Za darmo

Der Sohn des Gaucho

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Auf Don Juans Rat hatte Pati dem Neger nur das Notwendigste mitgeteilt. Sie hätten nach beendetem Feldzug das Heer verlassen und unweit Santa Fé auf dem Strom treibend ein Boot mit einer toten jungen Frau und dem kleinen Jungen gefunden, hatte er gesagt.

Sie könnten sich selbstverständlich einstweilen in seiner Hütte verborgen halten, sagte Pedro. Er selbst begab sich unverzüglich in seinem Segelboot nach Santa Fé, um dort vorsichtig nach Ereignissen zu forschen, welche die Abtrift eines Bootes mit einer toten Frau und einem lebenden Kind zur Folge gehabt haben könnten. Er verließ sich dabei vor allem auf seine schwarzen Stammesgenossen.

Erst spät in der Nacht kehrte der Alte zurück. Er brachte überraschende Nachricht, von Entre Rios aus sei eine starke Schar Unitarier unter General Las Palinas über den Strom gesetzt, die Estanzia nach Estanzia zerstöre und in Eilmärschen auf Santa Fé zurücke, wo man sich bereits zur Verteidigung anschicke. Es sei in aller Eile nach Buenos Aires um Hilfe gesandt und die Landbewohner seien zum Kampf aufgerufen worden. Über eine ermordete Frau und deren Kind hatte er nichts erfahren können.

Don Juan hörte sich diesen Bericht an, dann sagte er nach einigem Nachdenken: »Besorge mir ein gutes Pferd, Pedro, oder sage mir, wo eines zu finden ist. Morgen früh reite ich.«

»Nimm zwei Pferde, Pedro«, sagte Pati, »ich reite mit.«

Aber das Kind! Was sollte mit dem Kind geschehen?

Das Kind wolle sie behalten, erklärte die alte Negerin, sie wolle es pflegen, als ob es ihr eigenes sei.

»Gut, Señora«, sagte Don Juan, »bewahre mir den Jungen. Laß ihn von keinem Menschen sehen, sprich nicht von ihm, denn es ist kein Zweifel, daß ihm sehr mächtige Leute nach dem Leben trachten. Gott wird es dir dereinst und ich werde es dir noch hier auf Erden lohnen, wenn ich kann.« Sie würden das Kind wie ihren Augapfel hüten und kein Wort über seine Existenz verlauten lassen, versprachen die beiden Alten.

Noch im Laufe der Nacht ruderte Pedro die beiden Männer mit ihren Sätteln, mit Zaumzeug und Waffen, einige Leguas weit den ihm wohlbekannten Bach hinauf; vor Morgengrauen setzte er sie an Land. Wie es Juan vorhergesagt, weideten dort zahlreiche Pferde. Der Lasso des Gauchos brachte bald zwei Tiere in seine Gewalt, und Minuten später galoppierten er und Pati bereits der Pampa entgegen.

Bellavista

Nördlich der Stadt Santa Fé, in dem Staat oder der Provinz gleichen Namens, lagen die Besitzungen Don Francisco de Salis‘. Sie erstreckten sich weithin am Parana und tief in das Land hinein. Der Señor de Salis gebot über große Strecken hochkultivierten Landes, das Mais, Weizen, Tabak und andere Früchte in reicher Fülle erzeugte. Er besaß ausgedehnte Wälder, die wertvolle Hölzer lieferten, und ungezählte Herden von Pferden und Rindern, die in der Pampa weideten. Er war weithin als kluger und harter Mann bekannt, der reiche Einnahmen aus seinen Ländereien herauswirtschaftete.

Don Francisco war aber nicht nur ein sehr reicher, er war auch ein außerordentlich mächtiger Mann im Staat Santa Fé, und dies nicht nur wegen seines großen Vermögens, sondern vor allem durch die Gunst des mächtigen Mannes in Buenos Aires, der das Land und die Menschen mit unerbittlicher Hand nach seinem Willen lenkte.

Die Provinzen Buenos Aires, Entre Rios, Santa Fé und Corrientes befanden sich fest in der Hand des Diktators, während ihm die entfernteren Landesteile durchaus nicht immer botmäßig waren, ja sich nicht selten gegen ihn und seine Gewaltherrschaft auflehnten, in der Regel freilich nicht zu ihrem Vorteil.

Francisco de Salis entstammte einer altspanischen Familie, die schon unter dem Adelantado Martinez de Irala im Jahre 1556 ins Land gekommen war; er war außerordentlich stolz auf diese Abkunft und gehörte zu den ergebensten Anhängern de Rosas. Die Estancia Bellavista, de Salis‘ Landgut, war ein ungemein stattlicher Besitz. Das schloßartige, mit Seitenflügeln versehene Hauptgebäude, das teilweise erst vor kurzer Zeit erneuert zu sein schien, zog sich, von dichten Gärten und parkartigen Anlagen umgeben, dicht am Parana hin, dessen Ufer hier eine weite Ausbuchtung aufwiesen; die weitere Umgebung zeigte zahlreiche zerstreut liegende Wirtschaftsgebäude und Landarbeiterwohnungen.

An einem schönen Frühlingstag, etwa zwei Jahre nach den soeben geschilderten Ereignissen, kamen zwei Männer die gut unterhaltene Straße entlanggeritten, die längs des Flußlaufes durch die Besitzungen Don Franciscos führte; der eine von ihnen, der mit seinem Pferde verwachsen schien, war unzweifelhaft ein Gaucho. Sein breitschulteriger Begleiter, weniger sicher zu Pferd, fiel durch rötlich schimmerndes Haar, einen Bart in der gleichen Farbe und sehr helle Augen auf. Beide blickten über die Felder und Wohngebäude hin und ließen dann das Auge auf dem Teil des Hauptgebäudes ruhen, der unter schattenden Algarobenbäumen in einiger Entfernung sichtbar wurde. Fremde waren in jenen Zeiten alltägliche Erscheinungen auf den Landstraßen; die auf den Feldern beschäftigten Arbeiter, unter denen sich auch Neger befanden, sahen nicht einmal auf.

Der voranreitende Gaucho sagte zu seinem Begleiter: »Hast du dich auch nicht geirrt, Pati? Ist das wirklich die Stelle?«

»Verlaß dich darauf, Don Juan«, sagte der andere. »Am ganzen Ufer von Santa Fé herauf liegt kein Castillo so nahe am Fluß und außerdem an einer Bucht, die eine Strömung hat. Ich habe mich nicht geirrt.«

»Um so besser«, sagte der Gaucho. »Aber dann wird es Zeit, daß wir uns nach einer Unterkunft umsehen; ich möchte nicht zu weit in die Estancia hineinreiten.«

Pati wies mit dem Arm nach rechts. »Dort«, sagte er, »das Häuschen sieht mir so aus.« Seitlich ihres Weges stand unter Erlen ein einfaches mit einer freundlichen Veranda geschmücktes Blockhaus. Eine alte, in ein buntes Kalikokleid gehüllte Negerin trat in diesem Augenblick auf die Veranda, sah flüchtig nach den Reitern hin und wandte sich gleich wieder irgendeiner Arbeit zu.

»Wir wollen bei dem Mütterchen anklopfen«, sagte Pati. Er ritt auf das Häuschen zu und rief der Negerin einen Gruß zu. »Wie ist‘s, Madrecilla«, sagte er, »kannst du zwei müden Reisenden Obdach gewähren und einen Becher Mate reichen?«

Die Frau sah etwas erstaunt auf, warf dann einen freundlichen Blick auf des Rotblonden gutmütiges Gesicht und sagte: »Tritt näher, Señor, wenn es dir gefällt. An einem Becher Mate soll es nicht fehlen.« Pati stieg vom Pferde, und Don Juan folgte seinem Beispiel. Sie banden ihre Pferde neben der Veranda an und schritten die wenigen Stufen hinauf. Don Juan hielt den Hut in der Hand.

»Ein Caballero aus der Pampa, Don Juan, den ich auf einer Reise begleite«, stellte Pati den Gaucho vor. »Oh«, sagte die Alte, »kommt Ihr Don Francisco besuchen?«

»Das nicht, Mutter«, antwortete Juan, »wir reiten weiter nach Santa Fé.«

Die Alte machte ein ernstes Gesicht; sie maß die jugendlichen kräftigen Gestalten ihrer Gäste mit prüfenden Blicken. »Seid ihr nicht unvorsichtig, Señores?« sagte sie. »Wißt ihr nicht, daß Krieg im Land ist? Don Francisco sucht Soldaten für die Regierung. Alle jungen Leute von uns sind ausgehoben und zur Armee geschickt worden; sie nehmen, wen sie finden.«

»Nun«, meinte der Gaucho gleichmütig, »wir sind ziemlich sicher, nicht ausgehoben zu werden.«

»Oh, gewiß habt Ihr eine Bescheinigung«, sagte die Alte. »Denn sonst ist es besser, Don Francisco und der Majordomo sehen Euch nicht.«

»Wir dienten bereits in der Armee«, sagte Don Juan.

»Schlimme Zeit, Señores!« klagte die Alte. »Meinen Enkel haben sie auch weggeholt. Aber setzt Euch, ich will Mate holen.« Damit verschwand sie im Innern des Hauses.

Don Juan sah seinen Begleiter bedeutsam an. »Du hast gehört, Pati«, sagte er, »es wird Zeit, daß wir wieder aufs Wasser kommen. Hoffentlich findest du das Kanu.«

»Es liegt sicher im Uferschilf. Ich habe mir die Stelle genau gemerkt«, erwiderte Pati.

»Ausgezeichnet«, versetzte der Gaucho, »du bist ein Prachtkerl, Pati. Aber ich gestehe dir, daß mir nicht wohl ist. Wir wollen sehen, was wir in Erfahrung bringen können, und dann unverzüglich an einen geordneten Rückzug zu Wasser denken. Wenn du dich nur nicht getäuscht hast; immerhin sind zwei Jahre verflossen seit jener Nacht.«

»In der Bucht täusche ich mich gewiß nicht«, sagte Pati. »Ob freilich noch Leute von damals hier leben, müssen wir abwarten.«

»Ich wollte, ich hätte mich früher um die Geschichte kümmern können«, knurrte der Gaucho. »Nun, wir werden ja sehen. Die Alte macht einen ordentlichen Eindruck. Versuche sie in deinem Negerkauderwelsch auszuhorchen. Sage ihr, daß du ein Prinz seiest; deine goldenen Locken werden sie davon überzeugen, und einem Prinzen widersteht man nicht.«

Da die Negerin in diesem Augenblick mit dem Mate erschien, kam Pati um eine Antwort herum. Die Alte setzte gleichzeitig einen Teller mit frischen Maiskuchen auf den Tisch und reichte einige gekochte Eier dazu. »Eßt, Señores«, sagte sie, »es ist gern gegeben.« Die beiden Männer ließen sich nicht lange nötigen.

In dem Kongodialekt, in dem dereinst seine Pflegeeltern zu ihm gesprochen hatten, sagte Pati: »Du bist eine Meisterin im Bereiten von Tortillas, Mutter.«

Die Frau sah ihn entgeistert an. »Du sprichst die Sprache der schwarzen Menschen«, stammelte sie. Pati lachte sie an. »Ja«, sagte er. »Menschen dieser Farbe danke ich mein Leben; sie vertraten Elternstelle an mir.« Und in kurzen Worten erklärte er der Alten die Geschichte seiner Jugend. Der liefen die Tränen über die Wangen, sie wußte sich vor Rührung nicht zu fassen. Schließlich aber wurde sie ernst. »Ihr kommt von Norden«, sagte sie, »dort herrscht der Krieg.«

»Wir kommen von Corrientes, Mutter.«

»Oh«, jammerte sie, »wenn dieser schreckliche Krieg doch zu Ende wäre und mein Enkel wieder daheim.«

Sie sprachen ein Weilchen über den Krieg und seine Schrecken. Dann sagte Pati, vorsichtig auf den Gegenstand seines Interesses zielend: »Es ist eine große Estancia, auf der ihr hier lebt, Mutter.«

 

»O ja, sie ist sehr groß«, sagte die Alte. »Don Francisco ist der reichste Estanciero am ganzen Parana.«

»Lebst du schon lange hier?«

»Ich bin hier geboren und habe die Estancia nie verlassen«, sagte die Alte.

Gut! dachte Pati, und laut sagte er: »So habt ihr gewiß einen gütigen Herrn?«

Die Negerin duckte sich unwillkürlich; sie warf einen scheuen Blick auf den Mann mit dem Goldhaar. »Wir dürfen nicht klagen«, sagte sie schließlich leise, »aber wollte Gott, Don Fernando wäre noch am Leben!«

»War das der Vater des jetzigen Herrn?«

Die Negerin schüttelte den Kopf. »Nein, sein Bruder. Er lebt nicht mehr. Sie leben alle nicht mehr. Auch Doña Maria nicht und die beiden Lieblinge.«

»Oh«, schaltete sich der Gaucho ein, »die ganze Familie? Ein Fieber hat sie hinweggerafft?«

Wieder schüttelte die Alte den Kopf. »Nein«, sagte sie, »es war anders. Don Fernando starb auf der Jagd; ein Jaguar hat ihn zerrissen.« »Und Doña Maria?« »O Gott!« Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Die heilige Jungfrau sei ihr gnädig! Ihr und den beiden Kleinen!«

Die Männer schwiegen, sie sahen sich verstohlen an. Die Alte aber, wohl durch Patis Geplauder im Negeridiom zutraulich gemacht, sagte gedämpften Tones: »Ihr seid Fremde. Ihr könnt nicht wissen, was hier vor zwei Jahren geschehen ist. Mörder sind über den Parana gekommen. Sie haben Doña Maria und die Kinder und viele Leute erschlagen, auch meinen Sohn.« Der Jammer kam mit der Erinnerung über sie, sie barg den Kopf in der Schürze, ihre alten Schultern zuckten.

Also doch! dachte Don Juan. Laut sagte er: »Das ist entsetzlich, Madrecilla. Über den Fluß, sagt Ihr, sind die Räuber gekommen?«

»Ja, über den Fluß. Räuber und Mörder!«

»Und ihr wehrtet euch nicht?«

»O doch! O gewiß!« sagte die Alte. »Die Männer haben gekämpft; alle. Auch mein Sohn. Sie liebten Doña Maria und die Kleinen. Cesar hat viele Räuber erschlagen. Aber sie hatten eine Menge Flinten und die unseren nur wenige. Sie wurden alle erschossen. Auch Cesar, mein armer Cesar. Er hat die Herrin bis zuletzt mit seinem Leibe gedeckt. Dann haben sie das Castillo verbrannt; es ist wieder aufgebaut. Oh, es war schrecklich, Señores!«

»Und nicht einmal die unschuldigen Kinder wurden von den Mördern geschont?« fragte der Gaucho. Die Alte warf ihm einen scheuen Blick zu, sie wiegte den Kopf hin und her.

»Sie waren die Erben der großen Besitzung?«

Die Negerin hob den Kopf und sah Juan scharf an; in dessen Antlitz war nichts als ernste Teilnahme zu lesen. »Ja«, sagte sie langsam, »Don Carlos und Don Aurelio waren die Erben von Bellavista.«

»Das nunmehr also ihrem Onkel gehört; sagtet Ihr nicht so?«

»Ja. Don Francisco de Salis, der Bruder Don Fernandos, ist jetzt unser Herr.« Wieder zeigten ihre Augen den scheuen, fast gehetzten Ausdruck. Sie sagte leise, sich mehr an Pati als an Don Juan wendend: »Manche Leute glauben, daß die Kinder noch leben – oh, die armen Kinder!«

»Sagtet Ihr nicht, sie wären mit der Mutter erschlagen?«

Die Alte wiegte wieder den Kopf. »Ich habe es nicht gesehen«, sagte sie. »Aber andere wollen gesehen haben, daß der Majordomo mit dem Ältesten davongeritten ist, als das Haus brannte. Den Kleinsten nahm die Mutter mit hinaus auf den Parana – man hat nie wieder von ihnen gehört. Don Francisco hat suchen und suchen lassen, am Strom, in den Wäldern, auf den Pampas. Die Leiche des Majordomo hat man schließlich gefunden, weit von hier, nicht aber den Jungen, mit dem er fortgeritten war.« Sie schwieg eine Weile und fuhr dann mit kläglicher Stimme fort: »Mein Mann und ich sind fast die einzigen, die jene Nacht erlebten; alle anderen sind tot oder von Don Francisco fortgeschickt worden.«

So ist das also! dachte Don Juan, Pati hat sich nicht geirrt.

»Das alles ist schlimm, Madrecilla«, sagte er laut, »doch Gott ist gütig und gerecht. Vielleicht hat Don Francisco noch die Freude, die Kinder seines Bruders eines Tages lebend wiederzufinden.«

»Gott verhüte es!« brach es unwillkürlich aus der Alten heraus. »Es wäre ihr sicherer Tod!« Gleich darauf schlug sie sich vor den Mund; ihr Gesicht nahm eine graugelbe Tönung an; sie zitterte. »Señores«, stammelte sie, »Señores – —.« Pati legte ihr die Hand auf die Schulter und sah sie treuherzig an; er sprach ein paar Worte im Negerdialekt. Die Frau beruhigte sich langsam.

»Der Señor de Salis scheint ein sehr mächtiger Herr zu sein!« sagte der Gaucho betont.

»Das ist er gewiß, Señor, das ist er gewiß«, stammelte die Alte; sie hatte die Augen eines gehetzten Tieres. »Bleiben die Señores über Nacht hier?« fragte sie.

»Nein«, sagte der Gaucho, »im Gegenteil, wir wollen gleich weiter, um heute noch, wenn auch erst sehr spät, Santa Fé zu erreichen.« Damit erhob er sich, und Pati folgte seinem Beispiel. Die Alte, zur Veranda hinausblickend, sagte: »Da kommt mein Mann, wartet solange. Er wird sich freuen, euch noch begrüßen zu können.«

Ein alter Neger kam von den Feldern heim; er sah noch kräftig und rüstig aus und trug eine Schaufel über der Schulter. Er grüßte schon aus einiger Entfernung mit seinem Strohhut. Im Augenblick, da er vor der Veranda ankam, ertönte der scharfe Hufschlag eines herangaloppierenden Pferdes. Eine gellende, jugendliche Stimme schrie: »Steh, alter Halunke! Ich habe mit dir zu reden.« Der Gaucho und Pati sahen: ein etwa vierzehn-, fünfzehnjähriger Junge, reich gekleidet, kam auf schäumendem Pferd herangesprengt; dicht vor dem Neger parierte er sein Tier, er hätte den Alten beinahe über den Haufen geritten.

»Madre de Dios, Don Agostino!« schrie der Alte und sah entsetzt zu dem Burschen auf.

»Was hatte ich dir befohlen, schwarze Kanaille!« schrie der Junge. »Solltest du nicht mein Kanu herrichten? Habe ich dir das nicht gesagt?«

Man sah, daß der Neger zitterte. »Gewiß, Euer Gnaden«, stammelte er, »gewiß habt Ihr es mir befohlen. Aber der Majordomo hat mich zur Arbeit aufs Feld geschickt, trotzdem ich ihm sagte, was der gnädige Herr mir befohlen hatte. Ich mußte gehorchen, Euer Gnaden!«

»Mir hast du zu gehorchen, mir!« schrie der Junge mit wutflammendem Gesicht. Und die Reitpeitsche, die er in der Hand trug, sauste mehrmals auf den entblößten Kopf, das Gesicht und die Schultern des alten Negers herab, dessen Stirn sich blutig färbte.

»Misericordia, Don Agostino, por la santissima madre, misericordia!« stöhnte die Alte auf der Veranda und schlug die Hände vor das Gesicht.

Die Augen Patis begannen zornig zu funkeln; man sah seinem Gesicht an, daß er dicht vor einem gefährlichen Wutausbruch stand.

Juan kannte seinen Gefährten und wußte, was er in der Wut anzurichten imstande war; er legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Vorsicht! Ruhe, Pati!« flüsterte er, »wir sind hier allein unter Jaguaren.« Er schritt die Stufen der Veranda hinab und ging auf den Jungen zu. »Haltet Ihr es für eine würdige Handlung, einen alten Neger zu schlagen?« fragte er scharf.

Der Knabe sah überrascht auf den Gaucho, er sah dahinter die stämmige Gestalt Patis auftauchen. »Zarapeto!« brüllte er Don Juan an, »wer bist du, daß du es wagst, mich anzureden? Willst du meine Peitsche fühlen?«

»Ich würde dir das nicht raten, mein Junge«, sagte der Gaucho, »bisher hat dergleichen noch keiner ungestraft gewagt.«

»Cochinos!« schrie der Bursche auf dem Pferd. »Wer seid Ihr? Wollt Ihr mich verhöhnen? Ich lasse Euch peitschen bis aufs Blut!«

Don Juan wandte sich ab. »Komm, amigo«, sagte er, an Pati gewandt, »der Bengel hat Narrenfreiheit. Laß uns davonreiten.« Damit ging er auf sein Pferd zu. Der Junge trieb ihm das seine in den Weg und hob die Peitsche zum Schlag. Einem Blitz gleich zuckte das lange Jagdmesser in der Hand des Gauchos empor. »Jetzt gib Raum, estupido« , sagte er mit finsterem Gesicht, »gib Raum, sage ich, oder ich bahne mir den Weg!«

Der Bursche, totenblaß jetzt, riß sein Pferd zurück; seine Stimme gellte auf. »Mörder!« rief er. »Haltet sie! Hilfe! Sie wollen mich ermorden!«

Der Boden dröhnte unter den Hufen einer heransprengenden Reiterschar; in vollem Rosseslauf jagte ein hochgewachsener, schwarzbärtiger Mann in einem eleganten Reitanzug heran; eine tiefe, dröhnende Stimme rief schon von weitem: »Was gibt es da, Agostino?«

»Hilfe! Mörder!« brüllte der Knabe. Der Reiter, von einigen Caballeros und wohl einem Dutzend Dienern gefolgt, war heran. Juan und Pati wechselten, da sie den Schwarzbärtigen gewahrten, einen Blick.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte der Reiter; er zügelte sein Pferd neben dem Jungen.

Der deutete auf den Neger. »Dieser alte Schuft hat meine Befehle nicht befolgt«, sagte er. »Ich war im Begriff, ihm eine Lektion zu erteilen, als diese beiden Ladrones sich einmischten und mich bedrohten. Der da« – er wies auf Don Juan – »hat sogar das Messer gezogen.«

Der Schwarzbärtige wandte sich Juan zu. Sein Gesicht flammte vor Zorn. Vor dem festen, ruhigen Blick der auf ihn gerichteten Augen des Gauchos stutzte er.

»Was stierst du mich an, Zarapeto!« brüllte er auf. »Wer bist du?«

»Ein friedlicher Reisender, der auf dem Wege in seine Heimat ist und hier einen Augenblick ausruhte«, sagte der Gaucho ruhig.

»Und der andere da?«

»Er ist mein Begleiter.«

»Ich bin der Alkalde des Bezirks«, schrie der Reiter. »Als solcher frage ich dich, woher du kommst und wohin du gehst.«

»Ich komme von Humberto und reite nach Buenos Aires.«

»Was tatest du in Humberto?«

»Ich hatte Geschäfte dort.«

»So!« Der Mann hatte sich beruhigt; ein Ausdruck überlegenen Spottes stand auf seinem harten Gesicht. »Du wirst nicht erwarten, daß ich dir das glaube«, sagte er, »nachdem du hier unternahmst, einen Diener gegen seinen Herrn aufzuhetzen und zum Überfluß das Messer gegen meinen Sohn zu ziehen.«

»Ich habe niemanden aufgehetzt«, sagte der Gaucho. »Und das Messer habe ich gezogen, nachdem Euer Sohn mich mit der Peitsche bedrohte.«

»Ich hätte die größte Lust, dich samt diesem rothaarigen Scheusal da am nächsten Baum aufhängen zu lassen!« sagte der Schwarzbart.

»Das würde Euch bald leid tun«, versetzte Don Juan mit immer gleicher Ruhe, »Euer Leben wäre alsdann keinen Peso mehr wert. Ihr hättet zukünftig das Messer jedes Gaucho zu fürchten.«

»Laß die Hunde hängen, Vater!« schrie der junge Agostino. »Kein Zweifel, es sind Unitarier!«

»Muéran los unitarios! Viva la confederacion!« riefen Juan und Pati wie aus einem Munde.

Ein breites Lächeln erschien auf dem Gesicht des Hacienderos. »Ganz schön«, sagte er, »aber der Ruf kostet nicht viel.« Einer der hinter ihm haltenden Caballeros sagte: »Don Manuel braucht frische Mannschaft, Don Francisco. Steck die beiden Burschen in eins der Regimenter, da werden sie Gelegenheit haben, ihre Liebe zur Föderation zu beweisen.«

»Wir haben bereits für die Republik gefochten, Señor«, sagte der Gaucho. »Jedermann weiß, daß alle Gauchos auf den ersten Ruf Don Manuels bereit stehen.«

»Laß dich nur nicht betören, Vater«, kreischte der Bursche, der diesen ganzen Vorgang heraufbeschworen hatte. »Sicher sind das Spione der Unitarier, die von Uruguay herübergekommen sind, um hier zu kundschaften.«

»Wir werden bald wissen, wer sie sind«, sagte Don Francisco. »Bindet die Burschen!« rief er den weiter zurück haltenden Leuten zu, von denen einige sogleich von den Pferden sprangen.

Juan bewahrte auch jetzt seine Ruhe, dagegen schien Pati, seiner Miene nach, entschlossen, sich nicht so ohne weiteres fesseln zu lassen. »Ruhig!« zischte ihm Juan zu, »später!« Und Pati schluckte seinen Zorn einstweilen hinunter.

Die Diener führten den Befehl aus; sie banden beiden Männern die Hände auf dem Rücken zusammen, nachdem sie ihnen vorher die Messer abgenommen hatten. Sie ließen es ruhig, mit finsteren Mienen geschehen.

»So, du Cochino!« schrie der junge Salis und trat auf Don Juan zu. »Du wolltest das Messer ziehen gegen mich? Ich werde dich Demut lehren, du bissiger Hund!« Und seine Reitpeitsche fuhr dem Gaucho einige Male quer durch das Gesicht. Das veränderte nicht einen Zug, aber ein Strahl furchtbaren, unversöhnlichen Hasses brach aus seinen Augen und traf den Burschen, der unwillkürlich betroffen zurückwich und die Peitsche sinken ließ.

Don Francisco hatte dem kleinen Zwischenspiel gleichmütig zugesehen, jetzt wandte er sich ab. »Setzt sie fest und laßt sie gebunden«, sagte er, »es scheinen verwegene Burschen zu sein.«

»Was soll mit dem alten Halunken hier geschehen, Vater?« fragte der Sprößling und wies auf den Neger, der sich mit einem Taschentuch sein blutüberströmtes Gesicht hielt.

 

»Er hat morgen die Estancia zu verlassen!« sagte der Estanciero. Die alte Negerin stürzte mit gerungenen Händen auf ihn zu; die Tränen liefen ihr über die Wangen. »Oh, Don Francisco«, jammerte sie, »stoßt doch alte unglückliche Leute nicht ins Elend hinaus! Wir sind hier geboren, wir haben deinem Vater, deinem Bruder und dir treu gedient, wir sind alt und schwach in diesem Dienst geworden; wo sollen wir denn hin? Mein Mann hat nichts Böses getan, er hat den Befehl des jungen Herrn nicht mißachtet, er hat dem Majordomo gehorchen müssen!«

»Der rebellische Schuft lügt!« sagte der Junge.

»Geht zum Henker, wohin ihr gehört!« schrie der Estanciero die alte Frau an. »Seid ihr morgen noch hier, lasse ich euch aus meinem Gebiet herauspeitschen!«

Der alte Antonio hörte stumpf sein Verbannungsurteil an. Er und seine Frau waren als Sklaven auf der Estancia aufgewachsen. Seit der Aufhebung der Sklaverei hatte er sich zur Familie de Salis gehörig betrachtet; die Verbannung von der Estancia war für ihn gleichbedeutend mit der Vernichtung. Er war gebrochen, es war kein Widerstandsfunke mehr in ihm. Anders aber war es mit seiner Frau. Die Alte, in der die tiefste Verzweiflung tobte, hob mit leidenschaftlicher Gebärde die Arme zum Himmel. »Gut!« schrie sie, »gut, Don Antonio! Jage uns fort! Wir gehen; Gott wird alten Menschen gnädig sein, sie werden ein Obdach finden. Aber wir kommen wieder, Don Francisco! Wir kommen wieder, Antonio und ich. Wir kommen mit den Erben Don Fernandos, Don Carlos und Don Aurelio! Die Kinder deines Bruders werden dich eines Tages jagen, wie du uns heute jagst! Gott ist gerecht!«

Der Estanciero stieß eine wilde Verwünschung aus, er hob die Reitpeitsche zum Schlag. Aber er ließ sie wieder sinken. Die Szene hatte eine größere Anzahl Arbeiter von den Feldern herbeigelockt, unter denen auch mehrere Neger waren. Dort erhob sich Jetzt ein so drohendes Gemurmel, und nicht nur unter den Schwarzen, daß es Don Francisco geraten schien, fürs erste nicht weiter in diese glimmende Glut zu blasen. »Du bist ein Weib«, knurrte er, »aber Gnade euch Gott, wenn ich euch morgen noch hier finde!« Damit wandte er sein Roß und sprengte, von seinem Sohn und den anderen Reitern gefolgt, dem Schloß zu.

Der alte Neger Antonio und sein Weib sahen sich alsbald von zahlreichen Leuten umringt, die teilnahmsvoll auf sie einsprachen und sie in ihrem Unglück zu trösten suchten. »Glaubst du wirklich, Mutter«, fragte ein alter Arbeiter, »daß die Kinder Don Fernandos noch am Leben sind?«

»Gott ist gerecht!« sagte die Alte. »Glaubt es mir: Don Carlos wird kommen und die Räuber seines Eigentums, die Mörder seiner Mutter verjagen. Sie sind mir oft im Traum erschienen, die lieben Kinder, und haben mir zugelächelt. Ich habe mehr als einmal den alten Zauber meines Volkes befragt; ich weiß, sie leben und kommen eines Tages zurück. Gebe Gott, daß Antonio und ich sie noch mit unseren alten Augen sehen.«

Während sie noch so beieinander standen und über ihre nächste Zukunft berieten, wurden Don Juan und Pati von den Dienern de Salis‘ zu einem kleinen, aus Balken gefügten Hause gebracht, das in der Sklavenzeit dazu gedient hatte, widerspenstige Neger zu züchtigen. Es lag an dem Waldsaum, der sich entlang des Parana dahinzog. Man stieß die beiden gefesselten Männer in den Raum, schlug die schwere Balkentür hinter ihnen zu und schob den Riegel vor.

Juan und sein Gefährte sahen sich in einem halbdunklen Raum, der sein schwaches Licht nur durch einige hochgelegene, mit Eisenstäben vergitterte Luken erhielt. Sie sahen sich um. Kein Stuhl, kein Schemel, keine Bank war vorhanden; nichts als die nackten Wände, an denen hier und da eiserne Ketten mit Handschellen befestigt waren, und der kahle Erdboden bot sich ihren Blicken. In einer Ecke lag ein Haufen fast verfaulten Maisstrohs. Die Luken waren zu hoch angebracht, als daß sie hätten hinausschauen können.

»Da säßen wir ganz hübsch in der Falle«, knurrte Pati.

Der Gaucho antwortete nicht; er stand gegen eine der Wände gelehnt und war tief in Gedanken versunken. »Es ist kein Zweifel«, sagte er nach einer Weile. »Er war es. Ich habe diese Stimme nur einmal gehört, aber sie tönt mir noch heut in den Ohren. Du hast die Stimme doch auch wiedererkannt?« fragte er.

»Der Estanciero ist der Mann in der Maske, der die Frau niederschoß«, sagte Pati, »es ist gar kein Zweifel.«

»Es ist nicht auszudenken!« Der Gaucho begann ruhelos im Raum auf und ab zu gehen. »Die Frau und die Kinder des eigenen Bruders«, flüsterte er. »Man sollte es nicht glauben!« Er blieb vor dem Rotblonden stehen. »Es steht schlimm um unser Kind, Pati«, sagte er, »gegen einen solchen Feind können wir nicht kämpfen!«

»Warum nicht, Don Juan?« fragte Pati. Die Gefangenschaft schien ihm weiter keine Sorgen zu machen.

Der Gaucho ließ die Frage unbeantwortet; seine Gedanken waren schon weiter. »Eins haben wir jedenfalls erreicht«, sagte er, »wir wissen: der Junge ist ein de Salis, der Sprößling einer der ältesten Familien des Landes, der Erbe dieses Bodens hier. Es ist alles klar. Der Vater war gestorben, die Frau und die Kinder mußten aus dem Weg geräumt werden, um dem Wechselbalg, der mich zu schlagen wagte, zur Herrschaft zu verhelfen. Darum kamen die Mörder, die man dann für Unitarier ausgab, über das Wasser. Es sind aber zwei Erben. Wo mag der andere sein, der älteste? Wahrscheinlich längst irgendwo vermodert!«

»Ich verstehe das alles nicht«, sagte Pati. »Wenn unser Kind der Erbe dieser Estancia ist, warum rufen wir dann nicht die Entscheidung Don Manuels an?«

»Ja, das wäre einfach! Manches wäre einfach auf der Welt!« Der Gaucho winkte ab; er nahm seine Wanderung wieder auf. »Ich täusche mich da nicht mehr«, sagte er, »ich habe zuviel erfahren. Dieser Don Francisco ist der Freund des Diktators. Don Manuels Freunde können tun, was sie wollen. Wer weiß, vielleicht stand der verstorbene Bruder de Salis auf der gegnerischen Seite, und seine Beseitigung kam dem Herrn da oben gerade recht. Die Kinder Don Fernandos gelten als tot. Wer aber sind wir? Ich, ein einfacher Gaucho, du, ein Mann ohne Eltern und Heimat! Was denkst du, was geschähe, wenn wir jetzt, nach fast drei Jahren, aufträten und sagten: dies ist der Sohn Don Fernando de Salis‘! Erfährt dieser saubere Oheim hier von der Existenz des Kindes, ich bin überzeugt, wir können es nicht einmal schützen. Don Manuel ist allmächtig, und seine Freunde sind es auch. Nein, der kleine Junge ist als de Salis tot; nur ein Wunder kann ihn wieder zum Leben erwecken. Er wird wohl unser Kind bleiben müssen.«

»Nun, Don Juan«, sagte Pati, »wir wollen ihn liebhaben und wollen ihn reich machen.«

»Reich machen schwerlich«, sagte der Gaucho, »aber schützen wollen wir ihn, so gut wir können.« Er betrachtete aufmerksam die Wände und Luken, an der Tür blieb er stehen; die Handgelenke begannen ihm unter dem Druck der Fesseln zu schmerzen. »Was meinst du, Pati«, fragte er, »wirst du die Tür einstoßen können? Sie ist, wie ich bemerkt habe, mit einem Holzriegel verschlossen.«

Der Mann vom La Plata lachte. Er hatte oft zum Staunen aller Hafenarbeiter spielend die schwersten Lasten bewältigt. »Ich glaube nicht, daß es schwer sein wird«, sagte er.

»Kannst du deine Fesseln zerreißen?«

»Ich denke schon«, sagte Pati, »aber ich möchte es noch nicht tun. Wir könnten noch Besuch bekommen.«

Es war inzwischen fast dunkel in dem engen Raum geworden; ein Blick durch die Luken zeigte, daß bereits Sterne am Himmel standen.

»Wir können nicht mehr warten«, sagte Juan. »Mich schmerzen die Handgelenke. Kommen wirklich noch Leute, werden wir die Arme vielleicht brauchen. Versuche, deine Hände freizumachen.«

»Gut«, sagte Pati, »wie gesagt, ich glaube nicht, daß es schwierig ist.« Er ließ seine gewaltigen Muskeln spielen; sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung, aber es währte kaum eine Minute, bis der Strick mit einem dumpfen Laut platzte.