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Der Sohn des Gaucho

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Don Juan ließ einen hellen Schrei ertönen, das Zeichen zum Beginn der Jagd. Und während die Hirten nun in ausgedehntem Halbkreis dem dahinstürmenden Wild den Weg nach Süden und Westen verlegten, suchten Juan und seine zwei Begleiter ihm die Flucht nach Norden unmöglich zu machen.

Die von allen Seiten bedrohten Tiere stutzten wieder, aber nur einen Augenblick, dann teilte sich der Trupp, und sie jagten nach Westen und Osten davon. Sie durchbrachen den Kreis, und nun galt es, ihnen nachzusetzen; jetzt kam es auf die Schnelligkeit der Pferde und auf die Geschicklichkeit der Reiter an. Mit Sporen und gellenden Rufen feuerten die Jäger ihre Pferde an. Doch unaufhaltsam stürmte das geängstigte Wild durch die Pampa, die Reiter hinter sich lassend.

Von Todesangst gepeitscht, jagten die riesigen Vögel dahin. Durch hastige Schläge ihrer kurzen Flügel suchten sie ihren Lauf zu beschleunigen. Die Reiter kamen kaum näher, doch zeigte sich nun bald, daß Aurelios Schimmel die beiden anderen Rosse an Schnelligkeit weit übertraf; schon nach kurzer Zeit hatte er erheblichen Vorsprung gewonnen.

Wilder und aufregender wurde die Jagd. Die Strauße schienen über die Pampa zu fliegen, und die schäumenden Pf erde gaben ihnen kaum nach. Einer der Strauße, der von Aurelio verfolgt wurde, zeichnete sich durch besondere Größe aus; er war auch an Schnelligkeit seinen Gefährten überlegen. Dich! Dich! dachte Aurelio, dich will ich haben! »Es gilt, Cid!« flüsterte er, »es gilt jetzt die Probe!« Und der Schimmel rechtfertigte alle Erwartungen, die ein so guter Pferdekenner wie der Gaucho auf ihn gesetzt hatte. Er verschlang förmlich den Raum.

Bald blieben Juan und Pablo zurück; der Abstand zwischen ihnen und dem dahinjagenden Aurelio vergrößerte sich immer mehr. Der Junge, die Augen unverwandt auf das flüchtige Nandu gerichtet, hatte die Bolas wurfbereit in der Rechten. Er näherte sich bereits den ersten Straußen, die deutliche Zeichen der Ermattung erkennen ließen, doch beachtete er sie kaum; auf den voranjagenden großen Vogel hatte er es abgesehen. Die anderen Nandus stoben, von panischem Schrecken erfaßt, auseinander und suchten links und rechts ihren Weg, als der Schimmel an ihnen vorüberjagte. Aurelio sah sie gar nicht; einige hundert Schritt vor ihm stürmte das ersehnte Wild über die Pampa. »Cid!« flüsterte er, »Cid!« Und bald schon erkannte er: der Schimmel war schneller als der Vogel. Langsam aber sicher verringerte sich der Abstand zwischen Jäger und Wild. Jetzt galt es, die ganze Geschicklichkeit des Reiters zu zeigen. Wie ein Sturmwind brauste Cid dahin, immer näher kam er dem von Todesangst beflügelten Tier. Schon begann Aurelio, die Bolas um den Kopf zu schwingen, um zum tödlichen Wurf auszuholen, da strauchelte Cid über ein Kaninchengehege, deren viele die Pampa unterwühlten, und nur die unübertreffliche Sicherheit des Reiters bewahrte diesen vor dem Sturz. Cid hatte sich nicht verletzt, er stürmte weiter, aber der Strauß hatte Vorsprung gewonnen.

»Adelante! Adelante!« rief Aurelio, das Pferd anfeuernd, da bog der Vogel plötzlich nach links aus, Aurelio stieß einen Jubelruf aus, gab dem Pferd die Sporen und war mit wenigen Sätzen dem Nandu in der Flanke. Die Bolas wirbelten um den Kopf, entflogen, umwickelten die armdicken Ständer des Straußes, der wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzte.

Aurelio brachte Cid zum Stehen und sprang ab. Die Beine des Nandus waren zerschlagen. Gegen die Bolas gibt es, wenn sie ihr Ziel erreichen, keine Rettung. Jetzt galt es, das Tier schnell zu töten. Das ist, wenn es mit dem Messer geschehen muß, keine ungefährliche Sache, denn der Strauß versteht, kräftige Schnabelhiebe zu führen. Das Tier hob den Kopf; Aurelio wollte sich eben herunterbeugen, als eine Büchse krachte, und es, durch das Auge geschossen, leblos zurücksank. Staunend wandte Aurelio den Kopf; an der Stelle, wo der Strauß so plötzlich abgebogen war, stand ein hochgewachsener Mann, die noch rauchende Büchse in der Hand. Neben ihm erhob sich soeben ein Maultier aus dem Gras.

»Oh, Señor«, rief Aurelio sichtlich erfreut, »ich danke Euch. Ihr erspartet mir, das Tier abzustechen.« Ohne weiter seiner Beute zu achten, ging er auf den Mann zu, der ihn erwartete.

Es war dies ein hochgewachsener, kräftiger Mann, größer als die Männer spanischer Abkunft; langes blondes Haar fiel unter einer Pelzmütze herab, die Augen über der kräftigen Nase waren von lichtem Blau. Er trug ein grünes Jagdhemd, hirschlederne Beinkleider und hohe, derbe Reitstiefel. Seine Augen waren mit freundlichem Ausdruck auf Aurelio gerichtet.

»Ich freue mich sehr, Euch hier so unvermutet begrüßen zu können«, sagte Aurelio und nahm die Hand, die der Fremde ihm entgegenstreckte. »Ihr habt lange nicht mehr von Euch hören lassen.«

»Auch ich freue mich, mein Junge«, sagte der Mann. »Bist du etwa ganz allein in der Pampa?«

»Nein, Señor. Mein Vater ist auch hier und mehrere unserer Peons. Wir wollten Nandus jagen.«

»Du bist ein prächtiger Reiter, mein Junge, und du hast da, scheint mir, ein großartiges Pferd.«

»Nicht wahr, Señor!« Aurelios Augen strahlten. »Cid ist das beste Pferd in der ganzen Pampa. Vater hat ihn für mich aufgezogen und selbst zugeritten.«

»Du bist wahrhaftig ein erstaunlicher Bursche«, sagte der Mann. »Wie du die Bolas handhabst, das muß man gesehen haben.«

»Nun«, wehrte Aurelio ab, »der Wurf war wohl nicht schlecht, aber an meines Vaters Kunst darf ich mich nicht messen.«

»Du wirst es deinem Vater schon noch gleichtun, mein Junge.«

»Ich habe mich auch mit der Lanze geübt«, sagte Aurelio, »so, wie Ihr es mich gelehrt habt. Neulich habe ich im vollen Jagen bei zehn Versuchen nur einmal den Ring gefehlt.«

»Gut«, lobte der Blondbärtige, »gut, mein Junge, du wirst die Lanze vielleicht eines Tages noch brauchen. Aber wie steht‘s mit der Wissenschaft?«

Aurelio lachte und schien ein wenig verlegen. »Ich kann nicht sagen, daß es mir Vergnügen macht, über den Büchern zu sitzen«, versetzte er. »Aber immerhin, Don Estevan ist ganz zufrieden mit mir.«

»Lerne, hijo mio«, sagte der Fremde. »Dein Vater hat klug getan, als er Don Estevan kommen ließ. Auch das Wissen wirst du eines Tages noch brauchen.«

»Ich glaube Euch gern, Señor«, lächelte der Junge, »aber warum habt Ihr Euch solange nicht bei uns sehen lassen? Wo habt Ihr gesteckt? Ich war selbst dreimal in Eurer Behausung, ohne Euch anzutreffen.«

»Ich habe die Pampa nach Süden zu durchstreift«, sagte der Mann. »Eben komme ich zurück und war auf dem Wege zu Euch.«

»Großartig!« strahlte der Junge. »Ich hab Euch schon mächtig vermißt.«

Der Mann hob die Hand. »Da kommt dein Vater«, sagte er.

Tatsächlich sprengte der Gaucho soeben mit verhängten Zügeln heran. Er rief schon von weitem: »Seid mir gegrüßt, amigo. Ich freue mich, Euch zu treffen.«

»Das ist beiderseits, Don Juan«, sagte der Fremde und streckte dem vom Pferde Gesprungenen die Hand entgegen, die Juan Perez mit offensichtlicher Freude ergriff. Gleich darauf wandte er sich dem Jungen zu. »Gut gemacht, Aurelio«, sagte er. »Und Cid? Was sagst du zu Cid?«

»Oh, Vater, er ist ein großartiger Raumverschlinger, ich habe es ja gewußt.«

»Kein Caballero in Buenos Aires hat ein besseres Pferd«, sagte der Gaucho.

Die Peons kamen nun heran. Es waren noch zwei weitere Strauße erlegt worden; die Hirten hatten sie bereits abgebalgt und führten die Bälge mit. Pablo machte sich sogleich daran, auch den von Aurelio niedergestreckten Riesenvogel abzuziehen. Die Kadaver nahm man nicht mit; das wäre mühsam und zwecklos gewesen.

»Nun seht euch aber nach Brennmaterial um und macht Feuer«, sagte Juan Perez, »ich verspüre erheblichen Appetit. Seht, daß wir Mate bekommen und öffnet den Beutel.«

»Dort drüben wächst Brea«, sagte der Fremde und deutete auf die Stelle, wo er mit seinem Maultier gerastet hatte. Es dauerte nicht lange, da brannte das Feuer, Wasser lieferte ein unscheinbares Rinnsal, das dem Fremden und seinem Maultier bereits Erquickung geboten hatte, und bald darauf verbreitete der Paraguaytee seinen angenehmen Duft.

Die Männer streckten sich ins Gras, füllten ihre Becher und ließen sich die Speisen munden; der Fremde hatte seinerseits ein gebratenes Kaninchen zu dem Festmahl beigesteuert. Sie sprachen zunächst über die Jagd. »Ihr habt den Strauß durch den Kopf geschossen, Estrangero«, sagte Don Juan, »es ist staunenswert.«

»Es ist eine Sache der Übung«, entgegnete der andere gleichmütig. »Ihr wißt dafür besser mit Lasso und Bolas umzugehen; ich bin froh, daß ich mich auf meine Büchse verlassen kann.«

»Glaubt Ihr, daß auch Aurelio schießen lernen wird?«

»O gewiß. Warum nicht? Hand und Auge sind gut. Schickt ihn wieder mal für ein paar Wochen zu mir in die Berge. Da kann er sich üben.«

»Ja, Vater, ja!« rief Aurelio begeistert.

»Also«, sagte Don Juan, »ich habe nichts dagegen. Der Junge kann nicht genug lernen, und bei Euch weiß ich ihn in guten Händen. Er wird also kommen.«

»Ich werde mich freuen«, sagte der Fremde. Er griff nach der neben ihm liegenden Doppelbüchse, wies zum Himmel und sagte: »Siehst du den Raubvogel dort oben, Aurelio?«

Aurelio folgte mit den Augen der weisenden Hand. »Ja, Señor«, antwortete er.

»Ich verfolge ihn schon den ganzen Tag«, sagte der Fremde. »Es ist ein Kondor der Anden; er streicht so weitab von seiner Heimat. Der Kadaver deines Straußes lockt ihn an, deshalb streicht er so niedrig. Hier, nimm die Büchse. Ich denke, er wird in Schußweite kommen; dann versuche dein Glück.« Aurelio griff nach der Waffe und spannte die Hähne.

»Langsam mit dem Lauf von unten nach oben gehen und etwas vorhalten, wenn er kommt«, sagte der Mann.

Aller Blicke waren nun auf den mächtigen Vogel gerichtet, den bisher niemand beachtet hatte. Verhältnismäßig niedrig zog er in majestätisch gleichmäßigem Fluge dahin. Schweigend, in atemloser Spannung warteten die drei; Aurelios Hand zitterte im Jagdeifer. Jetzt kam der Kondor in Schußnähe; Aurelio legte an, hob langsam den Lauf und drückte ab. Der Kondor zuckte sichtbar zusammen, flog aber weiter. Beschämt ließ der Junge die Büchse sinken.

 

»Gut gemacht, mein Freund«, sagte indessen der Fremde, »der Kondor gehört dir.« Aurelio sah ihn zweifelnd an, da senkte sich schon der König der Lüfte, geriet ins Flattern, überschlug sich einige Male und stürzte gleich darauf zur Erde nieder. Dort schnellte er gleich einem Federball auf und ab. Die Gauchos stimmten ein Freudengeschrei an.

Glücklich lief Aurelio von allen Peons gefolgt nach der Beute. Das Tier war inzwischen verendet; sie betrachteten es staunend. Noch keiner von ihnen hatte bisher einen so gewaltigen Raubvogel in der Nähe gesehen. Der Beifall über den sicheren Schuß gab sich in lauten Ausrufen kund. Die Kugel war dem Kondor durch die Brust gedrungen. Er wurde unter lautem Hallo herbeigetragen und zu Don Juans Füßen niedergelegt. Es war ein stattliches Exemplar; selbst der Gaucho betrachtete staunend die ungeheure Spannweite der Flügel, die an drei Meter betragen mochte.

»Das hat der Junge von Euch gelernt, Estrangero«, lachte Don Juan, »es ist bewundernswert. Ich habe, als ich im Kriege war, auch schießen gelernt, aber es liegt nun einmal nicht in unserer Art; es ist Zufall, wenn eine Kugel auf solche Entfernung trifft.«

»Es war ein guter Schuß«, sagte der Fremde trocken. »Aurelio wird ein vortrefflicher Schütze werden.«

Sie sprachen noch mancherlei, aber allmählich kam die Müdigkeit über alle. Die Mittagshitze war drückend, und die Straußenjagd war anstrengend gewesen; einer nach dem anderen streckte sich zum Schlaf aus. Nur Aurelio wachte noch lange in der Freude über sein ungewöhnliches Jagdglück.

Stunden später brachen sie auf; sie wollten noch vor Sonnenuntergang die Estancia erreichen. Die Pferde waren ausgeruht, hatten geweidet und wurden auch noch getränkt, obgleich ein Pampaspferd vierundzwanzig bis sechsunddreißig Stunden ohne Wasser auskommen kann und oft genug auch muß. Auch der Fremde hatte sein starkes Maultier bestiegen und sich bereit erklärt, die Jagdgesellschaft zu begleiten, sehr zur Freude Aurelios, der seinen Kondor vor sich festgebunden hatte, und zur Zufriedenheit Juan Perez‘, der dem Deutschen herzlich und dankbar zugetan war, seit er den Jungen vor dem Zugriff des Jaguars gerettet hatte.

Sie ritten zunächst ziemlich schnell, da sie sich viele Leguas von ihrem Heim entfernt hatten; später wurde es dann nötig, die Pferde langsamer gehen zu lassen. Nun gesellte sich Don Juan dem Deutschen zu, und beide ritten in einiger Entfernung hinter den anderen her.

»Ihr lebt noch immer einsam in Euren Felsschluchten, amigo?« fragte Don Juan.

»Ja, amigo, und es ist gut so«, antwortete der Fremde.

Der Gaucho warf ihm von der Seite her einen prüfenden Blick zu. »Ihr scheint die Menschen nicht sonderlich zu lieben«, sagte er. Der andere antwortete nicht gleich; über sein offenes Gesicht liefen Schatten, die Augen unter den dichten Brauen waren zusammengezogen, als lauschten sie nach innen.

»Ich sehne mich jedenfalls nicht nach Menschen«, sagte er dann schließlich. Er wandte sich Perez zu. »Sucht mich zu verstehen«, fuhr er fort, »ich bin kein Menschenfeind. Ich habe meine Heimat seinerzeit verlassen müssen, politischer Umstände wegen, die Euch nicht weiter interessieren können, und dann habe ich, schon hier im Lande, einige trübe Erfahrungen gemacht.«

»Die mag wohl jeder Mensch im Leben machen«, sagte nachdenklich der Gaucho. »Ihr lebt schon lange hier?«

»Vier Jahre werden‘s demnächst«, antwortete der Deutsche. »Früher habe ich in Entre Rios gewohnt; es leben dort Landsleute von mir. Ein gewisses trauriges Erlebnis hat mich dann davongetrieben. Ich ging über den Parana und fand in den Bergen von Cordoba eine neue, mir zusagende Heimstätte. Dort hause ich seitdem.«

»Wenn ich Euch so ansehe«, sagte der Gaucho, »Ihr seid noch jung, ich schätze Euch auf nicht viel über Dreißig, obgleich Haar- und Barttracht Euch älter machen. Man sagt, die Zeit heile viele Wunden. Sollte es sich wirklich lohnen, in Eurem Alter mit den Menschen zu grollen? Auch ein tätiges Leben schenkt Vergessen.« Der Fremde streifte ihn mit einem nachdenklichen Blick, sagte aber nichts.

»Ihr müßt vielleicht über eine solche Äußerung eines Halbwilden staunen«, fuhr Don Juan fort. »Ich weiß schon, daß ich ein Halbwilder bin. Ich verstehe den Lasso und die Bolas zu schwingen, kann aber nur mühsam lesen und schreiben. Nun, Estrangero, ich war auch einmal jung und ein wilder, reichlich gedankenloser Gesell, der in den Tag hinein lebte und nicht mehr von der Welt wußte, als er in der Pampa und auf seinen Kriegszügen gesehen hatte. Dann hat mir Gott eines Tages eine Aufgabe gestellt, mir, dem wilden Gaucho. Seht, seit jenem Tag hat mein Leben einen Sinn, und ich bemühe mich, die Aufgabe mit meinen schwachen Kräften zu lösen. Mich dünkt nun, jeder Mensch hat Pflichten zu erfüllen, die ihm Gott auferlegt hat, der eine diese, der andere jene. Glaubt Ihr wirklich, daß Euch nicht auch ein Auftrag fürs Leben geworden ist, Ihr, der Ihr jung und kräftig wie ein schmollendes Kind in Eurer Felshöhle hockt? Seid mir nicht böse, daß ich Euch das so geradezu sage, aber ich bin für dieses Leben Euer Schuldner, und wahrhaftig, ich meine es gut.«

»Ihr braucht mir das nicht zu versichern, Don Juan«, sagte der Deutsche, »und Ihr müßt reden, wie Euch der Schnabel gewachsen ist. Vielleicht kann ich Euch eines Tages eine Antwort geben, für heute müßt Ihr sie mir noch erlassen.«

Sie schwiegen nun wieder eine Weile; der Fremde schien in Grübeln versunken, und Juan Perez störte ihn nicht. Der Deutsche selbst brach schließlich das Schweigen. »Ich bin zum erstenmal diesseits des Parana mit Ureinwohnern zusammengestoßen«, sagte er.

Don Juan zuckte bei diesen Worten so heftig zusammen, daß er unwillkürlich die Zügel anzog und sein Pferd zum Stehen brachte. »Indios?« fragte er, »diesseits des Parana? Wo?«

»Zwei Tagesreisen von hier«, sagte der Deutsche.

»Caracho! Wieviel?«

»Oh, es waren nur drei.«

»Führten sie Lanzen?«

»Nein.«

»Por le nombre de dios, was ist das?«

»Fürchtet Ihr Gefahr?« fragte der Fremde und schien einigermaßen erstaunt.

»Was haben die Puelchen hier in der Pampa zu schaffen? Wie benahmen sie sich übrigens gegen Euch?«

Der Deutsche lachte knurrend. »Oh, ich bin ganz gut mit ihnen fertig geworden«, sagte er. »Ich habe sie in ihrem Lager überrascht. Sie zogen etwas grimmige Gesichter, schienen aber Respekt vor meiner Büchse zu haben.«

»Wie waren sie gekleidet?«

»Einer trug den Poncho, die anderen Fellmäntel. Und alle drei hatten sie Perlenbänder in den Haaren.«

»Puelchen!« Der Gaucho schien noch immer fassungslos. »Und sie ließen Euch entkommen?« staunte er.

»Was heißt entkommen?« lachte der Deutsche. »Wir verkehrten freundschaftlich miteinander. Der mit dem Poncho sprach ganz gut Spanisch. Vielleicht haben mein Äußeres und meine Sprechweise ihnen gesagt, daß ich kein Argentinier sei. Sie forschten nach meiner Landsmannschaft, mit der sie natürlich, als ich sie ihnen verriet, nicht viel anzufangen wußten.«

»Sagten sie nicht, was sie hier wollten?«

»Wenn ich sie richtig verstanden habe, wollten sie nach dem Parana, um Stuten in Empfang zu nehmen, die ihnen die Regierung versprochen hat.«

Der Gaucho war sehr ernst geworden. So hoch nach Norden kamen diese Burschen? Das sah verdächtig aus. »Außer diesen dreien saht Ihr keine Indios?« fragte er.

»Nein.«

»Wunderbar genug, daß sie Euch entkommen ließen.«

»Und warum sollten sie mir feindlich gegenübertreten?«

»Ihr kennt die Puelchen nicht, Aleman«, sagte der Gaucho. »Sei überzeugt, daß Ihr Euer Leben nur Eurer Büchse zu verdanken habt. Alle Wetter! Die Roten in der Pampa! Laßt uns eilen. Das müssen die Nachbarn wissen. Die Grenze muß gewarnt werden. Und sprecht bitte nicht mit Aurelio von dieser Begegnung. Es sind jetzt sechs Jahre her, daß wir mit den Puelchen kämpften, nachdem sie unvorstellbares Elend über die einsam gelegenen Estancias gebracht hatten. Sicher wollen sie jetzt, da die Pampa mehr denn je von Truppen entblößt ist und sie neue Kraft gewonnen haben, abermals einen Ansturm versuchen. Hinter den drei Burschen, die Ihr getroffen habt, lauert sicherlich der teuflische Jankitruß. Vorwärts! Vorwärts!« rief er den anderen zu, und alle setzten sich in Galopp.

Die Pampa ist pfadlos. Der Estrangero würde ohne den Kompaß, den er mit sich führte, sicherlich nie den Weg zu den Bergen von Cordoba zurückgefunden haben. Der Gaucho aber, von früher Jugend an mit der Pampa vertraut, mit den Augen eines Falken und dem Ortssinn eines Hundes begabt, richtet sich nach unscheinbaren Merkmalen, um den Weg in der Wüste mit unfehlbarer Sicherheit zu finden. Er sieht am fernen Horizont Dinge, die ein ungeübtes Auge selbst mit dem Fernglas nicht wahrnehmen würde.

So nahm denn die kleine Reiterschar unter der Führung Don Juans ihren Weg in schnurgerader Richtung durch die Ebene. Die Pferde liefen in leichtem Galopp; sie sollten nicht überanstrengt werden, vor allem das Muli des Deutschen, das indessen wacker durchhielt, obgleich es an seinem Reiter und dessen Gepäck nicht eben leicht zu tragen hatte.

Auf dem weiteren Ritt fand Aurelio Gelegenheit, sich dem Deutschen zu nähern. Er hatte das ernste, verschlossene Gesicht Don Juans wahrgenommen, aber nicht zu fragen gewagt. Nun sah er, daß auch der Deutsche in ernste Gedanken versunken schien. Er zögerte ein Weilchen, dann sagte er leise: »Denkt Ihr an Eure Heimat, Estrangero?«

»Nein«, sagte der Fremde; es war offensichtlich, daß er über diesen Gegenstand nicht zu sprechen wünschte.

»Ihr habt sicherlich viel von der Welt gesehen«, fuhr der Junge nach einer kleinen Weile fort, »gewiß auch viele Städte.«

»O ja, mein Junge«, antwortete der Fremde, »vieler Menschen Städte.«

»Auch Buenos Aires?«

»Gewiß, Aurelio.«

»Ich möchte so gern einmal die Städte des Ostens sehen«, sagte der Junge. »Schon oft habe ich Vater gebeten, mich mitzunehmen, aber er hat es mir jedesmal abgeschlagen.«

»Du wirst die Städte noch früh genug kennenlernen«, versetzte der Deutsche. »Dann wirst du dich zurück nach der Pampa sehnen. Dein Vater wird Gründe gehabt haben, dich bisher nicht mitzunehmen.«

»Habt Ihr in Buenos Aires auch Don Manuel gesehen?« fragte der Junge nach einer Pause.

Der Deutsche schüttelte den Kopf.

»Er soll ein gewaltiger Mann sein. Viele sagen, er bringe dem Lande Segen.«

»Ich weiß«, sagte der Fremde, »die Gauchos hängen an ihm.«

»Aber – —«; Aurelio zögerte und fuhr dann mit etwas gedämpfter Stimme fort, »mein sanfter Doktor gerät außer sich, wenn der Name de Rosas erwähnt wird.«

»Dein Doktor ist ein kluger Mann«, sagte der Deutsche trocken. »Was sagt denn dein Vater von Don Manuel?«

»Gar nichts«, antwortete der Junge, »er spricht nie über ihn, weder Gutes noch Böses.«

»Und der Rotkopf? Euer Majordomo?«

»Oh«, lachte Aurelio, »der denkt und sagt immer nur, was Vater denkt und sagt.«

»Ja, sie sind ein recht merkwürdiges Paar«, sagte der Deutsche.

»Sagt nichts gegen Pati«, sprudelte Aurelio heraus, »er hat in vielen Schlachten Seite an Seite mit Vater gekämpft, jeder von ihnen hat dem anderen das Leben gerettet. Pati ist Vater auf Tod und Leben ergeben.«

»Waffenbrüderschaft bindet«, sagte der Deutsche.

Die Sonne neigte sich schon und warf lange Schatten in das Gras der Pampa, als die Reiter sich dem Rio Quinto näherten. Die Pferde bekamen neue Spannkraft, und ihr Galopp gewann an Munterkeit.

Sie waren eben so weit, daß sie das andere Ufer des Flusses überblicken konnten, da zügelte Don Juan plötzlich sein Roß und musterte mit scharfem Blick die Gegend. Alle verhielten die Pferde. Sie sahen einen Reiter in geringer Entfernung sein augenscheinlich erschöpftes Tier zur Anspannung seiner letzten Kräfte antreiben.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte der Gaucho.

Das taumelnde Tier kam näher; es drohte Jeden Augenblick zusammenzubrechen. Der Reiter trug die Tracht der wohlhabenden Hazienderos des Ostens. Sein Kopf war unbedeckt, das dunkle Haar umflatterte wild seine Stirn. Langsam ritt Juan zum Ufer des Quinto, von den anderen gefolgt. Außer dem erschöpften Reiter war weit und breit kein lebendes Wesen zu erblicken. Der Mann schien weder den Fluß noch die Männer zu sehen; er nahte dem Ufer, das Pferd stolperte und brach ruckartig zusammen. Der Reiter stürzte über seinen Kopf weg zu Boden.

Kurz entschlossen spornte der Gaucho sein Pferd und ritt eilig durch das seichte Wasser; Aurelio, der Estrangero und die Peons folgten ihm. Drüben sprangen sie von den Tieren und näherten sich dem betäubt daliegenden Mann. Aurelio kniete nieder und hob das bleiche Gesicht des Gestürzten empor. Der Ohnmächtige war ein nicht mehr junger Mann, dessen jetzt erschlaffte Züge edle Formen zeigten.

 

Auf einen Wink Juans holte einer der Peons in seinem Hut Wasser aus dem Fluß und besprengte damit die Stirn des Mannes. Der öffnete bald darauf die Augen und richtete einen verstörten Blick auf die ihn umstehende Menschengruppe. »Macht‘s rasch, Leute«, sagte er in heiserem Ton; sein flackerndes Auge wanderte von einem zum anderen. »Wer seid ihr?« stammelte er, »seid ihr seine Henker?« Jetzt haftete sein Blick auf Aurelios Gesicht, wurde starr und verschleierte sich. »Fernando«, stöhnte er, »Fernando! Jesus, wo bin ich?« Sein Blick wanderte, er traf Juan und den Deutschen und wurde sogleich wieder finster. »Macht‘s kurz«, sagte er, »ihr habt mich ja nun. Ich bin José d‘Urquiza, der Sieger von Indios muerte, und weiß zu sterben.«

»Wer verfolgt Euch, Señor?« fragte Don Juan.

»Wer denn anders als ihr? Oder wie?« Er richtete sich etwas auf; seine Augen flackerten. »Seid ihr nicht Salis Spürhunde?« flüsterte er.

»Wir sind friedliche Leute, Señor«, sagte der Gaucho. Der Name d‘Urquiza hatte ihn aufhorchen lassen und der Name de Salis noch mehr. »Warum verfolgt man Euch, Señor?« fragte er.

Der Mann schien wieder bei sich, er richtete sich auf. »Was denn? Wer seid Ihr denn? Wo kommt Ihr denn her? Warum hat man mich verfolgt? Weil es den edlen de Salis nach meinen Gütern gelüstet. Darum mußte ich plötzlich ein Unitarier, ein Hochverräter sein! Die Mörder sind mir dicht auf den Fersen.« Er richtete den Blick wieder auf Aurelios Gesicht und ließ ihn lange darauf haften. Juan war sehr erregt, denn er wußte, daß er in dem General José d‘Urquiza, einen der besten Männer des Landes vor sich hatte, ebenso aber auch, wie gefährlich es war, der Rache des Diktators oder eines seiner Günstlinge ein Opfer zu entziehen. Der Zwiespalt seiner Gefühle war seinen Zügen abzulesen.

Der Estrangero gewahrte die tiefe Bewegung des Gauchos. Er kannte dessen aufrichtigen Charakter und wußte genug von der innerpolitischen Lage des Landes; so war es ihm nicht schwer, Juans Gedanken nachzuempfinden. Ihn selbst hinderten keinerlei Bedenken. Deshalb wandte er sich jetzt an den Verfolgten und sagte: »Wenn es Euch recht ist, Señor, bringe ich Euch über den Fluß und führe Euch zu einer sicheren Zufluchtsstätte. Ich fürchte nämlich, meine Freunde hier werden Euch beim besten Willen nicht schützen können.«

Der Gaucho atmete erleichtert auf und ergriff impulsiv die Hand des Deutschen, um sie zu drücken. Der Verfolgte blickte aufmerksam in das offene bärtige Gesicht. »Ich vertraue Euch, Señor«, sagte er, »und ich folge Euch.« Darauf wandte er sich an Juan, sah forschend in seine Züge und richtete alsdann den Blick wieder auf Aurelio. »Um der Liebe Gottes willen, Señor«, fragte er mit eigentümlich bebender Stimme, »wer ist dieser Junge?«

»Mein Sohn, Señor«, entgegnete Juan Perez ruhig; man merkte ihm die tiefe Betroffenheit, die die Frage in ihm ausgelöst hatte, nicht an. D‘Urquiza sah noch einmal prüfend in Aurelios Gesicht, dann wandte er sich mit einem leisen Seufzer ab. »Nun, Gott segne ihn«, sagte er.

»Vorwärts, Señor«, mahnte der Deutsche. »Zeit ist nicht zu verlieren.« Er half dem Erschöpften in den Sattel seines Maultieres. »Adios, muchas mercedes!« murmelte der und ritt auf dem von seinem Eigentümer geführten Maultier in das seichte Wasser. Bald war er am jenseitigen Ufer, und der Deutsche leitete das Tier dem nahen Waldsaum zu, der den Quinto weiter oberhalb begrenzte.

»Kommt zur Estancia«, rief Juan kurz und ritt das Ufer hinauf. Ohne sonderliche Überraschung gewahrte er, oben angelangt, einen Reitertrupp, der auf erschöpften Pferden flußabwärts kam. Er blieb stehen und musterte die Reiter. Es waren ihrer sechs, von denen fünf bewimpelte Lanzen führten, während der Voranreitende nur einen Säbel trug. Den Leuten fielen Ponchos von den Schultern, aber die Beine steckten in Hosen und Stiefeln, wie sie von den Lanceros getragen wurden.

»Reite zum Haus«, rief Juan Aurelio zu, »sage Pati, er möge seine Flinte bereithalten. Du selbst bleibe dort.«

Aurelio eilte sofort zu den Gebäuden hinüber, wo der Majordomo schon sichtbar war; er wunderte sich über die Weisung, selbst dort bleiben zu sollen, aber er war gewöhnt, den Wünschen und Befehlen des Vaters bedingungslos nachzukommen.

»Löst die Bolas, Männer«, sagte Juan zu seinen Peons, »man weiß nicht, wer da kommt.« Die Vaqueros nahmen die Wurfgeschosse zur Hand, hielten sie aber unter dem Poncho verborgen. Wenige Minuten später hielten die Lanzenreiter vor dem sie ruhig erwartenden Gaucho.

»Habt ihr ihm zur Flucht verholfen?« schrie der voranreitende Soldat, den die goldene Schnur um den breitrandigen Hut als Offizier auswies. »Es geht Euch schlecht, wenn Ihr es tatet. Wo steckt der Verräter?«

»Ich weiß nicht, von wem Ihr sprecht, Señor«, entgegnete Juan ruhig.

»Er ist hier auf den Fluß zugeritten«, schrie der Offizier, »wir haben es genau gesehen. Leider hat er uns von der Fährte abgebracht, und das Wasser war weiter oben nicht passierbar.«

»Wenn Ihr den Mann meint, der eben zu Tode erschöpft hier ankam und dessen Pferd dort liegt, der reitet da drüben auf dem Maultier«, versetzte der Gaucho.

In dem scheidenden Licht konnten die Reiter soeben noch gewahren, wie der Deutsche und der Verfolgte unter den Bäumen verschwanden.

»Ihm nach!« schrie der Offizier, »wir haben ihn! Wo ist die Furt?«

»Was habt Ihr mit dem Mann?« fragte mit gemessener Höflichkeit der Gaucho.

»Seht Ihr nicht, was ich bin, wer wir sind? Wir setzen einem Hochverräter nach, auf dessen Kopf ein hoher Preis gesetzt ist«, brüllte der Soldat.

»Oh«, Juan Perez lächelte leicht, »der Mann sagte, er würde von einer Mörderbande verfolgt.«

»Caracho! Wir werden ihm die Mörderbande eintränken. Wo ist die Furt?«

»Da drüben«, antwortete der Gaucho und wies die Richtung. »Aber ich würde Euch raten, vorsichtig zu sein. Der Flüchtige ist von einem Manne begleitet, der eine Doppelbüchse trägt und von dem ich zufällig weiß, daß er auf zweihundert Schritt einen Peso trifft.«

Der Häscher stutzte. Zwar trug er im Gürtel Pistolen, und einige seiner Männer, die dem Gespräch stumpfsinnig lauschten, waren mit Karabinern ausgerüstet, doch schien es ihm wohl bedenklich, sich einer weittragenden Büchse auszusetzen, noch dazu im Wald, der den Schützen deckte. Seine Wut richtete sich gegen den Anwesenden. »Ihr habt ihm durchgeholfen«, schrie er, »das sollt Ihr büßen.«

Juan Perez zog die dunklen Augenbrauen zusammen und entgegnete in einem Ton, der eine unverkennbare Drohung mitschwingen ließ: »Wer bist du denn, mein Bursche, daß du es wagst, gegen mich eine solche Sprache zu führen? Ich bin der Alkalde dieses Bezirkes und hätte nicht übel Lust, dich meinen Lasso fühlen zu lassen, wenn du nicht bald höflich wirst.«

»Was?« brüllte der Mann mit verzerrtem Gesicht, »du Gauchoschlingel wagst es, mir Widerstand entgegenzusetzen und mir zu drohen? Ich halte hier mit Vollmacht des Gobernadors von Santa Fé, Don Francisco de Salis, als Alguacil, um einem Verbrecher nachzusetzen, und du trittst mir entgegen? Du machst dich selber des Hochverrates schuldig!«

»Leere Worte, Mann!« sagte Juan Perez wegwerfend. »Hindere ich dich, dein Opfer einzufangen? Ich hindere dich nicht, ich habe dir sogar gezeigt, wo es zu finden ist. Außerdem sind wir hier in der Provincia Cordoba und nicht in Santa Fé, und dein Señor de Salis hat hier nichts zu sagen.«

»Alle Gobernadors haben Befehl, den verruchten d‘Urquiza einzufangen«, rief der Alguacil. »Befehl des Präsidenten. Willst du dich dem auch widersetzen?«