Za darmo

Der Sohn des Gaucho

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»Adelante!« rief Juan. Sie sprengten davon. In ihren Ohren gellte das wilde Geschrei der bereits triumphierenden Verfolger, die von beiden Selten näher kamen. »Jetzt!« schrie Juan und gab seinem Tier die Sporen. Die Pferde griffen aus und begannen ihre Kraft zu entfalten. Noch hielt sich das Maultier zwischen ihnen, aber genau genommen war das Ende abzusehen. Juan löste die Bolas und machte sie wurfbereit. Als er sie eben ums Haupt schwingen wollte, sah er die Verfolger stutzen, aber nur einen Augenblick, dann jagten sie weiter. Und kamen näher. Das Maultier blieb langsam zurück.

»Rettet euch! Rettet euch!« rief Pati, »nehmt keine Rücksicht auf mich!«

»Adelante! Adelante!« war Juans einzige Antwort. Er selbst aber riß, einer plötzlichen Eingebung folgend, sein Pferd herum und sprengte, die Bolas schwingend auf die von rechts herankommenden Reiter los. Augenblicklich teilten die sich in zwei Gruppen, wodurch ihre Vorwärtsbewegung sich verlangsamte. Einige hielten und machten sich fertig zu schießen. Die Vordersten wichen vor dem tollkühn heranstürmenden Reiter zurück. Pati und Aurelio hatten auf diese Weise erheblichen Vorsprung erlangt. Dies erkennend, wandte Juan plötzlich das Pferd und jagte ihnen nach. Schüsse pfiffen an ihm vorbei. Die durch die Attacke überlisteten Lanceros setzten die Verfolgung mit gesteigerter Wut fort, hatten aber viel Raum verloren.

Dennoch kamen sie den Verfolgern bald wieder näher, und auch die von Süden herankommenden Reiter waren nicht mehr weit. Das Maultier verlangsamte zusehends seinen Schritt; es war erschöpft und sein Reiter zu schwer.

»Flieht! Um Himmels willen, flieht doch!« rief Pati mit letzter Lungenkraft. Noch einmal setzte er dem völlig abgehetzten Tier die Sporen ein; da brach es unter ihm zusammen.

Juan und Aurelio hielten. Pati stand über dem gestürzten Tier; er war nicht herabgeschleudert worden. »Juan«, flehte er, »rette Aurelio, den Jungen!«

»Ja«, sagte Juan, »nun hilft es nichts mehr, er muß gerettet werden. Aber vorher schießen wir noch.« Alle drei griffen zu den Büchsen.

Da – was war das? Begab sich ein Wunder? Die beiden Abteilungen der Lanceros verhielten sich ruckhaft, machten plötzlich kehrt und jagten in wildem Galopp nach Süden davon. Die drei Flüchtlinge wandten sich um – und erstarrten.

Wie aus dem Boden gewachsen, jagte von Westen her eine Reiterschar heran, über hundert Mann stark wohl, wilde, abenteuerliche Gesellen. Von langen Lanzen wogten Straußenfedern; langes, schwarzes Haar umflatterte dunkle, verwegene Gesichter.

»Chacoindianer! Nun sei uns der Himmel gnädig!« stammelte Juan. »Das ist das Ende!«

Pati und Aurelio sahen entsetzt auf die vorüberbrausende wilde Jagd. Aber die Indianer schienen die Flüchtlinge gar nicht zu sehen; sie folgten den uniformierten Lanzenreitern, die, wie vom Teufel gehetzt, über die Pampa jagten. Keiner der drei fand ein Wort. Minuten vergingen nur, da waren Verfolger und Verfolgte bereits ihren Blicken entzogen; sie waren allein in der grenzenlosen Weite.

Plötzlich kam in ihrem Rücken ein Tosen heran, eine Art Fauchen; schlagartig verdunkelte sich der Himmel. Ein gewaltiger Windstoß riß sie fast zu Boden. Im Süden und Osten wurde es Nacht; ein dunkler Mantel, von unsichtbarer Hand über die Erde geworfen, hatte Chacoindianer und Lanceros verschlungen.

»Der Pampero!« sagte Juan Perez tonlos, »nun auch noch der Pampero!« Er sprang vom Pferd, und Aurelio folgte ihm. Sie warfen sich hin und zwangen auch die Tiere, sich niederzulegen.

Ein fahles Licht hüllte alles ringsum in ein bleiernes Grau. Hoch über ihnen raste ein dunkles Ungeheuer dahin; plötzlich umgab sie schwarze Nacht. Schwefeldunst machte sich bemerkbar. Und dann öffnete das Ungeheuer seinen Rachen und spie einen Feuerstrom aus; für Sekunden flammten Himmel und Erde in blendend rotem Licht. Ein Gebrüll folgte dem zuckenden Feuerstrahl, als ob tausend Kanonen gleichzeitig ihre ehernen Schlünde aufrissen. Ein Brausen erhob sich, als ob alle bösen Geister der Hölle losgelassen wären. Mit der Schnelligkeit des beflügelten Königs der Felsengebirge jagte der Südsturm heran. Scharen von Vögeln, tote und lebende, fegte er vor sich her; die Erde bebte konvulsivisch. Staub und Sand, meilenweit hergeführt, durchwirbelte die Luft, machte das Atmen zur Qual. Schwarze undurchdringliche Nacht herrschte ringsum, dann und wann nur von einem rotglühenden Feuerstrahl durchbrochen, dem ohrenbetäubendes Brüllen folgte. Mit immer steigender Kraft jagte der Sturm über die Erde; die Männer konnten weder hören noch sehen; das entsetzliche Brausen verschlang jeden anderen Laut. Sie krallten die Hände in das Gras, um nicht vom Sturm fortgeschleudert zu werden. Lange, grauenvolle Minuten vergingen, und jede einzelne schien eine Ewigkeit zu währen. Dann öffnete der Himmel seine Schleusen, und Wasserströme stürzten herab; es war, als sei die Sintflut da, das Ende der Welt. In zolldicken Strahlen strömte der Regen; es war kein Regen mehr; ganze Meere schienen sich über die Pampa ergießen zu wollen. Die Ebene verwandelte sich in einen endlosen See.

Aber damit war auch das Schlimmste vorbei. Schon wurde es im Süden heller, langsam wich die undurchdringliche Nacht; das schwarze Ungeheuer am Himmel jagte in rasender Eile nordostwärts, der Wolkenbruch ließ nach, wurde schwächer und versiegte endlich. Das Tageslicht kehrte zurück; schnell, wie er gekommen, war der Pampero vorübergebraust.

Die Flüchtlinge hoben die Köpfe. Sie atmeten frei; die Luft war balsamisch, von köstlicher Frische, Die Sonne erschien und überzog die Pampa mit einer Flut goldenen Lichtes. Aber wie sah die Erde aus! Wohin war das helle und dunkle Grün, wohin die hundertfältige Blütenpracht? Schmutziges Grau und Braun starrte ihnen entgegen; der Regen hatte die unendlichen Staubmassen, die der Pampero mit sich geführt, in Schlamm verwandelt, der nun jedes Blatt, jeden Grashalm bedeckte.

Die drei sahen sich an, als seien sie aus dem Abgrund der Hölle zurückgekehrt; in ihren Augen stand das Grauen; sie schüttelten sich. Sie wrangen die Ponchos aus und suchten das Wasser aus den Kleidern zu drücken. Sie vermochten lange Zeit nicht zu sprechen. Die Tiere zitterten am ganzen Leibe.

Eine Gefahr war an ihnen vorübergegangen; sie wußten, daß noch tausendfältige Gefahr ihrer wartete. Von den menschlichen Feinden war weit und breit nichts zu sehen, weder von den roten noch von den weißen. Sicherlich lagen sie jetzt ebenso irgendwo an der Erde, vom Pampero erfaßt. Sie hockten und warteten; die warme Sonne tat ihren völlig erschöpften Körpern gut. Nichts rührte sich weit und breit.

»Es hat keinen Zweck«, sagte Juan schließlich, »laßt uns aufbrechen und unser Glück versuchen.«

Sie erhoben sich und ließen auch die Tiere aufstehen. Es zeigte sich, daß das Maultier neue Kräfte gewonnen hatte; es ließ sich sogar seinen gewichtigen Reiter gefallen. »Die Gewehre sind vorläufig unbrauchbar«, sagte Aurelio, »das ist das Schlimmste.«

»Es ist einmal so«, sagte Juan, »wir müssen jedenfalls weiter. Wir wollen versuchen, die Sümpfe im Norden zu umgehen. Die Abiponen südlich des Saladillo; das bedeutet nichts Gutes. Erreichen sie uns, ist jeder Widerstand sinnlos, dann sind wir verloren.«

»Aber sie ließen uns unbehelligt«, sagte Aurelio. »Sie haben uns sicher gesehen, schienen es aber nur auf die Lanceros abgesehen zu haben.«

»Sie haben uns natürlich gesehen«, versetzte Juan, »wer weiß, wie lange sie schon im Grase gelegen und uns und unsere Verfolger beobachtet haben. Sie haben sich zunächst gegen die Soldados gewandt, da wir ihnen, wie sie meinten, ohnehin nicht entgehen konnten. Sie werden bald genug unsere Spur haben.«

»Sind sie denn den Weißen so feindlich?«

»Unbedingt. Sie vertilgen jeden, der ihnen in den Weg kommt. Wiederholt sind sie mit starken Kräften aus den Wäldern hervorgebrochen und haben bis zum Parana hin alle Estancias zerstört und weder Mann, noch Frau, noch Kind am Leben gelassen. Man hat verschiedentlich versucht, gegen sie vorzugehen, aber keiner, der den Chaco betrat, hat ihn lebend wieder verlassen. Die von den Provincias ausgesandten Truppen sind bisher von den Wilden stets mit blutigen Köpfen unter furchtbaren Verlusten wieder heimgeschickt worden. Einer unserer Capitanos, der den Chaco und die Abiponen kannte, sagte mir schon vor acht Jahren, daß es mindestens zehntausend Mann regulärer Truppen bedürfe, um diese bisher nie besiegten Wilden zu unterwerfen. Die Abiponen sind die wehrhaftesten und zugleich die grausamsten Stämme dieses Landes. Zwischen den Soldados und uns werden sie gewiß wenig Unterschied machen. Ich bin entsetzt, sie so weit südlich zu sehen. Es liegt der Gedanke nahe, daß sie einen großen Kriegszug bis nach Santa Fé hinein vorhaben.«

Die Regenfluten waren, während die Flüchtlinge nach Nordwesten ritten, durch den Boden und die Sonne aufgesogen worden; der Weg wurde gangbarer für die Tiere. Der düstere Wald im Norden rückte immer näher. Einmal sagte der Gaucho: »Ich werde irre an mir selbst. Sollten wir so weit nach Norden getrieben worden sein, daß wir den Südrand des Chaco vor uns haben?«

Sie erreichten einen wenig umfangreichen Hain und ritten an ihm entlang. »Nun, beim Himmel«, sagte Juan, die Bäume und Pflanzen betrachtend, »Quebrachos, Mimosen und dort Kandelaberkakteen; wir sind dem Chaco nahe.«

Die zerstreuten Haine mit gleicher Vegetation wurden dichter, der Salzsumpf zu ihrer Linken schien festerem Boden gewichen zu sein. Juan wollte eben eine westliche Richtung einschlagen, als er, mit gewohnter Vorsicht um ein Gehölz herumlugend, indianische Reiter vor sich sah.

Sie hielten und betrachteten den starken Indianertrupp, der ohne sonderliche Eile nach Süden ritt. »Der ganze Chaco scheint seine Krieger ausgespien zu haben«, sagte Juan.

Als die Indianer verschwunden waren, setzten sie ihren Weg in nördlicher Richtung fort. Das Auftauchen der Abiponen im Westen hatte Juan bedenklich gemacht. Der Baumwuchs wurde immer dichter; die Pampa begann ihren Charakter zu verlieren. Plötzlich vernahmen sie das Rauschen eines Flusses. Juan ritt voraus und hielt bald am Ufer eines breiten, über Felsgeröll rasch nach Osten dahinströmenden Wasserlaufes. Als Pati und Aurelio herankamen, sagte er, auf den Fluß weisend: »Das ist der Saladillo. Wir sind im Gran Chaco.«

 

»Was tun?« fragte Pati.

»Wir müssen den Fluß kreuzen, um unsere Spuren zu verwischen, und dann unseren Weg nach Formosa suchen. Nach Westen kommen wir nicht mehr durch.«

Der Saladillo war hier seicht; der Pampero war mit seinen Regenströmen weiter südlich vorübergezogen, das Flußbett war mit Geröll gefüllt, aber für die Tiere noch eben passierbar.

»Ins Wasser«, sagte Juan und ritt in den Fluß. Pati und Aurelio folgten.

Sie ritten langsam und mühsam stromauf. Als der Gaucho rechts die Mündung eines Baches erblickte, lenkte er da hinein; auf schlammigem Grund folgten sie ihm eine Strecke lang.

Bei einer dichten Gruppe von Nogals und Yatapalmen, deren Unterholz Myrtazeen und Farnkräuter bildeten, hielt er an. »Hier bleiben wir«, sagte er. »Wir haben für das, was kommen kann, Ruhe und Stärkung nötig. Unsere Spur dürfte verwischt sein, wenn die Indianer nicht dicht hinter uns waren.« Sie ritten an Land, sattelten ab und gaben den Tieren an den Lassos freie Weide.

Der junge Priester

Der Tag stieg herauf; Juan Perez erwachte. Aurelio und Pati schliefen noch; er weckte sie nicht. Aber es war Zeit, an eine Auffrischung der zur Neige gehenden Eßvorräte zu denken. Er band die Bolas los und ging, vorsichtig sichernd, am Ufer des Baches dahin. Beim Heraufreiten hatte er wiederholt Spuren von Hirschen und Rehen gesehen; es war anzunehmen, daß die Tiere hier zur Tränke kamen. Während er, aufmerksam lauschend, gegen den Wind gehend, dahinschritt, gewahrte er vier Stück Hochwild, die sich sorglos dem Ufer näherten. Er schleuderte die Bolas und erlegte ein Schmaltier; die anderen wurden flüchtig. Er weidete das Tier aus und trug es zum Lagerplatz. Aurelio, der bereits munter war, erwartete ihn schon.

Sie lasen trockenes Holz und Laub zusammen und entfachten ein Feuer. Glücklicherweise hatte der Regen die in einer Zinkbüchse aufbewahrten Zündhölzer nicht durchnäßt. Bald schmorte der Ziemer an der Glut; sie weckten Pati und verzehrten mit Behagen ihr Frühstück.

Anschließend unternahm Juan es, die Umgebung abzustreifen, um nach verdächtigen Spuren zu forschen. Er kam erst gegen Mittag zurück, und zwar im seichten Bett des Baches watend, ein Zeichen, daß er Ursache zu denkbarster Vorsicht hatte.

»Das ganze Abiponenvolk scheint in Aufruhr zu sein«, sagte er; »es sieht aus, als rüsteten sie sich für einen großen Zug nach Osten. Dreimal bin ich auf kriegsmäßig gerüstete Horden gestoßen und hatte jedesmal Mühe, ihnen zu entgehen. Ich frage mich angesichts dieser Lage einigermaßen ratlos, was wir beginnen sollen.«

»Vielleicht wäre es geraten, sich südwärts zu wenden und den Saladillo wieder zu überschreiten?« sagte Aurelio. »Wir nähern uns dann doch wieder unserem Reiseziel.«

Juan lächelte. »Du denkst scharf, mein Junge«, sagte er. »Ich bin nicht ganz unbesorgt, aber tatsächlich wird es die einzige Möglichkeit sein. Bisher habe ich jedenfalls die Wälder in westlicher Richtung frei gefunden.«

Es war eine herrliche Landschaft, die sie bald darauf durchritten. Licht stehende Pinos erschwerten den Weg nicht; dichter stehende Gehölze umritten sie. Dazwischen zeigten sich immer wieder saftige Wiesen, von kleinen Bächen durchrieselt, die dem Saladillo zuströmten. Juan ritt den anderen stets um hundert Schritt voran, seinem scharfen Ohr und seinem guten Auge vertrauend.

Sie waren bereits mehrere Stunden geritten und hatten soeben einen düsteren Koperniziawald betreten, als Juan sein Pferd zügelte und die rechte Hand hob. Die anderen kamen vorsichtig an seine Seite.

»Horcht!« sagte Juan.

Sie lauschten angestrengt. Der Feuerkopf hörte nichts, aber Aurelio, der über schärfere Ohren verfügte, sagte nach einer Weile: »Ich glaube Stimmen zu hören, daneben ein Geräusch, das ich nicht deuten kann. Es klingt wie eine dumpfe Trommel, dann wieder, als ob Steine in einer Schachtel geschüttelt würden.«

»Gut gelauscht«, sagte Juan. »Vor uns lagern Abiponen. Das Geräusch, das dir unverständlich ist, wird durch trockene Kürbisse hervorgebracht, in denen harte Gegenstände geschüttelt werden. Die Puelchen machen es ähnlich. Wartet ein Weilchen.«

»Laß mich mitkommen, Vater« bat Aurelio. »Ich bin vorsichtig.«

»Gut«, sagte Juan, »komm. Und du, Alter, bleibe dicht hinter uns.«

Sie banden die Tiere fest und krochen dann, Juan, und Aurelio voran, vorsichtig durch das dichte Unterholz. Die Stimmen wurden lauter und deutlicher, und auch die anderen Geräusche verstärkten sich.

Plötzlich gellte, nicht weit vor ihnen, ein gräßlicher Schrei auf; er übergellte Trommeln und Stimmen und brach mit einem röchelnden Laut ab; Aurelio erstarrte das Blut in den Adern. »Was war das?« fragte er leise.

»Ein Todesschrei!« sagte Juan dumpf. »Komm! Vorsichtig!«

Minuten später vermochten sie, auf den Knien liegend und durch dichtes Gebüsch gedeckt, einen freien Platz zu überblicken, der von einer Schar schaurig bemalter, wild herumspringender Wilder belebt wurde, unter denen sich auch Frauen und Kinder befanden.

»Komm zurück!« flüsterte Juan gepreßt. Er fühlte, wie Aurelios Hand seinen Arm umkrallte; der Junge zitterte am ganzen Leibe, den starren Blick auf die Lichtung gewandt. »Vater!« stammelte er, »Vater!«

Juan hatte längst gesehen: Die Wilden umsprangen zwei nicht weit voneinander stehende Bäume. An dem einen dieser Bäume hing, nur mehr durch umschnürende Riemen festgehalten, die verstümmelte Leiche eines Indianers. An den anderen Baum war ein Weißer gebunden, ein junger, sehr bleicher Mann; er trug einen schwarzen Priesterrock.

Aurelio sah den Ausdruck im Gesicht des Gebundenen; es schien ihm auf eine sonderbare Weise bekannt. Aber er konnte nicht denken jetzt; das Grauen schnürte Ihm die Kehle zu. Er sah, wie zwei heulende Wilde mit rot und schwarz bemalten Gesichtern, von langem Haar und bunten Bändern umflattert, auf den Gebundenen losstürmten, lange Messer in den erhobenen Händen. Da – es gab keine andere Möglichkeit, er zögerte nicht einen Augenblick, er riß die Büchse an die Wange, zielte und schoß hintereinander beide Läufe ab. Die Indianer stürzten, wie vom Blitz getroffen, zusammen.

Totenstille folgte den Schüssen. Sekundenlang standen die tobenden, heulenden, springenden Indianer wie erstarrt. Dann brach eine furchtbare Panik aus; nach weiteren Sekunden war der ganze Platz leer, die Wilden in der Tiefe des Waldes verschwunden.

Es war kein Denken, es war keine Vorsicht und keine Überlegung in Aurelio; er handelte, wie er mußte. Mit einem gewaltigen Sprung war er auf der Lichtung, an dem Baum; mit wenigen scharfen Schnitten waren die Riemen gelöst, und er hielt den zusammensinkenden Körper des jungen Mannes in den Armen. Aber da war der Gaucho, die geladene Büchse in der Hand, schon neben ihm, und gleich darauf brach auch Pati, der mittlerweile herangekommen war, durch das Gebüsch.

Der Priester schlug die Augen auf; sein Blick, der Aurelio traf, schien aus einer anderen Welt zu kommen. Aurelio aber sah sich von einem wundersamen Gefühl beschlichen. Er glaubte, sein eigenes Spiegelbild zu erblicken. »Wer bist du denn?« flüsterte er und starrte in das Antlitz, in dessen Augen das gleiche Erstaunen sichtbar wurde.

»Mein Gott!« stammelte hinter ihnen Juan Perez, »das gibt es doch nicht! Kommt!« flüsterte er dann, »wir werden später sehen. Ewig wird die Dämonenangst der Wilden nicht dauern. Kommt, Hochwürden!« raunte er auch dem Priester zu, der plötzlich an allen Gliedern zu zittern begann. Er erfaßte ihn am Arm und riß ihn mit fort. Der Priester wandte den Kopf und ließ einen schmerzlichen Blick über den Baumstamm streifen, an dem die Leiche des zu Tode gemarterten Indianers hing. »Mein armer Josef!« flüsterte er. Dann ließ er sich widerstandslos fortführen.

Sie erreichten ihre Reittiere. Aurelio hob den Cura auf sein Pferd und nahm es am Zügel. »Führe uns, Vater«, sagte er. Juan, der die Büchse des Jungen inzwischen wieder geladen hatte, stieg in den Sattel und ritt voran, einen Bach suchend, den sie erst unlängst gekreuzt hatten.

Sie erreichten ihn bald. »Kennt Ihr die Gegend?« fragte Juan den Priester.

Der schüttelte den Kopf. »Wenig, Señor«, sagte er. »Die Abiponen haben mich und meinen indianischen Begleiter gestern hierhergeschleppt.«

»Nun, wir werden sehen«, sagte Juan und trieb sein Pferd in den Bach. Aurelio schwang sich hinter dem Cura auf und folgte dem Voranreitenden; Pati machte den Beschluß.

In den Büschen am Ufer regte sich nichts. Nach kurzer Zeit sahen sie einen See vor sich, in den der Bach mündete. Es war eine weite, von Wäldern umgebene Wasserfläche. In der Mitte zeigten sich einige kleine Inseln. Vier Kähne, ausgehöhlte Baumstämme, lagen am Ufer und schaukelten sich leicht in der Flut.

»Das ist die Rettung«, sagte Juan. »In den Wäldern sind wir im Fall einer Verfolgung verloren; die Inseln bieten zunächst einige Sicherheit.«

Der La Plata-Schiffer war schon von seinem Maultier herunter. Auch die anderen verließen die Pferde, nahmen ihnen Sättel, Decken und Zaumzeug ab und legten sie in die Kanus, die mit Rudern ausgerüstet waren. Pati befestigte alle vier Kanus mit den Lassos aneinander und bestieg das erste, während Juan, Aurelio und der Gerettete das zweite nahmen. Die Tiere überließ man dann ihrem Schicksal.

Mit starken Schlägen lenkte Pati die Boote über den See. Sie kamen schnell vom Ufer weg, und das war gut, denn sie mochten erst einige hundert Schritte zurückgelegt haben, als gellendes Geschrei und ein schwirrender Pfeilhagel sie belehrten, daß sie gesichtet waren. Die Pfeile verfehlten ihr Ziel, und den erfahrenen Bootsmann vermochten sie nicht zu erschüttern. Sie näherten sich einer schilfumsäumten Insel und landeten ohne Schwierigkeit.

Das Eiland war mit Bäumen, Algaroben, Palmen und Agaven besetzt. Pati legte die Kanus fest. »Vorläufig sind wir sicher«, sagte Juan, »sie werden gewiß nicht wagen, über das Wasser und in den Schußbereich unserer Büchsen zu kommen.«

»Sie werden gewiß kommen«, sagte der Priester leise, »sie sind wild und kriegerisch. Sie werden die Nacht zu nützen suchen.«

»Wir werden uns zu schützen wissen«, antwortete der Gaucho.

Sie saßen schließlich in Ruhe beieinander. Aurelio und der junge Priester verschlangen sich mit den Blicken. »Ich sehe Euch an, Hochwürden«, sagte der Gaucho, »und ich sehe meinen Sohn an, und wunderliche Gedanken beschleichen mich. Wie kommt Ihr in die Wälder?«

»Ich bin Pater Cölestino von Assuncion, ein Missionario«, antwortete der Cura, »ich mühe mich, den Wilden die Liebe Gottes zu bringen.«

»So jung noch und schon Pater?« sagte Juan sinnend.

»Ich habe erst vor wenigen Monaten die letzten Weihen empfangen«, entgegnete der Pater, »dann bin ich sogleich mit meinem treuen Josef ausgezogen.«

»Die Liebe Gottes!« sagte Juan, »die Wilden haben es Euch schlecht gelohnt.«

Der Cura lächelte still. »Sie wandeln ja noch in der Nacht«, sagte er, »man darf nicht zu streng mit ihnen ins Gericht gehen. Von den jungen Männern und den Mädchen haben manche auf meine Stimme gehört. Die fanatischen Zauberer sind dann dazwischengetreten und haben ihre Stammesgenossen endlich durch finstere Drohungen dazu gebracht, uns ihren Götzen zu opfern. Mein armer Josef, selbst vom Stamm der Abiponen, aber ein treuer Diener der Mission, ist unter ihren Messern verblutet.« Er senkte den Kopf und sah trübe vor sich hin.

Gleich darauf wandte er sich Aurelio zu. »Wie nenne ich dich?« fragte er.

»Ich bin Aurelio Perez, ein Gaucho. Dort sitzt Juan, mein Vater. Und der andere Mann ist Don Sancho Pereira, meines Vaters alter Freund und Waffenbruder. Wir nennen ihn Pati. Und wo seid Ihr zu Hause, Hochwürden?«

»Warte doch!« Juan Perez hob die Hand; sein Blick ruhte ernst und nachdenklich auf dem Jungen Geistlichen. »Wißt Ihr, daß ich vor Eurer Antwort ein wenig zittere?« sagte er. Aurelio sah ihn verwundert an; in des Priesters Augen stand eine offene Frage.

»Sprecht nur«, fuhr Juan gleich darauf fort, »das Schicksal ist doch unabwendbar. Für mich hat es bereits gesprochen. Ich sehe Euch an und daneben meinen Aurelio, Euer Ebenbild, ich vergleiche Euer Alter; nein, für mich gibt es schon keinen Zweifel mehr.«

»Was meinst du denn Vater?« fragte Aurelio leise, die Blicke abwechselnd auf den Gaucho und sein Ebenbild im Priesterrock gerichtet.

 

»Sagt nun, wo Ihr zu Hause seid, Hochwürden«, sagte der Gaucho ruhig.

»Ich kann Euch nicht viel sagen.« Auf des Priesters reiner Stirn erschien ein grüblerischer Zug. »Wo ich zu Hause bin? Ich weiß es ja selber nicht«, fuhr er fort. »Meine Heimat ist die Mission in Assuncion. Die Padres haben mich als kleines Kind einem Chacoindianer abgenommen. Nun, ein Indianer bin ich ja wohl nicht.« Ein schmales Lächeln spielte um seine Lippen. »Ich kenne nur die Mission und die Padres«, sagte er. »Dort ist meine Heimat. Wie ich als Kind in die Hände des Indianers gekommen sein mag —? Gott wird es wissen.«

Don Juan und Sancho sahen sich an. Die sinkende Sonnte tauchte hochschwebende Wölkchen in rötliche Glut und übergoß die Wipfel der Bäume, die sich im klaren Wasser des Sees spiegelten, mit goldenem Schimmer. Kein Lufthauch war zu verspüren, kein Laut durchbrach die Stille. Pati seufzte schwer. Unruhig gingen seine Blicke zwischen den jungen Männern hin und her.

Das rötliche Licht schwand mählich dahin, die Schatten der Nacht zogen herauf. Da begann der Gaucho zu sprechen. »Mein lieber Junge«, sagte er, Aurelio anblickend, in dem geheime Unruhe hochstieg, »lieber junger Freund« – er wandte sich dem Priester zu, die förmliche Anrede fallen lassend, »ich bin überzeugt, daß das Schicksal gesprochen, euch beide zusammengeführt hat. Hört zu! Fast achtzehn Jahre ist es jetzt her, da trieben zwei junge Männer, ein Gaucho und ein Schiffer vom La Plata, beide entlaufene Soldaten des Bürgerkrieges, im Kanu den Parana hinab …« Und er erzählte hastig, mit stockender Stimme, das finstere Geschehen jener lange zurückliegenden Nacht.

»In den wilden Kriegen jener Zeit, da der Bruder den Bruder bekämpfte, war es nicht einfach, den Zusammenhängen nachzuspüren«, beendete er seinen Bericht. »Erst einige Jahre später konnten Pati und ich feststellen, wer das Kind war, das wir dem Tode entrissen hatten. Wir erfuhren, daß der mörderische Überfall jener Nacht den zwei Erben eines verstorbenen reichen und mächtigen Grundbesitzers galt, den kindlichen Trägern eines uralten spanischen Namens. Der älteste Knabe wurde damals von dem Majordomo des Hauses in die Pampa gerettet. Den Majordomo fand man später erschlagen in der Wüste, das Kind war verschwunden. Den Jüngsten, den wir aus den starren Armen seiner toten Mutter nahmen, zogen wir auf als – mein Kind.«

»Vater!« schrie Aurelio. In dem jungen, blassen und verstörten Gesicht brannten die Augen wie im Fieber. »Vater«, stammelte er, »du bist – du bist – nicht – mein Vater? Du hast mich – Vater, Vater, wer war meine Mutter? Wer ihr Mörder?«

Der Gaucho ließ seinen schweren Blick über das zuckende Antlitz gleiten. »Mein Junge!« sagte er, »du bist, du bleibst auch mein Junge. Auch wenn ich nicht – dein leibhaftiger Vater bin.«

Der Pater hätte den Mund nicht geöffnet. Sein stiller, für sein Alter erstaunlich gelassener Blick traf sich mit dem des Gauchos. »Ihr glaubt, Don Juan —?« sagte er jetzt.

»Ich bin überzeugt, in Euch den Bruder meines Aurelio, den ältesten der beraubten und um ihr Erbe betrogenen Knaben vor mir zu haben«, sagte der Gaucho. »Ich war davon überzeugt, als ich Euch vorhin am Marterholz sah.«

Der Priester senkte den Kopf und sah still vor sich hin.

Der temperamentvolle Aurelio aber wußte seine Gefühle nicht mehr zu beherrschen. »Vater«, rief, schluchzte er, »Vater, selbstverständlich bist, bleibst du mein Vater, immer, immer! Aber sage mir, wer ich bin. Wer waren meine Eltern. Und wer – wer war der Mörder?«

»Hört zu«, sagte der Gaucho. »Die Feinde, die euch die Mutter getötet, euer Besitztum gestohlen haben, sind mächtig in diesem Land, in dem die Willkür Staatsgesetz ist. Sie sind so mächtig, und ihr Arm reicht so weit, daß jeder Versuch, sie anzuklagen und an den Pranger zu stellen, sich bisher als unmöglich erwies. Es hätte bedeutet, dich, mein lieber Aurelio, ins sichere Verderben zu jagen. Aber auch ohne mein Zutun wuchs die Gefahr. Ihr müßt eurem Vater, der ein großer, in diesem Lande allgemein bekannter und geachteter Mann war, außerordentlich ähnlich sehen. Du, Aurelio, wurdest schon mehrmals dieser Ähnlichkeit wegen erkannt, und weißt nun, warum die Lanceros auf unserer Estancia erschienen, warum wir von unserer Besitzung fliehen mußten, warum man dich aus dem Hause Don Estevans bei Nacht und Nebel entführte und dich in das Klostergefängnis warf. Warum wir unstet und flüchtig die Lande durchhetzen, von den Lanceros gejagt.«

Aurelio war fassungslos, er sprang auf, rannte umher, setzte sich wieder. »Wer?« stammelte er mehrmals, »wer?«

»Gott tut auch heute noch Wunder!« sagte der Priester. Immer wieder suchten seine klaren, ruhigen Augen den schwer Erregten.

»Niemals also werde ich Vater und Mutter sehen«, sagte er nach einer Weile leise, »ich habe es manchmal gehofft, ich habe darum gebetet. Nun schenkte mir Gott den Bruder.« Es leuchtete warm in seinen Augen; er streckte die Hand aus und zog Aurelio an seine Seite. »Den Bruder«, wiederholte er, als sei diese Fügung noch nicht zu fassen.

Sie saßen lange so. Der Gaucho sah versonnen vor sich hin. Pati hatte gewaltig mit seiner Rührung zu kämpfen; er schnaufte zuweilen wie ein Roß und räusperte sich, als sitze ihm ein unverdaulicher Brocken im Hals. Schließlich trat Aurelio vor den Gaucho hin. »Vater«, sagte er, »du mußt mir nun sagen: Wer bin ich? Wer ist der Mann, der meine Mutter erschoß?«

Der Gaucho sah ihn lange an. »Du wirst es erfahren, mein Junge«, sagte er ernst. »Bald, aber nicht jetzt. Bin ich tot, ehe du dein Erbe angetreten hast, dann wende dich an Pater Hyazinth in Buenos Aires, er hat die Beweise deiner Abstammung und Geburt in Händen. Wende dich an Don Enrique, den Aleman; er kennt die Zusammenhänge. Wende dich schließlich an den General d‘Urquiza; er kannte deine Eltern und war deines leiblichen Vaters bester Freund. Noch lebe ich. Und wache über dich und dein Leben. Ich muß dich vor Unbesonnenheiten bewahren.«