Was können wir hoffen?

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Eine Enzyklika für den Fortschritt

Eine ähnliche, aber weiter ausgearbeitete Differenzierung finden wir in der zwei Jahre später veröffentlichten Enzyklika Papst Pauls VI. mit dem Titel „Populorum progressio“. In römischen Dokumenten, so auch hier, haben die ersten Worte die Funktion einer Überschrift. Und in dieser Überschrift steht nun, ganz positiv aufgenommen, das Wort vom Fortschritt:

„Der Fortschritt der Völker, die sich am meisten darum bemühen, dem Unrecht des Hungers, des Elends, der im Lande herrschenden Krankheiten und der Unwissenheit zu entrinnen, die eine reichere Teilhabe an den Gütern erstreben, die von der Zivilisation ausgehen, und fordern, dass ihre menschlichen Eigentümlichkeiten bei der Arbeit höher bewertet werden; die schließlich beharrlich nach vollerer Entfaltung trachten: der Fortschritt dieser Völker also wird von der katholischen Kirche mit freudigem und aufmerksamem Herzen betrachtet.“38

Ähnlich wie Johannes XXIII. in seiner Rede zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils setzte sich Paul VI. von fortschrittsskeptischen Zeitgenossen ab:

„Manche werden solche Hoffnungen vielleicht für eitle Gedankenspielerei halten. Es kann allerdings sein, dass ihre Gewohnheit, die Dinge zu betrachten, wie sie sind, einen Fehler in sich birgt, weil sie noch nicht die Dynamik dieser Zeit bemerkt haben, in der die Menschen in einer engeren Beziehung zu ihren Brüdern leben wollen und, auch wenn sie von Unwissenheit, Irrtümern und Fehlern gefesselt werden und oft in verwilderte Sitten zurückfallen oder weit vom Weg des Heiles abirren, dennoch langsam und sogar, ohne es zu merken, sich ihrem Schöpfer nähern.“39

Von den Skeptikern distanziert sich der Papst in zwei Punkten: erstens im Blick auf die konkrete Gegenwart („die Dynamik dieser Zeit“) und zweitens in der theologischen Wertung der epochalen Bewegungen als Annäherungen an den Schöpfer.

Dennoch schließt sich die Enzyklika nicht einem naiven Fortschrittsoptimismus an. Hier sind wiederum zwei Differenzierungen zu bemerken: Erstens wird nicht jedwede geschichtliche Veränderung als Fortschritt gepriesen, sondern jene Veränderungen werden genannt, die den Abbau von Hunger und Elend, von Epidemien und Unwissenheit, größere Gerechtigkeit, Anerkennung und Entfaltungsmöglichkeiten, das Wachstum von Nähe und Solidarität, den „geistigen und sittlichen Fortschritt“40 fördern. Und zweitens will die Enzyklika nicht einfach nur eine erfreuliche Entwicklung konstatieren, sie macht vielmehr auf Widerstände aufmerksam, mit denen man wird rechnen müssen, und ruft dazu auf, auf dem Weg zum „Fortschritt des Menschengeschlechts“ auch vor eigenen Opfern nicht zurückzuschrecken.41

Erschütterungen

Dennoch wuchsen auch die Fragezeichen. Sie kamen aus zwei Richtungen.

Das eine Fragezeichen kam aus dem Blick zurück in die jüngere Geschichte. Jetzt, erst einige Jahrzehnte nach dem Kriegsende, kam in weiteren Kreisen Deutschlands die furchtbare Judenvernichtung, die zwischen 1933 und 1945 betrieben worden war, so ins Bewusstsein, dass sie den Blick für die Geschichte als ganze veränderte. Kriegsgräuel und Judenverfolgung erschienen nun nicht mehr als bloße dunkle Ausgangspunkte für eine Aufwärtsentwicklung, die dann mit der Nachkriegszeit begann; sie wurden vielmehr als Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte insgesamt verstanden. Wie aber soll man mit einer solchen Erfahrung an eine bessere Zukunft der Menschheit glauben können?

„Nun tritt plötzlich wieder Sisyphus neben Prometheus, Nietzsche neben Marx, Camus neben Teilhard“, sagte Johann Baptist Metz 1971. Er plädierte aber nicht etwa dafür, Weltgeschichte und Heilsgeschichte, säkulare Zukunftsperspektiven und christliche Hoffnung wieder grundsätzlich voneinander zu trennen, wie es vermutlich die neuscholastischen Theologen mit ihrer Unterscheidung zwischen „Natur“ und „Übernatur“ getan hätten. „Heilsgeschichte ist vielmehr Weltgeschichte, in der den unterlegenen und verdrängten Hoffnungen und Leiden ein Sinn eingeräumt wird.“42 Deshalb betonte er den Zusammenhang zwischen der christlichen Hoffnung und der christlichen Erinnerung an das Leiden. In ähnlicher Intention hatte Jürgen Moltmann einige Jahre zuvor in seiner „Theologie der Hoffnung“ betont von der „Auferweckung des Gekreuzigten“ gesprochen. Die christliche Hoffnung „erkennt in der Auferstehung Christi … die Zukunft eben der Erde, auf der sein Kreuz steht.“43

Die Würzburger Synode der deutschen Bistümer formulierte es wenige Jahre später so:

„Diese Frage nach dem Leben der Toten zu vergessen und zu verdrängen, ist zutiefst inhuman. Denn es bedeutet, die vergangenen Leiden zu vergessen und zu verdrängen und uns der Sinnlosigkeit dieser Leiden widerspruchslos zu ergeben. Schließlich macht auch kein Glück der Enkel das Leid der Väter wieder gut, und kein sozialer Fortschritt versöhnt die Ungerechtigkeit, die den Toten widerfahren ist.“44

Das zweite Fragezeichen kam aus dem Blick in die absehbare Zukunft. Ein äußerst wirkungsvolles Signal ging von der 1972 veröffentlichten Studie des Club of Rome mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“45 aus. Ein internationales und interdisziplinäres Forschungsgremium hatte mit den Mitteln der modernen Zukunftswissenschaft (Futurologie) ein Szenario der kommenden Jahrzehnte entworfen: Durch die Hochrechnung von fünf Entwicklungstrends (Wachstum der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen) und von deren voraussehbaren Einwirkungen aufeinander war man zu einem beunruhigenden Ergebnis gekommen: Die „absoluten Wachstumsgrenzen“ auf der Erde seien „im Lauf der nächsten hundert Jahre erreicht“. Die große Verbreitung dieser Studie (sie wurde in über zehn Millionen Exemplaren verkauft und zog inzwischen zahlreiche Folgestudien nach sich46) machte weiten Kreisen bewusst, wovor einige Vordenker47 schon seit Jahren gewarnt hatten: Der Menschheit droht ein katastrophales Ende gerade durch die Entwicklungen, auf die sie bisher stolz war.

Welche Erschütterung von diesen Beobachtungen ausging, kann der 1977 von der Grundwerte-Kommission beim Parteivorstand der SPD vorgelegte Entwurf für ein Grundwerte-Dokument illustrieren.

„Der Kern des Fortschrittsglaubens … war … die Überzeugung, dass die Automatik der wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Entwicklung auch die Durchsetzung der humanistischen Werte befördere und garantiere…

Es war dieser Glaube, der seit der Aufklärung und der industriellen Revolution, also seit rund 200 Jahren, alle modernen und sich modernisierenden Gesellschaften getragen und dem Leben von Hunderten Millionen Menschen auch dann einen auf diesseitige Hoffnung gegründeten Sinn gegeben hat, wenn sie den Halt eines religiösen Welt- und Lebensverständnisses verloren hatten…

An die Stelle des Vertrauens in die wohltätige Automatik des wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Fortschritts ist so einerseits die Ungewissheit über seine Fortsetzbarkeit in der Zukunft, andererseits die Sorge um die zerstörerischen Begleiterscheinungen einer unkontrollierten technisch-ökonomischen Entwicklung getreten. Die verlorene Zukunftsgewissheit, die aus beiden Wurzeln stammt, bestimmt heute als geistige Unterströmung das Klima jeder politischen Diskussion. Niemand kann diese verlorene Gewissheit wiederherstellen.“48

Dieser Text verdient deshalb besondere Beachtung, weil hier eine Partei, die bis dahin in besonderer Weise auf den Fortschritt gesetzt hatte, ihre Verlegenheit bekannte und die Notwendigkeit eines eigenen Umdenkens reflektierte.

Wie sehr inzwischen Theologie und Kirche dem öffentlichen Bewusstsein nahegekommen waren, könnte ein Blick in das zwei Jahre zuvor von der Würzburger Synode der westdeutschen Bistümer verabschiedete Glaubensbekenntnis zeigen. Schon dessen Titel „Unsere Hoffnung“ verweist auf das Gespräch mit der Zeit: „Hoffnung“ und „Zukunft“ waren die epochalen Stichwörter. Das Bekenntnis betont zunächst den engen Zusammenhang zwischen der Hoffnung auf das Reich Gottes und den Bemühungen um die Zukunft in unserer Welt:

„Die Verheißungen des Reiches Gottes, das durch Jesus unter uns unwiderruflich angebrochen und in der Gemeinschaft der Kirche wirksam ist, führen uns mitten in unsere Lebenswelt hinein – mit ihren je eigenen Zukunftsplänen und Utopien. An ihnen brechen und verdeutlichen sich diese Verheißungen, auch in unserer Zeit der Wissenschaft und Technik, der großen sozialen und politischen Wandlungen…“

„Gewiss ist das christliche Hoffnungsbild vom neuen Menschen im Reiche Gottes tief hineinverwoben in jene Zukunftsbilder, die die politischen und sozialen Freiheits- und Befreiungsgeschichten der Neuzeit bewegt haben und bewegen; es kann und darf von ihnen auch nicht beliebig abgelöst werden. Denn die Verheißungen des Reiches Gottes sind nicht gleichgültig gegen das Grauen und den Terror irdischer Ungerechtigkeit und Unfreiheit, die das Antlitz des Menschen zerstören. Die Hoffnung auf diese Verheißung weckt in uns und fordert von uns eine gesellschaftskritische Freiheit und Verantwortung, die uns vielleicht nur deswegen so blass und unverbindlich, womöglich gar so ‚unchristlich’ vorkommt, weil wir sie in der Geschichte unseres kirchlichen und christlichen Lebens so wenig praktiziert haben.“

Kritisch hinterfragt das Bekenntnis den „naiven Fortschrittsoptimismus“:

„War unser öffentliches Bewusstsein nicht zu lange von einem naiven Entwicklungsoptimismus durchstimmt? Von der Bereitschaft, sich widerstandslos einem vermeintlichen Stufengang im Fortschritt von Aufklärung und technologischer Zivilisation zu überlassen und darin auch unsere Hoffnungen zu verbrauchen? Heute scheint der Traum von einer schrankenlosen Herrschaft über die Natur im Interesse einer ebenso unbegrenzt vermehrbaren Bedürfnisfindung wie Bedürfnisbefriedigung langsam ausgeträumt. Zugleich spüren wir deutlicher die Fragwürdigkeit und geheime Verheißungslosigkeit, die in einer rein technokratisch geplanten und gesteuerten Zukunft der Menschheit steckt. Schafft sie wirklich einen ‚neuen Menschen’? Oder nur den völlig angepassten Menschen? Den Menschen mit vorfabrizierten Lebensmustern, mit nivellierten Träumen, eingemauert in eine überraschungsfreie Computergesellschaft, erfolgreich eingefügt in die anonymen Zwänge und Mechanismen einer von fühlloser Rationalität konstruierten Welt – rückgezüchtet schließlich auf ein anpassungsschlaues Tier?“49

 

Wer genauer hinsieht, merkt, dass sich, verglichen mit den kirchenamtlichen Verurteilungen um die Jahrhundertwende, die Tonlage verändert hat: Die Synode spricht nicht belehrend-abweisend, sondern fragend und in der „Wir“-Form, sodass die Kritik auch zur Selbstkritik wird. Auch an diesem sprachlichen Stil ist die neue Nähe zu den zeitgenössischen Gesprächspartnern zu erkennen.

Versuche, die Zukunft zu retten

In der mitteleuropäischen Öffentlichkeit rückten vor allem drei bedrohliche Entwicklungen ins Bewusstsein: Das militärische Wettrüsten, insbesondere die atomare Rüstung, macht die Horrorvision eines selbstmörderischen Endes der Menschheit zu einer realen Möglichkeit. Die Schere zwischen armen und reichen Ländern öffnet sich immer noch weiter – wird sie in mörderischen Verteilungskämpfen und einem Sterben riesigen Ausmaßes enden? Und schließlich die ökologische Entwicklung: Führt die Plünderung unseres Planeten50 zum Erstickungstod in der von uns selbst vergifteten Umwelt?

Die dreifache Sorge um die Zukunft und die Versuche, positive praktische Antworten zu finden, schlugen sich in drei Bewegungen nieder: in der Friedensbewegung, der (zunächst „Dritte-Welt-Bewegung“ genannten) Eine-Welt-Bewegung und der „grünen“, ökologischen Bewegung. Im Raum der christlichen Kirchen mündeten diese Bewegungen in den „Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“. Es waren vorwiegend progressive Gruppen, welche diesen Prozess in Gang brachten und trugen.

An dieser Stelle ist eine sprachliche Beobachtung aufschlussreich: Das lateinische „progressio“ bedeutet „Fortschritt“, „conservare“ bedeutet „bewahren“. Bedenkt man diese Wortbedeutung, dann fällt auf, wie sich die Richtungen verändert haben: Legten früher die „konservativen“ Kräfte der Gesellschaft Wert auf die Bewahrung des Überkommenen, und setzten die „Progressiven“ stärker auf Fortschritt, Veränderung, Zukunft, so wurden diese nun eher zu Anwälten des Bewahrens, während die klassisch „konservativ“ Genannten mit größerem Zukunftsoptimismus (zwar nicht auf eine Revolution, aber) auf ein Wachstum zum Besseren hin vertrauen. Zumindest sind die Fronten zwischen Zukunftsgläubigen und Bewahrenden nicht mehr so klar auszumachen wie etwa zu Lebzeiten Teilhard de Chardins.

Ein Nebeneffekt dieses Wandels dürfte sein, dass in der öffentlichen Diskussion über die Zukunft nun auch Theologie und Kirche als Gesprächspartner gefragt sind. Und auch umgekehrt: In manchen neueren kirchlichen Verlautbarungen spürt man, mehr als in früheren, den Dialog mit der Öffentlichkeit. Das gilt zum Beispiel für die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz „Zukunft der Schöpfung – Zukunft der Menschheit“ von 1980. In der Problemanzeige dieses Schreibens können sich viele wiederfinden, die sich heute mit der Ökologieproblematik befassen:

„Der Mensch besetzt seinen Lebensraum und den Lebensraum kommender Generationen mit dem Abfall dessen, was er produziert und konsumiert. Er verdirbt Elemente, aus denen sein Leben und seine Zukunft wachsen: Umweltkrise. Der Mensch lebt so, dass er auf mehr Energie angewiesen ist, als er ohne Schädigung seines Lebensraumes zur Verfügung hat. Wieviel Energie er verbraucht und wie er sie gewinnt, wird zur Lebensfrage: Energiekrise. Der Mensch schöpft für die Befriedigung seiner Ansprüche aus Quellen, die – wenn er so weiter schöpft – morgen nicht mehr fließen: Rohstoffkrise.“

Vor dem Hintergrund dieser Beschreibung klingt dann die theologische Vokabel „Schöpfung“ nicht mehr wie ein Fremdwort aus einer kirchlichen Sondersprache. Man ahnt zumindest einen Zusammenhang zwischen „Ökologie“ (griechisch: Lehre vom „Haus“) und Schöpfungstheologie:

„Der Mensch versteht sich als Spitze der irdischen Schöpfung und die Welt als sein Haus, das er sich zu seinem Nutzen und Gewinn einrichtet. Aber in vermeintlich berechtigtem Eigeninteresse läuft er Gefahr, mit diesem Haus so umzugehen, dass es über ihm zusammenbricht und er hilflos und wehrlos alleinsteht…: Schöpfungskrise.“

Und von daher könnte auch die differenzierende Beurteilung des Wachstums plausibel werden:

„Der Mensch darf nicht alles, was er kann. Je mehr er kann, desto größer wird seine Verantwortung. Mit den Möglichkeiten, Leben zu mehren und zu fördern, wachsen die Möglichkeiten, Leben zu schädigen und zu zerstören. Wachstum von Produktion und Konsum bedeutet nicht fraglos Wachstum der Menschlichkeit.“51

„Ein neues Verhältnis zur Welt – das kann kein Zurück hinter die Errungenschaften der Neuzeit bedeuten, nachdem wir einmal den wissenschaftlich-technischen Umgang mit den Naturkräften erschlossen haben. Es kann aber auch nicht die geradlinige Verlängerung des Strebens nach einer immer umfassenderen Ausnutzung aller Möglichkeiten unserer technischen Zivilisation bedeuten.“52

Anders als die neuscholastische Theologie, welche von der innerweltlichen Zukunft nur zu sagen wusste, dass die Welt am Jüngsten Tag in Schutt und Asche untergehen werde, erklärten die deutschen Bischöfe nun, auch die geschichtliche Zukunft unseres Kosmos könne uns nicht gleichgültig sein. Und anders als jene naive Schöpfungstheologie, die aus dem Wort „Macht euch die Erde untertan“ eine ungebremste Verfügungsgewalt des Menschen über die geschaffene Welt nahelegte, boten sie einen Maßstab für den Umgang mit der Schöpfung an: „Unsere Sache … ist es, die Welt so zu beherrschen, dass sie wahrhaft Zeichen der Hoffnung ist.“53 Sie konkretisierten diesen Maßstab in Empfehlungen für eine christliche Schöpfungsspiritualität, die als Gesprächsstoff in interessierten Gruppen heute noch sehr zu empfehlen sind. Am Ende betonten die Bischöfe, bei allem Engagement in der Sache, die Grenzen ihrer Kompetenz – und machten sich und die Kirche gerade damit dialogfähig:

„Wir alle sollten da nicht rasch besserwissen, sondern nach Kräften mittragen. Es kann uns Bischöfe dennoch nicht entbinden, die genannten Grundsätze zu vertreten. Andererseits müssen wir uns davor hüten, Ratschläge zu geben, die nicht durch die Kompetenz unseres spezifischen Auftrags gedeckt sind. Unser Beitrag ist daher begrenzt; wir sind jedoch überzeugt, dass er mithelfen kann, einen Weg zu finden, der weiterführt.“54

Eine ähnliche Gesprächssituation könnte heute über Möglichkeiten und Gefahren der Gentechnik, über Fragen der Familienpolitik angesichts der Besorgnis erregenden demographischen Entwicklung in Deutschland und über ähnliche Problemfelder entstehen. Es scheint, dass die Öffentlichkeit gegenwärtig durchaus von Theologie und Kirche erwartet, dass sie sich am Gespräch beteiligt, wenn es darum geht, Wege in die Zukunft zu finden. Das könnte, außer mit der verbesserten Dialogfähigkeit der Kirche, auch damit zusammenhängen, dass Christentum und Kirche als Orte vermutet werden, an denen die Hoffnung zuhause sein müsste.

Hoffnung auch ohne
Fortschrittsoptimismus

Das Wort „Fortschritt“ hat viel von dem Zauber, den es einmal hatte, eingebüßt. Aber die Hoffnung scheint unentbehrlich, gerade wenn der Fortschritt zweifelhaft und die Zukunftsperspektiven düsterer werden.

Dafür noch ein Zeugnis: Der marxistische Philosoph Ernst Bloch hatte, häufig mit Rückgriff auf die Bibel, emphatisch das „Prinzip Hoffnung“ betont, und zwar als etwas, was unausrottbar, wie mit religiöser Unbedingtheit, im Herzen der Menschen lebt, sich in Utopien artikuliert und letztlich nicht trügen kann.55 Dagegen stellte Hans Jonas das „Prinzip Verantwortung“: Gleich ob wir „einer bestimmten Aussicht mit Jubel oder mit Bangen entgegensehen“56 – wir müssen, unabhängig von unserer Gestimmtheit, die Zukunft verantworten. Trotz dieser Vorbehalte dagegen, Hoffnung zum Prinzip der Ethik zu machen, erklärt Jonas nachdrücklich die Hoffnung für unentbehrlich, nämlich als Voraussetzung für das Prinzip Verantwortung: „Hoffnung ist eine Bedingung jeden Handelns, da es voraussetzt, etwas ausrichten zu können, und darauf setzt, es in diesem Fall zu tun.“57

Knapp ein Jahr vor seinem Tod gab Hans Jonas dem Nachrichten-Magazin „Der Spiegel“ ein Interview über den Umgang mit der Natur. Er sah inzwischen die Menschheit „dem bösen Ende … näher als damals“.58 Dennoch plädierte er energisch dafür, die Hoffnung nicht aufzugeben:

„Der völlige Verzicht auf jede Hoffnung ist das, was das Unheil nur beschleunigen kann. Eines der Elemente, die das Unheil verzögern können, ist der Glaube daran, dass es abwendbar ist.“

Auf die ironische Bemerkung der Interviewer – „Wir erleben einen Hans Jonas, der am Ende des Gesprächs denn doch etwas Mut und Zuversicht verbreitet“ – entgegnete er:

„Nein, nicht Mut und Zuversicht. Der aber auf eine Pflicht hinweist, der wir unterstehen. Man darf nicht erst die Aussichten bewerten und daraufhin beschließen, ob man was tun soll oder nicht. Sondern umgekehrt, man muss die Pflicht und die Verantwortung erkennen und so handeln, als ob eine Chance da wäre, sogar wenn man selber sehr daran zweifelt.“59

Hoffnung ist für Jonas also nichts urwüchsig Gegebenes, sondern ein ethisches Postulat. Sie ist nicht zu verwechseln mit Optimismus, sie kann sogar am Abgrund der Verzweiflung angesiedelt sein, und sie ist gerade dann eine „Pflicht“ dessen, der an der Erfüllung sehr zweifelt. Nicht zu hoffen, wäre verantwortungslos.

Von hierher wird – das sagt Hans Jonas hier nicht, aber der Gedanke drängt sich mir auf – ein gerade heute unverzichtbarer Dienst des Christentums gegenüber der Gesellschaft deutlich: die Bezeugung der Hoffnung, und zwar auf solche Weise, dass durch sie die Resignation überwunden und der Gestaltungswille gestärkt wird.

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