat; er ist von schamlosen Verbrechern um sein Erbe betrogen worden. Und nicht nur um sein Erbe, sondern auch um seinen Namen. Wird irgendwo bekannt, wer er ist, hat er mit unbarmherziger Verfolgung und Vernichtung zu rechnen. Pati kennt die Zusammenhänge, aber, wie gesagt, er kann ihn nicht schützen. Pati hat, solange ich mit ihm zusammen bin, immer nur mit meinen Gedanken gedacht; er stände, geschieht irgend etwas, den Ereignissen völlig hilflos gegenüber. Und weil das nun so ist und weil ich sonst keinen Menschen weiß, dem ich bedingungslos vertrauen möchte, darum wende ich mich an Euch und frage noch einmal: Wollt Ihr etwas für Aurelio tun?«

 



»Alles, was ich vermag«, versetzte noch einmal Don Enrique. »Und Ihr könnt Euch nicht denken, was Euer Vertrauen mir bedeutet.«



»Hört zu«, sagte der Gaucho. »Erreicht Euch die Nachricht von meinem Tode, so sucht zunächst Pati auf; er wird Euch über alles unterrichten, was Ihr über Aurelios Herkunft und Verhältnisse wissen müßt. Der Pater Hyazinth, Cura an der Dreifaltigkeitskapelle in Buenos Aires, hat alles, was die Abstammung Aurelios beweist, in seinem Besitz, an ihn müßt Ihr Euch dann wenden. Der Junge selbst darf erst im letzten Augenblick von seiner Abstammung und seinen rechtlichen Ansprüchen erfahren. Ich möchte unter keinen Umständen, daß er ohne zwingenden Grund seine Unbefangenheit verliert.«



»Ihr könnt Euch in jeder Beziehung auf mich verlassen«, sagte der Deutsche. »Ich werde jeden Eurer Wünsche peinlich erfüllen.«



»Aurelio muß seinem Vater außerordentlich ähnlich sein«, fuhr der Gaucho fort, »denn dem Alguacil, der hinter d‘Urquiza her war, ist er aufgefallen, und d‘Urquiza selbst nicht weniger. Diese Ähnlichkeit allein könnte möglicherweise hinreichen, um ihn zu gefährden, ja seinen Untergang herbeizuführen, wenn er in die Hand seiner Feinde fiele.«



»Darf ich wissen, wer diese Feinde sind?« fragte Don Enrique. »Ich frage nicht aus Neugier.«



»Vor allem einer der mächtigsten Männer dieses Landes, der Gobernador von Santa Fé, Don Francisco de Salis, dem, als einem der fanatischsten Anhänger Rosas, auch dessen Machtfülle zu Gebote steht.«



»Das sind allerdings gefährliche Feinde«, sagte tief beeindruckt der Deutsche.



»Ihr habt nun den Grund, warum ich Aurelio nicht in die dichter besiedelten Landesteile senden kann«, fuhr der Gaucho fort. »Bei der verblüffenden Ähnlichkeit mit seinem Vater, der ein im ganzen Lande wohlbekannter Mann war, ist das schlechthin unmöglich.«



Der Gaucho schwieg, und auch sein Begleiter war tief in Gedanken versunken. Welch wunderliches Schicksal! dachte er. Und zum erstenmal seit Jahren kam ihm der Gedanke, daß es neben dem eigenen, sein ganzes Leben umgestaltenden Erlebnis auch noch andere bittere Erfahrungen gäbe, über die nachzudenken sich lohnen möchte.



Während sie so schweigsam nebeneinander dahinschritten, hob der Deutsche schließlich den Kopf und sagte: »Die Anwesenheit d‘Urquizas hier schien Euch nicht angenehm zu überraschen.«



»Offen gestanden, nein«, antwortete der Gaucho. »Es ist das eine zwiespältige Sache. Ich weiß, daß der General ein Ehrenmann ist, ich weiß, daß Habsucht und Niedertracht ihn von Haus und Hof gejagt haben. Ich habe selbst unter ihm gedient. Aber dieser jetzt zum äußersten getriebene Mann bedeutet gegenwärtig den Bürgerkrieg. Und ich gehöre zu der Gauchoreiterei der Regierung. Ich erschrak, als ich ihn noch bei Euch sah, weil seine Anwesenheit Aurelio Gefahr bringen kann, denn ich bin überzeugt, Rosas läßt nicht ab, den General zu verfolgen. Übrigens habe ich über dem Pferdediebstahl ganz vergessen, Euch zu fragen, ob Ihr ihn ungefährdet hierher gebracht habt.«



Enrique berichtete von dem Zusammentreffen mit den Häschern.



»Seht Ihr!« sagte der Gaucho sehr besorgt.



»Ihr überschätzt die Gefahr, Don Juan«, versicherte der Deutsche. »Das Gebirge ist ausgedehnt, und niemand weiß, wo ich hause. Auch wird man auf Seiten der Verfolger schwerlich annehmen, daß d‘Urquiza noch hier ist, wo ihm nach allen Seiten die Flucht offenstand. Meine Felsenburg ist uneinnehmbar, und der über die Felsen führende Pfad sichert uns für den äußersten Fall immer einen Fluchtweg. Ich kenne jede Windung, jede Höhle in diesem Felsengewirr. Und außerdem wird d‘Urquiza morgen weiterflüchten.«



Diese Mitteilung beruhigte den Gaucho außerordentlich. Sie erreichten den Fels, Perez trieb seine Pferde auf den Platz, der als Korral diente, nahm aber vorsichtig Sattel und Zaumzeug mit nach oben. Bald duftete ihnen der Braten entgegen, und Aurelio rief, als die beiden Männer im Eingang des Wohnraumes erschienen: »Du wirst mit meiner Kochkunst zufrieden sein, Vater.«



Der General trat auf den Gaucho zu und sagte: »Ich weiß jetzt erst, wer du bist, Kamerad. Im Feldzug gegen Uruguay führtest du bei Indio muerte die Gauchoreiterei auf dem linken Flügel.«



»Allerdings, General.«



»Vor wenigen Tagen hast du zu meiner Rettung beigetragen. Gestatte, daß ich dir danke.« Er reichte dem Gaucho impulsiv die Hand. »Ich bin auf der Flucht«, sagte er, »gehetzt wie ein Wolf. Wie meine Zukunft sich gestalten wird, wie ich enden werde, ich weiß es nicht. Aber ich werde bis zum letzten Atemzug für Glück und Wohlfahrt unseres schönen Landes arbeiten und, wenn es sein muß, kämpfen. Solange ich lebe, werde ich dir dankbar verbunden sein, Juan Perez.«



»Gott füge alles zum besten, General«, sagte der Gaucho und drückte die Hand des Verfolgten.



Aurelio sagte: »Denke dir, Vater, der General findet in meinen Zügen eine große Ähnlichkeit mit einem seiner Jugendfreunde.«



»Ja, Don Juan«, schaltete d‘Urquiza sich ein, »die Ähnlichkeit deines Sohnes mit Fernando de Salis, einem der edelsten und besten Männer des Landes und dem teuersten meiner Freunde, ist verblüffend.«



»So darf sich Aurelio Glück wünschen, einem so vornehmen Caballero zu gleichen, ich meinerseits sehe die Züge seiner längst verstorbenen Mutter in ihm«, sagte Perez ruhig.



Sie sprachen während des Essens von gleichgültigen Dingen, ohne die Politik des Landes zu berühren, denn General d‘Urquiza wußte, daß Perez als Gauchoreiter auf der Seite seiner Verfolger stehen mußte und wollte seine Gefühle nicht verletzen. Er sprach seinen Entschluß aus, am nächsten Tage aufzubrechen, da er sich wieder kräftig fühle. Juan, der dies mit Befriedigung vernahm, erklärte, daß er selbst noch am Abend reiten wolle.



»Ich hoffte, Ihr würdet uns einige Tage schenken«, sagte der Deutsche. »Und außerdem, bei Nacht? Wie wollt Ihr bei Nacht durch die Pampa finden?«



»Der Gaucho und die Pampa sind eins, Don Enrique«, lachte Don Juan. »Die Sterne weisen mir den Weg, der Wind, die Gräser, die Sümpfe, die Wasserläufe. Aber alles dessen wird es gar nicht bedürfen, denn ich bin überzeugt, daß mein Pferd, das ich ebenso wie Aurelios Cid selbst gezüchtet habe, seinen Weg ganz allein findet. Bleiben kann ich leider nicht. Ich wollte Euch nur Euren jungen Gast bringen. Aurelio weiß, daß ich einer Versammlung der Gauchohäuptlinge beiwohnen muß, auf der unsere Angelegenheiten besprochen werden.«



Sie saßen nachher lange schweigend vor der Höhle und blickten auf das großartige Landschaftsbild, das die südlichen, romantisch gestalteten Ausläufer der Cordobaberge mit der gleich einem Ozean sich ausbreitenden Pampa dahinter dem Auge bieten. Als die Sonne sich zu neigen begann, erklärte Juan, daß er abreiten wolle, und Aurelio sprang hinab, um das Pferd zu satteln. Der Gaucho verneigte sich vor dem General und sagte: »Ich wünsche, Don José, daß Eure ferneren Wege von dem Glück begleitet sein mögen, das zugleich das Glück des Vaterlandes ist.« D‘Urquiza drückte ihm warm die Hand.



Don Juan ging von Enrique begleitet hinab und fand von Aurelio gehalten sein gesatteltes Pferd. Der Deutsche, der wußte, wie sehr Perez den Jungen liebte, und wie tief er sich um ihn sorgte, war verblüfft ob der stoischen Ruhe, mit der sich der Abschied vollzog. Don Juan strich leicht über Aurelios dunkle Locken und sagte, ohne daß seine Stimme irgendein Gefühl verraten hätte: »Gehab dich wohl, mein Junge, handhabe fleißig die Büchse. Hasta luego!« Dem Deutschen drückte er stumm die Hand. Mit einem kurzen »Hasta luego!« sprengte er gleich darauf auf seinem Braunen davon, von Aurelios Blicken gefolgt.



Die Nacht brach schnell herein, und nach kurzer Zeit suchten die Zurückgebliebenen das Lager auf.



Ohne sein Zutun, unbewußt fast, war der einsame Deutsche in das Leben der Menschen zurückgerissen und mit Verantwortung für andere belastet worden. Er kannte genug von Argentiniens Vergangenheit, um zu wissen, daß er in der Person des Generals d‘Urquiza einen Mann beherberge, von dem möglicherweise die Zukunft des Staates abhing. Nun war ihm auch noch Aurelio anvertraut. Das seltsame Schicksal des Jungen erhöhte die Teilnahme des Einsiedlers. Der Gedanke lag nahe, Aurelio sei der Sohn jenes Fernando de Salis, des Jugendfreundes d‘Urquizas, dem er so ganz ähnlich sah. Verhielt es sich so, dann durfte er in dem wieder zur Macht gekommenen General einen Bürgen der hoffnungsvollen Zukunft des Jünglings erblicken. Die Besorgnis um die Sicherheit der ihm anvertrauten Menschen, das Mißtrauen, das durch die Erscheinung des Pferdediebes zusammen mit Don Juans Äußerungen in ihm erweckt worden war, scheuchte ihn im Verlaufe der Nacht mehrmals vom Lager auf und ließ ihn auf verdächtige Geräusche horchen. Doch störte kein fremder Laut die feierliche Stille.



Bald nach Sonnenaufgang waren alle munter. Da der General erklärte, er wünsche erst gegen Mittag abzureiten, schlug Don Enrique, dem im hellen Tageslicht alle Besorgnisse geschwunden waren, Aurelio vor, einen Hirsch zu schießen, dessen Standort in einer der benachbarten Bergwaldungen ihm bekannt war.



Das Glück begünstigte die Jäger, sie kamen an den Hirsch heran, und Aurelio vermochte ihn mit einem wohlgezielten Schuß zu erlegen. Enrique weidete das Tier aus, und beide schafften die Beute nach der Stelle, wo ihre Reittiere standen. Sie wurde dem Muli des Deutschen aufgeladen, und in guter Stimmung über den glücklichen Jagdverlauf traten sie gleich darauf den Rückweg an.



Sie mochten etwa noch eine halbe Legua von der Höhle entfernt sein, als der Junge, während sie einen schmalen Sandstreifen durchquerten, plötzlich stutzend seinen Schimmel anhielt und aufmerksam zu Boden starrte.



»Was gibt‘s, Aurelio?« fragte der Estrangero.



»Das gestohlene Pferd«, sagte der Junge leise und deutete auf die Erde.



»Wie? Was heißt das?«



»Der Dieb ist zurückgekehrt, er ist vor kurzer Zeit ins Tal geritten.«



Enrique betrachtete nun auch prüfend den Boden und bemerkte jetzt freilich die unverkennbare Hufspur. Verblüfft sah er auf. »Du willst mir doch nicht sagen wollen, daß du in dieser Spur die des gestohlenen Pferdes erkennst?« spottete er.



Aurelio blieb ernst. »Ein Gaucho irrt sich nicht in einer Pferdespur, die er einmal gesehen hat«, sagte er. »Der Dieb oder wenigstens das gestohlene Pferd sind vor uns.«



»Ich werde noch wundergläubig«, sagte der Deutsche, doch steckte der Ernst des Jungen ihn unwillkürlich an. Sie griffen ihre Waffen fester und ritten weiter, der Spur nach, die auf die Höhle zuführte.



Schon nach kurzer Zeit zeigte sich, daß eine Schar Reiter, nach Aurelios Schätzung dreißig bis vierzig Mann stark, von Osten kommend, sich mit dem einzelnen Reiter vereinigt hatte. Auf der Flucht vor ihnen war der Einzelne nicht, denn sowohl sein Pferd als das der anderen waren Schritt gegangen.



»Bei meinem Leben!« rief Don Enrique, »das gilt dem General. Der Spitzbube hat die Reiter hergeführt. In den Wald, Aurelio«, setzte er gleich darauf kurz entschlossen hinzu, »ich kenne hier Weg und Steg. Hier draußen würden wir der Übermacht erliegen, ohne d‘Urquiza nützen zu können.« Er trieb sein Maultier rasch in die Büsche, und Aurelio folgte ihm. An geeigneter Stelle banden sie die Tiere an. Enrique eilte mit großen Schritten vorwärts. Der nur ans Reiten gewöhnte Jüngling vermochte ihm nur mit Mühe zu folgen.



Nach einer halben Stunde befanden sie sich der Höhle gegenüber, durch dichtes Gebüsch gegen Sicht gedeckt. Vorsichtig bog der Deutsche die Zweige eines Erlenbusches auseinander und erschrak, als er ganz nahe mehr als dreißig mit Lanzen bewaffnete Reiter erblickte, von denen viele die Uniform der Lanceros trugen. Die Anführer, die in einer kleinen Gruppe abseits hielten, schienen zu beraten. Er erkannte unter ihnen deutlich den Führer des Trupps, der ihn am Rio Quinto angegriffen hatte. Auch Aurelio erkannte den Alguacil wieder.



Der zerlumpte Bursche, der neben den Offizieren hielt und das gestohlene Pferd unter sich hatte, deutete mehrmals auf den Korral und nach der Stelle, wo der Felspfad nach oben führte.



»Der Bursche hat hier spioniert und uns verraten«, sagte Enrique. »Mach dich schußfertig.«

 



Auf einen Befehl hin stieg die Hälfte der Leute von den Pferden. Einige gingen nach dem Korral hinüber, während andere, die Karabiner in der Hand, auf die Mündung des Felspfades zuschritten. Das war der entscheidende Augenblick, der sofortiges energisches Eingreifen erforderte. Gelangten einige Lanceros auch nur so weit nach oben, daß der Fels sie deckte, war der General verloren.



»Jetzt gilt‘s!« murmelte der Deutsche, und während Aurelio voll inneren Grauens zögerte, die todbringende Waffe auf Menschen zu richten, ließ der kampfgewohnte Estrangero seine Büchse zweimal sprechen. Die beiden vordersten Lanceros stürzten tödlich getroffen nieder, während die Felsen vom Knall der Waffe widerhallten.



Die Wirkung der überraschenden Schüsse war gewaltig. Unter Entsetzensrufen sprangen die übrigen zurück zu ihren Pferden, schwangen sich auf und jagten davon. Auch die anderen, die dem Eingang des Korrals nahegekommen waren, folgten in größter Eile ihren Gefährten. Im Nu waren alle hinter den nächsten Baumgruppen verschwunden.



»Das sind Helden!« rief Enrique. »Wir müssen die Gelegenheit benützen, um zur Höhle hinüber zu wechseln. Was fehlt dir, Aurelio? Warum blickst du so trübe?«



»Es ist das erstemal, daß ich Menschenblut vergießen sah«, sagte der Jüngling leise.



»Denke ja nicht, daß ich es gern tue«, versetzte der Deutsche. »Es gibt Situationen im Leben, da bleibt keine Wahl. Sei überzeugt, wir verteidigen hier nicht nur den General d‘Urquiza, einen würdigen Mann, sondern auch unser eigenes nacktes Leben. Ich weiß, mit wem wir es zu tun haben. Komm schnell, laß uns hinüberschleichen.«



»Mein Cid —«



»Die Tiere dürfen wir jetzt nicht beachten. Bleibe an meiner Linken. Ich denke, die Schüsse werden den General aufgeschreckt haben.«



Die Lanceros waren nach Norden entflohen, und Enrique wollte den ihm anvertrauten Jungen gegen etwaige Schüsse von dorther mit seinem Körper decken. Er nützte Büsche und Felsgestein aus, und sie gelangten rasch an den Fuß des Felsens. Die beiden Männer, die unter den Kugeln des Estrangeros gefallen waren, lagen leblos da. Enrique nahm die ihnen entfallenen Karabiner an sich, hieß Aurelio vorangehen und eilte nach. Fast oben angelangt, rief er: »Ruhe, Excellenza! Wir sind es.«



»Kommt!« klang es von oben herab. Die Vorsicht des Deutschen war nicht unnötig gewesen, denn die Schüsse hatten d‘Urquiza aufgeschreckt. Sie sahen ihn, als sie die Höhle betraten, mit geladenem Karabiner vor sich stehen, bereit, sein Leben teuer zu verkaufen. »Was war das?« fragte er.



Don Enrique gab ihm einen kurzen Bericht über das Vorgefallene und erzählte ihm nun auch von dem Pferdediebstahl und von den Feststellungen Juan Perez‘.



»Also Rosas Häscher sind am Werk!« sagte der General. »Ein sonderbarer Zufall muß sie hierhergeführt haben. Denn ein Spion war der Pferdedieb sicherlich nicht. Spione haben Pferde und Waffen. Aber was nun?«



»Wir können hier jeder Belagerung trotzen«, sagte Enrique. »Und notfalls bleibt uns immer noch der Rückzug über die Felsen. Übrigens haben die Kerle einen solchen Respekt vor meiner Büchse, daß sie sich schwerlich in deren Nähe wagen werden.«



»Täuscht Euch nicht«, sagte d‘Urquiza, »unter den Lanceros gibt es verwegene Leute.«



»Wir sind auch nicht von Pappe!« knurrte der Deutsche. »Außerdem wollen wir vorsichtig sein. Aurelio, behalte du den Pfad nach unten im Auge. Einige Steinblöcke genügen, um jeden Angriff abzuschlagen. Zu ersteigen ist der Fels von keiner Seite. Wenn wir uns zurückziehen, müssen wir uns schließlich an Lassos herablassen.«



»Man kann an Lassos auch nach oben klettern«, sagte der General.



Das machte den Deutschen stutzig. »Gut«, sagte er schließlich, »vielleicht. Dann ist den Kletterern der Weg leicht zu verlegen. Ich will indes einmal Umschau halten.«



Er ging hinaus und stieg an dem Felsen, der die Höhle deckte, in die Höhe. Oben angekommen, legte er sich nieder und prüfte aufmerksam die Umgebung. Zu seiner Überraschung bemerkte er, daß die Lanceros, von denen einige gesehen haben mochten, wie er mit Aurelio den Wald verließ, sich ringsum verteilt hatten, und daß selbst der waldige Berg, zu dem die Belagerten im Notfall ihren Rückzug nehmen mußten, besetzt war. Das deutete darauf hin, daß die Leute die ersehnte Beute nicht entkommen lassen wollten. Enrique wurde durch die Beobachtung nachdenklich gestimmt, denn er war sich der