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Der Letzte vom "Admiral"

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Henrik war ein überaus kräftiger Jüngling, geübt, ein Boot auch in rauhem Wetter zu führen, und hielt das Steuer mit eherner Kraft. Doch nie hatte er bis jetzt eine solche See im Boot befahren, und auch der »Roland« war bisher immer von gutem Wetter begünstigt worden. Er wußte, daß sie rettungslos verloren waren, wenn die Jolle einen Augenblick außer Fahrt kam, die nächste Welle hätte sich mit aller Wucht daraufgestürzt und sie versenkt. Ja er wußte, daß, wenn das Boot in seiner Schnelligkeit nachließ, er Wasser von achtern bekommen würde, was ebenfalls Vernichtung bedeutete. Gern hätte er gewendet, wiederum die schützende Bucht der Insel zu suchen; das war ein vergeblicher Wunsch, denn nie konnte die Jolle bei diesem Luftzug am Wind fahren, sie konnte nur von ihm ablaufen. In steigender Verzweiflung sagte er sich, daß es bei diesem Wellengang ganz unmöglich sein würde, an Bord zu gelangen – da – sein Herz bebte krampfhaft zusammen – der »Roland« hatte vor dem ausbrechenden Sturm wenden müssen und lief jetzt gleichfalls vor dem Wind ab, sich mit jeder Sekunde weiter von ihnen entfernend. Diese Bewegung des Schiffes, durch die eherne Notwendigkeit erzwungen, glich einem Todesurteil für die Jünglinge. Aber Henrik war von jener kühnen deutschen Art, die auch in drohender Gefahr des Unterganges nicht verzweifelt. Mit immer gleicher Ruhe, Kraft und Geschicklichkeit steuerte er das Boot durch die schäumenden Wellen, dem brausenden Sturm Trotz bietend.



Die Jolle hielt sich unter ihrem Steuermann wundervoll. Während das ausdrucksvolle Gesicht Henriks einen Zug jenes Mutes verriet, der sich vor nichts fürchtet und trotzig den gebotenen Kampf aufnimmt, saß Fritz Fischer blaß neben ihm, merkbar zitternd. Jetzt nahm die Jolle Wasser auf. Da warf sich Fritz auf die Knie und betete laut. Henrik aber herrschte ihn an: »Bete im Herzen und schöpfe das Wasser aus.«



Und gehorsam begann der Schneider das Wasser mit dem im Boot befindlichen Gefäß und seiner Wachstuchmütze auszuschöpfen. Die Wolken hingen so dunkel hernieder, die Luft war so voll Sprüh und Gischt, daß das Auge kaum hundert Schritt weit sehen konnte.



Stunde auf Stunde verrann, und nach wie vor jagte die Jolle in wilder Eile vor dem Sturm her, jeden Augenblick in Gefahr, den Wind von der Seite zu bekommen, sobald sie sich aus einem Wellental, wo sie für kurze Zeit den Wind verlor, wieder erhob. Aber Henrik hatte nicht vergeblich seine Studien in den wilden, kurzen Wellen der Nordsee gemacht, und stetig gelang es ihm, dieser Gefahr mit starkem Arm zu begegnen. Fritz schöpfte Wasser und betete still, Henriks ganzes Denken war von der Lage des Fahrzeugs in Anspruch genommen.



Hoch erhob es sich auf einer Welle und, da – schattenhaft zeigte sich zu seiner Linken Land. Mit kräftiger Hand drückte Henrik das Steuer nieder und ließ die Jolle zwei, drei Strich der Küste sich zuwenden; er wollte das Segel schärfer anziehen, aber er vermochte es nicht – er durfte das Steuer nicht loslassen – aber sie näherten sich dem Land – schon war die Küstenbildung deutlicher zu erkennen. Noch einmal wagte er es, das Steuer herabzudrücken, der Bug richtete sich schärfer auf das Land, sie kamen näher. Fritze stöhnte, denn das Boot nahm mehr Wasser auf als vorher, aber mit der Kraft der Verzweiflung schöpfte er es aus. Bis auf zwanzig Schritt waren sie dem Ufer nahegekommen und jagten daran hin, doch an ein Landen war nicht zu denken, die Brandung war zu stark. Eine scharfe Landzunge zeigte sich dem Blick, leewärts, hinter dieser war das Wasser ruhig – mußte es ruhig sein – lange konnte sich das Boot nicht mehr halten.



Henrik hielt nahe auf die Spitze zu – in ihrer Höhe ließ er das Segel flattern und riß mit aller Kraft das Ruder backbord. Wie ein Kreisel gehorchte die Jolle – wendete – und lag gleich darauf in dem verhältnismäßig ruhigen Wasser einer kleinen geschützten Bucht. An einem Schilfsaum glitt sie hin; Henrik faßte die starken Halme, trieb das Boot in das Schilf hinein – und fast bewegungslos lag die Jolle da.



»Gott sei Dank!« sagte Henrik aus der Tiefe seines Herzens.



»Ja«, wiederholte Fritze in vor Erregung zitterndem Ton, »ja, Jott sei Dank – det war ne scheene Jondelfahrt mit die Schöpfkelle.«



Der Sturmwind fuhr über die Geretteten hin, sauste in den Bäumen hoch über ihnen einher, das Geräusch der Brandungswellen drang zu ihren Ohren, aber hier lagen sie sicher.



Endlich sagte Fritz: »Wat nu, Hamburger?«



»Komm, wir wollen das Wasser ausschöpfen und dann an Land gehen.«



Sie taten um so eifriger, was er sagte, da sie beide von oben bis unten durchnäßt waren und fröstelten; bald war die Jolle leer.



Der Sturm schien nachzulassen, wenigstens drang das Geräusch von Wellenbrausen und Rauschen in den Lüften schwächer zu ihnen, auch der Himmel schien sich aufzuheitern. Statt sich mühsam durch das dichte Schilf nach dem Land hinzuarbeiten, trieb Henrik das Boot wieder in die Bucht hinaus, die, vor dem Wind vollständig geschützt, nur leichte Bewegung der Wasserfläche zeigte. Ein Blick auf das Meer lehrte, daß die Wellen bereits niedriger gingen und die Luft fast klar war. Deutlicher sahen sie, welch ein anmutiger Nothafen sich ihnen aufgetan hatte! Die Bucht war schmal und zog, sich verengend, einige hundert Schritt ins Land hinein. Eingefaßt von Schilf und Bäumen, nur an wenigen Stellen zeigten sich Sand und Steingeröll, bot sie ein Bild stillen Friedens im Gegensatz zu dem wildschäumenden Meer. Henrik nahm die Riemen und fuhr langsam am Ufer hin in die Bucht hinein. Noch wiegten sich hoch oben an Land die Wipfel der Kokospalmen im Luftzug, fast gespenstisch, mit unheimlichem Geräusch flatterten die großen Blätter umher, aber am Wasserrand war es still, kaum ein Zweig regte sich. Als sie die Tiefe der Bucht erreichten, hielten sie vor der Mündung eines klaren Baches, an dessen Ufern sich weiterhin seltsame Felsgebilde erhoben. Henrik trieb das Boot an eine flache, sandige Stelle in der Nähe der Mündung, legte es fest und beide gingen ans Land. Riesige Farnkräuter, Mimosen, verschiedene Palmenarten traf ihr Auge. Dazwischen blühende Schlingpflanzen, welche sich von Baum zu Baum zogen. Hochauf ragten schlanke Palmen, deren Früchte hie und da zerstreut am Boden lagen. So unberührt lag alles da, als ob es eben erst aus des Schöpfers Hand hervorgegangen sei; nichts Lebendes war zu gewahren.



Traurig sagte Fritze: »Det wird wohl so 'ne Jeschichte wie Robinson seine werden – ick seh et kommen.«



»Na, Fritze, wir sind dann wenigstens Zweisiedler und so noch immer besser daran als er.«



»Meenste? Wat wird denn nu aus uns werden?«



»Nun, sobald Findling kann, kehrt er zurück und holt uns ab.«



»Ick will det wünschen, denn an so ne wüste Insel rumzuklettern hab ick keene Lust. Wenn ick nur een kleenes Feuerstübchen hätte, ick habe et so in die Knochen.«



»Komm, wir wollen einen Platz suchen, wo wir ein Feuer anzünden und nächtigen können.«



Sie schritten am Ufer des Baches entlang und schauten sich überall aufmerksam um. Die grauen Felsen, welche sie vor sich sahen, waren zerklüftet und schienen Zufluchtsorte zu bieten. Nach kurzer Frist sahen sie eine dunkle Felsöffnung vor sich und gingen darauf zu. Henrik war vorsichtig genug, sich am Boden nach Spuren wilder Tiere umzusehen, die in dem feinen Sand, der vor den Felsen lag, leicht bemerkbar sein mußten. Doch nichts zeigte sich dem forschenden Blick, was auf solche Gefahr hindeuten konnte. Sie schauten in die Öffnung hinein und gewahrten, daß sie wenig umfangreich sei, doch Raum genug für sie beide bot. Auch fiel etwas Licht durch den Eingang, um selbst im Hintergrund noch ein Halbdunkel zu erhalten. Sie traten ein und fanden sich in einer länglichrunden Höhle von der Größe und Höhe eines geräumigen Zimmers. Sie schien durchaus trocken zu sein. Auch hier zeigten sich keine Spuren, welche darauf hindeuteten, daß sie Tieren zum Aufenthaltsort diene.



»So, Fritz, hier wollen wir uns zunächst niederlassen«, sagte Henrik. »Geh und suche trockenes Holz, damit wir Feuer bekommen und uns trocknen können, ich will das Boot heranholen.«



Fritz ging hinaus und sah sich nach trockenem Holz um, während Henrik die Jolle den Bach hinauftrieb.



Fritz kehrte bald mit einem Arm voll Holz zurück, und Henrik, der die Flinte, die Patronen und den Beutel mit Schiffszwieback, der nach Findlings Anordnung nebst einem Fäßchen Wasser in jedem Boot fortwährend beigestaut sein mußte, heraufgeschafft hatte, zündete vermittelst des Inhalts seiner Zündholzbüchse das Feuer an. Bald loderte es hoch und lustig empor und erfüllte die Höhle mit einer angenehmen Temperatur, welche den durchnäßten Seefahrern sehr wohl tat. Zwieback kauend und sich wärmend saßen sie am Feuer. Halt! wozu hingen denn die Kokosnüsse draußen. Henrik lief hinaus und kam bald mit zwei Früchten zurück, bei deren Schütteln das Geräusch verriet, daß der Kern noch flüssig sei. Mit einiger Mühe entfernten sie die äußere Schale und saugten durch eine der von der Natur gemachten Öffnungen, deren weichen Pfropfen sie mit dem Taschenmesser beseitigten, den erfrischenden Inhalt.



»In welche Himmeljejend sin wir denn nu, Hamburger?« fragte endlich Fritz.



»Der Sturm kam aus Nord und ich vermute, wir müssen südlich der Sundainseln stehen.«



»Lauter Inseln«, sagte verdrießlich der Schneider, »scheene Jejend.«



»Ich vermute, wir sind an ein unbewohntes Eiland verschlagen –«



»Fehlte ooch noch, det hier braune Menschenfresser rumliefen und Beefsteak aus uns machten.«



»Nur ruhig, in zwei, höchstens drei Tagen sind wir wieder an Bord des Schiffes. Findling weiß, wo er uns zu suchen hat. Hier droht uns keine Gefahr.«



»Na, ick will et wünschen, ick habe jar keene Lust, den wilden Mann zu machen.«



»Zunächst, Fritze, wollen wir uns für die Nacht behaglich einrichten. Heute ist nichts mehr zu unternehmen, auch wird es bald dunkel. Laß uns noch Holz herbeiholen, damit wir das Feuer die Nacht über erhalten können, es möchten sich doch allerlei gefährliche Bestien hier herumtreiben, und besorge du noch ein paar Arme voll Moos. Ich trage Segel, Riemen und die Steuerpinne herein, für alle Fälle, und dann wollen wir morgen sehen.«

 



»Glaubst du denn, daß der ›Roland‹ in ein paar Tagen wieder hier ist? Ick nich. Ick weeß, wie det jeht uff die Schiffe. Eenmal bläst et aus die Ecke, un denn aus die andre, un immer aus die unrechte; manchmal bläst et ooch jar nich. Ick jloobe nich, det der ›Roland‹ wieder kommt.«



»Was für Einbildungen! Torheit! Mach kein so verdrießliches Gesicht, Schneiderseele.«



»Ick weeß, wie det mit die Einsiedler zujeht, die sitzen immer jahrelang uff so 'ne verwünschte Insel.«



»Unsinn. Geh, hole Moos, Fritz, morgen leuchtet uns nach Sturm und Ungewitter die Sonne wieder, heute wollen wir einen langen Schlaf tun, ›denn dieses Tages Qual war groß‹.«



Sie brachten Moos herbei für das Nachtlager, Henrik Ruder und Segel, und dann ließen sich beide an dem Feuer nieder.



»Wer mir das vor einem halben Jahr gesagt hätte«, begann Henrik, »daß ich heute mit einem Herrn aus der ›Reezengasse‹ auf einer einsamen Insel des Indischen Ozeans sitzen würde, den hätte ich ausgelacht.«



»Ick ooch, ick habe jar keen Talent zu wilde Abenteuer.«



»Du hast dich aber doch so tapfer auf dem ›Roland‹ geschlagen, als die Wilden da waren.«



»Nu, ja«, lächelte der geschmeichelte Schneider, »en Stücker vier hab ick hinjeholfen.«



Aha, dachte Henrik, jetzt sind es schon vier, das Dutzend wird voll, ehe wir heimkommen.



»Aber 'n so rechtes Pläsiervergnügen habe ick an so wat nich.« Nach einer Weile fuhr er fort: »Du bist doch 'n janz reputierlicher Mensch, Hamburger, hast so 'ne feine Art, un kannst ooch Franzesch, ick habe mir immer jewundert, wie du unter det rohe Matrosenvolk jekommen bist.«



»Rohe Matrosen?«



»Na, Pli hat keener nich, det wirst de doch zujeben müssen; wie bist du denn eegentlich darunter jeraten?«



»Ich bin ins Meer geworfen worden, und sie haben mich aufgefischt.«



»Spaß.«



»Ernst.« Henrik erzählte ihm nun, auf welche Weise er auf den ›Roland‹ gekommen war. Staunend horchte der Schneider.



»Na, det nenn ick Jlück, da haben sie dir aber jleich ordentlich mit Meerwasser jetooft.«



»Siehst du, Junge«, fuhr Henrik fort, »von Jugend auf liebe ich den kühnen Beruf des Seemanns, es muß im Blut liegen; ich glaube, meine sämtlichen Vorfahren waren verwegene Seeleute. Ein altes Friesengeschlecht, hausten wir Horsas seit Jahrhunderten an der Küste. Mein lieber Vater befuhr das Meer wie seine Väter und fand den Tod des Seemanns in seinem Schoß. Meine gute Mutter wollte mich vor den Gefahren der See bewahren, aber das Geschick ist mächtiger als Menschenwille, Gottes Hand schleuderte mich in die wilden Wasser, aus denen ich erstand als Seemann, zu dem ich vom Schicksal augenscheinlich bestimmt bin.«



»Und dein Vater ist auch auf der See zujrunde jejangen?«



»Versunken im Meer, von Schiff und Mannschaft hat man niemals wieder gehört.«



»Und doch trautest du dir uffs wilde Wasser?«



»Pah, der Soldat endet ruhmreich auf dem Schlachtfeld, der Seemann findet sein Grab im Meer und die Meereswelle singt ihn zur ewigen Ruh, das ist Mannesende.«



»Ick habe da keene Leidenschaft vor.«



Während Henrik in Gedanken verloren dasaß, fuhr der Schneider nachdenklich fort.



»Na, du bist woll über Hals und Kopf in det Seeleben rinjekommen. Also een eigenes Schiff hattest du oder Jacht, wie du sprichst? Dann bist du woll een reicher Junge?«



»Das nicht, aber wir haben unser Auskommen. Die Segeljacht verdanke ich meinem Onkel Asmus.«



»Is det 'n Erbonkel?«



Henrik lachte über die Frage, sagte aber dann ernst: »Nun, wenn der gute Alte, was Gott noch recht lange hinausschieben möge, einmal die Augen schließt, so werden Onno und ich wohl seine Erben sein, da er keine Kinder hat; wir sind seine leiblichen Neffen.«



»Sagtest du nicht vorher, daß der Onno, wie du ihm nennst, den Segelbaum uff dir losjelassen hat, der dir in't Wasser warf?«



»Das habe ich nicht gesagt – ich erzählte dir nur, er habe an der Brasse gesessen, als ich nach vorn ging.«



»Nu, ja«, und Fritze pfiff ein Lied vor sich hin.



»Was meinst du damit?«



»Icke? O nischt nich.«



»Gewiß meinst du etwas, heraus damit.«



»Na, ick meene nur, det et doch komisch is, dat der eene Erbe an de Maschine sitzt und se jerade zu rechter Zeit losjeht, um den andern Erben in det Wasser zu werfen.«



Henrik wurde sehr bleich bei diesen Worten.



»Schäme dich«, sagte er dann, »einen solch abscheulichen Verdacht auszusprechen, ja so etwas auch nur zu denken.«



»Na, nichts für unjut, ick meene man bloß; et sin schon janz andere Sachen passiert.«



Henrik war sehr verstimmt durch des Schneiders Worte und sagte nach einiger Zeit kurz: »Wollen schlafen gehen.«



Er warf noch Holz auf das Feuer, beide suchten dann die in einer Ecke bereitete Lagerstatt auf und deckten sich mit dem trocken gewordenen Sprietsegel zu.



Der Schneider schlief bald fest, Henrik aber warf sich noch lange unruhig hin und her.





Der Waldmensch



Schon stand die Sonne am Himmel, als die beiden erwachten. Da nichts anderes übrig blieb, stillten sie ihren Hunger mit Kokosmilch und Zwieback. Henrik erklärte seine Absicht, die Insel zu umsegeln.



»Det würde ick nich tun«, meinte Fritz.



»Warum nicht?«



»Na, siehst de, jede richtige Insel hat doch ooch 'n Berg, da haben wir et doch billiger, wenn wir 'ne Kletterpartie ruff machen, wir können uns doch von da weiter in die Welt umsehn.«



Dieses letzte Argument leuchtete Henrik ein und er beschloß, den höchsten Punkt der Insel zu ersteigen, um Umschau zu halten.



»Und dann kannst du mit deiner Donnerbüchse ooch wat Eßbares schießen, denn mit die Kokosbrüh und den ollen Zwieback is det man mau.«



»Ei, ich habe ja noch die beiden Enten in der Ducht der Jolle. Fritze, wir wollen gleich Braten frühstücken. Mach Feuer an.«



Er lief nach dem Boot und kehrte gleich darauf mit der Jagdbeute zurück, die Papageien waren in der Not des Augenblicks achtlos weggeschleudert worden.



Sie brieten an dem hellbrennenden Feuer eine der Enten, so gut es gehen wollte, und sie mundete Henrik herrlich. Fritz aber, der überhaupt bleich und angegriffen aussah, gewann dem Frühstück wenig Geschmack ab.



Etwas Zwieback und den Rest der gebratenen Ente mitnehmend, gingen sie in den Wald hinein, nach dem höchsten Punkt der Insel suchend.



Nach einem beschwerlichen Aufstieg durch dichtverschlungenen Wald fanden sie ihn endlich in einer Felskuppe, welche einen Überblick über die ganze Insel und weithin über das Meer erlaubte.



Henrik führte noch sein altes Taschenteleskopbei sich und durchforschte nun eifrig den Horizont. Zuerst nach Westen, von wo der »Roland« ansegeln mußte. Doch nichts war zu gewahren. Henrik hatte auch nichts zu sehen erwartet, da der Wind immer noch aus Ost kam. Nach Norden hin aber glaubte er, Land zu erkennen, obgleich es sich nur wie ein dünner Nebelstreif zeigte. Die Insel, auf welcher sie gejagt hatten, war unter dem Horizont. Nachdem sie sich einige Zeit oben aufgehalten, stiegen sie wieder hinab, sich den Weg sorgfältig einprägend, um ihn leicht wieder finden zu können. Fritz klagte unterwegs über Schwere im Kopf, über Frost und legte sich matt danieder, als sie ihren Zufluchtsort wieder erreichten. Henrik holte ihm Kokosnüsse, die ihn auch erquickten.



Er sagte sich nun, daß noch Tage vergehen konnten, ehe der »Roland« zurückkam und der wenige Zwieback bald aufgebraucht sein würde, er also für Nahrungsmittel sorgen müsse; so beschloß er, da er außer den Kokosnüssen die Früchte von Baum und Strauch nicht kannte, zu jagen. Er war ein guter Schütze und verstand, den flüchtigen Bock wie die Bekassine zu treffen. Doch mit der Fauna dieser Gebiete war er nicht bekannt; Papageien, Kakadus hätten sich leicht schießen lassen, ob sie aber eßbar waren, wenn nicht Heißhunger das Gericht würzte, war eine zweite Frage. Außerdem mußte er sparsam mit der Munition umgehen. Ihm stiegen auch allerlei Erinnerungen aus den unzähligen Robinsons, welche die deutsche Literatur aufweist, empor; in diesen hatten die Schiffbrüchigen immer das Glück, das zu finden, was sie gerade brauchten, aber die Wirklichkeit mochte wohl nicht den phantastischen Gemälden der Verfasser der Robinsonaden entsprechen.



Der Tag wurde heiß, und Henrik zog sich, um sich vor der Sonnenglut zu schützen, in die Höhle zurück, in welcher Fritze fiebernd daniederlag. Er gab ihm wiederholt Wasser und deckte ihn mit den Segeln und trockenem Moos zu, um ihn in Schweiß zu bringen, mehr konnte er nicht für ihn tun. Er selbst aß Zwieback und trank Kokosmilch. Da nichts versäumt werden durfte, um die Annäherung des »Roland« zu gewahren, stieg er, als die Hitze nachgelassen hatte, noch einmal auf den Berg, um Umschau zu halten, doch zeigte sich dem Blick nichts, was einem Segel ähnlich war; seine Vermutung aber, daß sie nordwärts Land in Sicht hatten, wurde durch wiederholte Beobachtungen vermittelst des Glases zur Gewißheit. Zeitig vom Gipfel aufbrechend, um nicht von der Nacht im Wald überrascht zu werden, schoß er unterwegs auf ein durch die Büsche schlüpfendes, einem Stück Rehwild ähnliches Tier, welches auch im Feuer zusammenbrach. Als er es näher betrachtete, fand er, daß es ein seltsames Gemisch zwischen Hirsch und Wildschwein darstellte. Es trug die Spieße eines jungen Stückes Rotwild und führte im Gebiß starke Fangzähne. Ohne sich auf naturwissenschaftliche Untersuchungen einzulassen, und da er glaubte, daß es kein übles Stück Wildbret sein dürfte, nahm er es weidgerecht aus und warf es auf die Schultern, das Tier wog wohl dreißig Pfund. Dies hatte seinen Heimweg etwas verzögert und er kam an der Küste an, als die Sonne eben sinken wollte. Auf der Oberfläche der Bucht sah er etwas auf das Land zuschwimmen, und da er vermutete, es möchte eine Ente sein, genau vermochte er es der Waldesschatten wegen, welche auf dem Wasser lagen, nicht zu erkennen, so ließ er seine Beute, deren Verwendbarkeit für die Küche ihm nicht ganz zweifellos war, sinken, um die Ente zu schießen. Mit maßlosem Erstaunen sah er einen Tiger aus dem Wasser auf das Ufer steigen und sich die Nässe aus dem Fell schütteln. Das, was er für eine Ente gehalten, war der Kopf des Tieres gewesen. Auch wußte er nicht, daß die Tiger der Sundainseln oft große Strecken schwimmend zurücklegen. Das Tier war kaum dreißig Schritt von ihm entfernt. Der Tiger windete in geduckter Stellung und mußte wohl Witterung von ihm bekommen haben, denn er kauerte sich nieder und sog hastig die Luft ein. Henrik sah sich um.



Der einzig denkbare Zufluchtsort war die Höhle, aber da sie zu weit entfernt und der Weg dahin ohne Deckung war, mußte ihn die Bestie in zwei Sprüngen erreichen, wenn er dorthin fliehen wollte. Henrik war entschlossen, sich zu wehren, wenn das Tier ihn angreifen sollte. Dies schien der Fall zu sein, denn der Tiger wand sich auf dem Bauch den Bäumen, hinter welchen Henrik stand, näher. Der bedrohte Jüngling hatte zwei Schüsse in der Flinte, der rechte Lauf war mit Dunst geladen, der linke mit Hühnerschrot. Schwache Waffen gegen einen Tiger. Aber Henrik behielt kaltes Blut.



Das Tier war auf fünfzehn Schritt an ihn herangeschlichen und seine grünen Lichter glänzten in wilder Gier herüber. Töten kann ich ihn mit Dunst nicht, sagte sich Henrik, aber vielleicht blenden, und den zweiten Lauf feuere ich erst ab, wenn ich ihn dem Tier in den Nacken setzen kann. Wiederum kroch das Tier vorwärts – es legte sich zum Sprung nieder – kaum zwölf Schritt entfernt. Da hob der Jüngling langsam die Flinte, hielt fest auf die Mitte zwischen die beiden Lichter und gab Feuer.



Gleich einem aufspringenden Gummiball schnellte der Tiger unter furchtbarem Gebrüll hoch in die Luft und fiel fast auf derselben Stelle, von wo er aufgesprungen war, nieder, zitternd und sich wild die Flanken peitschend.



Atemlos stand Henrik da.



Von neuem brüllte der Tiger furchtbar auf und flog in wildem Sprung wohl zwanzig Fuß weit vor, aber nach einer andern Richtung als der, in welcher Henrik weilte. Dort stand er wieder gebeugten Kopfes und windete nach dem Wald hin.



Das benutzte Henrik, um nach der Höhle zu laufen. An seine Jagdbeute dachte er nicht. Noch war Glut vorhanden, er warf rasch von dem gesammelten Holzvorrat darauf, und da das Feuer, des Rauchabzugs wegen, nahe dem Eingang angelegt war, durfte er sich in einiger Sicherheit wähnen. Er glaubte zwar, aus dem Gebaren des Tigers schließen zu dürfen, daß sein Schuß ihm die Sehkraft zerstört habe, doch war er dessen nicht gewiß.

 



Die Nacht war mit der diesen Breiten eigenen Schnelligkeit hereingebrochen. Endlich floß Henriks Blut ruhiger durch die Adern und er hörte das Stöhnen Fritz Fischers zu seinem Ohr dringen. Von neuem erschütterte ein Wutgebrüll des Tigers die Luft, doch klang es aus weiterer Entfernung.



»Hamburger«, sagte der Schneider schwach, »wat is denn das? Det is ja wie in die Menagerie!«



»Ja, und ich bin zufrieden, wenn wir nicht noch nachträglich das Eintrittsgeld bezahlen müssen.«



»Na, mir ejal. Hamburger, komm een bisken bei mir.«



Henrik ging zu dem von heftigem Fieber durchschüttelten Gefährten.



»Ick jloobe«, sagte der Schneider mit schwachem Ton, öfter unterbrochen von Stöhnen und Zähneklappern – »ick jloobe, ick mache et nich lange mehr – mir is janz miserabel.«



»Da sei Gott vor, Fritze. Du hast dich stark erkältet, und das geht auch wieder vorüber.«



»Oder ooch nich. Na, Hamburger, mir is et nur um die alte Frau leid, weeste, sie hat et schwer, un ick hätte ihr jerne een bisken uff de Beene jeholfen.« Er machte eine Pause und fuhr dann fort: »Tu mir die eenzigste Liebe – wann mir der Sensemann abjeholt hat, un schreib een Brief an de Alte, Reezenjasse 17 in't zweete Hinterhaus – und schreib ihr – ick hätte ihr immer lieb jehabt und ick könnte nicht vor, daß ick hier so als Robinson uff eene wüste Insel abjeschrammt wär – ick hätt et nich besser machen können.«



Das Groteske, das in diesen Äußerungen des Berliners lag, verschwand durchaus vor dem Ton herzlicher Liebe zu seiner Mutter und der ruhigen Ergebung in sein Geschick. Henrik war auf das tiefste gerührt.



»Irüße ooch die Line, et is 'n Prachtmächen, spielt uffs Klavier Walzer un ›Lang, lang is et her‹, und jrüße den August und den Jule, un se sollen man von de Inseln wegbleiben und von de Menschenfresser – et kommt nischt bei raus, et jeht mir so im Kobb rum – et –«



Ein furchtbares Gebrüll des Tigers ließ sich von neuem hören.



»Hurra!« schrie Fritze, »Hurra! Vier Jroschen Entree –« Seine Gedanken verwirrten sich augenscheinlich, denn es folgten sinnlose Redewendungen oftmals von heiterm Lachen unterbrochen. Unaufhörlich beschäftigte sich der Kranke mit seiner Familie und den Erinnerungen an seine ärmliche und doch in dieser Erinnerung so freudevolle Vergangenheit. Hie und da ertönten noch von fernher zornige Laute des Tigers dazwischen.



Doch die Natur war stärker als die Schrecken draußen und die der nahen Umgebung, Henriks Augenlider sanken nieder – und bald lag er in tiefem Schlaf.



Als er erwachte, hörte er den im Delirium liegenden Fritze singen. Zu seinem tiefen Schrecken fand er, daß sein Zustand sich verschlimmert hatte. Er holte ihm Wasser und versuchte, ihm Kokosmilch einzuflößen, aber der bewußtlose Kranke verweigerte beides anzunehmen. Fritz war in einem Zustand, der Henrik das Schlimmste befürchten ließ. Er war in Verzweiflung, daß er kein Mittel besaß, ihm zu helfen. Es war noch ein Rest Zwieback vorhanden und Henrik kaute an einem der harten Stücke herum, es von Zeit zu Zeit mit Kokosmilch, die ihm übrigens schon herzlich widerstand, anfeuchtend. Dann fiel ihm seine Beute von gestern ein, welche unweit lag. Er spähte vorsichtig zur Felsöffnung hinaus, ohne etwas Verdächtiges zu gewahren; er nahm die Flinte und, sie schußfertig in der Hand tragend, ging er nach dem Baum, wo er das Tier fallen ließ. Er fand es unversehrt vor und trug es rasch zur Höhle zurück, fachte das Feuer an und briet ein Lendenstück, es noch halb roh verzehrend. Es schmeckte nicht übel. Unruhe trieb ihn dann, den Berg zu ersteigen, um nach dem ›Roland‹ auszuschauen. Er vermehrte das Holz auf dem Feuer, um Fritz, während er ihn allein lassen mußte, vor unliebsamen Besuchen wilder Tiere zu schützen, und schritt dann vorsichtig, die Flinte fertig zum Feuern, in den Wald hinauf. Er erreichte jetzt, da er den Weg kannte, den Gipfel in drei Viertelstunden. So aufmerksam er mit Augen und Glas den Horizont und das Meer absuchte, nichts, nichts gewahrte sein Blick. Niedergeschlagen stieg er langsam wieder hinab, doch des Tigers eingedenk, überall umherspähend. Ein Geräusch zu seiner Rechten machte ihn stutzen – er schaute hin – auf einer klein