Za darmo

Der Sohn des Gaucho

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»Lest vor und bedenkt, daß jede Täuschung Euch das Leben kosten würde«, sagte Perez.

Agostino las: »Um aller Heiligen willen, teuerster Vater, haltet ein mit allem, bis Ihr mich gesprochen habt. Ich habe schwerwiegende Nachrichten erhalten. Mein Leben hängt daran. Agostino.«

»Gut«, sagte Juan, das Blatt an sich nehmend, »wird Euer Vater Eure zitterige Handschrift erkennen?«

»Ganz gewiß. Außerdem trägt jedes Blatt dieses Buches unser Wappen eingeprägt.«

Juan entfernte sich und stieg zu Gomez in das Gelaß unterhalb der zerfallenen Kapelle hinab. Er trug den Gebundenen so weit ans Licht, daß er lesen konnte, entfernte den Knebel aus seinem Mund, hielt ihm den Zettel hin und sagte: »Lest mir das vor.«

Gomez begann zu buchstabieren; er hatte Mühe, die flüchtigen Schriftzüge zu entziffern. Doch las er schließlich stotternd die gleichen Sätze, die Agostino ihm vorgelesen hatte. Juan sah, daß er über die Unterschrift erstaunte. »Ja, Ihr werdet Gesellschaft bekommen«, sagte Juan trocken, »und zwar gute. Ihr seht, Juan Perez versteht, sich seiner Haut zu wehren. Ihr hättet besser nicht mit ihm angebunden. Leben um Leben, heißt es in der Pampa.« Kaltblütig schob er den Knebel wieder in Gomez‘ Mund und trug den Mann in das Gelaß zurück. Dann ging er zu Agostino, band ihm von neuem die Hände und forderte Pati auf, ihm mit dem Gefangenen zu folgen. Ein nervöses Zucken erschütterte den Leib des jungen de Salis, als der furchtbare Mensch ihn wie eine Puppe aufhob und Juan folgte. Unterhalb der Kapelle legte er das Bündel neben dem gefesselten Gomez nieder.

»Bleibe du hier«, flüsterte Juan Pati zu, als beide aus dem unterirdischen Gemach ans Tageslicht zurückkehrten, »ich reite nach dem Kloster. Verstecke dich hier und achte auf den Eulenschrei. Naht dir irgendwelche Gefahr, so gehe hinab und drohe, die Gefangenen zu töten.«

»Gut!« sagte Pati, an schweigenden Gehorsam gewöhnt, und ließ sich hinter einem Busch nieder.

Juan führte sein Pferd, sorgsam nach allen Seiten spähend und lauschend, nach der Straße und ritt dann, es zu wildester Eile antreibend, auf die Klosterpforte zu. Dort hatte man den heranjagenden Gaucho bemerkt; der Pförtner kam heraus und fragte nach seinem Begehr. Juan reichte ihm den von Agostino geschriebenen Zettel und sagte kurz: »Befehl von Don Manuel. Sofort Don Francisco de Salis, dem Gobernador, zu übergeben.« Er griff nach dem Hut, wandte sein Pferd und jagte wieder davon.

Der Pförtner, an ähnliche Eilboten gewöhnt, ging mit dem Papier hinein, rief einen Gefangenenwärter, übergab ihm den Zettel und befahl ihm, ihn unverzüglich Don Francisco einzuhändigen.

Juan hatte kaum die Baumgruppe hinter sich, die ihn nach dem Kloster hin deckte, als er sein Pferd in Schritt fallen ließ und es an geeigneter Stelle in das Dickicht trieb. Dann legte er sich nach dem Kloster zu auf die Lauer und wartete geduldig.

Nach einiger Zeit erschienen die Soldaten, die vorher nach dem Kloster marschiert waren. Offenbar hatten sie ihr blutiges Werk an einer Anzahl Gefangener vollbracht und zogen nun, den munteren Resbalos singend, zur Stadt zurück. Ihnen fast auf dem Fuße folgte der Wagen des Gobernadors von Santa Fé, offensichtlich in großer Eile. Juan gewahrte das mit Befriedigung. »Der Brief hat gewirkt«, murmelte er. »Warte, mezquino, du sollst noch Wunderdinge erleben. Ich hätte dir nicht geraten, dieses Spiel aufzunehmen.« Der Gobernador machte, Juan sah es im Vorbeigleiten, einen verstörten Eindruck. »Suche deinen würdigen Sprößling!« rief der Gaucho.

Und nun atmete er auf. Er durfte sich sagen, daß die dringendste Gefahr für Aurelio gebannt sei; außerdem hatte er in Agostino de Salis eine vorzügliche Geisel in der Hand.

Mittag war längst vorüber, und nichts hatte sich gezeigt, was dem Gaucho eine Aussicht eröffnet hätte, Aurelio zu Hilfe zu kommen. In das Gefängnis einzudringen schien, wenn überhaupt möglich, um so aussichtsloser, als weder er noch Pati dessen Inneres kannten und sie nicht wußten, wo Aurelio gefangengehalten wurde. Gomez konnte hierbei nichts nützen. Aber der kühne, an überraschende Wechselfälle gewöhnte Mann verzweifelte nicht; er wartete mit indianischer Ruhe die Ereignisse ab.

Nach einiger Zeit begab er sich zu Pati, der vor dem Eingang zu dem unterirdischen Gang saß und Johannisbrot kaute, das umherstehende Algaroben in reicher Fülle boten. Er ergriff ihn am Arm und führte ihn beiseite.

»Ich denke, Feuerkopf, du reitest jetzt nach Hause, nimmst dein Boot, kommst auf dem Wasser zurück und legst das Fahrzeug hier ins Schilf«, sagte er.

»Über Tage darf kein Fahrzeug sich dem Gefängnis nähern, ohne daß die Soldaten darauf schießen«, entgegnete Pati; »es ist verboten.«

»Dann komm eben nach Sonnenuntergang«, sagte Juan. »Lege das Boot möglichst nahe dem Kloster fest und suche mich bei dem hohen Nogal westlich des Gebäudes auf.«

»Gut!« versetzte Pati, »nach Sonnenuntergang bin ich mit dem Kanu zur Stelle.« Er band sein Pferd los, und Juan begleitete ihn bis zur Straße. Er versicherte sich, daß niemand in der Nähe sei, und ließ ihn losreiten. »Bringt Nahrungsmittel und Wasser mit«, rief er ihm nach. Alsdann legte er sich wieder geduldig in den Hinterhalt.

Als die Sonne zu sinken begann, machte er sich auf, um, einem schleichenden Raubtier gleich, das Gefängnis zu umkreisen. In dem verwilderten Klostergarten gewahrte er zwei Männer in einer Unterredung begriffen; einer von ihnen trug einen Schlüsselbund am Gürtel. Juan überstieg unter Aufbietung aller Vorsicht eine fast niedergebrochene Stelle der Mauer und schlich geräuschlos zwischen Büschen so nahe wie möglich an die Männer heran, um sie zu belauschen.

»Ich sagte dir schon«, ließ sich der mit den Schlüsseln vernehmen, »ihr solltet sie weiter zum Fluß hin begraben.«

»Am besten in den La Plata werfen«, grinste der andere.

»Nein, sie müssen ein christliches Begräbnis haben, aber nicht so nahe am Gebäude.«

»Das waren heute wieder neun; wie viele werden wir noch bekommen?«

»Wer kann es wissen?« sagte der erste mit einem tiefen Seufzer, »aber in Zukunft frage mich vorher, wo sie eingescharrt werden sollen.« Er schritt auf den Strom zu und sah gedankenverloren in das Wasser.

»Du wirst auch bald eingescharrt, Dummkopf«, brummte der Zurückbleibende, dem Lauscher vernehmlich, »es kostet mich nur ein Wort, und du kommst vor die Musketen.« Er warf die Schaufel über den Rücken und ging nach dem Gefängnis zurück.

Die Nacht sank herab. Geräuschlos näherte sich der Gaucho dem Gefängnisbeamten, der noch immer still und versonnen am Ufer des Stromes stand. Niemand war in der Nähe; das Klostergebäude lag in dunklem Schweigen. Einem Schatten gleich erhob sich die Gestalt Don Juans hinter dem Schließer. Mit eisernem Griff umklammerte seine Linke die Kehle des völlig Überraschten, während die Rechte ihm das funkelnde Messer vor die Augen hielt. »Kein Laut!« zischte der Gaucho, »oder es ist dein letzter!«

Der Mann schien vor Schreck gelähmt, er rührte kein Glied.

»Wer bist du?« flüsterte Juan und gab die bedrohte Kehle frei.

»Schließer im Gefängnis«, stammelte der Mann.

»Gut. Dich brauche ich.«

»Was willst du von mir?« Der Überfallene stöhnte gequält. »Ich bin unschuldig an dem vergossenen Blut.«

»Mag sein. Ich brauche dich. Du mußt mir helfen, einen Gefangenen zu befreien.«

Der Mann zuckte zusammen. »Was denkt Ihr!« stammelte er, »das ist ganz unmöglich!«

»Du mußt, oder es kostet dein Leben«, sagte der Gaucho hart.

Aber der Mann schien Furcht und Entsetzen abgeschüttelt zu haben. »Es hilft nichts«, flüsterte er. »Es ist unmöglich. Niemand kann ungesehen in das Gefängnis hinein, niemand hinaus. Überall stehen Wachen.«

»Wir werden sehen. Komm mit. Bei dem geringsten Laut stoße ich zu.«

»Du brauchst nicht zu drohen; ich werde schweigen. Wen willst du befreien?«

»In der letzten Nacht wurde ein junger Mann eingebracht?«

»Ja.«

»Er lebt? Er ist wohl?« Juans Stimme zitterte.

»Er lebt und ist wohl«, sagte der Mann.

Ein tiefer Atemzug löste sich aus des Gauchos Brust. »Dem Himmel sei Dank!« flüsterte er. »Du weißt, wo er ist?« wandte er sich an den Schließer.

»Ja.«

»Hast du die Schlüssel zu seinem Gefängnis?«

»Ja, Señor.«

»Mann, hilf mir ehrlichen Herzens, ihn zu befreien und du sollst reich belohnt werden.«

»Ich würde es tun, Fremder«, flüsterte der Mann, »oh, ich würde es ohne Belohnung tun; es ist unmöglich. Die Mauern sind undurchdringlich, ich selbst muß mehrere Wachen passieren, wenn ich jetzt zurückkehre.«

»Wir wollen sehen«, sagte Juan abermals. Sie hatten sich langsam dem Wasser und dem hohen Nogal genähert, den Juan seinem Freund als den Ort bezeichnet hatte, wo er landen sollte. Juan ließ gedämpft den Ruf des Nachtvogels ertönen; gleich darauf kam vom Fluß her das Pfeifen des Wasserhuhnes zurück. Der Feuerkopf war da. Ein wiederholter Eulenschrei brachte Pati an Land; Juan, immer den Schließer vor sich und das Messer stoßbereit, ging ihm entgegen.

Es war jetzt ganz dunkel, auch der Himmel hatte sich bezogen. Flüchtig machte der Gaucho den Bootsmann mit seinem Gefangenen und dessen Aussagen bekannt. Mit großer Freude vernahm Pati, daß Aurelio noch wohlauf und unverletzt sei.

»Ihr seid kühne Männer«, sagte der Schließer, »daß Ihr es wagt, auch nur den Gedanken zu fassen, einen Gefangenen aus diesen Mauern zu befreien.«

»Wir setzen unser Leben daran«, versetzte der Gaucho ernst. »Und wir raten dir nochmals: hilf uns freiwillig dabei; andernfalls zwingen wir dich. Der geringste Verdacht des Verrates aber bringt dir den Tod.«

»Ich habe so viel Grauenhaftes in diesen Mauern gesehen, daß ich den Tod nicht mehr fürchte«, sagte der Mann mit bebender Stimme.

»Du dienst dem Diktator, dem Tyrannen!« sagte Juan finster.

 

»Ich diene ihm – gezwungen!« entgegnete der Schließer. »Ich kann mich nicht mehr aus den Banden lösen. Ich muß aushalten bis ans Ende.« Er senkte den Kopf.

»Willst du uns helfen? Freiwillig?«

»Ja, ich will. Ich will. Aber wie? Sagt mir, wie?«

Irgendwo im Finstern klirrten Waffen. »Nieder«, zischte der Gaucho, und alle drei kauerten hinter einem Lorbeerbusch.

»Was ist das?« raunte Juan.

»Der letzte Rundgang der Wache«, flüsterte der Schließer. »Ist der beendet, geht alles schlafen bis auf die Posten an den Türen, die alle Stunden abgelöst werden.«

Sie lauschten; das Geräusch kam näher. Sie vernahmen gedämpfte Stimmen, hielten den Atem an. Langsam entfernten sich die Schritte der Soldaten, und es wurde still wie vorher.

Alle drei atmeten auf; Juan hatte gefühlt, wie der Schließer gezittert hatte. Lange Zeit horchten sie lautlos; kein Ton außer dem Rauschen des Wassers, dem Zirpen einer Grille oder dem leisen Pfiff einer Fledermaus war vernehmbar.

»Du kennst das Gefängnis genau?« fragte Juan.

»Ja, ich bin seit vier Jahren hier Schließer.«

»Wo ist der junge Mann gefangen?«

»In dem nach der Stadt zu gelegenen Flügel.«

»Führt ein Fenster seiner Zelle nach außen?«

»Nein. Sein Gefängnis liegt unter der Erde.«

»Kann man durch eines der niedrigen Fenster auf die Korridore und von dort zu der Zelle gelangen?«

»Ja«, entgegnete der Schließer. »Aber wie durch das Fenster kommen?«

»Das wirst du sehen. Führe uns dahin, wo wir, der fraglichen Zelle zunächst, in das Kloster eindringen können.«

Gehorsam ging der Mann zwischen Don Juan und Pati und führte sie nach der vorher von ihm bezeichneten Klosterseite. Sie traten dicht an die Mauer heran, und der Schließer deutete auf zwei vergitterte Fensteröffnungen. »Sie führen in eine leere Zelle, zu deren Tür ich den Schlüssel habe«, sagte er, »der Korridor läuft an dieser Tür entlang.«

Juan stieß Pati an. »Nun, mein feuerfarbener Prinz, entferne die Eisen«, sagte er.

Pati trat heran; seine Hände faßten die gekreuzten Gitterstangen, ihre Stärke prüfend, dann lockerte er, seine herkulische Kraft anwendend, während er den Körper gegen die Mauer stemmte, die Stäbe in den Steinen; etwas Kalk fiel herunter; noch einmal spannte er die Muskeln, die Eisen bogen sich; gleich darauf lag das Gitter in den Händen des Mannes, der es schweratmend zu Boden legte. Mit maßlosem Staunen hatte der Schließer dieser Probe menschlicher Muskelkraft beigewohnt. Der Eingang zur Zelle war frei.

»Bei meinem Schutzpatron, das ist übermenschlich!« stammelte der Mann. »Ich weiß nicht, mit wem Ihr im Bunde seid. Aber ich glaube, Ihr werdet das Unmögliche vollbringen.«

»Ich steige jetzt hinein«, flüsterte Juan. »Ist die Zelle tief?«

»Nein.« Dann folgt Ihr, Señor, und du, Pati, machst den Schluß.«

»Ich will Euch führen, Señores«, sagte der Schließer, »ich will mithelfen, den Jungen zu retten, aber schwört mir bei Gottes heiligem Namen, daß Ihr mich mitnehmen wollt auf der Flucht. Ich wäre sonst ein Kind des Todes.«

»Ihr werdet uns helfen, und wir werden Euch in den Klauen dieser Mordjustiz zurücklassen, wie? Ihr scheint uns sonderbar einzuschätzen, Señor. Ihr geht mit uns, Mann. Selbstverständlich geht Ihr mit uns!« Juan stieg durch die enge Fensteröffnung ein, der Schließer folgte ihm, und Pati zwängte als dritter seinen Körper hindurch. Schweigend standen die drei Männer in der Zelle und lauschten in die Dunkelheit hinein.

Im Dominikanerkloster

Die Gefangennahme Aurelios hatte sich ganz so zugetragen, wie Juan Perez nach den Spuren festgestellt hatte. Die Peons, die dem Jungen gefolgt waren, hatten, ihm zuvorkommend, sein Heim ausspioniert und Meldung darüber erstattet. Gomez war in der Nacht erschienen, dessen Lanceros hatten den Jüngling im Schlaf überrascht, ihn trotz kräftiger Gegenwehr durch eine übergeworfene Decke kampfunfähig gemacht, mit Lassos umschnürt und aufs Pferd getragen. Erst in einiger Entfernung befreiten sie den Halberstickten aus seiner Umhüllung. Eilig jagten sie alsdann mit ihm durch die Stadt und überlieferten ihn den Wächtern im Dominikanerkloster.

Der gefährliche Gefangene wurde unter der Erde in einer ehemaligen Strafzelle des Klosters verwahrt, in die nur, wenn die schwere Tür geöffnet wurde, ein Lichtstrahl fiel.

Aurelio war von dem jähen Überfall wie betäubt und fand erst, als er allein gelassen wurde, die Ruhe, über das Geschehene nachzudenken. Was hatte man mit ihm vor? Wollte man ihn verschmachten lassen? Ihn ermorden? Und was war mit dem Vater, mit dem guten Sancho geschehen? Hatte sie derselbe Streich getroffen, der ihn in den Kerker warf? Der Diktator verfolgte sie; hatte sein Arm sie erreicht? Aurelio wußte, Juan Perez war ein Mann von großer Kühnheit und Klugheit; es war schwer vorstellbar, daß er sich überraschen ließ. Aber wußte er denn, welche Mittel angewandt worden waren?

Qualvolle Stunden der Unruhe vergingen. Einmal kamen Schritte draußen auf dem Korridor entlang, die von Waffengeklirr begleitet waren. Eine Zelle in seiner Nähe wurde geöffnet. Er hörte eine flehende, schreiende und schluchzende Stimme, von rauhen Flüchen begleitet. Ihn schauderte. Bald darauf drang der dumpfe Schall einer Gewehrsalve an sein Ohr und sagte ihm, daß in diesem Augenblick neue Opfer des Tyrannen gefallen waren.

Abermals hörte er Schritte draußen; sie nahten sich seiner Zelle. Er faßte sich mit starker Willensanspannung. Zwei Wärter erschienen und führten ihn, dem die Hände gebunden waren, hinaus. Ging es zum Tode? Ein kalter Schauer überlief ihn, aber er folgte in fester Haltung.

Er wurde über einen breiten Korridor geführt, dessen Fenster sich nach dem Hof öffneten. Erblassend sah er blutige Leichname am Boden liegen; eine Gruppe Soldaten stand, auf ihre Gewehre gestützt, in der Nähe. Rasch zog das grauenhafte Bild an ihm vorüber, und doch glaubte er, in einem der Erschossenen den Señor Ramirez erkannt zu haben. Die zornige Leidenschaft seiner Jugend flammte in ihm auf; er biß sich die Lippen blutig.

Man ließ ihn in ein hohes, luftiges Zimmer eintreten. Er war nur mit einem seidenen Hemd bekleidet; eine alte Chiripa hatte man ihm um die Hüfte geschlungen, aber er betrat den Raum in der Haltung eines kastilianischen Granden. Er sah sich einem hochgewachsenen Manne in der Kleidung des vornehmen Argentiniers gegenüber. Das Auge des Mannes ruhte mit einem seltsamen Ausdruck auf ihm, als er hocherhobenen Hauptes vor ihm stand.

Auf einen Wink, den der Hochgewachsene gab, entfernten sich die Gefängniswärter; Aurelio war mit ihm allein. Er wußte von der flüchtigen Begegnung auf der Straße her, wen er vor sich hatte.

De Salis setzte sich an einen Tisch und richtete von neuem den Blick auf Aurelio. »Wie heißt du?« fragte er kurz.

»Warum hat man mich nächtlicherweile überfallen und hierher geschleppt?« fragte der Junge in finsterem Trotz.

Der Klang seiner Stimme ließ den Gobernador zusammenfahren; er blätterte eine Zeitlang in seinen Papieren, dann hob er wieder den Kopf. »Es wäre besser für dich, meine Fragen zu beantworten, statt selbst Fragen zu stellen«, sagte er, »wir haben hier Mittel, jeden Trotz zu brechen.«

Aurelio lächelte verächtlich und schwieg.

»Wie heißt du?«

»Ich bin Aurelio Perez, der Sohn des Capitano Juan Perez vom Rio Quinto.«

»Wie alt?«

»Fast neunzehn Jahre.«

»Es stimmt«, murmelte de Salis leise. Laut fragte er: »Wer war deine Mutter?«

»Ich habe sie nicht gekannt, sie starb früh.«

»Was bist du von Beruf?«

»Ich bin ein Gaucho, Señor, und eines Gaucho Sohn.«

Der Gobernador blickte in das offene; furchtlose Antlitz des Jungen; er fühlte, daß der nichts verhehlte. Täuschte die wunderbare Ähnlichkeit? Wußte er nichts von seiner Abkunft? Don Francisco war ein guter Menschenkenner: er wußte: solche Gesichter lügen nicht.

»Was führte dich nach Buenos Aires?« fragte er.

»Mein Vater wünscht, daß ich die Schulen besuche.«

»Wo ist dein Vater?«

»Im Süden. Am Salado!« war die schnelle, vorher bedachte Antwort.

»Es wäre gut, wenn du die Wahrheit sagtest.«

Aurelio zuckte die Achseln. »Zunächst möchte ich wissen, warum ich hierhergeschleppt wurde und wessen man mich beschuldigt!«

»Des Hochverrates, Bursche, begangen durch Förderung der Flucht des Staatsverbrechers d‘Urquiza«, sagte de Salis scharf. »Dein Verbrechen ist durch unwiderlegliches Zeugnis bewiesen, und es bedarf nur eines Winkes, um dich vor die Gewehre der Tiradores zu bringen.«

Aurelio trat einen Schritt näher; sein Antlitz legte sich in hochmütige Falten. »Das heißt, Ihr habt die Macht, mich zu morden«, sagte er, »denn Ihr wißt sehr gut, daß ich an dem Verbrechen, dessen Ihr mich anklagt, unschuldig bin. Aber hütet Euch, Señor de Salis, und seid überzeugt, daß mein Tod nicht ungerächt bliebe.«

»Wagst du es zu drohen?« schrie der Gobernador, und insgeheim wußte er: er ist es! Er ist Fernandos Sohn, es ist gar kein Zweifel! Ich muß die Natter zertreten, bevor sie gefährlich wird. »Man wird euch Räuberbrut hinwegräumen«, schrie er laut, »dich, deinen Vater und den rothaarigen Spießgesellen, den ihr da habt!«

»Versucht‘s!« sagte Aurelio trotzig, »aber beeilt Euch!«

»Ja«, sagte de Salis mit plötzlich ganz eiskalter Stimme, »ja, das will ich. Ich will mich beeilen.« Er klingelte heftig. Die Tür öffnete sich, ein Offizier und ein Wärter erschienen in ihrem Rahmen.

»Führt den Burschen hinab und laßt ihn erschießen!« befahl de Salis.

Aurelio wurde blaß; einen Augenblick hatte er das Gefühl, ins Wanken zu geraten; er biß die Zähne zusammen und zwang sich zur Haltung. Aus! dachte er, lieber Vater! Lieber Pati! Ich konnte es nicht ändern!

Der Wärter griff nach seinem Arm, der Offizier stand an der Tür, ihn passieren zu lassen, da drängte sich ein Mann in das Zimmer, der ein Papier hielt und es dem Gobernador aushändigte.

Der warf einen Blick darauf, fuhr heftig zusammen, hob den Arm und rief dem Offizier und dem Wärter zu: »Halt! Wartet!« Sie blieben mit dem Gefangenen an der Tür stehen.

»Wer brachte das Papier?« fragte de Salis.

»Ein Gauchoreiter.«

»Wo ist der Mann?«

»Sofort zurückgeritten.«

»Was ist das?« murmelte der Gobernador, den Zettel immer und immer wieder überfliegend. »Es ist Agostinos Hand; er hat in großer Aufregung geschrieben, es ist sein Papier. Was ist da vorgegangen?« Er wandte sich der Tür zu. »Bringt den Gefangenen wieder in seine Zelle«, befahl er, »ich behalte mir weitere Entschlüsse vor. Sorgt dafür, daß ihm nichts Unbilliges widerfährt.«

Der Offizier salutierte, und man brachte Aurelio hinaus. Vom Gangfenster aus erblickte er noch einmal die Leichen der Erschossenen. Man war eben dabei, sie fortzuschaffen. Welch ein Wunder hatte verhindert, daß er ihnen zugesellt wurde?

In seiner Zelle angekommen, ließ er sich auf seine Pritsche nieder. Bilder aus der Heimat stiegen vor ihm auf; er sah vor sich die unendliche Pampa in ihrer eintönigen Größe, die Herden von Rindern und Pferden, die dahineilenden Strauße. Wie schön, wie herrlich das alles war! Und er sollte es verlassen? So jung schon ins Grab steigen? Wieder sah er die blutigen Leichname vor sich. Er konnte nicht verhindern, daß Schauer seinen Leib überliefen.

Der Schließer kam und brachte ihm Maiskuchen und Wasser. Er trank hastig und viel; Appetit zum Essen hatte er nicht. Die Zeit verging, Stunden wahrscheinlich, er wußte nicht mehr, ob es Tag oder schon Nacht war. Dann hörte er Schritte draußen. Leute gingen durch den gewölbten Gang und versicherten sich, daß jede Tür fest verschlossen war. Sie faßten auch an die Tür seiner Zelle. Und wiederum herrschte diese beängstigende Stille, in der er nichts außer den eigenen Atemzügen vernahm. Schließlich begann sein Hirn langsamer zu arbeiten. Erschöpfung kam über ihn; er schloß die Augen, ein Nebel senkte sich, Schleier umwallten ihn.

Da, was war das? Sein in der Pampa geschärftes Ohr vernahm ein leises Geräusch; er schnellte empor, lauschte angestrengt. Schleichende Schritte draußen, kaum wahrnehmbar, hastiges Flüstern. Was bedeutete das? Welche Veranlassung hatten die Henkersknechte, auf leisen Sohlen durch die Gänge zu schleichen?

Näher kamen die Schritte, immer näher; jetzt zögerten, verhielten sie vor seiner Tür. Er stand sprungbereit, als gälte es, erforderlichenfalls ein Äußerstes zu wagen. Ein Schlüssel wurde von außen ins Schloß geführt, leise, sonderbar leise, die Tür ging auf, und eine fast gehauchte Stimme flüsterte: »Aurelio?«

Er hätte schreien mögen; sein Herz ging wie ein Hammer, die Freude drohte ihn zu überwältigen. »Vater«, flüsterte er, »Vater, lieber Vater!« Eine tastende Hand berührte ihn, und er sank an die Brust Juan Perez‘. Daß außer diesem auch noch Pati und der Schließer in der Zelle standen, wußte er nicht. Er wußte überhaupt nichts, er war außer sich vor Glück.

 

Plötzlich – was war das? Draußen dröhnende Schritte, Geklirr. »Welche Zelle ist es? Wo steckt der Schließer, der Hund?« erklang es im Korridor. Um ein Haar hätte Juan aufgeschrien. Das war die Stimme Agostino de Salis‘. Wie kam der hierher? Aber es blieb keine Zeit zu irgendwelcher Überlegung, die Schritte draußen kamen näher, kamen heran. Starr standen die vier Männer in der dunklen Zelle. Durch die nicht ganz geschlossene Tür fiel Lichtschein herein, der Spalt erlaubte einen Blick nach draußen. Soldaten mit Gewehren, andere mit Laternen kamen den Gang herauf, allen voran ging Agostino de Salis.

Das war so schreckensvoll überraschend, daß selbst des Gauchos Herz erstarrte. Und da waren sie auch schon.

»Hier muß es sein«, sagte eine Stimme; die Tür wurde aufgerissen, und vor Agostinos Augen stand im Schein der Laternen statt eines Gefangenen eine ganze Gruppe von Männern.

Der junge de Salis wollte schreien, er öffnete auch schon den Mund, aber er bekam keinen Laut mehr heraus. Die ehernen Hände des schwer erregten und zum äußersten entschlossenen Pati hatten schon zugefaßt; sie hoben den Caballero empor und schleuderten ihn mit solcher Gewalt auf die hinter ihm Stehenden, daß sechs bis acht Soldaten zu Boden stürzten.

»Adelante!« brüllte der Rotkopf, ergriff die Muskete eines der gestürzten Tiradores, und schlug wie ein Besessener mit dem Kolben um sich. Und diesen Hieben widerstand nichts; gräßliches Geschrei erhob sich und hallte im Gang wider.

»Adelante!« schrie jetzt auch Juan, der die Erstarrung abgeschüttelt hatte; auch er ergriff ein Gewehr und stürzte vorwärts, dicht hinter ihm lief Aurelio, der sich gleichfalls einer Waffe bemächtigt hatte.

Die durch das völlig Unerwartete entsetzten Soldaten liefen ziellos umher, wie vom Teufel gejagt; ihre Laternen waren großenteils erloschen, es herrschte eine gespenstige Dämmerung, in der nur mehr Schatten erkennbar waren. Das Pfeifen Juans brachte Aurelio und Pati an seine Seite.

»Wo ist der Schließer?« raunte Don Juan.

»Hier«, antwortete die Stimme des Gerufenen, der sich immer im Schatten der Vorstürmenden gehalten hatte.

»Rasch«, zischte Juan, »die Zelle.«

Der Schließer tastete voran, fand die Tür der Zelle, durch die sie in das Kloster gelangt waren; alle vier drangen ein und verschlossen sie hinter sich.

Schon stürmten draußen weitere Mannschaften mit Laternen und Fackeln den Korridor entlang. Pati hob Aurelio empor, der eilig zu dem ausgebrochenen Fenster hinausglitt, ihm folgten Juan und der Schließer. Als letzter zwängte der stämmige Pati seinen Körper hindurch. Auf dem Gang herrschte wilder Lärm; schon donnerten Gewehrkolben an die Tür der Zelle.

Juan hatte, da sie alle im Freien standen, die Bolas gelöst. »Vorwärts, Pati, zu deinem Boot«, befahl er. »Wer nur diesen verwünschten Agostino befreit haben mag?« Pati ging voran, die anderen folgten. Bald waren sie am Ufer des Stromes, dessen Wellen im Schilf rauschten. Es war stockdunkel, und obgleich Pati genaue Merkmale für die Lage des Bootes hatte, fiel es schwer, es zu finden. Während sie am Ufer entlanghasteten, brachen aus der Klosterpforte Reiter heraus, von denen einige mit Fackeln ausgerüstet waren; sie verteilten sich nach links und rechts auf die Straße. »Ihr da, nach dem Wasser hinab!« rief eine befehlsgewohnte Stimme. Einige Berittene schwenkten nach dem La Plata ein. Auch sie führten einige Fackeln mit. Auf Juans Wink verbargen sich die Flüchtlinge hinter einem dichten Busch nahe dem Wasser.

Die Reiter kamen näher; in dem Schein ihrer Fackeln gelang es Pati, die genaue Lage des versteckten Bootes zu bestimmen; es befand sich in unmittelbarer Nähe. Schon schickte Juan sich an, seine Bolas in Bewegung zu setzen, da kehrten die Lanceros um. Pati folgend, stiegen jetzt alle schnell in das Boot. Sie hatten sich aber noch nicht auf dessen Boden niedergelassen, da wandte sich einer der Fackelträger im Sattel um und erblickte das Fahrzeug. »Hier! Hier sind sie!« schrie er gellend und feuerte ein Pistol ab. Der Schuß ging fehl. Aber von verschiedenen Seiten eilten nun Reiter herbei, und man hörte sie am Ufer schwatzen, während der Sohn des La Plata das Kanu bereits gemächlich durch das dichte Uferschilf trieb. Mehrere Schüsse wurden abgefeuert, deren Kugeln ins Wasser klatschten.

Jetzt ertönte der laute Ruf: »In die Lanchas!«

Pati lachte.

»Fürchtest du keine Gefahr?« fragte der Gaucho.

»Ich habe das, was an Lanchas hier lag, mit meinem Beil durchlöchert«, kicherte Pati, »sie werden nicht weit damit kommen.«

»Rotkopf, du bist einer der klügsten Menschen, die ich kenne«, sagte Juan.

Pati ruderte das leichte Gefährt mit kräftigen Schlägen stromauf, von der eingetretenen Flut unterstützt. An eine Verfolgung zu Wasser wäre der Dunkelheit wegen ohnehin nicht zu denken gewesen, selbst wenn Pati die Lanchas nicht durchlöchert hätte.

Juan saß neben Aurelio und hielt seine Hand. »Gott sei Dank, Junge, daß du gerettet bist«, sagte er. Aurelio berichtete ihm von seiner Unterredung mit Don Francisco. »Gott wird ihn strafen«, versetzte der Gaucho, »seine Zeit kommt. Doch wie mag Agostino, die junge Bestie, losgekommen sein?« fragte er sich selbst. Er erzählte Aurelio nun, was man zu seiner Rettung unternommen hatte. »Und doch wären wir alle verloren gewesen, wenn Pati nicht im letzten Augenblick die gewaltige Kraft seiner Arme gebraucht hätte«, schloß er seinen Bericht. Aurelio drückte dem treuen Manne dankbar die Hand. Rasch glitt das Boot auf den Hafen zu.

Das überraschende Erscheinen Don Agostinos war die Folge der energischen Tätigkeit seines Vaters. Als dieser den Sohn in der Stadt nicht traf, kehrte er sofort mit einigen Lanceros um, denn seine Vermutung, daß Agostino in irgendeinen Hinterhalt gefallen sei, schien ihm durch seine Abwesenheit bestätigt. Es kostete ihn viel Zeit und Mühe, bis er auch nur zu ermitteln vermochte, wohin Agostino geritten war. Er erfuhr schließlich, daß ihn Haß und Zorn noch vor der verabredeten Stunde nach dem Kloster hinausgeführt hätten.

Als man später das Gehölz untersuchte, hatten Juan und Pati es schon verlassen. Man fand Agostinos Pferd, aber den unterirdischen Teil der vor vielen Jahren zerstörten Kapelle kannte niemand. Und gewiß hätte man Agostino und Gomez niemals gefunden, wenn nicht ein Spürhund dabei gewesen wäre. Der fand die Gefangenen.

Kaum hatte sich der Sohn des Gobernadors von der ausgestandenen Angst und den Qualen des jämmerlichen Zustandes, in dem er stundenlang verharrt hatte, einigermaßen erholt, als er nach dem Kloster stürmte, um an Aurelio Rache zu nehmen. So war er in eben dem Augenblick aufgetaucht, als Juan dabei war, ihn zu entführen.

Jetzt lag er, von Patis Händen übel zugerichtet, im Kloster, während sein Vater die Verfolgung der Flüchtlinge leitete.

Das Boot, mit dem diese über den La Plata dahinglitten, näherte sich bereits dem Hafen. Der Schließer saß schweigend, mit gefalteten Händen bei den Männern.

»Wie ist Euch zumute, Señor?« fragte Don Juan.

»Wie einem, der aus den Qualen der Hölle erlöst wurde«, antwortete der Mann. »Was ich in diesen Jahren Schreckliches erblickt habe, vermag kein Mund zu erzählen.«

»Wir schulden Euch unendlichen Dank, Señor, und wir werden ihn abtragen.«

»Bringt mich an eine Stelle, wo die Hand des Tyrannen nicht hinreicht, und es ist des Dankes genug«, sagte der Mann.

Schon wurden die Laternen der Uferkaie sichtbar, da ertönte von der Batterie Septiembre ein Schuß, der bald darauf von zwei auf dem Strom ankernden Kriegsschiffen erwidert wurde.

»Das gilt uns«, sagte Pati, »sie wollen uns zu Wasser jagen. Aber sie werden sich täuschen.«

Geräuschlos glitt das Boot an der Batterie vorüber und erreichte ungefährdet die Lancha, die der erfahrene Schiffer für eine Flucht auf dem Strome bereitgehalten hatte. Bald waren alle an Bord und das Kanu am Deck gehißt.