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Der Letzte vom "Admiral"

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Der Mann schien dem Klang zu lauschen und saß noch horchend da, als die Laute längst verhallt waren. Trotz der braunen Hautfarbe des fremden Wesens schien es Henrik doch, als ob er einen Weißen vor sich habe.

Jetzt fiel ihm ein, daß der Mann wohl schwerlich Deutsch verstehen werde, und er wiederholte seine Frage Englisch.

Der Fremde schüttelte das Haupt, nicht als Antwort, sondern als ob er nicht verstanden habe, während seine hellen Augen fortwährend mit offenbarem Vergnügen auf Henriks jugendliches Gesicht gerichtet waren. Und wieder fragte Henrik in deutscher Sprache: »Bist du auf dieser Insel heimisch?«

Und wieder lauschte hiernach der Fremde, das Haupt neigend und wohlgefällig vor sich hinblickend, als ob Töne aus weiter Ferne angenehm sein Ohr umschmeichelten. Dann erhob er sich und schritt auf den jungen Mann zu, ganz nahe blieb er vor ihm stehen und blickte ihm ins Gesicht. Henrik konnte ein Gefühl der Furcht und des Widerwillens nicht bemeistern, als er des wunderlichen Wesens Antlitz so nahe vor sich sah, und doch versöhnten die guten, blauen Augen mit dem wenig erfreulichen Anblick.

Der fremde Mann – Henrik erkannte jetzt deutlich, daß er einen Europäer vor sich hatte, den die Tropensonne, Wind und Wetter gebräunt hatten – hob langsam die Hand und streichelte zärtlich des Jünglings Schulter, so wie man ein kleines Kind zu streicheln pflegt.

Plötzlich horchte er auf, Fritz sang wieder in seinen Fieberphantasien. Der Wilde, in dessen Augen etwas auf geistige Störung zu deuten schien, schlich geräuschlos wie ein Waldtier zur Höhle, schaute hinein und trat dann ein. Beim Lager des Kranken blieb er stehen. Henrik war ihm gefolgt und stand neben ihm. Zum Erstaunen des Jünglings faßte der Mann, dessen Gesicht und nackter Körper, wie sich bei näherer Betrachtung zeigte, manche Narbe aufwies, nach Fritzens Hand und fühlte nach dem Puls. Ebenso befühlte er seine Stirn. Hierauf ging er hinaus und lief mit einer unbeschreiblichen Schnelligkeit nach dem Wald, in welchem er verschwand. Ehe Henrik noch eine Erklärung dieses Gebarens finden konnte, kehrte jener schon wieder zurück, ein Bündel Pflanzen in der Hand und den Mund mit deren Blättern gefüllt, die er eifrig kaute. Er trat wieder zu dem Lager und schob, ehe Henrik es verhindern konnte, das, was er kaute, dem Berliner in den Mund.

Das Bündel Pflanzen, welches er in der Hand führte, legte er sorgfältig neben das Mooslager nieder. Der bewußtlose Schneider ließ sich das Tun des Mannes ruhig gefallen. Dieser ging wieder hinaus, trat an den Bach und betrachtete lange, und wie es schien nachdenklich, die dort liegende Jolle.

Dann sah er wieder Henrik an und stets lag, so oft er das tat, derselbe Schimmer von Freundlichkeit in seinem Auge, der den Jüngling mit seinem abschreckenden Äußern versöhnte. Er nahm hierauf seinen keulenartigen Stock auf und ging in den Wald.

»Was war das«, fragte sich Henrik, »ein verwilderter, zum Urzustand zurückgekehrter Mensch? Ein Wahnsinniger, der hier einem Tier gleich sein Leben fristet?« Trotzdem viel Güte in des Geschöpfes Tun ihm gegenüber lag, war es doch ein höchst unheimliches, widerwärtiges Wesen. Ein Laut war nicht über seine Lippen gekommen.

Henrik streifte dann den Tiger ab und trug das Fell zur Höhle, um es dort an der Sonne trocknen zu lassen, nachdem er es fest ausgespannt hatte. Nach Fritz sehend, fand er diesen ruhig schlummernd vor. Der Tag schlich hin und der Abend brachte durch den Umblick vom Berg keine Hoffnung auf baldige Erlösung von dieser Insel durch den »Roland«. Da ganz augenscheinlich durch die von dem wilden Mann gebrachten Kräuter der Zustand Fritzens gebessert worden war, zögerte Henrik nicht, ihm eine Anzahl von deren Blätter in den Mund zu stecken, die der Kranke mechanisch kaute.

Am andern Morgen fand Henrik vor der Höhle zwei erlegte hühnerartige Vögel, eine Anzahl Eier und ein Dutzend der Orange ähnliche Früchte vor, dazu, wiederum frisch gepflückt, Kraut von der Art, wie es gestern der Wilde geholt hatte. Diese Geschenke machten Henrik an und für sich Freude, er freute sich auch über die fürsorgende Gesinnung des Mannes, der sie gespendet.

Fritz befand sich entschieden viel wohler. Das Fieber hatte nachgelassen und ein leichter Schweiß perlte auf seiner Stirn; er schlief immer noch fest, atmete aber ruhig.

Henrik setzte die Kur mit den heilenden Kräutern fort.

Traurig kam er von seiner Umschau über das Meer zurück, nichts vom »Roland« war zu sehen.

Spät am Tag erschien der wilde Mann, kauerte sich in der Nähe Henriks nieder und blickte ihn unverwandt an.

»Dir, mein Freund, verdanken wir die uns so wertvollen Geschenke, du bist so gut mit uns armen, an diese Insel verschlagenen Menschen. Gott lohne es dir.«

Als der Fremde, der mit Wohlbehagen den Worten zu lauschen schien, schwieg, fuhr er fort: »Die Kräuter, die du gebracht hast, haben Wunder gewirkt, mein Freund befindet sich bereits viel wohler.«

Nach einiger Zeit ging der Wilde in die Höhle, betrachtete Fritze, befühlte seine Stirn und ließ dann rauhe Laute hören, welche wohl seine Befriedigung ausdrücken sollten.

Er schritt dann wieder hinaus, und zwar zu der Jolle, die er, wie gestern, lange nachdenklich betrachtete. Hiernach entfernte er sich. Drei Tage vergingen, nichts zeigte sich vom »Roland«. Aber jeden Morgen fand Henrik Wild und Früchte vor der Höhle, täglich erschien der verwilderte Mann, sah lange und freundlich Henrik an, lauschte mit unverkennbarem Wohlgefallen dessen Worten, betrachtete die Jolle und entfernte sich schweigend, wie er gekommen war. Dem Kranken war das Bewußtsein zurückgekehrt, er hatte Nahrung zu sich genommen und befand sich entschieden im Zustand der Genesung. Doch war er sehr schwach. »Wenn ick jetzt eene Tasse Mokka von Muttern hier hätte un eene Schrippe, denn wär ick janz zufrieden«, hatte er erklärt.

Auf seine Erkundigung, wie denn nu die »Aktien stünden«, hatte ihm Henrik mitteilen müssen, daß die Hoffnung auf das Erscheinen des »Roland« sich bis jetzt noch nicht verwirklicht habe.

»Det der nich wiederkommt, wußte ich ja, den wird et ooch wie den ›Goliath‹ jejangen sind. Ick sage dir, Hamburger, wir können hier unsere Jahre absitzen, det is immer so in alle Jeschichten.«

Henrik, den der Gedanke, daß der »Roland« untergegangen sein könne, sehr erschreckte, faßte sich endlich und erwiderte ihm, daß, wenn das Schiff in gemessener Zeit nicht erschiene, er nach Norden segeln wolle, wo sich Land zeige. Von dort würde es nicht schwierig sein, einen Hafen der Sundainseln zu erreichen. Sehr erstaunt war Fritze, als ihm Kunde von dem Erscheinen des sonderbaren Mannes ward, der auf der Insel heimisch zu sein schien.

Als der Genesende spät am Tag von einem Schlaf erwachte, fiel sein Auge auf die wilde, fremdartige Gestalt, welche unweit seines Lagers saß. Er rieb sich die Augen und starrte von neuem verwundert darauf hin.

»Na nu?« wandte er sich dann an Henrik. »Wat is denn det vorn Jebilde?«

Henrik sagte ihm, es sei ihr geheimnisvoller Freund.

»Na, so wat – ach Jotte doch, det is ooch 'n Menschenbruder? Na, der is aber scheene runterjekommen, von die zivilisierte Politur is nich mehr ville da.«

»Der Mann hat dir jedenfalls das Leben gerettet, Fritze.«

Der Schneider sah den Wilden hiernach freundlicher an und sagte: »Det war scheene von Ihnen, wertester, wilder Menschenbruder, un ick bedanke mir ooch bei Ihnen.«

Er streckte dem Mann trotz des Widerwillens, welches ihm sein Äußeres einflößte, die Hand hin, und dieser ergriff sie, schüttelte sie, und nickte mehrmals mit einem Ausdruck in den rauhen Zügen, der eine schwache Freude ausdrückte.

»Wat vorn Landsmann sin Sie denn?«

Wiederum nickte der Mann.

»Na, Hamburger, vor 't ville Reden scheint unser unfrisierter Freund mit de Pelzmantille um de Taille nich zu sind.«

»Er hat bis jetzt noch kein Wort gesprochen.«

»Also eener von de Stillen? Ooch jut. Von de Schneiderkunst scheint er nich ville zu halten, seinem Negligé nach zu schließen.«

Henrik freute sich, daß der Jüngling aus der Reezengasse seine gute Laune wieder gefunden hatte, und nickte ihm lächelnd zu.

»Ick, Verehrtester Herr«, fuhr Fritze fort, »bin Fritze Fischer, Berlin 0, Pantinenviertel; mit wem habe ick die Ehre?«

Der Fremde nickte freundlich wie vorher.

»Et scheint ein juter Mensch zu sind, aber 'n bißchen dusemang, un von richtige Bildung hat er keene Ahnung. Un du meenst wirklich, daß det een Mann aus unsre europäische Jegend is?«

»Europäischer Abkunft ist er jedenfalls. Sieh dir nur Haar und Bart an. Die ursprüngliche Farbe ist blond, Sonne und Regen haben beiden diese unbestimmte Farbe gegeben, und die Augen sind blau.«

»Mir erinnert er stark an den Orang-Utang in'n Zoo, obgleich ick den Mann nich beleidigen will.«

Nach einiger Zeit erhob sich der Wilde, streichelte, als er beim Verlassen der Höhle an ihm vorüberging, Henriks Schulter, wie er stets zu tun pflegte, wenn er sich verabschiedete.

Als er fort war, sagte Fritz wehmütig: »Du, Hamburger, ick jloobe, wenn wir een paar Jahre hier rumgeloofen sind, werden wir jerade so aussehen wie dieser verschwiegene Herr mit det Paradieskostüm. Jib acht, det is nu endlich der richtige Robinson.«

»Sei ruhig, Fritze, wir sind hier nicht auf einer einsam im Weltmeer liegenden Insel. Unweit von uns befinden sich dichtbevölkerte Gebiete, die wir, wenn wider Erwarten der ›Roland‹ nicht zurückkehren sollte, in unserer Jolle erreichen können.«

»Der liebe Jott mag et jeben, ick will lieber solche Jeschichten lesen, als sie selbst erleben.«

Das einsame Grab

Tage vergingen, kein »Roland« zeigte sich, so sorgfältig Henrik auch vom höchsten Punkt der Insel nach ihm ausspähte, auch kein anderes Fahrzeug kam in Sicht. Der geheimnisvolle Mann erschien täglich und brachte Eier, Wild, Früchte, so daß, besonders nachdem auf Fritzens Rat die Eier in der heißen Asche geröstet wurden, die Verpflegung der beiden Leidensgenossen wenig zu wünschen übrig ließ.

 

Von Fritz war das Fieber vollständig gewichen, er entwickelte einen starken Appetit und kam rasch wieder zu Kräften.

Da die Hitze mitunter sehr drückend war, schlug ihm Henrik eines Tages eine Fahrt in der Jolle vor, um sich der kühlern Seeluft zu erfreuen, worauf der Schneider mit Freuden einging.

Als Henrik Mast, Segel und Riemen hinabtrug und das Boot segelfertig machte, war ihr schweigsamer Freund, der Waldmensch, zugegen, der diesen Vorbereitungen mit bemerkbarem Interesse folgte.

Beiden, Henrik sowohl als auch Fritze, hatte sich die Überzeugung aufgedrängt, daß der sonderbare Mensch, der entschieden nordeuropäischer Abkunft war und durch ein großes Unglück an dieses Eiland geschleudert sein mochte, gestörten Geistes sei.

Jetzt zum erstenmal, seitdem sie mit ihm zusammengetroffen waren, als der Mast stand und die Jolle segelfertig war, zeigte sich geistiges Leben in seinem Gesicht, es schien den Jünglingen, als ob mächtige Erinnerungen in ihm erwachten.

Als Fritz und Henrik ihre Plätze eingenommen hatten und eben abstoßen wollten, trat der Mann rasch ins Boot und ließ sich auf einer der Bänke nieder. Sobald Henrik den einen Riemen ergriff, nahm er den zweiten zur Hand und legte ihn in die Dolle. Henrik sah es mit Erstaunen, ließ ihn aber gewähren. Sie stießen ab, und es zeigte sich alsbald, daß der Fremde in der Handhabung des Riemens geübt genug war. Mit gleichen Schlägen trieben sie die Jolle den Bach hinab, durch die Bucht, bis sie den leichten Seewind spürten.

»Stopp!« kommandierte Henrik nach Schifferart, und augenblicklich hob der Mann den Riemen aus der Dolle; er kannte das Kommando.

Als das Segel entfaltet wurde, begab sich der Fremde nach vorn und brachte den Klüver an den Wind, mit der Sicherheit des segelkundigen Mannes. Es lag nahe genug, in dem Unglücklichen, der unter so seltsamen Umständen auf dieser einsamen und allem Anschein nach gänzlich unbewohnten Insel lebte, einen Seemann zu vermuten. Während Henrik sich am Steuer niederließ, blieb jener vorn sitzen, und sein verwildertes Antlitz trug unverkennbar den Ausdruck des Vergnügens, als sich jetzt die Jolle auf den Wellen schaukelte. Freundliche Blicke trafen die Jünglinge und mehrmals nickte er Henrik zu.

»Unsern wilden Robinson macht det Jondeln Spaß«, meinte Fritze, der sich in der frischen Seeluft selbst unendlich behaglich fühlte.

»Er ist sicher von Beruf Seemann und wird wohl lange nicht von den Wellen des Meeres geschaukelt worden sein.«

»Wenn meine Jarderobe nich in so desolatem Zustande wär, so sollte es mir uff 'n boomwollenet Hemd nich ankommen, der Mann sieht doch een bißken zu natürlich aus.«

»Ich habe es für unmöglich gehalten, daß ein Mensch, und besonders ein Europäer, in einen solchen Zustand geraten könnte. Sein körperliches Befinden scheint übrigens nichts zu wünschen übrig zu lassen.«

»Aber oben is 'ne Schraube los«, warf Fritz ein. »Ooch is der Menschenbruder stumm.«

»Wer weiß. Ein herbes Geschick muß diesen Menschen zu dem gemacht haben, was er jetzt ist.«

Henrik fuhr an der Küste entlang, die, buchtenreich und dicht bewaldet, dem Auge malerische Bilder bot. Er führte jetzt die längst gehegte Absicht aus, das Eiland, welches ihnen Zuflucht gewährt hatte, zu umsegeln, was bisher nur durch Fritzens Gesundheitszustand verhindert worden war.

Das Innere der Insel kennenzulernen, schien Henrik kaum wünschenswert, denn erstlich war dies bei der dichten tropischen Vegetation ein mühevolles Unternehmen, und ein Zusammentreffen mit eingeborenen Bewohnern war mehr zu fürchten als zu wünschen. Auch schien es geboten, ein Begegnen mit wilden Tieren bei ihrer ungenügenden Bewaffnung zu vermeiden. Das Erscheinen des Tigers hatte den jungen Leuten Respekt genug eingeflößt. Auch das täglich erwartete Erscheinen des »Roland« drängte das Interesse, das Eiland kennenzulernen, zurück. Etwas anderes war es, im sichern Boot, vor einem leichten Wind die Insel zu umsegeln.

Der Luftzug kam von Nord und war zum Segeln günstig. Als sie im Süden der Insel standen, legte Henrik um, und wieder bediente ihr Gast den Klüver und sah mit großer Aufmerksamkeit auf die Bewegung des Bootes. Langsam strich das Fahrzeug an der auch hier sehr malerischen Küste, welche an einigen Stellen kühne Felsformationen zeigte, hin. Als sie eine geräumige Bucht vor sich sahen, ostwärts, deren weißes Wasser auf Klippen deutete, wies der Fremde lebhaft und mit einladender Gebärde darauf hin.

»Meinst du, wir sollen hier landen?« fragte Henrik.

Der Mann wiederholte die Bewegung.

»Wie denkst du, Fritz, über diese Aufforderung? Ich bin diesen unbekannten, dichten Waldgebieten gegenüber nicht ganz frei von Besorgnis.«

»Ach, der Mann meent et jedenfalls jut, der wird hier sein Sommerlogis haben und uns 'n Frühstück vorsetzen wollen.«

»Also du würdest landen?«

»Der neue Robinson mit de Wildenfrisur hat sich doch bis jetzt sehr honorig jegen uns benommen, ick jloobe, da is nischt zu besorgen.«

»Nun gut, so wollen wir an Land gehen«, und er lenkte in die Bucht ein.

Der Fremde sprang aus geeigneter Entfernung ans Ufer und zog mit erstaunlicher Kraft die Jolle so weit aufs Land, daß sie fest lag.

Als Henrik das Boot solcherweise gesichert sah, folgte er, seine Flinte ergreifend, mit dem Berliner.

Der Wilde nickte beiden wohlwollend zu und schritt voran in die Areng- und Djatigebüsche. Er trug wie immer seine Keule, wie es schien seine einzige Waffe, in der Hand.

Sie hatten bald einen Saum von Büschen und Lontarpalmen durchschritten und sahen einen freien Platz vor sich, der auf felsigem Grund nur spärlichen Graswuchs zeigte. Nach der Landseite hin erhoben sich dunkle Felsen. Auf diese schritt ihr Führer zu.

Zur Überraschung der Jünglinge sank er plötzlich mit einem leisen Zischen zu Boden und winkte ihnen, ihm nachzuahmen. Ehe sie jedoch diesem Wink zu folgen vermochten, sahen sie ein großes schwarzes Tier zwischen den Steinen vorüberhuschen und rasch verschwinden.

Der Mann wandte den Kopf und zeigte mit einem Ausdruck grimmiger Freude im Gesicht nach den Felsen hin. Er hob einen Stein von der Größe einer starken Mannesfaust auf, deutete Henrik und Fritz durch eine Gebärde an, zu bleiben, wo sie waren, und kroch dann mit einer staunenswerten Behendigkeit, ganz nach der Art eines wilden Tieres, welches eine Beute beschleicht, nach den Felsen zu, zwischen deren Öffnungen er verschwand.

Nach kurzer Zeit, während die beiden noch verwundert nach dem Felsen hinüberstarrten, gewahrten sie auf deren Höhe das schwarze, katzenartige Tier, welches verstohlen darüber hinkroch. Von einem Stein getroffen, der mit außerordentlicher Kraft und Sicherheit geschleudert sein mußte, stürzte das Tier, jäh aufbrüllend, herab. In demselben Augenblick erschien der wilde Mann wieder vor dem Fels, seine Keule in der Hand. Die schwarze Katze knurrte zornig und erhob sich zum Sprung. Doch dieser zeugte nicht von der elastischen Kraft, welche diese Tiere besitzen – fünf Schritte vor dem Wilden fiel es zu Boden. Mit der Schnelligkeit einer Kanonenkugel entfuhr dessen rechter Faust die um den Kopf geschwungene Keule, als kaum die Sohlen des Tieres die Erde berührt haben konnten, und aufheulend wälzte es sich, an der Schulter getroffen, auf dem Rücken. Dann versuchte es davonzuschleichen – aber seine Bewegungen waren kraftlos. Mit einem Sprung, der dem des Tieres nichts nachgab, setzte ihm der Wilde nach, faßte seine furchtbare Keule, schleuderte sie von neuem, und mit gebrochenem Kreuz brach der Panther – es war einer der seltenen schwarzen Panther der indischen Inseln – heulend zusammen, unfähig, sich ferner zu bewegen. Die ersten Würfe hatten ihm bereits Rippen und Schulterblatt gebrochen.

Triumphierend lachte der wilde Jäger jetzt auf. Er konnte sich an Kraft, Behendigkeit und Kühnheit mit der wilden Bestie dreist messen.

Staunend hatten Henrik und Fritz die Vorgänge verfolgt, welche die gefährliche Bestie unschädlich machten. Jetzt begriff ersterer, wie ein Mensch, der auf den ursprünglichen Naturzustand zurückgesunken war, den Kampf mit der Tierwelt und dem Dasein siegreich in einem Klima führen konnte, welches in seiner Milde und fast gleichmäßigen Wärme Kleidung und Feuer entbehrlich macht. Der verwilderte Mann, dessen Geist zwar gelitten haben mußte, dessen tierische Natur und Instinkte aber um so stärker entwickelt waren, bezwang mit Waffen, wie sie nur der Urzustand der Menschheit kannte, seine tödlichen Feinde. Es lag etwas Grausiges und doch Erhebendes in diesem Kampf des Waldmenschen gegen den Panther. Es war ein Ringen zwischen wilden Geschöpfen, aber das wenn auch geringe Geistesvermögen des Menschen hatte gesiegt über die Kraft und Wildheit, über den Instinkt des Tieres.

Sie traten dem Geschöpf, welches noch lebte und sie mit tödlichem Haß aus den funkelnden gelben Augen anstarrte, näher. Neben ihm stand, auf die furchtbare Keule gestützt, ihr Führer, verächtlich auf die besiegte Katze blickend.

»Herr Jotte doch«, sagte Fritze, »wenn ick et nich jesehn hätte, ick hätte et nich jegloobt; der neue Robinson is ja noch jefährlicher wie so 'ne olle Tijerjattin. Wenn der Mann eenmal 'ne Vorstellung im Zoologischen jeben will, dann läuft janz Berlin zusammen. Ne, so wat. Et is man een Glück, det der Mensch uff uns jut zu sprechen is, ick möchte keenen mit dem Knüppel uff 'n Koppkriejen.«

»Welch staunenswerte Kraft und Geschicklichkeit du hast, mein Freund«, redete Henrik den nackten Mann an, nachdem er mit Interesse den schwarzen Panther, dessengleichen er noch nicht gesehen, betrachtet hatte.

Ob jener ihn verstand, ob nicht, er lachte auf, er lachte in höhnischem Triumph und versetzte dem gänzlich gelähmten Tier einen Fußtritt, daß es einige Schritte hinwegflog.

Erst in der Nähe gewahrte das Auge die dunkeln Flecke auf dunkelm Grunde, wie sie dem Pantherfell eigentümlich sind.

Ihr Führer winkte ihnen weiterzugehen, und den verendenden Panther liegen lassend, folgten sie dem Wilden zwischen die zerklüfteten Felsen, deren wirre, aber wie es schien, dem Mann, wohlbekannte Gänge sie in ein liebliches, kleines Tal führten, das von Gras, Büschen und vereinzelten Lontarpalmen bestanden war, durch dessen Mitte ein klares Bächlein rieselte. Es war ein friedliches, trauliches Plätzchen, zu welchem der Wilde sie geleitet hatte. Die Jünglinge blieben stehen und erfreuten sich des Anblicks. Auch ihr Begleiter hielt, als er dies bemerkte, inne, aber er schaute ernsthaft zu Boden. Nach einiger Zeit, das Haupt erhebend, deutete er mit einer gewissen Feierlichkeit auf einen sich nur wenig über die Talsohle erhebenden Kugel und schritt dann langsam darauf zu. Henrik und Fritz gingen hinter ihm her. Vor dem Erdaufwurf, man konnte die kleine Erhöhung kaum anders nennen, blieb der Mann stehen, und zu ihrer nicht geringen Überraschung gewahrten jetzt die jungen Leute, daß ein aus Holz roh gefertigtes Kreuz den mit kurzem Gras bedeckten Hügel überragte.

Ihr Führer deutete mit der Hand auf das Kreuz, während sein rauhes, gebräuntes Antlitz von tiefem Ernst überschattet war, und dann zeigte sein Finger auf den Hügel.

Es war ringsum feierlich still, und leise nur sagte Henrik: »Es ist ein Grabhügel!« Fritz Fischer nickte stumm.

»Wer mag darunter schlummern? Es ist ein Grab – und der Mann scheint es treulich zu bewachen.«

Er schwieg und schaute auf die Stätte nieder, welche, dem Kreuz nach zu schließen, die Gebeine christlicher menschlicher Wesen einschloß; sie mochten dem Fremden einst teuer gewesen sein.

»Ist es ein Grab, mein Freund?« fragte er dann den traurig dastehenden Wilden, »und hast du uns hierhergeführt, um es uns zu zeigen?«

Als er nicht antwortete, fuhr Henrik fort: »Wer schläft hier den letzten Schlaf? Ruhen hier Gefährten von dir?«

Es war nicht zu erkennen, ob Laut und Sinn der Worte ihm verständlich waren – aber er trat auf Henrik zu, schaute diesem aufmerksam in das Gesicht – streichelte mit der Hand zärtlich dessen Schulter und deutete wieder ernsthaft auf den Boden hin, da wo das Kreuz stand.

»Deine Lieben schlafen hier, nicht wahr, und du hast ihre Ruhestätte mit dem heiligen Zeichen geschmückt? Aber wenn du mich verstehst, so sage mir, wer hier begraben liegt, damit wir es in der Heimat erzählen können, wenn Gott uns Heimkehr bereitet.«

 

Der in seinem ganzen Gebaren so sonderbare Mensch ließ ein dumpfes Stöhnen hören, schmerzlich klang es aus seiner Brust empor – er sah Henrik und dann Fritz an, und seine Lippen bewegten sich, als wollte er sprechen – aber wenn es ein Versuch dazu war, so mißlang er und endete in einem tiefen Seufzer.

In der Art und Weise des Mannes, der geheimnisvollen Grabstätte, lag etwas Erschreckendes. Was mochte der Hügel bergen, an welche unheilvolle Vorgänge mahnte er, woran erinnerte der bemitleidenswerte Zustand des fast zum Tier gewordenen Menschen, in dem trotz allem der göttliche Funke noch nicht ganz verlöscht schien? Langsam wandte der Wilde sich hinweg und ging auf eine von Büschen halbverdeckte Felsöffnung zu. Henrik folgte ihm, und der Schneider, den alles, was er sah, ungewöhnlich erregte, schloß sich schweigend an. Vor dem Höhleneingang, an dem das Bächlein dicht vorüberfloß, lagen Knochen, Muschelschalen, Fischgräten, Überreste von Kokosschalen und andern Früchten. Der Mann ging in die Höhle und Henrik trat hinter ihm ein. Sie war sichtlich die Behausung des Bedauernswerten. Ein rascher Überblick zeigte in einer Ecke ein rauhes Lager von Moos und Fellen. Das schien die ganze häusliche Einrichtung des Bewohners zu sein. Einige Kokosnüsse lagen umher und die Reste einer, wie es Henrik deuchte, roh verzehrten Ente.

Der Eindruck, den Wohnung und Bewohner machten, war ein maßlos trauriger.

Henriks Auge fiel auf einen langen Bootsriemen, der von Würmern zerfressen an der Wand lehnte. Am Boden, dicht davor, lag eine verrostete Pistole, an welcher der Hahn fehlte – und neben ihr die Reste eines Seemannsstiefels. Diese Erinnerungen an die Vergangenheit der Insassen der Höhle rührten den Jüngling. Er ließ dann sein Auge über deren ziemlich glatte Wände gleiten und in jäher Überraschung traf sein Blick auf einige Silben, die in deutscher Sprache dem Fels eingegraben waren.

In großer Erregung entzifferte er: »Juli 66 – Überfall – mordet – Admiral – letzte – höllische Malaye – Gott – gnädig –.« In fieberhaftem Eifer eilte sein Auge suchend umher – doch keine weitern Schriftzeichen boten sich ihm dar. Waren die Worte einst mit einem metallenen Instrument eingegraben worden, so hatte die Zeit, die auch an den Felsen nagt, sie fast bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Die Struktur des Gesteins förderte das Abblättern.

Dem Jüngling stand fast das Herz still, als er die Schriftzeichen las. »Admiral« hieß das Fahrzeug, welches sein Vater einst befehligte, er war nimmer heimgekommen – versunken in den Wogen – verschollen unter den Menschen – doch nicht vergessen – nicht von seinem Weib – nicht von seinem Sohn.

In der furchtbarsten Aufregung faßte er die Schulter des neben ihm stehenden nackten Mannes. – »Um Jesu Christi willen – sage mir, Mensch, was bedeuten diese Worte dort?«

Der Mann nickte ernsthaft und traurig und deutete mit der Hand auf die wenigen noch lesbaren Schriftzeichen und dann zum Eingang hinaus auf den Erdhügel mit dem Kreuz.

»Antworte mir, sammle um Gottes willen deine Erinnerungen! Den, ›Admiral‹ führte mein Vater, Erich Horsa; warst du bei ihm an Bord? Hat mein Vater hier sein Ende gefunden? Ruhen seine Gebeine unter jenem Kreuz? Antworte – antworte, ich bin Henrik Horsa – der Sohn des Kapitäns.«

Ganz leise wiederholte der Wilde: »Horsa« – es war das erste Wort, welches Henrik von ihm hörte, und wie ein Hauch klang es dann aus seinem Mund nach – »tot.«

»Ja, ja – seit Jahren – tot – aber du, du warst an Bord des ›Admiral‹? Ist das dort meines Vaters Grab?«

Der Mann lauschte angestrengt den Worten, blickte ihn forschend an – und schien sehr erregt zu sein – es arbeitete gewaltig in ihm und mehrmals stöhnte er, wie von innerm Schmerz gepeinigt, aber ein Wort kam nicht über seine Lippen.

In fiebernder Angst hatte Henrik ihn beobachtet – gewünscht – gehofft – daß aus der Nacht, welche die Seele des Mannes umgab, das Licht der Erinnerung hervorbrechen möge.

Fritz Fischer war von dem allem so gerührt, daß ihm die hellen Tränen über die Wangen liefen. »Ach Jotte doch, da is aber det Ende von weg«, sagte er im Ton innigster Teilnahme leise.

Der Mann holte den fast ganz verwitterten Bootsriemen herbei, hielt ihn Henrik vor Augen und dieser las den nach Seegebrauch eingebrannten Schiffsnamen »Admiral«. Kein Zweifel, das Ruder stammte von seines Vaters Schiff. Jener setzte das Stück Holz beiseite, ging hinaus zu dem Kreuz, deutete auf die Erde und brachte in gebrochenen Tönen, mit Anstrengung die Worte hervor: »Horsa, Kapitän – tot.«

Da brach ein Tränenstrom aus Henriks Augen und unter krampfhaftem Schluchzen stürzte er zur Erde nieder und faßte in das Gras. »O Vater, mein lieber, lieber Vater!«

Lange lag er so.

Der braune nackte Mann sah auf ihn nieder und atmete schwer; Fritz Fischer wischte sich ein über das andere Mal die Augen mit dem Ärmel und Zipfel seiner Matrosenjacke.

Endlich legte sich der gewaltige Sturm in Henriks Brust – die Tränen flossen ruhiger – er richtete das Haupt auf und sah auf den Wilden, auf den gerührten Schneider.

Dann reichte er jenem die Hand: »Du Armer – du Letzter vom ›Admiral‹, du hast meinen teuren Vater der Erde übergeben – sein Grab bereitet und treu bewacht – wie danke ich dir. Mann – wie danke ich dir!«

Der Mann nickte, eine seltene Freundlichkeit leuchtete aus seinen Augen, er streichelte Henriks Wange: »Oh, Horsa – gut.«

Der tiefbewegte Schneider trat zu Henrik und legte den Arm um seine Schultern, immer noch flossen seine Tränen. »Fasse dir, Hamburger.«

»Oh, Fritz, hier ruhen meines Vaters Gebeine, eine wunderbare Fügung hat mich zu seiner Ruhestatt geführt.«

»Et is zu rührend – et is janz kolossal.«

Aus des Schneiders blassem, sonst so drolligen Gesicht sprach aufrichtiges Mitgefühl. »Fasse dir.«

Von seinen Gefühlen überwältigt, schwieg Henrik und drückte Fritz nur die Hand.

»Der nackte Mann muß doch nich janz meschugge sind, weil er sich so jut uff allens erinnert.«

»Welch furchtbares Schicksal mag hier gewaltet haben, um meinen armen Vater mit seinen Gefährten in den Tod zu reißen.«

Der Mann ging rasch nach der Felswand und entnahm einer Vertiefung zwei menschliche Schädel, die er funkelnden Blickes Henrik vor Augen hielt. Er deutete auf große Zersplitterungen der Knochen, die wohl von wuchtigen Streichen herrühren mochten, und stieß ein so wildes Gelächter aus, daß die Jünglinge schauderten. Die Felsen hallten das entsetzliche Lachen wider. Verächtlich warf er dann die Schädel beiseite.

»So ist mein Vater ermordet worden?«

Der wilde Mann schwang mit den magern sehnigen Armen die Keule empor, in Haltung, Blick und Gesichtsausdruck furchtbaren todbringenden Zorn widerspiegelnd.

»Du hast seinen Tod gerächt?«

Wieder lachte der grimmige Mann, wie vorher.

Die Sonne schien hernieder auf das stille Tal der einsamen Insel, der Wind flüsterte in den Blättern der Palmen, und das Bächlein rauschte sein eintönig Lied. Henrik deuchte es ein weihevoller Grabgesang, der dem teuren Toten galt. Tief erschüttert weilten die beiden Jünglinge an dem Grab dessen, der vor Jahren hier einen geheimnisvollen Tod gefunden, weilte der Sohn an des Vaters letzter Ruhestatt – und der einzige Zeuge der letzten furchtbaren Katastrophe stand stumm, einem Dämon der Rache gleich, zu des Grabes Häupten.

Es verging Zeit, ehe sich Henrik zu der Frage ermannte: »Ist nichts mehr vorhanden, was an meinen Vater, an Kapitän Horsa, erinnert?« setzte er, damit ihn der aufmerksam Lauschende besser verstehen sollte, hinzu.

Der so Angeredete blickte ihn forschend an. Er schien die Laute nur schwer zu fassen.

»Sind nicht Kleider, Waffen, Papiere vom Kapitän Horsa, Bark, ›Admiral‹, noch da? Besinne dich.«