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Der Sohn des Gaucho

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»Meine Anerkennung!« sagte Don Juan. »Nun befreie meine Hände.«

Der Bootsmann rieb zunächst erst mal die seinen; es dauerte ein Weilchen, bis das Blut wieder richtig zirkulierte. Dann löste er mit ein paar Griffen den Strick, der die Hände des Gaucho auf dem Rücken zusammenschnürte.

»So«, sagte Don Juan, seine Hände reibend, »nun gefällt mir der Aufenthalt hier schon besser. Schade, daß die Verpflegung zu wünschen übrig läßt. Wie ist es, mein Prinz aus Feuerland, wirst du bei Nacht auch das Kanu wiederfinden? Den Landweg möchte ich unter den veränderten Umständen erst recht nicht riskieren.«

Das Kanu fände er jederzeit wieder, sagte Pati.

»Ausgezeichnet«, versetzte der Gaucho. »Dann fehlt mir nur noch mein Lasso, mein Zaumzeug und mein Messer zu meinem Glück, und wenn es angeht, auch noch Sattel und Karabiner.«

»Wir werden uns holen, was wir brauchen«, sagte Pati gleichmütig.

»Ja, und die ganze Estancia in Aufruhr versetzen«, knurrte Don Juan, »und uns ein Dutzend dieser verwünschten Vaqueros auf den Hals hetzen! Na, laß uns nur erst auf dem Fluß sein, dann werden wir weitersehen. Komm, mein Goldsohn, heb mich doch mal zu einem dieser Luftlöcher hoch, ich möchte ein bißchen Umschau halten.«

Pati hob den Gaucho hoch, als sei er ein Kind, und Juan sah zuerst zum Parana hinüber; er hatte sich die Lage des Blockhauses genau gemerkt, bevor man sie einsperrte. Er vermochte aber außer dem schattenhaft sich hinziehenden Waldsaum nichts zu erblicken. Auf der anderen Seite standen, wie an dem Lichtschein zu erkennen war, im Feld verstreut einzelne Häuser, dahinter sah er die erleuchteten Fenster des Herrenhauses; ein lebendiges Wesen war nirgends zu erkennen.

»Wie wär‘s, wenn du versuchtest, zwei von diesen Ketten hier loszubrechen«, sagte er, nachdem er wieder auf dem Boden stand, »sie würden eine gute Waffe abgeben, und wir wissen noch nicht, was kommt.«

Der Gaucho schien der Meinung, daß Patis Händen kein Werk unmöglich sei, und tatsächlich hatte er sich auch diesmal nicht getäuscht. Mit einiger Mühe gelang es dem Rotkopf, zwei Ketten aus ihren Verankerungen zu lösen. »Jetzt ist mir bedeutend wohler«, sagte der Gaucho befriedigt und wog das schwere Eisen in der Hand. »Aber noch. ist es zu früh, einen Spaziergang ins Freie zu unternehmen«, fuhr er fort; »wir wollen die Leute erst einschlafen lassen.«

Sie ließen sich nun auf dem Fußboden nieder und horchten schweigend in die Dunkelheit hinein, dann und wann einen Blick durch die Luken nach den Sternen werfend. Als Juan meinte, es sei spät genug, einen Befreiungsversuch zu wagen, ließ er sich noch einmal zu einer der vergitterten Öffnungen hinaufheben. Im Herrenhaus war noch Licht, die Arbeiterhäuser lagen im Dunkel. Plötzlich, er wollte sich schon wieder herunterheben lassen, glaubte Juan Pferdegalopp zu vernehmen. Er lauschte angestrengt, sein Auge vermochte nichts zu erblicken, aber das Geräusch wurde deutlicher. »Zwei Pferde«, flüsterte er, »sie kommen heran. Laß mich herunter, Pati.« Er glitt zu Boden. »Zwei, Pati«, sagte er, »sie kommen hierher. Einer für dich, einer für mich. Da kommen Sättel, Lassos und Pferde gleichzeitig. Komm, lege dir den Strick um die Hände, behalte die Kette in Griffnähe, möglich, daß wir sie brauchen.«

Schon ließen sich draußen Stimmen und gedämpfter Hufschlag vernehmen. Gleich darauf sprangen die Reiter ab, der Riegel wurde zurückgerissen, die Tür flog auf; im Halbdunkel des Rahmens wurde eine Gestalt sichtbar. »Kommt her, Männer!« sagte eine grobe Stimme.

»Was wollt ihr mit uns?« fragte Juan, und es hörte sich wahrhaftig an, als zittere er vor dem Strick.

»Einen kleinen Spaziergang machen, Compañero«, sagte der Mann. »Nun, wird‘s bald!« rief er mit umschlagender Stimme in das Dunkel des Raumes hinein, »oder soll ich euch mit dem Lasso auf die Beine helfen?«

Die beiden Gefangenen näherten sich der Tür; sie hatten die Hände auf dem Rücken.

»Na also, amigos, da seid ihr ja«, sagte der Mann. »Nimm du den dicken Burschen da an den Lasso«, rief er seinem Gefährten zu, »ich nehme den Caballero aus der Pampa.« »Komm her, Bursche!« rief der andere Reiter Pati zu, und der folgte gehorsam. Sie hatten noch immer die Hände auf dem Rücken.

Die Männer schwangen sich in den Sattel und machten den Lasso frei, um ihn über die Gefangenen zu werfen. »Los!« sagte Juan.

Wie vom Blitz getroffen flogen beide Reiter von den Pferden. Juan versetzte dem, der ihn hatte fortführen wollen, einen Faustschlag, daß ihm augenblicklich die Sinne schwanden; bei dem anderen hatte Patis Zugriff schon genügt, ihn mundtot zu machen.

»Hast du ihn?« fragte Juan.

»Ich denke, daß es reicht«, sagte Pati.

Tatsächlich waren, wie sie sich gleich überzeugten, beide Männer ohnmächtig. Sie nahmen ihnen die Messer ab und banden ihnen die Arme auf dem Rücken zusammen. Der Vorsicht halber rissen sie Stücke von einem der Ponchos und stopften die Knebel den Männern zwischen die Zähne.

»Zu Pferde, mein Goldsohn!« sagte Don Juan.

Beide schwangen sich in die Sättel. Juan legte nach Gauchoart sofort den Lasso wurfbereit. Da schallte eine tiefe dröhnende Stimme über das Feld: »Wo bleibt ihr Halunken? Wie lange soll ich noch auf euch warten?«

»Oha!« sagte Juan, »der Herr wünscht uns persönlich zu sprechen.«

Hufschlag dröhnte auf, ein Reiter sprengte heran. Im gleichen Augenblick flog der Lasso. Trotz des mangelhaften Lichtes erreichte er sein Ziel und riß den völlig überraschten Estanciero aus dem Sattel.

»Halt mein Pferd, Pati«, sagte Juan und stand schon auf den Füßen. Er untersuchte den von seinem Lasso umschnürten, regungslos daliegenden Mann, entnahm seiner Brusttasche eine kleine Pistole, befreite ihn von dem Lasso und versetzte dem Pferd Don Franciscos einen Streich, der es in wilder Flucht davonjagen ließ. Dann schwang er sich wieder in den Sattel.

»Wer seid ihr?« fragte der noch immer fassungslose Estanciero, »wollt ihr mich ermorden?«

»Nein«, entgegnete Don Juan mit erhobener Stimme, »du sollst nicht gemordet, du sollst gerichtet werden, Francisco de Salis. Ich sehe dich wieder, und dann werde ich dich zu Boden schlagen, daß du dich nicht wieder erheben sollst, Frauenmörder! Vorwärts, Pati!«

Rasch gewannen beide die Straße und sprengten nach Norden zu. Nach knapp einstündigem Ritt verhielt Pati sein Pferd und deutete nach rechts auf den dunklen Waldsaum, der ununterbrochen die Ufer des Parana begleitete. »Dort«, sagte er, »dort liegt das Kanu.«

»Woran siehst du es?«

»An den drei Pinos da drüben.«

»Gut«, sagte der Gaucho. Sie sprangen aus den Sätteln. Aufmerksam lauschten sie nach Süden, aber kein Hufschlag zeigte an, daß sie verfolgt würden.

»Sättel, Zäume, Lassos mit ins Boot«, sagte Juan. Er brach einige Disteln, die zu seinen Füßen wuchsen, und brachte sie unter die Schwanzwurzeln der Pferde. In wilder Flucht jagten die, wie von der Tarantel gestochen, in nördlicher Richtung davon. Sie fanden das Boot und beluden es mit den Sätteln, den Decken und dem Zaumzeug.

»Gott sei Dank!« sagte Pati, als er zum Ruder griff. Unter seinen mächtigen Schlägen glitt das leichte Fahrzeug schnell den Parana hinab.

Am Rio Quinto

Jahre waren ins Land gegangen, seit Don Juan und Sancho Pereira, genannt Pati, der Gewalt Don Francisco de Salis entschlüpften. Aber noch immer herrschte in Buenos Aires Don Manuel de Rosas, der harte Mann, der den Unitariern den Tod geschworen hatte. Die wirklichen wie die vermeintlichen Anhänger der unitaristischen Partei erlagen, wo immer er sie fassen konnte, seinem unerbittlichen Zugriff. Das Gewicht seiner starken Persönlichkeit und seine politische Rücksichtslosigkeit hatten den Gewaltigen durch Wahl des Kongresses zum dritten Male mit diktatorischen Vollmachten ausgerüstet an die Spitze des Staates gestellt.

Die erst in jüngerer Zeit der Wildnis abgerungenen Grenzgebiete des Landes wurden von der harten Faust de Rosas nur selten erreicht, dafür hatten sie um so härter mit anderen Gefahren zu kämpfen. Denn den hier noch immer herumstreifenden Indianerhorden waren die politischen Wirren insoweit günstig gewesen, als die Regierung weder Macht noch Möglichkeit hatte, sich um diese Fragen zu kümmern. Forts, die früher an geeigneten Stellen zum Schutz gegen die Wilden angelegt worden waren und eine starke Besatzung aufzuweisen hatten, um die Indianer von Angriffen abzuhalten oder ihre Macht zu brechen, waren geräumt worden, weil die Truppen in anderen Teilen des Landes benötigt wurden. Damit aber war der Schutzwall niedergerissen worden, der die dünnbesiedelten Grenzen deckte. Die Indianer, die im Süden hausenden Puelchen ebenso wie die kriegerischen Bewohner des noch von keinem Weißen betretenen Gran Chaco, wurden auf solche Weise zu Angriffen und Überfällen geradezu herausgefordert, und es geschah denn auch immer wieder, daß sie die Grenzen heimsuchten und großes Leid über die Bewohner brachten.

Dennoch hatte in der Pampa seit einigen Jahren Ruhe geherrscht, denn die Puelchen waren, nachdem sie bei ihrem letzten Ansturm, alles vor sich niederwerfend, tief in das Land eingedrungen, von den Gauchos schließlich so aufs Haupt geschlagen worden, daß sie seither Frieden hielten. Die Gefahr erneuter Angriffe blieb indes bei der Schutzlosigkeit der Grenze nach wie vor bestehen.

Die Pampa Argentiniens ist öder und einförmiger als die Prärie Nordamerikas. Reitet man über sie hin, so bildet das Haupt des Reiters den höchsten Punkt in der Weite. Dem ruhenden Meere gleich liegt die Fläche da, ihre Ränder verschwimmen in violettem Schein mit dem fernen Horizont.

Von den Anden her senkt sich, dem Auge unmerkbar, der Boden sanft, aber ununterbrochen nach dem Atlantischen Ozean hin, und die zahlreichen Wasserläufe, die in den himmelansteigenden Höhenzügen der Kordilleren ihren Ursprung haben, nehmen den Weg nach Osten.

 

Seen, die nicht alle süßes Wasser haben, Salzsümpfe und öde Strecken, an denen nur der nackte Dünensand zutagetritt, bringen einige Abwechslung in die Einförmigkeit der Steppe. Einer riesigen Felseninsel gleich erhebt sich die Sierra de Cordoba, gleich weit vom Parana wie von den Anden entfernt, unvermittelt aus der Grassteppe, weithin die endlose Pampa überragend. Auch sie sendet zahlreiche Wasserläufe gen Osten. Im Süden rinnt der Rio Quinto durch das Grasland, wasserreich in der Nähe des Höhenzuges, dem er entspringt, auf seinem Lauf indessen mehr und mehr versiegend, bis er, aufgesaugt von der Pampa, verschwindet.

Die Flußufer werden hier und da von Bäumen eingefaßt, von schlanken, hochragenden Nogals, Erlen, Algaroben und vor allem vom Ombus, von denen einige Exemplare sich sogar bis in die Steppe verirrt haben.

Auf dem linken Ufer des langsam strömenden Flusses erhoben sich, von Bäumen beschattet, einige niedrige Gebäude, aus Holz und Lehmziegeln aufgeführt. Ein umfangreicher Korral, dessen Umfassung aus Säulenkaktus und den Stämmen junger Zedern errichtet war, zeigte sich dem Blick; drinnen tummelte sich eine Anzahl munter umherspringender Pferde und Maultiere. Einen ungewohnten Anblick gewährten in diesem Teil der Pampa wohlbestellte Mais- und Weizenfelder sowie ein Garten, der sich an dem längsten, umfangreichsten der Gebäude hinzog, und in dem außer Kartoffeln und verschiedenen Gemüsen auch junge Orangen- und Pfirsichbäume sowie allerlei Blumen angepflanzt waren. Dornenhecken und lange Balkenriegel grenzten das Ganze ein, um es vor den frei weidenden Pferden und Rindern zu schützen. Der Einfluß einer umsichtig ordnenden Hand war überall spürbar.

Dies war das Heim Juan Perez‘, des Gaucho, der sich vor einigen Jahren hier niedergelassen hatte. Er war eines Tages mit einem Majordomo von fremdländischem Aussehen und einem dunkelhaarigen Knaben von Süden gekommen und hatte mit Hilfe von Leuten, die er aus den Niederlassungen am Höhenzug von Cordoba und am Parana angeworben hatte, nach und nach diese Heimstätte geschaffen, die ihm als altem Soldaten eine Schenkungsakte des Präsidenten Manuel de Rosas verbürgte.

Die Estancia lag einsam und war in jenem Landesteil am weitesten von allen in die Pampa vorgeschoben. Ihr Viehbestand, die hauptsächlichste Erwerbsquelle der dortigen Estancias, war nicht gering! Señor Perez wußte ihn mit Fleiß und Energie zu nützen. Er hatte einige junge Gauchos als Rinder- und Pferdehirten in seinen Diensten, und eine große Anzahl Rinder- und Pferdehäute machten alljährlich den Weg nach der Küste, wo sie beträchtlichen Gewinn einbrachten.

Die Gauchos pflegen sich ebensowenig wie die Indianer mit Feldarbeit zu befassen; die nicht unbeträchtliche Boden- und Gartenkultur auf der Besitzung des Señor Perez war deshalb das alleinige Verdienst seines Majordomos, des Señor Sancho Pereira, dessen wunderliche Haarfarbe ihm weit und breit den Namen Feuerkopf eingetragen hatte. Señor Pereira also – wir kennen den braven Pati ja bereits ebenso wie seinen Herrn – hatte mit Hilfe einiger schwarzer Arbeiter den Boden ur- und fruchtbar gemacht. Die Erzeugung von Feld- und Gartenfrüchten gab der Niederlassung ein zivilisiertes Gepräge und unterschied sie vorteilhaft von anderen Estancias dieser Gegend.

Die Sonne hatte sich eben erst am Horizont erhoben; sie verwandelte die Myriaden Tautropfen auf den Gräsern in blitzende Edelsteine. Der Himmel war klar und wolkenlos, er schwang sich wie eine gläserne Glocke über die Ebene, die nur durch den Waldsaum unterbrochen wurde, der die Ufer des Flusses einfaßte. Von fern schimmerten die Spitzen der Berge von Cordoba im rötlichen Frühlicht; sie brachten etwas Abwechslung in die großartige Eintönigkeit der Pampa.

Innerhalb der Gebäude schien alles noch m tiefem Schlaf zu liegen, als aus einem der niedrigen, mit Fellen verhangenen Fenster der größeren Behausung eine jugendliche Gestalt schlüpfte und, einen Sattel nebst dem unvermeidlichen Lasso auf dem Kopf tragend, mit unhörbaren Schritten nach dem Korral eilte.

Die Gestalt war kaum hinter der Balkenumzäunung verschwunden, als ein kräftiger Mann durch die Tür auf die offene Veranda trat und, die frische Morgenluft einatmend, einen prüfenden Blick auf Himmel und Erde warf. Es war Juan Perez, der Gaucho, nicht mehr ganz der junge Mann, den wir kennenlernten; ganz spurlos waren die Jahre nicht an ihm, dem nunmehr etwa Vierzigjährigen, vorübergegangen. Aber seine Gestalt war kräftig und sehnig wie ehedem, das gebräunte Antlitz trug die Spuren heißer Sonne und rauher Stürme. Einige Narben zeugten von den Kämpfen, an denen er teilgenommen hatte.

Da stand er und grüßte den erwachenden Morgen.

»Ave Maria!« sagte hinter ihm eine Stimme mit dem landesüblichen Gruß.

»Purissima«, antwortete er und wandte sich um, den Mann begrüßend, der soeben die Veranda betreten hatte. Es war Pati, und auch an seinem Äußeren hatte die Zeit ein wenig verwandelnd gewirkt. Er war dicker und massiger geworden, doch zeugte noch immer jede seiner Bewegungen von außergewöhnlicher Muskelkraft.

»Nun, mein Goldprinz«, sagte Don Juan lächelnd, »was jagt dich so früh von deinem Lager?«

»Ich will euch abreiten sehen«, sagte Sancho.

»Natürlich!« lachte der Gaucho. »Don Aurelio auf dem Schimmel! Das muß man gesehen haben. Aber wo bleibt denn der Junge? Verschläft wahrhaftig den schönen Morgen. Aurelio!« rief er laut nach dem Hause zu, »raus aus dem Bett! Benimmst dich wahrhaftig wie ein Pampashase im Winter!«

»Der Pampashase ist schon da!« sagte lachend eine frische Stimme. Die Männer wandten den Kopf, und heran galoppierte auf einem schneeweißen Pferd, dem man die edle arabische Abkunft in jeder Linie seines Leibes ansah, ein gut gewachsener junger Mann. Mit ausgezeichneter Haltung saß der wohl Achtzehnjährige zu Pferde; das dunkelblaue Wollhemd, die knapp sitzenden ledernen Hosen und die hohen Stiefel mit den silbernen Sporen unterstrichen den schlanken Bau seines Körpers. Das fast klassisch geschnittene, von dunklen Locken umgebene Gesicht mit den vor Lebenslust blitzenden Augen nahmen sofort für ihn ein.

»Ich nehme den Pampashasen zurück, mein Junge!« lachte Don Juan und betrachtete den Jüngling mit offensichtlichem Wohlgefallen. »Wie ich sehe, bist du mir sogar zuvorgekommen.«

»Wer weiß, vielleicht verdiene ich mir den«Pampashasen« ein andermal, Vater«, lachte der Junge.

»Du willst den Cid reiten?« fragte der Gaucho und runzelte ein wenig die Stirn.

»Ja, ich wollte gern. Ist es dir nicht recht?«

»Ich weiß nicht recht; eigentlich – aber gut, erproben wir, ob er hält, was er verspricht.«

An sich hatte der Gaucho den Schimmel mit großer Sorgfalt eigens für Aurelio gezüchtet, denn für diesen Jungen, den er einst als hilfloses Kind dem erstarrten Arm seiner toten Mutter entnommen hatte, war Juan Perez nichts zu gut. Zusammen mit Sancho Pereira hatte er das Kind mit einer Liebe und Sorgfalt erzogen, die der einer fürsorgenden Mutter gleichkam. Er war selber Junggeselle geblieben. Pati hatte, nicht zuletzt des Jungen wegen, vor Jahren eine Lebensgefährtin genommen; sie war ihm schon nach kurzer Ehe durch den Tod wieder entrissen worden. Aurelio ahnte bis zur Stunde nichts von seiner Abkunft, er hielt sich für Juans Sohn und erwiderte die Zuneigung der beiden Männer auf das zärtlichste.

Juan, der alljährlich einige Male nach Buenos Aires und nach Santa Fé ritt und dabei niemals versäumte, alles zu erkunden, was auf seines Schützlings Zukunft Bezug haben könnte, hatte die Verhältnisse bisher stets zu ungünstig gefunden, um offen für die Rechte Aurelios einzutreten. Zu stark schienen die feindlichen Mächte, mit denen er zu ringen gehabt hätte; der Kampf mußte auf günstigere Zeiten verschoben werden. So hatte er denn seinerseits für Aurelios Zukunft getan, was er konnte. Den Namen Aurelio hatte er ihm von dem Augenblick an gegeben, da er von der alten Negerin auf der Estancia Bellavista erfahren hatte, daß der jüngste Sohn Fernandos diesen Namen führte. Er hatte den Jungen zu seinem persönlichen Erben eingesetzt und außerdem einen Priester in Buenos Aires, einen Mann ohne Menschenfurcht, ins Vertrauen gezogen, ihm alles, was er über Aurelios Herkunft wußte, unter eidlicher Bekräftigung mitgeteilt und die von Pater Hyacinth darüber angefertigten Dokumente vor Zeugen unterzeichnet. Auch hatte er dem Cura für alle Fälle die Schmucksachen, die Pati der Leiche der Mutter abgenommen hatte, anvertraut.

So also lagen die Dinge. Juan Perez kannte die Macht, die Schlauheit und die Rücksichtslosigkeit der Männer, die ein Interesse daran hatten, seinen Schützling zu verderben. Vielleicht waren die Befürchtungen, die er hatte, übertrieben, jedenfalls bestimmten sie seit Jahren sein Handeln. Sie hatten ihn vom Rio de Salado nach Norden in die einsamen Gegenden Cordobas getrieben. Am Salado lag ihm Buenos Aires zu nahe. Auch der Angriff der Puelchen vor einigen Jahren hatte ihn seines Pflegesohnes wegen besorgt gemacht. Nachdem er das Seine dazu beigetragen hatte, die Roten niederzuwerfen, suchte er einen Teil des Landes auf, der ihren Überfällen weniger ausgesetzt war als die Ufer des Salado. Und diesem letzten Umzug verdankte die Estancia am Rio Quinto ihre Entstehung.

»Komm, Aurelio, wir wollen frühstücken«, rief der Gaucho dem Jüngling zu. Der stieg ab, band den Schimmel an einen Pfosten der Veranda und sprang die paar Stufen mit elastischen Schritten hinauf. Eine alte Mulattin erschien und trug in einer großen Blechkanne heißen Mate auf, dazu Eier, gebratene Hühnchen und frischgebackene Tortillas. Juan und Aurelio setzten sich, und Pati, der sich durchaus als Majordomo fühlte und den Rangunterschied zwischen dem Gaucho und sich peinlich aufrecht erhielt, nahm erst Platz, nachdem beide saßen.

Don Juan sah sich um und fragte: »Wo ist Don Estevan?«

»Er schläft noch«, lachte Aurelio. »Wahrscheinlich träumt er von einer neuen Gattung Stipa, die er entdeckt hat.«

»Also lassen wir ihn schlafen«, sagte der Gaucho, und alle machten sich an das Frühstück.

»Der Estrangero hat sich lange nicht sehen lassen«, äußerte Juan nach einer Weile.

»Er wird seine bösen Tage haben«, sagte Aurelio. »Dann sitzt er in seiner Höhle und brütet, und nichts und niemand lockt ihn heraus.«

»Schade, daß er so menschenscheu, ja, ich möchte sagen, menschenfeindlich ist.« Juan wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich schätze ihn nämlich sehr, er ist ein zuverlässiger und redlicher Mann.«

»Oh«, sagte Aurelio, »er macht Ausnahmen mit seiner Menschenfeindlichkeit. Mich beispielsweise hat er ins Herz geschlossen, seit er mich aus den Klauen des Jaguars rettete.«

»Den Schuß werde ich ihm meiner Lebtage nicht vergessen«, versicherte der Gaucho.

»Das war aber auch ein Schuß, Vater«, ereiferte sich der Junge. »Wahrhaftig, der Mann handhabt seine lange Buche so unfehlbar wie du den Lasso oder die Bolas.«

»Der Neid muß es ihm lassen, aber ich neide es ihm nicht einmal«, versicherte Juan.

»Und reiten! Reiten kann er auch, Vater. Nicht gerade wie du und ich, aber für einen Estrangero immerhin erstaunlich.«

»Er war drüben in seiner Heimat wohl Soldat und hat in einem Reiterregiment gedient; da ist es schließlich kein Wunder. Wie gesagt, schade, daß man ihn so selten sieht.«

»Ich habe von ihm schießen gelernt, Vater, es geht schon ganz gut«, sagte Aurelio. »Wenn die Puelchen wieder einmal in der Pampa erscheinen sollten, dann will ich unsere Reiter lehren, wie man angreift und den Feind wirft. Ich stürme mit der langen Lanze voran.«

»Laß das, Aurelio«, sagte Don Juan ernst, »du wirst den Krieg leider noch früh genug kennenlernen. Und übrigens: der Estrangero mag für europäische Verhältnisse ein vortrefflicher Krieger sein; für uns Gauchos ist es sicher das beste, wir bleiben bei unserer alten Kampfweise.«

Das Frühstück näherte sich bereits seinem Ende, da erschien, aus dem Hause heraustretend, eine Gestalt auf der Veranda, die sich in dieser Umgebung einigermaßen sonderbar ausnahm. Es war dies ein schmächtiger junger Mann in moderner Kleidung, in dessen magerem, bartlosen Gesicht neben der stark vorspringenden Nase vor allem die großen Brillengläser auffielen, die vor offenbar kurzsichtigen Augen funkelten. Er kam langsam heran, rieb sich die Hände und machte einen ziemlich verschlafenen Eindruck.

»Da ist ja Don Estevan«, sagte der Gaucho. »Schämt Euch, Doktor, den schönen Morgen zu verschlafen!«

»Wenn Aurelio mich nur geweckt hätte, Señor«, sagte der Mann, zweifellos ein Gelehrter; seine Stimme war so sanft wie sein Gesichtsausdruck.

Der Jüngling lachte. »Nein, Doktor«, sagte er, »Ihr schlieft so friedlich, daß es eine Sünde gewesen wäre, Euch zu stören.«

»Ich bin spät zur Ruhe gegangen«, bemerkte Don Estevan. »Ich schrieb nämlich in der Nacht noch an meiner Abhandlung über die Erycinidae.«

 

»Um so mehr Grund, Euch zu stärken, Don Estevan«, sagte der Hausherr höflich und wies mit einladender Bewegung auf den Tisch. Der Bakkalaureus Don Estevan Manzano, Graduierter der Universität zu Buenos Aires, nahm mit höflicher Verbeugung neben Aurelio Platz.

Der junge Gelehrte lebte schon seit längerer Zeit auf der Estancia. Denn Juan Perez, der selber nur eben lesen und schreiben konnte, wußte den Wert von Wissen und Bildung sehr wohl zu schätzen. Er hatte deshalb die Verpflichtung gefühlt, Aurelio mit geistigem Rüstzeug versehen zu lassen. Pater Hyazinth, dem er sich auch insoweit anvertraute, hatte ihn in dieser Meinung bestärkt und ihm den jungen, kränklichen Gelehrten, dem die Ärzte einen Aufenthalt in der Pampa zur Festigung seiner Gesundheit verschrieben hatten, zugewiesen. Kurz entschlossen hatte der Gaucho ihn samt einer Maultierladung von Büchern, Papier, Tinte, Karten und dergleichen mit sich genommen.

Aurelio hatte unter Don Estevans Anleitung bereits überraschende Fortschritte gemacht, und der junge Doktor, dem die Pampaluft recht gut bekommen war, hing mit herzlicher Zuneigung an seinem Schüler. Da er von Haus aus Naturforscher war – Naturalista sagt man dortzulande —, bot die Pampa ihm ein reiches und ergiebiges Studienfeld.

»Sie wollen jagen, Señor Perez?« fragte Don Estevan während des Frühstücks.

»Ja, mein Lieber. Im Osten haben sich Nandus sehen lassen; wir wollen ihnen nachstellen.«

»Kommt doch mit, Doktor«, sagte Aurelio, »wir wollen einmal Seite an Seite über die Pampa fliegen.«

Der Gelehrte lächelte schwach. »Nein, Aurelio«, sagte er, »zum Pampasreiter bin ich einmal verdorben, ich will den Tag lieber meinem Studium widmen. Sollte euch aber irgendwo eine breitblätterige Prionida unterkommen, so wäre ich dankbar, wenn ihr mir einige Exemplare mitbringen wolltet; hier in der Nähe wächst sie nämlich nicht.«

Ihr habt Vorstellungen von einer Straußenjagd! hätte Aurelio am liebsten gesagt, aber er unterdrückte die Bemerkung. »Sollte ich die Pflanze entdecken, will ich gerne daran denken«, sagte er nur. Don Juan erhob sich. »Auf jetzt, Aurelio«, sagte er, »da kommt Pablo mit den Pferden.« Er schnürte die Bola um den Leib, warf den Poncho über und bestieg sein Roß, das von einem jungen Hirten vorgeführt wurde. Auch Aurelio nahm die Bolas von der Wand, befestigte sie an seinem Leib, warf den Poncho über und schwang sich auf den Schimmel. Der Lasso und das lange Messer fehlten natürlich bei keinem der Männer. Pablo führte einen hinter seinem Sattel befestigten ledernen Beutel mit Verpflegung bei sich.

Nach fröhlichen Abschiedsworten ritten Juan Perez und Aurelio davon. Sancho Pereira sah ihnen mit strahlendem Lächeln nach; seine Blicke galten vor allem Aurelio.

»Was für ein Reiter!« rief er begeistert, »und Lasso, Bolas und Lanze führt er bald besser als Señor Perez.«

»Auch tapfer soll er sein«, äußerte der Gelehrte, »ja, es gibt Leute, die ihn tollkühn nennen.«

»Tapfer ist er, der Bursche, das ist wahr«, versicherte Pati. »Vor zwei Jahren war er mit Juan Perez da drüben in den Bergen« – er deutete auf die Höhen von Cordoba – »zufällig scheuchte er einen Jaguar auf. Er warf die Bolas nach der Bestie, doch sein Arm war zu schwach, auch besaß er noch nicht Übung genug im Gebrauch dieser Waffe; er reizte das Tier nur zur Wut, und der Jaguar nahm ihn an. Da sprang der Junge entschlossen aus dem Sattel, wickelte blitzschnell den Poncho um seinen linken Arm, zog das Messer und erwartete den Ansprung der Bestie. Perez sah das alles, war aber zu weit entfernt, um selber eingreifen zu können, und halbtot vor Schreck. Er zittert noch heute, wenn er daran denkt, aber er sagt auch jedesmal, es sei bewundernswert gewesen, wie unerschrocken der Junge sich zum Kampf gestellt hätte.«

Don Estevan kannte die Geschichte längst, doch gab er dem Majordomo gerne Gelegenheit, seiner Begeisterung über Aurelios Tapferkeit die Zügel schießen zu lassen.

»Gott hat über den Jungen gewacht, Señor«, fuhr Pati fort, »denn die Gefahr, in der er schwebte, war entsetzlich, und ich weiß nicht, was aus der Sache geworden wäre, wenn nicht der fremde Jäger erschienen wäre und die Bestie abgeschossen hätte. Es war ein Estrangero«, fügte er hinzu, »ein Aleman.«

»Ich habe schon öfter über diesen Estrangero sprechen hören«, sagte der Gelehrte, »was ist er für ein Mann?«

»Ich kann nicht viel über ihn sagen«, antwortete Pati, »es wird viel Gutes und manches Sonderbare über ihn erzählt. Er ist noch jung, haust ganz allein in den Bergen und lebt von dem Ertrag seiner Büchse, denn er ist ein trefflicher Jäger. Wie er zu schießen versteht, hat er ja schon damals bewiesen, als er Aurelio vor dem Ansprung des Jaguars rettete. Der Señorito hat ihn seit damals einige Male besucht, und er war auch selber schon hier, aber man hört nur selten von ihm; er liebt die Einsamkeit.«

»In Uruguay, in Entre Rio und auch in Buenos Aires leben viele Alemans; man sieht sie recht gern, und ich habe bisher nicht gehört, daß sie ungesellig sind«, sagte Don Estevan.

»Auch nördlich von hier, am Rio Tercero, wohnen Landsleute des Estrangero«, bemerkte der Majordomo. »Nun, wir wollen uns über die Grillen des Mannes nicht den Kopf zerbrechen«, fügte er hinzu, »ich denke mir, Gott hat den Estrangero zur rechten Zeit damals des Weges geschickt, um unserem Aurelio das Leben zu retten.« Damit erhob er sich, um nach den Feldern zu sehen, auf denen bereits einige Schwarze ihre Morgenarbeit verrichteten, und auch Don Estevan verließ die Veranda, um sich an seinen Schreibtisch zu begeben.

Don Juan, Aurelio und der junge Hirte waren indessen am Flußufer entlanggeritten, das auf einer großen Strecke weit von Baumwuchs frei war. An einer seichten Stelle kreuzten sie den Quinto. Drüben ließ Juan Perez den Blick über die Landschaft schweifen. Hier und da waren einzelne Gruppen weidender Pferde und Rinder zu sehen, nichts aber von dem Wild, das zu jagen sie ausgezogen waren. Der Gaucho prüfte den Wind; ein leichter Luftzug kam von Südwest. Er deutete in diese Richtung und sagte: »Da drüben sind sie, wir müssen zu ihnen reiten.«

Sie setzten sich in Trab und mochten einige Stunden in der schnellen Gangart der Pampaspferde geritten sein, als Juan sich im Sattel erhob. »Seht ihr?« sagte er, »da drüben!« Und nun gewahrte auch Aurelio in weiter Ferne noch die hochragenden Tiere, die ruhig ihre Nahrung suchten.

»Noch sind sie nicht aufgescheucht«, sagte der Gaucho. »Wenn unsere Burschen aufpassen und die Nandus nicht zu früh flüchtig werden, können wir sie nach Süden treiben. Dann mag Cid beweisen, was er kann.«

Sie nahmen die Bolas von der Hüfte, Aurelios Augen funkelten im Jagdeifer.

»Reite du nach links, Pablo«, befahl Juan Perez dem Hirten, »und du, mein Junge, halte dich rechts. Bleibt in gleicher Höhe mit mir und gebt acht, daß sie nicht nach Norden entkommen.«

Die Jungen schwenkten nach links und rechts ab, und im Abstand von etwa zweihundert Metern galoppierten alsdann alle drei vorwärts. Bald schon wurden sie der Hirten ansichtig, die schon am Vorabend ausgesandt waren, um das Wild nach Süden und Westen hin einzukreisen.

Sie mochten den Straußen vielleicht auf eine halbe Legua nahegekommen sein, als eines der großen Tiere plötzlich den Kopf hob und zu ihnen herüberäugte. Im gleichen Augenblick wurden die Riesenvögel, es mochten wohl ihrer zwanzig sein, nach Süden flüchtig. Von dorther aber nahten sich nun drei Reiter, die ihre Ponchos schwangen. Augenblicklich wandten die Nandus sich nach Westen, aber auch von dorther jagten ihnen drei Reiter mit flatternden Ponchos entgegen. Einen Augenblick verhielten sie, zu einem Trupp zusammengeschart, dann wandten sie und jagten nach Norden davon.