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Der Letzte vom "Admiral"

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Rührend war es, wie die Balinesen unaufhörlich mit ihren Leibern den jungen Prinzen zu decken suchten, damit ihn nicht eine Kugel aus tückischem Hinterhalt erreiche. Der Wilde, welcher Gesicht und Gehör eines Waldtieres zu haben schien, umkreiste gleich einem Wächterhund den Zug.

Bald hatten sie das Meer erreicht und befanden sich gleich darauf an Deck des Schoners. Die Prau wurde ins Schlepptau genommen, und mit einer frischen Brise segelten sie zurück. In kurzer Zeit hatten sie die Bucht erreicht.

An Land gehend, sahen sie die zurückgelassenen Balinesen mit den Waffen in der Hand vor der Höhle stehen, welche die jungen Leute bewohnten und vernahmen aus dem Innern die in Todesangst zitternde, dabei befehlend-kreischende Stimme des Schneiders.

»Sowie du dir muckst, jebe ick Feuer und mache dir een Loch in dein Fell, det du daran denken sollst. Stehst du stille! Von dir lasse ick mich nich an die Wimpern klimpern. Ick bin mit een Dutzend Menschenfresser fertig jeworden, verstehst du, dir lasse ick ooch noch anloofen. Ruhig!«

Während der Schoner auf seiner Fahrt begriffen war, hatten die zurückgebliebenen Leute des Prinzen ängstlich der weitern Entwicklung der Dinge geharrt. Kurz vor der Rückkunft des Schiffes war am Wald ein halbnackter Bursche aufgetaucht, der, als er die Balinesen und ihre erhobenen Büchsen plötzlich gewahrte, im ersten Schrecken in die Höhle geschlüpft war, welche Henrik und dem Schneider als Unterschlupf diente.

Fritz Fischer hatte nach dem herrlichen Frühstück, welchem er so große Ehre erwiesen, ein langes Schläfchen gehalten. Er war eben aufgewacht und befand sich in der behaglichen Stimmung eines Menschen, welcher gut gespeist und gut verdaut hat, als zu seiner jähen Überraschung ein brauner Bursche, der ihn im ersten Augenblick nicht gewahrte, in die halbdunkle Höhle schlüpfte.

Der Mann hatte ein blinkendes Messer in der Hand und stand gebückt und lauernd am Eingang.

Fritz wurde bei diesem Anblick von Todesangst befallen. Instinktiv aber griff er zu Henriks Flinte, welche zum Glück neben ihm stand und spannte zitternd die Hähne.

Auf dieses Geräusch hin wandte sich der Eindringling nach ihm hin und sah mit tiefem Schrecken die Mündungen der Doppelläufe auf sich gerichtet.

»Hilfe!« schrie Fritze, »hier is eener.«

Der Mann machte eine demütig flehende Bewegung, aber der Schneider, welcher sie wohl in seiner Angst für eine drohende halten mochte, riß die Flinte empor und rief in bebendem Ton: »Rühre dich nicht, oder et jeht los.«

Dieses und die Stimmen der Balinesen draußen schüchterten den Flüchtling, der zitternd und lauschend dastand, noch mehr ein. Wer die größere Angst hatte, der Eingeborene oder der Berliner, war nicht zu entscheiden. Seinen Todesschrecken zu betäuben, schrie Fritz unaufhörlich.

Solcherart war die Situation, als Henrik das Land betrat und die Stimme seines Freundes hörte.

Er und der Wilde liefen allen andern voran nach der Höhle. »Ist ein Malaie drin, so fangt ihn lebendig!« rief Anak Madé den Seinigen zu und wiederholte es für Henrik englisch.

Henrik mit der Büchse, der Waldmensch mit der Keule in der Hand, drangen furchtlos in die Höhle ein, sahen den tapfern Schneider auf seinem Lager sitzen, wie er die Flinte in unsichern Händen handhabte, und den Malaien bebend vor ihm stehen.

Schon hob sich die furchtbare Keule, als Henrik rief: »Lebendig, Freund!«

Da ließ der Malaie auch schon den Kris fallen und warf sich als Zeichen der Ergebung zur Erde nieder, mit der Stirn den Boden berührend.

Als der Schneider das sah, wich plötzlich seine Todesangst, und wenn auch mit vor Aufregung noch bebender Stimme, so doch mit stolzem Selbstbewußtsein sagte er auf den demütigen Mann deutend: »So, Hamburger, den hätten wir. Der soll nur mit keenen Berliner nich anfangen; der kennt mir noch nich!«

Die nachdringenden Leute des Prinzen bemächtigten sich des Gefangenen, banden ihm die Hände auf den Rücken und führten ihn hinaus.

Henrik erfreut, daß er seinen Gefährten ganz unverletzt sah, fragte: »Nun, mein guter Fritze, der Bursche hat dich wohl sehr erschreckt?«

»So eener?« entgegnete der Schneider, dem jetzt der Kamm nicht wenig geschwollen war, verächtlich. »Nee, da müssen andere Leute kommen, von die Sorte nehm ick et mit een halbes Dutzend uff.«

Henrik lachte: »Ja, mein tapferer Junge, ich kenne dich ja seit der Affäre mit den Menschenfressern. Du mußt dem Mann gehörig zugesetzt haben.«

»Det schwöre ick dir, ick hätte den Spitzbuben durch und durch jeschossen, wenn er sich jemuckst hätte. Der Schlingel war aber janz dusemang, wie er mir sah. Der muß ne scheene Angst ausjestanden haben!«

»Das glaube ich auch, du hast was Gefährliches an dir.«

»Ick sage dir, Hamburger, wenn wir aus de Reezenjasse anfangen, dann jeht et nich jut.«

»Dein Mut und deine Kaltblütigkeit sind um so bewundernswerter, als meine Flinte nicht geladen war.«

Äußerst verblüfft sah Fritze bald auf die Waffe, bald auf Henrik.

»Nich jeladen? Denn is et jut, det der Mann det nich jewußt hat, der hätte mir scheene abmurksen können mit sein krummes Messer«, sagte Fritz kleinlaut.

»Das ist ja eben das Großartige, daß du ihn durch deine Entschlossenheit auch mit der leeren Flinte in Schach gehalten hast.«

»Ick jloobe ooch, Hamburger, et war een kleenes Bravourstück, meenste nich?«

»Ich sage es ja.«

»Det war een böser Bruder, un et jehörte wat zu, ihm zu imponieren, aber ick habe et fertig jebracht. Jetzt brauche ick mir nich mal mehr vor eenen von die Leutnants zu schenieren. Erst 'n halbes Dutzend Menschenfresser un dann diesen entsetzlichen Räuber un Mörder! Det macht mir doch so leicht keener nich nach.«

»Du bist der geborene Held.«

»Det haben wir Berliner so an uns!« sagte Fritze von oben herab. »Wenn ick det zu Hause jemacht hätte, un hätte so 'n äußerst gefährliches Subjekt janz alleene jefangen jenommen, hätte ick 'n Orden jekriegt un wenn't man vierte Jlasse jewesen wäre.«

»Vielleicht zeichnet dich der Fürst von Lombok für deine Tapferkeit auch aus.«

»Meenste, Hamburger, et könnte so wat vor mir abfallen?« fragte Fritze begierig.

»Man kann nicht wissen.«

»Na, aber denn, denn kann mir aber det janze Pantinenviertel den Stoob wegblasen«, sagte der Jüngling aus der Reezengasse mit unnahbarem Stolz. »Verdient hab ick eene Auszeichnung, det is so sicher, wie die 101 Kanonenschüsse bei 'n neuen Prinzen.«

Henrik ergötzte sich höchlich an dem Selbstbewußtsein des Berliners.

Sie begaben sich hinaus. Draußen hatte man den Gefangenen vor Anak Madé geführt. Es war noch ein junger Bursche, der große Angst zu haben schien. Nach seiner Aussage galt der Überfall in der Tat der Gefangennahme des Prinzen, von dessen Jagdausflug die Führer der Expedition unterrichtet gewesen sein mußten. Die Prau hatte im ganzen sechzig Mann beherbergt, der Mehrzahl nach Malaien, doch waren auch einige Sassaker darunter. Der weitaus größere Teil war unter dem Feuer der Balinesen gefallen; in die Wälder konnten nur wenig Verwundete entkommen sein, und diesen war mit der Wegnahme der Prau das letzte Rettungsmittel geraubt. Der Prinz hörte schweigend die Aussagen des Gefangenen an und befahl, ihn an Bord zu bringen. Er wandte sich dann mit freundlicher Gebärde an Fritz. »Und Sie, mein kleiner Deutscher, haben uns den Burschen festgehalten?«

»Wat sagt er?«

Henrik übersetzte ihm die englisch gesprochenen Worte.

»Allemal!« sagte Fritz, »un et war keen leichtes Stück Arbeet, Euer Königliche Durchlaucht, Exzellenz, det darf ick wohl sagen, denn det war een fürchterlicher Mordbruder mit det Messer. Aber ick hab' et ihm jejeben, der weeß jetzt, wat 'n richtiger Berliner bedeutet.«

Nach passender Übersetzung durch Henrik entgegnete Anak Madé höflich: »Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren Beistand, mein junger Freund, und ich werde es nicht vergessen.«

»Wat sagt er?«

»Der Prinz dankt dir.«

»Oh, et hat nischt zu sagen, Hoheit, Exzellenz. Vor Ihnen fange ick noch een janzes Dutzend solcher Brüder, wenn Ihnen det Spaß macht.«

Anak Madé reichte ihm die Hand und wandte sich zu seinen Offizieren.

»Hat er nischt von so 'n Ding vor't Knopfloch gesagt oder angedeutet, Hamburger?«

»Bis jetzt noch nicht, aber die Orden verleiht ja sein Vater, der regierende Fürst.«

»Na, ick bin bejierig«, meinte Fritz.

Nach kurzer Beratung mit seinen ältern Begleitern befahl der Prinz, daß alles sich auf den Schoner zurückziehen sollte. Henrik und Fritz wurden dahin eingeladen.

Als sie ins Boot stiegen, gesellte sich der Waldmensch zu ihnen, indem er sich neben Henrik setzte.

»Willst du bei uns bleiben, mein Freund?«

Der Mann nickte ernsthaft, streichelte Henriks Schulter und sagte leise: »Horsa – gehen.«

Dies rührte Henrik sehr.

Erfreulich war es, daß der Inselbewohner endlich seine Lippen geöffnet hatte. War es auch wenig, was er gesprochen und waren die Laute auch unbehilflich herausgekommen, wie bei jemand, der seiner Sprachwerkzeuge nicht Herr ist, so ließ es doch die Hoffnung aufkommen, daß mit der Zeit, wie die seit Jahren ungebrauchten Stimmorgane, auch der so lange untätige Geist erstarken werde. Daß noch Gefühl für seine Zusammengehörigkeit mit Leuten weißer Abstammung, daß noch Erinnerungsvermögen vorhanden war, hatte sich klar gezeigt. Mit stummem Entzücken hatte er auch, das wurde Henrik jetzt klar, den deutschen Lauten gelauscht, als sie zuerst wieder nach langen Jahren vor seinem Ohr erklangen und wie eine süße Melodie aus ferner Jugendzeit zu ihm zu sprechen schienen.

Daß er bei seinem fast märchenhaften Dasein, nach vielen Jahren des Schweigens nur mit Anstrengung Sprachlaute bildete, konnte nicht überraschen. Daß die geistigen Fähigkeiten gelitten hatten, war nur zu erklärlich, und doch hatte er gerade bei der Gefahr, welche den Prinzen bedrohte, Intelligenz und Geistesgegenwart verraten. Ebenso waren alle seemännischen Instinkte aufgewacht, als er wieder ein Schiff betreten hatte. Ob dieser Mensch, der das Leben eines wilden Tieres führte, dem zivilisierten Leben wieder zu gewinnen war, schien ja zweifelhaft, aber nicht unmöglich, wie es Henrik dünkte.

 

An Bord gekommen, begab sich der Prinz sofort in seine Kajüte, die Sorge für Henrik und Fritz dem Kapitän überlassend.

Der Wilde, der, wie alle wußten, das Werkzeug zur Rettung Anak Madés gewesen war, hatte sich, in Gang und Haltung wieder ganz zum Matrosen geworden, nach vorn begeben und schaute, sich ans Bollwerk lehnend, still zu der Insel hinüber. Weniger sein von Sonne und Wind gebräunter Körper erregte unter den selber halbnackten balinesischen Matrosen Aufsehen, als die furchtbare Haar- und Barttracht. Henrik beschloß, einen Versuch zu machen, ihn davon zu befreien. Er weihte den Kapitän in diese Absicht ein und teilte ihm mit, welches besondere Interesse er für den Menschen habe, und daß er sein Bestes tun wolle, ihn seinem gegenwärtigen Zustand zu entreißen. Mr. Blake, der dankbar genug dafür war, daß jener ihm die Möglichkeit gewährt hatte, seinen jungen Herrn aus so großer Gefahr zu befreien, ging bereitwillig darauf ein. Da der Prinz nach Art der indischen Großen eine zahlreiche Leibdienerschaft mitführte, veranlaßte der Kapitän, daß aus deren Schar diejenigen gerufen wurden, welche als Barbiere und Friseure tätig waren. Als sie mit Schere und Messer kamen, versuchte Henrik, seinem Schützling klar zu machen, was er von ihm wünsche. Dieser lehnte indessen die Hilfeleistung der Diener ab. Da ließ Henrik einen Spiegel herbeischaffen und hielt ihm diesen vor. Der Mann starrte hinein – ein Ausdruck des Entsetzens überflog seine Züge, dann sank er auf die Knie, schlug die Hände vor das Gesicht und große Tränen rannen zwischen den Fingern hindurch.

Nicht ohne bewegt zu sein, sahen das die umstehenden mit an. Endlich stand er auf, setzte sich auf einen nahen Schiffsstuhl und winkte den Leuten, ihr Werk zu beginnen. Die geschickten Balinesen machten sich ans Werk, kürzten seinen Haarwuchs, salbten ihm den Bart, schnitten ihm die Nägel an Händen und Füßen, und als ein ganz anderer stand er bald darauf da. Wieder hielt ihm Henrik den Spiegel vor, lange sah er hinein und nickte seinem Bild zu.

»Gut, gut«, sagte er dann und drückte Henrik die Hand.

Mr. Blake, der an diesem Vorgang großes Interesse nahm, hatte eines der dünnen, tunikaartigen Gewänder holen lassen, wie es die Indier geringern Schlages tragen, und der Mann ließ es sich überstreifen, behielt es auch an, obgleich er sich sehr unbehaglich darin zu fühlen schien.

»So«, sagte Henrik, »jetzt sind wir äußerlich ins Leben zurückgekehrt, mein Freund, hoffentlich schließt sich auch die Seele wieder deinem Volk, deinem Vaterland an.«

»Vaterland?« wiederholte jener leise, »ja – deutsches Vaterland.« Er erhob sich und ging zum Bugspriet und sah still in die Weite. Rücksichtsvoll ließ man ihn ungestört.

»Der olle wilde Robinson is 'n janz reputierlicher Menschenbruder, jetzt wo er frisiert is«, meinte Fritze, »paßt mal uff, der wird noch janz zahm.«

Henrik und Fritz wurden in eine kleine Kajüte geführt, wo Badediener ihrer harrten, die sie zu ihrem großen Behagen nach indischer Art badeten und salbten. Danach bot man ihnen indische Kleidung an, die sie um so dankbarer annahmen, als die ihrige durch den dreiwöchentlichen Aufenthalt im Wald und in der Höhle nicht gewonnen hatte.

»Jetzt siehst du ooch aus wie 'n Prinz aus det Bilderbuch, Hamburger«, sagte Fritze bewundernd, dem die schlanke Gestalt und das edel geformte Gesicht Henriks in der malerischen Tracht ungemein gefielen. »Un ick? Wat meenste denn zu mir mit die Maskerade?«

»Du hast etwas echt Orientalisches an dir; man könnte dich für einen geborenen Maharadscha halten.«

»Ja, weeste, det is uns Berlinern anjeboren, wir sind nu mal ne feine Sorte.«

Fritz ging würdevoll an Deck auf und ab und kam sich nicht wenig wichtig vor.

Nach einiger Zeit erschien Mr. Blake, der sich der äußern Verwandlung der jungen Leute freute, um sie in die Hinterkajüte zu führen, wohin Anak Madé sie einladen ließ.

Wie erstaunten beide, als sie hier im Schein hellbrennender, mit Milchglas umhüllter Lampen, welche einen angenehmen Duft verbreiteten, eine Pracht entfaltet sahen, die fast märchenhaft zu nennen war. Wände und Decke zeigten nicht nur die kostbarsten Hölzer des Ostens in feinster Politur, nein, auch wundervolle von Künstlerhand gefertigte Schnitzereien in Elfenbein, Perlmutter und Metall waren darin eingelassen, Ornamente, Früchte, Blumen und Tierstücke darstellend, in seltener Farbenpracht. Der Fuß versank in einem weichen Teppich, der schwellende Diwan, die Polster waren mit den teuersten indischen Geweben überzogen. Auf dem niedrigen, ebenfalls schön verzierten Tisch standen Gefäße von Silber und Gold, aus den besten Werkstätten Indiens hervorgegangen. Das Staunen der Jünglinge, die Ähnliches nie gesehen und von der Industrie Indiens und der Geschicklichkeit seiner Kunsthandwerker keine Ahnung hatten, war durchaus gerechtfertigt. Anak Madé hatte sich umgekleidet und empfing sie in einem hellen seidenen Gewand, welches vortrefflich zu seiner Hautfarbe paßte und ihm zugleich Anmut und Würde verlieh.

Er freute sich der Überraschung seiner Gäste und begrüßte sie freundlich.

Fritz machte unaufhörlich ehrfurchtsvolle Bücklinge; diese orientalische Pracht verblüffte den Sohn der Reezengasse vollständig.

»Det is noch scheener, als bei Kommissionsrats in ersten Stock in 't Vorderhaus«, äußerte er später, um seiner Bewunderung kräftigen Ausdruck zu geben.

»Seid mir willkommen, meine jungen deutschen Freunde, die mir Wischnu, der Erhalter, zur rechten Zeit gesendet hat!« Mit diesen Worten lud Anak Madé sie durch eine höfliche Gebärde ein, auf den Polstern in seiner Nähe Platz zu nehmen.

Fritz drehte sich einigemal um seine eigene Achse, ehe es ihm gelang, sich niederzulassen.

»Des Ewigen unerforschlicher Ratschluß hat uns hier zusammengeführt, euch, die blonden Söhne des fernen Nordens, und mich, das Kind einer heißern Sonne; zu aller Heil will mich bedünken.«

»Wir sind nächst Gott Ihnen Dank schuldig, Prinz, wenn wir aus unserm Inselgefängnis befreit wurden.«

»Nichts von Dank, Sir, ich bin Ihnen für mein ganzes Leben verpflichtet«, entgegnete er ernst. »Sie werden sich mit Erstaunen gefragt haben, wie es kam, daß ich der Gegenstand eines so heimtückischen Angriffs wurde. Ich müßte Ihnen ein gutes Teil der verwickelten Geschichte dieser Inseln erzählen, wenn ich es vollständig erklären sollte. In erster Linie war es wohl der Zorn der bei uns ansässigen räuberischen Maleien, die wiederholt die schwere Hand meines Vaters gefühlt haben und«, setzte er mit einem finstern Gesichtsausdruck hinzu, »vielleicht sind auch noch andere Kräfte hierbei wirksam gewesen, gefährlichere – doch, das wird sich finden. Wunderbar wie unser Zusammentreffen, ist meine, ist unsere Rettung. Wäre ich in die Hände dieser Räuber gefallen, würden sie zur Nacht das Schiff durch ihren Angriff überrascht haben, und dann wäre wohl niemand am Leben geblieben. Der seltsame Waldmensch«, fuhr er nachdenklich fort, »mußte das Werkzeug sein, mich vor dem Tod, zum mindesten vor der Gefangenschaft zu bewahren. Wie vergelte ich es dem Armen?«

Henrik erzählte ihm jetzt, welches Experiment er mit ihm vorgenommen habe.

Mit freudvoller Teilnahme erfuhr der Indier, daß der Geist des Waldbewohners sich zu regen beginne.

»Unsere heiligen Schriften lehren uns«, sagte er dann, »daß alles auf Erden von dem Willen der Gottheit abhängt, daß nichts ohne sie geschieht, und in den Begebenheiten, die Sie hierher zu dem einsamen Grab Ihres Vaters geführt haben, die jenen Unglücklichen, seinen einstigen Gefährten, mir zur Hilfe sandten, zeigt sich das Walten des Ewigen in seiner ganzen Macht. So wird auch bei unserm Freund, wie ich hoffe, das Licht der Vernunft wiederum einkehren, die schwere Tat, welche an den Ihrigen verübt worden ist, gesühnt werden, wenn Gott nicht bereits gestraft hat. Er weiß den Schuldigen zu treffen.«

»Ich hoffe, ich glaube so«, entgegnete Henrik ernst.

Diener ließen jetzt die vornehmen Balinesen, welche den Prinzen als Jagdgefährten begleiteten, ein. Auch sie hatten sich umgekleidet und nahten sich Anak Madé ehrfurchtsvoll. Auf seine Einladung ließen sie sich nieder. Ein reiches Mahl wurde jetzt aufgetragen, dessen Hauptbestandteile wiederum Reis, gebratenes Geflügel, eingemachte Früchte und süßes Gebäck bildeten. Die Diener reichten die Schüsseln und Schalen aus Porzellan und edeln Metallen herum. Messer und Gabeln wurden durch kleine Löffel von Elfenbein und aus demselben Material gefertigte Stäbchen ersetzt. Henrik gewahrte, wie anstandsvoll und mit welchem Geschick sich die Balinesen dieser Hilfsmittel bedienten, und ahmte nicht ohne Erfolg diese kunstvolle Art zu speisen nach. Das Berliner Kind aber, schon durch die nie gesehene Pracht der Ausstattung der Kajüte eingeschüchtert, saß ratlos an dem niedrigen Tisch und vor den Speisen, die seinen nach der Krankheit sehr gesunden Appetit gewaltig reizten; Löffelchen und Stäbchen waren für ihn nicht die geeigneten Mittel, würdevoll zu essen. Mit den Händen zuzugreifen, wozu er nicht geringe Lust verspürte, scheute er sich den feinen Indiern gegenüber doch.

»Du, Hamburger«, sagte er endlich leise, »ick kriege 't nich fertig, mit die Dinger so aus de Vogelperspektive wat zu knabbern; wat mach ick nu?«

»Nimm dir ein Beispiel an den indischen Herren, ich ahme ihre Art zu speisen ja auch nach.«

»Ja, du, du bist 'n studierter Junge.«

Der Prinz hatte augenscheinlich des Berliners Verlegenheit bemerkt, und Ähnliches mochte ihm in Gesellschaft von Europäern schon begegnet sein; er rief einem der Diener einige Worte zu, der gleich darauf Fritz und Henrik silberne Messer und Gabeln vorlegte. Der Speisesaal des Indiers war auch auf den Empfang abendländischer Gäste eingerichtet.

»Det is aber fein«, meinte Fritz, »die jelbe Hoheit Exzellenz hat Pli. Nu kann 't aber losjehn.«

Und mit frischem Mut begann er, den Speisen zuzusprechen.

Anak Madé wechselte hie und da einige Worte mit seinen Offizieren oder richtete eine Frage in englischer Sprache an Henrik.

»Die Deutschen«, äußerte er im Lauf des Mahles, »sind, wie ich unterrichtet bin, ein großes und gelehrtes Volk, haben auch viel Handelsschiffe auf der See; wie kommt es, daß wir nie ein deutsches Kriegsschiff in diesen Gewässern zu sehen bekommen?«

»Unsere Uneinigkeit, die Zerrissenheit in viele Stämme, die miteinander haderten, hat das deutsche Volk verhindert, gewaltig zur See aufzutreten, mein Prinz. Alle unsere Kraft mußten wir auf die Landmacht verwenden.«

»Die Holländer sind mächtiger als ihr Deutschen, nicht wahr?«

Henrik lachte. »Mächtiger? Nein. Die Holländer sind ein tüchtiges, mannhaftes Volk, aber wenn Deutschland, das ganze einige Deutschland in Waffen steht, wird kaum eine andere Macht dagegen aufkommen können.«

Eifrig übertrug der Prinz dies seinen Gefährten, und diese schienen Henriks Äußerung mit großem Vergnügen zu vernehmen.

»Die Holländer haben das Glück gehabt, während wir uns in Bruderkämpfen aufzehrten, kraftvoll auf dem Meer auftreten zu können, zu einer Zeit, wo wir nicht ein Orlogschiff besaßen. Doch wird der Tag kommen, an dem die deutsche Kriegsflagge auf allen Meeren weht und den fernsten Völkern die Macht und Herrlichkeit des einigen Deutschlands kündet.«

Henrik hatte mit einem Feuer gesprochen, welches den Indiern Bewunderung abnötigte, besonders als der Prinz die Worte übertragen hatte.

»Wat haste die Leute jesagt?« fragte Fritz kauend.

»Ich habe ihnen vom großen Vaterland, vom heiligen Deutschland gesprochen.«

»Is recht, Hamburger! Det janze Deutschland soll et sein! Nu sag die Leute ooch noch wat von ollen Fritzen unter die Linden, damit sie uns recht ästimieren.«

»Ich habe von euch Deutschen viel gehört in Kalkutta«, wandte sich der junge Fürst an Henrik, »und, wie ich schon sagte, euern großen Gelehrten, den Professor Haug, der selbst den Brahmanen die heiligen Schriften auslegt, weil er Sanskrit und Prakrit besser beherrscht als sie, persönlich kennengelernt. Die Holländer sind bei uns nicht beliebt. Die Herren von Java wollen auch auf Bali und Lombok einen Einfluß ausüben, der uns nicht zusagt. Glauben Sie nicht, Sir«, fuhr er lebhafter fort, »daß ich die Güter, welche die hohe Zivilisation, deren die Europäer sich erfreuen, im Gefolge hat, unterschätze, ich habe sie in Kalkutta bewundern gelernt, aber wir wollen sie uns nicht mit Kanonen und Bajonetten aufzwingen lassen, vielmehr unsere Eigenart wahren.«

 

So wurde noch manches gesprochen, was für Henrik, der dieser Inselwelt und ihren Völkergebilden fremd gegenüberstand, von hohem Interesse war.

Fritz Fischer, der wenig beachtet wurde, widmete dem Mahl und seinen einzelnen Bestandteilen eine eingehende Aufmerksamkeit und verriet entschieden die Absicht, für kommende Zeiten der Not Vorrat einzulegen.

Endlich hob Anak Madé, nachdem er noch mitgeteilt hatte, daß er morgen nach Ampanan zu segeln gedenke, die Tafel auf und verabschiedete höflich seine Gäste. Fritze ließ sich hierbei wieder eine stattliche Anzahl merkwürdiger Verbeugungen zuschulden kommen.

»Det mußt du aber doch sagen, Hamburger, det ick mir standesjemäß uffjeführt habe bei unsern Prinzen, en Leutnant von die Jarde kann et ooch nich besser«, sagte er draußen.

Henrik hatte nun hierüber zwar einige Zweifel, versuchte aber nicht, die gute Meinung, die Fritz von sich selbst hatte, zu zerstören. Er sah sich noch nach dem Wilden um, da er ihn aber auf Deck nicht fand und annahm, daß er irgendwo einen Unterschlupf gesucht habe, begab er sich zu der ihm und Fritz angewiesenen Kabine und ging zur Ruhe.

Im Traum sah er seinen Vater, der liebevoll auf ihn herniederblickte.

Das Klirren der Ankerkette auf Deck weckte ihn. Er erhob sich, kleidete sich an und ging hinauf. Eben stieg die Sonne empor und übergoß des Gewölk des Firmaments mit Flammenglut. Rasch verbreitete sich die Helle des Tages, denn diese Breiten kennen keine Dämmerung. Von neuem suchte er nach dem wilden Freund. Da mußte er zu seinem Leidwesen von Mr. Blake erfahren, daß der Mann aller Wahrscheinlichkeit nach schon gestern abend heimlich das Schiff verlassen habe und an Land geschwommen sei.

Er schaute nach der Insel hinüber, mit einem Gefühl ernster Trauer, denn dort ruhte, was an seinem Vater sterblich war, und jetzt sollte er für immer von dieser ihm heiligen Stätte scheiden.

Da erschien Anak Madé an Deck. Alles war zum Ankerlichten fertig und man erwartete nur seine Befehle. Der Sohn des Radscha winkte Henrik zu sich und sagte in der ihm eigenen, höflich freundlichen Weise: »Es drängt Sie gewiß, mein Freund, Abschied von dem Grab Ihres Vaters zu nehmen, wir wollen es zusammen besuchen, ehe wir nach Lombok segeln.«

Henrik war von so viel Zartgefühl innig gerührt und dankte schweigend.

Die den Malaien abgenommene Prau war mit einer Notstenge versehen und mit einigen Matrosen besetzt worden, die sie nach Lombok führen sollten.

Mr. Blake erhielt seine Befehle, und der Schoner, welcher den indischen Namen »Arang« führte, aber auf einer englischen Schiffswerft erbaut war, entfaltete Segel und lief um die Insel bis zu der Bucht, an der einst der Wilde Henrik und Fritz landen ließ; dort legte er bei. Da die in den Wäldern befindlichen Feinde zu fürchten waren, wurden dreißig mit Büchsen bewaffnete Leute an Land geschickt, um den Weg zu säubern, dann erst begab sich Anak Madé mit seinen Gästen, auch Fritz war an Deck erschienen, an Land.

Mit leichter Mühe fanden sie das Felstal und die stille Grabstätte. Von ihrem treuen Wächter war nichts zu gewahren.

Während sich der Inder zartfühlend zurückhielt, kniete Henrik an dem Grab nieder und betete innig, so Abschied nehmend von den teuern Resten, welche hier die fremde Erde barg.

Als er zu Anak Madé zurückkehrte, sagte dieser: »Solange ich lebe, Freund, soll diese Stätte gepflegt werden und für heilig gelten.«

Henrik dankte von ganzem Herzen. Als er, ehe sie zwischen die Felsen traten, noch einmal zurückblickte, sah er zu seiner höchsten Überraschung den Wilden an dem Kreuz knien und, wie es schien, inbrünstig beten.

Er wartete, und als jener sich erhob, rief er ihn an. Augenblicklich kam er zu ihm.

»Willst du nicht mit mir zur Heimat kommen?« fragte ihn Henrik.

Der nickte und sagte langsam: »Kapitän – ihm Abschied sagen – gehen mit Sohn.«

»Nun, das ist gut – so komm.«

Der Mann hatte sein indisches Gewand abgelegt, holte es aber jetzt aus seiner Höhle und zog es über.

Als alles an Bord war, nahm der »Arang« seinen Kurs nach Ampanan mit gutem Wind und bald verschwand die kleine einsame Insel unter dem Horizont. Bis zum letzten Augenblick sahen der Wilde und Henrik zu ihr hinüber.

Mehrmals im Lauf des Tages begab sich Henrik zu seines Vaters einstigem Gefährten, der still und traurig am Vorderdeck weilte. Sein Erscheinen, seine Anrede überzog das Gesicht des Mannes stets mit freudigem Schimmer. Henrik sprach viel zu ihm, damit sein Ohr sich wieder an die Laute der deutschen Sprache gewöhne und fragte ihn auch nach diesem und jenem. Er erhielt auch kurze Antworten, die davon Zeugnis gaben, daß die Frage verstanden worden sei. Er redete von Deutschland, von Hamburg, und aufmerksam lauschte der ehemalige Matrose. Bei einer dieser Unterredungen richtete er die Frage an ihn: »Wie heißest du eigentlich?«

Jener sah ihn an und versank dann in Nachdenken.

»Du hast doch sicher noch Angehörige, die dich als tot beweinen und sich nun freuen werden, wenn du wieder unter ihnen erscheinst?«

Ernsthaft nickte er.

»Und wie nannten sie dich?«

Langsam, nachdem er wieder eifrig nachgesonnen, entgegnete er: »Er weiß es nicht.«

Das war eine niederschlagende Antwort, besonders da er von sich in der dritten Person sprach. Und doch gab Henrik den Versuch, ihm Erinnerungen zu wecken, nicht auf. Als ihm das Unglück, welches einst seinen Vater getroffen, zu vollem Bewußtsein gekommen war, hatte er sich, es waren einige Jahre seitdem vergangen, zum Waterschout seiner Vaterstadt begeben und sich das Verzeichnis der Mannschaft vorlegen lassen, mit welcher der »Admiral« von Hamburg in See gegangen war. Bereitwillig hatte der Beamte seinen Wunsch erfüllt. Henrik hatte sich die Liste mit allen auf die Personen bezüglichen Bemerkungen abgeschrieben und kannte jeden einzelnen Namen der Schiffsgenossen seines Vaters. Der vor ihm sitzende Mann, trotzdem ein hartes Dasein ihn gealtert haben mochte, konnte die Vierzig noch nicht überschritten, vielleicht noch nicht erreicht haben. Er rief sich zwei Namen jüngerer Leute aus der Mannschaft ins Gedächtnis zurück und fragte, einen derselben anwendend, auf gut Glück: »Bist du nicht Karl Steffen aus Finkenwerder?«

Wie von einem elektrischen Schlag berührt, sprang der Angeredete auf und starrte Henrik fast mit Entsetzen an, so daß dieser erschrak.

»Karl Steffen aus Finkenwerder?« wiederholte er, »Karl Steffen – ja, Karl Steffen – Karl Steffen –« dann wandte er sich ab und schaute aufs Meer hinaus. Henrik entfernte sich und überließ ihn sich selbst.

Als er am Nachmittag wieder zu ihm trat, sagte jener leise: »Ich bin Karl Steffen, jetzt weiß ich's.«

Henrik war hoch erfreut darüber. »Siehst du? Ich kenne die Namen aller Gefährten meines Vaters, und du mußtest Karl Steffen oder Christian Böting sein.«

»Karl Steffen«, wiederholte er.

»Gut, Karl, du wirst aus dem wilden Traum, den du so lange geträumt hast, erwachen und wieder werden wie du warst. Was für ein tüchtiger Seemann du bist, haben wir ja erfahren; ich habe noch keinen in der Höhe so arbeiten sehen, wie dich.«

Karl Steffen lächelte und blickte zur Fockrahe empor, dann nickte er.

Henrik, so sehr es ihn drängte, Kunde von dem Ende seines Vaters zu erlangen, sagte sich, daß diesem so lange schlummernden Geist gegenüber nichts überstürzt werden dürfe und bezwang sich.

Fritz Fischer aber teilte er in freudiger Erregung mit, daß der Name des armen Robinson entdeckt sei.