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Der Letzte vom "Admiral"

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Dazwischen erschienen schroffe Felspartien, deren wilde zerrissene Formen auf vulkanischen Ursprung deuteten. Von bewohnten Stätten waren sie schon längst entfernt, und als sie in einem Felskessel das Nachtlager bezogen, machte sich auffallende Kühle geltend. Ein Zeichen, daß sie bereits in ziemliche Höhe gelangt waren. Fröstelnd saßen die Indier in Schals gewickelt an den Feuern, und selbst die beiden Nordländer, empfindlich geworden durch den Aufenthalt im Tropenklima, hatten sich in wärmende Tücher gehüllt.

Auch die Natur der Bäume und Pflanzen hatte sich geändert, wie auch Affen und Kakadus tief unten zurückgeblieben waren. Statt der Palmen zeigten sich dem Auge Jamudjueichen und düstere Nadelhölzer.

Mit unbehaglicher Kälteempfindung erhoben sich Henrik und Fritz bald nach Sonnenaufgang vom Lager ihrer Mattenhütte. Karl Steffen hatte sich aus Alang-Alang, hohes binsenartiges Gras, eine Hütte zum Schutz vor der Nachtkälte gebaut.

Von hier ab mußte der Aufstieg zu Fuß unternommen werden, Pferde konnten nicht höher gelangen. Sie und einige der Diener blieben in dem engen Tal, um die Rückkehr der kühnen Bergsteiger zu erwarten. Die Bewegung war in der frischen Morgenluft zuerst angenehm, weil erwärmend, wurde aber bald sehr beschwerlich. Auf steilem, gefährlichem Felspfad, zwischen dornigem Gestrüppund Tannenbüschen stiegen sie mühsam aufwärts. Voran der Führer Rasido, und einer nach dem andern folgte. Ein Abgrund öffnet sich vor ihnen, schroff fallen dessen Wände ab und langhin erstreckt sich der Spalt. Felstrümmer und entwurzelte Bäume liegen auf seinem Boden. Flink lassen die Sassaker ein Tau hinab und einige gleiten daran hernieder, nachdem sein Ende an einem starken Baum befestigt worden ist. Unten wird das Tau angezogen, daß es einen Winkel von fünfundvierzig Grad bildet. Auf einem kleinen Brett, das durch zwei kleinere Taue an dem großen Tau befestigt ist, fährt jetzt Rasido hinab, mit mäßiger Schnelle, und wird unten aufgefangen. Er hat gezeigt, daß die Fahrt gefahrlos ist, das Brett wird wieder in die Höhe gezogen, ein Sassaker fährt hernieder, dann Ara Labung.

»Nun, Fritz, du.«

Mit Schrecken hat der Schneider die Fahrt mit angesehen.

»Ick jeh nich. Ick will nich Hals und Beine brechen.«

»Torheit, die Sache ist ganz leicht.«

»Ja, vor dir und andere Seematrosen, ick tu et nich, ick werde hier warten, bis ihr von dem ollen Berg wiederkommt.«

»Das geht nicht, Fritz, wir können dich nicht hier lassen. Nur Mut.«

Steffen, der dabeistand, hatte mit Kennerblick und nachfühlender Hand die Taue und ihre Festigungen untersucht, was Henrik wohl bemerkt hatte. Als der Schneider fortfuhr, sich des Hinabsteigens zu weigern, zwinkerte Henrik dem Matrosen mit den Augen verständnisvoll zu und der begriff als echte Teerjacke augenblicklich, was von ihm erwartet wurde.

Eben war das Brett, von einem dünnen Tau gezogen, wieder oben angelangt. Von neuem untersuchte Steffen die Art, wie das Brett befestigt war, nahm den Schneider, der dabei entsetzlich schrie und zappelte, unter den Arm, saß im Nu auf dem Brett, rutschte mit dem vor Angst kreidebleichen Schneider hinab und setzte ihn unten säuberlich auf den Boden.

»Det is – det is – det jeht jegen alles Völkerrecht«, zeterte mit einem Gemisch von Zorn und Angst Fritze; »ick werde dir verklagen, du oller Waldbruder mit die Pelzmantille un den unfrisierten Lockenkopp.«

Schon aber kam Henrik herunter und suchte den grimmigen Schneider zu beruhigen.

»Ick habe et jleich jesagt, ick will mit die janze Sache nischt zu tun haben«, schrie dieser.

»Das war eine großartige Leistung, Fritz, das hätte dir niemand so leicht nachgemacht.«

»Wat?« fragte der gänzlich verblüffte Schneider. »Wat is det?«

»Bewundernswert war es, wie du während eurer Fahrt das Gleichgewicht hieltest; das nenne ich Kaltblütigkeit. Ohne diese hättet ihr beide das Genick brechen müssen.«

Fritz, der während des Herabgleitens vor Angst ganz sinnlos gewesen war und den Komplimenten seines »Hamburgers« nie ganz traute, sah ihn forschend an.

»Tu willst mir wohl zur Schaute machen?«

»Ich? Jetzt? Angesichts eines feuerspeienden Berges? Was denkst du von mir?«

»Der Waldbruder hat sich an mir vergriffen, sage ick dir.«

»Um so mehr war deine Geistesgegenwart zu bewundern.«

»Die Balance hab' ick ja woll jehalten, det is ja richtig, det mußte ick ja schon«, sagte Fritz.

»Das erkannte ja jeder sofort.«

»Aber uff eene zweete Reise mit den Karlchen von die Insel laß ick mir nich in.«

Während dieses Dialoges waren sämtliche Balinesen und Sassaker und auch das nach der Höhe mitzuführende Gepäck unten angelangt.

Der Aufstieg wurde auf der andern Seite auf einem schmalen Felspfad unternommen, der die Reisenden bald in eine Felsschlucht von großartig düsterm Charakter führte. Wohl an dreihundert Fuß stiegen fast senkrecht, hie und da wild zerrissen, Felswände in die Höhe. Steine, Baumstämme lagen auf dem Grund der Schlucht und erschwerten das Fortschreiten sehr.

Fritz seufzte ein über das andere Mal und verwünschte alle feuerspeienden Berge.

Am wohlsten von allen schien sich Steffen zu fühlen, der mit staunenswerter Kraft und Behendigkeit alle Hindernisse überwand.

Ein Windstoß fuhr plötzlich mit unheimlichem Sausen hoch über sie hin, bog die an Felswänden stehenden Bäume nieder und heulte in den Klüften. Gleichzeitig verdüsterte sich der Himmel. Der Führer schrie mit lauter Stimme etwas hinab, was die Sassaker mit großer Unruhe zu erfüllen schien.

»Wir müssen eilen«, sagte hastig Ara Labung zu Henrik, »ein Gewitter zieht herauf und bringt uns Verderben, wenn es uns in dieser Felsspalte überrascht.«

Mit aller Kraft strebten die Leute jetzt nach oben.

Es wurde dunkel in der Schlucht, und der Himmel sah fast schwarz aus. Ein feuriger, blendender Strahl zuckte über sie hin, dem ein sinnbetäubender Donner folgte; die Felsen schienen in ihren Grundfesten zu erbeben.

Alle standen laut- und bewegungslos bei diesem furchtbaren Ausbruch, und Fritz murmelte: »Ach Jotte, die Welt jeht unter.«

Wiederum schrie der Führer mit gellender Stimme etwas hinab.

»Suche jeder Schutz an den Felswänden, die Wasser werden kommen«, wiederholte dröhnend Ara Labung zuerst balinesisch und dann englisch, sich an Henrik wendend.

»Vorwärts, Fritz, wir müssen uns retten, mir nach«, sagte Henrik. Blitz folgte jetzt auf Blitz in unheimlicher Schnelle, und der Donner hallte wieder, als ob hundert Kanonen zugleich abgefeuert würden. Grausig, unheimlich war das Toben der entfesselten Naturgewalten, Fritz war wie gelähmt. Alle begriffen die Gefahr, die ihnen auf dem Grund der Schlucht drohte, und begannen in Todesangst an den Wänden emporzuklettern, um eine vor den zu erwartenden Wasserfluten gesicherte Stellung zu finden. Jedem Blitz folgte der erschütternde Donner, der zwischen den Felswänden mit zehnfacher Kraft widerhallte, und die blendenden feurigen Strahlen ließen die darauffolgende Dunkelheit nur noch tiefer erscheinen. Jetzt öffneten sich die Schleusen des Himmels, und nicht Tropfen, nein, Wasserstrahlen sausten mit furchtbarer Heftigkeit hernieder. Ein dumpfes Rauschen von oben her verkündete, daß die Wasser kamen.

Alles, die feurige Lohe des Himmels, der mit verzehnfachter Kraft in der Schlucht widerhallende Donner, die undurchdringliche Finsternis wirkten so betäubend, daß Henrik emporgeklettert war, ohne sich zu versichern, ob der Schneider hinter ihm war.

Als er eine Stellung erreicht hatte, die Sicherheit zu gewähren schien, sah er sich nach Fritz um.

Beim Aufleuchten eines Blitzes erblickte er ihn zu seinem tiefen Schrecken noch unten, doch neben ihm stand der Waldmensch. Schon rauschten die verderbendrohenden Wasser näher.

»Karl«, schrie Henrik in Todesangst, mit aller Kraft seiner Lunge: »rette!«

Der nächste Blitz zeigte ihm den Matrosen, wie er, Fritz auf dem Arm, mit der Behendigkeit eines Affen emporkletterte. Gleich darauf stand er neben Henrik und setzte den Schneider nieder.

»Det is 'n nettes Schützenfest«, murmelte Fritz schwach, als eben einige rasch aufeinanderfolgende Donnerschläge verhallt waren.

Durch überhängenden Fels wurden sie zwar vor den Fluten des Himmels geschützt, zu ihren Füßen aber rauschten jetzt, Steine und Bäume gewaltig vor sich herschleudernd, die Bergwasser hernieder mit einer Wucht, welche den vieltausendjährigen Felsen Vernichtung zu drohen schien. Stumm, bebend, auf das tiefste erschüttert, ließen sie den Aufruhr der Natur an sich vorübertoben. Lange angstvolle Minuten vergingen.

Aber rasch wie das Unwetter, das in solch furchtbarer zerstörender Kraft nur die Tropen kennen, emporgestiegen war, tobte es vorüber. Der Regen hörte auf, Blitz und Donner wurden schwächer, die düstern Wolken schwanden und das Blau des Himmels zeigte sich über ihnen. Wild und schäumend rauschten noch die Wasser zu Tal. Doch auch sie sanken tiefer und tiefer, und in kurzer Zeit war wieder der mit Felstrümmern und entwurzelten Bäumen bedeckte Boden der Schlucht zu schauen.

Die Stille, die nach dem Aufruhr der Naturgewalten eintrat, sprach eindringlich zu den Herzen der Menschen, die eben dem Tod entgangen waren. Die ringsum an den Felswänden verteilten Sassaker und Balinesen fielen nieder und beteten. Unwillkürlich falteten auch die deutschen Jünglinge die Hände, und Gefühle aufrichtigen Dankes schwebten zum Himmel empor. Stumm und augenscheinlich teilnahmsvoll, doch bewegungslos sah Steffen auf die ergriffenen Jünglinge und ihre gefalteten Hände.

»Dank dir, Karl«, sagte endlich Henrik, »daß du mir meinen Berliner gerettet hast.«

Der Matrose nickte mit einem Ausdruck des Vergnügens.

 

»Jetzt verzeihe ick dir auch, wildes Karlchen, dat du mir die Rutschpartie vorhin hast machen lassen«, sagte Fritz. »Det war een scheenes Bumberumbum, hier mang die olle Wolfsschlucht, un noch Wasserfall dazu. Ick danke vor. Jetzt wollen wir aber umkehren, Hamburger, ich denke, du hast ooch genug.«

Henrik, der nach überstandener Gefahr seine froheste Laune wieder gewonnen hatte, erwiderte: »Jetzt erst recht nicht, min Jong, jetzt wolln wi upentern bis tau den Flaggenknopp.«

»Verrückte Menschen«, brummte Fritz in sich hinein, »un ick muß den Mumpitz mitmachen.«

Den andern gleich, kletterten sie in die Schlucht hinab und folgten in Gesellschaft Ara Labungs dem nach oben strebenden Führer.

Niemand war zu Schaden gekommen. Nach harten Anstrengungen erreichten sie die Höhe eines breiten Felsrückens. Hell strahlte die Sonne vom tiefblauen wolkenlosen Himmel hernieder und beleuchtete den aus dunkelm Waldsaum hervorragenden nackten Felskegel, die Spitze des Bergriesen, der dunkler Dampf entstieg.

Der Anblick war gewaltig, groß.

Noch stand Henrik in Bewunderung des Bildes da, als Rasido schon zum Aufbruch mahnte. Es war keine Zeit zu verlieren, wenn sie noch am Abend von dem Krater zurück sein wollten.

Eine steinige Halde lag vor ihnen, die sie hinabsteigen mußten, um dann durch den Waldsaum hindurch den aschebedeckten Felskegel zu gewinnen, dem der Dampf entstieg. Da erklärte aber Fritz mit großer Energie: »Nu hört et aber uff. Mitschleppen lassen kannst du mir, Hamburger, aber jehn tu' ick keen Schritt mehr, un da kannst du machen wat du willst.«

Henrik, der erkannte, daß der Berliner erschöpft war und wirklich im Ernst sprach, beriet mit Ara Labung, und man beschloß, Fritz, dem keine Gefahr irgendwelcher Art drohen konnte, zurückzulassen, um ihrer Rückkehr zu harren.

Man gab ihm Schals und Decken, um sich gegen die sehr kühle Temperatur zu schützen, Lebensmittel, und ließ ihn bei einem durch den Regen gefüllten Felsloch zurück. Einen der Balinesen beorderte Ara Labung, zum Schutz des »Milchgesichts« zurückzubleiben.

»Ick lasse dir unjern in die Feueranjelegenheit jehen, Hamburger, aber ick kann nich mehr. Komm jesund von den ollen Schornstein wieder«, hatte er zu Henrik gesagt.

Während die andern weiterzogen, labte sich Fritz an einigem kalten Braten, suchte sich dann eine geschützte Stelle, wickelte sich in die Decken und schlief gleich darauf ein.

Indes der Sohn Berlins in »Morpheusens Armen« ruhte, suchte die Kolonne der Bergbesteiger mit großen Mühen ihren Weg durch den dichten Koniferenwald, oft auf schmalen Felskanten, an schwindelerregenden Abgründen vorbei, bis sie endlich an der Grenze jeglicher Vegetation vor dem nur mit Asche bedeckten Kegel standen.

Erst jetzt erkannte Henrik, wie massig dieser war, daß er Stunden im Umfang maß.

An sechshundert Meter waren noch bis zur Höhe zu erklettern. Der niederstürzende Gewitterregen hatte ihnen Wege gebahnt, welche das Emporsteigen erleichterten, indem er viel Asche hinweggespült hatte. Nach kurzer Rast begannen sie in sehr kühler Luft den Aufstieg. Steffen, der kaum Ermüdung zu fühlen schien, unterstützte den flinken Henrik wesentlich, so daß beide bald allen andern voraus waren. Endlich – endlich waren sie oben auf dem bis zu viertausendzweihundert Meter Meereshöhe sich erhebenden Pik von Lombok.

Schneidende Luft wehte sie an und beide hüllten sich in dichte Schals.

Wie erstaunte Henrik, als er jetzt auf dem Gipfel dieses Bergriesen ein einem See ähnliches Wasserbecken vor sich sah, aus dessen Mitte sich der rauchende, schweflige Dämpfe ausstoßende Krater erhob. Trotzdem sie den Wind im Rücken hatten, machte sich der Schwefeldunst geltend.

Still lag der See da, zwischen kahlen Felswänden, kein Laut war zu vernehmen, tot war alles. Nicht Tier, nicht Pflanze lebte hier oben, nur der dampfende Krater, der von Zeit zu Zeit unter dumpfer Detonation seine Rauchwolken ausstieß, zeugte von Leben tief im Innern des Berges. Hell strahlte die Sonne Indiens, die Luft war klar, und weit, weit hinaus schaute Henrik über Land und Meer.

Der Anblick war so überwältigend großartig, daß Henrik keine Worte fand, seinem Gefühl Ausdruck zu geben. Stumm stand er vor dem erhabenen Bild. Die Ebene um Mataram, die schöngeschwungenen Waldeshöhen im Osten, die riesigen, zerhackten Konturen des Berges, bald Fels bald Wald zeigend, das unendliche, im Sonnenstrahl glänzende Meer, ein wechselndes, reizvolles Bild in nie geahnten Dimensionen. Dazu der tote See mit dem lebendigen Krater.

Henrik fühlte nicht mehr Ermüdung, fühlte nicht die Kälte der hohen Region, so gewaltig war der Eindruck dessen, was er erblickte, auf seine junge Seele. Endlich nahte sich ihm Ara Labung und der alte Sassaker, ihn aufmerksam zu machen, daß es Zeit sei den Rückweg anzutreten. Außer diesen beiden hatte es kein anderer gewagt, sich dem Kraterrand zu nahen; abergläubische Furcht hielt die Eingeborenen zurück. Noch einen Blick warf Henrik auf das Bild zu seinen Füßen, ein Bild voll Majestät und doch von unendlicher Schöne, das Mutter Erde in ihrer sonnigsten Gestalt zeigte, dann trat er langsam, erfüllt von Schauern der Ehrfurcht, zurück und schweigend stieg er mit den Gefährten hinab.

Als Fritz Fischer, Reezengasse Nummer siebzehn ins zweete Hinterhaus, von seinem ziemlich ausgedehnten Schläfchen erwachte, schaute er nachdenklich nach dem Bergkegel hinüber und hielt dabei folgendes Selbstgespräch: »Wenn nur der jute Hamburger jlücklich zurückkommt. Ick hätte ihm ja ooch nicht alleene jehn lassen, aber die Beene wollten nich mehr fort. Ick habe doch rechte Angst vor ihm. Et is nur jut, dat er die verwilderte Menschenseele, det Karlchen, mit hat, der wird ihm schonst unter die Arme greifen. Den können wir ooch in 'ne Menagerie stecken, wenn wir nach Haus kommen, aus det Jewächse wird nischt mehr. Ja, wenn wir nach Haus kommen?

Wat hat nu eener von die Berliner Schneiderzunft eejentlich uff so 'n eklichen Berg zu tun? Von wejen die Wissenschaft is et mir janz ejal, de können die verrückten Doktors von die Universität ruffklettern.

Und dann noch die Rutschpartie und der Wolkenbruch mit Jewitteratmosphäre un Wasserfall, wat jeht det mir allens an?

Der Papagei hat janz recht, wenn er mir ›Döskopp‹ nennt.

Ick wollte, ick wär' wieder bei die jelbe Durchlaucht, da war et janz jut. Ob sie hier gar keen Orden nich haben? Det wäre putzig, Ordens jibt et doch überall.

Der Hamburger uzt mir immer, aber ick mag ihm doch leiden. Wenn er man erst von die Feueresse da oben wieder runter wär'.

Wo is denn nur der braune Mann, den sie mir als Ehrenposten hier gelassen haben? Na, ejal, unterhalten kann ick mir mit den Menschenbruder doch nich.«

Da er einigen Hunger verspürte, nahm er eine Mahlzeit ein. Dann blickte er wieder nach dem Krater hinüber, endlich stand er auf und ging hin und her. Auf einem seiner weiter ausgedehnten Gänge gewahrte er einen schmalen Felsenspalt, durch den er den Himmel sah. Da dessen Boden, obwohl etwas aufsteigend, eben war, ging er hinein und blickte am andern Ende über einen schmalen Vorsprung hinweg in ein tiefes Felsental.

Mit den Worten: Ne, mit Abjründe jebe ick mir nich ab«, wollte er sich eben zurückziehen, als er zu seinem tiefen Schrecken zu seiner Rechten auf schmalem Felspfad ein braunes Tier gewahrte.

»Ach du jrundjütiger Himmel!« stöhnte er und trat in den Spalt. Als er sich nach wenigen Schritten angstvoll umsah, stand das Tier – er erstarrte fast vor Entsetzen – am Eingang der Felsspalte.

»Jehste weg!« schrie der Schneider. »Pscht! weg!« Aber das Tier schien näher zu kommen. »Ach Jotte doch – ach, Jotte doch, det is mein Ende!« und in Verzweiflung warf er sich zu Boden. Da krachte draußen ein Schuß. Mit einem Sprung setzte jetzt das Tier über ihn hinweg und noch zehn andere folgten, immer mit gewaltigem Satz über den der Länge nach hingestreckten Schneider wegspringend und durch den Ausgang, durch den Fritz eingetreten war, verschwindend.

Noch geraume Zeit lag er in Todesangst am Boden. Da alles still blieb, hob er endlich zögernd den Kopf: der Eingang war frei, er sah nur den Himmel. Er erhob sich auf die Knie und sah sich um, nichts Verdächtiges war zu gewahren. Schlotternd vor Angst schlich er an die Öffnung, zu der er hereingekommen war, und vorsichtig – vorsichtig lugte er umher. Endlich wagte er sich, immer in bitterer Herzensangst um sich sehend, hinaus. Etwas Gefährliches vermochte er nicht wahrzunehmen.

Der Balinese war nicht da.

Er bemerkte eine höhlenartige Vertiefung im Fels, die kaum mehr als einen Menschen fassen konnte, drängte sich durch den engen Eingang und kauerte sich nieder, zitternd auf jedes Geräusch lauschend. Seine Aufregung war so groß, daß er nicht einmal fror.

Als die Besteiger des Kraters wieder unten anlangten, fanden sie den zurückgelassenen Balinesen mit einem Bergschaf zu seinen Füßen, welches seine gute Büchse erlegt hatte. Zu Henriks nicht geringem Schrecken fehlte Fritz.

Der Balinese teilte Ara Labung mit, daß das Milchgesicht lange geschlafen habe. Da ihm Bergschafe vor Augen gekommen seien, habe er den Schlaf des ihm anvertrauten Jünglings benutzt, um eines der Tiere zu erlegen. Als er nach kurzer Frist mit seiner Beute zurückgekommen, sei der Mann verschwunden gewesen, und er habe ihn bis jetzt vergeblich gesucht.

»Um Gottes willen, wo ist denn der Mensch hingekommen? Fritz! Berliner! 'Wo steckst du?«

»Hier, Hamburger«, antwortete eine klägliche Stimme, und der Schneider kroch aus seiner Höhle heraus.

»Det du mir noch lebend findest, is een Wunder.«

»Nun, was ist dir geschehen?«

»Ick bin von een fürchterliches Beest anjefallen worden.«

»Was?«

»Ick sage dir, Hamburger, ein Beest, so jroß wie det jrößte Pferd, mit Hörnern und jlühende Oogen, fingerlange Zähne un eene zottelige Mähne.«

Henrik, der ja von Anak Madé wußte, daß Bali und Lombok keine wilden, ja, mit Ausnahme einiger vereinsamter Bergschafe auf felsigen Höhen, nicht einmal jagdbare Tiere besaß und des Berliners lebhafte Phantasie kannte, hob lächelnd den Finger und sagte: »Du, Fritz, die Brücke kommt.«

»Ick schneide nich uff, Hamburger, ick sage et dir, et war een jräßliches Ungeheuer.«

»Nun, wie bist du denn der Bestie entkommen?«

»Ick habe mir tot jestellt in meene Angst, un da is det Vieh immer über mir hin und her gesprungen, hat sich aber nich an mir getraut.«

»Das hast du nur deiner Eigenschaft als Berliner zu danken.«

Henrik konnte sich, besonders angesichts des erlegten Bergschafes, recht gut denken, daß Fritz einigen dieser Tiere begegnet sei, an einer Stelle, wo das geängstigte Wild einen verzweiflungsvollen Durchbruch versuchen mußte; das war immerhin nicht gefahrlos, und der Schneider hatte richtig gehandelt, als er sich zur Erde warf.

»Weeste, ick hätte et ja vielleicht mit det Monstrum uffnehmen können, wenn't man nich so schrecklich jroß gewesen wäre, aber da machte ick mir dünne.«

»Sehr vernünftig. Also wie groß war das seltsame Tier?«

»Na, ohne Übertreibung, wie so 'n Elefant im Zoologischen. Mit Oogen wie Kaffeetassen.«

»Sollte es nicht ein ähnliches Geschöpf gewesen sein wie dieses da?« meinte Henrik mit schlauem Lächeln und deutete auf das erlegte Bergschaf, das dem Schneider bisher entgangen war.

Er betrachtete das Tier, das, braun behaart, etwa die Größe eines gewöhnlichen Schafes hatte, nur daß es schlanker und etwas höher gestellt war. Die Hörner glichen denen der Zwergantilope. Freilich konnte das längere Haar um Hals und Brust recht gut als Mähne bezeichnet werden, wie es auch von einigen Zoologen geschehen ist. Ein harmloser Wiederkäuer war das Tier, nichts weiter.

»Hm«, meinte der Berliner, »det kann wohl 'n junges sind, so von vier Wochen.«

»Dies Bergschaf ist vollständig ausgewachsen.«

»Denn war det 'n andrer Racker, vor die Sorte hier werde ick mir doch nich fürchten.«

»Weißt du, lieber Fritz, ich glaube, dein Ungeheuer gehört zu der Büffelherde in der Hasenheide.«

»So? Na, denn is man jut. Det hat man nu davon, det man uff feuerspeiende Berge jeht un mit wilde Beesters zu tun hat, denn machen se hernach noch 'n Fatzke aus einem.« Und gekränkt wandte der nadelführende Jüngling sich ab.

Da Rasido zum Abmarsch drängte, um noch vor Einbruch der Dunkelheit die Stelle zu erreichen, wo sie zuletzt übernachtet hatten, brach man auf und kam nach sehr anstrengendem Marsch kurz nach Sonnenuntergang in dem engen Felsental an. Alle waren erschöpft. Henrik und Fritz suchten ihr Lager, und Steffen kroch in seine Grashütte.

 

Bald lag alles in tiefem Schlaf. Die Feuer waren längst herabgebrannt, und Mitternacht mochte vorüber sein, als mit vorsichtiger Bewegung zwei Gestalten näher kamen, die im Dunkeln suchend zwischen den Schläfern einhergingen. So viel Mühe die Angekommenen sich auch gaben, jedes Geräusch zu vermeiden, so erwachte doch Steffen, der den leichten Schlaf eines Raubtiers hatte, von ihren Schritten. Er war zu lange mit den Gefahren, die dem einzelnen in der Wildnis drohen können, bekannt, als daß er nicht instinktiv nach der Ursache des Geräusches, welches ihn erweckte, ausgelugt hätte. Sein an Dunkelheit gewöhntes Auge sah die beiden Gestalten vorsichtig umherschleichen, dann hörte er da, wo die Saffaker lagerten, flüstern.

Mit der Geschmeidigkeit und Lautlosigkeit einer Schlange kroch er aus seiner Grashütte dorthin, woher die Stimmen kamen. Er erkannte, daß der Führer es war, mit dem gesprochen wurde. Dann sah er, wie man mit ängstlicher Vermeidung jedes Lärmes die Sassaker weckte, und wie diese sämtlich langsam sich entfernten, bis sie in der Nacht verschwunden waren.

Geraume Zeit harrte der verwilderte Mensch noch, dann kroch er unhörbar zu Henrik und weckte diesen durch leises Schütteln. Trotz seiner Erschöpfung war der Jüngling alsbald munter.

»Was gibt's? Bist du's, Fritz?«

»Es ist Karl Steffen vom ›Admiral‹.«

»Oh, Karl, was führt dich her?«

»Leute fort – viel Leute – gehen weg – zwei Männer hier sie geholt.«

»Unsere Leute fort?« Henrik sprang auf. »Alle?«

»Mit Flinte – noch hier – andere fort.«

Nur die Balinesen trugen Flinten, also die Sassaker waren fort, jetzt mitten in der Nacht in der tiefsten Wildnis? Das sah bei der politischen Lage des Landes doch bedenklich aus.

»Er wird nachschleichen – sehen, wohin gehen.«

»Du willst jetzt in dunkler Nacht ihnen nachgehen?«

»Ja, er andere wecken, Flinte nehmen; bald wieder hier.«

Damit ging er zurück und verschwand, nachdem er eine Axt, die ein Sassaker hatte liegen lassen, aufgehoben, in der Richtung, in der sich die Sassaker entfernt hatten.

Karl Steffen hatte damit bewiesen, daß er sich trotz der gewaltigen Veränderung seines bisherigen Lebens doch die Klugheit des gehetzten Waldtieres bewahrt hatte. Henrik weckte den unweit schlafenden Ara Labung und teilte ihm mit, was Karl berichtet hatte. Der Balinese nahm seinen Jatagan und seine Büchse, auch Henrik hatte die ihm mitgegebene Waffe ergriffen und beide gingen dahin, wo die Sassaker gelagert hatten. Sie waren alle fort.

»Das sieht bedrohlich aus. So hatte ich doch recht, als ich annahm, daß Anak Madés edler Sinn getäuscht worden sei. Wir müssen alle munter machen und eines Überfalls gewärtig sein.«

Während er die Balinesen weckte, ging Henrik zu Fritz und rüttelte ihn.

»Aufstehen!«

»Jeht et schon wieder los?« sagte dieser schlaftrunken. »Ick jeh' uff keenen feuerspeienden Berg mehr.«

»Still. Komm nur.«

»Jeht et schonst weiter? Ick bin noch schläfrig.«

»Komm nur.«

Er trat mit ihm zu den Balinesen, die sich, die Büchsen in den Händen, um ihren Offizier gesammelt hatten. Auch die Diener Anak Madés, die hier mit den Pferden zurückgeblieben waren, standen da.

»Es ist nach dem, was ich sah und hörte«, sagte Ara Labung, »möglich, daß man uns mit Tagesanbruch, vielleicht noch in der Nacht angreifen wird. Ich zweifle nicht, daß die Sassaker sich in Massen erhoben haben. Vielleicht harrt man unser auch weiter unten. Lassen Sie uns eine Stellung einnehmen, in der wir nicht ohne weiteres überrascht werden können. Glücklicherweise hatten die davongelaufenen Burschen keine Waffen, aber sie werden wohl Genossen in der Nähe haben.«

Er gab hierauf Befehl, daß alle sich zum obern Ausgang des Felskessels zurückziehen sollten, und verteilte geschickt seine Leute, soweit es die Dunkelheit zuließ.

Fritz, der weder Balinesisch noch Englisch verstand, hatte dem allem mit Befremden zugesehen, auch war ihm aufgefallen, daß noch so wenig Leute anwesend waren.

»Du, Hamburger, wat is denn los? Jibt et wieder Jewitter mit Regentraufe?«

»Gewitter wird es wohl geben, die Sassaker haben uns heimlich verlassen, und der Offizier des Prinzen fürchtet, daß sie uns Übles sinnen.«

»Die Sassaker? Det is die eene Sorte von die braunen Menschen? Ick habe et dir jleich jesagt, det et mit die Leute nich richtig is.«

»Du hast leider recht gesehen.«

»Siehste woll. Wat jibt et denn nu?«

»Wir werden uns wehren müssen, wenn sie uns zu Leibe wollen.«

»Ach du lieber Jott, sollen wir uns mit die Mordbrüder 'rumbalgen? Hamburger, ick tu nich mit, ick halte mir diesmal neutral.«

»Ich fürchte, man wird deine Neutralität wenig respektieren.«

»Det kommt allens von die feuerspeienden Berge. Welcher vernünftige Mensch wird denn uff so wat 'reinfallen, noch dazu unter braune Menschen. Jetzt haben wir die Bescherung. Ick bin der eenzige gescheite Mensch bei die janze Gesellschaft.«

»Beruhige dich nur. Kommt es zu etwas Ernstlichem, so bin ich überzeugt, daß du mit deiner gewöhnlichen Tapferkeit fechten wirst, Zunftgenosse Derfflingers.«

»Ick lasse mir uff so Sachen nich mehr in, ick habe et satt, in die Schlachten zu fechten, det is mir zu jefährlich.«

»Wir müssen uns aber doch wehren, Besieger der Malaien.«

»Da haben wir et wieder. Det ick in 'n solches Schlamassel geraten muß, un noch bei die Dunkelheit. Wäre ick doch bei die jute Durchlaucht Exzellenz jeblieben«, jammerte Fritz.

»Du bist aus Liebe zu mir mitgegangen, Fritz. Du mußt jetzt schon bei mir aushalten.«

»Det wird 'ne böse Sache werden, ick sehe et schonst kommen. Wo is denn der Mann von die Insel? Is der ooch wegjeloofen?«

»Karl ist den Sassakern nachgeschlichen.«

Eine dunkle Gestalt tauchte geräuschlos aus der Nacht auf, und der, von dem sie sprachen, stand vor ihnen.

»Nun, Karl?« fragte, erfreut über seine Rückkehr, Henrik.

»Leute dort«, sagte Steffen mühsam, »viel Leute«, und streckte den Arm in der Richtung aus, aus der sie, den Berg ersteigend, gekommen waren.

Ara Labung, der nahe weilte, kam heran, als er des Waldmenschen Rückkehr bemerkte.

»Viel Leute?«

»Viel.«

»Wieviel ungefähr?«

»Wieviel? Es zehn – fünf – es – ganz viel.«

Der Arme schien sein Zahlengedächtnis vergeblich anzustrengen.

Henrik, dies erkennend, kam ihm zu Hilfe.

»Ein ganzes Schiffsvolk?«

»Ja.« Steffen atmete auf. »Kriegsschiff, alle Hände an Deck.«

»Also etwa drei- bis vierhundert Mann?«

»Ja, stark bemannt.«

Henrik übersetzte es dem begierig harrenden balinesischen Offizier.

»Fragen Sie ihn, ob sie Flinten hatten«, sagte dieser dann.

Steffen sann nach.

»Flinten? Nicht viel – wie Vollschiff.«

»Also etwa dreißig.«

»Kommen sie hierher?«

»Essen, trinken, schlafen – Feuer.«

»Daß die Sassaker sich erhoben haben, ist mir nicht zweifelhaft«, sagte Ara Labung. »Wenn dieses Zusammentreffen mit der dort lagernden Schar nicht zufällig ist, galt es dem Prinzen.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Man hat ihn bei uns im Lager gesehen, und dies kann sehr gut das Gerücht verbreitet haben, daß er mit zum Rindjani gezogen sei.«

»Da sie nun wissen werden, daß der Prinz nicht bei uns ist, lassen sie uns vielleicht in Ruhe ziehen.«

»Glauben Sie das nicht, sie werden uns auf alle Fälle festhalten, wenn es uns nicht gelingt, einen Ausweg zu finden. Die Sassaker sind ein grausames, tückisches Volk und hassen uns Balinesen sehr.«

»Anak Madé schien doch in unsern Führer Vertrauen zu setzen.«

»Anak Madé ist auch zu täuschen.«

»Was beginnen wir nun?«

»Wir müssen das Tageslicht abwarten und dann unsern Weg so gut wie möglich abwärts suchen.«

»Jeht et los, Hamburger?« fragte der Schneider ängstlich, als der Balinese schwieg.

»Hoffentlich nicht. Wir müssen mit Tagesanbruch davonlaufen.«