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Der Letzte vom "Admiral"

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Aber der Wilde verstand ihn augenscheinlich nicht, er verhielt sich stumm.



Seufzend gab Henrik den Versuch auf. Näheres über das Schicksal seines Vaters durch den geistig herabgekommenen Menschen zu erfahren. Fritz erinnerte jetzt daran, daß es Zeit sei, sich zur Heimfahrt zu schicken, und Henrik stimmte dem zu.



»Komm«, sagte er zu ihm. »Das war ein ereignisvoller Tag in meinem Leben.« Noch einmal wandte er sich zu dem Grab und sagte mit tiefem Gefühl: »Ruhe sanft, lieber Vater, in der fremden Erde, ruhe sanft.«



Seine Tränen zurückdrängend, wandte er sich ab, um den Ausgang aus dem felsigen Labyrinth zu suchen. Dies gewahrend, ging ihr Begleiter voran und brachte sie rasch ans Boot. Er blieb zurück, als Henrik abstoßen wollte, und die beiden fuhren allein in die See hinaus.



Nachdem sie ein großes, der Insel vorgelagertes Riff umsegelt hatten, fand Henrik endlich die Ruhe, um sich selbst all die erschütternden Vorgänge, welche seine Seele so sehr erregt hatten, zurechtzulegen.



Schattenhaft nur stand des Vaters Gestalt in seiner Erinnerung, wie sie sich der Seele in früher Kinderzeit eingeprägt hatte, doch durch der Mutter Schilderung war ihm dessen männliche Erscheinung und eigenstes Wesen so vertraut geworden, als ob er ihn genau gekannt hätte. And ihr erblühte in dem Sohn, dem teuren Vermächtnis des Toten, die Hoffnung ihres Lebens. Im Jahr 1866 verließ Kapitän Horsa Singapore auf seinem guten Schiff, dem »Admiral«, um Adelaide anzulaufen – und von Schiff und Mannschaft wurde nie wieder etwas vernommen. Da zu jener Zeit wilde Wirbelstürme den Ozean durchfurchten, lag die traurige Gewißheit nahe genug, daß der »Admiral« in diesen mit Mann und Maus gesunken sei.



And nun? Nun fand der Sohn an einer einsamen Insel des Indischen Ozeans die letzten Reste des Schiffes, das Grab seines Vaters, und in einem Menschen, der hier wie ein Tier mit Tieren lebte, den einzig überlebenden der Besatzung, den Zeugen jenes schreckenvollen Ereignisses, welches das Ende herbeigeführt hatte. Nicht auf dem Meer, nicht im Kampf mit den Naturgewalten fand, wenn er den Waldmenschen richtig verstand und die Inschrift nicht trog, der Vater seinen Tod, nein, hier am schützenden Land unter der verräterischen Hand – wessen? Des »höllischen Malaien«?



Er teilte dem Schneider mit, was ihm durch die Seele zog. »Es scheint ja«, setzte er hinzu, »in dem Gehirn des verwilderten Menschen zu dämmern, und wenn Gott seinen Mund erschließt, erfahren wir vielleicht noch manches von den letzten Stunden meines Vaters und seiner Mannschaft. Ist hier«, so schloß er mit tiefem Ernst, »ein Verbrechen begangen worden, so hat mich Gott auf wunderbare Weise an das einsame Grab meines teuren Vaters geführt, daß ich das Werkzeug der Sühne werde.«



»Ist allens schön und jut, Hamburger, oder eegentlich recht traurig – aber det wird allens schon werden, wenn wir nur erst von die olle Insel weg sind. Ick sehne mir aus die Wildnis raus, et is doch nischt vorn jebildeten Menschen, als Höhlenbewohner oder bei Mutter Jrün mit Kokosnüsse un geröste Eier sich durchzuleppern.«



»Wir warten noch einige Tage auf die Rückkehr des ›Roland‹. Ist es vergebens, so segeln wir mutig nach Norden und suchen den Weg zu europäischen Niederlassungen.«



»Ja«, meinte Fritz wehmütig, »wenn wir nicht vorher von die Herren Wilden uffjespeist werden. Uff meine werte Person scheinen sie et besonders abjesehen zu haben.«



»Vertrauen wir auf den, der das Geschick der Menschen leitet.«



»Allemal, der liebe Jott verläßt keenen Berliner nich.«



Sie erreichten ihre Heimstätte und suchten nach dem ereignisvollen Tag Ruhe im Schlaf.





Der Sohn des Radscha



Zwei Tage vergingen. Der Fremde ließ sich nicht sehen, obgleich Früchte und Wild, welche die Jünglinge vor der Höhle fanden, von seiner andauernden Fürsorge zeugten.



Als Henrik am Morgen des dritten Tages von dem Berg, auf welchem er wiederum vergeblich nach dem Schiff ausgeschaut hatte, zur Küste zurückkehrte, sah er mit Erstaunen eine Schar Inder am Strand, und in der Bucht ein zweimastiges, nach Schonerart getakeltes Fahrzeug vor Anker liegen, welches sichtlich eine starke Bemannung an Bord führte.



Voll Verwunderung fiel sein Auge auf einen jungen Mann von gebietender Haltung, welcher nicht weniger erstaunt über Henriks Anwesenheit zu sein schien.



Die indische Tracht, das seidene Hemd von einer bunt gestickten Weste umgeben, das bauschige Unterkleid von blauer Farbe, die bis über die Knie reichenden ledernen Gamaschen hoben die schlanke Gestalt des Mannes vorteilhaft hervor. Das Haupt war von einem dunkelseidenen Tuch turbanartig umwunden und unter diesem zeigte sich ein schöngeformtes jugendliches Antlitz von jener hellen Bronzefarbe, wie sie den vornehmen Indern eigen ist. In der Hand trug er eine reichverzierte Büchse; seine dunkeln Augen ruhten fragend auf Henrik.



Fünf oder sechs ähnlich gekleidete und bewaffnete Männer standen hinter ihm, wie er verwundert auf den Europäer blickend. In weiterer Entfernung hielten mehrere Diener große Hunde an Leitriemen.



Furchtlos trat Henrik näher und grüßte.



»Wie kommst du hierher, Fremder?« fragte der junge Indier in gutem Englisch.



»Der Sturm hat mich und meinen Gefährten an diese Insel geschleudert, Herr.«



»Ist hier ein Schiff gescheitert?«



Henrik gab ausführlich an, wie er vom »Roland« getrennt wurde.



»Bist du ein Holländer?«



»Nein, ein Deutscher.«



»Oh«, im Gesicht des Indiers erschien ein freundlicher Zug, »ein Deutscher, das freut mich. Du sehnst dich von hier fort?«



»Ja, Herr, sehr. Auf mein Schiff warte ich wohl vergeblich.«



Henrik sah und fühlte, daß er einen hochstehenden Mann vor sich habe, und bewahrte deshalb eine höfliche, ehrerbietige Haltung. Dies entging dem Indier nicht, denn Leute von guter Erziehung und vornehmer Denkungsart erkennen sich sofort, welchem Volk sie auch angehören mögen, und er gewahrte seinerseits ebenfalls, daß in dem jungen Seemann ein Mann von gesellschaftlicher Bildung vor ihm stand.



»Wissen Sie, wo Sie sich befinden?«



»Ich nehme an, südwärts der Sundainseln.«



»Ganz recht. Im Norden liegt meine Heimat, die Insel Lombok, wie die Europäer sie nennen; wollen Sie und Ihr Gefährte meine Begleiter auf der Rückfahrt werden, sollen Sie mir willkommen sein.«



»Mit dem größten Dank nehme ich das an, Sir.«



»Sie werden gewiß in einem unserer Häfen ein Schiff finden, welches Sie zu einem der großen Handelsplätze bringt, von wo aus es Ihnen dann leicht werden dürfte, die Heimreise anzutreten.«



Henrik verneigte sich.



Fritz, der seit seiner Krankheit sehr viel schlief, trat in diesem Augenblick aus der Höhle und sah mit maßlosem Erstaunen auf die Inder.



»Wat is 'n det? Jotte doch, det is ja wie in die Maskerade.«



Auf einen fragenden Blick des jungen Eingeborenen erklärte Henrik, daß Fritz sein Begleiter sei.



Während dieser kurzen Unterredung hatten die Diener des Indiers an einem schattigen Platz Decken und Polster ausgebreitet und Vorbereitungen zu einem Frühstück getroffen. Durch höfliche Gebärde lud er Henrik und den Berliner ein, daran teilzunehmen.



»Du, Hamburger, wat sin denn det vor welche, det is ja wie int Märchen von Tausenduneene Nacht.«



»Sei still jetzt und setze dich bescheiden hierher. Dies ist ein vornehmer Inder, der uns von hier mit fortnehmen wird.«



»Det is sehr scheene von den messingfarbenen Herrn mit det Musselintuch um den Kopp!«



Der junge Fremde ließ sich nieder, auf seinen Wink folgten noch vier der Begleiter seinem Beispiel, und ein halbes Dutzend weißgekleideter Diener wartete auf.



In kleinen Porzellantassen reichten sie Tee und Kaffee herum. Fritz strahlte vor Vergnügen, als der Duft sich verbreitete und sagte, als er seine Tasse empfangen hatte: »Hamburger, et is richtiger Mokka ohne Zichorie.«



Der junge Indier lächelte, als er das gewahrte.



Auch Henrik war nicht wenig erfreut, nach der Diät der letzten Wochen eine Tasse vorzüglichen Tees vor sich zu haben. Während er sie langsam trank, äußerte er: »Welch ein glücklicher Zufall hat Sie an diese unbewohnte Insel geführt, Herr?«



»Oh«, sagte dieser, »kein Zufall; ich pflege dies Eiland seit einigen Jahren öfters zu besuchen, um zu jagen. Das Wild wird bei mir zu Hause immer seltener, die reißenden Tiere sind auf Lombok längst ausgerottet.«



»Darf ich fragen, ob Sie ein Angehöriger des Hinduvolkes sind?«



»Nein«, entgegnete der Gefragte lächelnd, »ich bin ein Balinese, aber wir bekennen uns zur Lehre Brahmas. Ich bin Anak Madé, der Sohn von Ratu Asem, des Radscha von Bali und Lombok.«



Einiges Erstaunen zeigte sich in Henriks Antlitz, als er erfuhr, daß ein indischer Fürstensohn ihn als Gast bewirte. Im Augenblick vermochte er nichts Gescheiteres zu sagen als: »Sie sprechen ein vortreffliches Englisch, mein Prinz.«



»Oh«, entgegnete Anak Madé, »es ist nicht verwunderlich; ich habe mehrere Jahre das Hastingskolleg in Kalkutta besucht und auch Ihren berühmten Landsmann, Professor Haug, den größten Kenner der indischen Sprachen und Literatur, dort gehört.«



Henrik erstaunte immer mehr, in dem Sohn des Fürsten einer wenig bekannten Insel einen Mann von solcher Bildung vor sich zu haben.



»Das Lob des deutschen Gelehrten aus Ihrem Mund macht mich auf meinen Landsmann stolz. Ich muß leider eingestehen, daß ich von Ihrer Heimat nur geringe Kenntnis besitze.«



Ein Schatten flog über des Prinzen Gesicht, als er erwiderte: »Ich wollte, sie wäre noch weniger bekannt. Die Herren Holländer bemühen sich eifrig, unsere innern Verhältnisse kennenzulernen, doch Ratu Asem ist nicht der Mann, ihr Wissen besonders zu vermehren. Meine Heimat Lombok oder Selapanang, wie wir sie nennen, ist dicht bevölkert, leider nicht allein von Balinesen; wir haben auch mit den mohammedanischen Sassakern zu rechnen, abgesehen von einigem malaiischem Raubgesindel. Doch wird es Ihnen von der Macht des Fürsten einen Begriff geben, wenn ich sein Heer auf achtzigtausend Mann beziffere. In meinen Begleitern sehen Sie Offiziere dieser Armee.«

 



Der Stolz des Fürsten klang unwillkürlich aus seinen Worten, als er dies sagte. Er sprach so vornehm, ruhig, daß Henrik durchaus keinen Zweifel in seine Mitteilung setzte, obgleich sie ihn, den mit den Verhältnissen Inselindiens nicht Vertrauten, sehr überraschte.



»Von solcher Machtstellung eines indischen Inselreiches hatte ich freilich keine Ahnung, mein Prinz.«



»Sie werden mich begleiten und Mataram, die Residenz meines Vaters, sehen. Wie lange weilen Sie übrigens schon hier?«



»Etwa drei Wochen.«



»Was, so lange? Ist Ihnen unser Waldmensch begegnet?«



Hoch horchte Henrik auf. »Wenn Sie den verwilderten Menschen meinen, der hier dem Tier gleich haust, ja. Auch Sie kennen ihn also?«



»Oh, seit mehreren Jahren; er ist mir sehr gewogen.«



Begierig fragte Henrik: »Wie lange mag er hier weilen, und wie kommt er hierher?«



»Das Wenige, was ich weiß, ist, daß hier vor zehn oder zwölf Jahren eine Schiffsmannschaft von Malaien ermordet worden ist, und daß der Mann vermutlich dieser Mannschaft angehört hat.«



Da Anak Madé bemerkte, daß Henrik bei diesen Worten sehr erregt wurde, fragte er: »Hat dieses Ereignis oder dieser Mensch ein besonderes Interesse für Sie?«



Der bewegte Jüngling erzählte dem Sohn des Radscha jetzt, wer er sei, sprach von seinem Vater und der wunderbaren Fügung, welche ihn durch den Waldmenschen zu dessen Grab geleitet hatte.



Ernst und teilnahmsvoll lauschte der Balinese seinen Worten.



»Das ist in der Tat eine Fügung der Gottheit. So wäre also der Unglückliche ein Gefährte Ihres beklagenswerten Vaters gewesen?«



»Es kann nicht anders sein.«



»Hat er mit Ihnen darüber gesprochen?«



»Er scheint die Fähigkeit zu sprechen eingebüßt zu haben, er stammelte nur einige Laute, aber er nannte deutlich meines Vaters Namen.«



»Es ist richtig, er spricht nicht. Ich kenne ihn seit vier Jahren, und er hat mich bei meinem ersten Besuch hier dadurch verpflichtet, daß er eine äußerst gefährliche Schlange aus meinem Weg räumte. Wir haben später versucht, ihn mit uns zu führen, um ihn den Seinigen wiederzugeben, aber der Versuch mißlang; er entfloh in die Wälder, ehe wir ihn an Bord bringen konnten. Geschenke an Kleidern und Waffen wies er zurück; er scheint sich als Waldmensch wohler zu fühlen als in der Zivilisation.«



Fritz, für den diese Unterhaltung unverständlich war, hatte sich mit lobenswertem Eifer der Vertilgung verschiedener Tassen des vorzüglichen Kaffees wie besonders der umhergebotenen Süßigkeiten und des Reisbrotes hingegeben, auch einige lecker bereitete kalte Fleischspeisen nicht verschmäht.



Als jetzt der Dialog zwischen Anak Madé und Henrik ein Ende nahm, sagte er: »Du, Hamburger, det war aber jottvoll; die wilden Menschen hier aus 'n Bilderbuch verstehn wat Jutes zu pappen, da laß ick sogar Kotelett mit Makkaroni vor stehn.«



»Das sind keine wilden Menschen, Fritz. Der junge Herr, der uns als seine Gäste bewirtet, hat studiert und ist außerdem ein Prinz.«



Fritz machte große Augen.



»Een Prinz, een richtiger zitronenfarbener Prinz? Na, det jeht aber über jeden Robinson.«



»Vergiß deshalb nicht, ihn mit der gebührenden Achtung zu behandeln.«



»Natürlich nich, vor Prinzen habe ick immer den jrößten Respekt, besonders wenn se wat druff jehn lassen. Ne, Hamburger, der jelbe Mann sieht janz reputierlich aus, un ick werde ihn jehörig ästimieren; hoffentlich kommt et ihm uff ne Handvoll Diamanten nich an. In Tausenduneene Nacht kriegen arme, jute Jungen immer so'n Präsent von de Märchenprinzen.«



Henrik lachte, und als Anak Madé ihn fragte, was der blasse Mensch Drolliges gesagt habe, verdolmetschte er es ihm, so gut es anging, und der Sohn des Radscha lachte auch und nickte Fritz freundlich zu.



Das Frühstück, bei dem Reis in verschiedenen Zubereitungen, kalter Braten und Süßigkeiten die Hauptbestandteile bildeten, wurde durch den Prinzen beendet, indem er sich erhob. Alle andern folgten seinem Beispiel.



»Wollen Sie mich auf die Jagd begleiten?« fragte er Henrik.



Dieser lehnte es ab, da er zur Jagd in diesen Wäldern nicht ausgerüstet sei und seinen noch leidenden Gefährten nicht allein lassen wolle.



»Ich kehre«, sagte der Inder, »am Abend noch oder am nächsten Morgen zur Heimat zurück, Sie und Ihr Begleiter sind mir als Gäste willkommen.«



Er grüßte, indem er mit der flachen Hand die Stirne berührte und ging mit seinem Jagdgefolge davon, während noch eine starke Mannschaft auf dem Schiff zurückblieb. Das Fahrzeug führte, wie Henrik jetzt erst bemerkte, sechs Kanonen.



Er war über diese Begegnung unendlich glücklich, denn so gab sich die Möglichkeit, ihn und Fritz aus unfreiwilliger Gefangenschaft in den großen Strom des Lebens zurückzuführen. Auf die Ankunft des »Roland« rechnete er nicht mehr. Da an Findlings aufrichtiger Teilnahme an ihrem Geschick nicht zu zweifeln war, lag der betrübende Gedanke nahe, daß dem Schiff ein Unglück zugestoßen sei.



Der vornehme Inder hatte ihm sehr gefallen und er vertraute sich ihm rückhaltlos an. Sinnend zu ihrer Behausung zurückkehrend, fand er am Eingang der Höhle ein Notizbuch liegen, welches freilich arg beschädigt war. Überrascht und begierig nahm er es empor und schlug es auf. Die ihm wohlbekannte Handschrift seines Vaters leuchtete ihm entgegen.



Er fühlte, wie das Blut ihm zu Herzen drang und ließ das Buch sinken. Rasch aber überwand er die Aufregung und begann zu lesen. Er war allein, denn Fritz hatte nach dem reichlichen Frühstück das Lager aufgesucht. Das kleine Buch war fast zerstört, Wind und Wetter hatten ihm sehr zugesetzt. In Rührung, ja in leidenschaftlicher Erregung durchblätterte er es und überflog den Inhalt der zerrissenen Seiten.



Da waren Notizen, Handelsgeschäfte betreffend, und solche, die für das spätere Eintragen ins Logbuch berechnet waren, aber alle verstümmelt. Tränen traten ihm in die Augen, als er las: »Gestern nach Hause geschrieben – Muscheln für Henrik.« Dann kamen andere Eintragungen: »Schlimmes Wetter. Stenge fort. Werde durch Lombokstraße gehn.« Und endlich: »Wenn ein Mensch dies findet – der Malaie – Singapor an Bord – Falle gelockt – todwund – keine Rettung – Gott sei mir gnädig – – – liebe Stinning – Henrik –«



Er schluchzte wie ein Kind, als er hier sah, wie der Vater noch im letzten Augenblick an die Mutter, an ihn gedacht hatte. Wie hatte er seinen Untergang gefunden? Wer war der Malaie, der offenbar schon in der Inschrift an der Höhlenwand des Waldmenschen erwähnt war? O wenn der letztere doch reden könnte!



Er warf sich auf sein Lager und weinte sich aus. Als endlich sein Herz ruhiger schlug, die Erschütterung seines ganzen Wesens sich weniger fühlbar machte, erhob er sich und ging hinaus. In der Bucht schaukelte das schmucke Fahrzeug des Balinesen, das mit großer Sorgfalt getakelt war. Er begab sich in der Jolle an Bord, wo er in dem Befehlshaber einen Engländer fand, der, ehemals Steuermann auf einem Indienfahrer, jetzt in Diensten des Radscha von Lombok stand. Er trug ebenfalls indische Tracht und empfing Henrik freundlich. Nachdem er sich nach den Umständen erkundigt, die diesen hierhergeführt hatten, gab er Henrik den Trost, daß er von Lombok aus leicht Gelegenheit finden würde, die Heimreise anzutreten.



Während sie noch plauderten, erscholl ein gellender Schrei vom Wald her. Aller Augen wandten sich dorthin und erblickten den Waldmenschen, der mit unbegreiflicher Schnelligkeit, in gewaltigen Sprüngen auf das Ufer zueilte. Dort lag ein Boot des Schoners, er sprang hinein, ergriff einen Riemen und trieb es mit aller Kraft auf das Schiff zu. Im nächsten Augenblick stand er, mit rollenden Augen und zornigem Gesicht, schweratmend an Deck.



Einige von der Mannschaft hatten ihn früher schon gesehen, die meisten indessen nicht, ebensowenig der Kapitän. Der staunte die sonderbare Erscheinung verwundert an.



Der Wilde kam rasch auf ihn und Henrik zu. Einige unartikulierte Laute drangen aus seinem Mund hervor. Der Kapitän und Henrik fühlten, daß der Mann leidenschaftlich erregt war, daß er etwas mitteilen wollte und es nicht vermochte.



»Wer ist das?«



Henrik erklärte es dem Kapitän mit einigen Worten.



Die Aufregung des Wilden wurde größer, er deutete auf die Segel, den Anker, die Kanonen, dann nach Osten, und Henrik glaubte die Worte zu verstehen: »Gefahr – Malaien – totschlagen.«



Verwundert sah der Engländer Henrik an.



»Es bedroht den Prinzen jedenfalls eine Gefahr, und zwar von Malaien, er fordert uns auf, ihm mit dem Schiff Hilfe zu bringen.«



Der Kapitän erschrak.



Jetzt schien es, als ob aus weiter Ferne her Gewehrfeuer tönte.



»Ist der Mann gesunden Geisteszustandes?« fragte Blake zweifelnd.



»Jedenfalls nicht unfähig, eine Gefahr, welche den Prinzen bedroht, einzusehen und zu melden.«



Mr. Blake wurde sehr unruhig, denn das ferne Flintenfeuer, welches nicht nach Jagdschüssen klang, die Erwähnung von Malaien, der Piraten des Sundaarchipels, machten ihn um seinen jungen Gebieter besorgt.



Er rief den ältesten der Balinesen an und beriet mit diesem. Die Erregung des nackten Menschen nahm zu; es war jetzt jedem klar, daß er aufforderte nach Osten zu segeln, auch die Mannschaft wurde nachgerade sehr erregt.



»Aber angenommen, es bedrohe Anak Madé eine Gefahr, wenn er nun hierher kommt und das Schiff nicht findet?« äußerte Blake zu Henrik.



»Lassen Sie meine Jolle mit einigen Leuten hier, Sir; sie genügt, um ihn im Fall der Not in See zu bringen.«



»Wäre es nicht richtiger, ich schickte Leute zu Land ab?«



»Viele Stunden würden sie sich, ohne genaue Kenntnis der Bodengestaltung, durch den dichten Wald mühen müssen.«



»Sie, der Sie diesen Wilden besser kennen als ich, würden also der geheimnisvollen Aufforderung folgen?«



»Ja«, sagte Henrik, »unbedingt.«



Wieder glaubte man fernes Gewehrfeuer zu hören. Dies gab den Ausschlag. Der Waldbewohner hatte schon die Speichen der Ankerwinde gefaßt und drehte sie mit der Kraft von sechs Männern. Jetzt gab der Kapitän rasche Befehle zum Ankerlichten und Segelstellen.



Während der Anker unter den Anstrengungen einiger Balinesen heraufkam, flog der Fremde, einem Affen gleich, ins Takelwerk hinauf und band das Focksegel los.



Der Kapitän ordnete mit Ruhe an, daß vier bewaffnete Leute mit der Jolle zurückbleiben sollten, um zu des Prinzen Verfügung zu stehen, wenn er zur Küste käme. Sofort gingen diese an Land.



Jetzt entschlossen, nach Osten zu steuern, gab er Befehl, alle Leinwand fallen zu lassen. Dies geschah. Die Balinesen waren geschickt, und der Wilde arbeitete gleich einem Riesen auf den Rahen; bald lief das Schiff unter allen Segeln. Dann ließ der Schiffsführer Gewehre und Säbel an die Mannschaft verteilen und zur großen Befriedigung des Waldmenschen die Kanonen, sechs leichte Bronzegeschütze, schußfertig machen.



Das Schiff lief mit einer Geschwindigkeit von etwa sieben Knoten an der Insel hin.



»Was kann dem Sohn des Radscha begegnet sein, Herr?« wagte Henrik den Kapitän zu fragen.



Besorgt erwiderte dieser: »Die politischen Verhältnisse auf Lombok sind ziemlich verwickelt. Die Balinesen sind der herrschende Stamm dort, aber die zahlreiche Urbevölkerung der Insel, die Sassaker, hassen ihre Unterdrücker und besonders das herrschende Fürstengeschlecht. Ich fürchte, es ist ein Anschlag auf Anak Madé im Werk, der von eben dieser Seite ausgeht. Nur eine solche Befürchtung konnte mich bewegen, meinen Ankerplatz zu verlassen. Der Verrückte mag mit seiner Aufforderung recht haben; die Wälder sind schwer passierbar, und die Feinde des Prinzen folgten uns natürlich zu Schiff. Gott gebe, daß dem so ist und wir noch zur rechten Zeit kommen!«



Henrik begriff nach dieser Auseinandersetzung erst, welcher Art die Gefahr war, die den Prinzen bedrohte.



Lautlos stand alles an Bord. Wiederum vernahm man Büchsenfeuer.



Das Schiff war ein trefflicher Segler. Der Inselbewohner, welcher, eine Weile von den Balinesen sowohl seiner abenteuerlichen Erscheinung halber, als wegen seiner seemännischen Geschicklichkeit und außerordentlichen Kraft angestaunt, am Vorderdeck gestanden und ausgelugt hatte, kam jetzt nach hinten und deutete auf eine scharf vorspringende Meerzunge nach vorn hin. Verständlich, wenn auch leise und mühsam, sagte er: »Dort!« und deutete zugleich auf die obern Segel, mit dieser Gebärde auffordernd, sie einzuholen.

 



»Was meint er?« wandte sich der Engländer an Henrik.



»Ich vermute, die Gefahr birgt sich hinter jener Landzunge, und er möchte Segel geborgen sehen, um die Fahrgeschwindigkeit zu mäßigen. Auch sind wir bald am Ende der Insel, Herr.«



Der Kapitän, der des Balinesischen, wie es schien, genügend Herr war, ließ die übrigens recht geschickten braunen Matrosen aufentern und alle obere Leinwand einnehmen.



Mit verminderter Fahrt steuerten sie längs des Vorsprungs eine Weile dahin und sahen, daß vor ihnen, in Kanonenschußweite, ein einmastiges Fahrzeug von jener Form ankerte, deren sich die Malaien in diesen Gewässern bedienen. Als der Schoner sichtbar wurde, zeigte sich an dessen Bord ein lebendiges Treiben.



Der Engländer ließ die Flagge des Radscha hissen und befahl, die drei Steuerbordgeschütze zu bemannen.



Von der Prau her tönte ein Kanonenschuß, doch schien es nur ein Signalschuß zu sein. Das Glas zeigte, daß das Fahrzeug nur ein altes Geschütz an Deck führte.



Sie kamen näher, das Leben an Deck des fremden Fahrzeuges mehrte sich, eilig stieß auch von dort ein Boot nach dem Land ab.



Der Kapitän befahl seinen Kanonieren, gemeinsam auf den Mast zu zielen und ließ Feuer geben. Die Geschütze waren gut gerichtet gewesen, denn gleich darauf neigte sich der Mast und kam, unter wildem Geschrei der Bemannung der Prau, nach vorn nieder.



»So«, sagte Mr. Blake, das war des Engländers Name, »der wird uns nicht mehr entwischen! Es ist eine malaiische Prau«, fuhr er fort, »aber was nun?«



Sie waren jetzt in Büchsenschußweite von dem Fahrzeug entfernt, und einige Flinten wurden von dort aus auf sie abgefeuert, verfehlten jedoch ihr Ziel.



Die Balinesen erwiderten das Feuer sofort, und es mußte nicht ohne Wirkung geblieben sein, denn Schmerzensgeheul antwortete den Schüssen.



»Was nun?« fragte Blake den Wilden. Dieser mußte die Worte verstanden haben oder aus dem Ton auf ihren Inhalt schließen, er deutete auf das Land: »Dort – helfen!«



Die Worte waren deutsch. Ehe sie Henrik noch übersetzen konnte, sprang der Waldmensch über Bord und schwamm, seine Keule mit sich führend, wie ein Delphin durchs Wasser.



Aus dem Wald, der hier die Hügel krönte, krachten Büchsenschüsse.



Entschlossen befahl der Kapitän dem größern Teil der Mannschaft, in den zwei Booten, welche der Schoner im Schlepptau hatte, an Land zu gehen, während der Steuermann mit den Zurückbleibenden unter leichtem Tuch kreuzen sollte.



Er selbst ergriff eine Büchse und stieg ins Boot; Henrik, der schon früher eine Waffe zur Hand genommen hatte, folgte ihm. In zwei Minuten waren sie an Land.



»Es ist sicher«, äußerte Mr. Blake, »daß sie Anak Madé überfallen haben, diese malaiischen Schurken, und wir müssen um so vorsichtiger vorgehen, als wir die Stärke des Feindes nicht kennen.« In diesem Sinn instruierte er seine Leute. »Wäre nur das Subjekt hier, welches uns hergerufen hat.«



Die ganze Bemannung der Prau, es mochten dreißig bis vierzig Menschen sein, sprang jetzt über Bord und schwamm dem Land zu. Der Balinese aber, welcher nun den Schoner kommandierte und ebenfalls das ganze Bewußtsein der Gefahr hatte, welche Madé, den einstigen Beherrscher und Liebling seines Volkes bedrohte, ließ rücksichtslos die mit Traubenschüssen geladenen Kanonen auf den einen Kaufen abfeuern, der eben ans Land stieg. Der Schuß war von furchtbarer Wirkung. Mehr als die Hälfte der halbnackten Malaien sank tot oder verwundet zu Boden, die andern verschwanden im Wald.



»Gut gemacht, Ayung«, sagte der Engländer, »das erspart uns Arbeit.«



Aus den Büschen tauchte der Waldmensch auf und winkte. Auf den Befehl Blakes gingen die Balinesen, welche sämtlich gute Büchsen trugen, in einer Schützenlinie vor, während der Wilde die Richtung angab und Bahn durch das Unterholz brach.



Unter furchtbaren Anstrengungen wandten sie sich durch den Urwald, Henrik an der Seite des Kapitäns.



Jetzt hörten sie ganz nahe Büchsenfeuer und wildes Geschrei.



Der Wald wurde lichter, und gleich darauf sahen sie eine mit Felsgestein durchsetzte Grasfläche vor sich, auf welcher einige dreißig braune, halbnackte Gesellen lagen und eine Höhle beschossen, aus welcher das Feuer