Mein letzter Flug

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Indianergesang

Rothäutig kam die Dämmrung. Heroisch war der Tod.

Miklós Radnóti

GING GEI

DALLIMONI DILLIMONI NASSE

GING GEI

Gl GING GEI GA

GING GEI

DALLIMONI DILLIMONI NASSE

GING GEI

Gl GING GEI GA

BELLA BELL BELLAMA

BELLA MATSCHE BELLA MO

BELLA BELL BELLAMA

BELLA MATSCHE BELLA MO

TSCHALLAWEI TSCHALLAWEI

TSCHALLAWEI TSCHALLAWEI

WUMBA WUMBA

WUMBA WUMBA

– und mehr bedarf’s nicht, um diesen faszinierenden Schall zu bannen, denn wem hier noch nicht der Rauch der Prärie in die Nüstern und das Heulen der Squaws vor dem Marterpfahl ans Herz gestiegen ist, der braucht gar nicht mehr weiterzulesen. Uns jedenfalls überwältigten diese Verse beim ersten Hören, und wir begannen, als sie der Herr Kaplan mit uns für das große Missionsfest einstudierte, ihren Rhythmus sogleich an Ort und Stelle zu stampfen, und wenn auch keiner von uns gerade des Lesens mächtig gewordenen Landjungens Latein verstand, begriffen wir doch sofort, daß das herrliche Wort BELLA etwas mit Krieg zu tun haben mußte, denn schon bei der ersten Probe wechselten wir, ohne daß uns der Herr Kaplan besonders hätte darauf hinweisen müssen, an dieser Stelle aus unserm bis dahin gleichmäßig im Kreise trabenden Trott mit dem linken Fuß in den ersten Tritt eines savannenfressenden Stechschritts über und drückten die Knie durch und wölbten die Brust und reckten die Hälse und schmetterten blitzenden Auges: BELLA!, schallend aus den Fanfaren der Kehlen: BELLA!, und die Mauern und Zäune und Gatter sanken in sich zusammen, und der Herr Kaplan rief begeistert: »Gut so, Buben, brav so, recht so, singt’s so laut, wie daß ihr’s könnt!«, und er sprang, seine Kutte raffend, mit einem Satz an die Spitze unseres der noch fernen Schlacht entgegendürstenden Kriegszugs, und es hätte weder seiner hochgeschleuderten und drei Marschtakte lang über unseren Köpfen geschüttelten Faust noch dann des dämpfenden Zeichens der nun weitgespreizt mehrmals nach vorne wippenden Hand bedurft, um uns das MATSCHE, mit aller Stimmkraft bis zum Versiegen des Atems gebrüllt, das nach einem hastigen Luftholen folgende BELLA MO hingegen verhaltener, doch in einem unwiderstehlich wuchtigen Stoß endend, über den entsetzt sich duckenden Schulhof senden zu lassen. Wir hatten diesen Gesang im Blut, als wäre er uns an der Wiege gesungen worden.

Was Wunder, daß sich da Schritt und Ton von selbst ergaben; es konnte einfach nicht anders sein. GING GEI – die Stille, zerschlitzt und zerbeilt, klafft auf wie eine Nacht oder eine Felswand, und die Indianer brechen herein. Sie tragen Federn auf dem Kopf wie Geier, ihre Gesichter sind von schwarzen und roten Zonen durchquert, und in ihren Fäusten blitzen Klingen. Ihre Augen sind ins Weiße gezerrt, und ihre offenen Münder dampfen. Sie brechen ganz langsam herein wie ein Verhängnis, das hoffnungsverheißend gerade dann zögert, da es beschließt, von nun an unaufhaltsam zu sein, und so machen sie denn, indes ihre Äxte und Messer scheinbar unentschlossen warten, zwischen GING und GEI und auch noch nach dem GEI eine furchtbare Pause, und rings das lebendige Gras wird grau. Es müßte in Mürbheit zerbröckeln, da die Erde vor Angst den Atem anhält, doch da federt es schon wieder frisch und grün unterm Fuß der neuen Herren, denn nun sind die Indianer da, als seien sie es schon immer gewesen und es habe niemals diese Welt gegeben ohne sie und ihren Gesang: GING GEI DALLIMONI DILLIMONI – seht: da laufen sie in einem unermeßlich weit den Horizont begrenzenden Bogen; DALLIMONI DILLIMONI NASSE: leicht und locker, ihre Oberkörper wie Kronen im heiteren Atem des Kriegsgotts wiegend, laufen sie sich im lässigen Gliederlüften Savannen um Savannen ein, bis sie plötzlich mit einem Ruck ins ungeheure Stampfen des Heerzugs hinüberwechseln: BELLA, und da erzittert die Erde und reißt, und die Krieger wölben die Brust wie einem Himmel den Kugeln entgegen, die ihnen nun aus allen Blockhäusern und Forts der Bleichgesichter entgegenrasen, doch immer herrischer dröhnen die Füße: BELLA BELL BELLAMA, und wenn nun auch das Gras rings rot wird und die Schlünde der berstenden Steppe sich stumm mit Hinabgesunkenen füllen und wieder eben werden und sich erheben und zu Bergen wachsen: BELLA! BELL BELLAMA! BELLA MATSCHE! BELLA MO – o ihr Brüder in der Bläue des Schweigens, o ihr Berge am Weg, o ihr Blumen so rot –, und nun, da der rammende Stoß noch einmal zu neuem Anlauf zurückschnellt, beginnt die Rache zu brodeln: TSCHALLAWEI TSCHALLAWEI – wehe euch, wehe; so saust es im Brand, ehe die Flamme herausschlägt, so siedet die Kampflust in den Nieren, so duckt sich der Tod zum Sprung, und so schleichen die Seinen: geduckt, hinuntergeduckt ins wandernde Lauern der Beile und Messer, deren Schneiden unhörbar zischen wie Vipern: TSCHALLAWEI TSCHALLAWEI –

»Schalawei«, unterbrach uns da der Herr Kaplan, »es heißt schalawei, Buben, nicht tschallawei, so belehrte er uns mit einer geduldigen Freundlichkeit, wie wir sie bisher von ihm, dem vor allem ob seiner Schläge auf die Knöchel und Fingernägel gefürchtetsten aller Lehrer, bisher nicht gekannt hatten, und er blieb auch das zweite Mal noch nachsichtig und war es unbegreiflicherweise selbst dann noch, als er mich Übeltäter mit Namen nannte. Nun hätte ich mich ja nie erdreistet, anders singen zu wollen, als der Kaplan es uns vorgelesen:

GING GEI

DALLIMONI DILLIMONI NASSE

GING GEI

Gl GING GEI GA

GING GEI

DALLIMONI DILLIMONI NASSE

GING GEI

Gl GING GEI GA

BELLA BELL BELLAMA

BELLA MATSCHE BELLA MO

BELLA BELL BELLAMA

BELLA MATSCHE BELLA MO

SCHALAWEI SCHALAWEI

SCHALAWEI SCHALAWEI

WUMBA WUMBA

WUMBA WUMBA,

allein als Indianer sang ich dann so selbstverständlich TSCHALLAWEI, daß ich gar nicht gemerkt hatte, falsch zu singen, und als ich nach der Belehrung durch den Herrn Kaplan meine Aufmerksamkeit ganz auf dieses Wort versammelte, platzte ich nach dem verhallenden MO einen halben Schritt zu früh in die Pause, und beim nächsten Mal, als ich auf die Pause achtete, sang ich gegen meinen Vorsatz wieder TSCHALLAWEI. Der Herr Kaplan ließ halten.

»Warum singst du denn immer so graulich falsch, Pepperl?« fragte er.

Diese unerwartete Frage an Stelle der längst fälligen Schläge überrumpelte mich, und ich sagte ohne Bedenken: »Weil es tschallawei heißt«, und die Klasse lachte.

Der Herr Kaplan erwies sich zu unserer Überraschung plötzlich als ein Mann von Witz. »Ha«, sagte er, »schau an, der Peppi kann Indianisch! Da legst dich nieder! Daß der Peppi ein sehr ein gescheites Köpferl hat, wissen wir alle, aber daß er gar Indianisch kann, hab ich nimmer gewußt!« Die Klasse lachte herzlich, genauer gesagt, nur die Jungens der Klasse, denn die Mädchen übten in der Turnhalle einen chinesischen Kirschblütentanz, und man hörte sie manchmal mit ihren dünnen Stimmen etwas wispern, das wie MING MANG MAU PING PANG PAU TSCHING TSCHANG TSCHAU klang und uns derart albern vorkam, daß wir gar nicht mehr darauf achteten. Die Klasse also lachte, und ich nahm es als Zustimmung. Natürlich konnte ich nicht Indianisch, aber daß es TSCHALLAWEI heißen müsse, schien mir so unabdingbar, daß mir darüber weder das Unerhörte meiner Widersetzlichkeit noch das der unheimlichen Güte des Herrn Kaplan bewußt wurde. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich von dem Gefühl erfüllt, vollständig recht zu haben, wie etwa der Ahorn recht hat, wenn seine Blätter gezackt und seine Früchte geflügelt sind, und ich glaubte ganz arglos, daß etwas, was mir derart selbstverständlich erschien, jedem anderen, wenn man es ihm nur sagte, auch so erscheinen müsse. Die Klasse also lachte, und ich nahm es als Zustimmung, doch der Herr Kaplan schüttelte sanft den Kopf. »Es heißt aber schalawei, Pepperl«, sagte er und zog das abgegriffene Büchlein, aus dem er uns den Gesang vorgelesen hatte, aus der Kuttentasche und schlug es auf. Er brachte die an den Ecken graugewetzten Blätter nur mit Mühe voneinander, schließlich aber hielt er nickend inne und hob das aufgeschlagene Büchlein wie die Hostie nach der Wandlung in die Höhe und schwenkte es, obwohl keiner von uns aus dieser Entfernung die Schrift entziffern konnte, langsam im Halbkreis, dann senkte er es wieder in Augenhöhe, räusperte sich und las uns vor. »Hier steht’s, Buben«, sagte er und äugte dabei über das Büchlein hinweg in unsere Mienen, »hier steht’s genau. ›Schalawei, schalawei, schalawei, schalawei‹, und danach ›wumba, wumba, wumba, wumba‹«, so las er Wort um Wort aus dem Drucktext, »lies selbsten, Pepperl!«

Meine Arglosigkeit war hilflos rein. Ich trat vor, und der Herr Kaplan hielt mir das Buch unter die Nase, und sein Daumennagel unterstrich die fragliche Zeile. Es war ein wulstig-runder, mit paarig abstehenden borstenhaften Härchen besetzter Daumen, sein Nagel war wachsweiß und rosig, und über ihm stand in fettig-verschmierten Buchstaben viermal das Wort SCHALAWEI, und hierhin paßte es genau.

Ich nickte.

»Lies laut vor, Pepperl«, sagte der Herr Kaplan. »Schalawei, schalawei, schalawei, schalawei«, las ich ohne Stocken, und dann fügte ich, zu dem nur wenig größeren Lehrer aufsehend, treuherzig hinzu: »Aber tschallawei ist halt viel schöner, Herr Kaplan!«

Über dem Schulhof leuchtete der bergegesäumte Himmel, und in der Luft war ein Gewoge von Amselschall. Ich erinnere mich nicht mehr, wie sich die Klasse verhielt, da ich sagte, daß TSCHALLAWEI viel tausendmal schöner als SCHALAWEI sei, genauer: ich nahm es wohl schon damals nicht wahr; der Eifer besseren Wissens hatte mich beseelt wie einen Heiligen, der den Schlangen oder einem Regen predigt, allein ich glaube, daß die Klasse nicht atmete. Hingegen weiß ich genau, daß der Herr Kaplan fast bittend sagte: »Aber so steht’s doch gedruckt, Peppi, und der hochwürdige Herr Erzbischof selbsten hat es so gutgeheißen«, und indem er dies sagte, klappte er das Büchlein zu und sah einen Augenblick wie träumerisch durch den graugrünen Einband mit der Weltkugel und dem Kreuz der Leiden, dann schlug er es mir von der Seite her auf den Nasenflügel und sagte dabei ganz leise und gelassen: »Schalawei!«

 

»Schalawei«, wiederholte er und schlug mit dem Büchlein auf die andere Seite. Ich fühlte keinen Schmerz, nur ein dumpfes Schwellen und hörte dazu die Stimme mit überwältigender Gleichtönigkeit sagen: »Es heißt schalawei!« Ich fühlte keinen Schmerz, das sagte ich schon, und ich fühlte auch nicht Wut und nicht Trotz und nicht einmal Angst, mich erfüllte nur ein vollkommen traumhaftes Verwundern über den Eintritt etwas gänzlich Unmöglichen, denn daß die Berge am Horizont einstürzten, das konnte wohl sein, sie waren ja alt, und in ihrem Inneren wühlten Gnome, daß die Vögel plötzlich mit Menschenstimme redeten, hatte Siegfried erlebt, warum sollte da nicht auch unsereins es erleben, daß aber SCHALAWEI das Richtige war, das konnte nicht sein, doch der dritte Schlag traf mit dem Buchrücken die Nasenspitze, und während nun der schießende Schmerz die Trümmer des Verwunderns fortriß, duckte der in den Winkel zwischen Backe und Nasenflügel geführte vierte die endlich zum Ausbruch gesammelte Empörung sofort wieder ins Dunkel des Schädels hinunter, und der in den anderen Nasenwinkel fahrende fünfte schließlich zog einen Schleier vor die Berge, und der Amselruf war in den drei Silben verschollen, die mich zugleich mit den Schlägen erschüttert hatten: »Scha!! – la!! – wei!!«

Lief Blut über meine Lippen? Ich spürte es nicht. »Alstern, wie heißt’s?« fragte der Herr Kaplan. »Schalawei«, sagte ich, den Mund unbeholfen unter der aufgedunsenen Nase bewegend und von nichts als der zuckenden Hoffnung erfüllt, das nun folgende Verhör durch zufriedenstellende Antworten möglichst rasch beenden zu können.

Der Herr Kaplan nickte und schlug mit dem Buchrücken bedächtig in die Nasenwurzel an der Unterkante der Augenbrauen. Dahin hatte er noch nie geschlagen; es tat furchtbar weh, und ich riß unwillkürlich den Arm zum Schutz hoch, doch da brauchte der Herr Kaplan nur ein wenig mit den Fingern zu schnalzen, schon packten zwei Freunde meine widerspenstigen Hände und hielten sie übereinandergekreuzt auf meinem Rücken fest.

»Ha«, sagte der Herr Kaplan befriedigt und steckte, dieweil er sich auf die Zehenspitzen erhob und mich unter bedeutungsvollem Nicken musterte, das Büchlein in die Kuttentasche. »Ha«, sagte er, und der Eifer schob seine Stirn auseinander, »warum hast’s dann nicht gesungen, wenn du’s also weißt?« Er packte, ohne eine Antwort abzuwarten, mein Ohrläppchen und drehte es über das Oberglied des zusammengeklappten Zeigefingers nach oben und drückte dabei mit der wachsenden Kraft einer Schraubenstange den eisenharten Untergliedknochen dieses Fingers unterm Muschelansatz ins Innenohr. Ich schrie auf und verstummte sofort wieder, da mein eigenes Schreien mich stach; der Druck über die ineinandergestauchten Gehörknöchelchen auf das Trommelfell war unerträglich; mein Schädel begann mit rauschendem Krachen zu bersten, und ich wimmerte ergeben, daß ich nichts wisse; ich war nichts als zerspringender Schmerz und Ergebung, und mein Wimmern war die Bereitschaft, alles nur Gewünschte zu sagen, doch der Herr Kaplan hatte Zug, Drehung und Druck dermaßen verstärkt, daß meine eigenen Laute mich ärger als Schläge trafen und noch mein Geheul sein Verbündeter war. »Antworten sollst!« schrie der Herr Kaplan und riß mich am Ohr in die Höhe, und meine Freunde rissen mich zugleich an den Händen nach unten; in diesem Augenblick muß es aber auch geläutet haben, denn die Mädchen kamen von der Turnhalle her über den Schulhof, und das rettete mich.

Sie hatten die Haare zu Zöpfen geflochten und hüpften im Gänsemarsch, und an ihrer Spitze hüpfte die auch alltags bezopfte Handarbeitslehrerin; sie trugen alle eine Dotterblume oder einen Löwenzahn über der Stirn, und sie hüpften trippelnd in engen Sprüngen von einem Fuß auf den andern und hoben und senkten im Gleichtakt zu ihrem zirkelnden Gehüpf die aus den Fäusten ragenden Zeigefinger zwischen Hüfte und Schulter, so daß sich der linke erhob, wenn der rechte sich senkte, und dazu sangen sie: MING MANG MAU PING PANG PAU TSCHING TSCHANG TSCHING TSCHANG TSCHING TSCHANG TSCHAU, und das war derart komisch, daß die Klasse laut lachte und selbst den Herrn Kaplan ein Schmunzeln ankam. Dabei entrutschte mein Ohr seiner Hand; der Schmerz der plötzlichen Befreiung hackte wie ein Beil, doch er zerhackte auch die schädelaufstemmende Schraube des Ertaubens und vergönnte sogar mir ein Grinsen über die Gänse, die Chinesinnen sein wollten und eben nur blöde trippelnde Gänse aus Neutätschl waren, und als nun auch noch vom nahen Kirchhölzchen her mit rußgeschwärzten Gesichtern die Kleinsten gelaufen kamen und Eschenschößlinge schüttelten, als ob das Watussispeere wären, und dazu KUNGO KUNGO KUNGO HUUH KUNGO KUNGO KUNGO HUUH kreischten und sich kreischend und fratzenschneidend mit den übers Gaffen verstummten Mädchen im neugierigen Kreise zusammendrängten, da wußte ich wieder und wußte es so innig wie nie, daß ich ein Indianer war und am Marterpfahl stand und die große Prüfung vor aller Welt in Ehren bestehen werde.

Dieses Wissen war ein heiliger Vorsatz, doch es hatte auch einen festen Grund. Es hatte ja schon geläutet; nach spätestens fünf Minuten mußten wir in eine andere Stunde, und so dachte ich, der Herr Kaplan werde mir zum Abschluß noch ein paar Ohrfeigen geben und mich dann laufenlassen, und ich dachte, daß er sich, wie es seine Art war, mit gegrätschten Beinen vor mich hinstellen und mir, den ganzen Oberleib drehend, mit durchgestrecktem Arm abwechselnd links und rechts ins Gesicht schlagen und daß ich bei jedem Schlag TSCHALLAWEI sagen werde, immer nur TSCHALLAWEI, nichts anderes als TSCHALLAWEI, diesen herrlichen Kriegsruf meines Stammes, der im Geheul der Coyoten das Herz berauscht: TSCHALLAWEI TSCHALLAWEI TSCHALLAWEI TSCHALLAWEI, und die Squaws drängten sich mit den Kindern dichter, und ich streckte Hals und Haupt und atmete noch in Fesseln die reine freie Luft der Verachtung, und der Schwarze Häuptling winkte die Squaws und die Kinder näher und brüllte und stampfte vor ihnen seinen Kriegsgesang, und ich hörte trotz des noch dumpfen Ohrs verklärt, daß er schrie, eine solch eine Verstocktheit wie die meine habe er noch nicht erlebt, und ich wolle klüger sein als alle Lehrer und gar als der hochwürdige Herr Erzbischof selbsten, und vor so einer Hoffart würde sich sogar der Satan im Höllenfeuer verschrecken, der Hochmutsteufel, der mehr hat sein gemocht als der Herrgott, doch jetzt würd sich’s zeigen, wer im Recht sei, jetzt würd er mir meinen Schneid schon abkaufen, und er trat vor mich hin, und sein Atem beschlug mein Gesicht wie Dampf, und ich biß grimmig die Zähne zusammen und sah über die Schulter des Feinds den makellosen Glanz des Himmels auf mich schauen und schloß geblendet die Augen und hörte den pfeifenden Atem der Squaws und war bereit; und dann geschah alles in entsetzlich langsamer Schnelle. Der Widersacher sprang auf meine Zehen und griff mir mit vollen Fäusten rechts und links der Schläfen ins Haar und zerrte es mit einem solchen Ruck schräg nach oben, daß mein Fleisch in einer jähen Panik des Schmerzes bis zum Ende begriff, wie ein Skalp genommen wurde; die Wurzel eines jeden Haares stand plötzlich in Weißglut; mein Schädel begann rundum zu brennen, und er brannte und brannte und verbrannte doch nicht; es war das Höllenfeuer, das solcherart lohte, und ich saß darin und heulte aus seinen Flammen, daß ich ein elender Bub sei, ein rotziger Bengel, ein frecher, aufsässiger dummer Lauser, der noch nicht einmal wisse, daß es SCHALAWEI heiße, SCHALAWEI, SCHALAWEI, und ich gurgelte SCHALAWEI, und das Feuer fraß sich ins Hirn und knisterte SCHALAWEI, tausendmal SCHALAWEI, und es wurde dunkel und das Feuer fraß weiter, und als dann die Fäuste des Herrn Kaplan mit einem armseligen Büschelchen Haar in die Höhe fuhren, ließ der Brand ein zusammengekrümmtes Häuflein aschig glühenden Schmerzes zurück, und durch das Läuten, das den Schulhof zertoste, ging sieghaft die schwarze Kutte des Herrn Kaplan.

Mittags beim Heimweg dann trottete irgendeine der Squaws an meiner Seite. »Der hat dich aber arg abg’straft, der Herr Kaplan«, schnatterte sie mitleidig, »was hast denn getan?«

Ich zuckte so lässig, als ich konnte, die Schulter. Auf meinen Schläfen zischte noch Glut. Die Squaw ließ nicht locker. Schließlich sagte ich ihr, daß ich statt SCHALAWEI TSCHALLAWEI gesungen hätte.

Die Squaw schnaubte. »A so a gemeiner Kerl, a gemeiner«, sagte sie entrüstet, »wegen einer so einer Kleinigkeit …«

»Das ist keine Kleinigkeit«, sagte ich scharf.

Sie lachte kicksend in ihrer Dummheit. »Das ist doch egal, ob das tschallerwei heißt …«

Begannen meine tausend Wunden nicht wieder zu bluten? Stürzte der Himmel nicht splitternd zusammen? Mein Herz schrie vor Empörung, und ich dachte der Lästerin den blöden Zopf um den Hals zu schlingen und sie zu erdrosseln, doch ich wußte, daß wir Indianer uns nicht an wehrlosen Squaws vergreifen, und gar noch an gelben, und so bezwang ich denn meinen heiligen Zorn. »Das ist nicht egal«, sagte ich mit keuchender Ruhe, »was verstehst denn du! Es ist der Indianergesang, weißt du, und der muß gesungen werden, wie’s richtig ist! Das ist fein was anderes als euer blödes Kinesergedudel! Das darf net a jeder singen, wie er grad will!«

Sie sah mich ehrfürchtig an, und Mustangs schrien, und Büffel stampften, und über der Prärie lag betörender Rauch. Ich war plötzlich von Mitleid erfaßt, daß sie nur eine Chinesin war und ihr Bruder nur einer der Neger, und ich ertrug ihre Unwissenheit mit schulterzuckender Geduld. Ihr Blick war treuherzig wie eine Linde; sie trug eine Löwenzahnblume über der Stirn, und der Saft aus dem Stengel hatte ihr schwarze Kringel auf die Haut gemalt, und das rührte mich. »Es ist der echte Indianergesang«, sagte ich mit erläuternder Milde, »da ist ein jedes Wort ganz genau vorgeschrieben, aber ganz genau, sonst wär’s ja kein echter Indianergesang!« Sie verstand in stummer Bewunderung; sie war bei ihrem Haus angelangt, doch sie lief weiter an meiner Seite, und ich duldete es. »Der Herr Kaplan hat ganz recht«, sagte ich, »wenn er also streng ist, das muß so sein!« – »War’s arg?« flüsterte sie scheu. Ich nickte fast unmerklich, so wie man Selbstverständlichkeiten eben seine Zustimmung gibt. Sie sah mich seufzend an und hatte große Augen unter der Löwenzahnblüte, und ich spürte voll Inbrunst und Glück das Feuer auf meinen Schläfen und hob den Kopf und schaute über die stumme Prärie in den Himmel, der seinen Glanz spannte über uns Indianer und auch noch über die anderen Völker der Welt.

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