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Der Sohn des Gaucho

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Der Sohn des Abiponenhäuptlings

Sie führten noch mancherlei Gespräche und gewannen allmählich die seelische Ruhe zurück. Sie wußten, daß sie sich im Brennpunkt zahlloser Gefahren befanden; es war durchaus nötig, einen Ausweg zu finden. Sie konnten nicht ewig auf der Insel bleiben.

Juan, der lange vor sich hingesonnen hatte, wandte sich schließlich an Pati. »Weißt du noch«, sagte er, »wie wir uns am Picalmayo in der Nacht mitten ins Feindeslager schlichen und dem Capitano seine besten Pferde wegholten?«

Pati grinste. »Die ganze Armee hat gelacht damals«, sagte er.

Juan erhob sich. »Komm, amigo«, sagte er, »wir wollen uns unsere roten Freunde und vor allem ihre Pferde ein bißchen aus der Nähe betrachten.« Sie wußten, daß die Abiponen in der Nähe des Ufers wachten; schon vor einiger Zeit waren rund um den See kleine Feuer aufgeflammt.

»Sollen wir hierbleiben, Vater?« fragte Aurelio.

Der Gaucho überlegte. »Nein«, sagte er schließlich, »es ist besser, ihr kommt gleich mit. Nehmt aber ein anderes Boot. Und vermeidet jedes Geräusch.«

»Ich ziehe ihr Kanu am Lasso nach«, sagte Pati, »man könnte Aurelios Ruder hören. Auf dem Wasser trägt der Schall weit.«

Sie bestiegen die Kanus; Pati verband sie miteinander; Juan und er bestiegen das erste, Aurelio und der junge Pater das zweite Gefährt. Nahezu geräuschlos setzte der erfahrene Schiffer sie über den See und steuerte das Ufer zur Rechten an. Etwa zweihundert Schritt vor dem Ziel verhielten sie und durchforschten aufmerksam den Saum des Waldes. Von den Indianern war nichts zu gewahren;

der Himmel hatte sich bezogen, es war so dunkel geworden, daß man nur wenige Schritte weit zu sehen vermochte.

Plötzlich vernahmen sie in ihrer Nähe ein leichtes Plätschern. Pati winkte den Gefährten, leise zu sein, zog sein Messer und ließ sich geräuschlos aus dem Kanu ins Wasser gleiten. Er tauchte in der Finsternis unter. Minuten später war er wieder da und schwang sich in das Boot. »Sie haben nicht mit einem La Plata-Schiffer gerechnet«, sagte er. »Sie waren dabei, unsere Kanus zu holen. Zwei Mann waren es. Sie hatten sich aus Kuh- oder Pferdehäuten eine Art Schwimmbeutel gemacht. Ich habe ihn aufgeschnitten, nun mögen sie Wasser saufen.« Er schnaufte und schüttelte sich.

Vorsichtig ließ er die Kanus auf das Ufer zutreiben und fuhr eine Strecke weit an ihm entlang. Hier und da schimmerte der Feuerschein durch die Stämme; von Menschen war nichts zu sehen und zu hören. Schließlich erreichten sie die Mündung des Baches, den sie herabgekommen waren, und Stimmen drangen an ihr Ohr. Pati ließ die Fahrzeuge in das Uferschilf gleiten. »Ihr bleibt hier«, wandte Juan sich an die beiden Jünglinge im zweiten Boot, dann folgte er Pati, der bereits leise an Land gegangen war.

Das Stimmengewirr wurde lauter, je weiter sie vordrangen, auch der Lichtschein ward heller. Bald darauf hatten sie das Lager vor sich. Hinter einem Mimosengebüsch versteckt sahen sie auf ein wildes, groteskes Bild. Mehrere hochlodernde Feuer beleuchteten die baumfreie Lichtung. Zahllose Indianer, Männer, Frauen und Kinder, standen, saßen und sprangen zwischen den Feuern herum. Die kräftigen, muskulösen Gestalten der Männer boten in ihrer wilden Bemalung und Tätowierung, mit den langen, lose fallenden Haaren und flatternden Bändern einen halb gräßlichen, halb komischen Anblick. Einige von ihnen hatten den vorderen Teil des Schädels rasiert und waren mit allerlei Lippen- und Ohrenschmuck seltsamer Art behangen. Die Frauen waren im allgemeinen kaum weniger widerwärtig verunziert.

Es schien hier ein Gelage stattzufinden. Kuhhörner kreisten und wurden fortwährend aus großen, aus Rinderhaut gefertigten Schläuchen nachgefüllt. Juan wußte, daß die Chacoindianer sich aus Honig und der Frucht des Johannisbrotbaumes ein berauschendes Getränk zu bereiten pflegten. Die ausgelassene Stimmung der Wilden schien auf ziemlich reichlichen Genuß dieses Getränkes schließen zu lassen. Pferde sah der Gaucho einstweilen nicht.

Dem Busch gegenüber, hinter dem Juan und Pati lauerten, hockte ein Mann von mächtiger Gestalt, dessen mit Leopardenfell kunstvoll verziertes Lederhemd, bunter Hauptschmuck und reiches Glasperlengehänge, zusammen mit seiner hochmütig gebietenden Haltung darauf schließen ließen, daß es sich um einen angesehenen Häuptling handele. Tatsächlich war der Mann Ychoalay, der Kazike dieser Abiponenhorde.

Zu Füßen des wild und furchterregend aussehenden Mannes spielte ein etwa zwölfjähriger Indianerjunge von kräftiger Gestalt, dessen hübsches Gesicht noch nicht durch Tätowierungen verunziert war. Der kleine Bursche benahm sich reichlich wild und ungebärdig; die Augen des Häuptlings ruhten nichtsdestoweniger mit sichtlichem Wohlgefallen auf ihm.

Juan betrachtete die Szene mit großer Aufmerksamkeit. Die Gelegenheit ist günstig, dachte er. Die Indianer sind angetrunken, zu einer ernsthaften Verfolgung werden sie unfähig sein. Wir werden ihre Pferde aufspüren, uns holen, was wir brauchen und davonreiten. Wer weiß, wann eine solche Möglichkeit wieder kommt.

Er wollte Pati gerade einen Wink geben, sich mit ihm zu erheben, als ein gellender Ruf des Häuptlings zwanzig junge Männer in der Mitte des Platzes zusammenführte. In der Nähe hockende Weiber begannen mit kleinen Trommeln und getrockneten Kürbissen einen ohrenbetäubenden Lärm zu veranstalten. Den Ohren der jungen Männer mußte der Lärm als Musik erscheinen, denn sie begannen sogleich, sich zum Tanz zu ordnen und in einem schnellen und eigenartigen Rhythmus allerlei sonderbare Sprünge zu vollführen. Dem Ganzen schien bei aller Wildheit eine feste Ordnung innezuwohnen. Durch die Reihen der Männer bewegte sich mit staunenswerter Gewandtheit die schlanke Gestalt eines Jünglings, dessen Aufgabe darin zu bestehen schien, den sich nach bestimmten Gesetzen lösenden und schließenden Ringen und Kreisen der anderen zu entschlüpfen. Die in ständiger Bewegung befindliche Gruppe begann sich dem Mimosengebüsch zu nähern, hinter dem Juan und Pati sprungbereit hockten. Plötzlich suchte der in die Enge getrieben Vortänzer sich seinen Verfolgern dadurch zu entziehen, daß er zwischen das Buschwerk sprang.

Das hätte er nicht tun sollen; er stieß dabei auf Pati, ja, er rannte recht unsanft gegen ihn, was ihm einen Fausthieb eintrug, der ihn in hohem Bogen aus dem Busch heraus und zwischen seine Gefährten beförderte. Im Augenblick sahen Juan und Pati sich von einem Dutzend bemalter Wilder umgeben, die ein gellendes Gebrüll erhoben und entschlossen schienen, die ins Garn gegangenen Opfer auf der Stelle umzubringen.

Sie mußten die Absicht zunächst aufgeben. Pati hatte schon des öfteren Gelegenheit gehabt, seine erstaunlichen Körperkräfte zu beweisen; er tat auch jetzt, was er konnte. Er schlug wie ein Berserker um sich, er hob die Angreifer wie Spielbälle hoch und schleuderte sie zwischen ihre tobenden Genossen. Juan, nicht mit so herkulischer Kraft ausgestattet, erwehrte sich mit dem langen Messer seiner Bedränger. Die Dunkelheit kam den Entdeckten zustatten; sie vermochten immer wieder unterzutauchen und Atem zu schöpfen. Doch konnte dieses Spiel nicht lange währen, denn nun strömte es mit Speeren und Keulen von den Feuern herbei. Es ist aus! dachte Juan, es ist aus; er stach einen auf ihn eindringenden Wilden zusammen und wich in das Dunkel zurück. Da gewahrte sein Auge unweit des Gebüsches das Kind, des Häuptlings Sohn offenbar; ein Gedanke durchzuckte ihn. Mit einem Satz war er aus dem Busch heraus, ergriff den Jungen, hob ihn hoch und setzte ihm das Messer auf die Brust. Er stand von den Feuern beleuchtet, in vollem Licht. Ein Indianer flog aus dem Busch heraus;

Pati, mit Augen, die aus den Höhlen wollten, stürzte hinterher und stand keuchend neben dem Gaucho.

Die Indianer standen erstarrt; sie sahen die beiden Weißen, das Häuptlingskind in der Faust des einen von ihnen, die Spitze des Messers auf seine Brust gerichtet. Ein furchtbares Geheul erhob sich.

»Nimm den Jungen auf den Rücken und folge mir«, flüsterte Juan. Er warf ihm das Kind zu, der es sich wie ein Bündel über die Schulter legte. Mit einem Sprung war Juan im Gebüsch; Pati mit dem Jungen folgte ihm. Hinter ihnen aber schien sich die Erstarrung zu lösen; sie hörten die Meute auf ihren Fersen. Sie hetzten durch die Nacht, erreichten das Ufer. »Aurelio«, rief Juan.

»Hier, Vater!«

Sie sprangen in das Kanu. Durch das Uferholz brachen die bewaffneten Feinde; Fackeln lohten und warfen ihr grelles Licht auf die Männer im Boot. Im vordersten stand Juan, den Indianerjungen im Arm und das Messer in der Hand.

»Was ist das? Wen habt Ihr da?« stammelte der Cura.

»Den Häuptlingssohn! Sprecht zu ihnen in ihrer Sprache, Cura. Sagt ihnen, daß wir den Jungen töten werden, wenn sie uns angreifen. Morgen bei Tageslicht können sie ihn auslösen. Er widerfährt ihm kein Leid, wenn wir nicht belästigt werden.«

Der Cura begriff. Er erhob sich in dem zweiten Boot und rief mit weithin schallender Stimme zum Ufer hinüber, was der Gaucho geboten hatte. Juan sah in der vordersten Reihe der Wilden den Häuptling; der Mann schien furchtbar erregt. Er rief etwas herüber.

»Ychoalay ist einverstanden«, sagte der Cura. »Er will morgen zur Insel kommen, Parinkaikin auszulösen. Er bittet, ihn gut zu behandeln.«

»Sichere es ihm zu; der junge Wolf soll uns nur als Geisel dienen.«

Der Cura sprach abermals mit dem Häuptling; auf dessen Wink hin verschwanden die Indianer im Wald, und Pati ruderte auf den See hinaus. »Das hieß gerade noch einmal entkommen, amigo!« sagte Juan.

Sie kamen ungefährdet auf der Insel an, entzündeten ein Feuer und banden den kleinen Abiponen mit zähen Lianen, denn sie waren überzeugt, daß er sich andernfalls ins Wasser stürzen und versuchen würde, zu entkommen. Der Cura sprach ihn wiederholt im Abiponendialekt an, aber der kleine Bursche antwortete nicht; sein hübsches Gesicht blieb trotzig verschlossen.

 

Die Nacht verging ungestört. Die Männer hatten vorsichtshalber abwechselnd gewacht. Die Sonne war eben am Horizont aufgetaucht, als der Abiponenhäuptling erschien. Er kam auf einem aus Baumstämmen gefertigten Floß, das von zwei Indianern fortbewegt wurde. Während Juan am Ufer stand und dem Fahrzeug entgegensah, erkletterte Aurelio einen Baum, um Umschau zu halten. Man mußte mit allerlei Tücken rechnen. Es wäre immerhin möglich gewesen, daß die Wilden versucht hätten, sich der Insel gleichzeitig von verschiedenen Seiten zu nähern.

Der Häuptling und seine Leute schienen unbewaffnet. Immerhin machten Juan und Pati ihre Karabiner schußfertig.

»Sagt ihnen, daß sie die Insel nicht betreten sollen«, wandte Juan sich an den Cura, »andernfalls wird geschossen.«

Die Abiponen kamen heran; sie ließen das Floß treiben. Der Häuptling stand aufrecht auf dem schwankenden Gefährt; er betrachtete mit unverkennbarer Neugier den Gaucho und seinen stämmigen Gefährten. Die Kraft und die Kühnheit der Männer mochten ihm imponiert haben. Er grüßte jetzt höflich mit der Hand. »Ich komme, Parinkaikin, meinen Sohn, zu holen«, sagte er. Der Cura betätigte sich als Dolmetscher. Der kleine Indianer stand aufgerichtet neben dem Gaucho und blickte zu seinem Vater hinüber.

»Du sollst ihn haben, Kazike«, ließ Juan antworten, »aber wir haben einige Bedingungen an seine Freilassung zu knüpfen.«

»Ychoalay wird geben, was er hat«, übersetzte der Cura die Antwort des Häuptlings.

»Laß unsere Reittiere an das Ufer bringen«, befahl Juan, »und noch zwei gesattelte Pferde. Eines für den frommen Cura hier, den ihr Halunken ermorden wolltet, und eines für Parinkaikin.«

Man sah, daß der Häuptling zusammenschrak. »Warum ein Pferd für meinen Sohn?« ließ er fragen.

»Weil er uns begleiten wird, bis wir in völliger Sicherheit sind, schlauer Abipone. Du kannst zwei deiner Leute mitschicken, aber unbewaffnet. Sie mögen uns bis südlich des Saladillo begleiten, dann können sie dir den Jungen zurückbringen.«

»Das wird eine beschwerliche Reise für den Knaben werden«, wandte der Häuptling ein. »Nimm Pferde von uns, Rinder, Häute, Leopardenfelle, wir geben alles, was du willst.«

»Entschließe dich«, sagte Juan und ließ den Cura übersetzen. »Der Junge reitet einstweilen mit. Bist du ehrlich, erhältst du ihn unversehrt zurück.«

»Bürgt der Priester für das Leben Parinkaikins?« fragte der Häuptling.

»Ja«, sagte der Cura, »ich bürge dir dafür. Du erhältst ihn gesund zurück.«

»Mein Sohn wird Hunger haben«, sagte der Häuptling, »wir haben Fleisch mitgebracht.«

Das war allen hochwillkommen; große Stücke gebratenen Rind-und Hirschfleisches wanderten an Land. Dann fuhren die Abiponen zurück; diesmal in einem Kanu, das zu nehmen man ihnen erlaubt hatte, und die Flüchtlinge griffen zu den Speisen. Auch der Junge zeigte jetzt gesunden Appetit.

Bald darauf wurden vom Ufer aus Zeichen gegeben. Sie bestiegen mit dem vorsichtshalber wieder gebundenen Indianerjungen die Kanus und ruderten hinüber. Sie fanden, von zwei berittenen Indianern gehalten, ihre Tiere und zwei weitere Pferde, deren eines, für Parinkaikin bestimmt, reichen indianischen Schmuck aufwies. Parinkaikin wurde in den Sattel gesetzt, die Füße wurden ihm unter dem Bauch des Pferdes zusammengebunden, das Juan mit einem Lasso an sich fesselte.

Den Indianerknaben zwischen sich, ritten Juan und Pati hinter den beiden Indianern her. Juan hatte ihnen durch den Cura befehlen lassen, den Weg nach Westen in der Richtung auf den Saladillo zu nehmen.

Bald war die Kavalkade im Wald verschwunden. Hunderte funkelnder Augen folgten ihnen. Doch hatte kein Abipone sich sehen lassen. Ungefährdet erreichten sie schließlich den Saladillo und überschritten ihn. Erst als sie sich in völliger Sicherheit glauben durften, entließen sie die beiden Indianer mit dem Häuptlingssohn. Ungefährdet erreichten sie bald darauf das friedliche San Luis, wo sie endlich nach schweren Tagen Ruhe fanden.

Wiedersehen

Der Aufstand gegen den Präsidenten Manuel de Rosas hatte einen großen Umfang angenommen. Nicht nur die Provinzia Cordoba, auch die zwischen den großen Strömen gelegenen Provinzen Corrientes und Entre Rios erhoben gegen ihn die Waffen. Die Bürger von Entre Rios hatten den bisherigen Gobernador Oribe abgesetzt und den General José d‘Urquiza zum Regenten gewählt, der alsbald Cordoba verlassen und sein Hauptquartier jenseits des Parana aufgeschlagen hatte, von wo aus er die Bewegung gegen Buenos Aires leitete. Der Staat Santa Fé, in dem Rosas außerordentlichen Einfluß besaß, hatte sich der Aufstandsbewegung nicht angeschlossen. Hier hatte der Präsident erhebliche Truppenmassen versammelt.

Die kriegerischen Abiponen, die zu einem Raubzug großen Stils den Saladillo überschritten hatten, waren angesichts der großen Truppenbewegung im Lande schnell wieder zurückgewichen, hatten sich in ihre unzugänglichen Wälder zurückgezogen und verhielten sich ruhig.

Rosas, der den Sturm kommen sah und sehr wohl wußte, daß die Bewegung auf seinen Sturz hinarbeitete, hatte seine ganze Macht zusammengezogen und vor allem auch die Gauchos zum Kampf aufgeboten. Die Wut des Tyrannen tobte sich in zahllosen Mordtaten aus, die von seinen Kreaturen begangen wurden. Insbesondere die Provinzen Buenos Aires und Santa Fé trieften vom Blut sogenannter Unitarier. In der Hauptstadt ließ Rosas an einem Tage mehr als dreihundert Menschen ermorden. Daß der Kampf gegen ihn hart werden würde, wußte jeder der Aufständischen, doch waren alle entschlossen, die letzte Kraft einzusetzen, um das Land von dem Tyrannen zu befreien.

Die zahlreichen Deutschen im Land, in Entre Rios, Corrientes und Cordoba vor allem, großenteils Schleswig-Holsteiner, hatten sich geschlossen auf die Seite d‘Urquizas gestellt, und der General wußte, was er an diesen Männern besaß. Sie dienten in seiner Artillerie und stellten zudem seine Elitereiterei. In Entre Rios sammelte der General seine Scharen am Parana, um von hier aus den entscheidenden Vorstoß zu wagen.

Es war ein herrlicher Dezembertag, als vier Reiter, von Norden kommend, am Ufer des gewaltigen Stromes entlangritten, ihren Weg auf Diamante zu nehmend. Es waren Don Juan Perez, der Feuerkopf Sancho Pereira und die beiden Brüder de Salis, der junge Gaucho und der Cura.

Juan, dem die großen Ereignisse, die sich vorbereiteten, den abgelegenen Aufenthalt im Westen unerträglich gemacht hatten und der zudem die Brüder, eingedenk ihrer Zukunft, dem Mittelpunkt der Ereignisse näherbringen wollte, war, Aurelios Drängen nachgebend, mit ihnen auf das andere Ufer des Parana gegangen, um d‘Urquiza aufzusuchen.

Sie ritten langsam auf Diamante zu, wo dem Vernehmen nach der General weilen sollte. Überall zeigten sich bereits die Spuren des herrschenden Kriegszustandes. Trupps von Soldaten und bewaffnete Bauern, endlose Züge von Maultieren, mit Nahrungsmitteln und Heeresbedarf beladen, füllten die Straßen, und alles deutete auf eine große Aktion hin; das ganze Land war in Aufregung. Die vier Reiter saßen schweigend in den Sätteln. Über Aurelios frisches Gesicht zog dann und wann ein düsterer Schatten; der Cura schien ruhig, sanft und gleichmütig wie immer.

»Was ist dir, Aurelio?« fragte der Pater, nachdem er den Bruder längere Zeit nicht ohne Sorge betrachtet hatte. »Woran denkst du?«

»An nichts Gutes«, stieß Aurelio heraus. »Ich möchte endlich den Mann kennen, der meine Mutter erschlug. Ich glaube ihn zu kennen, aber ich möchte es wissen, und ich begreife Don Juan nicht. Warum verbirgt er es vor mir?«

»Er wird es dir sagen, wenn es an der Zeit ist«, versetzte der Cura; »warum bist du so ungeduldig?«

Aurelio streifte ihn mit einem düsteren Blick. »Warum bist du ein Priester geworden?« fragte er. »Du hättest den frommen Padres in Assuncion auf andere Weise deinen Dank bezeigen können.«

»Schilt die guten Padres nicht«, lächelte der andere. »Sie haben keinerlei Zwang auf mich ausgeübt. Mein freier Wille hat mich in meinen Beruf geführt, und seiner Berufung muß man folgen.«

»Ja«, sagte Aurelio, »wenn es so ist – —; ich weiß«, fügte er hinzu, »du bist besser als ich, ich bin verbittert, zornig und rachgierig, mindestens seit ich von dem Schicksal unserer Mutter weiß. Der Grimm verzehrt mich.«

»Und doch hast du Grund zur Dankbarkeit«, versetzte der Cura, »Gott hat dich wunderbar geführt. Er hat dich vor tausend Gefahren bewahrt. Und er hat uns zusammengeführt, zwei Brüder, die nichts voneinander wußten.« Er lächelte leicht. »Ich habe das nicht gleich begriffen«, sagte er, »ich habe es nicht gleich fassen können, ich habe ja nie einen Menschen gehabt, außer den Padres. Trotzdem habe ich gleich gewußt, daß es stimmt, daß du mein Bruder bist; ich habe es gefühlt.«

Aurelio sah mit einem halben Blick zu ihm herüber, und für einen Augenblick stand wieder das alte unbeschwerte Lächeln in seinem jungen Gesicht. »Carlos!« sagte er. »Ich habe einen Bruder, der Carlos heißt und der sich Pater Cölestino nennt. Es ist wunderbar!«

Sie kamen an einem kleinen Haus vorbei, das, von einer Einfriedung umgeben, rechts ihres Weges lag. In einem seitwärts davon gelegenen Agavenfeld war ein alter, weißhaariger Neger beschäftigt. Die Straße war im Augenblick frei von Soldaten und Maultieren.

»Wie wäre es, wenn wir ein wenig Rast machten?« fragte Juan. Die anderen stimmten zu.

»Nun, feuerköpfige Hoheit«, wandte der Gaucho sich an Pati, »frage den schwarzen Hidalgo dort, ob er uns nicht ein bißchen Gastfreundschaft gewähren will.«

Pati rief den Neger an; der kam heran, und der Rotkopf redete mit ihm. Dem Alten schien es eine Ehre, die Caballeros bewirten zu dürfen. Er küßte dem Cura die Hand und machte eine einladende Handbewegung zu den schattenspendenden Algaroben und Erlen hinüber, zu deren Füßen sich einige rohe Sitze befanden. Die Reiter stiegen ab.

»Meine Frau wird euch Tortillas backen, Señores«, sagte der Neger. »Mehr haben wir nicht; die Soldados zehren alles auf.«

»Wir haben selbst Vorräte mit und sind mit allem zufrieden«, sagte Juan. »Tränke die Pferde und wirf ihnen Futter vor!«

Der Neger rief etwas in das Haus hinein und beschäftigte sich dann mit den Tieren, während Pati aus einer Ledertasche Mundvorrat herausholte. Der Alte brachte bald darauf die frischen, duftenden Maiskuchen. Dabei fiel sein Blick auf die Brüder de Salis. Er sah wohl nicht mehr sehr gut; seine Augen verweilten lange auf dem Pater und dem jungen Gaucho, und ein Ausdruck leisen Erstaunens machte sich darin bemerkbar. Es sah aus, als denke er über etwas nach.

»Ist es weit nach Diamante?« fragte Juan.

»Kaum eine Legua, Señor.«

»Sind viele Soldados dort?«

»O ja – viele tausend.«

»Und auch der General?«

»Weiß es nicht genau, Señor. General d‘Urquiza ist überall.«

»Stammst du aus Buenos Aires, Alter?« fragte der Feuerkopf.

Der Alte schüttelte den Kopf. »Nein, Señor«, sagte er, »meine Frau und ich sind am Parana grau und alt geworden, auf der großen Estancia Bellavista, wenn Ihr die kennt.«

Juan und Pati sahen auf. »Auf Bellavista?« fragte der Gaucho.

»Bis meine alte Inez und ich fortgejagt wurden, Señor«, antwortete der Neger. »Dann hat uns Señor d‘Urquiza, der Freund unseres alten Herrn, das Häuschen hier und etwas Feld gegeben, um uns vor dem Hungertod zu bewahren.« Er schwieg einen Augenblick, dann suchten seine alten Augen wieder mit einem sonderbaren Ausdruck die beiden Brüder. »Aber wir kehren noch einmal zurück, nach Bellavista«, sagte er leise.

Er ging in das Haus zurück; Juan und Pati wechselten einen langen Blick. Weißt du noch? sagte dieser Blick. Gleich darauf erschien eine alte Negerin; sie kam heran, küßte dem Cura die Hand, wünschte eine gesegnete Mahlzeit und ging wieder in das Haus. Und auch sie streifte die beiden jungen Männer mit einem seltsamen, beinahe scheuen Blick.

Schwerer Hufschlag erdröhnte; eine starke Reiterschar näherte sich. Die Männer sahen auf. Die Reiter kamen von Norden; es handelte sich um eine geschlossene Kavallerieformation, deren erste uniformiert und nach Art der Lanceros bewaffnet war. Vier Trompeter eröffneten den Zug; ihnen folgte, den Abteilungen voranreitend, ein hochgewachsener Offizier auf einem starken Rappen.

Staunend sah der Gaucho die ihm gänzlich ungewohnte, straff gegliederte Ordnung der Reiterschar, da schrie Aurelio neben ihm auf. »Don Enrique!« rief er, sprang auf und lief auf die Straße, dem Zuge entgegen.

Der Offizier verhielt sein Pferd und gab schnell das Zeichen zum Halten. »Ja, Aurelio! Junge!« rief er strahlend, »ist es denn möglich?« Er sprang vom Pferde und schüttelte dem Jungen mit allen Zeichen der Freude in seinem offenen, gebräunten Gesicht, die Hände. Juan und Pati kamen heran, und der Aleman begrüßte auch sie. Hinter den beiden Männern stand Pater Cölestino.

 

Erich Stormar, seit einiger Zeit Oberst und Chef eines von ihm zusammengestellten und ausschließlich aus Deutschen gebildeten Regiments schwerer Lanzenreiter, schien ein völlig verwandelter Mann. Kraft, Sicherheit und Lebenszuversicht sprachen aus seinen Zügen.

Jetzt fielen seine Blicke auf den Priester. Verblüffung malte sich auf seinem Gesicht. Die außerordentliche Ähnlichkeit mit Aurelio sprang sofort in die Augen.

»Mein Bruder Carlos«, sagte Aurelio vorstellend. »Ein Bruder, von dessen Existenz ich nichts wußte und den ein glückliches Geschick mir in den Weg führte. Er nennt sich freilich Pater Cölestino. Und dies, lieber Carlos, ist Don Enrique, der Aleman, mein Lehrmeister im Schießen, von dem ich dir schon erzählte.«

Stormar begrüßte den Cura, sah ihn lange nachdenklich an und wandte den Blick dann auf Juan Perez. »Ja«, sagte der, »es ist so, wie Aurelio sagt, und ich möchte das keinen Zufall mehr nennen. Bald«, setzte er hinzu, »werden die Brüder auch wissen, welchen Stammes sie sind.«

Stormar rief dem am Flügel haltenden Stabstrompeter ein paar Worte in deutscher Sprache zu; der blies ein Signal, gleich darauf saßen die Reiter ab und schickten sich zum Lagern an.

»Eine stattliche Reiterschar«, sagte der Gaucho.

»Es sind die Lanceros von Cordoba«, versetzte Stormar, »ich kommandiere sie, wir sind auf dem Wege, zur Armee der Verbündeten zu stoßen.« Er sprach ein paar Worte mit einem herangekommenen Offizier, der ging zurück, und gleich darauf kam ein Lancero heran, den Schimmel Cid am Zügel führend. »Ich habe ihn dir bewahrt, Aurelio«, lächelte Stormar. Der vollführte vor Glück und Freude einen Luftsprung, schüttelte dem Deutschen die Hand, ergriff seinen Cid am Zügel und konnte sich lange Zeit nicht von ihm trennen.

Sie saßen dann plaudernd beisammen und, wahrhaftig, es gab allerlei Neuigkeiten auszutauschen. Eine knappe Viertelstunde etwa mochte vergangen sein, da näherte sich aus südlicher Richtung ein einzelner Reiter, ein jüngerer Offizier, wie man gleich darauf sah. Er rief eine Gruppe lagernder Soldaten an: »Wo ist Oberst Stormar?« Die Soldaten wiesen auf die Baumgruppe, unter der die Freunde saßen. Der Reiter kam heran.

Stormar war schon bei dem Klang der Stimme, die seinen Namen rief, zusammengefahren. Er stand auf, sein Gesicht wechselte die Farbe, wurde aschfahl. Juan und die anderen sahen es mit Verblüffung.

Der Offizier hielt vor ihnen, sprang vom Pferd. »Erich«, rief er, auf Stormar zueilend, »Gott segne die Stunde. Erst heute erfuhr ich, daß du lebst, daß du da bist, daß du – —«; er schwieg, er starrte in ein versteinertes Gesicht.

»Was denn?« stammelte er, »was ist denn? Was hast du denn?«

»Du wagst es, mir unter die Augen zu kommen?« sagte Stormar leise; er schien sich nur mit Mühe zu beherrschen.

»Aber Erich – —«, setzte der andere an, offensichtlich nicht begreifend.

»Gehen Sie schnell weg, Leutnant Thormäl«, sagte Stormar; er zischte die Worte zwischen den zusammengepreßten Lippen heraus.

»Nun, das verstehe der Teufel!« sagte der Leutnant. »Willst du mir nicht wenigstens erklären – —«

»Was, was soll ich dir erklären?« schrie der Oberst und trat einen Schritt vor auf den anderen zu. »Hast du, der Mensch, dem ich am meisten von allen Menschen vertraute, hast du mich nicht wie einen Hund davongejagt, mich in Elend, Verzweiflung und beinahe in den Wahnsinn getrieben? Wie gedeiht deine Estancia, Arno Thormäl?«

»Meine – meine Estancia?« stammelte, offenbar aus allen Wolken gerissen, der Leutnant. »Meine Estancia, sagst du? Was heißt das denn? Was willst du denn damit sagen? Du willst doch nicht etwa – —?« Plötzlich überzog sich das eben noch blutrot flammende Gesicht des Offiziers mit leichenhafter Blässe. »Erich?« stammelte er.

»Man sollte es nicht glauben«, knirschte Stormar.

Im Gesicht des anderen flackerte es. Er sprach leise, abgehackt. »Ich verstehe noch nicht ganz«, sagte er. »Nein, ich verstehe noch nicht ganz. Ich weiß nicht, was du willst. Ich habe deine Estancia – von ihr scheinst du ja zu sprechen – ich habe sie dir damals vor dem Zugriff gerettet. Der Konfiskationsbefehl lag ja schon vor. Ich glaubte, das ganz geschickt gemacht zu haben. Du kamst mit den Regierungsbeamten, die mir Tage vorher den Befehl gezeigt hatten. Ich habe dich verleugnet. Es war, Teufel nochmal, nicht ganz einfach, aber ich glaube, meine Rolle ganz gut gespielt zu haben.«

»Was denn? Was denn?« stammelte Stormar.

Der andere sah ihn nur an, mit einem langen, rätselhaften Blick. Und plötzlich begriff Erich Stormar. Die letzte Spur Farbe wich aus seinem Gesicht. »Arno! Mein Gott! War ich denn, war ich denn wahnsinnig?«

Leutnant Thormäl trat einen Schritt zurück, er hob leicht die Hand. »Man sollte es nicht glauben«, sagte er, »aber du scheinst mich – du scheinst mich für einen Dieb, für einen Räuber, für – pfui Teufel!« schrie er plötzlich, »ich weiß nicht, wofür du mich gehalten hast!«

»Arno!« Der Oberst ging auf den Leutnant zu, streckte die Arme aus. »Arno«, sagte er, »es ist kein Zweifel: ich war wahnsinnig. Ich war – verzeih, Arno, verzeih!«

Der Leutnant stand unbewegt. »Nein, Erich Stormar«, sagte er, »das verzeihe ich nicht. Hättest du mir im Jähzorn eine Kugel in die Brust gejagt, ich hätt‘ es dir sterbend verziehen. Daß du mich für einen Dieb halten konntest, auch nur einen Augenblick lang —«; er hob die Hand, trat zurück, nahm sporenklirrend die Hacken zusammen. »Ihre Estancia, Herr Oberst, harrt ihres Besitzers«, sagte er, wandte sich, sprang auf sein Pferd und jagte mit verhängten Zügeln davon. Erich Stormar schlug die Hände vor das Gesicht.

Die anderen hatten der Szene, staunend, aufs höchste beunruhigt, zugehört. Verstanden hatten sie nichts, da die Unterhaltung in deutscher Sprache geführt worden war. Nun trat Aurelio an Stormar heran. »Don Enrique«, sagte er, ihm die Hand auf den Arm legend, »was war das, Don Enrique?«

Der Deutsche sah ihn an, als müsse er sich erst besinnen, wer da vor ihm stand. »Laß, Aurelio«, sagte er dann, und seine Stimme klang müde und eigentümlich heiser, »laß. Es ist furchtbar, was zwischen Menschen geschehen kann. Verzeiht, Freunde«, sagte er, »ein andermal. Entschuldigt mich heute.« Er verabschiedete sich kurz, gab dem Trompeter ein Zeichen; das Signal ertönte, die Reiter saßen auf. Minuten später ritten die Schwadronen davon. Erich Stormar sah nicht mehr zurück.

Die vier anderen saßen nicht mehr lange; auch zwischen ihnen wollte kein rechtes Gespräch mehr aufkommen. »Laßt uns reiten«, sagte Juan. Sie stiegen schweigend in die Sättel.

Als sie davonritten, traten der alte Neger und seine Frau aus dem Hause heraus und sahen ihnen nach.

»Sie waren es«, flüsterte die Greisin, »oh, Antonio, es waren Don Fernandos Kinder. Gott ist gut! Wir werden wieder heimkommen.«

Der Neger nickte. »Ja«, sagte er, »wir werden wieder heimkommen.«

Diamante war mit starken Truppenmassen belegt. An die fünfundzwanzigtausend Mann hatte General d‘Urquiza hier um sich versammelt, darunter dreitausend Deutsche.

Im Vorzimmer des Hauptquartiers wartete Juan Perez mit Aurelio und Carlos. Als dem General der Name des Gaucho gemeldet wurde, ließ er ihn alsbald eintreten und kam ihm in herzlicher Aufgeschlossenheit entgegen. »Mein Lebensretter«, sagte er und streckte dem Gaucho beide Hände hin. »Was ich habe, ist dein, Juan Perez. Bringst du dem Vaterland deinen Arm?«

Der Gaucho schüttelte den Kopf. »Nein, General«, sagte er. »Ich kann wohl gegen Francisco de Salis, nicht aber gegen Gauchos kämpfen. Aber ich bringe Euch mehr als meinen Arm.«

»Ja?«

»Ich bringe Euch die Söhne Eures verstorbenen Freundes Fernando de Salis.«