Dicke Luft in der Küche

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The Duke of Edinburgh

»Ich versichere Ihnen, niemals in diesem Hause geweilt zu haben. Wenn kein roter Bodenbelag vorhanden gewesen wäre, hätte ich einen kleinen Handteppich aus meinem Köfferchen gezaubert und ihn ausgelegt. Nur deshalb habe ich gefragt. Dürfen wir eintreten?«

Mrs Craig sah streng zu Alberto und machte dann eine halbherzig einladende Handbewegung.

»Großherzigen Dank, Gnädigste. Sie werden es nicht bereuen.«

»Das will ich hoffen. Übrigens haben Sie Flecken von Tinte an den Händen.«

»Sozusagen ein fleischlicher Spickzettel. Nur für den Fall, dass ich meinen Text vergesse. Ich mache so etwas auch nicht alle Tage.«

»Es fällt schwer mir, das zu glauben.«

Sie öffnete die Tür und ging voran. Die dicken, bodenlangen Vorhänge waren zugezogen und nur einige wenige Kerzen erhellten das Zimmer. Mrs Lockhart saß mit einer Decke über den Beinen in einem hohen Sessel.

»Mam, Ihr Gatte, der Prinz, ist zurückgekehrt.«

»Sie trägt ja bürgerliche Kleidung«, flüsterte MacDonald Mrs Craig zu.

»Imaginieren Sie sich den Rest einfach hinzu! Und wenn ich Ihnen noch einen guten Rat geben darf. Besterdings sprechen Sie übers Essen. Es scheint das Einzige zu sein, das noch sie interessiert.«

MacDonald schüttelte sich wie vor einem Sprung vom Zehnmeterbrett. »Guten Tag, Lilibet. Weißt du was! Den Mann, der den roten Teppich erfand, sollte man auf seinen Geisteszustand untersuchen.«

Alberto wollte applaudieren, doch MacDonald konnte ihn rechtzeitig am Ärmel ziehen. »Excusa«, sagte er leise.

Mrs Lockhart grinste MacDonald schelmisch an, während er weitersprach: »Wenn es vier Beine hat und kein Stuhl ist, Flügel, ohne ein Flugzeug zu sein, wenn es schwimmt und kein U-Boot ist, dann essen die Chinesen es.«

Jetzt lachte sie laut auf und klatschte. »Köstlich, wie habe ich dich vermisst. Wo warst du denn, Philip?«

»In Cornwall, einen Leuchtturm einweihen. Anschließend gab es wieder das unvermeidliche Bankett. So langsam habe ich es satt. Niemals serviert man mir gewöhnliche Gerichte, immer nur dieses neumodische Zeug!«

»Ich stimme dir zu. Die Bevölkerung vergisst, dass selbst wir nur aus Fleisch und Blut sind.«

»Wo ist Ann?«

»Welche Ann?«

»Unsere Tochter.«

»Wir haben eine Tochter, die so heißt?«

»In der Tat. Übrigens, hast du gewusst, dass es außer Blindenhunden auch Hunde für Magersüchtige gibt?«

»Wie meinst du das, Philip?«

»Die Hunde essen anstelle der Magersüchtigen.«

Mrs Lockhart schüttelte sich vor Lachen. »Genug! Du musst aufhören mit deinen Bonmots, sonst platze ich noch. Politisch korrekt war das auch nicht.«

»Verrätst du mir, wo sich unsere Tochter und Catriona befinden?«

»Das weißt du doch. Ann ist mit der Kleinen davongelaufen, vermutlich, um die Welt zu verbessern.«

»Oha«, sagte Alberto und erhielt dafür von Mrs Craig einen kräftigen Knuff. Ängstlich sah er zu ihr auf. Vor herrischen Frauenzimmern hatte er große Ehrfurcht, erinnerten sie ihn doch sehr an seine Großmutter im Friaul.

»Hilfst du meinem Gedächtnis bitte auf die Sprünge und verrätst mir wohin?«

»Er hat ihr wohl einen Floh ins Ohr gesetzt.«

MacDonald sah fragend zu Mrs Craig. Ihre Lippen formten stumm das Wort Vater.

»Ich wusste gar nicht, dass die beiden wieder Kontakt haben.«

»Euch Männern entgeht so manches.«

»Von mir aus! Was ist es denn nun?«

»Sie will sich selbst finden.«

»Well, wollen wir das nicht alle?«

»Du erscheinst mir heute so gar nicht authentisch.« Mrs Lockhart hielt sich den Zeigefinger vor den Mund und winkte ihren Gatten zu sich heran. MacDonald kniete sich behutsam vor ihren Sessel. Es wäre spannend gewesen, auf einem Monitor die Zeitlupenaufnahme eines Erdrutsches daneben zu stellen. Alberto und Mrs Craig rückten in einem stillschweigenden Waffenstillstand ein Stück auf: Von dem, was Mrs Lockhart flüsterte, bekamen sie dennoch nichts mit. »Mein lieber Philip. Auch wenn du es nicht wahrhaben möchtest, du und Ann seid euch sehr ähnlich.« MacDonald wollte etwas fragen, doch Mrs Lockhart legte ihm den Finger auf den Mund. »Ailsa, wo bist du?«, rief sie mit königlich-autoritärer Stimme.

Mrs Craig trat einen Schritt nach vorne. »Hier, Mam! Was kann ich tun für Sie?«

»Machen Sie bitte meinem Gatten deutlich, dass ich mich an das rote Köfferchen mit den politischen Angelegenheiten machen muss. Es ist hohe Zeit. Wir wissen alle, dass es ihm ein Dorn im Auge ist. Doch Pflichten sind nun einmal Pflichten.«

»Aber Lilibet, wir haben uns doch gerade so gut unterhalten. Apropos, wo wohnt Ann denn gegenwärtig?«

Mrs Lockhart hatte sich geistig bereits in den wichtigsten Teil ihrer fiktiven Welt begeben.

»Haben Sie nicht gehört? Ihre Gattin hat keine Zeit mehr!«

MacDonald bemerkte, dass das Köfferchen auch Fotografien enthielt. Lächelnd nahm er ihr eine Aufnahme aus den Händen, von der er hoffte, dass sie Ann, ihre kleine Tochter und Paul zeigte. Mrs Lockhart betrachtete ihn mit gespielter Entrüstung, sagte aber nichts.

»Die Herren folgen mir!«, befahl Mrs Craig, die ihm bereits den Rücken zugekehrt hatte.

MacDonald steckte das Foto in die Innentasche seines Jacketts, ergriff sein eigenes Köfferchen und verließ das Zimmer.

Alberto folgte ihm verdutzt. »Angus, du bist ohne ein Wort der Verabschiedung gegangen«, sagte er auf der Treppe. »Das war nicht sehr höflich.«

»War es nicht, das stimmt. Aber authentisch.«

»Prego?«

»Prinz Philip durfte in den über sechs Jahrzehnten seiner Ehe noch niemals etwas aus dem berühmten roten Köfferchen sehen. Das wurmt ihn gewaltig. Auch er hätte seine Gattin also beleidigt verlassen.«

»Was du alles weißt.«

Im Erdgeschoss mobilisierte Mrs Craig zusätzliche Gesichtsfalten. »Ich wünsche den Herren einen geruhsamen Tag. Adieu.«

»Nur eines noch. Sie müssen uns bitte sagen, wo wir diesen Herrn Sangster finden.«

»Völlig unmöglich.«

»Erklären Sie sich bitte.«

»Ich kann nicht hinweg über den Kopf von Mrs Lockhart entscheiden.«

»Es leuchtet Ihnen aber ein, dass wir ihre Tochter und ihre Enkeltochter finden wollen?«

»Bin ich ja in der Zwischenzeit nicht auf den Kopf gefallen. Doch nur weil Mrs Lockhart kurzzeitig der Verstand abhandengekommen ist, breche ich mein Versprechen nicht. Früher einmal hat sie mir gesagt, dass ich niemandem etwas über Paul verraten darf. Fürderhin, wenn Sie Major Lockhart kennen würden, wüssten Sie auch, wo Ann wohnt.«

MacDonald zog das Foto aus der Tasche. »Sind das Ann, Catriona und Paul?«

»Ja. Und die Aufnahme bleibt im Haus.«

»Da bin ich anderer Meinung. Komm, Alberto, wir gehen.«

Vor der Tür echauffierte MacDonald sich weiter. »Ich verstehe überhaupt nicht, was in die Frau gefahren ist.«

»Mich hat mehr verblüfft, dass sie sich in dem Haus so gut auskennt. Ganz zu schweigen von ihrem fürchterlichen Rassismus. Noch etwas sage ich: mäh!«

»Du bist eine Ziege?«

»Nein, aber sie. Ailsa Craig heißt auch ein Ziegenkäse aus Dunlop.«

»Ich weiß.«

»Aber du hast es nicht erwähnt.«

»Meinst du, man kann einer Dame damit schmeicheln, dass sie wie ein Ziegenkäse heißt?«

»Wenn er gut schmeckt, vielleicht schon.« Alberto ging zielstrebig zum nächsten Haus und klingelte. Eine Frau in mittleren Jahren öffnete die Tür, in einer Hand den »Scotsman«, in der anderen die Lesebrille. »Einen wunderschönen guten Tag, die Dame. Wir sind Freunde Major Lockharts und möchten Sie etwas fragen.«

»Freunde vom Major, sagen Sie?«

Alberto nickte verbindlich.

»Sie stammen aber nicht aus Edinburgh, oder?«

Als die Frau MacDonalds Kilt bemerkte, fasste sie etwas mehr Vertrauen. Angus legte Alberto väterlich den Arm auf die Schulter. »Gnädigste, können Sie uns vielleicht sagen, wo wir Paul Sangster finden?«

»An Ihrer Stelle würde ich es mal in Morningside versuchen.«

»Ist der Herr betucht?«

»Eher das Gegenteil. Er verkauft dort sein Magazin.«

»Und wie heißt es?«

»The Big Issue.«

»So einer ist das also!«, sagte Alberto entrüstet. »Jetzt wundert mich überhaupt nichts mehr.«

Guiseppe Coia hatte sich einen doppelten Grappa eingeschenkt. So einen Tumult wie da draußen vor seinem Geschäft in der Victoria Street hatte er noch nie erlebt. Er führte den Familienbetrieb bereits in der dritten Generation. Sein Großvater wanderte 1931 nach Edinburgh aus und setzte damit einen Exodus fort, der in den 1890er Jahren begann. Damals schnürten die ersten Familien ihr Bündel, um der Armut zu entkommen. Viele von ihnen eröffneten Restaurants oder Eiscreme-Salons. Manche spezialisierten sich auf Fish and Chips Shops, in Edinburgh Chippies genannt. Auch die Coias fanden so ihren Weg ins hiesige Geschäftsleben. Es war nicht allzu kostspielig. Alles, was sie außer den Räumlichkeiten benötigten, waren eine schwarze Eisenpfanne und frischen Fisch, den sie täglich auf dem Markt kauften. Die Coias besaßen noch immer zwei Chippies. Doch bereits vor Jahrzehnten hatten sie in der Old Town in bester Lage zusätzlich ihr Delikatessen-Geschäft eröffnet und damit zunächst die italienische Gemeinschaft der Stadt erfreut. Heute führten sie auch internationale Lebensmittel und Weine und belieferten das gesamte Vereinigte Königreich. Lebte ein Brite nicht im hintersten Winkel des Landes, wurde er am nächsten Werktag beliefert. Eine Garantie, die auf stolze 90 Prozent der Kunden zutraf. Das Geschäft florierte und seitdem seine Tochter eingestiegen war, konnte der Senior sogar an den Ruhestand denken. Der Ärger begann zwei Tage zuvor, als dieser merkwürdige Mann im dunklen Anzug und mit seiner albernen Geheimdienst-Sonnenbrille das Geschäft betrat. Spazierte vor und zurück. Wie ein Geldeintreiber sah er nicht aus, war weder Schotte noch Italiener. Was also wollte der hässliche Vogel? Irgendwann wurde es Coia zu dumm und er stellte ihn zur Rede. »Kann man Ihnen helfen, mein Herr!«

 

Der Bursche zog provozierend langsam die Brille ab und stierte ihn an. »Nicht um mich geht es. Sie sind es, der Beistand braucht, Sir.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Bereits eine einfache Betrachtung Ihres Geschäftes führt einen dazu.«

»Ich habe keine Zeit für solchen Unsinn! Sagen Sie einfach, was Sie wollen.«

»Teufelswerk, wohin ich auch schaue. Dafür werden Sie schrecklich leiden.«

»Da liegt also der Hase im Pfeffer. Sie sind einer dieser Betbrüder. Gute Verkleidung! Respekt! Verlassen Sie auf der Stelle mein Geschäft!«

»Sie machen einen großen Fehler, Mister Coia. Auch Sie müssen das Heil finden. Essen ist Sünde.«

»Nicht, wenn man Italiener ist. Und es wäre auch nicht mein erster Fehler im Leben! Raus jetzt, aber schnell.« Er drohte dem CIA-Verschnitt mit dem Besen.

Der Mann lächelte nur geringschätzig, zog die getönte Brille wieder auf und schritt sehr langsam aus dem Laden. »Ein großer, großer Fehler, signore.«

Und heute standen zehn Typen vor seinem Geschäft, fünf Männer und fünf Frauen, die gegen seine Waren demonstrierten und handgemalte Schilder in die Luft streckten. »Stoppt die Völlerei! Kampf den Sündern! Denkt an die hungernden Kinder in Indien! Sie brauchen uns!« Er hatte überhaupt nichts dagegen, aber bei der heiligen Madonna, was hatte er denn mit ihren Parolen zu tun? Giuseppe zuckte zusammen. Seine Tochter hatte ihm unbemerkt die Hand auf die Schulter gelegt. »Soll ich die Polizei rufen, Dad?«

»Das habe ich bereits getan, Sweetie.«

»Wann denn?«

»Gleich als diese Brüder und Schwestern hier eintrafen.«

»Die lassen sich aber reichlich Zeit.«

»Wenn sie überhaupt kommen. Es war nicht einfach, sie zu überzeugen.«

»Unerhört!«

»Du weißt doch, wie das ist, Gianna. Immer das gleiche Lied, wenn ein unbescholtener Bürger die Hilfe der Polizei benötigt: Sind Sie sicher, dass es ernst ist? Im Moment sind wir schwer beschäftigt. Blablabla.«

»Dad! Wo willst du hin?«

»Mir die Herrschaften mal aus der Nähe ansehen.«

»Glaubst du, man kann mit ihnen reden?«

»Wir werden sehen.« Als er vor die Tür trat, hörten die Demonstranten kurz auf, im Kreis zu gehen. Zumindest das hatte er erreicht. »Was wollt ihr?«

»Stoppt die Völlerei! Kampf den Sündern! Denkt an die hungernden Kinder in Indien! Sie brauchen uns!«

»Nicht schon wieder! Die Platte kenne ich schon!«

Gianna zog ihn am Ärmel. »Dad, du kommst jetzt besser wieder rein. Die Leute kommen mir nicht geheuer vor. Und die Polizei muss ja irgendwann eintreffen.«

Coia ließ sich widerstrebend von ihr ins Geschäft zurückziehen. »Hast du das gesehen?«

»Was denn?«

»Du hast laut und deutlich von der Polizei gesprochen und die haben noch nicht mal mit der Wimper gezuckt.«

»Mir kommen sie auch reichlich apathisch vor.«

»Bestimmt nehmen sie Rauschgift.«

»Fängst du schon wieder mit deinen Drogen an?«

»Schau dir doch nur ihren leeren Blick an. Als ob hinter den Augen gar keine Person ist.«

»Dad, du hast keine Ahnung, warum die da draußen solchen Lärm machen?«

Er konnte sich nur mit Mühe beherrrschen. »Nein, Liebes, absolut nicht.«

»Ich höre Sirenen. Die Polizei kommt.«

Coia schüttelte den Kopf. Nur ein einziger Mann konnte ihm aus der Klemme helfen.

»Ja, soweit ich weiß, verkauft Sangster den ›Big Issue‹«, wiederholte Mrs Lockharts Nachbarin. »Sie brauchen mich gar nicht so entsetzt anzusehen. Ich habe nichts mit denen zu tun.«

»Darf man fragen, warum Sie so gut informiert sind?«, fragte MacDonald unschuldig.

»Seine Eltern besuchen denselben Gottesdienst wie ich.«

»Er veräußert dieses Blatt schon länger?«

»Zwei, drei Jahre werden es wohl sein.«

»Erhält er von seinen älteren Herrschaften keine Unterstützung?«

»Warum sollte ein junger Mann, der noch beide Arme und Beine besitzt, von seinen Verwandten durchgefüttert werden?«

»Absolut richtig«, sagte Alberto.

Ich könnte mir den einen oder anderen Grund vorstellen, dachte MacDonald und nickte freundlich.

Albertos Handy klingelte. Er trat zwei Schritte zur Seite, was sowohl seinen Freund als auch die Nachbarin neugierig machte. »Pronto! Du bist es. Wie geht es dir? Im Ernst? Ja, natürlich, sofort.« Er wandte sich den beiden zu.

»Ist irgendetwas?«

»Hast du schlechte Nachrichten bekommen?«

»Kann man wohl sagen. Ich muss dringend zu meinem Freund Guiseppe. Grazie and arrivederci, signorina.«

MacDonald hatte Mühe, Schritt zu halten. »Was ist denn passiert, Alberto?«

»Giuseppe war sehr aufgeregt. Der Zeitungsverkäufer muss warten. Kommst du mit? Oder soll ich den Bus nehmen?«

»Ich begleite dich natürlich.«

»Andiamo, Angus!«

Als sie in der Victoria Street ankamen, sprang Alberto aus dem Wagen und ließ die Tür offen stehen. »Ich gehe schon mal vor. Va bene?«

»Ganz wie du möchtest, mein Freund.«

Coia wartete bereits vor dem Geschäft. Alberto eilte in langen Schritten auf ihn zu und schüttelte ihm eifrig die Hand. »Giuseppe, geht es dir gut?«

»Schade, dass du nicht etwas früher gekommen bist. Du hast eine schöne Laienaufführung verpasst.«

»War die Polizei schon da?«

»Ja, aber dann fuhren abrupt zwei schwarze Geländewagen vor. Die Schreihälse sprangen ein und der Spuk war zu Ende. Schneller, als man einen Luftballon zum Platzen bringen kann.«

MacDonald hatte mittlerweile eingeparkt und gesellte sich zu den beiden.

»Freut mich, Sie wiederzusehen, Mister MacDonald.«

»Ihr beiden seht euch öfter?«

»Certo. Dein Freund ist einer meiner Stammkunden.«

»Nach einer längeren Phase der Abstinenz hatte ich den Köstlichkeiten nichts mehr entgegenzusetzen und kehrte reumütig in diese unvergleichliche Schatzkammer zurück«, sagte Angus.

»Und deine Diät?«

»Sie wollen abnehmen, Mister MacDonald? Da kann ich Ihnen nur abraten. Meine Schwägerin war nach ihrer Fastenkur nur noch ein halber Mensch.«

»Um der Wahrheit die Ehre zu geben, mir ist auch etwas mulmig dabei.«

»An Ihrer Stelle würde ich es mir noch mal überlegen. Aber kommt doch bitte rein. Ich mache uns einen Espresso.«

Alberto und MacDonald bewegten sich zwischen den Regalen wie zwei Wanderer in einer famosen Landschaft: Hier könnte man tot umfallen und würde es nicht bereuen. Coia ging hinter den Tresen und bereitete drei Espressi zu. Auf jedes Untertässchen legte er liebevoll zwei Briefchen mit Zucker. »Für mich bitte ohne«, meinte MacDonald.

»Signor MacDonald, ein Espresso ohne Zucker ist wie eine Pizza Margherita ohne Mozzarella!«

MacDonald seufzte. »Also gut, Sie haben mich überzeugt. Was genau ist denn vorgefallen?«

Coia überlegte einen Moment. »Neulich spazierte so eine komische Type hier rein. Im Anzug und mit Agenten-Sonnenbrille. Sonderbares Zeug hat der gefaselt. Von wegen Essen sei Sünde.«

»War es ein Presbyterianer?«

»Woher soll ich das wissen?«

MacDonald zuckte mit der Oberlippe. Der Mann war aufgeregt. Deshalb würde er ihm den rüden Ton durchgehen lassen. »Ich frage nur, weil die strengen Presbyterianer ihre Ansichten zu Speis und Trank haben. Delikatessen mögen sie zum Beispiel überhaupt nicht.«

»Man sollte es nicht für möglich halten, bei den vielen mittelmäßigen Kochsendungen, die heutzutage im Fernsehen laufen.«

Noch eine Bemerkung dieser Art und er würde seine Delikatessen in Zukunft woanders erwerben! Sollte Alberto doch die Befragung fortführen. Um sein Desinteresse zu zeigen, studierte er die Fotografie, die er bei Mrs Lockhart mitgenommen hatte.

Coia riss sie ihm aus der Hand. »Das ist doch nicht möglich!«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung!«, rief MacDonald entrüstet.

»Wo haben Sie das Foto her?«

»Von einer Bekannten«, erwiderte er knapp.

»Die Frau war hier!«

»Wann denn, Giuseppe?«

»Vor zehn Minuten noch. Sie ist eine der Bekloppten.«

»Sehr interessant«, meinte MacDonald indigniert. Formen waren Formen. Und wenn man sie nicht einhielt, würde die Gesellschaft unweigerlich im Chaos versinken!

»Giuseppe, ich habe eine sehr persönliche Frage. Musst du Schutzgelder bezahlen?«

»Nein. Und wenn ich sie verweigern würde, kämen bestimmt nicht solche abgerissenen Penner, um vor meinem Haus Zoff zu machen. Das kannst du mir glauben.«

»Die Leute waren schlecht gekleidet?«

»Im Prinzip waren sie ganz normal angezogen. Nur eben nicht wie italienische Geldeintreiber.«

MacDonald stellte sich Herren in maßgeschneiderten Nadelstreifenanzügen und zweifarbigen Schuhen vor. Ein Bild, das aus den Filmen über den Paten stammte. Vielleicht sollte er eine Studienreise nach Sizilien machen. »Hatten Sie früher schon einmal Ärger dieser Art?«

»Niemals, seit ich nach Schottland ausgewandert bin, mein Herr! Mir ist schleierhaft, was die von mir kleinem Licht wollen!«

»Wir werden es herausfinden.«

»Sie wollen mir ebenfalls helfen, Mister MacDonald?«

»Das ist Ehrensache. Immerhin sind Sie ein guter Freund eines guten Freundes.«

»Ist dir sonst noch etwas aufgefallen, Giuseppe?«

»Si, ich habe mir das Kennzeichen von einem der Wagen notiert.«

»Sehr löblich von Ihnen, doch leider besitzen wir keinen Polizei-Computer.«

»Ist nicht nötig. Ich habe einen Freund bei der Zulassungsstelle.«

Alberto klopfte Coia auf die Schulter, womit er auch sich selbst dafür lobte, solch einen intelligenten Freund zu haben.

»Wollt ihr noch einen Espresso?«

MacDonald tippte sich auf den Bauch. »Für mich nicht. Danke vielmals.«

»Sie haben es eilig?«

»Ich möchte den Rest des Tages nutzen, um meine neue TV-Sendung für die BBC vorzubereiten.«

»Worum geht es denn?«, fragte Coia verlegen.

»Um das Kochen mit Hafer.«

»Im Ernst?«

»Ja, im Ernst!«

»Aber den essen doch nur die Pferde.«

»Haha, sehr komisch. Sie müssen mir keine Pseudo-Weisheiten von diesem Johnson zitieren. Thank you very much!« MacDonald nickte den beiden düster zu und ging nach draußen. Selbst vor der Tür hörte er die zwei Italiener aufgeregt reden. Zehn Minuten später gesellte Alberto sich zu ihm. »Worüber habt ihr denn so lange palavert?«

»Nichts Besonderes. Er hat sich übrigens für die Hafer-Bemerkung entschuldigt.«

»Das war alles?«, fragte MacDonald skeptisch.

»Si, mein Freund.«

»Hm … ihr habt doch keine Geheimnisse vor mir?«

»Nie im Leben! Aber wenn wir gerade dabei sind, was hat dir denn Mrs Lockhart vorhin zugeflüstert?«

»Sie hat mir erzählt, dass Ann bereits Veganerin und Fruktarierin war und mir deshalb sehr ähnlich sei.«

»Perque?«

»Weil ich, äh, ich meine Prinz Philip seit Jahrzehnten die Atkins-Methode praktiziert.

»Ist das ein Sozialist?«

»Nein, der Erfinder der gleichnamigen Diät.«

»Ich erinnere mich, die Abmagerungskur, die Karen dir aufgebrummt hat. Santa Maria, wieso können die Menschen nicht einfach einen Teller Spaghetti zu sich nehmen! Das hat noch niemandem geschadet.«

Alberto hatte wieder einmal geschickt vom Thema abgelenkt. Noch immer hatte MacDonald den Eindruck, dass die beiden Italiener weiter über den Fall gesprochen hatten. Ob man Coia in der Vergangenheit bereits bedroht hatte? Es wäre nicht das erste Mal, dass Erpresser sich die Polizei verböten.

»Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, gehe ich jetzt nach Hause, Doktor Miller. Ich möchte noch ein wenig an den Strümpfen für meinen Neffen stricken.«

Karen Miller sah zerstreut von ihrem Schreibtisch auf. »Sie haben einen Neffen?«

»Schon seit 34 Jahren. Ich hatte Ihnen doch von ihm erzählt.«

»Und ihm stricken Sie Strümpfe?«

»Ja, mit großen Karos.«

»Wie originell.«

»Er heißt wie ich.«

»Grace?«

 

»Nein, das wäre aber schlimm. Obwohl es ja immer noch ein schöner Name ist. Denken Sie nur an Grace Kelly. Ich meinte meinen Nachnamen, Abercromby. Geht es Ihnen nicht gut, Frau Doktor? Sie sehen etwas blass aus.«

»Es ist nichts, was sich nicht mit einem heißen Bad und einer Kanne Tee beheben ließe. Sie können wirklich gehen. Ich komme alleine zurecht.«

Ihre Gehilfin zog ihren beigefarbenen Allwettermantel an, nahm Mütze und Stockregenschirm vom Kleiderhaken und ging zur Tür. Wohl war ihr nicht dabei, die Frau Doktor ihrem Schicksal zu überlassen. Doch als sie ihre gehäkelten Handschuhe aus den Manteltaschen zog und über die Finger streifte, gewann die Idee eines wohligen Strickabends schnell die Oberhand. »Also dann, ich gehe jetzt.« Sie stolperte die Treppe hinunter und wie zufällig erlitt sie vor der Anwaltspraxis im Erdgeschoss einen Niesanfall. Karen Miller trank den letzten Rest Tee und brachte ihren Becher zur Spüle in der kleinen Küche. Sie schmunzelte. Angus hatte ihr bei seinem letzten Besuch eine Becher-Kollektion geschenkt. »Mir ist aufgefallen, dass man in die Kultur Ihrer Heißgetränk-Gefäße etwas mehr Einheitlichkeit bringen könnte.« Übersetzt bedeutete die drollig-freundliche Formulierung: Ich fürchte, in Ihrem Küchenschrank herrscht das Prinzip Kraut und Rüben. Und so war sie nun die stolze Besitzerin von einem halben Dutzend Bechern in den unterschiedlichsten Clan-Mustern. Am liebsten trank sie aus dem MacDonald-Becher. Sie räumte ihn in die Geschirrspülmaschine und verließ die Praxis. Heute war sie froh, dass ihr Wagen direkt vor der Tür stand. Der Anruf ihres Vaters bedrückte sie. Hätte sie seine Hilfe annehmen sollen? Tannahill wollte sie um jeden Preis sehen. Das war ihr klar. Als sie seinerzeit merkte, dass er nicht über das Ereignis hinwegkam, zog sie die Konsequenz. Sie stieg in den Wagen und fuhr los. Zu Hause in Musselburgh fiel ihr ein fremdes Auto auf. Wer in einer ruhigen Nachbarschaft wohnte, bemerkte solche Dinge. Sie griff nach ihrer Tasche, eilte ins Haus und sperrte die Tür ab. Schön wäre es gewesen, abends von einem Haustier begrüßt zu werden. Doch fehlte ihr leider die Zeit. Angus hatte einen schönen Kater. Aber er wohnte in einer katzenfreundlichen Gegend. Dean Village war, wie der Name schon sagte, ein kleines Dorf. Sir Robert konnte das Haus durch eine kleine Luke auf der Hinterseite des Hauses nach Belieben verlassen, ohne dass man Angst haben musste, dass ein wildgewordener Autofahrer ihn überfuhr. Sie widerstand dem Wunsch, Angus anzurufen, denn er würde bemerken, dass etwas nicht stimmte. Und was sollte er denken, wenn sie von einem Mann aus ihrer Vergangenheit verfolgt wurde! Nein, lieber ließ sie sich ein beruhigendes Bad ein. Als Kind schon hatte ihr das Wasser nie heiß genug sein können. Ihre Mutter war das genaue Gegenteil. Karen ging ins Wohnzimmer zurück, um die Gardinen zu schließen. Jetzt saß jemand in dem Wagen! Ohne zu überlegen wählte sie MacDonalds Nummer.

»Hier spricht Angus Thinnson MacDonald.«

»Ich bin es, Angus. Entschuldigen Sie bitte die Störung.«

»Sie stören niemals, Karen.«

»Vielen Dank. Nett, dass Sie das sagen.«

»Wie geht es Ihnen?«

»Im Prinzip gut, ich hatte nur einen schweren Tag. Und Sie?«

»Mich nehmen die Vorbereitungen für die neue Sendung in Anspruch.«

»Alles, was Sie mit Hafer kochen können. Das war es doch, oder?«

»Exakt. Eine vielseitige Zutat, die in unserer kosmopolitischen Zeit mitunter vernachlässigt wird.«

»Schade. Dann haben Sie vermutlich keine Zeit, ein Glas Wein trinken zu gehen?«

»Darf ich mir das denn gestatten?«

»Ich verstehe nicht …?«

»Sie wünschen sich doch, dass ich tüchtig abspecke.«

»Stimmt, aber wir können ja eine Ausnahme machen.«

MacDonald zögerte einen langen Moment. »So leid es mir tut, aber ich fürchte, heute muss ich passen.«

»Kein Problem.«

»Sind Sie sicher?«

»Aber ja. Arbeiten Sie schön weiter.«

»Darf ich Sie die Tage einmal anrufen? Ich hätte noch einige Fragen zu Mister Atkins.«

»Was immer Sie wissen möchten.«

Nachdem sie aufgelegt hatte, stellte sie das Telefon auf stumm und ging wieder zum Fenster. Als sie den Vorhang zurückzog, war der Wagen weg. Doch besser fühlte sie sich deshalb nicht. In der Küche machte sie sich ein Käseomelette und trank ein Glas gut gekühlten neuseeländischen Sauvignon Blanc dazu. Nach dem Abwasch schaltete sie den Fernseher ein und sah die Nachrichten. Immer wieder stand sie auf und blickte nach draußen. Irgendwann gewann die Vernunft die Oberhand. Sie gab sich einen Ruck und legte sich die DVD »Whatever works« ein. Diesen Film von Woody Allen kannte sie noch nicht. Entspannung sollte er ihr bringen, machte sie aber nur noch nervöser. Es ging um Menschen, die sich nicht mehr verstanden und andere, die sich fanden. Als der Abspann lief, kamen ihr die Tränen. Hatte sie damals richtig entschieden? Fast hätte sie Angus noch einmal angerufen. Doch wie sollte sie ihm erklären, was alles durch ihren Kopf raste? Ein traditioneller Mensch wie er würde nicht nachvollziehen können, was damals geschehen war.

»Selten wurde eine Pflanze so stark mit einem Volk und dessen Lebensweise assoziiert. Hunderte von Jahren war der Hafer in verschiedenen Formen Grundstein der Ernährung der Bevölkerung.«

G. W. Lockhart in »The Scots and their Oats«