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Der Sohn des Gaucho

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»Ich gehe sofort zu Señor Perez hinüber«, versetzte der Bakkalaureus, »du selbst bleibst hier. Halte dich jedenfalls verborgen und flieh beim ersten Anschein von Gefahr durch die Kaktushecken.« Er nahm seinen Hut und ging, vorsichtig umherspähend, zwischen den Gärten entlang. Zu seinem Leidwesen traf er den Gaucho nicht an und kehrte deshalb sogleich auf allerlei Umwegen zurück. Eines Peons, der ihm in der Nähe seiner Wohnung begegnete, achtete er nicht.

Der Tag verging, ohne daß sich irgend etwas ereignet hätte. Don Juan war nicht erschienen, und Aurelio suchte schließlich sein nach dem Garten hin gelegenes Schlafzimmer auf. Bevor Don Estevan sich zur Ruhe begab, sah er sich im Garten und in der Umgebung des Hauses sorgfältig um, vermochte aber nichts Verdächtiges festzustellen. Etwas beruhigter begab er sich schließlich in sein im oberen Stock gelegenes Schlafzimmer. Bald herrschten ringsum Schweigen und Finsternis.

Don Estevan erwachte von einem unbestimmten Geräusch; er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte. Plötzlich vernahm er ein dumpfes Poltern unten im Haus, und gleich darauf Aurelios zornige Stimme. Ein schwerer Körper schien zu Boden zu fallen, Tische und Stühle wurden gerückt. An allen Gliedern zitternd, sprang der Doktor aus dem Bett und warf sich in die Kleider. Die dumpfen, wirren Geräusche unten dauerten an; er glaubte, die ängstliche Stimme seiner Mutter zu hören. Halbbekleidet sprang er die Treppe hinab. Er hörte die Haustür gehen, das Geräusch schwerer, sich entfernender Schritte.

»Mutter! Aurelio!« rief er und betrat den Flur; man trug etwas hinaus, etwas Unförmiges; es war dunkel, er nahm nur Schatten wahr, »Sangrientos!« schrie er und erhielt im gleichen Augenblick einen Schlag an den Kopf, der ihn besinnungslos niederstreckte. Als gleich darauf seine vor Todesangst zitternde Mutter mit einem Licht in der Hand den Flur betrat, sah sie den Sohn leblos liegen. Ihr gellender Schrei rief die alte, halbtaube Magd herbei.

Bleich vor Schreck standen die beiden Frauen vor dem Sohn des Hauses; sie glaubten, einen Toten vor sich zu haben. Da regte sich Don Estevan, griff nach seinem Kopf, richtete sich halb auf und sah verstört um sich.

»Oh, mil gracias santissima madre, no este matado!« rief Señora Manzano und beugte sich zu Don Estevan nieder.

»Mutter!« murmelte der und schrie dann, aufspringend: »Aurelio! Aurelio!« Er riß der Mutter das Licht aus der Hand und stürzte in Aurelios Zimmer. Hier lag alles wüst durcheinander, Stühle und Tische in wildem Gewirr. Das Bett war auseinandergerissen. Estevan leuchtete, nach Blutspuren suchend, den Fußboden ab, fand aber keine.

»Er ist entführt, geraubt, verhaftet«, stammelte der Doktor. »Er ist in der Hand seiner Feinde. Gott sei seiner Seele gnädig! O Mutter, ich muß sofort zu Señor Perez; es muß etwas geschehen.«

Die Frauen weinten und zeterten, die Mutter wollte ihn nicht fortlassen, aber er machte sich mit sanftem Nachdruck frei, warf eilig einen Rock über und stürzte hinaus in die Nacht. »Lösch das Licht«, sagte er, »verschließt die Tür hinter mir.«

Er fand sich, mit den Wegen vertraut, auch in der Dunkelheit zurecht und klopfte gleich darauf an die Tür des Hauses, in dem Juan Perez wohnte. Minuten später stand er dem Gaucho gegenüber. »Aurelio!« rief der, wilde Angst im Blick. »Fort, geraubt!« flüsterte Estevan und erzählte in fliegender Hast, was sich zugetragen hatte.

Juan Perez war ein Mann mit eisernen Nerven, er besaß viel von der Ruhe seiner indianischen Vorfahren, und es lag ihm nicht, über Geschehenes zu klagen. »Erzählt«, sagte er nur, »jede Einzelheit, jede Kleinigkeit.« Der Bakkalaureus beschrieb eingehend die Vorgänge des Nachmittags. Juan ließ sich das Äußere des jungen de Salis eingehend schildern und sagte dann kurzentschlossen: »Ich gehe mit Euch, Don Estevan. Vor Tagesanbruch ist nichts zu unternehmen, nur Don Sancho muß benachrichtigt werden.« Er warf einen Poncho über, ging zu dem Schuppen, in dem die Pferde standen, sattelte sein Tier, schlang sich die Bolas um den Leib, stieg in den Sattel und sagte: »Kommt, Don Estevan.«

In der Nähe von Don Estevans Haus stieg der Gaucho vom Pferd und band es an einen Türpfosten des Nachbargrundstückes. »Geht dicht hinter mir«, raunte er, »wir wollen die Spuren nicht vernichten.« Vor dem Haus angekommen, bat er, wenn möglich auf einem anderen als dem üblichen Weg in Aurelios Zimmer geführt zu werden. Sie betraten den Garten durch eine schmale Öffnung in der Hecke und gingen durch eine Hintertür in das Haus.

Der Gaucho untersuchte das Zimmer Aurelios mit außerordentlicher Gründlichkeit; seinem scharfen Auge entging nichts. Aurelios Kleider, die er gewöhnlich zu tragen pflegte, lagen wie das Bettzeug zerstreut umher.

Er verließ den Raum und schärfte Don Estevan ein, ihn unberührt zu lassen und auch den Raum zwischen Haustür und Gartenpforte vorerst nicht zu betreten. »Ich werde nun Pati aufsuchen«, sagte er dann.

»Ihr werdet bei der Dunkelheit den Weg nicht finden«, sagte Estevan.

Juan zuckte die Achseln. »Habt Ihr nicht lange genug in der Pampa gelebt, um zu wissen, daß ich meinen Weg auch in der Finsternis finde?« sagte er. Er ging auf dem gleichen Wege, auf dem er gekommen war, zu seinem Pferd zurück. Gleich darauf sprengte er in vollem Galopp davon und ließ Señora Manzano und ihren Sohn in einer Aufregung zurück, die jeden Gedanken an Schlaf verscheuchten.

Der Rastreador

Kurz nach Sonnenaufgang war Juan Perez wieder da, in seiner Begleitung der schwer erschütterte Sancho. Don Estevan führte sie in Aurelios Zimmer. Es wird immerhin schon so hell, daß man die Dinge der nächsten Umgebung ohne Licht zu erkennen vermochte.

»Sie sind durch das Fenster gekommen und haben Aurelio im Schlaf überrascht«, sagte Juan, »es müssen sehr geschickte Leute gewesen sein. Der Fensterladen war aufgebrochen und die Gardinen herabgerissen.«

Don Juan sah sich um. »Der Junge hat sich tapfer gewehrt«, sagte er, »aber sie haben ihm einen dicken Poncho über den Kopf geworfen und diesen mit dem Lasso umschnürt. Wir werden gleich erfahren, wieviel es gewesen sind.«

Er sprach mit einer Sicherheit, als ob er Zeuge der Überfalls gewesen wäre. Dann ging er durch die kleine Tür hinaus und an der Rückseite des Hauses entlang bis zu Aurelios Fenster. Don Estevan und Pati gingen hinter ihm her. Juan untersuchte den weichen Boden unterhalb des Fensters. Nachdem er sich dieser Mühe eine Zeitlang mit großer Aufmerksamkeit unterzogen hatte, sagte er: »Es waren ihrer vier, und zwar Soldaten. Außerdem müßte ich mich sehr wundern, wenn der Alguacil, der d‘Urquiza verfolgte und Aurelio zum ersten Male am Rio Quinto erblickte, nicht dabei gewesen ist. Jedenfalls hat der Anführer, vermutlich dieser Schurke, hier draußen gewartet, während die anderen eingestiegen sind.«

Don Estevan, der zum erstenmal einen Rastreador an der Arbeit sah, machte bei diesen mit ruhiger Sicherheit vorgebrachten Eröffnungen ein höchst verblüfftes Gesicht. »Wie wollt Ihr das wissen?« fragte er.

Don Juan wies auf den Boden. »Vier verschiedene Fußpaare sind hier dem Boden eingedrückt«, sagte er, »und eines darunter kommt mir verdächtig bekannt vor. Ich habe die Spur jenes Alguacils seinerzeit im Sand des Quinto gesehen, und eine Spur, die ich einmal gesehen habe, vergesse ich nicht. Daß es Soldaten waren, ergibt sich aus dem Abdruck der kurzen Sporen, die sie vorschriftsmäßig tragen müssen.«

Er ging nun um das Haus herum, nach dem Haupteingang zu und durchforschte auch dort den Erdboden. Alsdann untersuchte er mit großer Aufmerksamkeit die Hufeindrücke und verfolgte sie eine Strecke weit.

»Sie haben Aurelio hinausgetragen, auf ein Pferd gebunden und sind mit ihm davongeritten«, sagte er, als er zurückkam. »Wir wollen ihnen folgen, Pati. Sprecht zu keinem Menschen von dem Vorfall«, wandte er sich zu Don Estevan. »Die Celadores werden die Gegend belauern. Man wird selbstverständlich auch Sancho und mich fangen wollen und darum Euer Haus überwachen. Seid vorsichtig. Am besten wird es sein, wenn Ihr Euer Heim auf einige Zeit verlaßt, denn auch Ihr seid nicht sicher. Und nun noch einen Rat: Ereignet sich irgendetwas, das auf diesen Vorgang Bezug hat, dann begebt Euch zu Pater Hyazinth an der Dreifaltigkeitskirche und teilt ihm das Geschehene unter vier Augen mit.«

»Darf ich Euch nicht begleiten?« fragte Don Estevan.

»Nein, es würde nichts nützen. Ich muß zunächst erfahren, wohin sie den Jungen gebracht haben. Kann ich Euch dann brauchen, werde ich Euch rufen.« Er schüttelte dem Gelehrten die Hand und galoppierte gleich darauf, von Pati gefolgt, davon.

Die Sonne war inzwischen höher gestiegen. Hier in der Umgebung der Stadt waren die Pferdespuren für ein Gauchoauge leicht zu erkennen. Mit untrüglicher Sicherheit ritt Juan, bald links, bald rechts einbiegend, auf der Bahn der Entführer. Sie kamen schließlich in eine Straße, in der lebhafterer Verkehr zu herrschen pflegte; hier begann das Unternehmen schwieriger zu werden. Juan hielt und blickte die Straße hinauf und hinab. »Wo liegt Santos Lugares?« fragte er. Pati orientierte sich einen Augenblick und wies dann nach rechts. »Dort hinaus«, sagte er.

»Warte hier, ich will die Straße untersuchen.«

Sancho blieb zurück, während Juan die noch menschenleere Straße hinabgaloppierte, die Augen auf den Boden geheftet. Er verfolgte den Weg eine weite Strecke, wandte dann aber und kehrte zurück.

»Dorthinaus sind sie nicht«, sagte er vorüberreitend, und begann nun die links abzweigende Straße zu untersuchen. Schon nach einigen hundert Schritten hielt er und winkte Pati, ihm zu folgen.

»Hier sind sie geritten«, sagte er, »wo liegt das andere Gefängnis, von dem du sprachst?«

»Am La Plata nach Süden zu, außerhalb der Stadt. Es ist ein altes Dominikanerkloster aus der spanischen Zeit.«

»Komm«, sagte Juan und ritt an.

 

Pati drängte sein Pferd neben das des Gauchos. »Sage mir eins«, flüsterte er, »glaubst du, daß Aurelio noch lebt?«

»Ich bin davon überzeugt«, antwortete Juan. »Es ist nicht anzunehmen, daß de Salis einen Menschen auf eine bloße Ähnlichkeit hin töten läßt, ohne sich wenigstens davon zu überzeugen, ob er auch wirklich den Sohn seines Bruders vor sich hat.«

»Aber Aurelio hat den jungen de Salis geschlagen«, gab Pati zu bedenken.

»Das hat er.« Der Gaucho verzog sein Gesicht zu einem grimmigen Lächeln. »Er hat der Giftschlange nur gegeben, was ich ihr schon seit langer Zeit schulde. Der Bursche soll sich hüten, in die Nähe meines Lassos zu kommen. Aber vorwärts nun. Wir verlieren Zeit. Wähle den kürzesten Weg der zu dem Dominikanerkloster führt.«

Pati kreuzte einige Wege und bog schließlich in eine nach Süden führende ungepflasterte Straße ein. Juan ritt zwischen den Räder- und Hufspuren dahin, die Augen immer am Boden. »Da«, sagte er, auf einige Spuren weisend, »wir sind wieder auf der Fährte.« Sie ritten nun schneller aus. Nach einer halben Stunde etwa sahen sie das von Gärten und kleinen Hainen umgebene massive Gebäude vor sich, das sie suchten. Juan überzeugte sich davon, daß die von ihm aufgenommene Fährte hier endete.

Das Gebäude, dessen düsterer Charakter auch durch die freundliche Umgebung nicht gemildert wurde, lag unweit des La Plata; sein vernachlässigter Garten, dicht mit Sträuchern, Zier- und Obstbäumen bestanden, dehnte sich bis an die Ufer des Stromes. Die Umgebung des zum Gefängnis verwandelten Klosters war sehr einsam. Es lag abseits jeder Verkehrsstraße, und die Leute vermieden es, in seine Nähe zu kommen.

Rosas ließ hier häufig seine Bluturteile vollstrecken; oft hallten die Klostermauern wider von den letzten Seufzern der unglücklichen Opfer eines bis zur Bestialität grausamen Systems. Weit und breit stand kein Haus, öde, von Unkraut überwuchert, lag ringsum das Land. Die Stadt war von hier aus nicht zu überblicken; ein dichter Hain von Zedern, Zypressen und Algaroben lag dazwischen.

Don Juan ließ den Blick über das Klostergebäude und seine Umgebung schweifen, während er nachlässig, gleichsam träumend, auf seinem Pferd saß. Da drinnen schien alles noch zu schlafen, keine Wache, überhaupt nichts Lebendes war zu gewahren, auch nicht hinter den stark vergitterten Fenstern. Mit der Vorsicht des in blutigen Guerillakriegen geschulten Mannes ließ der Gaucho sein Pferd zwischen Kakteen, Farnkräutern und Bäumen langsam das Gefängnis umkreisen, wobei er sorgfältig bemüht war, sich gegen etwaige wachsame Augen gedeckt zu halten. Der Garten war von einer Mauer umgeben, die an einigen Stellen zerfallen war. Es war selbst am Tage nicht schwer, sich unbemerkt bis an das Gebäude heranzuschleichen, das mehrere in den Garten führende Ausgänge hatte. Niedrige, stark vergitterte Fenster waren vom Boden aus mit der Hand zu erreichen.

Während Juan mit angespannten Sinnen zwischen den Gebüschen einherritt, gewahrte er, auf der anderen Seite des Gebäudes angekommen, altes, halb zerfallenes Mauerwerk, von Unkraut und Farnkräutern überwuchert. Er stieg vom Pferde und näherte sich dem Bauwerk. Es schien sich um die Reste einer ehemaligen Kapelle zu handeln, die während des Unabhängigkeitskampfes in Trümmer gegangen sein mochte. Er stellte bald fest, daß sich in dem aus schweren Fliesen gebildeten, vom Unkraut überwucherten Boden der Kapelle eine Öffnung befand, die nach unten führte. Eine Treppe führte von hier ins Dunkle. Juan zog sein Messer, legte die Öffnung frei und stieg die Stufen hinab.

Er erreichte, sich vorsichtig vorwärtstastend, einen gewölbten Gang, eben hoch genug, daß ein Mann aufrecht darin zu stehen vermochte. Er erkannte an der Pachtung, daß der Gang auf das Hauptgebäude zuführte. Er folgte ihm vorsichtig, mußte aber schon nach wenigen Schritten feststellen, daß er eingefallen und unpassierbar geworden war. Doch entdeckte er gleich darauf zur Rechten des Ganges einen kleinen, gewölbten Raum.

Er stieg wieder hinauf, schwang sich aufs Pferd und ritt zurück. Immer noch herrschte Schweigen im Kloster. Bei Pati eintreffend, berichtete er ihm kurz über seine Wahrnehmungen. Unweit ihres Standortes erhob sich zur Rechten und Linken des nach der Stadt führenden Weges das ziemlich umfangreiche Gehölz, das die Aussicht nach Buenos Aires versperrte. Sie beschlossen nach kurzer Beratung, sich dort in den Hinterhalt zu legen und ihre weiteren Maßnahmen den Umständen anzupassen. Um sowohl den Weg nach der Stadt als auch das Kloster im Auge zu behalten, trennten sie sich. Pati verbarg sich am Rande des Gehölzes, an einer Stelle, von der aus er die Straße zur Stadt beobachten konnte, Juan legte sich an einer Stelle ins Farnkraut, von wo aus er das Kloster zu überblicken vermochte. Die Pferde banden sie innerhalb des Gehölzes an.

Der Gaucho hatte bisher seinem Instinkt folgend, fast mechanisch gehandelt. Nun, da er hier am Rand des Gehölzes lag, den finsteren Eingang des alten Gebäudes im Auge, hinter dem Aurelio gefangengehalten wurde, befiel ihn Schmerz und Jammer über das Unglück, das er nicht hatte abwenden können, mit entsetzlicher Wucht. Er barg stöhnend den Kopf in den Händen. Würde es ihm gelingen, den Jungen zu befreien? War das ganze, schnell improvisierte Unternehmen nicht Wahnsinn? Bestand überhaupt irgendeine Aussicht, den Gefangenen herauszuholen? Aber gerade die Verzweiflung, die aufkommen und sich seiner bemächtigen wollte, riß ihn schließlich zusammen. Sie schärfte seine Kraft und seinen Willen. Es durfte jedenfalls nichts, nichts Mögliches und Denkbares, unversucht bleiben.

Während sich die Gedanken in seinem Hirn jagten, zeigten sich innerhalb des Klosters die ersten Spuren erwachenden Lebens. Rauch stieg aus den Schornsteinen auf; an den vergitterten Fenstern des Erdgeschosses wurden verschlafene Soldaten sichtbar; einige Gefangenenwärter kamen durch die schwere Eingangspforte heraus, verweilten einen Augenblick und verschwanden wieder. Warten! dachte Juan Perez, warten! Irgend etwas wird sich ereignen, irgendein Ansatzpunkt wird sich finden! In der Pampa lernt man, ruhig und geduldig zu werden.

Das Leben um ihn herum wurde reger. Soldaten traten dann und wann auf kurze Zeit aus dem Haupteingang heraus, lachend und plaudernd und rauchend; sie standen nie lange vor der Tür. Ein Bauer kam und brachte Geflügel, Gemüse und Eier; er entfernte sich bald wieder.

Es mochte zehn Uhr vormittags sein, als Juan Perez den Schrei eines Seeadlers vernahm. Das war Patis Zeichen, es war vereinbart. Juan duckte sich; irgend etwas war auf dem Wege. Gleich darauf marschierte eine von der Stadt kommende Abteilung Infanterie die Straße entlang auf das Kloster zu. Die Männer sangen und schienen guter Laune.

Es war Juan Perez bekannt, daß der Diktator seine Opfer in der Regel füsilieren ließ; er zuckte beim Anblick der Soldaten zusammen. Was tun? bohrte es in ihm, was tun?

Die Soldaten verschwanden im Innern des Klosters, und es war alles wie vorher.

Und abermals ließ der Seeadler seine Stimme ertönen. Gleich darauf schrie eine Möwe. Juan wußte: da kam ein Feind.

Er nahm Lasso und Bola und stellte sich hinter ein dicht an der Straße gelegenes Gebüsch. Vorsichtig spähte er die Straße entlang; einstweilen war nichts zu sehen. Aber dann drang der Hufschlag eines galoppieren Pferdes an sein Ohr. Er sah nach der Richtung, aus der das Geräusch sich schnell näherte, und sah gleich darauf in das Galgengesicht des Señor Gomez, das ihm vom Quinto her unvergeßlich war. Er spähte hastig noch einmal nach der anderen Seite; dort rührte sich nichts. Er griff nach dem Lasso.

Im leichten Galopp kam Gomez heran. Er war knappe zwei Schritte am Standort des Gauchos vorüber, da riß dessen Lasso ihn aus dem Sattel. Das Pferd blieb stehen; der offenbar von dem Sturz Betäubte hatte den linken Fuß noch im Bügel. Die Stelle war nach dem Kloster zu durch eine Baumgruppe gedeckt. Juan trat hastig auf die Straße hinaus, ergriff das unruhig werdende Pferd am Zügel, hob den gestürzten Körper auf den Rücken des Tieres und führte es mit seiner Last in das Dickicht. Hier band er es an und ließ den uniformierten Gesellen heruntergleiten.

Sollte der bei dem Sturz das Genick gebrochen haben? Nein, er atmete, er war nur ohnmächtig. Juan schleppte ihn tiefer in das Gehölz hinein, legte ihn unter einem Baum nieder, band ihm mit einer zähen Liane sorgfältig Hände und Füße und setzte sich neben ihn, sein zurückkehrendes Bewußtsein erwartend.

Es dauerte nicht lange, da schlug Gomez die Augen auf und sah mehr verblüfft als erschrocken in des Gauchos finsteres Gesicht. Doch schien ihm die gefährliche Lage, in der er sich befand, gleich darauf klar zu werden; er fühlte die Fesseln an seinen Gliedern und erkannte nun wohl auch den neben ihm sitzenden Mann.

»Was willst du?« fragte er.

Juan hielt ihm das bereitgehaltene Messer an die Kehle und raunte: »Dich beim ersten lauten Wort stumm machen.«

In die Augen des Gefesselten traten Schrecken und Angst.

»Wo ist mein Sohn?« fragte Don Juan. »Ich rate Euch dringend, mir die Wahrheit zu sagen, wenn Ihr es nicht bereuen wollt.«

»Ihr wißt es doch offensichtlich«, knirschte Gomez, »wäret Ihr sonst hier? Dort im Kloster ist er.«

»Warum hast du ihn entführt?«

»Ich?« Der Mann spielte den Überraschten trotz seiner Lage vorzüglich.

»Ja, du«, antwortete der Gaucho. »Spare deine Lügen. Du hast es mit einem Rastreador zu tun. Ich weiß schon seit dem Morgengrauen, daß du der Anführer der Menschenräuber warst. Du hast ihn mit drei Soldados aus dem Bett geholt und hierher geschleppt. Warum und auf wessen Befehl?«

Gomez schwieg.

»Du wirst schon noch sprechen«, sagte der Gaucho und spielte mit dem Messer. »Du kannst mir glauben, daß ich nicht mir dir spaße.«

»Was soll ich da schließlich verschweigen«, sagte Gomez, »auch das wißt Ihr schließlich selbst. Es handelt sich um eine ordnungsmäßige Verhaftung auf Befehl des Gobernadors von Santa Fé, Don Francisco de Salis.«

»Über Wesen und Ausführung ordnungsmäßiger Befehle will ich mich mit dir nicht unterhalten«, sagte Juan, »ist der Junge wohlauf?«

»Soviel ich weiß, ja.«

»Was wird mit ihm geschehen?«

»Darüber hat Señor de Salis zu befinden, der mit seinem Sohn hierherkommen wird.«

»Gut. Was wolltest du im Gefängnis?«

»Ich habe dem Direktor Befehle zu überbringen.«

»Meinen Sohn betreffend?«

»Das mag sein, ich weiß es nicht.«

»Nun, wir wollen deine Befehle jedenfalls an uns nehmen«, sagte der Gaucho. Er nahm dem Gefesselten die Ledertasche ab, die dieser um den Hals hängen hatte, und legte sie neben sich. »Geschieht dem Jungen ein Unheil, wirst du und werden noch andere es büßen, darauf kannst du mein Wort nehmen«, knurrte Juan. Die finstere Drohung, die in diesem Knurren lag, und die entschlossene Härte in des Gauchos Gesicht ließen den Gefangenen erzittern. Der Mann kannte die Gauchos und ihre Art; er wußte, mit was für einem Gegner er es zu tun hatte. Er preßte die Lippen zusammen und schloß die Augen.

Don Juan ließ ihn eine Zeitlang in Ruhe, dann sagte er in gelassenem Tonfall: »Du hast natürlich schon damals am Rio Quinto erkannt, wer der Junge ist, der als mein Sohn gilt?«

Gomez öffnete die Augen; ein fragender Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Don Juan fuhr fort: »Die Ähnlichkeit hätte ja immerhin zufällig sein können, nicht wahr, aber du hast dich nicht geirrt: Der Señorito, den du heute nacht eingefangen und dorthin in das Kloster geschafft: hast, ist Aurelio de Salis, der Sohn Don Fernandos. Alle Beweise für seine Abkunft sind vorhanden und befinden sich an absolut sicherer Stelle. Der junge Gefangene da drüben ist der rechtmäßige Erbe der Besitzungen und des Vermögens seines Vaters. Er ist der Erbe von Bellavista.«

»Ich habe von vornherein nicht daran gezweifelt«, flüsterte Gomez.

»Nein«, sagte Don Juan, »das denke ich mir. Und nun will ich dir noch etwas sagen. Ich zweifle zwar nicht daran, daß Francisco de Salis dich gut bezahlt, aber es könnte immerhin so kommen, daß der wahre Erbe von Bellavista dich reichlicher belohnt als dein jetziger Herr, wenn du ihm im Kampf um sein Recht beistehst. In uns hast du es mit ehrlichen Leuten zu tun. Verstehst du das?«

Gomez schien durch diese von ihm wohl nicht erwarteten Worte aus aller Fassung gebracht; der Ausdruck in seinen aufgerissenen Augen war beinahe hilflos. »Was verlangt Ihr von mir?« stammelte er.

»Das wirst du sehen«, entgegnete Juan Perez. »Sieh, ich könnte dich mit einer einzigen Bewegung dieses Messers aus der Welt schaffen, in der du vermutlich bisher nur Unheil angerichtet hast, aber ich setze voraus, daß du immerhin Verstand genug hast, deinen Vorteil wahrzunehmen.«

 

»Ihr täuscht Euch über Eure Möglichkeiten«; Gomez sah finster vor sich hin, »de Salis ist zu mächtig.«

»Das werden wir sehen, und meine Möglichkeiten kannst du mir überlassen. Zunächst geht es darum, den Gefangenen zu befreien. Und dabei wirst du uns helfen.«

»Wie könnte ich das?«

»Ich vermute, daß du das Innere des Gefängnisses und die Wärter kennst.«

»Ihr irrt Euch«, entgegnete Gomez, »ich kenne weder das Gefängnis noch die Wächter.« Aus dem Ausdruck seiner Stimme glaubte Juan schließen zu können, daß er die Wahrheit spräche.

»Aber du weißt, wo Aurelio gefangengehalten wird?« fragte er.

»Vermutlich unter der Erde. Das Kloster hat meines Wissens unterirdische Verließe.«

»Was wird mit ihm geschehen?«

Gomez schloß die Augen. »Ich fürchte, man wird ihn töten«, sagte er leise.

Juan Perez zuckte zusammen. Sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr, und seine Stimme wurde hart wie Stahl. »Das wäre schlimm für dich«, sagte er.

Gomez sah mit einem wilden Blick zu ihm auf. »Verhindert, daß die beiden de Salis im Gefängnis eintreffen«, keuchte er, »ohne sie wird gewiß nichts geschehen.«

Vom Kloster herüber kam der dumpfe Schall einer Gewehrsalve herüber.

»Was ist das?« fragte der Gaucho zusammenschreckend.

»Vermutlich werden einige Hochverräter erschossen«, antwortete Gomez.

Perez murmelte eine Verwünschung, beherrschte sich aber schnell.

»Du bist sicher, daß erst die Ankunft der Señores de Salis für Aurelio verhängnisvoll wäre?«

»Ich bin sicher, daß vorher nichts mit ihm geschieht.«

»Gut.« Der Gaucho ahmte mit täuschender Ähnlichkeit den Ruf einer Eule nach. Kurz darauf rauschten die Büsche, und Pati erschien. Er sah den gebundenen Mann, dessen Kommen er Juan signalisiert hatte; auch er hatte in ihm den Alguacil erkannt, den er am Rio Quinto vom Pferde gerissen.

»Nimm den Burschen da unter den Arm und folge mir«, sagte Juan. »Sobald er zu schreien versucht, drück ihm die Gurgel zu.«

Mit einem Grinsen, das Gomez schaudern machte, nahm Pati ihn einem Kleiderbündel gleich unter den Arm und folgte dem voranschreitenden Gaucho. Sie erreichten nach kurzer Zeit die zerstörte Kapelle. Nach Juans Weisung legte Pati den Gebundenen in dem unterirdischen Gelaß nieder. »Für alle Fälle wollen wir den Señor noch am Reden verhindern«, sagte Juan, formte aus einem Bündel trockenen Grases einen Knäuel und schob ihn dem Gefangenen, der sich offenbar in sein Schicksal ergeben hatte, in den Mund.

Beide gingen nun zu dem Rand des Gehölzes zurück. »Habt Ihr etwas von Aurelio erfahren?« fragte Pati, vor Aufregung zitternd.

»Er ist im Kloster und bisher unbelästigt.«

»Mil gracias santissima madre!« murmelte der Bootsmann.

»Kannst du einen zweispännigen Wagen im Lauf aufhalten, Pati?« fragte der Gaucho.

Der Befragte reckte seine gewaltigen Arme. »Ich denke schon«, antwortete er.

Sie waren kaum am Rand des Gehölzes angekommen, als der Hufschlag eines rasch von der Stadt herkommenden Pferdes ihr Ohr erreichte. Der Gaucho legte seinen Lasso zurecht und spähte aufmerksam durch das Buschwerk. Gleich darauf erblickte er den Reiter. »Ha! Por Dios!« rief er, »das ist die junge Kanaille!«

Ja, es war Agostino de Salis, und er war allein. Er hatte das Gebüsch eben passiert, da warf ihn der Lasso des Gauchos in den Sand. Das Pferd blieb stehen und wurde von Sancho in die Büsche geführt, während Juan den Reiter hineinzog.

Don Agostino war glücklicher gefallen als der Lanceroführer; er kam rascher wieder zu sich. Ein Schrei wollte sich seinen Lippen entringen, aber die Finger des Gauchos legten sich mit solcher Gewalt um seinen Hals, daß der Versuch erstickt wurde und nur ein Röcheln herauskam.

Mit Entsetzen starrte der elegante junge Herr auf die beiden Männer. Der Gaucho fesselte ihn rasch mit Lianenranken, dann trug ihn Pati in ein weit über Mannshöhe aufgeschossenes Dickicht von Farnkraut. Hier legte er den vor Furcht und Entsetzen fast Gelähmten nieder.

»Es wird gut für Euch sein, Señor«, sagte der Gaucho, »wenn Ihr meine Fragen kurz der Wahrheit gemäß beantwortet. Wer seid Ihr?«

»Agostino de Salis.«

»Wo wolltet Ihr hin?«

»Ins Gefängnis.«

»Was wolltet Ihr da?«

Agostino stutzte; sein verstörter Blick wanderte unruhig hin und her.

»Beeilt Euch. Ich habe leider keine Zeit.«

»Mich führten Amtsgeschäfte dorthin«, sagte Agostino mit einem Versuch trotzigen Aufbegehrens.

»Ich kann mir vorstellen, was das für Amtsgeschäfte waren«, sagte der Gaucho grimmig. »Ihr wolltet den jungen Mann, der Euch gestern für Eure Frechheit bestrafte, ein bißchen martern lassen, nicht wahr? Nun, Señor, ich schwöre es Euch: wird diesem jungen Mann auch nur ein Haar seines Kopfes gekrümmt, dann büßt Ihr es in schrecklicher Weise mit Eurem Leben.«

Agostinos Augen weiteten sich; man sah förmlich, wie das Entsetzen in ihm hochkroch. Offenbar war er bis jetzt der Meinung gewesen, in die Hände gewöhnlicher Straßenräuber gefallen zu sein. Nun dämmerte es ihm, daß hier andere Zusammenhänge bestanden. Er wollte etwas sagen, aber er brachte kein Wort heraus.

»Wo ist Euer Vater?« fragte der Gaucho scharf.

»In der Stadt.«

»Ihr seid ihm nach dem Gefängnis vorangeeilt, das den für Euch so gefährlichen jungen Mann birgt?«

Es ist der Vater, der Gaucho! dachte Agostino; er wurde noch einen Grad blasser. Er nickte bejahend.

»Wann kommt Euer Vater?«

»Sein Wagen stand angeschirrt, als ich wegritt.«

Agostinos Pferd, das Sancho mitgeführt hatte, hob die Nüstern nach der Seite hin, wo der Weg zur Stadt führte, und machte Miene, zu wiehern; ein augenblicklich mit größter Wucht zwischen seine Ohren geführter Faustschlag Patis brachte es zum Knien; es legte sich, am ganzen Leib zitternd, zu Boden.

»Gut gemacht, amigo«, sagte Juan, und ein Lächeln spielte um seine Lippen; er horchte. »Verhaltet Euch still, Señor«, warnte er, »oder die Faust dieses Mannes bringt auch Euch zur Ruhe.« Er deutete Pati an, den Gefangenen zu bewachen und sprang schnell zur Straße hinüber. Er stand noch lange hinter dem deckenden Gebüsch, als einige uniformierte Peons in den Farben der Familie de Salis herangesprengt kamen; ihnen folgte ein eleganter, mit zwei schönen Pferden bespannter Wagen. Darin zurückgelehnt saß Don Francisco. Juans Augen begannen zu funkeln; trotz der Länge der Zeit erkannte er das dunkle, hochmütige Antlitz wieder, das er einst in Bellavista vor sich gesehen. Unwillkürlich griff seine Hand nach den Bolas, doch zog er sie wieder zurück. »Noch nicht, Mörder!« flüsterte er, »wir rechnen später ab.« Er zwängte sich so weit durch die Büsche, daß er den Eingang des Klosters überschauen konnte, sah, wie die Pforte sich weit öffnete und der Wagen, von den Dienern gefolgt, hineinfuhr. Er ging zu dem Gefangenen zurück.

»Euer Vater ist im Gefängnis, Señor«, sagte er finster, »was gedenkt Ihr zu tun, um Euer Leben zu retten?«

Agostino bebte vor Angst; sein Gesicht war fahl, und die Augen flackerten in jagender Unruhe. »Was soll ich tun?« stammelte er.

»Meinen Sohn retten und damit zugleich Euch selbst.«

Dem Gebundenen drohten die Augen aus den Höhlen zu treten. »Ich kann nichts – ich kann nichts tun«, ächzte er. »Er kann nur auf schriftlichen Befehl des Präsidenten freigelassen werden. Bei allen Heiligen, es ist wahr!«

Juan Perez sah ein Weilchen sinnend vor sich hin. »Ihr habt gewiß Euer Merkbuch bei Euch«, sagte er schließlich.

»Ja.«

Er band die Hände des Gefesselten los. »Schreibt die Bitte an Euren Vater auf ein Blatt, von allen Gewaltschritten gegen Aurelio abzusehen. Macht es dringend, ich rate Euch gut. Daß Ihr gefangen seid, dürft Ihr nicht schreiben.«

Agostino nahm sein Notizbuch aus der Brusttasche, einen Bleistift zur Hand, und begann mit zitternden Fingern zu schreiben. Zwei, drei Blätter riß er heraus und warf sie als unbrauchbar fort; Juan hob sie auf und steckte sie in die Tasche. Endlich hatte der Gefangene so viel Fassung erlangt, daß er einigermaßen leserlich ein paar Zeilen zu schreiben vermochte.