Süffiger Single Malt für MacDonald

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Z serii: Mord und Nachschlag #30
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Auchentoshan/Kilpatrick, Lowlands

MacDonald stieg auf der Princess Street aus dem Bus und ging den Rest des Weges zu Fuß. Der Haymarket-Bahnhof wäre auch eine Option gewesen, aber heute war ihm nach dem emsigeren Getümmel in Edinburghs Hauptbahnhof, der Waverley Station mit dem schönen Glasdach. Im Verkaufsraum holte er seine Fahrkarten und entnahm der riesigen Anzeigetafel das Gleis. Es war noch Zeit, um »Guardian« und »Evening News« zu kaufen, an einer Kasse mit menschlichem Wesen! Den Trend, Kunden ihre Waren selbst einscannen und bezahlen zu lassen, würde er bekämpfen, wo immer er sich manifestierte! Vor allem bei Marks & Spencer nahm er überhand. Die Zeitungen unter dem Arm, die Aktenmappe in der Hand, ging er zum Gleis und setzte sich auf eine Bank. Mit einem Verfolger im Rücken? Nein, nur ein Bahnangestellter. Gut, dass er Alberto nicht mitgenommen hatte. Der würde ihn auslachen. Auch die Fahrt zur Auchentoshan-Destillerie hätte ihm zum Amüsement gereicht. »Angus, du willst dir nur einen hinter die Binde kippen!«

»Hallo, schöne guten Tage«, sagte ein Mann chinesischen Aussehens, mit großen Ohren, bieder gekleidet, und setzte sich neben ihn, viel zu dicht für MacDonalds Empfinden. Der junge Mann aus dem Frühstücksraum!

»Auch wohnen Sie im Braid Hills«, stellte er fest und lächelte charmant.

»Ja, durchaus.«

»Gefällt Ihnen?«

»Hm.« MacDonald strich über die beiden Zeitungen auf seinem Schoß, ein deutlicher Hinweis, dass er sich ihnen widmen wollte.

»Mir auch. Vor allem Frühstück.«

»Sehr wohl.«

»Wohin fahren?«

»Bitte?« Dieser Konversation würde nichts Fruchtbares entspringen.

»Heute meinen ich.«

»Wenn Sie einverstanden sind, widme ich mich meiner Lektüre, junger Mann.«

»Gut verstehen. Ich reisen Glasgow.«

MacDonald nickte und versteckte sich hinter dem »Guardian«. Als er eine Viertelstunde später wieder aufblickte, war der Mann verschwunden. Sehr schön! Der Zug fuhr pünktlich in Glasgows Queen Street Station ein und er ging für den Anschlusszug zur Tiefebene. Das unterirdische Gleis hatte etwas Bedrückendes an sich. Die Züge dort hätten auch Kampffahrzeuge sein können, so schnell tauchten sie aus dem Dunkeln auf. Dreißig Minuten später erreichte er das einst von Iren gegründete Kilpatrick. Man konnte darüber spekulieren, ob die Dreifach-Destillation bei Auchentoshan ein Erbe der keltischen Brüder war, wo doch in vielen irischen Destillerien dreimal destilliert wurde. MacDonald hatte vergessen, ein Taxi vorzubestellen und marschierte, Karen wäre stolz auf ihn, immer an der Schnellstraße entlang. Kein Unwissender hätte direkt am Verkehr eine liebreizende Destillerie erwartet: weiß bepinselte Gebäude und Hallen, wohl proportioniert über das grüne Gelände verteilt. Zur Linken ein künstlich angelegter Teich. Waren das Kühe am Ende des Grundstückes? Aus einem Pförtnerhäuschen marschierte ihm ein älterer Herr mit aufrechtem Rücken und in zackigem Schritt entgegen. Ehemaliges Armeemitglied?

»Good morning, Sir!«

Bei seinem letzten Besuch hatte er sich keiner Eingangskontrolle unterziehen müssen. »Auch Ihnen einen guten Morgen, mein Herr. Ich komme zur Führung um zwölf Uhr.«

»Folgen Sie bitte den Pfeilen auf dem Boden. Dann kann nichts schiefgehen.«

»Gerne. Verzeihung, kann ich Sie etwas fragen?«

»Dafür bin ich da.«

»Seit wann hält sich die Destillerie Kühe?«

»Schöne Tiere, nicht wahr? Sie gehören einem unserer Gärtner und haben schon bei landwirtschaftlichen Wettbewerben Preise gewonnen.«

»Dürfen Sie auch in die Produktion schnuppern?«

»Klar, Alice VII Heather Hills Glenlivet, Alice of Kilpatrick, Alice III of Kilpatrick und Fiona XXIV Craigowmill kommen als erste in den Genuss des Draff.«

MacDonald fragte sich, ob der Mann die Namen erfunden hatte. Vermutlich nicht, denn dafür klangen sie zu exaltiert und auch wie auswendig gelernt. »Ich meinte tatsächlich die Produktion, nicht die Reste, die übrig bleiben.«

»Würden Sie das erklären, Sir?«

»Könnten die Kühe versehentlich in die Destillerie spazieren?«

»Völlig ausgeschlossen«, antwortete der Mann mit harter Miene. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt, Sir.« Der Portier griff hektisch zum Telefon, wie MacDonald beim Weggehen bemerkte. Er meldete sich für die Führung an, zahlte dem Guide die sieben Pfund Eintritt und sah sich im Shop um. Es gab die gängigen Single Malts, aber auch einige seltene Flaschen. Die teuerste war die 2007er-Abfüllung eines fünfzig Jahre alten Scotch, 171 Flaschen zum Stückpreis von 5.000 Pfund. Dann einen 38-Jährigen, mit 500 Pfund wesentlich billiger und schließlich einen 24-Jährigen für 220 Pfund. Über den halben Hundertjährigen war zu lesen: »Kräftige Bronze als Farbe.« Erstaunlich, er dachte immer, Bronze gab es wie Silber und Gold nur in einer Ausprägung. »Anfängliche Aromen von leichtem, frischem Eukalyptus.« Im Gegensatz zu schwerem, getrocknetem Eukalyptus? »Ausbalanciert mit der Süße von Butterscotch und Treacle. Ein wenig reines Mineralwasser befreit Spuren von reifen, weichen Früchten.« Welche weichen Früchte bitte? Himbeeren, Erdbeeren, Brombeeren? Als Abgang: »Seidige Glattheit, komplex und köstlich.« Der 38-Jährige musste folgende Beschreibungen erdulden: »Eine besonders frische und taufeuchte Fruchtigkeit.« Taufeuchte Fruchtigkeit?! Es kam noch besser: »In der Nase sonnendurchtränkte, reife Früchte; ein Geschmack von gebackener Ananas führt zu cremigen Haselnüssen und Mandelkuchen. Der Abgang ist delikat mit Anklängen weißer Trauben, von Holunder und Mandeln.« Der geschmackliche Unterschied zwischen roher und gebackener Ananas sollte in Whisky erkennbar sein? Cremige Haselnüsse? Für diese Wortmonster hatte die Marketingabteilung wohl mehrere Nächte geschuftet! Die dritte Flasche wurde als atemberaubendes Beispiel eines dreifach destillierten Whiskys bezeichnet, auf feinster Qualitätseiche gereift, mit tiefem, reichem Gewürz und weicher, honigsüßer Birne, dazu eine seidige, glatte Textur. Schön, wenn eine Destillerie ihren eigenen Whisky atemberaubend fand. Abgesehen davon, dass alle Auchentoshan-Whiskys dreimal destilliert wurden. Qualitätseiche? Honigsüße Birne? Ausgemachter Blödsinn! Wollte man die Käufer auf den Arm nehmen, nach dem Motto, gib uns dein Geld, wir kümmern uns nicht darum, was in der Flasche ist und ob man es noch trinken kann? Entgegen dem weitverbreiteten Missverständnis, dass Whisky immer besser wurde, je länger er im Fass lagerte, war nach etwa 16 Jahren alles Glückssache, weil die negativen Noten des Holzes überhandnehmen konnten. An den hohen Schwund durch Verdunstung gar nicht zu denken. Der Herr an der Kasse, der ihm seine Eintrittskarte verkauft hatte, mit aufwändig getrimmtem Vollbart, der Schnurrbart fein ziseliert, merkte, dass etwas nicht stimmte.

»Wir haben auch einen Filmraum, wenn Sie möchten, Sir …«

»Ich bin sicher, das wird mir gut gefallen. Wo denn, bitte?«

»Hier, zu meiner Linken.«

MacDonald nahm hinten Platz. Bei den Whisky-Regionen war man nicht auf dem richtigen Stand. Campbeltown fehlte! Auf die Speyside-Region, welche die Scotch Whisky Association 2006 eingeführt hatte, könnte man eher verzichten, lag sie doch innerhalb der Highlands. Über die Lowlands hieß es: »Von ehemals sieben Destillerien blieben nur wenige übrig.« Insgesamt vierzehn, um genau zu sein! »Es gibt wenige Dinge im Leben, die erfreulicher sind als das Klicken von Eiswürfeln in einem Glas.« Wie sein guter Freund, Master Blender Alastair Carnegie, zu sagen pflegte: »Wer Eis in seinen Whisky gibt, muss gerichtlich belangt werden.« Wollte Beam-Suntory anderen Whisky bewerben? Japanischen vielleicht? Aber Auchentoshan war, wie die gesamte schottische Whisky-Industrie, eine Geldmaschine, und es konnte nicht sinnvoll sein, das eigene Produkt lächerlich zu machen. Andererseits gab es von Auchentoshan sehr viele reguläre Whiskys: American Oak, Three Wood, Blood Oak, Noble Oak etc. Hinzu kamen die seltenen Flaschen. War es gemein, anzunehmen, dass in der Produktion dieser Tage so nachlässig wie in der Marketingabteilung gearbeitet wurde? Zeit, das Privatkino zu verlassen.

»Hat Ihnen unser Film gefallen, Sir?«

»Stark verbesserungsfähig, junger Mann.«

Der Guide schluckte, sah MacDonald perplex an. »Sind Sie bereit?«

»Wozu?«

»Für die Tour, Sir«, antwortete der Mann in nachsichtigem Ton.

»Wo stecken denn die anderen Teilnehmer?«

»Sie sind der Einzige.«

Die Führung versöhnte MacDonald wieder ein wenig, denn die Produktionsstätten konnten sich sehen lassen, funktional und dennoch ästhetisch bestechend. Japanische Eleganz war unverkennbar. Schnell stellte sich auch heraus, dass der Mann Expertise besaß.

»Welche Gerste verwenden Sie?«

»Concerto. Zu hundert Prozent.«

»Hefe?«

»Anchor, eine Trockenhefe, die wir seit 1992 benutzen. Bei uns bleibt die Wash 55 Stunden in der Washback.«

»Veräußern Sie Fässer an Privatleute?«

»Nein, nur an renommierte Abfüller und Firmen, wie etwa die Scotch Malt Whisky Society.«

»Kaufen Geschäfte wie Imperial Whiskys aus Edinburgh direkt bei Ihnen ein oder über Zwischenhändler?«

»Leider ist das nicht mein Arbeitsbereich.«

»Verkaufen Sie viele alte Whiskys?«

»Medium, würde ich schätzen. Für eine exakte Antwort müsste ich die Kollegen konsultieren. Kürzlich besuchte uns ein asiatischer Gentleman und kaufte je zwei Exemplare der drei ältesten Scotch im Shop.«

»War der Herr alleine unterwegs?«

»Nein, mit einer Gruppe von Freunden, ein außergewöhnlicher Mensch, spendierte den Fünfzigjährigen noch im Shop.«

»Der Gentleman schenkte Ihnen den Whisky?«

 

»Wie schön wäre das gewesen! Nein, er kaufte ein Set No-sing-Gläschen, öffnete die Flasche und schenkte seinen Begleitern ein. Können Sie sich vorstellen, dass die Gesellschaft die Flasche leerte?«

»Wie viele Personen waren es?«

»Sechs oder sieben.«

»Dann kann ich es mir gut denken. Was hat der Herr mit der leeren Flasche gemacht?«

»Bitte, was?«, fragte der Guide viel zu laut.

»Warf er sie weg?«

»Auch beim besten Willen kann ich mich nicht mehr erinnern.«

MacDonald war lange genug Detektiv, um zu merken, dass der Mann schwindelte.

Irgendjemand hatte die Flasche an sich genommen, entweder der Besucher oder der Guide. »Waren die anderen Teilnehmer auch aus Asien?«

»Die meisten unserer Besucher kommen aus den USA, Großbritannien und Mitteleuropa.«

»Schön, aber woher stammte diese Gruppe?«

»Asien. Japan oder China.«

»Hatten Sie in der letzten Zeit Probleme mit gefälschtem Whisky?«

»Mir ist nichts bekannt.«

»Auch nicht mit Ihrem Zwölfjährigen?«

»Unsere Produkte müssen höchsten Ansprüchen genügen, bevor sie das Areal verlassen.«

Blablabla, ergänzte MacDonald im Geist. »Veränderte sich Ihre Arbeit, als Beam-Suntory übernahm?«

»Nein, überhaupt und gar nicht, und wenn, im Gegenteil.«

»Wissen Sie, ob es in den anderen Destillerien des Konzerns Probleme gibt? Glen Garioch, Laphroaig, Ardmore, Bowmore?«

»Keinesfalls, nein, kann ich mir kaum vorstellen.«

MacDonald kaufte eine Flasche Whisky und verließ das Gebäude in schlechter Stimmung. Wer auch immer die leere Flasche an sich genommen hatte, fand eine Verwendung dafür, als Souvenir, Kerzenhalter, oder um billigeren Whisky einzufüllen. Er trottete zum Bahnhof und wartete auf den nächsten Zug nach Glasgow. In der Ferne konnte er Loch Katrine sehen. Das Seewasser wurde für die Produktion von Auchentoshan verwendet. Ein Jammer, dass er keine Zeit für einen kleinen Ausflug hatte. Auf dem Rückweg stieg er im Haymarket-Bahnhof aus. Beim Weg durch die große, helle Halle glaubte MacDonald wieder, verfolgt zu werden. Zurück im Braid Hills, loggte er sich im Hotelcomputer ein, um zu klären, ob jemand leere Auchentoshan-Flaschen zu verkaufen hatte, zum Beispiel bei Ebay, fand aber nichts. Weder Exemplare antiker Flaschen noch neuere Exemplare gab es. Er dachte an den Werbefilm bei Auchentoshan und die fehlende Region Campbeltown. Die Scotch Whisky Association in Edinburgh war nicht nur für die Benennung der Whisky-Regionen zuständig, sondern kümmerte sich auch um gefälschten Whisky. Es wäre keine schlechte Idee, die Recherche dort fortzusetzen. Er setzte sich auf einen der bequemen Ohrensessel und wählte die Nummer seiner Ansprechpartnerin im Management. Heather Murphy antwortete sehr kurz angebunden. Gewöhnlich war sie die Hilfsbereitschaft in Person …

»Regelmäßige Arbeitszeiten hat er nicht, junge Frau.«

»Wolln Se sagen, dass er Rentner ist und ich mich mit ’nem alten Knacker treffen soll?«

Ob diese Dame, in Hotpants, schwarzen Nylonstrümpfen und Stöckelschuhen, die Richtige war, musste sich zeigen. Nur weil sich sonst niemand finden ließ, hatte er sie in das Ketten-Restaurant Wagamama bestellt. »Blödsinn, er ist ein renommierter Buchautor.«

»Renoviert?«

»Erfolgreich als Autor und TV-Koch!« Beachtlich, dass ihr der Kaugummi nicht aus dem Mund fiel, soweit wie sie ihn aufriss.

»Das Dickerchen hat ’ne eigene Show? Das wüsste ich.«

Der Mann stöhnte. »Aber wieso denn, bitte?«

Sie machte den Rücken gerade und parkte den Kaugummi an einem Backenzahn. »Na, weil ich jeden Abend vor der Glotze sitze! Is mein Hobby. Da hätt er doch irgendwann mal über die Scheibe flimmern müssen.«

»Verstehe. Sie futtern dabei bestimmt jede Menge Kartoffelchips?«

»Klaro. Wer tut das nich?«

»Ich zum Beispiel.«

»Mann, Sie wissen kaum, was Ihnen entgeht.«

»Ungesundes esse ich nicht.«

»Probieren Sie doch mal Chips mit Rote-Bete-Geschmack. Hab die Dinger entdeckt, als ich in einer Fabrik arbeitete. Den ganzen Tag ham wir nix anderes gemacht, als Chips mit schwarzen Punkten drauf aussortiert. Mit bloßen Händen! Knochenjob.«

»Am besten, Sie sprechen viel über Whisky.«

»Lieber trink ich ihn. Hoho! Ein Spruch von meinem Bruder.« Sie haute sich auf den ledernen Minirock, der ein unschönes Geräusch von sich gab. »Schaun Se mal, wie die Typen da drüben ihre Suppe schlürfen. Sind wohl Chinesen.«

»Ja!«

»Hä?«

»Ich habe es bemerkt.«

»Muss ich das auch machen?«

»Was denn?«

»So laut schmatzen.«

»Wüsste nicht warum. Wann fangen Sie im Braid Hills an?«

»Morgen. Bin schon mächtig aufgeregt.«

Warum jemand wie sie eingestellt wurde? Im Allgemeinen mangelte es dem Hotel nicht an gutem Personal. »Sie kommen ursprünglich aus Glasgow?«

»Ay! Bin stolz drauf! Sie sin kein Schotte, oder?«

»Das tut nichts zur Sache!«

»Chinese?«

»Nein!«

»Für mich sehn Se arg chinesisch aus.«

»Sie sollten in der Lage sein, einen Draht zu ihm aufzubauen. Dann läuft alles von selbst.«

»Elektrisch? Hab ich keine Ahnung von.«

»Essen gehen, reden, küssen und dergleichen Dinge.«

»Ay, das! Klar, is doch in meinem Interesse. Jetzt, wo ich weiß, dass er Mäuse hat, macht’s mir doppelt Spaß.«

»Fühlen Sie sich der Aufgabe wirklich gewachsen?«, fragte der Mann eindringlich.

»Woher soll ich wissen, ob das Dickerchen schnell wächst! Das is bei jedem Mann anders. Verstehen Se, was ich meine?« Sie blies den Kaugummi zu einer dicken Blase auf und ließ ihn wieder abschwellen.

Wenn der Plan nur funktionierte! »Haben Sie noch Fragen?«

»Zum Thema Nummer eins?«

»Genug davon!«

»Mann, Sie sind mir ein Ernster! Hoffentlich is das Dickerchen besser drauf.«

»Eine der zentralen Aufgaben der Scotch Whisky Association ist es, heimischen Whisky zu schützen, individuelle Unternehmen wie auch die Industrie im Ganzen. Scotch Whisky ist eine geografische Indikation, was bedeutet, dass Ersterer nur in Schottland mit Wasser, Getreide und Hefe produziert werden darf.«

MacDonald saß dem jungen Mann, Mister Rossie, bereits eine Viertelstunde gegenüber und brachte es nicht fertig, ihm ins Wort zu fallen, obwohl er vor Langeweile fast starb. Augenscheinlich arbeitete Rossie noch nicht lange für die SWA und wollte alles aufsagen, was er wusste. Heather Murphy musste kurzfristig nach Europa reisen und stand für ein Gespräch nicht zur Verfügung! Rossies Nadelstreifenanzug, die Hosenbeine zu kurz, überlange Jackettärmel, das korrekt gescheitelte Haar, unterstrichen sein jungenhaftes Aussehen. »… unterbinden wir unfairen Wettbewerb. Dieser kann folgendermaßen aussehen: Irgendwelche Spirituosen werden fälschlicherweise als Scotch Whisky bezeichnet. Es werden Namen benutzt, die eine assoziative Verbindung zu Schottland herstellen sollen.«

»Wie zum Beispiel Glen«, warf MacDonald ein.

»Tartan ist auch beliebt.« Mister Rossie lächelte verschmitzt. »Sie wollen mehr Beispiele? Scottish Gold, Scottish Piper, Highland Stag …«

»Der Grund, aus dem ich heute zu Ihnen …«

»… irreführendes Verpackungs- und Werbematerial ebenso.«

»Welche Länder fälschen die meisten Scotch Whiskys?«

»Da es wechselt, besitzen wir keine klare Hierarchie. Überall, wo Scotch Whisky beliebt ist, versuchen Verbrecher sich zu bereichern.«

»Gehört China gegenwärtig dazu?«

»Warum fragen Sie?«

»Weil die Fälschungsindustrie des Landes legendär ist.«

Rossie betrachtete seine Fingernägel. »Wie gesagt, eine klare Reihenfolge haben wir nicht.«

»Gibt es bestimmte Orte in Schottland, an denen viel Scotch gefälscht wird?«

»Nein, es ist mehr ein Problem mit Märkten in Übersee.«

»Was wird gefälscht? Single Malt oder Blended Scotch Whisky? Oder eher seltene Whiskys?«

»Die SWA konzentriert sich darauf, falschen Scotch vom Markt zu entfernen. Individuelle Scotch-Produzenten konzentrieren sich auf ihr eigenes Produkt.«

»Sind viele Menschen involviert? Reden wir von großen Organisationen oder wenigen Ganoven in einer Garage?«

»Jeder Fall ist anders. Werden leere Flaschen mit Billigscotch aufgefüllt, sind mehr Personen mit von der Partie.«

»Um wie viele Liter geht es?«

»Unmöglich, eine Zahl zu nennen. Wenn wir gefälschten Whisky entdecken, wissen wir ja nicht, wie viele Flaschen davon verkauft wurden. Doch Zahlen sind nicht das Wichtigste. Unsere Priorität ist, die Reputation von Scotch zu schützen. Alle Konsumenten müssen sicher sein können, ein authentisches Produkt zu erhalten.«

»Wie vertreiben die Gangster ihren Stoff?«

»Von Fall zu Fall anders. Manche haben ihre eigenen Wege, andere nutzen einen fremden Vertrieb.«

Über Rossie sah MacDonald eine große Comic-Sprechblase, gefüllt mit unzähligen Blablas. Auch diese Lebenszeit war verloren! »Was sind die üblichen Fehler beim Fälschen von Scotch?«

»Auch das variiert. Manche Fälschungen sehen sehr authentisch aus. Wenn wir einen Verdacht haben, testet ein unabhängiges Labor für uns, ob es sich bei der Flüssigkeit um Scotch Whisky handelt. Einer der teuersten Bereiche der Scotch-Produktion ist die Fass-Reifung. So begegnen wir oft Alkoholika, die sich nicht einmal in der Nähe von Holz befanden und nur mit einer kleinen Menge genuinen Whiskys gemischt wurden.«

MacDonald hätte sich das Leben einfach machen und seine beiden falschen Whiskys der SWA aushändigen können. Aber er wollte Kevin Wordie, der sehr wahrscheinlich unschuldig war, nicht ans Messer liefern. »Entstehen gesundheitliche Risiken, wenn zum Beispiel Methanol anstelle von Ethanol verwendet wird?«

»Unterschiedlich, manche Verbrecher verwenden neutralen Alkohol, den sie färben. Zum Glück ist uns noch kein Fall untergekommen, in dem sich jemand verletzt hätte.«

»Sind Sie sicher?« Regelmäßig wurden illegale Wodka-Fabriken gestürmt und Menschen erblindeten oder starben qualvoll, weil sie Fusel tranken. Warum sollte gefälschter Scotch eine Ausnahme sein? »Wie erfahren Sie von Fälschungen?«

»Unser Team besteht aus fünf Anwälten, einer Anwaltsgehilfin und weiteren Angestellten. In Übersee arbeiten wir mit externen Anwälten zusammen. Auch gibt es immer wieder Mitglieder und Konsumenten, denen Verdächtiges auffällt.« Rossie blickte demonstrativ zu MacDonalds Tasche, aus der eine Flasche Auchentoshan ragte. »Wir dachten, dass Ihr Besuch heute damit zu tun hat.«

MacDonald erlitt einen kapitalen Hustenanfall. »Wie kommen Sie darauf?«

»Mrs Murphy machte eine Andeutung.«

»Ich, äh, recherchiere ganz allgemein.«

»Für einen Zeitungsartikel?«

»Jawohl, das sagte ich Heather auch.«

»Hat die Flasche Auchentoshan mit Ihrem Artikel zu tun?«

»Insofern ich davon getrunken habe, ja, haha.« Das war zumindest nicht gelogen. »Sind Destillerien gut bei der Sache, wenn es um das Melden von Fälschungen geht?«

»Das liegt in ihrem Interesse.«

»Wie gehen Sie gegen Fälscher vor?«

»Gegenwärtig arbeiten wir über den Globus verteilt an siebzig Fällen und Hunderten von administrativen Vorgängen. Für gewöhnlich können wir die Gangster stoppen, bevor die Sache zu Gericht geht.«

»Kommt es vor, dass Fälscher sich ein bestimmtes Produkt vornehmen, um einem Unternehmen gezielt zu schaden?«

»Ist eindeutig ein Punkt. Aber alle Produzenten sind außerordentlich daran interessiert, ihre Produkte zu schützen, wie auch die der gesamten Industrie.«

»Haben Sie gegenwärtig einen großen Fisch an der Angel?«

»Sie verstehen sicher, dass ich darüber nicht sprechen könnte …«

Gut gepasst hätte noch, wenn Rossie die Hand auf die Brust gelegt hätte.

MacDonald fuhr ins Braid Hills, kochte sich einen Becher schottischen Heidetee und dachte über das fruchtlose Gespräch nach. Heather Murphy hatte er mitgeteilt, dass es um eine wichtige Sache ging, und dennoch blieb sie mit der ältesten Ausrede der Welt fern. Er schob die Spiegeltür des Kleiderschranks zur Seite und entnahm ihm die Flasche 24-jährigen Auchentoshan. Test Nummer eins: Korken aus der Flasche ziehen (ging viel zu leicht vor sich!), eine großzügige Portion in das Nosingglas gießen und gut hin- und herschwenken. Obacht! Ein Scotch mit einem Vierteljahrhundert auf dem Buckel hätte respektable Kirchenfenster präsentieren müssen. Er verkorkte die Flasche wieder und schüttelte sie kräftig. Je mehr Bläschen sich am Flaschenhals bildeten, umso höher war der Alkoholgehalt, ein probater Test von Schwarzbrennern. Die Bläschen lösten sich hier aber nicht wieder auf, sondern blubberten lustig fort wie in einem Schaumbad! Dieses Elixier musste er gar nicht erst verköstigen, weder daran riechen noch probieren! Mit Bedacht hatte er den Schütteltest im Verkaufsraum der Destillerie unterlassen, denn niemand konnte wissen, ob Auchentoshan nicht selbst für Fälschungen verantwortlich war. Auch der Markt für ältere Whiskys war demnach kontaminiert. Er schlug den aktuellen Katalog des Auktionshauses Drummonds auf. Vier Auchentoshans im Alter von zehn bis einundzwanzig Jahren waren für die nächste Versteigerung angekündigt, in einem Preisgefüge von 380 bis 420 Pfund. In der Beschreibung hieß es: Kapsel beschädigt, Mantel noch intakt. Abgefüllt hatte die vier Flaschen die Destillerie. Bis in die 90er- Jahre machten das unabhängige Abfüller wie Blackadder, Douglas Laing, Gordon & MacPhail oder die Scotch Malt Whisky Society in Edinburgh. Wo Drummonds seine Auchentoshans eingekauft hatte, war dem Katalog nicht zu entnehmen, denn über die Ankäufe schwieg man sich prinzipiell aus. Aber wer veräußerte vier Flaschen, durchweg mit beschädigter Kapsel? Wie sollte dieser spezifische Schaden bei mehreren Flaschen entstanden sein? War es gefälschter Whisky, dem jemand Patina verleihen wollte? Auktionshäuser hielten sich bei der Produktbeschreibung auf der sicheren Seite. Im ersten Abschnitt der »Hinweise für Auktionsteilnehmer« war zu lesen: »Wenn die Mitarbeiter von Drummonds die zu versteigernden Gegenstände beschreiben oder sich zu diesen äußern, tun sie das im Auftrag des Verkäufers. Bieter und Käufer, die keine Experten des jeweiligen Sujets sind, sollten vor der Auktion die Hilfe eines unabhängigen Experten in Anspruch nehmen. Wenn Drummonds selbst als Verkäufer auftritt, wird dies entweder im Katalog ausgewiesen oder bei der Versteigerung erklärt.« Mit anderen Worten, Drummonds schrieb auf, was immer der Verkäufer erzählte? So konnte das Auktionshaus sich bei Fälschungen leicht aus der Verantwortung stehlen. Aber was war mit der Expertise des eigenen Whisky-Experten, eines Mister Gourlay? Sortierte er nur die schlimmsten Fakes aus? Im Kleingedruckten hieß es, dass eine Fälschung nach dem Kauf nicht als solche anerkannt wurde, wenn die Flasche vor der Auktion von Gelehrten und Experten bzw. von einem führenden Experten im Metier Whisky als authentisch bezeichnet worden war, und selbst wenn sich die Experten nicht einig waren, übernahm Drummonds keine Verantwortung! Man durfte sich fragen, ob das Auktionshaus bei einer Reklamation jemals den betreffenden Whisky überprüfte und gegebenenfalls das Geld erstattete. MacDonald studierte weiter den Katalog. Gien Garioch war nicht vertreten, dafür aber alle anderen schottischen Single Malts des Beam-Suntory-Konzerns: Laphroaig, Ardmore und Bowmore. An der nächsten Auktion in drei Tagen würde er teilnehmen und gleich noch einige Telefonate machen. Master Blender Alastair Carnegie von der Whisky-Firma McVicar and Whitelaw in Glasgow war der Erste auf seiner Liste. Seit ihrem gemeinsamen Abenteuer in Pitlochry war er ihm noch mehr ans Herz gewachsen.3

 

»Hier spricht Alastair Carnegie«, sagte sein Freund in einer Tonlage, die manchen Schauspieler neidisch machen würde.

»Hallo, Alastair, ich bin es, Angus.«

Pause. »Schön, deine Stimme zu hören, mein Freund.«

»Kannst du gerade reden?«

»Im Prinzip ja, aber lieber wäre es mir in fünf Minuten. Darf ich dich zurückrufen?«

»Natürlich, überhaupt kein Problem. Ist mit deiner Nase alles in Ordnung?«, fragte MacDonald.

Carnegie lachte. »Ja, Angus. Seit der Episode in Pitlochry hat es mich glücklicherweise nicht mehr erwischt. Toi, toi, toi. Bis gleich, mein Lieber.«

Aus den fünf Minuten wurden zehn, fünfzehn, schließlich zwanzig.

»Tut mir leid, dass ich dich so lange habe warten lassen. Geht es dir gut, Angus?«

»Blendend, ja, sieht man von dem falschen Whisky ab, der in Umlauf ist.«

»Äh, wie bitte?«

»Ich habe in meinem Hotelzimmer zwei Flaschen Auchentoshan und eine Flasche Glen Garioch, jeweils als Imitat, stehen.«

»Bist du auf Reisen?«

»Schöne Vorstellung. Doch war es ein Wasserrohrbruch, der mich ins Braid Hills führte. Einer der drei Whiskys, von Auchentoshan, ist 24 Jahre alt. Die Verbrecher sind also in beiden Segmenten tätig.«

»Woher weißt du, dass es dieselben Personen sind?«

»Es ist nur eine Vermutung, Alastair. Warum ich dich anrufe: Hattet ihr bei McVicar and Whitelaw in der letzten Zeit Probleme mit gefälschtem Whisky?«

»Angus, unsere Produkte verlassen das Haus nur nach strengsten Qualitätsprüfungen.«

»Also nein? Das ist schön.«

»Wo hast du die Flaschen gekauft?«

»Die jungen Tropfen bei Kevin Wordie auf der High Street und den alten Auchentoshan in der Destillerie. Kannst du mir etwas Sachdienliches mitteilen, Alastair?«

»Mit Imperial Whiskys kennst du dich als Edinburgher besser aus.«

»Auchentoshan? «

»Eigentlich dürfte ich es dir nicht sagen. Auchentoshan erwarb ein großes Kontingent an raren Whiskys. Solche, die sie selbst nicht mehr besaßen. Die Authentizität ist zum Teil, hm, zweifelhaft.«

»Bei wem wurde denn gekauft, bitte?«

»Gute Frage. Nach allem, was ich weiß, waren es einzelne Personen, die ihre Sammlung veräußerten.«

»Wie viele Personen? Zwei, drei, fünf?«

»Das entzieht sich leider meiner Kenntnis.«

»Könntest du nachfragen?«

»Mehr wird der Herr mir nicht sagen, lebt er doch bereits in Angst. Wenn es mit der Destillerie den Bach runtergeht, verliert der Mann seinen Job und ob er in seinem Alter etwas Neues findet, ist fraglich.«

»Wieso kauft Auchentoshan denn so viele alte Whiskys?«

»Sie möchten die Flaschen verkaufen und wittern auch Morgenluft im Replika-Markt.«

»Das hat uns gerade noch gefehlt.«

»Was soll das heißen?«

MacDonald, kein Fan von Replika-Whiskys, hatte Carnegies »Whisky für die Engel«, den wiederentdeckten Flaschen der Antarktis-Expedition von Shackleton nachempfunden, für einen Moment vergessen. Wie peinlich, wo er diesen Scotch doch liebte. »Ich, äh, meinte, auf Fälschungen können wir verzichten. Außerdem sind deine Kreationen nicht zu übertreffen.«

»Replikas sind keine so schlechte Idee, Angus. Whiskys, die vor dem Krieg produziert wurden, bilden eine Klasse für sich. Damals gab es mehr Personal und Zeit. Das Mälzen der eigenen Gerste war Ehrensache und die Fermentation dauerte bis zu einer Woche. Verschiedene Hefen kamen zum Einsatz, Bäckerhefe, leichte Hefe, Brauerhefe. Sherryfässer waren Standard. Die Whiskys schmeckten unverkennbar ölig, nicht so stark torfig wie heute. Es war eine dezente, fragile Torfigkeit.«

»Plant ihr einen Whisky in der Art?«

»Eher nein, ich meine nur, das Projekt von Auchentoshan ist kein schlechter Einfall.«

»Stimmt. Es wird allerdings schwierig sein, nach Fälschungen Replikas zu kreieren.«

»Niemand hat gesagt, dass sie ausschließlich Fakes kauften.«

»Wie hat man festgestellt, dass unter den Ankäufen Fälschungen sind? Mit Labortests oder durch eigene Expertise?«

»Man vertraute wohl auf die eigene Anschauung. Aber Angus, ich habe dir bereits mehr erzählt, als ich durfte.«

»Es gibt nicht allzu viele Personen, die bereits vor dem Krieg guten Whisky tranken und es immer noch tun. Wer erkennt also durch Augenschein, ob ein alter Whisky gefälscht ist? Beam-Suntorys Master Blender ist versiert, redlich noch dazu, nicht wahr?« Mehr war aus Carnegie nicht herauszubekommen. Das musste man akzeptieren. »Ich danke dir für das Gespräch, Alastair.«

»Sehr gerne. Wie hast du den Geschmack der falschen Whiskys verdrängt? Mit Laphroaig?«

»Exakt. Der Zehnjährige war mir eine große Hilfe.«

»Natürlich. Angus, noch etwas …«

»Ja?«

»Da der Markt für seltene Whiskys ein verhältnismäßig junges Phänomen ist, könnte es theoretisch sein, dass zwei ältere Damen, sagen wir in Elgin, kürzlich ihre Keller mit seltenen Whiskys auflösten und an Auchentoshan verkauften.«

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